Reisen, Band 5 - Java - Friedrich Gerstäcker - E-Book

Reisen, Band 5 - Java E-Book

Friedrich Gerstäcker

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Beschreibung

Dies ist Band fünf von fünf in denen der große Reise- und Abenteuerschriftsteller von seinen Erlebnissen berichtet. Friedrich Gerstäcker war ein deutscher Schriftsteller. Er ist vor allem durch seine Bücher über Nordamerika bekannt .

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Reisen, Fünfter Band – Java

Friedrich Gerstäcker

Inhalt:

Friedrich Gerstäcker – Biografie und Bibliografie

Reisen, Fünfter Band – Java

1. Batavia und sein erster Eindruck.

2. Das chinesische Viertel.

3. Buitenzorg und ein Ritt in's Innere.

4. Bandong und die Theeplantage.

5. Der Jagdzug.

6. Die Kaffeeplantage und der Krater Tancuban prau.

7. Die Rhinocerosjagd.

8. Nach Batavia zurück. Die Cochenilleplantage.

9. Leben in Batavia.

10. Japan und der japanische Toko.

11. Skizzen aus Batavia.

12. Die blaue Flagge.

13. Die Heimfahrt.

Reisen, Band 5, F. Gerstäcker

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849615628

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Friedrich Gerstäcker – Biografie und Bibliografie

Roman- und Reiseschriftsteller, geb. 10. Mai 1816 in Hamburg, gest. 31. Mai 1872 in Braunschweig, Sohn eines seinerzeit beliebten Opernsängers, kam nach dessen frühzeitigem Tode (1825) zu Verwandten nach Braunschweig, besuchte später die Nikolaischule in Leipzig, widmete sich dann auf Döben bei Grimma der Landwirtschaft und wanderte 1837 nach Nordamerika aus, wo er mit Büchse und Jagdtasche das ganze Gebiet der Union durchstreifte. 1843 nach Deutschland zurückgekehrt, widmete er sich mit Erfolg literarischen Arbeiten. Er gab zunächst sein Tagebuch: »Streif- und Jagdzüge durch die Vereinigten Staaten von Nordamerika« (Dresd. 1844, 2 Bde.; 5. Aufl., Jena 1891) heraus, schrieb kleine Sagen und Abenteuer aus Amerika nieder und wagte sich endlich an ein größeres Werk: »Die Regulatoren in Arkansas« (Leipz. 1845, 3 Bde.; 10. Aufl., Jena 1897), worauf in rascher Reihenfolge »Der deutschen Auswanderer Fahrten und Schicksale« (Leipz. 1847; 3. Aufl., Jena 1899), »Mississippibilder« (Leipz. 1847–48, 3 Bde.), »Reisen um die Welt« (das. 1847–48, 6 Bde.; 3. Aufl. 1870), »Die Flußpiraten des Mississippi« (das. 1848, 3 Bde.; 10. Aufl. 1890) und »Amerikanische Wald- und Strombilder« (das. 1849, 2 Bde.) neben verschiedenen Übersetzungen aus dem Englischen erschienen. 1849–52 führte G. eine Reise um die Welt, 1860–61 eine neue große Reise nach Südamerika aus; 1862 begleitete er den Herzog Ernst von Koburg-Gotha nach Ägypten und Abessinien. 1867 trat er eine neue Reise nach Nordamerika, Mexiko und Venezuela an, von der er im Juni 1868 zurückkehrte. Seine letzten Jahre verlebte er in Braunschweig. Seine spätern Reisen beschrieb er in den Werken: »Reisen« (Stuttg. 1853–1854, 5 Bde.); »Achtzehn Monate in Südamerika« (Jena 1862, 3. Aufl. 1895) und »Neue Reisen« (Leipz. 1868, 3 Bde.; 4. Aufl.). Gerstäckers Reisen galten nicht wissenschaftlichen oder sonstigen allgemeinen Zwecken, sondern der Befriedigung eines persönlichen Dranges ins Weite; seine Schilderungen sind daher vorwiegend um ihrer frischen Beobachtung willen schätzbar. Ebenso verfolgte der fruchtbare Autor bei seinen zahlreichen Romanen und Erzählungen schlechthin Unterhaltungszwecke. Wir nennen davon: »Der Wahnsinnige« (Berl. 1853); »Wie ist es denn nun eigentlich in Amerika?« (2. Aufl., Leipz. 1853); »Tahiti«, Roman aus der Südsee (5. Aufl., das. 1877); »Nach Amerika« (das. 1855, 6 Bde.); »Kalifornische Skizzen« (das. 1856); »Unter dem Äquator«, javanisches Sittenbild (7. Aufl., Jena 1902); »Gold« (4 Aufl., Leipz. 1878); »Inselwelt« (3. Aufl., das. 1878); »Die beiden Sträflinge« (5. Aufl., das. 1881); »Unter den Penchuenchen« (das. 1867, 3 Bde.; 4. Aufl. 1890); »Die Blauen und Gelben«, venezuelisches Charakterbild (das. 1870, 3 Bde.); »Der Floatbootsmann« (2. Aufl., Schwerin 1870); »In Mexiko« (Jena 1871, 4 Bde.) etc. Seine kleinern Erzählungen und Skizzen wurden unter den verschiedensten Titeln gesammelt: »Aus zwei Weltteilen« (Leipz. 1851, 2 Bde.; 6. Aufl. 1890); »Hell und Dunkel« (das. 1859, 2 Bde.; 6. Aufl. 1890); »Heimliche und unheimliche Geschichten« (das. 1862, 3. Aufl. 1884); »Unter Palmen und Buchen« (das. 1865–67, 3 Bde.; 3. Aufl. 1896); »Wilde Welt« (das. 1865–67, 3 Bde.); »Kreuz und Quer« (das. 1869, 3 Bde.); »Kleine Erzählungen und nachgelassene Schriften« (Jena 1879, 3 Bde.); »Humoristische Erzählungen« (Berl. 1898) u. a. Unter seinen Jugendschriften verdienen »Die Welt im Kleinen für die kleine Welt« (Leipz. 1857–61, 7 Bde.; 4. Aufl. 1893), unter seinen Humoresken besonders »Herrn Mahlhubers Reiseabenteuer« (das. 1857, 11. Aufl. 1896) Auszeichnung. Gerstäckers »Gesammelte Schriften« erschienen in 44 Bänden (Jena 1872–79), eine Auswahl in 24 Bänden, hrsg. von Dietrich Theden (das. 1889–90); »Ausgewählte Erzählungen und Humoresken«, hrsg. von Holm in 8 Bänden (Leipz. 1903).

