In der Südsee - Friedrich Gerstäcker - E-Book

In der Südsee E-Book

Friedrich Gerstäcker

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Beschreibung

Spannend und vielschichtig, tiefgründig und unterhaltend, informativ und faszinierend - ein Südseeabenteuer von Friedrich Gerstäcker. Seine Sujets und Figuren und detailierte Landschaftsbeschreibung waren Vorbild für Karl May.

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Friedrich Gerstäcker

In der Südsee

Inhaltsverzeichnis
In der Südsee
Der Walfischfänger
Die Bootsmannschaft.

Der Walfischfänger

1.

In der weiten und bequemen Korallenbai von Monui, einer der Tonga-Inseln, ankerte im Januar des Jahres 18** ein englischer Walfischfänger, die »Lucy Walker«, Proviant, Holz und Erfrischungen einzunehmen, und da sich die Eingeborenen ziemlich freundlich gezeigt, hatte die Mannschaft in Abteilungen Tag nach Tag Erlaubnis bekommen, an Land zu gehen und mit den Eingeborenen zu verkehren.

Der Kapitän selber, ein junger Mann, der seine erste Reise als Führer eines Schiffes machte, war viel zu entzückt von dem wundervollen Land, das er betreten, seine Freiheit nicht ebenfalls soviel als möglich benützen zu sollen, und unter den freundlichen Menschen, von dem alten Häuptling selber auf das herzlichste aufgenommen, vergingen die Tage in Zauberschnelle. Er schien zuletzt zwar ganz vergessen zu haben, daß er des Walfischfanges wegen in diese Breiten gekommen und selber gehen müßte, die Fische aufzusuchen, wenn er überhaupt deren fangen und sein Schiff voll Öl bekommen wollte.

Die Szenerie allein trug aber nicht die Schuld. Hua, Toanongas liebliches Töchterlein, hatte sein Herz mit einer Leidenschaft entflammt, der er sich selber im Anfang nicht klar bewußt war, die aber mit jedem Tage mehr Überhand gewann. Ja, je mehr ihm Gelegenheit geboten wurde, sich dem Gegenstand derselben zu nähern, und je weniger nah er doch demselben dadurch kam, vergaß er zuletzt selbst seine Pflicht gegen sein Schiff sowohl, wie seine Mannschaft, um noch immer kurze Zeit länger in der verführerischen Nähe des holden Mädchens zu weilen.

Hua nach ihrem heiteren, fröhlichen Wesen so genannt, sah den fremden jungen Mann gern bei sich, der ihr, der Tonga-Sprache vollkommen mächtig, noch von früheren Reisen her, viel von fremden Ländern und Völkern erzählen, und mit dem sie lachen und sich freuen konnte. An eine ernstere Neigung dachte sie nicht, denn sie wußte recht gut, daß solche Schiffe nur immer auf kurze Zeit an eine ihrer Inseln anlegten und dann wieder fortfuhren, vielleicht nie mehr zurückzukehren – was hätte ihr seine Liebe genützt? Übrigens war sie schon mit dem jungen Häuptling eines Nachbarstammes versprochen, der jeden Tag eintreffen konnte, sie abzuholen. Die Zeit bis dahin war ihr denn auch schon recht lang geworden, und etwas Erwünschteres hätte gar nicht kommen können als das fremde Schiff mit den weißen, wunderlichen und doch so freundlichen Männern.

Toanonga befand sich am besten dabei; der junge Engländer brachte, um ihn sich beliebt zu machen, jeden Tag neue Geschenke, und er sah sich dadurch bald in dem Besitz einer so bedeutenden Anzahl von Nägeln, Glasperlen, kleiner Spiegel, Messer, Beile, Kattun, und vor allem anderen Tabak, dessen Gebrauch er auch schon kennen gelernt, daß er schon anfing sich als einen Kapitalisten zu betrachten, der sich nun bald von seiner beschwerlichen Häuptlingsschaft werde in das Privatleben zurückziehen können, von seinen Renten zu leben.

