In den Armen des Kriegers - Hannah Howell - E-Book

In den Armen des Kriegers E-Book

Hannah Howell

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Beschreibung

Sie lieben Highlander-Romane? Dann lesen Sie Hannah Howell!

Seit dem Tod ihrer Eltern lebt die zarte Tess bei ihrem habgierigen Onkel. Eines Tages befreit sie aus dessen Kerker den stattlichen und tapferen Highlander Sir Revan, der einem Komplott gegen den König auf der Spur ist. Revan nimmt seine hübsche Retterin mit, und auf der Reise zum König wird aus der Geisel nicht nur eine Gefährtin, sondern auch eine leidenschaftliche Geliebte.

Eine romantische Liebesgeschichte um einen stolzen Ritter und eine schöne junge Erbin.

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Seitenzahl: 483

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Inhaltsverzeichnis
 
Zum Buch
Zum Autor
Lieferbare Titel
 
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
 
Copyright
Zum Buch
 
Seit dem Tod ihrer Eltern lebt die zarte Tessa Delgado bei ihrem Onkel. Sie ahnt nicht, dass ihr dieser um ihrer beträchtlichen Erbschaft willen schon lange nach dem Leben trachtet. Und nicht nur ihr: In seinem Kerker harrt Sir Revan Halyard, ein Spion des Königs, seines Schicksals. Revan ist einem Komplott gegen den Thron auf der Spur, an dem Tessas Onkel maßgeblich beteiligt ist.
Als Tessa den tapferen Kämpfer aus dem Gefängnis befreit, ändert sich ihr Leben in völlig unerwarteter Weise: Denn Revan entführt sie und macht sie zu seiner Begleiterin bei der Erfüllung seines Auftrags: Er muss den König warnen und schneller sein als Tessas Onkel und dessen Spießgesellen. Auf der einsamen und gefährlichen Reise bleibt es nicht aus, dass sich Revan und seine Geisel näherkommen. Und bald schon sehen sich beide im Bann einer Leidenschaft, die sie kaum mehr kontrollieren können.
Zum Autor
 
1988 veröffentliche Hannah Howell ihren ersten historischen Liebesroman. Seitdem hat sie sich einen Namen und eine große, treue Fangemeinde erschrieben. Sie lebt mit ihrem Mann, ihren Kindern und fünf Katzen in Massachusetts.
Lieferbare Titel
»Verlies der Leidenschaft« (978-3-453-49083-3) »Stürmische Leidenschaft« (978-3-453-77206-9)
Erstes Kapitel
Schottland, 1455
 
