In 20 Sprachen um die Welt - Gaston Dorren - E-Book

In 20 Sprachen um die Welt E-Book

Gaston Dorren

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  • Herausgeber: C. H. Beck
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Wie konnte das kleine Portugal eine Weltsprache hervorbringen und Holland nicht? Warum sprechen japanische Frauen anders als japanische Männer? Und wieso funktionieren nicht-alphabetische Schriften genauso gut wie unsere 26 Buchstaben? Drei Viertel aller Menschen sprechen eine der 20 Sprachen, von denen dieses Buch erzählt. Gaston Dorren taucht in ihre ungewöhnlichen Geschichten ein und erklärt uns ihre erstaunlichen, aufschlussreichen und unterhaltsamen Besonderheiten. In seinem phantastisch geschriebenen Buch nimmt er uns auf eine einzigartige Weltreise mit, die uns einem Großteil der Menschheit näher bringt. Die Hälfte der Menschheit hat eine der 20 Sprachen, von denen dieses Buch erzählt, als Muttersprache. Drei Viertel aller Menschen sprechen mindestens eine von ihnen. Aber was zeichnet diese 20 vor den übrigen 6000 Sprachen der Welt aus? Gaston Dorren berichtet in seinem wunderbar vergnüglichen Buch von ihrer Herkunft und ihrem Aufstieg. Er erklärt die Schriften, die sie verwenden, stellt Juwelen und Lücken in ihrem Vokabular vor, erläutert linguistische Absonderlichkeiten und vermittelt uns, wie die Grammatik einer Sprache und die Weltsicht ihrer Sprecher zusammenhängen. So geht er etwa dem Rätsel nach, warum das Vietnamesische ein Dutzend Formen von «ich» kennt, erklärt den wundervollen Vokalreichtum des Portugiesischen und macht uns klar, dass wir alle mehr Arabisch können, als wir denken.

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Gaston Dorren

IN 20 SPRACHEN UM DIE WELT

Die größten Sprachen und was sie so besonders macht

Aus dem Englischen von Juliane Cromme

C.H.Beck

Zum Buch

Wie konnte das kleine Portugal eine Weltsprache hervorbringen und Holland nicht? Warum sprechen japanische Frauen anders als japanische Männer? Und wieso funktionieren nicht-alphabetische Schriften genauso gut wie unsere 26 Buchstaben? Drei Viertel aller Menschen sprechen eine der 20 Sprachen, von denen dieses Buch erzählt. Gaston Dorren taucht in ihre ungewöhnlichen Geschichten ein und erklärt uns ihre erstaunlichen, aufschlussreichen und unterhaltsamen Besonderheiten. In seinem phantastisch geschriebenen Buch nimmt er uns auf eine einzigartige Weltreise mit, die uns einem Großteil der Menschheit näher bringt.

«Man könnte sich keinen besseren Führer zu den Wundern der verblüffenden Sprachenvielfalt dieser Welt wünschen.»

Mail on Sunday

Über den Autor

Gaston Dorren ist Journalist und freier Autor und hat bereits vier hoch gelobte Bücher über Sprachen geschrieben. Er spricht Niederländisch, Limburgisch, Englisch, Deutsch und Spanisch und liest außerdem Französisch, Afrikaans, Friesisch, Portugiesisch, Italienisch, Katalanisch, Dänisch, Norwegisch, Schwedisch, Luxemburgisch und Esperanto.

Inhalt

Einleitung – Zwanzig Sprachen: Die halbe Welt

Ein paar (un)praktische Hinweise

20: Vietnamesisch

85 Millionen Sprecher

Erster Kontakt

Entfremdung und erneute Annäherung

Dort sein

Heimkehren

19: Koreanisch

85 Millionen Sprecher

Sensorische Wahrnehmung

Die Haue Gottes

Koreanische Ideophon-Reihen

Slf-slf-slf

Umgekehrte Symbole

Brodelnde Elemente

N wie Nase

Blitzende Messbecher

18: Tamil

90 Millionen Sprecher

Hässliches Entlein

In den Wahnsinn getrieben

Inthronisation ohne Tastatur

Die Sprache des Tigers: Tamil in Sri Lanka

17: Türkisch

90 Millionen Sprecher

I. Von Alttürkisch zu Osmanisch

II. Vom osmanischen zum modernen Türkisch

Sprachlicher Widerstand

16: Javanisch

95 Millionen Sprecher

Formalitätsebenen

Eine einschüchternde Sprache

Ersatzkonstrukt

Wettbewerbsgleichheit

15: Persisch

110 Millionen Sprecher

Dareios, König von Persien, 522–486 v. Chr.

Bahram V., König von Persien, 420–438 n. Chr.

Ismail I., König von Persien, 1501–1524 Selim I., Sultan des Osmanischen Reichs, 1512–1520 Sikandar Lodi, Sultan von Delhi, 1489–1517

14: Panjabi

125 Millionen Sprecher

Chinesische und Panjabi-Pferde

Die Schrift ist egal

An Bedeutung gewonnen

Flüstern, Singen und Bewundern

13: Japanisch

130 Millionen Sprecher

Furchtebar ekelig

Tugendhaftes Gemurmel

Nicht vernünftig daherreden

Glücklich und beliebt

12: Suaheli

135 Millionen Sprecher

Eine Milliarde Jonasse?

Was die Leute reden …

… aber nicht schreiben

Normale Menschen, keine Wunderkinder

Sprachgrenzen im Sturm überwinden

Mischtöne aus der Waschmaschine

Zwischen Vergangenheit und Zukunft

11: Deutsch

200 Millionen Sprecher

Löchrige Zellstruktur

Sieben maßgebliche Eigenschaften

1 Ja/nein-Fragen

2 Ng

3 Ungewöhnliche Konsonanten

4 Nicht ohne mein Subjekt

5 Geschlecht in Pronomina

6/7 Komplizierte Wortreihenfolge

Drei Botschaften

10: Französisch

250 Millionen Sprecher

Laissez-faire, laissez-parler – Leben und reden lassen

Ignorantentest

Die Franzosen sind die Einzigen, die wirklich sprechen

Auslöschung der Mundart

Französisch sprechen, sauber bleiben

Radikalisierung ganz oben

9: Malaiisch

275 Millionen Sprecher

Sechs Arten von Sprachlandschaften

Jenseits der Statistik

Der Aufstieg, der Aufstieg und der Aufstieg des Malaiischen

8: Russisch

275 Millionen Sprecher

Der Otter und die Wasserschlange

Schwarz wie Soot

Wie die andere Hälfte spricht

7: Portugiesisch

275 Millionen Sprecher

Ein kurzer Abriss des iberischen Kolonialismus

Sprachverschiebungen in den Kolonien

Die beiden kleinen Sprachen von 1500

Das riesige und das kleine Land

6: Bengalisch

275 Millionen Sprecher

Um kakhagagha und aaaiii herumgekommen

Bengalisch als Schönheit

Bengalisch als Ungetüm

Die phönizische Verbindung

Schreiber und ihre banale Tätigkeit

Eine Sprache, eine Schrift

5: Arabisch

375 Millionen Sprecher

Ein moderner Standard

Unser Arabisch – Das Kompaktwörterbuch von Babel

Andere Länder, andere Lettern

4: Hindi-Urdu

550 Millionen Sprecher

Die Geschichte des Hirdu

1206 und so

Frühes Urdu und Hindi, in der Rückschau betrachtet

Missionare und Gelehrte

Der Kampf zwischen dem «Bösen» und dem Barbarismus»

Rückwirkend getrennt

3: Spanisch

575 Millionen Sprecher

Sieben auf einen Streich

Vorübergehend verheiratet, auf ewig Weltmeister

Dieser Wodka – gut

Kater zu verkaufen

2: Mandarin

1,3 Milliarden Sprecher

1. Die chinesische Schrift verläuft von oben nach unten

2. Chinesische Schriftzeichen sind im Grunde Bilder

3. Chinesische Schriftzeichen gibt es seit 3500 Jahren

4. Es gibt 50.000 chinesische Schriftzeichen

5. Schriftzeichen sagen nichts über die Aussprache aus

6. Schriftzeichen sind Wörter

7. Alle chinesischen Sprachen werden auf die gleiche Weise geschrieben

8. Chinesische Schriftzeichen eignen sich gut für Wortspiele

9. Es wäre besser für Mandarin, wenn einige Schriftzeichen aussortiert würden

10. Jetzt wissen wir alles über Schriftzeichen

2b: Japanisch (zweite Runde) – Ein Schriftsystem ohne System

Kanji und deren Aussprache

Weshalb ein «Tschakubutsu» so etwas wie ein Kimono ist

Endung gut, alles gut

Für jede Gelegenheit eine andere Schrift

Elegante und weniger elegante Akrobatik

Zahlen im Ozean

1: Englisch

1,5 Milliarden Sprecher

Quellen und weiterführende Literatur

Allgemeines

Kapitel 20: Vietnamesisch

Kapitel 19: Koreanisch

Kapitel 18: Tamil

Kapitel 17: Türkisch

Kapitel 16: Javanisch

Kapitel 15: Persisch

Kapitel 14: Panjabi

Kapitel 13: Japanisch

Kapitel 12: Suaheli

Kapitel 11: Deutsch

Kapitel 10: Französisch

Kapitel 9: Malaiisch

Kapitel 8: Russisch

Kapitel 7: Portugiesisch

Kapitel 6: Bengalisch

Kapitel 5: Arabisch

Kapitel 4: Hindi-Urdu

Kapitel 3: Spanisch

Kapitel 2: Mandarin

Kapitel 2b: Japanisch (zweite Runde)

Kapitel 1: Englisch

Dank

Bildnachweis

Register

Sprache ist solch ein intimer Besitz, etwas, das man im gleichen Maß besitzt, wie man von ihm besessen wird. Sprache ist mit den Grundfesten des Daseins eines Menschen verbunden, mit seinen Erinnerungen und Emotionen, mit den feinen Strukturen der Welt, in der er lebt.