Reisen, Fünfter Band – Java

1. Batavia und sein erster Eindruck.

Freitag den 7. Nov. (1851) hatten wir endlich nach langer, durch die ewigen Windstillen wahrhaft verzweifelter Fahrt, Java's Höhe erreicht, und segelten nun mit günstiger Brise in die Sunda-Straße ein, die durch Java und Sumatra gebildet wird. O, wie wohl das schattige Grün der javanischen Küste, an der wir dicht vorbeihielten, dem Auge that; endlich einmal wieder Leben außer uns, endlich wieder einmal die Zeichen einer schaffenden, treibenden Menschenwelt. Ueber die stille Bay glitten die wunderlichen Prauen der Eingeborenen, mit ihren eigenthümlich gestellten Mattensegeln und scharf aufgebogenen Schnäbeln. Ein- und ausgehende Schiffe mit wehenden Flaggen zeigten sich da und dort in der Ferne, und eine Schaar munterer Tümmler, die nicht weit von uns ihre wilde Jagd durch die klare Fluth verfolgte, und manchmal mit dem ganzen glatten Körper übers Wasser schnellten, schien sich ordentlich darüber zu freuen baß wir endlich angekommen seyen, und begleiteten uns eine ganze Strecke Wegs – ohne jedoch ihre Freundschaft so weit auszudehnen daß sie in Harpunenwurfs-Nähe zum Schiff herangekommen wären.

So knapp waren wir – durch die ewig lange Windstille, und dadurch daß wir nicht ein einzigesmal einen ordentlichen Regen gehabt – mit Wasser geworden, daß der Capitän beabsichtigt hatte die Küste, Meeuven Island gegenüber, um Wasser anzulaufen; da aber die Brise so frisch und günstig wehte, gaben wir das wieder auf, denn mit dem Wind konnten wir Batavia in kurzer Zeit erreichen.

Links die Küste von Sumatra, mit ihrem ausdehnenden Gebirgsrücken, rechts die von Java, mit den spitzen kantenartigen Bergen, unter uns die ruhige, von einer günstigen Brise nur leicht bewegte See, über uns den blauen sonnigen Himmel, so fuhren wir in die Java-See ein, und mir war das Herz seit langer Zeit nicht so froh, so leicht gewesen.

Am nächsten Tag umsegelten wir Point Nicholas. Die ganze Bucht ist von hier aus wie mit kleinen Inseln besäet, und einzelne von diesen boten, mit ihren schattigen Fruchtbäumen und den tief darunter versteckten Häusern, einen wirklich reizenden Anblick. So die Insel Amsterdam, an der wir dicht vorbeifuhren, und die wahrlich mit ihren schaukelnden Prauen und Booten, den aus dem dichten Grün üppig heraussprossenden jungen Cocospalmen, den lauschigen Hütten und buntgekleideten Mädchengestalten, der leise plätschernden und doch weißbeschäumten Brandung und der ganzen sonnigen Umgebung, wie das Titelblatt zu einem wunderbaren herrlichen Märchenbuch aussah.

Am Abend landeten wir ziemlich dicht unter dem Reef einer andern unbewohnten Insel, lichteten am nächsten Morgen wieder die Anker und segelten die Rhede von Batavia an.

Es war Sonntag, und alle Schiffe flaggten! Mynheer war darunter am stärksten vertreten – überall wehte die holländische Flagge, doch zählte ich drei Amerikaner, mehrere Engländer, einen Franzosen, und dicht neben uns grüßte die Bremer Flagge vom »Ernst Moriz Arndt« herüber. Ein Hamburger der weiter draußen auf der Rhede lag, hatte nicht geflaggt.