»Gekommen, um Euch zu belustigen?«
»Wie bitte?« Tessa schrak zusammen. Es dauerte einen Moment, bis sich ihr rasendes Herz beruhigte. Die tiefe, volle Stimme des Mannes hatte sie fast zu Tode erschreckt. Als sie vor ein paar Stunden durch das Verlies ihres Onkels gekommen war, waren die Zellen noch leer gewesen. Sie hielt die Kerze etwas weiter von sich entfernt, um mehr Licht in die schattigen Nischen des Verlieses scheinen zu lassen, und tastete sich langsam an die Zelle heran, aus der die Stimme gekommen war.
Sie sperrte den Mund auf. Vor ihr hing der schönste Mann, den sie je gesehen hatte, angekettet an der Wand. Das konnten nicht einmal die Schürfwunden, das verkrustete Blut und der Dreck verbergen. Dann stutzte sie. Der blonde Hüne, der sie da herausfordernd anfunkelte, kam ihr irgendwie bekannt vor.
»Wann seid Ihr hierhergekommen?«, fragte sie.
Revan nahm sie in Augenschein. Das fein geschnittene kleine Gesicht, das sich da an die Gitterstäbe presste, war ein anderes als erwartet. Ebenso die großen dunklen Augen, die ihm überrascht entgegenblickten. Er fragte sich, welche Teufelei Fergus Thurkettle jetzt schon wieder ausgeheckt hatte. Doch fürs Erste würde er mitspielen. »Ich bin vor ungefähr zwei Stunden hier vorbeispaziert.«
»Und da habt Ihr Euch gedacht, Ihr könntet ein kleines Nickerchen zwischen den Eisenketten einlegen?«
»Sie sind sauberer als die Pritsche da drüben.«
Tessa warf einen Blick auf die von Ratten zerfressene Pritsche und musste ihm insgeheim zustimmen. Was führte ihr Onkel nun schon wieder im Schilde? Fergus Thurkettle sah sich als Gebieter über das gesamte Umland. Was Tessa betraf, war sein Machtgehabe reichlich übertrieben. Mittlerweile konnte man es nicht mehr als Spleen bezeichnen, es war zu einer beängstigenden Besessenheit geworden.
»Das würdet Ihr nicht sagen, wenn Ihr wüsstet, was letzte Woche noch dort gehangen hat«, bemerkte sie leichthin.
»Ach ja? Was denn?«
»Ach, so ein hageres Männlein, das anscheinend noch nie von Wasser und Seife gehört hatte.«
»Und was ist aus ihm geworden?«
»Ja, das ist merkwürdig. Ich weiß es nicht.« Tessa hegte ein paar dunkle Vermutungen bezüglich seines Verbleibs, doch die behielt sie lieber für sich. »Ich traf ihn hier, als er sich die Augen aus dem Kopf heulte. Soweit mir bekannt war, hatte er nichts verbrochen. Also wollte ich ihn freilassen, aber dazu musste ich mir erst die Schlüssel besorgen. Und als ich zurückkam, war er fort.«
»So schnell?«
»N-na ja, ganz so schnell ging es nicht. Es dauerte zwei Tage. Ich konnte die Schlüssel nicht einfach nehmen, das wäre aufgefallen. Also habe ich mit Iain, dem Schmied, geredet. Es war nicht einfach, ihn zu überzeugen, aber letztlich konnte ich ihn überreden, mir Ersatzschlüssel anzufertigen. Bis ich die Schlüssel hatte, war das hagere Männlein verschwunden.«
»Was meint Ihr, was aus ihm geworden ist?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, warum er hier war oder warum er plötzlich verschwand. Und aus welchem Grund seid Ihr hier?«
»Ach, es scheint, ich habe mich über meinen Stand erhoben.«
Aus seiner wohlklingenden Stimme klang Verbitterung, doch Tessa verstand ihn nicht ganz. Ihr Onkel mochte ein jähzorniger Mann sein, doch für eine derartige Nichtigkeit hatte er noch niemanden eingelocht. Dann kam Tessa ein Gedanke, der ihr gar nicht gefiel.
»Ach, dann seid Ihr um Brenda herumschlawenzelt?«
»Herumschlawenzelt? Ich habe ihr den Hof gemacht.« Mehr oder minder, dachte er bei sich, doch das würde er vor diesem Gör nicht zugeben. Ein bisschen Spionage, verbunden mit einem Techtelmechtel mit der verführerischen Brenda Thurkettle.
»Und aus diesem Grund hängt Ihr jetzt hier?« Von Zeit zu Zeit hatte Tessa ähnliche Bestrafungen für Männer in Erwägung gezogen, die sich um Brenda Thurkettle bemühten.
»Ja.« Es war eine Halbwahrheit, doch sein schlechtes Gewissen hielt sich in Grenzen. Dann fragte er sich, warum es sich überhaupt meldete. Ein Verrückter hatte ihn an die Wand gekettet, und jetzt musste er sich von einem neugierigen Mädchen beäugen lassen. Es bestand kaum Zweifel daran, dass Thurkettle ihn ermorden wollte. Er sollte überhaupt keine Schuldgefühle empfinden, wenn er Lügen erzählte, um sich aus dieser Notlage zu befreien. Dennoch regte sich sein Gewissen beim Blick in diese dunklen Augen. Er musste sich zusammenreißen.
»Nun, das ist ein alberner Grund dafür, einen Mann wie einen ausgeweideten Hirschen aufzuhängen«, erwiderte Tessa. Offensichtlich hatte ihr Onkel das bisschen Verstand eingebüßt, das ihm noch geblieben war. »Kein Mann sollte für schlechten Geschmack und fehlendes Urteilsvermögen in Ketten gelegt werden, auch wenn er einer Frau wie Brenda nachstellt«, murmelte sie und kramte in ihren Taschen nach den Schlüsseln.
Fast hätte Revan gelacht. Die blauäugige Brenda Thurkettle hatte rotes wallendes Haar und Kurven, die jeden Mann betörten, der noch Blut in den Adern hatte. Niemand würde das Urteilsvermögen eines Mannes infrage stellen, der einer Frau wie ihr nachstellte. Außer, dachte er und musste grinsen, eine andere Frau. Oder, kam es ihm gleich darauf in den Sinn, jemand, der den Charakter hinter der hübschen Fassade kannte. Langsam fragte sich Revan, mit wem er da gerade sprach.
»Habt Ihr vor, mich zu befreien?«
»Nun … war das auch sicher Euer einziges Vergehen? Der hochwohlgeborenen Brenda den Hof zu machen?«
»Das war alles und nicht mehr. Erwartet Ihr etwa ein schreckliches Verbrechen wie Raub oder Mord?«
Sie zuckte die Schultern und zog die Schlüssel aus der Tasche von ihrem Wams. »Hier kann es manchmal ziemlich eintönig sein.«
Sein Blick war auf die Schlüssel gebannt. »Ihr lebt hier?«
Es überraschte sie nicht allzu sehr, dass er sie nicht kannte, aber sie war es langsam leid, ständig übersehen zu werden. »Ja, ich bin Tessa, die Nichte. Ich lebe seit fast fünf Jahren hier.« Sie betrachtete ihn nachdenklich. »Jetzt erinnere ich mich an Euch. Ich habe Euch mit unserer liebreizenden Brenda herumspazieren sehen, Ihr seid mit ihr ausgeritten. Ganz entzückende Pferde. Und war das ein neuer Gehrock?«
»Ja, das war es. Also was ist?« Er rüttelte sachte an den Fuß- und Handketten.
»Nur die Ruhe, ich denke nach.« Sie rieb sich das Kinn. »Ihr seid der Diener von dem fetten Gutsherrn Angus McLairn. Nun, das würde Onkel ganz und gar nicht gefallen. Würde Euch McLairns Burg hingegen gehören -«
»Wollt Ihr mich nun freilassen oder nicht?«
»Nun regt Euch nicht auf.« Sie stellte ihre Kerze auf den Boden und schloss die Tür der Zelle auf. »Bitte.« Sie stellte die Kerze auf dem wackeligen Tisch neben der Pritsche ab. »Ihr wurdet nicht in flagranti mit ihrer Hoheit Brenda erwischt, oder?« Tessa war sich nicht sicher, ob sie einen Mann befreien sollte, den eine erzwungene Heirat erwartete, selbst wenn Brenda ihre Gunst fast jedem Mann im Umkreis von Meilen schenkte.
»Bei was?«
»Ihr wisst, was ich meine - Tändelei, Schäkerei, Geplänkel im Heu. In solche Affären möchte ich mich nicht einmischen.«
»Es war nichts dergleichen, ich schwöre es. Wie kommt Ihr eigentlich auf solche Gedanken?« Langsam beschlich ihn die Ahnung, dass er Brenda falsch eingeschätzt und eine günstige Gelegenheit verpasst haben könnte.
»Dieses verflixte Biest muss doch irgendwann erwischt werden. Man kann es nicht so oft tun wie sie und immer wieder davonkommen. Soll ich zuerst Hände oder Füße befreien?«
»Füße«, brummte er. Als sie sich über seine Füße beugte, um die Ketten zu lösen, zog er die Stirn in Falten. »Ihr tragt Burschenkleidung.«
»Was habt Ihr nur für scharfe Augen, Sir Halyard«, murmelte sie. Sie befreite seine Beine, dann richtete sie sich auf, um die Ketten an den Händen zu lösen. »Zur Hölle, falscher Schlüssel.« Sie trat zurück ins Licht, um ihren Bund zu inspizieren.