Alok Rai, Hindi Nationalism

Einleitung

Zwanzig Sprachen: Die halbe Welt

Die Sprachen der Welt zu zählen ist genauso schwierig wie Farben zu zählen. Es gibt Aufzählungen standardisierter Sprachen wie Englisch, Französisch, Russisch und Thailändisch; eine solche Liste zu erstellen ist so einfach wie das Zählen der Farben in einem Bild von Mondrian. Die meisten Sprachen sind jedoch nie standardisiert worden. In vielen Gegenden der Welt gibt es lediglich eine Menge regionaler Varianten. Zu entscheiden, wo die eine Sprache aufhört und die andere anfängt, wäre so mühselig, wie die unterschiedlichen Farben in einem Gemälde von Turner auseinanderhalten zu wollen. Es kann hier also kein amtliches Endergebnis der Gesamtzahl geben.

Gleichwohl: Die Menge der in der heutigen Welt gesprochenen und geschriebenen Sprachen wird gemeinhin auf 6000 geschätzt. Das ist durchschnittlich eine Sprache für 1,25 Millionen Menschen. Eine erstaunliche Vielfalt – in welch einem Babel leben wir!

Oder? Hier ist eine andere Statistik: Wenn Sie gute Sprachkenntnisse in nur vier Sprachen haben – nämlich in Englisch, Mandarin, Spanisch und Hindi-Urdu –, können Sie entspannt die meisten Gegenden der Welt bereisen, ohne einen Dolmetscher dabeihaben zu müssen. Mit Hindi-Urdu und Mandarin kann man sich in den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Erde weitgehend verständigen, Spanisch wird Ihnen auf den amerikanischen Kontinenten gute Dienste leisten, und Englisch kommt dem am nächsten, was wir als eine globale Umgangssprache bezeichnen könnten. Von wegen Babel, mag man jetzt denken.

Die größten Sprachen der Welt, um die es in diesem Buch geht, verursachen den Niedergang hunderter, sogar tausender, die kleiner sind. Das ist eine Tragödie, da auf jedem Kontinent Sprachen verschwinden und damit wertvolles Wissen ausgelöscht wird, das in Wörtern, Geschichten und Namen festgehalten war – Alok Rais «feine Strukturen der Welt, in der [ein Mensch] lebt». Und gleichzeitig stehen die dominanten Sprachen in sich für mehr linguistische, kulturelle und historische Vielfalt, als ihnen gemeinhin zugestanden wird. Dieser Kontrast macht In 20 Sprachen um die Welt zu einem bittersüßen Buch: Die hier porträtierten Sprachen, die ich die «Zwanzig von Babel» nenne, sind genauso wunderbar wie bedrohlich.

Zusammengenommen sind es die Muttersprachen für nicht weniger als die Hälfte der Weltbevölkerung. Wenn wir Zweitsprachler mitzählen, ist die Zahl noch viel größer. Wie gesagt, über Statistiken kann man diskutieren, aber mit Sicherheit können mindestens 75 Prozent der Menschen auf diesem Planeten in einer der Zwanzig von Babel kommunizieren. Eine hier vielleicht weniger relevante, aber genauere Statistik besagt, dass über 90 Prozent der Menschheit in Ländern leben, in denen eine oder mehrere dieser zwanzig Sprachen standardmäßig von der Regierung verwendet wird.

Wie sind diese großen Sprachen auf ihre heutigen Positionen aufgestiegen? Sie alle haben unterschiedliche Geschichten, aber die meisten haben eins gemeinsam: Sie sind Linguae francae – Sprachen, die die Kluft zwischen Menschen mit verschiedenen Muttersprachen überbrücken.

Zwei dieser Linguae francae – Suaheli und Malaiisch – gewannen zunächst als Handelssprachen an Bedeutung. Später setzten verschiedene Regierungen sie als Verwaltungssprachen ein, sie werden aber selbst heute weniger als Muttersprachen gesprochen, sondern eher als Zweitsprachen; sie sind nützliche Lückenfüller. Doch der wichtigste Urheber und Förderer von Linguae francae war schon immer der Imperialismus – Persisch, Portugiesisch und Englisch sind alle auf diese Weise über ihre Ursprünge hinausgewachsen. Andere asiatische Sprachen haben ähnliche Entwicklungen durchgemacht: Arabisch wurde vom Kalifat verbreitet, Mandarin von aufeinanderfolgenden Herrscherdynastien, Türkisch von den Osmanen und Vietnamesisch von den Königen und Armeen des Việt-Volks. Genau wie Portugiesisch und Englisch profitierten auch andere europäische Sprachen von Kolonialreichen. Spanisch und Französisch wurden übers Meer verbreitet, Russisch über Land. Und noch immer ist dies der Lauf der Dinge – so empfinden es jedenfalls die Menschen in Südindien, die sich vehement gegen den Aufstieg von Hindi zur pan-indischen Sprache wehren.

Bisher habe ich dreizehn Sprachen erwähnt. Die übrigen sieben sind Deutsch, Japanisch, Javanisch, Koreanisch und drei südasiatische Sprachen: Bengalisch, Panjabi und Tamil. Sie als Linguae francae zu bezeichnen wäre etwas weit gefasst. Was sie allerdings miteinander gemeinsam haben, ist, dass sie in kompakten, aber dicht bevölkerten Regionen angesiedelt sind.

Dass die Zwanzig von Babel auf unterschiedliche Weise triumphiert haben, ist nur der Anfang ihrer Vielfältigkeit. Natürlich unterscheiden sich alle Sprachen auch im Wortschatz, über den sie verfügen, in der Grammatik, die sie anwenden, und in den Klängen, auf denen sie sich fortbewegen. Ihre Schriftsysteme sind nicht nur fürs Auge reizvoll in ihrer Mannigfaltigkeit, sondern auch ihre Funktionsweisen sind grundverschieden. Die Menschen hegen zudem gegenüber ihren Sprachen unterschiedliche Empfindungen: Die Spannweite erstreckt sich von Verehrung, Stolz und Beschützerinstinkt über Gleichgültigkeit bis hin zu Resignation oder sogar Abneigung, insbesondere unter Zweitsprachlern. Sprachen werden für unterschiedliche Zwecke eingesetzt: Die meisten, aber nicht alle, werden von Regierungen und Wirtschaft geschätzt; manche haben lange und reiche literarische Traditionen, andere weniger; manche werden von Migranten über Generationen hinweg am Leben erhalten, während andere rasch aufgegeben werden. Jede Sprache hat auch ihre interne Diversität, aber die Muster sind nicht überall gleich: Normalerweise gibt es regionale Varianten, manchmal gibt es eine gesprochene und eine Schriftsprache oder eine für formelle Konversationen und eine Umgangssprache oder auch verschiedene Varianten für Gespräche mit gesellschaftlich Übergeordneten, Untergeordneten und Gleichrangigen – und so weiter. Anders ausgedrückt: Abgesehen davon, dass sie alle einzigartige Systeme des Kommunizierens sind, hat jede der Zwanzig von Babel auch ihre eigene Sprachgeschichte und ihre eigene linguistische Kultur. Sie sind Welten für sich.

In den folgenden zwanzig Kapiteln (plus einem halben Bonus-Kapitel) werfen wir einen Blick in jeweils eine dieser Welten. Wir beginnen mit der kleinsten der Großen und arbeiten uns bis zur größten vor, der «sprachlichen Supermacht». Jede Geschichte konzentriert sich auf eine Sprache und stellt gleichzeitig auch ein Thema in den Mittelpunkt, eine Besonderheit dieser Sprache. Zum Beispiel: Was genau bedeutet es für Russisch, dass es mit Deutsch «verwandt» ist? Wie können nicht-alphabetische Schriften, wie die von Indien und von China, die gleichen Aufgaben erfüllen wie unsere 26 Buchstaben? Wenn Belgien und Kanada Schwierigkeiten haben, den Sprachfrieden zu wahren, wie geht es dann erst vielsprachigen Ländern wie Indonesien damit? Weshalb hat das winzige, aber koloniale Portugal eine wichtige Weltsprache hervorgebracht – und die Niederlande nicht? Warum reden japanische Frauen anders als japanische Männer? Und wie hat dieses Buch dem Autor zu zwei vietnamesischen Nichten verholfen?

Ein paar (un)praktische Hinweise

Jedes Kapitel beginnt mit einem kurzen Profil der Sprache, um die es geht: ihren verschiedenen Namen, ihrer sprachfamiliären Herkunft, der Zahl der Sprecher, ein paar Basics über die Grammatik, die Aussprache und das Schriftsystem sowie Informationen über Lehnwörter (was sind die wichtigsten Quellen, aus denen entlehnt wurde, und welche Wörter hat das Deutsche aus dieser Sprache übernommen?). Die Zahlen sind natürlich mit Vorsicht zu genießen, weil Statistiken zur Sprache sehr unzuverlässig sind. Ich habe viele Quellen miteinander verglichen, die unglaubwürdigen statistischen Ausreißer ignoriert, die restlichen gemittelt und das Ergebnis auf den nächsten griffigen Wert auf- oder abgerundet.