So angenehm nun aber auch ein solches Leben der Mannschaft des Walfischfängers war, der sich, nach dem beschwerlichem Dienst an Bord, ein förmliches Paradies hier öffnete, so bedenklich schüttelten die Offiziere – Harpuniere und Bootssteuerer – darüber den Kopf. Eine Zeitlang hatten sich diese wohl mit ruhigem Behagen dem Stilleben der Inseln hingegeben; als dies aber immer noch kein Ende zu nehmen schien, gedachten sie auch ihres eigenen Nutzens, und wünschten ihr Geschäft wieder aufzunehmen, wegen dem sie doch eigentlich an Bord gegangen waren: nämlich Geld durch den Fang der hier mutwillig versäumten Fische zu verdienen.

Zuerst erinnerte der erste Harpunier den Kapitän, daß es später und später in der Jahreszeit würde, und sie schon gar nicht mehr daran denken dürften, ihrer ersten Absicht nach, Neuseeland anzulaufen. Die Mahnung half aber weiter nichts, als daß der Kapitän noch einmal sechs Klafter Holz bei den Eingeborenen bestellte, zu denen diese, wie er recht gut wußte, fast ebenso viele Wochen brauchten, es zu schlagen, und doch hatten die Leute an Bord schon jetzt alle Winkel und Ecken davon vollgestaut, – doch traten endlich die Offiziere zusammen und erklärten ihrem Vorgesetzten, daß sie ihm allerdings gehorchen und so lange hier bleiben müßten, wie er es für gut fände, daß sie aber bei ihrer Zurückkunft nach Liverpool jedenfalls Beschwerde oder vielmehr Klage auf Schadenersatz für versäumte Zeit gegen ihn einreichen würden, wenn er jetzt nicht bald die Anker lichte.

Kapitän Silwitch, so zum Äußersten getrieben und sich seinen Leuten gegenüber auch im Unrecht fühlend, beschloß nun einen entscheidenden Schritt zu tun und Toanonga selber um die Hand seiner Tochter zu bitten. Einer ihrer heidnischen Trauungszeremonien konnte er sich, als höchst unbedeutender Christ, leicht unterwerfen, und ehe er die Heimfahrt antrat, was noch ein paar Jahre dauern mochte, fand sich immer eine Gelegenheit, das Mädchen, wenn auch nicht genau an diese, doch vielleicht an eine der Nachbarinseln wieder abzusetzen – mit nach Hause durfte er sie natürlich nicht nehmen.

Toanonga saß mit Hua auf einer großen, aus langem Gras eingeflochtenen Matte, vor seiner Hütte, im Schatten eines gewaltigen Toa-Baumes, der mit dem Duft seiner Blüten die ganze Nachbarschaft erfüllte. Es war ein reizender Platz, gerade an der Mündung eines kleinen, aus den Höhlen kühl und plätschernd niedersprudelnden Bergbachs, der sich die klare Bahn unter wehenden Palmen und über moosiges Gestein brach und Blumen und Früchte als Tribut dem Meere zuführte. Mächtige Kokospalmen schüttelten ihre federartigen, rauschenden Kronen über seiner Flut, und die hohen, stattlichen Mapebäume mit ihren breiten, magnolienartigen Blättern und wunderlich geformten Stämmen deckten und beschatteten niedere Haine fruchtbeladener Orangen und Zitronen und duftender Blütenbüsche, die durch sie gegen die sengenden Strahlen der Sonne geschützt wurden.

Das Haus des Häuptlings war nur wie das seiner geringsten Untertanen aus trockenen gelben Bambusstäben aufgerichtet, und mit Zuckerrohrblättern fest, aber doch luftig und vollkommen regendicht, gedeckt. Ein kleiner dabei angelegter und mit dicht gedeckten dünnen Stangen umzäunter Garten (eine Quantität wild herumlaufender Ferkel darauf fernzuhalten, denen der Besuch des Hauses jedoch vollkommen freizustehen schien) enthielt Reihen gepflanzter Bananen und sogar einige Yams, und in feuchten Gruben gezogene Taro-Pflanzen, während dichtgesteckte Brotfruchtbäume, die jedoch auch überall wild gediehen, die Hauptnahrung der Insel anzeigten und ihre wohltätigen Äpfel vor die Türe ihres Eigentümers niederschütteln.

Toanonga schwelgte in der Verdauung eines eben genossenen vortrefflichen Frühstücks, eines mit heißen Steinen gerösteten Ferkels und Me, und dieser gleichsam eine höhere Weihe zu verleihen, hatte er einen Teil der erhaltenen Geschenke, besonders eine Anzahl Nägel und Glasperlen, einige Uniformknöpfe und vor allem anderen einen zerbrochenen Sporn, an dem das Rädchen aber noch gut war und wirbelte, vortrefflich vor sich ausgebreitet und betrachtete sie mit augenscheinlicher Genugtuung und Freude.