Der Hafen von Batavia, oder vielmehr die Rhede (denn einen Hafen kann man das gar nicht nennen wo die Schiffe, weit vom Lande ab, in freier, offener See liegen müssen) bietet wenig anziehendes. Die einzeln umhergestreuten Inseln geben dem Bilde wohl einige Abwechselung, aber die javanischen Berge liegen zu weit in der Ferne, einen wirklichen Hintergrund zu bilden, und die nächste Küste, aus der nur hie und da die einzelnen Ziegeldächer der wirklichen Handelsstadt herausschauen, ist zu flach, um das Ganze selbst, dem Auge wohlthuend, einzufassen. Nur mit dem Fernrohr lassen sich die üppigen Palmenwälder der Niederung erkennen. Die Sonne brannte übrigens so gutmeinend auf uns herab, daß wir uns nicht mehr verheimlichen konnten wir hätten jetzt wirklich tropischen Boden erreicht.

Noch an demselben Tag kam ein Boot vom Wachtschiff zu uns, das Wie, Woher und Wohin des Schiffes zu erfahren – die Polizei ist überall neugierig – und schon vorher streiften die Raubvögel herüber, die kleinern Boote der Schiffsmäkler, die einander den Rang abzulaufen suchten, das Schiff für sich und ihre Besorgungen zu gewinnen.

Statt diesen »Geyern der Küste« wären mir freilich ein paar ordentlich beladene Fruchtboote lieber gewesen, es war aber Sonntag, und von diesen kam deßhalb keines an Bord, wohl aber noch eine Parthie Malayen, die sich dem Capitän zu Bootführern anbot. Es ist hier nämlich Sitte daß die Schiffe, ihre eigene Mannschaft in der Hitze zu schonen, eine Malayische Bootsbemannung mit ihrem Boot, für die Dauer ihres Aufenthalts in Batavia, engagiren. Diese Leute unterhalten dann die Communication mit dem Schiff und festen Lande, nehmen den Capitän herüber und hinüber, wie er es verlangt, bringen frisch Fleisch, Gemüse und Früchte an Bord. Dafür bekommen sie für vier Mann, wobei sie aber selbst das Boot stellen, vier Gulden Silber täglich (der Name Silber ist übrigens nur Ironie, denn der Gulden Silber ist Papier).

Ich hatte mich unterwegs tüchtig im Malayischen geübt, dennoch klangen mir hier die Worte, als ich sie wirklich und lebendig ausgesprochen hörte, wild genug durcheinander, einzelnes verstand ich aber doch davon und wußte daß das schon besser gehen würde, wenn ich nur erst einmal ordentlich in Uebung käme.

Um neun Uhr Morgens fuhren wir an Land und ich kann mir wohl denken wie ein Europäer, der noch keinen anderen Theil der Erde gesehen, und nach langer Seereise hier zum ersten Mal in dieser tropischen Welt ans Ufer steigt, erstaunt und überrascht sein muß von all dem Fremden, Wunderlichen, Neuen, das ihn umgiebt und auf ihn einbringt, that es mir doch selber wohl, einmal etwas wirklich Außergewöhnliches zu finden und nicht gleich im fremden Hafen wieder all dem alten Schlendrian der alten Welt zu begegnen, dem auf kurze Zeit zu entgehen, ich ja doch hinaus in die Welt gegangen war.

Ich glaube die Holländer fühlen sich nirgends wohl, wo sie nicht Dämme und Canäle graben und haben können – hier ist das wenigstens ebenfalls das erste, was den Fremden begrüßt und ein schmaler von Corallblöcken schwach genug aufgeführter Canal, führt durch die hier seichte See, viele hundert Schritt hinaus, den Booten eine in etwas geschützte und sichere Einfahrt zu gestatten. Bei unruhigem Wetter bricht sich die See aber hier auch mit solcher Gewalt, daß das Ein- und Auslaufen von Böten sehr häufig unmöglich oder doch so gefährlich wird, daß es nur wenige riskiren, und selbst diese wenigen selten ungestraft. Zu solchen Zeiten weht blauen Flagge, beladene Prauen dürfen dann nicht auslaufen und alle andern Fahrzeuge werden dadurch gewarnt und auf die ihnen drohende Gefahr aufmerksam gemacht.

Heut' hatten wir übrigens herrliches, ruhiges Wetter, die See war spiegelglatt und unsere Malayen brachten uns bald am Zollgebäude vorüber zum Landungsplatz, wo schon, durch den einen Schiffsmäkler bestellt, Wagen standen, uns in die Stadt selber hinaufzubringen.

Hier müßte ich übrigens tausend Federn und Hände haben, wollte ich zu gleicher Zeit all die verschiedenen Eigentümlichkeiten des fremden Landes, die dem Erstgekommenen weit mehr und stärker in die Augen fallen, auch zu gleicher Zeit schildern und beschreiben – Alles war mir neu und fremd, und ich gab mich deßhalb auch mit soviel größerem Wohlbehagen dem ersten Eindruck dieses eigenthümlichen südlichen Lebens hin.