Es ist schwer, die ungewohnten Klänge fremder Sprachen wiederzugeben, ohne dabei das Internationale Phonetische Alphabet (IPA) zu verwenden, das für Nicht-Experten verwirrend sein kann. Dieses Problem bin ich auf zweierlei Art angegangen. In den meisten Fällen wird versucht, der Aussprache der fremden Wörter mit Hilfe der deutschen Rechtschreibgewohnheiten nahezukommen: Ein i-Klang wird dann mit /i/ wiedergegeben; in Passagen, in denen die Vokallänge eine Rolle spielt, kann auch einmal etwas wie /ī/ stehen. Und wo das nicht weiterhilft, verweise ich auf meine englischsprachige Website (languagewriter.com), auf der sich unter dem Menüpunkt «BABEL» eine Seite mit einigen Klangdateien findet.

Beim Zitieren von Beispielwörtern, -phrasen oder -sätzen habe ich versucht, mich typographisch an folgende Prinzipien zu halten:

BABELI

Kapitälchen: Wörter in Fremdsprachen. Zur besseren Lesbarkeit stehen ganze Sätze jedoch bisweilen auch kursiv.

Babel

kursiv: Deutsche Wörter, aber auch ganze Sätze in anderen Sprachen. Auch zur besonderen Betonung.

/Babl/

Schrägstriche: klangliche Annäherungen.

‹Babel›

Einfache Anführungszeichen: deutsche Übersetzungen, sofern sie im Text direkt auf das Original folgen.

(Babel)

Wenn deutsche Übersetzungen in Klammern stehen, wird auf Anführungszeichen verzichtet.

Genau die Hälfte der Zwanzig von Babel wird in einer anderen Schrift als unserem lateinischen Alphabet notiert. Wörter aus dem Russischen, Mandarin usw. wurden transliteriert oder transkribiert. Für einige dieser Sprachen sind mehrere Systeme im Umlauf; wenn Sie also das Gefühl haben, dass koreanische, japanische oder arabische Wörter in diesem Buch etwas anders aussehen, als Sie es gelernt haben, könnte das der Grund dafür sein.

Zugunsten des Leseflusses werden in diesem Buch oft nur die männlichen Formen verwendet, es sind aber alle Gender gemeint.

Ich habe viel Fleiß auf die vielen fremdsprachigen Wörter verwandt, die in diesem Buch zitiert werden, dennoch ist anzunehmen, dass sich Schreibfehler eingeschlichen haben, vor allem bei den nicht-europäischen Sprachen. Ich wäre den Lesern dankbar für jede Verbesserung, die sie mir schicken (siehe die Kontaktdaten auf meiner Website: languagewriter.com); in späteren Auflagen und Übersetzungen werde ich sie gerne berücksichtigen. Bis dahin wollen wir solche Schnitzer demütig als das hinnehmen, was sie sind: der Beweis, dass wir noch immer in Babel leben.

Gaston Dorren

20

Vietnamesisch

TIẾNG VIỆT

85 Millionen Sprecher

Etwa 75 Millionen vietnamesische Muttersprachler leben in Vietnam, wo dies die einzige Amtssprache ist, eine halbe Million in Kambodscha. Etwa 2 Millionen Vietnamesen leben in den USA, eine große Zahl auch in Frankreich, Australien, Kanada, Deutschland, Tschechien und dem Vereinigten Königreich. In Vietnam gibt es 5 bis 10 Millionen Zweitsprachler, zumeist ethnische Minderheiten.

Vietnamesisch

EIGENNAMETIẾNG VIỆT, auch TIẾNG VIỆT NAM oder VIỆT NGỮ.

SPRACHFAMILIE  Vietnamesisch ist bei weitem das meistgesprochene Mitglied der austroasiatischen Familie, zu der auch Khmer, die Nationalsprache Kambodschas, gehört. Mehr als hundert kleinere austroasiatische Sprachen werden von Minderheiten in Südostasien und dem östlichen Indien gesprochen.

SCHRIFT  Lateinisches Alphabet, mit einer beachtlichen Menge diakritischer Zeichen (Akzente). Bis ins frühe 20. Jahrhundert wurden Schriftzeichen verwendet, die die chinesischen Zeichen zur Grundlage hatten.

GRAMMATIK  Siehe Haupttext.

AUSSPRACHE  Siehe Haupttext.

LEHNWÖRTER  In der Prähistorie wurden landwirtschaftliche Fachbegriffe aus den benachbarten Tai-Sprachen übernommen. Unzählige Wörter wurden über einen Zeitraum von etwa 2000 Jahren aus chinesischen Sprachen entlehnt, bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts; Schätzungen zufolge sind 30 bis 60 Prozent des vietnamesischen Wortschatzes chinesischen Ursprungs. Während der Kolonialherrschaft Frankreichs wurden französische Wörter zuhauf ins vietnamesische Klang- und Schriftsystem übernommen und an dieses angepasst. Heutzutage mischen sich englische Wörter hinein. Beispiele finden Sie im Haupttext.

EXPORT  Vietnamesische Wörter in westlichen Sprachen beziehen sich hauptsächlich auf Elemente der vietnamesischen Kultur. Am bekanntesten ist wohl Pho (PHỞ), eine beliebte Suppe auf Brühenbasis. (Während des Vietnamkrieges sickerten zeitweise einige vietnamesische Wörter in den amerikanischen Militärjargon, wie z.B. DI DI (ĐI ĐI) ‹geh weg›, QUAN CANH (QUÂN CẢNH) ‹Militärpolizei› und SO MOT (SỐ MỘT) ‹der/die Beste›, wörtlich «Nummer eins».)

SCHWIERIGE AKZENTE  Vietnamesisch weist starke regionale Schwankungen in der Aussprache und im Vokabular auf, nicht jedoch in der Grammatik. Für den Sprachschüler ist das eine große Hürde: Es ist einfach, die wichtigsten Akzente auseinanderzuhalten, jedoch schwieriger, sie zu verstehen, vor allem die im Süden gesprochenen. Tatsächlich tun sich sogar Muttersprachler aus dem Norden manchmal schwer damit, einige der weniger geläufigen südlichen Dialekte zu verstehen. Die empfohlene Standardaussprache ist eine Mischung aus einigen südlichen und überwiegend nördlichen Merkmalen.

20  Vietnamesisch

Sprachlicher Bergsport

Als mein dreiwöchiger Aufenthalt in Hanoi zur Hälfte herum ist, höre ich mich selbst sagen: «Bác học tiếng Việt một năm và ruỗi – äh... rưỡi – rồi nhưng chưa có thể nói không được!»

Die Worte kommen stockend, aber ich sehe, wie Loan, meine Lehrerin, nickt, also sage ich gerade vielleicht wirklich, was ich sagen will: dass ich jetzt seit anderthalb Jahren Vietnamesisch lerne und es noch immer nicht sprechen kann. Ist es mir wirklich gelungen, das rüberzubringen? Wenn ja, dann habe ich soeben meinen bisher längsten – und in sich widersprüchlichsten – vietnamesischen Satz produziert.

Loan ist etwa zwei Sekunden still. Dann schüttelt sie den Kopf. «Lass uns das korrigieren.»

Ich ignoriere das bange Gefühl in der Magengegend und versuche, meine Antwort heiter klingen zu lassen: «Warum? Meinst du, dass es nicht stimmt, dass ich nicht Vietnamesisch sprechen kann?»

«Der Satz enthält einige Fehler», sagt sie und zählt sie mir auf. «Sag’s jetzt noch einmal.»

«Bác học tiếng Việt một năm rưỡi rồi nhưng chưa thể nói được.»

Ich lerne gern bei Loan. Sie spricht nicht nur gut Englisch (obwohl das ein zweischneidiges Schwert sein könnte), sie ist auch lebhaft, lustig und voller Begeisterung fürs Sprachenlernen, sowohl bei ihren Schülern als auch bei sich selbst. Wir haben zusammen ein Museum, einen Buchladen und ein Speiselokal besucht, und sie hat mich sogar ein paar Freunden vorgestellt. Sie ist eine leidenschaftliche Lehrerin, und gleichzeitig kann sie auch ein bisschen streng sein. Statt meine bescheidenen Fortschritte zu loben, glaubt sie fest an die motivierenden Kräfte ihrer Enttäuschung, wenn sie beispielsweise sagt: «Warum kennst du das Wort BÁC (Onkel) nicht? Wir haben es erst gestern gelesen!»

«Bestimmt, aber ich kann mir doch nicht jedes Wort merken, dem ich schon mal begegnet bin, cháu (Nichte), oder auch nur die Hälfte davon! Vietnamesische Vokabeln lernen ist khó khăn – schwer!»

«Das solltest du aber. Du bist so ein guter Schüler!»

Mein Rücken wird gerader.

«Aber es stimmt, dass deine Konversationsfähigkeiten sich nicht sehr verbessert haben.»

Ich sacke wieder etwas zusammen.

«Ein bisschen schon. Und deine Aussprache sowieso.»

Nur jetzt gerade versagt mir selbige, denn dieses seltene Kompliment macht mich sprachlos. So läuft das bei meiner zwanzig Jahre jungen Vietnamesischlehrerin und mir.

Aber wozu bin ich überhaupt hier, 9000 Kilometer weit weg von meinen Freunden und meiner Familie, und plage mich mit einer Sprache ab, an die sich außer exzentrischen Auswanderern nur die allerexzentrischsten Fremden heranwagen? Wie bin ich nur auf diese Idee gekommen? Die Antwort ist: Durch dieses Buch.

Der Jadeberg-Tempel im Zentrum von Hanoi. Jahrhundertelang wurden hauptsächlich die klassischen chinesischen Schriftzeichen genutzt. Auch eine für Vietnamesisch angepasste Version wurde verwendet.