Kapitän Silwitch hätte wirklich keinen glücklicheren Moment für seine Werbung treffen – und keinen unglücklicheren Erfolg haben können.

Eine ganze Jagdtasche voll Geschenke für den König; Gegenstände, als ob ein Trödler seine Bude ausgeräumt und den Schutt zurückgeworfen, die Quantität vielleicht an den Eisenhändler zu verkaufen. Dazwischen fanden sich ein paar buntblitzende, blaue, großbeerige Glaskorallen von enormem Gewicht; ein kleiner, gesprungener Rasierspiegel, eine unechte goldene Quaste von irgendeiner Gardine, ein Argentanlöffel und besonders eine plattierte Schuhschnalle bildeten aber die Hauptbestandteile der Masse, die er, Hua dabei freundlich zulächelnd, vor den erstaunten Hou – Häuptling der Insel – und auf die Matten zu den Knöpfen und Perlen schüttete.

»Tangaloa segne mich!« rief der würdige Toanonga, als er die unvermuteten Schätze aus dem ganz unscheinbaren Lederbeutel auf sich förmlich herabregnen sah, ohne in dem Augenblicke eine Ahnung zu haben, welchem glücklichen Ereignisse er diese fabelhafte Freigebigkeit des fremden weißen Mannes verdanke, – »der Fremde hat sein ganzes Kanoe geplündert, die Augen seines Freundes mit seinen Schätzen glücklich zu machen, Si-li-wi« – (eine natürliche Verunstaltung des Namen Silwitch, da die Insulaner nur sehr schwer zwei Konsonanten hintereinander in einer Silbe aussprechen können) »soll Brotfrucht und Kokosnüsse, Bananen und Turo, Ferkel und Fische haben, so viel er will auf sein Schiff. Si-li-wi ist ein Ehrenmann und darf sich eine Gnade erbitten.«

»Und gebe Gott, daß du sie erfüllst, würdiger Greis,« sagte der junge Mann halb lachend, halb verlegen, »ich komme allerdings heute Morgen mit einer großen Bitte an dich, oder eigentlich an – Hua an deiner Seite, deren Erfüllung mich unendlich glücklich machen würde.«

»An mich?« fragte Hua errötend, während sie von ihrer Matte aufsprang und den Fremden überrascht ansah; »willst du noch mehr von den wunderlichen weiß- und rotgefleckten Korallen, die wir in der Bai da drüben gesucht? oder soll ich dir Perlen holen lassen, unten vom Grund herauf? Ich weiß auch –«

»Halt, halt, Mädchen, mach' mich nicht toll mit deinen freundlichen Worten!« bat der junge Mann abwehrend. »Es ist mehr als alles das, und nun, Toanonga, soll es auch heraus, denn lange Reden bin ich doch nicht imstande zu machen. Hier sind die Geschenke, du sollst noch mehr haben, Tabak, Feuerwasser, Messer, Beile, Kattun – auch ein Gewehr hab' ich für dich bestimmt, das den Blitz und Donner in sich trägt, und womit du deine Feinde besiegen und dir untertan machen kannst.«

» Mea fanna fonnua?« rief Toanonga rasch, der bei der Aussicht auf solchen Besitz alles andere in dem Augenblick vergaß. »Wäre nicht übel; Toanonga möchte ungemein gern Mea fanna fonnua haben.«

»Und du gibst mir Hua?« rief der Engländer rasch und freundlich.