»Moment mal. Wie zum Teufel seid Ihr eigentlich hier hereingekommen? Gerade fällt mir auf, dass ich Euch nicht die Treppen herunterkommen hörte. Ihr wart plötzlich da.«
»Es gibt einen Geheimgang nach draußen. Mein Onkel ließ ihn anlegen, damit die Familie zur Not ungesehen entkommen kann. Ah! Da ist er ja.« Sie hatte den richtigen Schlüssel gefunden und schloss seine Handfesseln auf.
Als er frei war, setzte sich Revan langsam hin und rieb sich die Handgelenke, um das Blut wieder zum Laufen zu bringen. Während er das tat, fasste er seine Retterin unauffällig ins Auge. Sie war ein zartes, kleines Ding, und das schlackernde Wams und die Hose betonte noch ihre Schlankheit. Auf den ersten Blick hätte er sie sehr jung geschätzt, doch ihre raue Stimme verriet ihm, dass dieser Eindruck täuschte.
»Mein Schwert, Hut und Mantel haben sie drüben an die Wand gehängt.«
Tessa holte sie und fragte: »Tragt Ihr immer ein Schwert bei Euch, wenn Ihr einer Dame den Hof macht?«
»Ich wollte mit Brenda ausreiten. Ich dachte, ich würde es vielleicht brauchen.« Seine Stiefel standen neben der feuchten Steinmauer, er griff danach und zog sie an.
Sie hielt ihm seine Sachen hin und sah zu, wie er sich langsam aufrichtete. Er war groß, hochgewachsen, breitschultrig und schlank. Ein schöner Mann. Innerlich seufzte sie. Er wäre der Traum jeder Frau, aber ganz bestimmt war er den Brendas dieser Welt vorbehalten. Als sie zusah, wie er sein Schwert anlegte und den Ledergürtel um die schmale Hüfte schnallte, fragte sie sich, warum Brenda ihn nicht vor ihrem Vater verteidigt hatte. Dieser Mann musste das schönste Exemplar in ihrer Verehrerschar sein. Mit Abstand.
Gerade wollte sie fragen, womit er ihren Onkel so erzürnt hatte, da erstarrte sie vor Schreck. Jemand kam. Sie hörte, wie sich die Tür quietschend öffnete und sah ein Licht die Treppe zum Verlies herunterkommen. Jemand wollte zu dem Gefangenen, den sie gerade freigelassen hatte. Sie wollte sich gerade zu Revan umdrehen und ihn warnen, als dieser sie von hinten packte. Sein muskulöser Arm umfasste sie, und der kalte Stahl seines Dolchs presste sich an ihren Hals. Hilflos musste sie sich aus der Zelle schleifen lassen.
»Wo ist der Geheimgang?«, zischte er ihr ins Ohr, während sie sich von den herannahenden Männern entfernten.
»Weiter rückwärts«, zischte sie zurück. »Bald kommt die Wand. Was wie ein großes Holzregal aussieht, ist in Wirklichkeit eine Tür.«
»Wie geht sie auf?«
»Links hängt eine Schlaufe. Daran kann man sie aufziehen.« Vor seiner kalten Klinge fürchtete sie sich kaum mehr als vor ihrem Onkel und seinen Vertrauten Thomas und Donald. Sie kamen um die Kurve am Fuß der Treppe und erblickten sie.
»Himmel, Hölle, was geht hier vor?«, blaffte Fergus Thurkettle, zog sein Schwert und richtete die Spitze auf Revan.
»Keinen falschen Schritt, Thurkettle«, warnte Revan in eisigem Tonfall, »oder ich schlitze Eurer Nichte die Kehle auf.«
»Ihr habt eine seltsame Art, Euch erkenntlich zu zeigen«, schimpfte Tessa. Sie fragte sich, wie sie diesen Mann, der sie jetzt auf den geheimen Durchschlupf ihres Onkels zuzog, nur so falsch hatte einschätzen können.
»Verflucht seist du, Tessa, wie konnte sich dieser Mann befreien?«
»Tja, Onkel, wie konnte das wohl geschehen?«, brachte sie hervor.
»Du dummes Stück, du hast ihn freigelassen. Weißt du denn nicht, dass er ein Mörder ist? Er hat Leith MacNeill ermordet.«
»Wen?«
Revan fluchte. Thurkettle hatte also nicht nur seinen Tod geplant, sondern wollte ihm auch noch einen hinterhältigen Mord in die Schuhe schieben. »Der ausgemergelte Kerl, der keine Seife mochte«, flüsterte er Tessa ins Ohr. »Dafür müsst Ihr Euch einen anderen Dummen suchen, Thurkettle«, verkündete Revan, als er bei der Tür war. »Dieser Dumme hier verschwindet.« Sie waren beide an die Mauer gedrängt. »Zieht die Tür auf«, befahl er Tessa.
In seinem Klammergriff konnte sie sich kaum rühren. Sie ertastete die kleine Schlaufe und zerrte daran, bis sich die schwere Tür weit genug öffnete, dass sie in den engen Gang dahinter schlüpfen konnten. Sie sah, wie ihr Onkel und seine Männer auf sie zuschlichen. Tessa packte die große Eisenklinke an der Rückseite der Tür. Ohne auf einen Befehl zu warten, drückte sie die Tür zu und schob den schweren Eisenriegel vor. Ein Donnern an der Tür verkündete, dass ihr Onkel und seine Männer versuchten, ihnen zu folgen.
»Wohin führt dieser Gang?«, herrschte Revan sie an. Er hob sie etwas an, so dass ihre Füße den Boden nicht mehr berührten, und tastete sich vorsichtig den dunklen, langsam ansteigenden Gang entlang.
»Zu den Ställen. Das große Werkzeugregal am Ende ist eine zweite Tür. Aber Ihr werdet Euer Pferd nicht satteln und hier herausreiten können und mich dabei hinter Euch herziehen.«
»Ihr werdet staunen.«
»Sie werden Euch erwarten.«
»Das bezweifle ich nicht.«
»Das war das letzte Mal, dass ich jemandem einen Gefallen getan habe.«
»Haltet den Mund.«
Nachdem ihr kein Argument einfiel, mit dem sie ihren Entführer davon abhalten konnte, sie als lebendigen Schild zu verwenden, fügte sich Tessa seinem knappen Befehl.
Fluchend stolperte Revan durch den Gang. Was war er doch für ein mieser Hund. Manchmal fühlte es sich hinterhältig und gemein an, auf der richtigen Seite zu stehen. Kurz vor Thurkettles Auftritt hatte er sich beinahe dagegen entschieden, das Mädchen auszufragen. Thurkettle hatte diese Entscheidung zunichtegemacht. Obwohl Revan es verabscheute, sich hinter dem Mädchen zu verstecken, war sie seine einzige Hoffnung, aus Thurkettles Burg zu entkommen.
Als sie endlich die Tür erreichten, befahl er ihr, den Riegel zurückzuschieben, dann trat er sie mit dem Fuß auf. Erst blendete ihn die plötzliche Helligkeit. Er kniff die Augen zusammen und blickte sich um. Als er Thurkettle mit fünf bewaffneten Männern warten sah, grinste er grimmig. Er drückte sich in den Stall und trat von der offenen Tür weg.
»Werft Eure Waffen fort.« Er lächelte kalt, als sie zögerten. »Legt es nicht darauf an, Thurkettle. Ich habe nichts zu verlieren.« Langsam legten die Männer ihre Waffen auf den Boden. »Jetzt, du«, er nickte einem schlaksigen grauhaarigen Stallhelfer zu, »sattel mein Pferd, und vergiss nicht meine Sachen - inklusive Bogen und Schild.« Er wartete angespannt, während der Mann gehorchte.
»Damit kommt Ihr nicht durch«, zischte Thurkettle.
»Bis jetzt halte ich mich ganz gut.«
»Wir werden Euch einfangen.«
»Tatsächlich? Kommt mir dabei nicht zu nahe. Ich nehme Eure hübsche Nichte mit.«
»Ihr könnt das Mädchen nicht ewig halten.«
»Lang genug.« Sein Pferd war gesattelt. Revan bedeutete dem Stallhelfer mit einem Kopfnicken, zu seinen Gefährten zurückzukehren. »Jetzt hier rein.« Er wies mit einem Nicken auf den Gang, aus dem er gerade gekommen war. Unter leisen Flüchen führte Thurkettle seine Männer hinein. Revan trat die Tür zu und drückte Tessa von außen dagegen. »Verriegeln.«
Sie gehorchte und sagte: »Wenn Ihr Euch beeilt, seid Ihr aus der Burg, bis sie herauskommen.«
»Nicht weit genug draußen.« Er packte sie beim Arm und schob sie auf sein Pferd zu. »Aufsteigen.«
»Ihr wollt mich mitnehmen?«
»Aufsteigen.«
Sie stieg auf. Es musste ein Dutzend Möglichkeiten geben, sich zu befreien, aber ihr fiel keine ein. Er schwang sich vor ihr in den Sattel, langte hinter sich und packte ihre Hände. Dann band er sie eilig vor seinem Bauch zusammen, so dass sie an ihn gefesselt war. Als er sein Pferd zum Galopp antrieb, klammerte sie sich fest und betete, dass er sie nicht beide umbrachte, indem er wie ein Besessener durch die Dunkelheit ritt.
Thurkettle eilte aus dem Tor seiner Burg und sah seinen Gefangenen davonreiten. »Holt mir diesen Schuft vom Pferd«, befahl er seinen Bogenschützen.