Wie schon in der Einleitung erwähnt, müsste man zwanzig Sprachen lernen, um mit der Hälfte der Weltbevölkerung in deren Muttersprache sprechen zu können. Manche Menschen haben das tatsächlich fertigbekommen. Ich habe einmal dem polyglotten amerikanischen Linguisten Alexander Argüelles die Hand geschüttelt, der sechzehn oder siebzehn jener Sprachen spricht, sowie viele weitere, die nicht zu den Top Twenty gehören. Ich selbst habe im Leben bisher sieben der zwanzig gelernt (Englisch, Deutsch, Spanisch, Französisch, Portugiesisch, Russisch und Türkisch), was zu Kenntnissen führte, die teils fließend sind und häufiger eher eine flüchtige Bekanntschaft. Die Vorstellung, mir das komplette Gesamtpaket der zwanzig Sprachen vorzunehmen, hat mich kurz gereizt. Aber schon bald wurde mir klar, dass ich mir niemals auch nur deren Grundlagen würde aneignen können, ohne den zeitlichen Rahmen meines Verlegers, meines Bankkontos oder gar meiner Lebenserwartung zu sprengen. Also beschloss ich, es nur mit einer zu versuchen – aber einer herausfordernden.

Vietnamesisch schien da eine gute Wahl. Anders als bei den meisten anderen Optionen, wie Arabisch, Hindi und Koreanisch, würde ich mir kein gänzlich neues Alphabet aneignen müssen oder, der Himmel bewahre, tausende chinesische Schriftzeichen. Und da Vietnamesisch im Eröffnungskapitel die Hauptrolle spielen sollte, würde es mir die Gelegenheit geben, gleich zu Anfang viele Eigenschaften fremder Sprachen zu streifen. Ein weiterer, privater Beweggrund war, dass ich hoffte, unsere vietnamesische Hausfee Tuyet damit überraschen zu können, sie in ihrer Muttersprache anzusprechen. So wählte ich also diese Sprache, suchte mir einen Selbstlernkurs, der mir geeignet erschien[1], und machte mich auf die Reise. Dieses Kapitel ist der Reisebericht.

Erster Kontakt

Geschriebenes Vietnamesisch beeindruckt auf den ersten Blick: Mir ist keine andere Sprache bekannt, die so viele diakritische Zeichen verwendet. Als kleiner Junge empfand ich das Paris Match, in dem mein Vater las, als exotisch, weil es so viele és, às und îs sowie unendlich viele Apostrophe enthielt; neben Vietnamesisch wirkt Französisch jedoch kahl und schmucklos. Mit nicht weniger als neun verschiedenen diakritischen Zeichen (á, à, ả, ã, ạ, â, ă, đ und ơ – für Letzteres liebe ich die informelle Bezeichnung «o mit Kotelette») ist es eine Sprache für Leute mit scharfen Augen. Wörter und sogar Buchstaben mit mehreren diakritischen Zeichen auf einmal sind keineswegs die Ausnahme: Schon bald finde ich heraus, dass Tuyets Name eigentlich Tuyết geschrieben wird (und «Schnee» bedeutet).

Diese Akzente sind für eine korrekte Aussprache unentbehrlich, aber sie erschweren das Lernen erheblich. Glücklicherweise hat geschriebenes Vietnamesisch jedoch auch eine gute Seite: Fast alle Wörter bestehen aus nur einer Silbe. Wörter, die nicht mehr als sechs Buchstaben zählen, sollten doch leichter zu behalten sein als diese tausendfüßigen Monstren, auf die Russen, Türken und Finnen so stolz sind.

Und noch eine gute Nachricht: Anders als zum Beispiel die englische Rechtschreibung gibt die vietnamesische die Aussprache ziemlich genau wieder. Das bedeutet nicht, dass sämtliche Rechtschreibregeln intuitiv unmittelbar einleuchten – warum gibt es drei verschiedene Arten, ein stimmhaftes /s/ zu notieren? Warum ist der Buchstabe z, der im Internationalen Phonetischen Alphabet dafür verwendet wird, keine von ihnen? Und wofür drei Schreibweisen für den /k/-Klang? (Nun gut, im Deutschen schreiben wir auch Chor, Quadrat und Quarantäne statt Kor, Kwadrat und Karantäne.) Eine weitere Schwierigkeit des Vietnamesischen ist die Unterscheidung zwischen t und th, also einem /t/- und einem / th/-Klang – Letzterer bekommt einen kleinen extra Luftstoß. Im Deutschen machen wir hier keinen Unterschied und schreiben einfach immer t. Wir haben also kein Recht zu meckern, dass das Vietnamesische es beim Schreiben lieber genau nimmt.

Insgesamt würde ich die vietnamesische Aussprache als einfach bezeichnen, wenn es nicht diesen Elefanten im Raum gäbe, diesen ungeheuren singenden Elefanten, der in die meisten asiatischen Sprachen hineintrompetet: den Ton. Jedes Wort wird mit einer von sechs «Melodien» ausgesprochen. Das war mir zwar bekannt, als ich mich auf diese Sprache einließ, aber ich hatte gehofft, dass ich als Sprecher einer tonalen Regionalsprache (des Limburgischen der südlichen Niederlande) einen Vorteil hätte. Leider nein: Sechs Töne sind etwas ganz anderes als die mir vertrauten lausigen zwei. Man braucht nur einmal den falschen Ton zu treffen, und schon wird aus «hier» «dort» (ĐÂY, ĐÁY), und die Bedeutung von ĐI wechselt von «geh» zu «Prostituierte» (ĐĪ), «Hodensack» oder «misshandeln» (beide ĐÌ). Zum Glück hilft uns die vietnamesische Rechtschreibung: Fünf der neun diakritischen Zeichen sind dazu da, den richtigen Ton anzuzeigen, und der sechste Ton ist der richtige, wenn diese fünf fehlen. Im Ergebnis ist geschriebenes Vietnamesisch nicht nur Text, sondern gleichermaßen ein Notenblatt.

Die vietnamesische Grammatik hat etwas Heimtückisches. Einerseits ist sie dort überraschend leicht, wo ich aufgrund meiner Erfahrung eigentlich harte Arbeit erwartet hätte. Verbkonjugation, die Tortur der meisten europäischen Sprachen? Nicht der Rede wert: Einfach ein paar simple, unveränderliche Partikel anhängen, die auch noch oft weggelassen werden können. Fälle, wie im Lateinischen und Griechischen, den slawischen Sprachen und dem Deutschen? Gibt es nicht. Unregelmäßige Pluralformen, wie bei den slawischen Sprachen[2], Dänisch und Deutsch? Vietnamesisch hat überhaupt keine Pluralformen, wie wir sie kennen. All dies können wir wie folgt zusammenfassen: Keine Endungen! Vietnamesische Wörter bleiben, wie sie sind. Sie verändern sich nie. Schwer zu glauben, aber wahr.

Aber gerade, als ich zu hoffen beginne, dass Vietnamesisch doch einfacher sein könnte als gedacht, tauchen mehrere kleine Störenfriede auf.

Störenfried 1: Die Personalpronomen, die … Hilfe, wo fange ich an? Das Problem mit den vietnamesischen Pronomina ist, dass es so unglaublich viele sind. Man sagt nicht einfach «ich» oder «du», es gibt eine Riesenauswahl an Ichs und Dus, die teils vom Geschlecht abhängen, aber auch von der Art der Beziehung und vom Alter. Das Pronomen Ihrer Wahl stellt eine bestimmte Art der Beziehung zu Ihrem Gesprächspartner her. Selbst wenn Sie das neutralste Wort für «ich» benutzen, TÔI, ist es noch nicht wirklich neutral, weil es Sie furchtbar spröde wirken lässt, womit man keine Freunde gewinnt.

Weitaus üblicher als die neutralen oder distanzierten Pronomen sind diejenigen, die, wörtlich übersetzt, alle Arten verwandtschaftlicher Verhältnisse wiedergeben. Wenn Sie etwas älter sind als ich, würde ich Sie mit ANH (älterer Bruder) oder CHỊ (ältere Schwester) ansprechen und mich selbst als EM (jüngerer Bruder, jüngere Schwester) bezeichnen. Wenn Sie aber jünger sind, würde ich Sie EM nennen und mich selbst, da männlich, ANH. Bemerkenswerterweise kann jedes dieser drei Wörter sowohl «ich» als auch «du» bedeuten, je nachdem, wer zu wem spricht. Wenn die Teilnehmer an einem vietnamesischen Gespräch diese Pronomina verwenden, muss zunächst anhand des Kontexts herausgefunden werden, wer jünger und wer älter ist, damit klar ist, welche Pronomina sich auf wen beziehen. Völlig andere Wörter kommen allerdings ins Spiel, falls der Altersunterschied größer ist. Der Grund, weshalb Loan und ich einander in obenstehendem Gespräch BÁC und CHÁU nennen (wörtlich: «Onkel/Tante» und «Nichte/Neffe»), ist, dass ich etwa so alt wie ihre Eltern bin. Übrigens habe ich diese Anredeformen nicht fürs Lokalkolorit in den Text eingefügt, sondern Vietnamesen verwenden sie tatsächlich sogar oft im Englischen.

Der zweite Störenfried ist das, was ich als «Labyrinthsätze» bezeichnen möchte. Natürlich ist es normal, sich erst mal total unwissend vorzukommen, wenn man mit einer neuen Sprache beginnt. Nur: Bei anderen Sprachen kann ich üblicherweise, wenn die Bedeutung eines Wortes mir unklar ist, wenigstens erkennen, um welche Wortart es sich handelt. Zahlreiche Signale – Endungen, benachbarte Artikel und Pronomina und so weiter – helfen mir auszumachen, ob ich gerade ratlos vor einem Verb sitze, über ein Substantiv nachgrüble oder von einem Adjektiv herausgefordert werde. Das ist tröstlich und nützlich, so wie im Dunkeln vage Schatten zu erkennen. Weil Vietnamesisch weder Endungen noch Artikel hat, aber zu viele Pronomina, kann man sich hier nur allzu leicht in einem Satz hoffnungslos verirren.