»Hua?« sagte der alte Häuptling erstaunt, während das Mädchen bestürzt und errötend dabeistand und kein Wort zu erwidern wagte. »Hua gehört nicht mein, kann ich nicht vergeben; gehört Tai manavachi, ist Tai manavachis ohana.«

»Ohana?« wiederholte der junge Mann bestürzt und erschreckt, denn das Wort bedeutet in der Tongasprache Braut sowohl als Frau. »Ohana? – seit wann?«

»Bah, nicht so lange,« sagte der Alte kopfschüttelnd und die vor ihm ausgebreiteten Geschenke ein wenig mehr nach sich herüberschiebend, als ob er eine ungewisse Ahnung hätte, daß der Fremde, wenn er den angebotenen Tausch nicht eingehen wolle, diese am Ende auch wieder zurückziehen könne. »Muß heute oder morgen kommen, sie zu holen.«

»Holen? – wohin?«

»Nach Tongatabu – große Insel, großer Häuptling,« setzte der Alte mit einiger Selbstzufriedenheit hinzu; »wird Ohana dort und bekommt große Strecke Land.«

» Wird Ohana?« rief Silwitch aber, dem noch ein Strahl von Hoffnung dämmerte, »also ist sie noch nicht seine Frau, und wenn mich Hua lieber hat als den braunen Burschen, da denk' ich, soll sie sich bei mir so wohl befinden wie bei Tai manacachi, – und was sagt Hua selber? – komm her, Mädchen, und sag' deinem Vater, daß du mir gut bist und mich zum Mann haben willst.«

»Ich dich zum Mann haben?« lachte aber die Schöne schelmisch, während ihr ein noch höheres Rot Wangen und Nacken färbte, »und wer hat dir das gesagt, Muli?«

»Nenn' mich nicht fremd, denn ich bin es nicht mehr!« rief der Engländer bittend. »Wenn du es mir auch noch nicht mit klaren Worten gesagt, hat es doch jeder Zug deines Angesichts, selbst der Ton deiner Stimme, der Blick deines Auges schon gesprochen!«

»Und willst du hier bei uns bleiben auf der Insel, und dein Schiff verlassen?« fragte der alte Häuptling vorsichtig.

»Mein Schiff verlassen? – jetzt? – nein, das geht nicht,« sagte der Fremde rasch, »ich muß nach Norden hinauf und Fische fangen, aber im nächsten Liha mua komme ich zurück mit Hua, wieder bei euch zu wohnen.«

»Mit Hua?« rief der Alte erstaunt und mit eigentümlichem, halb ernstem, halb drolligem Zug um die Lippen – »der tolle Muli wär's imstande. – Wolltest du das Mädchen mitnehmen auf dein Schiff?«

»Gewiß will ich,« rief der Seemann rasch, »und sie soll's gut haben bei mir und die Welt sehen. Toanonga, ich liebe deine Tochter so heiß und glühend, wie ich dir es gar nicht beschreiben kann, und du mußt sie mir zum Weibe geben.«

» Muß ich so?« lachte der Alte gutmütig; Hua aber, noch mehr errötend, sagte leise und vorsichtig, unter den halbgesenkten Wimpern zu ihm aufschauend:

»Und wenn Hua nun nicht will?«

»Du nicht wollen, Mädchen, und weshalb?« rief der junge Mann bittend.

»Und Tai manavachi?«

»Bah, Tai manavachi!« rief der Engländer verächtlich, »was schert der mich – er soll kommen und dich holen, wenn ich dich erst einmal habe.«

»Er ist ein tapferer Krieger!« rief aber der Alte jetzt rasch, »und hat seinen Namen danach bekommen. – Schlimm für den Feind, dessen Fährte er folgt.«

Silwitch schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Damit kommen wir nicht weiter,« rief er rasch; »ich frage dich, Toanonga, ob du mir Hua zum Weibe geben willst?«

»Warum fragst du nicht Hua selber, ob sie dich haben will?« sagte der Alte mit seinem trockenen Lachen.

»Weil ich ihrer Liebe gewiß bin,« rief der Engländer leidenschaftlich; »sie wird mit mir gehen, wenn du ihr die Erlaubnis gibst!«

»Frag' sie,« war alles, was Toanonga erwiderte.

Der junge Engländer wandte sich rasch dem schönen Mädchen zu und streckte den Arm nach ihr aus, aber Hua wich ihm rasch und entschlossen aus und rief:

»Nein – nein – ich bin die Braut eines anderen, fort mit dir, Pagalangi, was willst du von mir?«

»Hua!« rief aber der junge Seemann erschreckt. »Hua, ich kann nicht leben ohne dich und muß dich mein nennen, wende dich nicht ab von mir, und sei mein Weib.«

»Du bist unser Freund gewesen,« sagte das Mädchen, ernst und fast traurig mit dem Kopf schüttelnd, »und wir haben dich und die Deinen freundlich aufgenommen, was willst du mehr? Ich passe nicht zu euch, zu euren Sitten, eurer Sprache, eurer Religion, nicht zu den wilden Männern auf deinem Schiff. Ich will auf diesen Inseln bleiben, die meine Heimat sind.«

» Meine Einwilligung hast du,« lachte Toanonga in seiner trockenen Weise; »ich hab' es dir vorher gesagt.«

» Deine Einwilligung hab' ich, Toanonga?« rief Silwitch rasch und in furchtbarer Aufregung, durch den Spott vielleicht nur noch mehr gereizt.