Von einer Stadt war übrigens noch immer Nichts zu sehen – hie und da lange Waarengebäude, das geschäftige Leben und Treiben auf dem Kali besaar (großem Fluß) und im Canal über den man mit einiger Uebung hinüberspringen könnte – alterthümliche weitläufige Steingebäude, braune komische Gestalten in wunderliche geschmacklose Uniformen hineingesteckt; malayische Lastträger, die mit ihren Lasten – von einem mit der Schulter getragenen Stock vorn und hinten herunterhängend – langsam wenn sie leicht, rasch wenn sie schwer sind, durch die Straßen ziehen; niedere in Büschen versteckte theils Holz theils Bambushäuser, von rauschenden Cocospalmen überzweigt, von Bananen und andern Fruchtbäumen beschattet; Cabrioletartige Wagen mit Malayischen Kutschern und weißgekleideten Europäern oder »Halbracigen« sogenannten Liplaps, mit wunderbar kleinen Pferden davor – die erst in der That wieder eine natürliche Größe annehmen, wenn man eine Zeitlang in Batavia gewesen ist, und sich an sie gewöhnt hat –; langzöpfige Chinesen mit papiernen Schirmen und wunderlichen Hüten; in dem Fluß badende Eingeborene beiderlei Geschlechts, die sich das Schlammwasser mit einem Wohlbehagen in den Mund laufen lassen als ob es Nektar wäre; kleine Fruchtbuden und prachtvolle luftige Landhäuser, mit freundlichen Gärten und Veranden – das ist der erste Anblick, der erste Eindruck Batavias, und der Leser wird sich wohl denken können, daß sich dieß tolle Geräusch nicht Alles mit einem Blick auffassen, mit einem Umschauen halten läßt.

Die Stadt ist übrigens so entsetzlich weitläufig daß man schon seine Wege gar nicht zu Fuß abmachen könnte, wenn man selbst der Hitze trotzen wollte. Dazu kommt nun noch diese Heidenangst die der Fremde gewöhnlich von dem, als pestilenzialisch ausgeschrieenen Klima Batavia's mitbringt, und man kann sich denken daß ich mich selber nicht etwa über die Sitte hinweg, sondern ebenfalls in einen Wagen hineinsetzte, und dem Ort meiner Bestimmung, einem Handelshaus am Kali besaar zufuhr, an das ich von Sidney aus eine flüchtige Einführung hatte. Empfehlungsbriefe für Batavia besaß ich gar keine.

Herr Pandel empfing mich auf das freundlichste, seine Antworten auf meine Fragen aber wie und auf welche Art man am besten in das Innere kommen könne, lauteten so trostlos wie möglich. Fußtouren vor allen Dingen ganz unausführbar – Wälder undurchdringlich, außer mit Hülfe von einer unbestimmten Anzahl von Kulis; Reisen zu Pferde schwierig und in der heißen Sonne gefährlich, dabei von Europäern selten oder nie ausgeführt. Reisen mit der Post sehr leicht, aber ungemein kostspielig (hier stack die einzige Gefahr für mich) außerdem noch die Erlaubniß dazu sehr schwer von der Regierung zu erhalten; das waren nach seiner Ansicht meine Aussichten. Das entmuthigte mich aber sehr wenig – Schwierigkeiten hatte ich noch überall gefunden, wo ich das Innere eines Landes besuchen wollte, d. h. nur beim Auslaufen, an Ort und Stelle hoben sie sich aber gewöhnlich von selber, und ich hoffte denn auch bald meinen Wunsch, das Innere Java's zu sehen, in Ausführung zu bringen. Herr Pandel empfahl mir übrigens das Hotel wo er selber wohnte und Capitän Schmidt und ich fuhren den Mittag noch nach Ryswyk hinaus, zwei Zimmer zu belegen.

Die Fahrt dorthin war reizend, an dem kleinen eingedämmten Fluß, der übrigens vollkommen einem Canal gleicht, hinauf, zwischen zwei Reihen herrlicher Landhäuser hin. Dabei das frische Grün der wahrhaft wundervollen Vegetation, die Fächer und Cocospalmen, die stattlichen Waringhis oder Banianbäume und Casuarinen, die weiten reinlichen säulengetragenen Gebäude bei denen man einen freien Blick in die geschmackvoll decorirten Zimmer und Salons gewinnt; das geschäftige Leben und Treiben der arbeitenden Klasse, die hier nur unter der farbigen Bevölkerung zu suchen ist, die vielen Fruchtverkäufer mit ihren, nach langer Seereise so sehr verführerischen Lasten, der frische Luftzug beim raschen Fahren, das Alles machte einen wunderbar wohlthuenden Eindruck auf mich, und das luftige elegante Hotel der Nederlanden von Herrn Hogezand mit seinen Marmorplatten, Spiegeln und Astrallampen, schattigem Hofraum und freundlichen Zimmern und noch viel freundlicherem Gesicht das uns empfing, diente wahrlich nicht dazu den Eindruck zu schwächen.