Und bald stolpere ich über eine weitere Komplikation. Viele gebräuchliche vietnamesische Wörter können Verben, Substantive, Präpositionen oder sonst irgendwelche Wortarten sein, mit Bedeutungen, die entweder etwas miteinander zu tun haben oder auch nicht. CHỈ kann «zeigen» oder «nur» heißen. Ở bedeutet oft «an», aber manchmal auch «sein, bleiben». LÀ bedeutet «sein» (und «ist», «sind», «war» etc.), aber auch «dass». Und ĐƯỢC hat, so warnte man mich, so viele Bedeutungen und grammatische Funktionen, dass man nur hoffen kann, durch ganz viel Übung irgendwie, irgendwann ein Gefühl dafür zu entwickeln.

Und es gibt noch einen Störenfried: die Wortreihenfolge. Die grundsätzliche Wortfolge ist kinderleicht: Subjekt, Prädikat, Objekt, wie im Deutschen. Adjektive folgen auf ihre Substantive, was anders ist als im Deutschen, aber wir kennen es vom Französischen oder Spanischen. Leider gibt es im Vietnamesischen jedoch andere Arten von Wörtern und Sätzen, die in ihren Vorlieben für die Reihenfolge ebenso pingelig wie launisch sind. Ein Wort für «sehr» kommt vor dem Adjektiv (RẤT LỚN ‹sehr groß›), ein anderes möchte immer nur dahinter stehen (LỚN LẮM ‹groß sehr›). KHI NÀO ‹wann› am Ende eines Satzes bezieht sich gern auf die Vergangenheit, während es seine Augen auf die Zukunft richtet, wenn es am Anfang steht. Ein Satzpartikel für die Vergangenheit steht vor dem Verb (ĐÃ), ein anderes danach (RỒI). Und so weiter, zum Wahnsinnigwerden weiter.

Aussprache und Grammatik haben also wahre Hämmer zu bieten, aber auch Leichtes. Das Vokabular hingegen hält nicht viel Leichtigkeit bereit. Aufgrund der europäischen Einflüsse, denen Vietnam seit dem späten 19. Jahrhundert ausgesetzt war, hatte ich einiges an Lehnwörtern erwartet. Fehlanzeige! Abgesehen von ausländischen Namen und ein paar vereinzelten Wörtern ausländischer Herkunft bestehen vietnamesische Texte aus zutiefst fremdartigen, undurchdringlichen Anhäufungen von ein bis sechs Buchstaben, die einfach auswendig gelernt werden müssen. Ich kann nicht behaupten, dass diese Aussicht meine Motivation steigert.

Auch meine ersten Begegnungen mit dieser Sprache im wirklichen Leben tun dies nicht. Ich habe gerade einen TED-Vortrag über die individuellen und kollektiven Vorteile der Mehrsprachigkeit gehalten, in dem ich meine Liebäugelei mit Vietnamesisch erwähnt habe, als mich ein freundlicher junger Mann mit asiatischem Äußeren anspricht. Ich verstehe kein Wort von dem, was er sagt. Hilfsbereit wechselt er zu Deutsch über und erklärt mir, dass er mich gerade in der Sprache seiner Eltern begrüßt hat – sogar mit einer Floskel aus meiner allerersten Stunde, die es mir nicht gelang zu erkennen. Und als ich einige Zeit später unsere Hausfee Tuyết auf Vietnamesisch begrüße, reagiert sie eher irritiert als erfreut. Ich vermute, dass das Pronomen meiner Wahl sie jünger gemacht hat als ihre sechzig Jahre, was in der vietnamesischen Kultur kein Kompliment ist.

Anfang April, nach sechs Monaten, setze ich der Qual ein Ende.

Entfremdung und erneute Annäherung

Während des Sommers, in dem ich an diesem Buch arbeite, lässt Vietnamesisch mich vollkommen kalt. Diese Monate führen mich jedoch auch an verschiedene Orte am Rande Europas, an denen verhältnismäßig kleine Sprachen gesprochen werden (Bulgarisch, Norwegisch, Irisch), und ich spüre, wie mein Sprachenhunger wiederkehrt. Während das Schreiben des vietnamesischen Kapitels näherrückt, tut es mir doch fast wieder leid, dass ich so schnell das Handtuch geworfen habe. Und eines nasskalten Oktoberabends, während ich mich im Fitnessstudio abrackere, fasse ich einen Entschluss: Ich werde den Faden wieder aufgreifen, aber diesmal unter inspirierenderen Umständen. Ich werde mir einen Online-Lehrer suchen und eine Reise nach Vietnam planen. Noch in derselben Woche buche ich einen Flug und eine Wohnung für den kommenden März. Über italki.com finde ich Huyền, die sich selbst als «versehentlich polyglott» bezeichnet. Sie hat ihren Freund kennengelernt, als sie auf der Suche nach einem Spanischlehrer war, und da seine Muttersprache Katalanisch ist, hat sie sich auch das angeeignet. Wenn sie sich mit seinen Eltern unterhält, wirft sie gerne Elemente aus deren Inseldialekt ein, Menorquí. Sie scheint genau zu sein, wonach ich suche.

Der Plan geht auf. Unser 1:1-Unterricht macht Spaß, und da ich mich nicht lächerlich machen will, wiederhole ich fleißig die Grammatik und frische meine Vokabelkenntnisse auf. Die gute Nachricht ist, dass Huyền versteht, was ich sage. Selbst bringe ich kaum etwas zustande, aber wenn ich Sätze vorlese, sind sie verständlich. Die schlechte Nachricht ist, dass es für mich, wenn sie spricht, nahezu wie weißes Rauschen klingt. Zu einem winzigen Teil liegt das an ihrem ganz leichten regionalen Akzent, aber das wirkliche Problem bin ich – und auch die vietnamesische Sprache, darf ich wohl fairerweise hinzufügen. Ich, weil das Hörverstehen in jeder Sprache meine schwächste Fertigkeit ist. Und Vietnamesisch, weil die Hürden beim Lesen – all die nicht vorhandenen Endungen und Artikel und die Überdosis an Pronomen – beim Hören noch gemeiner sind. Außerdem klingen für mich einige Vokalgruppen (ơ und â, e und ê, a, o und ă) ziemlich ähnlich, und viele Konsonanten am Wortende sind kaum hörbar: Wortpaare wie BÁT und BÁC lassen sich am besten durch Lippenlesen voneinander unterscheiden, das allerdings bei BẠT/BẠN auch nicht hilft.

Wenn ich nicht am Lernen bin, lese ich etwas über die Sprache. Ich entdecke, weshalb so wenige vietnamesische Wörter Menschen aus dem Westen bekannt vorkommen. Trotz achtzig Jahren französischem Kolonialismus und vierzig Jahren Sowjet-Bündnis blieb Chinesisch[3] die Hauptquelle für Lehnwörter, bis weit ins 20. Jahrhundert hinein. Grund dafür war teils eine 2000 Jahre währende Tradition, teils eine Verwandtschaft in der Aussprache, die es einigermaßen erleichterte, Wörter aus dem Chinesischen zu übernehmen. Natürlich klingen für mich chinesische Wörter genauso fremd wie vietnamesische. Mit einer Ausnahme, wie Huyền erklärt: Das vietnamesische Wort HIỆN ĐẠI stammt vom selben chinesischen Wort ab wie der koreanische Markenname Hyundai. Die Hauptbedeutung lautet «modern».

Aber Moment mal, alle vietnamesischen Wörter sind doch kurz und einsilbig? Die Wahrheit ist: Es sieht nur so aus. Tausende Wörter bestehen in Wirklichkeit aus zwei oder mehr Silben. Es wird nur jede Silbe einzeln notiert – eine Hinterlassenschaft aus den Zeiten, als die Sprache in Schriftzeichen chinesischen Stils notiert wurde, ein Zeichen pro Silbe. Die gleiche Gruppe Buchstaben mit Leerzeichen drumherum kann also entweder ein Wort oder eine Silbe sein, je nach Kontext. Als würden wir statt Kontext «Kon Text» schreiben oder statt Mehrzahl «Mehr Zahl».

Russische Lehnwörter im Vietnamesischen sind überraschend selten: Ich habe nur Internationalismen wie «Kulak», «Sowjet», «Rubel» und «Zar» gefunden (CU-LẮC, XÔ VIẾT, RÚP, SA HOÀNG – wörtlich «Zar-Herrscher»). Mein Lieblingsbegriff ist «Marxismus-Leninismus»: CHỦ NGHĨA MÁC-LÊNIN. MacLenin! Die vietnamesische Flagge zeigt einen goldenen Stern vor dem typischen roten Hintergrund der meisten MacLenin’s-Staaten – aber wann immer ich sie jetzt sehe, drängen sich mir die goldenen Bögen von McJunkfood auf. Ich liebe es.

Seit sich Vietnam einer globalen Wirtschaft geöffnet hat, die vom Englischen dominiert wird, haben auch einige Wörter aus dieser Sprache ihren Eingang ins Vietnamesische gefunden, wie zum Beispiel INTERNET, PHOTOCOPY, DATA, BLOG und GOLF. Aber es ist ein Rinnsal, keine Schwemme. Für englische Wörter wie WEBSITE, CYBERSPACE und APP, die andernorts weit verbreitet sind, werden üblicherweise indigene Begriffe verwendet. Und sogar Lehnwörter werden mit einer neuen Rechtschreibung versehen, die die vietnamesische Aussprache berücksichtigt: IN-TƠ-NÉT, ĐA-TA, BỜ LÓC (Blog), GÔN (Golf).