»Ja, die hast du,« nickte der Alte lachend, »aber Hua will nicht.«

»Sei nicht so bös, weißer Mann,« sagte aber das Mädchen jetzt freundlich, ihm die Hand entgegenstreckend, »sieh, was würde Tai manavachi sagen, wenn er käme und fände mich, als das Weib eines anderen; bliebest du selbst bei uns auf der Insel, die ich nun einmal nicht verlassen kann und will. Hua sieht dich gern, aber sie kann dir nie angehören.«

Silwitch nahm die Hand und drückte sie in heftiger Aufregung, barg dann die Augen kurze Zeit in seiner Linken, und Toanonga sah, wie er einen heftigen Kampf mit sich selber kämpfe; aber er bezwang sich, und als er den Kopf wieder hob, sagte er ruhig und gefaßt.

»Es ist gut, Hua; wenn du mich nicht haben willst, kann ich dich nicht zwingen, aber – ich hatte es gut mit dir gemeint, und – du hast mir weh – recht weh getan. Das ist jetzt vorbei, und ich werde nun wieder fortsegeln von hier, und wahrscheinlich nie – nie wieder zurückkehren, nach Monui. – Wirst du noch manchmal meiner dann gedenken?«

»Wenn ich ein Segel am Horizonte sehe, werde ich wünschen, daß es das deine ist,« sagte Hua in ihrer einfachen Herzlichkeit, ihm treu und kindlich dabei ins Auge schauend.

»Und wann willst du gehen, cowtangata?« fragte der Alte jetzt, anscheinend gleichgültig, aber vielleicht mit dem unbestimmten Wunsch, das Gespräch auf einen fernen Gegenstand zu bringen, und nicht auf die noch vor ihm ausgebreiteten Geschenke zurückzuführen, die er eines nach dem anderen, vorsichtig und sorgfältig hinter sich und aus Sicht brachte.

»Ich weiß es noch nicht,« erwiderte der Engländer ruhig; »ich habe noch Holz bei deinen Leuten bestellt, das ich zuerst an Bord nehmen möchte. Willst du mich los sein?«

»Nein, nein, bewahre!« rief der Häuptling rasch und erschreckt; »du bist willkommen, so lange auf der Insel zu bleiben, wie es dir gefällt – nachher kannst du gehen. – Und wollen die Pagalangis selber ihr Holz schlagen?«

»Nein, ich habe deine Leute schon dafür bezahlt,« sagte der Engländer »und glaube, sie sind mitten in der Arbeit; bis morgen abend soll ich es an Bord haben.«

»Es ist gut – ich will es dir wünschen,« erwiderte der Alte mit einem etwas zweideutigen Lächeln. Ob es Silwitch aber bemerkte oder nicht, er schaute einen Augenblick sinnend vor sich nieder, nickte dann mit einem kaum unterdrückten Seufzer Hua, etwas lebendiger ihrem Vater zu, und schritt mit verschränkten Armen und gebeugten Hauptes langsam dem Strande zu, wohin er sein Boot beordert hatte, ihn wieder an Bord zu rudern.

2.

Die Bootsmannschaft hatte sich indessen, auf ihren Kapitän wartend, die Zeit bestmöglichst vertrieben, Kokosnüsse abgepflückt, Orangen ausgesogen, getrunken und sich dann in den Schatten eines engverwachsenen Pandanus-Dickichts auf den bröckligen, fast pulverisierten Korallenboden niedergeworfen, sich von den Anstrengungen des Fruchtsammelns zu erholen.

Es waren lauter englische Matrosen, und nur ein Schotte unter ihnen, namens, Mac Kringo, scherzweise gewöhnlich Lord Douglas genannt. Das Gespräch drehte sich aber natürlich um das herrliche Leben, das sie hier geführt, und das, wie sie jetzt fast fürchten mußten, bald ein Ende nehmen würde, wenn sich der Kapitän nicht, trotz der Offiziere, noch einmal anders besänne und doch an Lande bliebe.