Dieser Tag wurde aber auch zu einem Rasttag bestimmt und wir verbrachten den Abend sehr angenehm in der Gesellschaft noch mehrerer anderen Deutschen, die das Hotel ebenfalls bewohnten.

Hier fand ich auch deutsche Zeitungen – Weser und Augsburgische, doch ich ersparte mir den Schmerz sie zu lesen auf eine spätere Zeit – ich wollte mir nicht gleich den ersten Tag auf Java, auf eine so leichtfertige Weise selber verderben. Aber ich fand auch Briefe aus Deutschland, zwar all und vom Februar, aber doch von den Meinen und der Tag meiner Ankunft wurde so zu einem wirklichen Feiertag.

Dienstag den 11. Novbr. holte ich meine Sachen vom Bord der Wilhelmine und richtete mich in Batavia häuslich ein. Es that mir fast leid das alte brave Schiff zu verlassen; mein Aufenthalt darauf war so lang und so angenehm gewesen daß es mir fast vorkam als ich die Fallreepstreppe hinunterstieg, als ob ich einen lieben Freund verlasse, in dem Capitän der Wilhelmine hatte ich aber auch wirklich einen wahren Freund gefunden, und es freute mich jetzt nur noch, in Batavia einige Zeit mit ihm zusammen seyn zu können.

Am nächsten Tag geschah ebenfalls nicht viel – ich war noch zu fremd in der Stadt und mußte erst etwas bekannter werden. Das ganze Leben war mir auch noch zu neu, zu ungewohnt, ja ich möchte wohl sagen zu reich und üppig, als daß ich mich so gleich mit dem ersten Ansprung hineingefunden hätte. Wäre es ein Lager im Walde gewesen, mit einer einfachen wollenen Decke als Schutz gegen Regen und Kälte, und einem Stück Fleisch als Nachtmahl und Frühstück, ich wäre eher wieder eingewohnt gewesen; aber in die vielerlei süßen und saueren, heißen und kalten Speisen, in die complicirten Einrichtungen mit Gott weiß wie vielen paaren Messern und Gabeln, mit Fingergläsern und Servietten, in das ewige Tellerwechseln rücksichtsloser Malayen, die einem die besten Bissen unter dem Munde wegzogen, wenn man den eigenen Teller nur einen Augenblick aus den Augen oder Händen ließ, und nun noch außerdem die fremde Sprache der wunderlich genug aussehenden Kellner, die für Alles einen andern verkehrten Namen hatten, das Alles trug viel dazu bei, daß mir das Ganze in den ersten Tagen doch nicht so gemüthlich und bequem erschien wie es eigentlich wirklich war. Ich gewöhnte mich aber sehr bald daran, an das Bessere gewöhnt sich ja der Mensch so rasch, und lernte sogar in kurzer Zeit die geheimnißvollen malayischen Namen für Huhn und Fleisch, für Brod, Früchte und Gewürze. Komisch klingt übrigens das Malayisch, besonders an solcher Tafel, wo eine Unmasse Dinge vorkommen, die in gar keinem Malayischen Wörterbuch stehen, die der Malaye auch gar nicht, vor seinem Zusammentreffen mit den Europäern kannte, und deren Benennung er deßhalb auch natürlich mit den Neuerungen aus ihrer Sprache herüber nehmen mußte. Portugiesisch oder Spanisch und Holländisch haben dabei die meisten, ja fast die einzigen Benennungen gegeben und ich mußte ein paar Mal laut auflachen wenn ich die Gäste einem der aufmerksam und ernsthaft zuhorchenden Malayen zurufen hörte – Kassi bottel bier sama korktrek – kassi fricadellen etc. etc. Das komischte Wort von allen aber, obgleich das hier nicht bei Tisch gebraucht wurde, und was ich selber nie mit einem ernsthaften Gesicht aussprechen konnte ist das förmlich Malayisch gewordene snapang – »und was soll das bedeuten?« fragt der Leser, weiter nichts als Gewehr, nach dem Holländischen snaphahn malayisirt; dieß snapang ist wirklich zum todtschießen.

Unangenehm war mir im Anfang das ewige api (Feuer) rufen, wenn irgend Jemand sich nicht die Mühe nehmen wollte an der brennenden Cigarre seines Nachbars oder an dem vor ihm stehenden Licht die seine anzustecken, und lieber den Jungen mit der zu diesem Zwecke wirklich vestalischen cair Lunte aus der entferntesten Ecke des Zimmers zu sich rief. Das api wird dann auch noch gewöhnlich mit einem näselnden und stets streng herrischen Befehl gerufen, und wenn ich auch zuerst glaubte der Widerwillen gegen diese fatale Angewohnheit werde sich geben, so war das doch nicht der Fall, im Gegentheil wurde er mit der Zeit stärker, und ich schaffte mir zuletzt selber ein Feuerzeug mit ächt patriotischem Stahl und Schwamm an, um nur nie selber in die Gefahr zu kommen mitschuldig an einem so häßlichen Gebrauch zu werden.