Wenn diese Änderungen in der Notation schon manche Lehnwörter aus dem Englischen schwer erkennbar machen, gilt das umso mehr für die aus dem Französischen, die mehr Zeit hatten sich anzugleichen. Während der Kolonialzeit (im späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts) wurden dutzende, vielleicht sogar hunderte Wörter übernommen, meist kulturelle Neuheiten und technische Neuerungen. Können Sie hier etwas erkennen? SÔ-CÔ-LA, SÂM BANH, MÙ TẠC, CÔNG-TẮC, GIĂM BÔNG, XI MĂNG, KEM, KI-ỐT, LƠ.[4]

Dass das Vietnamesische nicht gerne vom Westen entlehnt und das Wenige, das es entlehnt, assimiliert, bedeutet für jemanden, der die Sprache neu lernen will, dass der Aufbau eines brauchbaren Wortschatzes so ziemlich bei Null beginnt und dass hart gearbeitet werden muss, um überhaupt eine Grundlage zu erhalten. Es ist uns nicht immer bewusst, welch eine Fülle an Vokabeln uns auf dem Silbertablett präsentiert wird, wenn wir Französisch, Spanisch oder Niederländisch lernen, von Organisation bis zu Karamell und von der Gardine bis zum Matrosen. Natürlich ist das Silbertablett nicht so mit Geschenken beladen, wenn wir uns an die sprachlichen Ränder Europas begeben, aber leer ist es auch dort nicht, dank der Jahrhunderte interkultureller Kreuzbestäubung: Der MANAGER und das französische Wort PAYSAGE ‹Landschaft› finden sich sowohl im Russischen als auch im Türkischen wieder. Sogar in Sprachen, die in entfernteren Regionen gesprochen werden, wie Suaheli, Tamil und Malaiisch, sind Wörter europäischen Ursprungs keineswegs selten. Und was Arabisch betrifft, das für mitteleuropäische Ohren so fremdländisch klingt, haben Jahrhunderte des Austauschs mehr Gemeinsamkeiten hervorgebracht, als wir geneigt sind zu glauben (siehe Kapitel 5). Im Vietnamesischen jedoch müssen wir mit MÙ TẠC UND SÂM BANH auskommen.

Vor allem die Grammatik stellt sich als vertrackter heraus, als es zunächst den Anschein hatte. Ein einfacher Satz wie «Leben Sie in diesem schönen Haus?» setzt im Vietnamesischen eine ganz andere Art der Einfachheit voraus, und es sind durchaus einige Schritte erforderlich, um von der einen Einfachheit zur anderen zu gelangen. Schritt 1: Wählen Sie eine Form für die Ansprache in der zweiten Person (du/Sie/ihr), die Geschlecht, Alter und Art der Beziehung angemessen berücksichtigt. Schritt 2: Setzen Sie dieses Wort ganz an den Anfang. Schritt 3: Fügen Sie, um aus dem Satz eine Frage zu machen, am Ende ein Fragewort hinzu. Schritt 4: Ändern Sie die Wortreihenfolge von «dieses schöne Haus» in «Haus schön dieses». Und schwupps: Chị sống ở nhà đẹp này không?

«Fast korrekt», sagt Huyền. «Es fehlt nur noch ein Wort.» Ach, natürlich. Schritt 5 also: Vor «Haus» muss ein kleines Etwas stehen, das das allgemeine Konzept «irgendein Haus» für dieses spezielle Exemplar anpasst, von dem gerade die Rede ist. Im Deutschen erfüllt diese Aufgabe das Demonstrativpronomen «dieses» ganz hervorragend, aber Vietnamesisch besteht normalerweise darauf, dass dem Substantiv ein sogenannter Klassifizierer vorangeht, in diesem Fall CÁI. Und so entdecke ich nach und nach, dass manche grammatischen Regeln eben doch komplex sind. Die Klassifizierer sind ein Paradebeispiel, weil die richtige Wahl dieser nervtötenden kleinen Wörter dutzenden Regeln unterliegt, die noch nervtötendere Ausnahmen haben. Glücklicherweise kann CÁI für die meisten konkreten Objekte verwendet werden, aber es gibt zahlreiche weitere Kategorien, von denen jede ihren eigenen Klassifizierer benötigt: einen für Fahrzeuge, einen anderen für Bücher, einen für Pflanzen. Es gibt auch einen für runde Gegenstände, wie zum Beispiel Eier und Bälle, und ja, ich sehe ein, dass darunter die meisten Obstsorten fallen – aber wieso auch Bananen? Und weshalb verhalten sich Flüsse, Messer, Augen und andere ausgewählte Dinge grammatisch so, als seien sie Tiere? Schließlich gibt es noch einige Selbstversorger-Substantive, die jeglichem Klassifizierer abschwören. Und ich finde einfach nicht heraus, was das gemeinsame Merkmal dieser Wortgruppe ist.

Manche grammatischen Überraschungen sind lustig (für manche Menschen jedenfalls). Zum Beispiel würde die vietnamesische Sprache in den Fragesätzen «Wie groß ist diese Spinne?» und «Wie gruselig ist diese Spinne?» verschiedene Wörter für «wie» verwenden. Größe ist messbar, daher entspricht die erste Frage auf Vietnamesisch der Formulierung «Die Spinne ist groß wie viel?». Grade der Gruseligkeit hingegen lassen sich nicht exakt feststellen, und deshalb lautet diese Frage eher «Die Spinne ist gruselig wie welcherart?». Das erinnert an den Unterschied, der im Deutschen zwischen viele/wenige und viel/wenig besteht. Die Vietnamesen sind sich dessen bewusst, dass eine Spinne, die nur wenige Millimeter groß ist, wenig gruselig ist, während viele Zentimeter hier zu mehr Gruseligkeit führen.

Auch nach mehrmonatigen Versuchen verstehe ich Huyền noch nicht, wenn sie Vietnamesisch spricht. Glücklicherweise wirken sich ihre Bemühungen zumindest auf mein Leseverständnis positiv aus. Die Bedeutung mancher Wörter erschließt sich mir inzwischen unmittelbar, ohne dass ich sie bewusst in meinem geistigen Lexikon nachschlagen muss. Das hat auch zur Folge, dass mir die Satzstrukturen klarer erscheinen. Was aber nicht heißen soll, dass ich sie verstehe. Wenn meine Augen über eine vietnamesische Textzeile wandern, geht in etwa Folgendes in meinem Hirn vor (jede Zahl steht für ein Wort, oder vielleicht für eine Silbe, wer weiß das schon?):

1. junger Mensch, männlich oder weiblich; 2. tut etwas; 3. in; 4. Ortsname; 5. bereits (muss also Vergangenheitsform sein); 6. weil; 7. er/sie; 8. will – oder wahrscheinlich: wollte; 9. được (Hilfe, da ist wieder dieses «được» mit den 99 Bedeutungen – hier vielleicht die Passivform?); 10. muss ein Verb sein, aber welches?; 11. kann alles Mögliche sein; 12. Haus (oder Familie, oder Spezialist); 13. keine Ahnung; 14. keine Ahnung, ich bin am Ende; 15. viel/viele.

Das sind wahre Fortschritte.

Armselig, werden Sie vielleicht sagen. Und doch bin ich irgendwie schon besser als der Google-Übersetzer. Mehr als einmal spuckt die Software nichts als Gebrabbel aus. Sie lässt sich von den Pronomina verwirren, von der Grammatik irreführen und von den vielen Mehrdeutigkeiten hereinlegen. «Ich nutze das nur, wenn ich mal lachen will», sagt Huyền. Andererseits kennt Google tausende Vokabeln, also das hat es mir voraus.

Irgendwann entdecke ich auch, wie ich vietnamesische diakritische Zeichen in meinen Laptop und mein Handy eingeben kann (mit zwei verschiedenen Systemen, leider, nämlich VNI und Telex), und innerhalb weniger Wochen jongliere ich mit ểs, đs und ựs herum wie ein Profi.

Ein paar Wochen vor meiner Abreise gehe ich für mein Visum auf die Botschaft. Ich nehme mir vor, kein Vietnamesisch zu sprechen, denn dann würde ich mich unweigerlich lächerlich machen. Während der Beamte meinen Antrag liest, versuche ich, die Hinweisschilder hinter ihm zu entziffern, aber ich komme auf keinen grünen Zweig. Der Beamte blickt auf und sagt: «Sprachstudium? In drei Wochen?»

Einige Tage später erfahre ich aus einem Buch zweier europäischer Expats über Hanoi: «Gehen Sie davon aus, dass Ihre Bemühungen, Vietnamesisch zu lernen, zunächst verkannt bleiben. Wenn Sie versuchen, es zu sprechen, rechnen Sie mit der Entgegnung ‹Sorry, no English›».

Kann es wirklich so schlimm sein? Ich werde es bald herausfinden.

Dort sein

Sobald ich meinen Jetlag überwunden habe, mag ich Hanoi. Natürlich ist es voll, chaotisch und schmutzig. Es ist riesig, geradezu grotesk laut und nicht übermäßig mit Parks und historischen Gebäuden bestückt. Seine Straßen quellen zumeist von Massen an Motorrollern und kleinen Motorrädern über. Das ununterbrochene Getöse von Motoren, Hupen, Baustellen und Telefonen vibriert in einer beinahe flüssigen Luftsuppe aus Staub, Abgasen und Wasserdampf. Ein Fußgänger zu sein bedeutet harte Arbeit, da die Gehsteige meist ebenfalls von Motorrädern eingenommen sind, die grundsätzlich im rechten Winkel parken, um so besser den Weg zu blockieren. Die wenigen Lücken sind mit Kleidergestellen und anderen Warenangeboten, Imbissbüdchen, mobilen Reparaturstübchen und den Kindermöbelgarnituren gefüllt, die hier als Caféterrassen durchgehen.