»Hol's der Teufel, Jungen!« sagte der eine Matrose, den die anderen seiner ungemein großen Vorliebe für Fische wegen und in einer sonderbaren Verwirrung der Heiligen Schrift Jonas nannten, »wenn ich Kapitän der »Lucy Walker« wäre, ich wollte den Teufel tun und ihr Kupfer so rasch wieder gegen Eisschollen reiben, wo ich selber hier einen solchen kapitalen Hafen gefunden hätte. Der Böse mag sich die Walfische selbst fangen, wenn er sie haben will, ich bin nicht eigennützig und gönne ihm gern den Verdienst.«

»Das glaub' ich, daß du den Walfischen das Wort redest, Jonas,« lachte Mac Kringo, ihn von der Seite anblinzelnd, »bei dir ist's alte Anhänglichkeit.«

»Ah bah, mein bonny scotsman,« brummte aber der Engländer, »wenn du nichts Besseres weißt, so bleib' mit deinen abgedroschenen Witzen zu Hause; die sind auf meinem Namen schon lange stumpf geworden. Gib uns aus deinem allzeit fertigen Hirn einen Rat, wie wir anständigerweise hier bleiben können, denn zum Weglaufen ist die Insel zu klein, und ich will dir dann zugestehen, daß du wirklich Grütze im Kopfe hast. Bis dahin aber laß mich zufrieden mit dem, was du glaubst oder nicht; sag' uns, was du weißt.«

»Guter Rat wäre da nicht das erstemal an Narren fortgeworfen,« brummte der unhöfliche Schotte ärgerlich in den Bart, »und wenn der liebe Gott herunterkäme und euch sagte, wie ihr's machen solltet, hättet ihr noch drei Bedenken und fünf Aber. Nein, geht mir fort; mit euch ist nichts anzufangen, und wenn ich das wüßte, ich behielt's für mich.«

» Wenn er was, wüßte,« spottete ein anderer, » Legs« – »Beine« – von einem Paar etwas kurzer und eingebogener Extremitäten so genannt. »Lord Douglas tut wahrhaftig, als ob er etwas im Hinterhalt hatte und uns nun für würdig hielt, die Geschichte mitanzuhören. Das ist das billigste Mittel jedenfalls, dick zu tun. Nein, Kinder, unsere Zeit ist abgelaufen, und ich müßte mich, nach allen Vorbereitungen zu urteilen, sehr irren, wenn wir nicht schon morgen abend um diese Zeit wieder unsere regelmäßige Wacht gehen und uns die Hälse abdrehen, nach den Schwarzkitteln auszuschauen. Wasser und Proviant ist genug an Bord, und auf das bestellte Holz kommt's dann gerade auch nicht so sehr an, ob wir das einwerfen oder nicht. Der Raum ist überdies so voll, daß wir's eine Zeitlang mitten auf Deck und im Weg lassen müßten, und der erste Harpunier würfe die verfluchten Scheite eigenhändig über Bord, wenn er sich ein einziges Mal die Schienbeine daran stieße.«

»Ja, auf unsere Schienbeine würd' es da auch nicht besonders ankommen,« knurrte ein anderer, der den allerdings nicht empfehlenden Beinamen Lemon hatte, weil er fortwährend und selbst bei seinem allerdings sehr seltenen Lachen genau solch ein Gesicht schnitt, als ob er ganz plötzlich aus Versehen in eine Zitrone gebissen hätte. »Es ist eine verwünscht kuriose Einrichtung in der Welt, man mag's betrachten, wie man will, und wir armen Matrosen ziehen immer den kürzeren. Schon beim Verteilen, wir haben den hundertzwanzigsten, der Kapitän hat den achtzehnten Teil, und wer fängt die Fische, wir oder er?«

»Nun, du nicht, Lemon, mit deinem ewigen Räsonnieren,« brummte der Schotte, »denn wenn dir nicht jedesmal beim Anrudern das Maul verboten würde, kämen wir auch jedesmal zu spät zum Zulangen.«