»Aber, Sir«, protestierte Thomas, »wir könnten Eure Nichte treffen.«
Fergus fluchte wild, dann geriet er plötzlich ins Grübeln. »Was für ein Tag ist heute?«
»Was?«, fragte Thomas verdattert.
»Was für ein Tag ist heute?«
»Dienstag, der fünfzehnte März.«
»Ja, genau. Und gestern hatte sie Geburtstag und wurde achtzehn«, murmelte Thurkettle. Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln.
»Was murmelt Ihr da vor Euch hin?«
Thurkettle achtete nicht auf Thomas und blickte nachdenklich dem fliehenden Paar nach. Dann traf er eine schnelle Entscheidung. Das Vermögen, mit dem er betraut war, gehörte ihr. Wenn sie starb, blieb er als einziger Erbe. Seit fünf langen Jahren hatte er sich nach diesem Vermögen gesehnt. Jetzt erkannte er eine Möglichkeit, wie er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte.
»Verfolgt ihn«, befahl er seinen Männern.
»Aber, Sir«, wunderte sich Thomas, »was ist mit Tess?«
»Vergiss Tessa. Überleg doch mal, dieser Hund weiß zu viel über meine Geschäfte mit den Black Douglases. Bald wird Tessa auch davon erfahren. Das macht sie zu einer Gefahr, oder? Also - verfolgt sie.«
Als seine Männer davongestoben waren, schlenderte Thurkettle zurück in seine Burg, ein fröhliches Lied auf den Lippen. Er ging hinein, goss sich einen Kelch edlen französischen Wein aus einem reich verzierten Silberkrug ein und prostete sich im Stillen selber zu.
»Vermutlich besteht kaum eine Chance, dass Sir Revan lebendig zurückgebracht wird?«, ließ sich eine Stimme hinter ihm vernehmen.
Thurkettle blickte sich nach seiner Tochter Brenda um, die zu ihm an die Tafel kam. »Davon ist nicht auszugehen.«
»Was für ein Jammer.« Brenda betrachtete die Edelsteinringe an ihren Fingern mit gelangweilter Miene.
»Es ist eine notwendige Maßnahme. Ich kann nicht riskieren, dass er zum König reitet und ihm von uns erzählt, nur damit du dich an ihm erfreuen kannst. Du hättest dein tugendhaftes Spielchen nicht ganz so inbrünstig betreiben sollen.«
»Ich habe es für dich getan, damit du herausfinden konntest, ob sich dein Verdacht bestätigt. Bisher habe ich kaum ein Zeichen der Dankbarkeit entdeckt.«
»Das wirst du auch nicht. Du hast dich geschützt wie mich. Sollte der Mann noch atmen, wenn sie ihn zurückschleifen, kannst du ihn ein paar Stunden haben, bevor ich ihn töte.«
»Wie großzügig.« Brenda zog einen Schmollmund. »Du solltest vorsichtig sein, wie du vor Tessa davon sprichst. Sie ist nicht so blauäugig, wie sie scheinen mag.«
»Über Tessa muss man sich keine Gedanken mehr machen.« Thurkettles dünne, blutleere Lippen verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln.
»Nein? Aber sie hat ihn doch freigelassen, oder etwa nicht?«
»Ja, das dumme Ding. Sie hat ihm auch den Fluchtweg verraten. Jetzt benutzt er sie als Schutzschild. Nun, er wird bald erkennen, dass seine Rechnung nicht aufgeht.«
Langsam weiteten sich Brendas Augen, als sie begriff, was ihr Vater da sagte. »Du möchtest Tessa umbringen lassen.«
Thurkettle funkelte seine Tochter an und blaffte: »Na und? Erzähl mir nicht, dass du ihr nachtrauern wirst.«
»Ich habe kaum Kenntnis von ihr genommen, seit sie hier ist. Mir musst du ihren Tod nicht erklären, aber dieser Sippe von angeheirateten Verwandten, die uns Tante Eileen beschert hat.«
Beim Gedanken an die Hochzeit seiner Schwester erschauerte Fergus Thurkettle. »Ich werde gar nichts erklären. Es wird sich um einen traurigen Fall von Entführung und Mord handeln.«
»Den wir umgehend vergelten.«
»Ganz genau.«
»Ist es nicht ein bisschen grausam, sie gleich umbringen zu lassen? Es stimmt, sie hat Revan freigelassen, aber -«
»Taugt dein Kopf eigentlich zu mehr als der Wahl des richtigen Kleides? Sie muss etwas von unseren Machenschaften mitbekommen haben. Dieser Schurke wird es bald aus ihr herausbekommen. Zusammen können sie uns alle an den Galgen bringen. Und der Strick wäre noch die mildeste Strafe, auf die wir hoffen könnten.«
»Du hast wahrscheinlich Recht. In ihren fünf Jahren bei uns muss sie wohl etwas mitbekommen haben.«
»Genau. Doch das ist nicht alles. Sie ist gestern achtzehn geworden. Seitdem gehören ihr das Vermögen und ihr Land allein.«
»Vermögen? Land? Tessa hat Geld?«
»Und ob sie das hat. Die Hälfte der Kleider auf deinem Leib wurde davon gekauft. Ich hatte eben Ausgaben für ihre Erziehung und dergleichen«, murmelte er. »Für diese Kosten durfte ich Geld von ihrem Vermögen entlehnen. Seit fünf langen Jahren grüble ich nun schon, wie ich an dieses Vermögen komme, ohne dass die Comyns und Delgados bei mir vor der Tür stehen. Jetzt habe ich es. Sie hat es mir selbst gegeben.«
»Willst du damit sagen, dass dir bei ihrem Tod alles zufällt?«
»Bis auf den letzten Penny. Ganz genau, und es ist ein verdammt großes Vermögen.«
»Wie groß genau? Bist du sicher, es ist das Risiko wert?«
»Würdest du sagen, dass dreißigtausend Dukaten ein kleines Spielchen wert sind?« Er nickte, als seine Tochter ihn sprachlos anstarrte. »Außerdem gibt es da eine hübsche, stattliche Burg südlich von Edinburgh und ein paar Ländereien in Spanien. Das Mädchen ist reich. Sehr reich sogar.«
»Ich glaube es nicht. Woher sollte dieser … Laffe von Delgado mit seiner Portraitmalerei so viel Geld haben? Oder die Comyns.«
»Der größte Teil des Vermögens kommt nicht von ihnen. Es gehörte meiner Schwester. Unser Vater wollte sicherstellen, dass sie etwas zum Leben hatte, wenn sie zur Besinnung kam und diese Promenadenmischung verlies, die sie zum Ehegatten auserkoren hatte. Und im Laufe der Jahre war das Vermögen gewachsen.«
»Dann können weder die Comyns noch die Delgados Anspruch darauf erheben?«
»So ist es. Das Vermögen hat Eileen gehört, und demnach gehört es jetzt Tessa.«
»Bist du sicher, dass das ein sicheres Vorhaben ist? Ganz sicher? Die Hälfte der Delgados und Comyns gehören dem Militär an oder stehen anderweitig im Dienste des Königs. Oder im Dienste der Justiz oder der Kirche. Wir wollen doch nicht, dass sie zu viele Fragen stellen.«
»Tessa wurde entführt und ermordet. Was gibt es da noch zu fragen?«
Brenda war noch immer skeptisch. »Ich werde nicht jubeln, bis du das Geld sicher in Händen hältst und keiner von ihrer schäbigen Mischlingsfamilie vor deinem Tor steht.«
Ihr Vater zuckte die Schultern. Was war er doch für ein Narr, dachte Brenda. Der Mann feierte, bevor die Tat vollbracht war, und das war in Brendas Augen die größte Dummheit, die man begehen konnte. Sir Revan Halyard war ein kluger Mann, und die kleine Tessa durfte man auch nicht unterschätzen. Zusammen waren sie vielleicht nicht so leicht zu fangen, wie sich ihr Vater das vorstellte. Vielleicht war es ein guter Zeitpunkt, ihre eigenen Geldbestände aufzustocken, überlegte sie. Sollte ihr Vater zu Fall kommen, wollte sie sich nicht von ihm in die Tiefe reißen lassen.
»Du machst dir zu viele Gedanken, Brenda.«
»Ach ja? Ich finde, du solltest die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ich feiere erst, wenn ich Sir Revan Halyard und Tessa beerdigt sehe.«
»Dann solltest du schon mal dein Trauerkleid auslüften, meine Liebste, denn du wirst bald an ihren Gräbern stehen.«
Zweites Kapitel
Tessa stöhnte, als Revan sie aus dem Sattel hob. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken, wie lange sie auf diesem Pferderücken verbracht hatte. Stundenlang waren sie auf gewundenen Pfaden im Kreis geritten, um ihre Verfolger abzuschütteln. Sie konnte keinen Körperteil benennen, der nicht schmerzte.