Das Leben hier in Batavia ist übrigens nicht allein sehr luxuriös, sondern auch, wie man sich leicht denken kann, sehr kostspielig und das mag auch einerlei seyn, wo die Verdienste – d. h. die Einnahmen wieder mit solchen Ausgaben in gleichen Verhältnissen stehen, wo das aber nicht der Fall ist, und es immer nur ausgeben und gar nicht einnehmen heißt, da wehe Dir Cassa. Das Leben im Hotel kostet täglich fünf Gulden (es ist der stehende Preis für alle Hotels und nur das Amsterdamer soll es in letzter Zeit auf vier herabgesetzt haben) dabei darf man natürlich, wenn man den Preis nicht überschreiten will, keinen Tropfen Wein trinken, oder andere Extravaganzen begehen. Jeder Miethwagen, und wenn man nur damit um die Ecke fährt, kostet drei Gulden, für drei Gulden kann man ihn aber auch dafür sieben Stunden behalten und gebrauchen, die schwachen Pferde fordern aber doch dabei bedeutende Schonung und die Kutscher ein Trinkgeld, oder hier vielmehr wunderbarer Weise ein Eßgeld, presentie Ketjil poer makanan, denn der Malaye ist ungemein mäßig und ich weiß mich nicht zu erinnern, je einen betrunkenen gesehen zu haben. Hat man den Wagen also von Morgens früh, und will oder muß man des Abends noch einmal ausfahren, so sind das wieder drei Gulden, ohne zu murren. Die Wäsche ist im Verhältniß nicht zu theuer – für das Stück 10 Deut von denen 120 auf einen Gulden gehen – dafür gebraucht man aber auch wieder desto mehr, und des Tags zweimal die Wäsche von Kopf bis zu Füßen wechseln, ist etwas sehr gewöhnliches.

In jedem Hotel sind Bäder, zur freien Benutzung jedes Gastes; bequem hat aber der Holländer Alles, das muß man ihm lassen, und das Urmuster aller Bequemlichkeit ist seine Morgentracht, mit der er, wenn ihn nicht Geschäfte in die Stadt rufen, den ganzen Tag bis zum Mittagsessen (Abends von fünf bis acht Uhr) verträumt. Es besteht diese in einer einfachen Cabaya und Schlafhose, alles weit und von leichtem, gewöhnlich weißen baumwollenen Zeug, die Hosen aber meistens von buntem, oft inländischem Stoff, die Cabaya vorn offen wie ein Schlafrock, doch ganz kurz. Abends wird aber dafür große Toilette gemacht, und es scheint darauf auch in den Hotels sehr viel gesehen zu werden. Hat er des Morgens etwas zu thun, daß er sich nach dem ersten Frühstück ankleiden muß, so fährt er nach dem zweiten gewiß wieder in seine Morgentracht, hält seine Siesta, badet dann und macht sich zum Mittagstisch »lecker«, wie er es nennt.

Ich erwähne hier diese Kleinigkeiten, weil sie charakteristisch sind, und dem Europäer am leichtesten eine Idee des tropischen Lebens dieser Insel geben können.

Die Bedienung besteht einzig und allein aus Eingeborenen und man gebraucht hier eine sehr zahlreiche Dienerschaft, obgleich es in dieser Hinsicht wohl noch nicht so arg getrieben wird, wie in Brittisch Indien. Demnach versteht es sich von selbst, daß kein Weißer auch nur die geringste Arbeit selber verrichtet, und wie ich das schon bei dem ewigen api Rufen erwähnte, erstreckt sich das auch auf die geringsten anderen Kleinigkeiten, in denen der Fremde sich nur zu schnell zu gefallen scheint. Man ruft einen Diener einen Stuhl zu dem zwei Schritt entfernten Tisch zu rücken, neben dem man steht, und der arme Teufel muß vielleicht fünfzig Schritt her und ebensoviel wieder zurückmachen etc. etc., das ist aber allgemeiner Gebrauch und wird den Fremden stets augenblicklich verrathen, sowie er es unternehmen sollte solche kleine Handreichungen für sich selber zu thun. Ich habe mich indessen wenig daran gekehrt.

Doch genug von den Hotels und dem Hotelleben, nur soviel noch daß ich mich im Hotel der Nederlanden bei vortrefflicher Kost und sehr freundlichen Wirthsleuten so wohl befand, wie das nur in einem Hotel möglich ist.

Die Früchte Java's sind in der ganzen Welt berühmt, leider war dieß aber gerade nicht die beste Jahreszeit für sie, denn der Mangistan, anerkannt die beste von allen, war noch gar nicht reif, und selbst der Duriang kam erst einzeln zu Markt. Andere, wie der Ramputan, und Gott weiß wie sie alle heißen, habe ich gar nicht gesehen.