»Zankt euch nicht noch den letzten Tag, den wir vielleicht an Land sind,« fiel Jonas hier rasch ein, als er sah, daß Lemon boshaft darauf erwidern wollte; »hier, mit festem Boden unter uns, sind wir doch alle gleich, und die vom Lande fragen nicht danach, ob wir an Bord den achtzehnten oder hundertachtzigsten Teil bekommen. Jungens, Jungens, mir bricht das Herz ordentlich, wenn ich daran denke, daß wir hier fort sollen.«

»Herzbrechen?« knurrte Lemon, »das wäre der Mühe wert; kommt auch gar nicht vor in der Welt, daß einem das Herz bricht, und ich weiß nur einen einzigen Fall, wo wirklich einmal jemand an gebrochenem Herren gestorben ist.«

»Aus deiner Bekanntschaft?« rief Jonas ungläubig.

»Aus meiner Bekanntschaft,« erwiderte der Matrose ruhig; »es war der »lange Tom«, wie wir ihn nannten, der hatte in Bristol, wo wir damals vor Anker lagen, mit einem anderen Kameraden, ich weiß nicht mehr um was, gewettet, er wollte einen verdammt schweren Wurfanker von seinem Dock bis zu dem, wo unser Schiff lag, ohne abzusetzen, tragen – und er trug ihn auch, aber – er lebte keine fünf Minuten mehr – der Anker hatte ihm das Herz gebrochen.«

Die anderen lachten, der Schotte blinzte Jonas aber heimlich und verstohlen mit den Augen an, und sah nach dem Busch hinüber, ein Zeichen, das dieser zu verstehen schien, denn er warf erst einen flüchtigen Blick auf seine Kameraden, ob ihn niemand beobachte, und nickte dann zurück, daß er kommen werde.

»Wenn man's so bedenkt,« sagte Legs nach einer kleinen Pause, die Augenbrauen fest zusammengezogen, und mit kleinen Stücken Koralle, die er vor sich aufnahm, nach einer noch unreifen, am Boden liegenden Orange werfend, »wenn man's so bedenkt, was wir da draußen in See für ein Hundeleben führen, Tag und Nacht in Arbeit und Gefahr, mit schlechter, salziger Schiffskost und knappem Grog, kein freundliches Gesicht zu sehen als Lemons, am Tag in einer Hundekälte zu rudern, daß einem die Arme mit den Wurzeln ausreißen möchten, und nachts die verdammten Stücke Blubber an Deck zu werfen und auszukochen; einmal halb erfroren, einmal halb verbrannt, und wenn man nachher von einer dreijährigen Reise zurückkommt, vielleicht noch mit zehn Pfund Sterling Schulden im Buch für Kleider und Schuhwerk, das man haben mußte die Zeit über, und dem Schiff zu bezahlen hat, als ob sie von Gold und Seide gewesen wären, – nein, das soll verdammt sein. Und dann dagegen hier die roten Schufte, was die für ein Götterleben in all ihren Bequemlichkeiten führen; nicht rühren tun sie die faulen Knochen, als vielleicht einmal auf einen Brotfrucht- oder Kokosnußbaum zu steigen, oder einen Fisch mit der Holzharpune aus dem seichten Wasser zu holen, die kleine Insel ist zum Überlaufen voll von hübschen Mädchen, und man kann den ganzen Tag in Hemdsärmeln gehen. – Hol's der Henker, der liebe Gott hätte mir keinen größeren Gefallen tun können, als mich ebenfalls braun anzustreichen – die Farbe hält besser, und was spart man an Überzügen.«

»Ich hätte auch nichts dagegen!« rief ein anderer mit einer feinen, kreischenden Stimme dazwischen, der eigentlich Roberts hieß, seines Organes wegen aber gewöhnlich »Pfeife« genannt wurde, »denn auf das bißchen Couleur wird einem doch nichts zugute getan; was will aber der Mensch machen? Wir müssen doch immer noch Gott danken, daß er nicht in den ganz schwarzen Topf gegriffen, denn dann wären wir geleimt gewesen zeitlebens.«

»Bah, was sind wir besser als Sklaven?« brummte Legs; »die können doch wenigstens heiraten und an Land bleiben, und was können wir? Hol' der Teufel das Seeleben; wenn man eine Weile draußen ist, gewöhnt man sich zuletzt daran, und es kommt einem sogar manchmal ganz hübsch vor; wie man aber nur wieder den Fuß auf festes Land, und besonders auf solches Land setzt, ist auch der Teufel los, und es zwickt und reißt einen wieder, daß man sich ordentlich die Beine festhalten muß, um nicht davonzulaufen.«