Dass ich Hanoi dennoch mag, liegt an seinen Menschen. Erstens starren sie einen nicht an, nicht einmal, wenn sie sehen, dass die TÂY- (westlichen) Maße des Besuchers mit 1,87 Metern bis in die dünneren oberen Luftschichten reichen. In Hanoi kümmern sich die Leute um ihre eigenen Angelegenheiten, solange Sie selbst das auch tun. Wenn Sie auf sie zugehen, reagieren sie fast immer höflich, oft auch freundlich. (Selbst die auf meiner Sympathieskala am weitesten unten rangierenden Menschen in Hanoi, die Motorradtaxifahrer, versuchen, freundlich zu bleiben, während sie ihren abzockerischen Geschäften nachgehen.) Wenn es Kommunikationsschwierigkeiten gibt, sind sie geduldig und einfallsreich. Wann immer ich mich kulturell unsensibel oder ungeschickt ausdrücke oder verhalte, bleiben sie taktvoll. Kurz gesagt, die Menschen in Hanoi scheinen in der Öffentlichkeit im C-Schlüssel zu leben, C wie Contenance, häufig modulierend zu F wie freundlich. Wie alle anderen Menschen empfinden zwar auch sie manchmal Aufregung (A-Dur), Blues (b-Moll) oder Druck (D), aber anstatt öffentlich in diese Modi zu gehen, würden sie höchstens von C-Dur zu c-Moll oder von F-Dur zu f-Moll wechseln. Das alles ist sehr erquickend und erfrischend.

Zurück zur Sprache. Was machen meine Fortschritte?

Ich führe Minigespräche mit meiner Airbnb-Vermieterin, Huệ, aber mehr auf der Grundlage beidseitigen guten Willens, als dass wir einander wirklich verstehen würden. Einmal danke ich der Haushälterin dafür, dass sie meine Wäsche aufgehängt hat, zumindest glaube ich das. Tatsächlich aber klingt es aufgrund eines grammatischen Fehlers, als ob ich ihr nicht danken, sondern sie darum bitten würde, mir mit meiner Wäsche behilflich zu sein, wie ich hinterher von meinem Gastgeber Phong erfahre, der Englisch spricht.

«Weil wir Sie verstehen», sagt dieser Slogan der TPBank – und ausnahmsweise einmal verstehe ich sie.

Aber ich lerne, wenn auch langsam. An den meisten Wochentagen arbeiten Loan und ich zwei oder mehr Stunden zusammen. In Restaurants bestelle ich auf Vietnamesisch – doch wenn ich eine Frage stelle, egal in welcher Sprache, werden Englisch sprechende Kollegen herbeigerufen, um die Situation zu retten. Ich habe rudimentäre Unterhaltungen mit Taxifahrern, aber die meiste Zeit schweigen wir. Den ganzen Tag, zu Hause, auf der Straße und in den Geschäften, sehe ich vietnamesische Wörter, und manche davon verankern sich in meinem Gedächtnis: THẺ ‹(Telefon-)Karte›, SIÊU THỊ ‹Supermarkt›, XOÀI ‹Mango›, RỬA XE ‹Autowaschanlage›, HẠT SEN ‹Lotussamen›. Mir fällt auf, wie selten im öffentlichen Raum englische Wörter auftauchen, und Französisch, immerhin ehemalige Kolonialsprache, ist sogar praktisch abwesend. (Mehr zum Schicksal von Kolonialsprachen in Kapitel 9.)

Allmählich entdecke ich mehr Feinheiten des Respekts und der Höflichkeit. Wenn Loan «ja» zu mir sagt, verwendet sie das Wort VÂNG; für mich jedoch ist das korrekte Wort, wenn ich mit ihr spreche, Ờ oder Ừ. Am Ende eines Satzes fügt sie normalerweise ein Ạ hinzu, dessen einzige Funktion es ist, Respekt auszudrücken, wo er angebracht ist – es wäre jedoch albern, wenn ich, der ich älter bin als sie, es zu ihr sagen würde. Die häufigste Art, eine Frage zu formulieren, ist, dem Satz ein KHÔNG hinzuzufügen. Ich könnte stattdessen das zwanglosere HẢ verwenden, wenn ich Loan etwas frage, aber wenn sie dies mir gegenüber täte, würde sie sich damit eine ganz schöne Freiheit herausnehmen. Dies zu lernen ist Teil der vietnamesischen Erziehung, und wenn Kinder achtlos oder widerspenstig genug sind, diese Regeln zu brechen, tadeln ihre Eltern sie, dass sie TRỐNG KHÔNG reden, in etwa «leer und platt».

Für mich als westeuropäischen Anhänger der Gleichberechtigung mutet so eine sprachliche Etikette unangenehm und altmodisch an, und ich frage mich, ob sie in einer Gesellschaft, die sich derart schnell modernisiert, überhaupt eine Überlebenschance hat. Junge Vietnamesen müssten sie doch verabscheuen? Eine junge Frau erzählt mir, dass, VÂNG, sie viel lieber hätte, dass ihre Sprache wie Englisch wäre und nur ein einziges Wort für die zweite Person hätte wie YOU, nur eins für «ich» und so weiter, ohne die ganzen Unterscheidungen möglicher Adressaten wie «jüngeres Geschwisterkind», «Onkel» und «Großmutter». Aber andere junge Leute, mit denen ich darüber spreche, schätzen diese Gepflogenheit. Eine von ihnen ist Huyền, die ich während meines Aufenthalts treffe. «Wenn ich dich ‹Onkel›, meine Freundin ‹Schwester› und meinen Vater ‹Vater› nenne, fühle ich mich als Teil eines größeren Ganzen», sagt sie. «Ich habe meinen eigenen Platz. Und es ist nicht so, dass mein Vater oder du mich dadurch herumkommandieren könnten. Unabhängig von irgendwelchen Pronomen bin ich eine eigenständige Person mit einem eigenen Leben» (und einer eigenen Firma). Wenn schon ein kultivierter, weitgereister junger Mensch mit einem europäischen Partner diese Einstellung hat, werden Leute mit einem traditionelleren Lebensstil jenen Usus wohl erst recht uneingeschränkt unterstützen. Und während ich aus einer ganz anderen Tradition komme als sie, beginne ich mich zumindest an einen Aspekt zu gewöhnen. Von jungen Leuten «Onkel» genannt zu werden und sie mit «Nichte» oder «Neffe» anzureden fühlt sich zunächst eigenartig an, aber langsam fange ich an es zu schätzen. Es ist weder unnötig distanziert noch unangenehm nahe.

Der große Respekt der Vietnamesen gegenüber dem Alter offenbart sich nicht nur in der Grammatik. Eines Abends sitze ich mit Loan und einem ihrer Freunde in einer Kaffeestube, wo wir auf Mike warten, der die Sprachschule leitet, bei der sie angestellt ist. Als er eintrifft, begrüßen wir uns mit Handschlag, und während er sich niederlässt und ein Getränk bestellt, wende ich mich wieder Loan zu, um unser Gespräch, das wir eben geführt hatten, abzurunden. Ihre mit einer offensichtlichen leichten Unbehaglichkeit vorgebrachten Worte und Gesten vermitteln mir jedoch sogleich den Eindruck, dass ich nun meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit Mike schenken sollte, da er eindeutig älter als sie ist – und ihr Chef. Mir ist ganz klar, dass ich mich soeben wie ein TÂY verhalten habe.

Und so, lernend und lesend, herumspazierend und dabei in so manches Fettnäpfchen tretend, merke ich, wie mein Wortschatz wächst. Sogar die Töne verbinden sich untrennbar mit den Wörtern, die ich bereits kenne. Oder vielleicht sollte ich sagen: die Tonzeichen, denn wenn ich rede, ist es gleichsam, als läse ich laut vor, was vor meinem inneren Auge erscheint. Mir fällt sogar auf, dass meine Hand, während ich rede, gestikuliert wie eine Mischung aus einem Karaoke-Prompter und einem Dirigenten, um die richtigen Töne anzuzeigen.

Wörter chinesischen Ursprungs bilden einen wachsenden Anteil der neuen Wörter, die ich zu lernen versuche, viele von ihnen sind Komposita, Zusammensetzungen, und bestehen aus zwei Silben. Die meisten dieser Silben haben im Chinesischen eine eigene Bedeutung, im Vietnamesischen hingegen weniger häufig. Selbst wenn ihre Bedeutung herausgefunden werden kann, sind diese entlehnten Silben oft vertrackt. CHỦ zum Beispiel ist von einem chinesischen Wort für «Eigentümer», «Besitzer», «Meister», «Herr» oder «Direktor» abgeleitet. Im Vietnamesischen gibt es eine beträchtliche Anzahl chinesischer Lehnwörter, die dieses Wort enthalten, und in manchen von ihnen ist diese Bedeutung erkennbar, in anderen weniger. CHỦ NHÂN zum Beispiel, wörtlich «Besitzer-Person», bedeutet einfach «Besitzer». DÂN CHỦ ‹Volk (seiend) Herr› ist die «Demokratie». Viel weniger einleuchtend ist CHỦ TỊCH ‹Präsident, Vorsitz(ender)›, denn den zweiten Teil, TỊCH, abgeleitet von einem chinesischen Wort für «Sitz» oder «Bankett», gibt es im Vietnamesischen nicht als eigenständiges Wort. Ebenso mysteriös ist CHỦ NGHĨA: Die zweite Hälfte steht für «Sinn» oder «Moral», die Kombination ergibt jedoch «Lehre» – sie war der «-ismus» im «Marxismus-Leninismus», dem wir oben begegnet sind.