Revan zerrte sie unsanft zum Pferd und band ihre Hände fest an den Knauf seines Sattels. Sie murmelte wütende Verwünschungen. Er war hartherzig und grausam. Das Seil war so kurz, dass sie auf den Zehenspitzen stehen musste, eng an das verschwitzte Pferd gedrängt. Bei der ersten Gelegenheit, die sich ihr bot, würde sie ihm ihren Dolch in den Leib rammen. Vielleicht in den Magen. Eine schmerzhafte Wunde, die langsam heilte, aber nicht tödlich war, überlegte sie mit einer Bosheit, die aus ihrer unbequemen Haltung und der Angst geboren war.
»Eure Ausdrucksweise könnte etwas Schliff gebrauchen«, murmelte Revan, während er sich gegen einen Felsbrocken stemmte, um ihn von einer kleinen Anhöhe wegzurollen.
»Ach ja? Dafür habt Ihr eine reichlich merkwürdige Art, Euch für einen Gefallen erkenntlich zu zeigen.«
»Entschuldigt, aber ich musste Euch benutzen, um aus der Burg herauszukommen. Ich wäre sonst keine zwei Schritt weit gekommen.«
»Dann tut es mir umso mehr leid, dass ich Euch begegnet bin.« Sie sah ihm zu, wie er etwas Gestrüpp beiseiteschob. »Was treibt Ihr da eigentlich?«
»Ich bereite uns ein Versteck vor.«
»Ihr meint, wir galoppieren nicht weiter durch die mondlose Nacht wie zwei Wegelagerer? Ich bin untröstlich.«
»Ihr habt vielleicht eine spitze Zunge.« Er blickte zur Mondsichel auf, dann wieder zu ihr. »Außerdem ist es keine mondlose Nacht. Es gibt genug Licht, so dass ich sehen kann, was ich tue.«
»Aha« - auch sie blickte zum Himmel auf - »natürlich. Der Mond. Er blendet so stark, dass ich ihn glatt übersehen habe.«
Für sie war es jedenfalls schwer zu sehen, was er tat, dachte sie verstimmt. Das Pferd verstellte ihr die Sicht. Aber sie hörte, wie ihr Entführer Steine und Äste herumzerrte. Jedes Mal, wenn sie das Pferd ein bisschen zur Seite schieben wollte, stupste das Pferd sie zurück. Sein Reittier war genauso schlecht erzogen wie er, dachte sie missmutig.
»Kommt nun«, meinte Revan schließlich und band Tessa von seinem Pferd los.
»Wohin?« Sie versuchte, sich dem Zerren an ihren zusammengebundenen Händen zu widersetzen. Es hatte den Anschein, als würde er sie und sein störrisches Pferd direkt auf die Felsen am Fuße der Anhöhe zu zerren. Dann erspähte sie eine Unebenheit in den Schatten, den Hinweis, dass die Felswand nicht so undurchdringlich war, wie sie gedacht hatte. Als er sie vor sich schob, sah sie die Öffnung.
»Eine Höhle«, flüsterte sie und stolperte hinein. »Wie praktisch.«
Revan schob sein Pferd in die geräumige Höhle und überging ihren Kommentar. Er griff nach dem Ende des Stricks, der ihre Hände fesselte, und legte es wieder über den Sattelknauf. Er wollte nicht, dass sie floh, während er ein Lager für sie beide herrichtete. Er konnte nicht riskieren, dass sie sich zu Thurkettles Männern stahl und sie zu seinem Versteck führte. Obwohl er nach alldem, was sie hinter sich hatten, bezweifelte, dass sie den Wunsch danach verspürte. Doch er wagte nicht, ihr zu trauen.
Als er das Lager bereitet hatte, löste er ihre Fesseln und wies sie an, sich in den hinteren Teil der Höhle zu setzen. Ohne sie aus den Augen zu lassen, verdeckte er den Eingang, so gut es ging, von innen.
Tessa ging zur Lagerstatt und ließ sich erschöpft darauf nieder. Sie wusste, sie sollte versuchen, in die schwindende Nacht zu fliehen, aber im Moment war sie schlicht und ergreifend zu müde dazu - und er war zu wachsam. Außerdem wollte sie nicht alleine durch die Nacht spazieren.
Sie konnte kaum glauben, in was für Verwicklungen sie da hineingeraten war. Das meiste davon verstand sie nicht. Sie sandte wütende Blicke in Richtung Revan, der am Feuer kauerte und sich daran machte, etwas Haferbrei zuzubereiten.
»Ihr habt jemanden umgebracht, nicht wahr?« Noch während sie fragte, stellte sie fest, dass sie ihm ein solches Verbrechen nicht zutraute.
»Nein. Ich habe noch nicht einmal mein Schwert gezogen, bevor ich von Thurkettles Männern ergriffen wurde.«
»Dann habt Ihr etwas gestohlen.«
»Nein, keinen Heller.«
»Aber Ihr müsst doch mehr getan haben, als Brenda anzugaffen, um -«
»Ich habe sie nicht angegafft.«
Sie überging seinen Einwand. »Aber eine solche Bestrafung verhängt mein Onkel nicht wegen einer Lappalie wie Tändelei. Zum Henker, wollte er jeden Mann töten, der seiner Tochter nachstellt, würde Schottland knietief in Leichen versinken.«
»Höre ich da eine leichte Eifersucht aus Eurer Stimme?«
»Nein, hört Ihr nicht. Wollt Ihr meine Fragen nun beantworten oder nicht?«
»Ich habe Eure Fragen beantwortet.« Er sah sie an und studierte sie genau. »Jetzt könnt Ihr mir ein paar Fragen beantworten.«
»Ach, das kann ich also?«
»Seid Ihr wirklich Thurkettles Nichte? Ich erkenne keine große Ähnlichkeit.« Mit diesen Worten riss er ihr den verbeulten Hut vom Kopf und bereute es sofort. Die paar Haarnadeln, mit denen sie ihr Haar gebändigt hatte, lösten sich, und eine glänzend schwarze Mähne von gewelltem Haar ergoss sich über ihre Schultern bis zur Taille herab. Der Feuerschein fiel sanft darauf und ließ es nur noch schöner erstrahlen. Jetzt verstand er, warum ihr der Schlapphut mit der breiten Krempe bei dem wilden Ritt nicht vom Kopf gefallen war. Das volle Haar hatte ihn ausgefüllt und festgehalten.
»Würdet Ihr die Familie besser kennen, wären Euch ein, zwei Ähnlichkeiten aufgefallen«, bemerkte sie patzig. »Werdet Ihr mich jetzt losbinden?« Sie hielt ihm die gefesselten Hände hin.
Sanft schob er sie in ihren Schoß zurück. »Ich werde darüber nachdenken. Wie heißt Ihr? Tessa Thurkettle?« »Contessa Comyn Delgado.« Sein verdutztes Gesicht war eine Genugtuung - wenngleich nicht überraschend. Ihr voller Name hatte noch jeden erstaunt.
»Ihr seid Spanierin?«, meinte er, als er sich gesammelt hatte. »Ich wusste gar nicht, dass Thurkettle eine solche Verbindung hat.«
»Hat er auch nicht. Mein Vater hatte sie. Thurkettle ist der Bruder meiner Mutter. Als meine Eltern starben, kam ich zu ihm.« Innerlich verzog sie das Gesicht bei der Erinnerung, wie sie von der niederschmetternden Tragödie des Todes ihrer Eltern zum dauernden Trauerspiel ihres Daseins bei ihren lieblosen Verwandten geraten war. »Meine Großmutter väterlicherseits war Schottin, eine Comyn, sie heiratete einen Spanier. Den Thurkettles war mein Vater nicht gut genug, weil er nur Maler am königlichen Hof war.«
Das bezweifelte Revan nicht im Geringsten. Thurkettle war für seinen Dünkel bekannt. Er hatte irgendeine vage Verbindung zu Robert the Bruce in seiner Familie entdeckt und brüstete sich häufig mit dieser spärlich belegten Verbindung. Sollte der alte Thurkettle auch nur halb so eingebildet wie sein Sohn gewesen sein, hatte es Tessas Mutter sicher Mut abverlangt, einen Delgado zu heiraten. Auch Tessa hatte sicher kein angenehmes Leben bei den Thurkettles gehabt, ging es Revan durch den Kopf, denn mit ihrem Aussehen erinnerte sie ständig an die Ehegattenwahl ihrer Mutter. Die Thurkettles hatten sicher andere, gewinnbringendere Verbindungen im Kopf gehabt.
»Aber«, sprach er seine Gedanken laut aus, »das ist doch noch lange kein Grund, Euch umzubringen.«
»Mich umzubringen?«, rief Tessa erstaunt aus. »Niemand hat versucht, mich umzubringen. Sie waren hinter Euch her.«
»Und hinter Euch. Sie haben Pfeile auf uns niederhageln lassen, nicht zu übersehen.«
Tessa wollte nicht darüber reden. Bis jetzt war es ihr gelungen, ihre Zweifel zu verdrängen. Obwohl Revan sie als Schild benutzt hatte, hatte sich nicht einer der Männer ihres Onkels zurückgehalten. Niemand schien darauf zu achten, dass sie nicht verletzt wurde. So sehr sie versuchte, die hässliche Wahrheit von sich zu schieben, sie ließ sich nicht verleugnen. Die Männer hatten nicht weniger auf sie gezielt als auf Revan. Es war die endgültige Absage an die Familie ihrer Mutter.
Aber sie gleich umzubringen? Das war so drastisch. Dafür hätte ihr Onkel fünf Jahre Zeit gehabt. Und er hatte es versucht, meldete sich eine leise Stimme in ihrem Kopf. Dreimal hatte er es versucht.