Am häufigsten und allgemeinsten ist die Ananas. Wir fuhren einmal Morgens auf einen der Märkte wohin besonders viele Früchte kommen, und ich kann wohl sagen daß ich in meinem ganzen Leben nicht so viel Ananas auf einem Fleck zusammen gesehen habe als hier. Sie standen in Pyramiden von etwa 5 bis 6 Fuß Höhe aufgestapelt; die Basis derselben bildete ein Ring von ungefähr vierzig im Kreis gelegten, und so höher und höher bis zu der letzten Kuppe, steigend. Es mußten über vierhundert Ananas in einer solchen Pyramide seyn, und an manchen Stellen standen 20 bis 25 Pyramiden dicht beisammen.

Natürlich werden sie auch ungemein billig verkauft, und ehe ich Batavia verließ, konnte man Ananas, so viel man haben wollte, für 3 Deute das Stück, etwa 4 Pfennige, bekommen. Einige behaupten daß sie ungesund seyen, andere gerade das Gegentheil; natürlich nicht im Uebermaß und vollkommen reif genossen; so viel weiß ich daß ich mich nie unwohl danach befunden habe, obgleich selten ein Tag verging an dem ich nicht wenigstens zwei aß. Schade daß sie sich gar nicht halten.

Eine merkwürdige Frucht ist der Duoriang-Apfel oder Duriang, wie er gewöhnlich genannt wird. Er ist länglichrund, hat Stacheln oder Auswüchse wie unsere alten Morgensterne, und wechselt in der Größe von einer Ananas bis zu einer starken Melone. Der Stacheln wegen, da er gar keinen Stiel zum Anfassen hat, tragen ihn die Eingeborenen auch meist in ein Paar Streifen Rattan (spanisch Rohr) oder Cocosblattstreifen die oben zusammen gebunden sind, zu Markte. Des Duriangs Eigenthümlichkeit ist aber sein Geruch, denn er hat den frapantesten asafoetida Duft den man sich nur denken kann. Sein in einzelnen Abtheilungen sitzendes crêmeartiges Fleisch, das feinste an Fruchtgeschmack was es giebt, ist aber ungemein hitzig und in's Blut gehend, und Europäer die ihn wirklich essen, verzehren ihn am liebsten im Bade. Die Eingeborenen lieben ihn indessen leidenschaftlich, und haben eine eigene Art sich des Geruches, nach dem Essen desselben zu entledigen. Der Geruch verschwindet nämlich, wunderbarer Weise, augenblicklich, sowie man nach dem Genuß des Duriang Wasser aus der eigenen Schaale desselben – das heißt nur gewöhnliches, in die Schaale hineingefülltes Wasser – trinkt.

Nach der Ananas war mir die sogenannte buwa avocat, die brasilianische »Butterfrucht« die liebste. Sie sieht wie eine große grüne Birne aus, ihr Fleisch ist gelblich und weich, und kommt im Geschmack, so roh und ohne weitere Zuthat als Salz gegessen, vollkommen dem Rindsmark gleich. Eine bessere Art sie zuzubereiten ist aber mit Madeira und Zucker, wodurch sie den feinsten crêmeartigen Geschmack bekommt. Diese buwa avocat scheint mit mehren andern Früchten von Brasilien hier herüber verpflanzt zu seyn. Zu diesen gehört der »Mädchen-Apfel« (buwa nonna), den die Engländer custard apple nennen, der Tappo-Tappo der Südseeländer, eine herrliche, gleichfalls crêmeartige Frucht. Die Papaya ist hier ebenfalls heimisch, und wenn ich nicht irre auch zuerst von Brasilien herübergekommen.

Eine dem Land aber vollkommen eigenthümliche Frucht ist die sogenannte Nangka. Sie wächst zu einer enormen Größe und zu solcher Schwere, daß die Natur gleich von vornherein sie bestimmte vom Stamm selber auszuwachsen, da kein kleiner Fruchtzweig im Stande seyn würde sie zu halten. Die Frucht ist grünlich und mit unregelmäßiger Schaale, oft bis zu zwei Fuß lang und zehn bis zwölf Zoll dick, und von solchem Gewicht daß die Eingebornen, wenn sie bald reif ist, kleine Körbe, von Cocosnußblättern geflochten, unter sie hängen, um sie darin aufzufangen, weil sie sonst, wenn sie zur Erde herunterstürzte, in Stücke platzen müßte. Wo bleibt da Gellerts Fabel vom Kürbis und der Nase?

Eine ähnliche Frucht, wenigstens im Aussehen, ist der sogenannte von Brasilien stammende Suersak, den die Malayen Nangka Wolanda nennen (denn alles was außer ihrem Land liegt ist wolanda, holländisch).

Die Manga ist noch eine Hauptfrucht des Landes und ungemein süß und saftig, hat aber, um mir zu gefallen, einen zu stark terpenthinartigen Geschmack, wie denn überhaupt all die acht javanischen Früchte einen etwas scharfen Beigeschmack haben, den die Malayen und auch sehr viele Europäer besonders zu lieben scheinen.

Den Shaddok oder die Pompelnuß darf ich hier nicht zu erwähnen vergessen. Es ist dieß eigentlich eine Riesen-Orange, etwa viermal so groß als eine gewöhnliche Apfelsine, sonst aber ganz wie die Apfelsinen geformt und eingetheilt, und im Geschmack ihr auch sehr ähnlich, nur nicht so saftig als jene. Nichtsdestoweniger gehört sie zu den vorzüglicheren Früchten, und kam uns besonders auf unserer Seereise zu Statten, denn gut aufbewahrt hält sich die Frucht monatelang zur See, ohne zu faulen oder einzutrocknen.