Die Vietnamesen bilden außerdem ihre eigenen Komposita mit CHỦ. Ein altes ist CHỦ NHẬT ‹Sonntag›, wörtlich «Herr-Tag» – der Tag des Herrn. Diese Wortkombination folgt dem grammatischen Muster des Chinesischen, das in dieser Hinsicht normalerweise funktioniert wie das Deutsche: «Tag» steht hinten, und das Substantiv oder Adjektiv, das ergänzende Informationen über den Tag gibt (Sonn-, Herr-), steht vorn. Neuere Wortzusammensetzungen werden jedoch entsprechend der vietnamesischen Grammatik geprägt, wo es umgekehrt ist: Zuerst kommt das Hauptwort, dahinter die Zusatzinformation. Beispiele dafür sind CHỦ XE ‹Autobesitzer› (wörtlich «Besitzer-Fahrzeug») und CHỦ NỢ ‹Schuldner› («Eigentümer-Schuld»). Aus Zusammensetzungen zusammengesetzte Zusammensetzungen können beide Arten enthalten: siehe TRƯỜNG CHỦ NHẬT ‹Sonntagsschule›, wörtlich «Schule-Herr-Tag».

Dies alles fasziniert den Linguisten in mir, aber es schüchtert den Schüler ein. Was soll ich denn jetzt denken, wenn da CH? steht? Ich muss mit der Möglichkeit rechnen, dass es hier als einsilbiges Wort auftritt. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es Teil eines Kompositums ist, entweder mit dem vorangegangenen Wort (wie im Ausdruck für «Demokratie») oder mit dem folgenden Wort (wie in «Sonntag», «Autobesitzer» und vielen anderen Beispielen) – oder mit beiden. In Wortzusammensetzungen kann die Bedeutung des Ganzen entweder völlig klar sein («Besitzer-Auto», also «Autobesitzer»), leicht zu erfassen («Besitzer-Schuld», also «Schuldner»; «Volk-Herr», also «Demokratie») oder aber nahezu unergründbar («Herr-Sitz» für «Präsident»).

Eigenartigerweise gibt es zu diesem ganzen komplexen und entmutigenden Geschehen Parallelen im Deutschen und in anderen westeuropäischen Sprachen. Nehmen wir zum Beispiel die Angewohnheit, eine angesehene Fremdsprache zu plündern. Genau wie Vietnamesisch endlos aus dem Chinesischen gezapft hat, hat sich das Deutsche beim Griechischen und Lateinischen bedient. Wörter wie Konstruktion, Destruktor und Struktur sind alle aus dem Lateinischen zu uns gekommen. Es ist nicht jedem bekannt oder wichtig (und muss es auch nicht sein), dass sie vom lateinischen Verb STRUERE hergeleitet sind, das «bauen» bedeutet. Und genauso wie Vietnamesisch CHỦ übernommen und damit nach Belieben neue Wörter gebildet hat, so wurden auch deutsche Wörter wie Infrastruktur und dekonstruieren erst in neuerer Zeit geprägt, auch wenn sie genauso lateinisch daherkommen wie alles andere, in dem «strukt» steckt. Gleiches gilt für das Griechische: Philosophie und Demokratie sind klassische Begriffe, Anthroposophie und Kleptokratie indes nicht, wenngleich sie aus griechischen Elementen bestehen.

Poster sind für Sprachschüler ein guter Nährboden. Dieses ruft uns zu Folgendem auf: «Feiert die Reformation, feiert die glorreiche Partei, feiert den Frühling des Jahrs des Hundes.»

Auch ungeordnete Komposita sind im Deutschen nicht unbekannt, obwohl Wörter wie Springinsfeld, Wendehals, Haudegen und Störenfried eher Außenseiter sind – die Formen Ins-Feld-Springer, Halswender, Degenhauer und Friedensstörer würden der Wortreihenfolge, mit der solche Wörter üblicherweise gebildet werden, eher entsprechen. Das Englische treibt es noch bunter: Es gibt RUN OUT (zu Ende gehen), aber auch OUTRUN (davonlaufen), LAYOUT (Aufmachung), aber auch OUTLAY (Ausgabe). Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie müssten das alles lernen, wenn Ihre Muttersprache Vietnamesisch wäre. (Huyền ist es tatsächlich gelungen, Englisch zu lernen. Sie ist eine Nichte-Wunder.)

Ich muss mich damit abfinden: Sogar als meine drei Wochen fast herum sind, kann ich immer noch sehr wenig sagen und noch weniger verstehen. Das hat zwei Gründe. Zum einen habe ich nicht genug gesprochen. Ich bin nicht vorrangig am Verstehen des Gesprochenen interessiert, sondern am Verstehen der Sprache und ihrer Struktur. Selbstverständlich möchte ich kommunizieren können, aber ich bin hier von so viel Englisch umgeben, dass dieser Bedarf gedeckt ist. In der Zeit, die ich als Student in Spanien verbrachte, war ich zumeist von Spaniern umgeben, deren Englisch schlechter war als mein Spanisch, und ich bin ihnen noch immer dankbar dafür. Aber Loan und ihre Freunde, Huyền und ihr Freund, mein großartiger Vermieter Phong: Ihnen bin ich aus anderen Gründen sehr dankbar, doch sie sprechen so gut Englisch, dass es unsere Umgangssprache geblieben ist. Viele Taxifahrer, Ladenbesitzer und Kellner tun dies nicht, aber wie viel Zeit verbringt man schon mit ihnen?

Zum anderen ist Vietnamesisch einfach wirklich schwer. Lassen Sie mich einen letzten Beweis dafür anführen. Vietnamesisch drückt vieles auf grundlegende Weise anders aus als europäische Sprachen. Informationen werden nach anderen Schemata und mit Hilfe anderer Wortarten dargereicht. Im Hauptbahnhof von Hanoi zum Beispiel steht über einer Hinweistafel mit den Fahrplänen und einigen Vorschriften nicht «Information», sondern «Liebe Reisende sollten wissen». Wenn Sie sagen wollen: «Ich wurde ins Theater mitgenommen», kann das korrekte Wort für «wurde» entweder «bekam» oder aber «ertrug» sein, je nachdem, ob Sie sich erfreut oder widerwillig haben mitnehmen lassen. Statt «Was ist der Unterschied?» sagen Sie «Wo unterschiedlich?». Und für «Ding» müssen Sie aus einer ganzen Reihe von Möglichkeiten wählen wie zum Beispiel «Geschichte», «Objekt» oder einem Klassifizierer – dem richtigen selbstverständlich. Natürlich ist nichts verkehrt an all diesen Aspekten des Vietnamesischen, sie alle sind genauso logisch oder unlogisch wie unsere eigenen Sätze und Schemata. Aber als Sprecher europäischer Sprachen müssen wir sie alle auswendig lernen, Stück für Stück.

Je klarer mir wird, wie umfassend diese Unterschiede sind, desto mehr stimme ich dem polyglotten Chinesen zu, der einmal bemerkte, dass «europäische Sprachen fast wie Dialekte voneinander sind». Aus einigem Abstand betrachtet stimmt das.

Heimkehren

In den letzten Tagen vor meiner Rückreise lasse ich meine Disziplin etwas fahren und erlaube mir den Luxus, mich mit der Frage zu tragen, ob ich aufgeben oder weitermachen soll. Vietnamesisch ist ein harter Brocken und, seien wir ehrlich, in praktischer Hinsicht nicht ungeheuer nützlich. Ich würde das Land gerne wieder besuchen, aber als Tourist komme ich auch ohne die Sprache zurecht. Und außerhalb von Vietnam ist sie nicht viel mehr als ein Partytrick. Und die Literatur? Es sind mehr vietnamesische Romane ins Englische übersetzt worden, als ich jemals werde lesen können.

«Fallen dir noch Gründe ein, aus denen ich weiterlernen sollte?», frage ich Huyền. «Vietnam bietet gute wirtschaftliche Möglichkeiten», sagt sie nach einiger Überlegung. «Und wenn du einmal Vietnamesisch kannst, ist es viel einfacher, Chinesisch zu lernen.» Ich bin mir nicht sicher, ob das ein tröstlicher Gedanke ist.

Fußnoten

1 Ich danke dem Verlag ASSiMiL dafür, dass er mir seinen Vietnamesischkurs zur Verfügung gestellt hat. Im Quellen- und Literaturverzeichnis am Ende dieses Buchs nenne ich die Hilfsmittel, die ich zum Lernen genutzt habe.

2 Man beachte, dass die slawischen Sprachen in mehrerlei Hinsicht das genaue Gegenteil des Vietnamesischen sind. Jahrzehntelang war die Sowjetunion Vietnams wichtigster Verbündeter, weshalb zwei bedauernswerte Generationen sich Russisch aneignen mussten, was ja eine slawische Sprache ist.

3 Ich verwende die Bezeichnung «Chinesisch», da Mandarin nicht die wichtigste Quelle war, aus der das Vietnamesische Wörter entlehnt hat. Südliche chinesische Sprachen haben hier eine wichtigere Rolle gespielt.

4 Die französischen Herkunftswörter dieser vietnamesischen Lehnwörter sind: CHOCOLAT, CHAMPAGNE, MOUTARDE (Senf), CONTACT, JAMBON (Schinken), CIMENT (Zement), CRÈME, KIOSQUE und BLEU.

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Koreanisch

한국어HAN’GUGŎ(Südkorea)조선말CHOSŎNMAL(Nordkorea)

85 Millionen Sprecher

Koreanisch hat über 80 Millionen Muttersprachler, und es gibt einige Millionen Zweitsprachler. Bedeutende koreanische Gemeinschaften finden sich in China, Japan, Russland, Usbekistan, Kasachstan und den Vereinigten Staaten.

Koreanisch