Wütend versuchte sie, den schrecklichen Verdacht aus ihren Gedanken zu verbannen, aber er blieb hartnäckig bestehen. Dass ihr nun sofort wieder ein paar Begebenheiten einfielen, zeigte, dass sie die Vorfälle nie ernsthaft für Unfälle gehalten hatte. Sie hatte sich selbst etwas vorgemacht, indem sie die Augen vor dem Offensichtlichen verschlossen hatte.
»Das ist nicht wahr«, keifte sie und verwandelte ihren Schmerz in Wut gegen ihn.
Mit einem schrägen Lächeln schüttelte Revan den Kopf. Erst hatte er Thurkettles Männer einfach für dumm gehalten. Tatsächlich waren sie auch dumm, doch sie würden niemals ohne Anweisung von Thurkettle handeln. Wenn sie ohne Rücksicht auf Tessa Pfeile abschossen, so taten sie dies, weil Thurkettle es ihnen befohlen hatte. Jetzt musste er nur herausfinden warum.
Und sie kannte den Grund, dachte er, als er zwei Becher Wein einschenkte. Das konnte er in ihren großen, schönen Augen lesen. Er las auch den inneren Widerstreit. Sie wollte die Erkenntnis nicht wahrhaben. Es gab ihr den Anstrich von Naivität, doch er mochte sich täuschen. Er wollte sich nicht dem Irrglauben hingeben, dass sie nicht an Thurkettles Machenschaften teilhatte. Noch nicht. Zu große Leichtgläubigkeit konnte seinen Tod bedeuten.
»Nein, es ist die Wahrheit, und Ihr wisst es«, beharrte er. »Ich kann es in Euren Augen lesen.«
Sie bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick, als sie den Wein von ihm annahm. »In meinen Augen? Was für ein Unfug. Das sind Augen, keine Briefe.«
»In Euren Augen kann man lesen wie in einem Brief, die Schrift ist klar und deutlich. Ihr wollt nicht wahrhaben, was Ihr doch wisst.«
»Natürlich streite ich es ab. Es ist eine schreckliche Anschuldigung. Warum sollte mein Onkel meinen Tod wünschen?«
»Ich hatte gehofft, das könntet Ihr mir sagen.«
»Nun, ich kann es nicht, weil es nicht so ist.« Sie trank einen Schluck Wein und musste verdrossen feststellen, dass er ihr schmeckte.
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das tut, weil in Euren Adern das falsche Blut fließt«, murmelte Revan und fasste sie dabei ins Auge.
»Man kann seine Ablehnung auch einfach dadurch ausdrücken, indem man jemanden wie Luft behandelt. Mein Onkel muss sich nicht die Hände blutig machen, um sich von mir zu distanzieren. Ihr seid Brenda schon eine Weile nachgelaufen und wusstet nicht, dass ich dort lebte, oder?«
»Nein, Ihr kamt als Überraschung.«
»Na also! Man muss keinen Mord begehen, um mich von der Familie auszuschließen.«
»Stimmt. Was wäre also die nächste Möglichkeit? Mord kann viele Motive haben. Eifersucht? Nein. Es sei denn, es gibt da eine Dreiecksverwicklung, von der ich nichts weiß?«
»Redet keinen Unsinn.«
»Nein, ich glaube auch nicht, dass dieses Familiendrama von Liebe handelt.«
Die Wahrheit schmerzte, aber Tessa setzte einen trotzig verärgerten Blick auf.
Revan bemerkte den aufflackernden Schmerz in ihren Augen und wurde kurz von Mitleid ergriffen. Er hatte die Thurkettles seit einigen Wochen genau beobachtet und doch hatte er nie von Tessa erfahren. Sie wurde von ihrer Familie ignoriert und weggesperrt, als würde man sich ihrer schämen. Sicher hatte sie es nicht leicht bei ihrem Onkel gehabt. Dann schob er diese Gedanken beiseite. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er ihr trauen konnte, wusste immer noch nicht, ob sie in die Intrigen ihres Onkels verwickelt war.
»Dann also Geld. Gier. Seid Ihr vermögend?« In Anbetracht ihrer abgetragenen und zu großen Kleidung bezweifelte er das, doch dann sah er die Erkenntnis in ihren Augen.
Geld, dachte Tessa und erschrak. Das war das Einzige, was ihr Onkel noch mehr liebte als sich selbst. Und sie hatte Geld - viel sogar, für die meisten Leute - jetzt, wo sie achtzehn war. Die schmerzliche Tatsache, dass ihr Geburtstag einmal mehr unbeachtet verstrichen war, erschien ihr plötzlich unbedeutend. Ihr Vermögen und ihre Ländereien gehörten nun ihr allein. Ihr Onkel müsste ihr eigentlich alle Vollmachten übertragen. Die Zweifel, an denen sie sich krampfhaft festgehalten hatte, wurden hinfortgewischt. Für Reichtum würde ihr Onkel jederzeit töten.
Diese »Unfälle« waren Versuche gewesen, die einzige Erbin zu beseitigen, die zwischen ihrem Onkel und ihrem Vermögen stand - Tessa. Er hatte ihren Tod gewollt und das seit Jahren. Doch er musste Möglichkeiten finden, den Verdacht von sich abzulenken. Ein sanftmütiges Pferd, das plötzlich durchging, und ein Sturz, bei dem sie sich das Genick hätte brechen können, war eine Möglichkeit. Eine einfache Besorgung, für die sie zweimal über eine flutbeschädigte Brücke musste, eine andere. Und dann war da die wackelige Steinfigur, die genau in dem Moment von ihrem Sockel stürzte, als sie darunterstand.
Und jetzt, dachte sie mit Blick auf Revan, gab es einen Entführer.
Es war perfekt. Sie wurde entführt und dann, so konnte man behaupten, von ihrem Entführer getötet. Selbst wenn man erriet, dass sie bei der rücksichtslosen Verfolgung durch Thurkettles Männer ums Leben gekommen war, träfe ihren Onkel keine Schuld. Was für eine Wahl hätte er gehabt?
»Also?«, bohrte Revan nach, nachdem er ihr einige Zeit zum Nachdenken gegeben hatte. Es war recht amüsant, wie man den gedanklichen Umschwung in ihrem herzförmigen Gesicht mitverfolgen konnte. »Ihr habt Besitz?«
»Ein bisschen.« Sie wusste nicht genau warum, aber es widerstrebte ihr zu sagen, wie viel sie besaß.
»Kommt schon, Thurkettle würde sich doch keine solche Mühe geben, wenn es lediglich um ›ein bisschen‹ ginge.«
»Ein paar tausend Dukaten und ein bisschen Land.« Für manche Leute waren dreißig gar nicht so viel, verteidigte sie ihre Lüge vor sich selbst.
»Nun, das ist weniger, als ich vermutet habe, aber genug, um Thurkettle zu verlocken.«
Er spürte, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte, wollte sie aber nicht weiter bedrängen. Der exakte Betrag spielte keine Rolle, solange sie die Wahrheit erkannte. Obwohl er sich immer noch nicht ganz sicher war, ob er ihr wirklich trauen konnte, ging er doch davon aus, dass sie unter diesen Umständen keinen Fluchtversuch unternehmen würde. Er holte sein Messer hervor und durchtrennte ihre Handfesseln mit einem glatten Schnitt, dann steckte er es wieder in die Scheide.
»Bin ich jetzt frei?« Sie sah ihn misstrauisch an und fragte sich, ob das ein Trick war.
»Ich glaube, Ihr gewinnt nicht viel, wenn Ihr davonlauft.«
»Stimmt, da könntet Ihr Recht haben.« Sie blickte versonnen auf ihre Handgelenke und rieb sie sanft aneinander, um die Druckstellen der Fesseln zu glätten. »Es scheint eine Menge Leute zu geben, die meinen Tod wünschen.« Sie sah ihn an. »Euch sollte ich wahrscheinlich auch noch nicht ganz ausschließen.«
»Da habt Ihr Recht.«
»Ist es nicht ein bisschen ungeschickt, mich zu bedrohen, jetzt, wo ich frei bin?«
Mit einem Schulterzucken kostete er den Haferbrei. Er war fertig. »Ich habe nichts davon, wenn ich Euch umbringe.« Er schöpfte ein paar Löffel von dem einfachen, aber herzhaften Mahl in eine Holzschüssel und reichte sie ihr zusammen mit einem Löffel. »Ihr tut einfach, was ich sage, und es geschieht Euch nichts. Thurkettle wird Euch diese Chance nicht gewähren.«
Widerstrebend musste Tessa ihm Recht geben. Sie probierte den Haferbrei. Es war nicht gerade ihre Leibspeise, aber so hungrig wie sie war, schmeckte er gut. Dennoch hoffte sie auf etwas Abwechslung im Speiseplan, sollten sie sich längere Zeit zusammen verstecken müssen. Sollte sie Tag für Tag Haferbrei essen müssen, würde sie sich am Ende vielleicht doch für ihren mordlustigen Onkel entscheiden.