Der Schotte war indessen aufgestanden, und am Strande hin, nach den einzelnen Kokospalmen hinaufschauend, als ob er sich eine Nuß aussuchen wolle, langsam in den dichten Busch geschlendert, der den Korallenboden begrenzte, und Jonas erhob sich ebenfalls, zog sich den Bund seiner Segeltuchhose auf, spuckte sein Priemchen aus und biß ein frisches ab und setzte sich den auf der Erde verschobenen Hut wieder fester auf das in kleine, krause Löckchen gedrehte Haar.

»Nun, dir wird wohl die Zeit lang,« sagte Pfeife, sich noch bequemer ausstreckend und ein Bündel Kokosnußbast unter den Kopf schiebend, weicher darauf zu liegen, »ich kann's abwarten – zum Henker, daß man nun nicht einmal das Glück hat, an irgendeiner solchen Korallenbank hier – und Zeug ist genug da – ordentlich auf den Strand und festzukommen. Das wäre doch ein kapitaler Spaß, wenn wir nachher eine Kolonie gründeten und uns häuslich einrichteten – ich weiß auch, wen ich heiratete.«

»Ja, wenn wir einmal auf den Strand kommen,« knurrte Lemon dazwischen, »so kannst du dich darauf verlassen, daß es auch im Schnee und Eis und ohne Fausthandschuh ist; unser Glück kenne ich; rennen wir aber nicht auf, so magst du Gift darauf nehmen, Kamerad, daß die »Lucy Walker« droben noch drei volle Jahreszeiten herumschwimmt, und nachher immer noch nicht voll ist. Ich habe meine Hoffnung jetzt auch nur auf nächsten Winter gesetzt, da wird »der Alte« schon dafür sorgen, daß wir wieder hier anlaufen.«

Jonas hatte sich indessen, ohne weiter teil an dem Gespräch zu nehmen, ebenfalls langsam und scheinbar ohne besonderen Zweck von der in dem Pandanusschatten gelagerten Gruppe entfernt, und hier an einem Busch schüttelnd, dort sich einen Zweig niederbiegend und vielleicht abbrechend, kam er nach und nach aus Sicht. Dann aber eine Richtung einschlagend, die ihn näher dorthin brachte, wo Mac Kringo vor ihm verschwunden war, traf er auch diesen bald, seiner harrend, unter einer kleinen Gruppe von Kokospalmen und Kasuarinen, von wo aus er ihm winkte hinanzukommen.

»Was zum Teufel hast du denn nur, Douglas,« sagte Jonas kopfschüttelnd, als er das geheimnisvolle Wesen des Kommenden sah. »Du willst doch nicht etwa auskneifen, mein Bursche? – das gib auf, denn du weißt nicht, wie dick der Kapitän mit dem alten Häuptling ist, und wie er überhaupt nur auf eine anständige Entschuldigung wartete, noch länger hier liegen zu bleiben; der holte dich wieder, und wenn er die ganze Jahreszeit darum versäumen sollte.«

»Schrei' doch nicht, als ob du ein Segel draußen bei einem steifen Nordwester anrufen müßtest, Mate,« brummte der vorsichtige Schotte mit gedämpfter Stimme; »es fällt mir nicht ein, solchen tollen Gedanken zu haben, aber – hättest du was dagegen, Kamerad, wenn wir hier an Land blieben und Brotfrucht und Schweinefleisch rösteten, wie Christen, anstatt hinter den alten, schmierigen Fischen herzufahren wie ein Trupp Narren, und für andere Leute, die zu klug sind, selber zu gehen, Brennöl zu holen? – Hättest du was dagegen, mir zu helfen einen gescheiten Gedanken auszuführen, bei dem wir nicht die geringste Gefahr laufen, wenn wir – das Maul halten und unser eigenes Geheimnis bewahren können?«

»Frag' mich, ob ich lieber Grog trinke als Salzwasser,« knurrte der Matrose; »laß die Vorrede, und komm' zur Sache, wenn du wirklich was hast, denn der Alte kann alle Augenblicke herunterkommen und pfeifen, und dann müssen wir fort.«