Während sie aß, sann sie vor sich hin. Ihr ohnehin schon tristes Dasein hatte sich binnen eines Wimpernschlags in eine Katastrophe verwandelt. Ihre einzige Hoffnung bestand nun darin, zur Familie ihres Vaters zu gelangen. Ihre Verwandtschaft würde sich um Onkel Thurkettle kümmern. Und - sie blickte verärgert in Revans Richtung - um den Entführer Sir Halyard auch. Das Problem war, dass es mehrere Tagesritte bis zu ihrer Burg Donnbraigh waren und sie nur Revans Pferd hatten. Dazu kam, dass Tessa wahrscheinlich nicht ohne seine Hilfe zu ihnen finden würde. Die Comyns waren keine reiselustige Familie. Von ihrem Onkel Silvio Comyn hieß es, dass er sich schon auf dem Weg vom Bett zum Frühstück verlaufen hätte. Das war natürlich eine Übertreibung, aber die Wahrheit war, dass sie und ihre Familie die Tendenz besaßen, in die falsche Richtung zu spazieren.
Ihr blieb nur eine Wahl. Sie musste Revan überzeugen, dass es auch in seinem Interesse läge, sie bei ihrer Familie abzuliefern. Sie seufzte innerlich. Moses hatte vielleicht eine leichtere Aufgabe gehabt, als er das Rote Meer teilen musste. Revan hatte sie entführt und gedroht, ihr den Hals aufzuschlitzen. Danach verspürte er bestimmt kein Verlangen, ihre Familie aufzusuchen. Dennoch konnte der Versuch nicht schaden, dachte sie. Schlimmer konnte es schließlich nicht für sie werden.
»Ihr könnt aufhören, Pläne gegen mich auszuhecken«, murmelte Revan und nahm ihr die leere Schüssel ab.
Tessa schreckte aus ihren Gedanken auf und blickte ihn verwundert an. »Und wer sagt, dass ich etwas aushecke?«
»Dieser verschlagene Ausdruck, der sich in Euer Gesicht gestohlen hat.« Gemächlich trank er einen Schluck Wein.
»Verschlagener Ausdruck?«, wiederholte sie und bediente sich auch noch einmal an seinem Wein.
»Jetzt, wo Ihr es Euch bequem gemacht habt -«
»Wie die Made im Speck.«
»Sollten wir von Eurem Onkel sprechen.«
»Warum? Ich denke, wir wissen alles, was wir brauchen. Er trachtet uns nach dem Leben. Jetzt, wo wir den Grund kennen, warum er mich unter die Erde bringen will, bleibt die Frage, was er gegen Euch hat. Ich glaube, darüber haben wir noch nicht gesprochen. Sollen wir das vielleicht jetzt tun?«
»Ich habe ein paar Dinge über ihn in Erfahrung gebracht, die er lieber geheim halten würde.«
»Mit derlei Dingen könnte man ein Buch füllen.«
»Ach ja? Wie zum Beispiel?«
»Nun, es gibt da ein paar Ehegattinen, die Nacht für Nacht beten müssen, dass er nicht ins Plaudern gerät. Er brüstet sich mit diesem winzigen Tröpfchen Blut des königlichen Bruce, und diese Hennen fallen darauf rein. Sie halten ihn für etwas Besonderes.« Tessa schüttelte verständnislos den Kopf.
»Das ist nicht die Sorte Geheimnis, an die ich dachte.«
»Ach nein? An welche Sorte Geheimnis denn dann. Sagt mir doch, was Ihr zu wissen glaubt, und ich sage Euch, ob ich es bestätigen oder abstreiten kann.«
»Wirklich?« Er musterte sie, während er Holz nachlegte. »Warum sollte ich Euch glauben? Ihr würdet die eigene Familie verraten.«
»Das mag sein. Unter normalen Umständen müsste man mich bis zur Besinnungslosigkeit foltern, um dergleichen aus mir herauszupressen. Aber dieser Familienzweig ist wild entschlossen, mich umzubringen. Ich glaube, das befreit mich von allen Banden. Nur eine Närrin hält einem Mann, der sie töten will, blind die Treue.«
»Und Ihr seid keine Närrin.«
»Nicht immer. Was meint Ihr also, warum mein Onkel Euren Tod wünscht?«
Revan erwog seine Antwort. Eigentlich gab es keinen Grund, Geheimnisse vor ihr zu haben. Sie schwebte genauso in Gefahr wie er, und er hielt sie nicht für so töricht, sich einzubilden, sie könne mit Thurkettle verhandeln. Er hoffte nur, dass er sich ihr nicht wegen dieser großen braunen Augen anvertraute, die ihn so fragend anblickten. Im Stillen nahm er sich vor, zukünftig vorsichtig mit Blicken in diese Augen zu sein.
»Ich glaube, dass er in gesetzwidrige Machenschaften verstrickt ist«, antwortete er schließlich.
»Ach, und ich dachte schon, Ihr würdet mir etwas sagen, das ich noch nicht weiß.«
»Ihr wisst, dass er illegale Machenschaften betreibt?« Ihr Gespür für Sarkasmus war nicht nur gut, sondern konnte regelrecht lästig werden, fand er.
»Mein Onkel? Ich wäre überrascht, wenn er das nicht täte. In was genau meint Ihr, ist er verwickelt?«
»Hochverrat. Er verbündet sich mit dem Grafen der Black Douglases gegen unseren König Jakob den Zweiten.« Der Schrecken, der in ihr Gesicht geschrieben stand, verschaffte ihm eine gewisse Genugtuung.
Tessa verschluckte sich beinahe an ihrem Wein. Sie hatte schon seit langem die Vermutung gehegt, dass ihr Onkel eine kriminelle Natur war, aber ein Verbrechen dieses Ausmaßes hätte sie ihm niemals zugetraut. Verrat am König? Sie schüttelte den Kopf. So dumm konnte ihr Onkel doch gar nicht sein. Damit würde er den Namen der Familie auf ewig beflecken. Andererseits, dachte sie, während sie sich noch vom ersten Schreck erholte, versuchte er ganz eindeutig, sie und Revan zu töten. Außerdem war er plötzlich und auf unerklärliche Weise aufs engste mit dem Douglas-Clan verbandelt, der sich dem König offen widersetzt hatte.
»Seid Ihr Euch sicher?« Sie musste es einfach fragen.
»Ja, ganz sicher. Aber ich brauchte Tatsachen, ein paar eindeutige Beweise.«
»Tatsachen und Beweise?« Sie blickte ihn mit leichter Überraschung an. »Und die habt Ihr unter Brendas Rock vermutet?«
»Ich wollte ihr nicht unter den Rock«, protestierte er, dann seufzte er und gestand sich reumütig ein, dass er das eine oder andere Mal daran gedacht hatte. »Ich dachte, ich könnte vielleicht den einen oder anderen Hinweis von ihr ergattern, etwas, das mich zu dem Beweis führt, den ich brauchte.«
»Dann kanntet Ihr Brenda aber schlecht.«
»Sie war etwas einfältiger, als ich erwartet hatte.«
»Nein, sie war gerissener. Was immer der alte Fergus treibt, seine kleine Prinzessin weiß Bescheid.«
Er seufzte und legte den Weinschlauch zur Seite. »Dieser Gedanke ist mir auch schon gekommen, als ich im Verlies an der Wand hing.« Er hatte sich narren lassen, und das verletzte seine Eitelkeit.
»Brenda ist eine Schlange«, erklärte Tessa. »Schon eine einzige falsche Frage von Euch hätte sie misstrauisch gemacht.«
»Und wahrscheinlich hat sie Thurkettle über jeden meiner Schritte auf dem Laufenden gehalten«, knurrte er.
»Das Wörtchen wahrscheinlich könnt Ihr aus diesem Satz streichen.«
»Ihr müsst nicht auch noch Salz in meine Wunden streuen.«
»Und Ihr solltet Euch nicht so unnötig ärgern. Männer!« Sie schüttelte den Kopf. »Zeige ihnen große Augen, wogendes Haar und ein paar andere große, wogende Dinge, und ihre Hirne schmelzen zu warmem Haferschleim und laufen ihnen zu den Ohren heraus.«
Es lag eine schmerzliche Wahrheit in ihren Worten, dachte Revan, aber er schob sie beiseite. »Möchtet Ihr mir mehr über Euren Onkel erzählen?«
»Ich glaube, ich habe nicht viel zu erzählen. Ich wusste immer, dass er kein guter Mann war, aber ich entsinne mich nicht, dass ich etwas beobachtet hätte, das nach Verrat roch.« Sie rieb sich die Stirn und versuchte nachzudenken, aber die Erschöpfung machte sich bemerkbar und vernebelte ihren Geist. »Vielleicht hättet Ihr mich das früher fragen sollen. Langsam erinnere ich mich kaum noch an den eigenen Namen.«
Sie sah wirklich müde aus, dachte er und zügelte seine Neugierde. Auch er fühlte sich erschöpft. Es würde noch genug Zeit geben, etwas von ihr zu erfahren, wenn sie sich ausgeruht hätten.
»Ihr könnt Euch hinlegen, wo Ihr sitzt«, bot er an und begann, Asche auf die Glut zu schaufeln. »Wir können uns morgen unterhalten.«
Sie nickte, zog die Stiefel aus und stellte sie ordentlich neben ihren Hut. Dann legte sie sich, so bequem es möglich war, auf das dünne Lager, zog sich die Decke bis zum Kinn und drehte sich mit dem Rücken zum Feuer. Trotz all der Probleme, die sie bestürmten, wusste sie, dass sie bald einschlafen würde. Sie fühlte sich bereits ganz schwer, als Revan plötzlich zu ihr unter die Decke schlüpfte und sich neben sie legte. Erschrocken riss sie die Augen auf und drehte sich um, wo sie auf seinen breiten Rücken starrte.
»Was macht Ihr da?«, kreischte sie.
»Ich lege mich schlafen.«
»Aber doch nicht hier.«
»Einen anderen Schlafplatz gibt es hier nicht. Beruhigt Euch, ich bin zu müde für einen Streit mit einer empörten Maid. Außerdem bin ich zu müde, um einer Frau gefährlich zu werden. Ihr könnt Euch also wieder beruhigen und schlafen.«
Einen kurzen Moment lang überlegte sie ernsthaft, ob sie weiter streiten sollte, dann drehte sie ihm den Rücken zu. Er war vollständig bekleidet, und sie wusste, dass er die Wahrheit sprach, was die Müdigkeit betraf. Außerdem vermutete sie, dass er sich in ihrer Nähe halten wollte, um sie zu bewachen. Sie schloss die Augen. Im Moment war sie schlicht und ergreifend zu müde, um sich über Schicklichkeit Gedanken zu machen.
Bald schon hörte Revan ihren gleichmäßigen Atem und wusste, dass sie schlief. Auch er würde bald einschlafen, denn er war völlig ausgelaugt. Fürs Erste fühlte er sich sicher, sicher genug, um sich auszuruhen und etwas Kraft zu sammeln für die anstrengenden Tage, die ihnen bevorstanden.
Drittes Kapitel
»Nachdem Ihr jetzt geschlafen, Euch gewaschen und gefrühstückt habt, können wir uns unterhalten.« Revan saß am Feuer, schenkte sich einen Schluck Wein ein und versuchte nicht darauf zu achten, wie giftig ihn das Mädchen anfunkelte.
Doch das erwies sich als Unmöglichkeit. Seit er erwacht war, schlug ihm von ihrer Seite dieser unverhohlene Missmut entgegen. Dabei hatte er gehofft, eine gute Nachtruhe würde sie besänftigen und sie erkennen lassen, dass sie die Umstände verbündeten und nicht zu Feinden machten. Stattdessen betrachtete sie ihn wie etwas Unappetitliches, in das sie hineingetreten war und das sich nicht von ihren Stiefeln abstreifen ließ. Langsam schlug ihm das aufs Gemüt.
»Tessa, ich glaube, es wäre nur zu Eurem Vorteil, wenn Ihr mir helfen würdet.«
»Ach ja? So, wie es zu meinem Vorteil war, Euch aus dem Verlies meines Onkels zu befreien?«
Seine Augen verengten sich gefährlich. Eigentlich sollte sie vorsichtig mit ihm sein, solange sie ihm ausgeliefert war, doch das konnte sie nicht. Als sie aufgewacht war, hatte sie sich langsam umgeblickt, über ihre Lage nachgedacht und war wütend geworden. Und sie hatte vor, sich ihre Wut nicht nehmen zu lassen. Auch wenn er nicht allein für ihr Dilemma verantwortlich war, so war er doch daran beteiligt. Außerdem war er da, lebensgroß, und eine wunderbare Zielscheibe für die Wut, die aus ihrer Verbitterung entsprang.
»Das tut mir auch leid, aber mir blieb keine Wahl. Und wie mir scheint, seid auch Ihr dieser Burg gerade rechtzeitig entflohen. Vielleicht solltet Ihr mir danken. Vergesst nicht die Pfeile, die auf uns gehagelt sind. Die galten Euch genauso wie mir.«
»Wie sollte ich das auch nur eine Minute vergessen? Aber ich vergesse auch nicht, dass Ihr ihnen einen exzellenten Vorwand geliefert habt, mich umzubringen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen!«
Bei diesen Worten zuckte er beschämt zusammen. Dann blickte er sie wütend an, weil es nur die halbe Wahrheit war. »Wenn er so fest entschlossen ist, sich Euer Erbe anzueignen, könnt Ihr doch nicht ernsthaft behaupten, dass Ihr dort in Sicherheit wart. Er muss schon länger mit dem Gedanken gespielt haben. Vielleicht hat er schon versucht, Euch umzubringen, und Ihr habt es nur nicht bemerkt.«
Tessa öffnete den Mund, um heftig zu widersprechen, dann klappte sie ihn wieder zu. Sie spürte, wie sich ihre Wut in Rauch auflöste. Revans Argument ließ sich nicht von der Hand weisen, insbesondere, da es sich bereits bewahrheitet hatte. Seufzend füllte sie ihre verbeulte Blechtasse mit Wasser und Wein.
»Ich habe es bemerkt. Und erst gestern habe ich es deutlich bemerkt.«
»Dann hat er also schon vorher versucht, Euch umzubringen?« Der plötzliche Stimmungsumschwung war beklemmend, doch Revan war froh, dass diese großen braunen Augen wieder weicher wurden.
»Ja, das hat er. Ich hatte sie für Unfälle gehalten, doch schon damals beschlich mich ein ungutes Gefühl. Ich habe es beiseitegeschoben. Schließlich und endlich ist er mein Onkel. Familienblut. Mir fallen drei Gelegenheiten ein, bei denen er vielleicht - oder wahrscheinlich - die Hand im Spiel hatte. Er erkannte die Gelegenheit und ergriff sie beim Schopf.«
»Das ist gut vorstellbar. Habt Ihr außer ihm noch Familie?«
»Mehr als man sich wünschen kann. Warum?«
»Warum glaubt Euer Onkel, dass ihm Euer Erbe zufällt? Habt Ihr es ihm vermacht?«
»Nein, niemals. Es gehörte meiner Mutter. Ihr Vater hat es für sie auf die Seite gelegt und meines kam dazu. Großvater Thurkettle wollte, dass sie ihr eigenes Geld hat. Er war immer überzeugt, dass sie ihren Mann irgendwann verlassen würde. Nach ihr sollten Geld und Land an mich gehen. Sie starb, und Großvater Thurkettle verwaltete es, dann starb er -«
»Und Fergus Thurkettle verwaltete es.«
»Ja, ich fürchte, so war es. Er hat bis zu meinem achtzehnten Geburtstag Verfügungsgewalt.«
»Und was geschieht dann?«
»Dann fällt alles mir zu. Gerade mal vor zwei kurzen Tagen verlor mein Onkel die Verfügungsgewalt.«
»Vor zwei Tagen -« er blickte sie ungläubig an. »Ihr wollt achtzehn sein?«
Der Unglaube in seinen graublauen Augen war verletzend. »Ja, ich bin achtzehn. Für wie alt habt Ihr mich denn gehalten?« Noch während sie die Frage stellte, war sie sich plötzlich nicht mehr sicher, ob sie die Antwort hören wollte.
»Eure Kleidung …«, mit einem Wink deutete er auf ihre schlackernde Männerkleidung. »Ich hielt Euch für ein Mädchen beim Spiel. Warum um alles in der Welt trägt eine Frau in Eurem Alter Burschenkleidung?«
Sein befremdeter Blick versetzte ihr einen Stich. »Ich habe in den Ställen gewerkelt, Sir Halyard, und ein paar andere Dinge erledigt, bei denen man sich leicht beschmutzt. Ich besitze nur zwei Kleider. Ein schlichtes und ein weniger schlichtes. Ich kann mir nicht leisten, sie zu beschmutzen.«
Auf einmal wurde Tessa ihre schäbige Aufmachung schmerzlich bewusst. Er sah so gut aus, und sie wirkte wie ein Gossenkind neben ihm. Dann meldete sich ihr Stolz. Schließlich hatte er nicht angekündigt, dass sie in feiner Gesellschaft verreisen würde. Man konnte wohl kaum von ihr erwarten, dass sie in ihrem besten Kleid im Verlies erschien, für den Fall, dass dort ein Mann in Ketten darauf wartete, sie in die Nacht hinauszuschleifen.
Revan wusste, dass er sie beleidigt hatte, und wollte sich entschuldigen. Dann wurde ihm bewusst, was sie da eben gesagt hatte, und er vergaß sein Vorhaben.
»Warum nur zwei Kleider? Was ist mit dem Geld?«
»Ich habe es Euch gesagt, mein Onkel hat über die Finanzen bestimmt.«
»Ja, aber soviel ich weiß, müsste er doch Erlaubnis gehabt haben, Geld aus diesem Vermögen zu entlehnen, um Euch eine Wohnstätte, Kleidung, Lehrer und dergleichen zu kaufen. Besaß er denn die alleinige Kontrolle?«
»Nein. Es gibt da zwei Anwälte, die ebenfalls ein Auge auf das Vermögen haben sollen. Ihnen müsste er Rechenschaft ablegen, zu welchem Zweck er Geld benötigt. Großvater Thurkettle hat seinem Sohn nicht voll vertraut, und so hat er ein paar Einschränkungen für meinen Onkel eingerichtet. Ich nehme an, meinem Onkel
Das Original HIGHLAND HEARTS erschien bei Kensington Publishing, New York
 
Vollständige deutsche Erstausgabe 07/2009
Copyright © 1992 by Hannah Howell Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlagillustration: © Pino Daeni via Agentur Schlück GmbH
eISBN : 978-3-641-03276-0
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