Die Banane oder der Pisang gehört mit zu den gewöhnlichsten Früchten, ist aber von allen, wenn nicht die angenehmste, jedenfalls die gesündeste, und kann unter den Früchten als das gerechnet werden, was das Brod unter den Lebensmitteln überhaupt ist – man mag noch so viel davon genießen, man wird sich die Banane nie zuwider essen.

Da ich aber gerade von Brod rede, fällt mir auch die Brodfrucht wieder ein, von der man auf Java nichts zu hören noch so sehen bekommt, während die Südseeländer einzig und allein davon leben. Der Baum gedeiht hier allerdings, ja wächst sogar im Innern wild, aber die Früchte benutzt niemand. Die Eingebornen quälen sich lieber mit ihren Reisfeldern ab, und arbeiten daran im Schweiß ihres Angesichts, aber Brodfrucht ißt keiner von ihnen; ja ich habe sie sogar nicht ein einzigesmal auf dem Markt gesehen. Besonders die Chinesen, aber außerdem auch die Eingebornen essen ebenfalls die Kerne der Lotosblume sehr gern. Die Fruchthülsen derselben sind den Mohnkapseln nicht unähnlich, nur oben platt, und sie enthalten eine Menge nußähnlich schmeckender Kerne.

Es lagen zu dieser Zeit auf der Rhede von Batavia mehrere nach Deutschland und England und sehr viele nach Holland bestimmte Schiffe. Nun war zwar im Anfang meine Absicht gewesen, von hier nach dem Cap der guten Hoffnung zu gehen, und von dort, durch das rothe Meer hinauf, Aegypten zu durchziehen, und so in die Heimath zurückzukehren, aber lieber Gott, lange lange Monate hätten noch dazu gehört, und der letzte Brief, den ich hier von Deutschland vorgefunden, weckte die Sehnsucht nach dem Vaterland, nach den Meinen so stark im Herzen, daß ich plötzlich beschloß von hier direkt nach Deutschland zurückzukehren, und Reisen Reisen sein zu lassen. Ich hatte lange genug in der Welt herumvagabundirt, und es war Zeit daß ich wieder an die Meinen dachte.

Mit dem Entschluß kam aber auch eine unendliche, wohlthuende Ruhe über mich; es war mir plötzlich, als ob nun auf einmal alle überstandenen Beschwerden und Gefahren, all der Schmerz der Trennung, das todte, traurige Gefühl des Alleinseyns in der Welt, weit weit hinter mir lägen, und ich nun auf einmal mit raschen fröhlichen Schritten einem neuen und doch so alt und liebvertrauten Leben entgegenflöge.

Mit soviel mehr Eifer ging ich aber auch jetzt daran, noch, während meinem Aufenthalt auf Java, so viel von diesem Lande zu sehen, wie nur in der kurzen Zeit möglich war, und ich that zu diesem Zwecke die nöthigen Schritte in der Stadt, einen Paß in das Innere zu bekommen. Hierin fand ich aber weit mehr Schwierigkeiten als ich im Anfang erwartet hatte, und sah schon eine von Herrn Pandels Prophezeihungen eingetroffen; der Assistent Resident verweigerte mir sogar mit sehr selbstbewußter Haltung, geradezu einen Paß selbst nach Buitenzorg, der nächsten Provinz, wohin alle in Batavia ansäßigen Fremden total ohne Paß reisen dürfen. Ein Deutscher, Herr Wilmanns (wie ich denn überhaupt von den Deutschen Batavias auf das Herzlichste aufgenommen und behandelt bin) verschaffte mir aber endlich, mit nicht geringer Lauferei und Mühseligkeit, einen solchen – wobei er noch sogar Bürgschaft für mich leisten mußte – und in Buitenzorg, wo sich der Herzog Bernhard von Weimar aufhielt, hoffte ich schon durch dessen Verwendung einen weiteren Paß zu bekommen.

Das in Ordnung sah ich mich nach einer Gelegenheit um, so rasch als möglich die Berge zu erreichen. Buitenzorg ist etwa 39 paalen oder Pfähle, die alle Meilen stehn und meiner Rechnung nach nicht ganz eine englische Meile von einander entfernt sind. Das gewöhnliche Reisen hier geschieht mit Postpferden, ist aber ungemein kostspielig, da es für jeden einzelnen Paal anderthalb Gulden kostet. Nach Buitenzorg selbst geht aber auch dreimal in der Woche die Post für nur 10-1/2 Gulden à Person. Diese beschloß ich also bis dorthin zu benutzen, und dann zu sehen wie ich weiter käme.

Ich war bis jetzt meinem guten Sterne fortwährend gefolgt, und der hatte mich auch so vortrefflich geleitet, daß ich alle Ursache hatte ihm unbedingt weiter zu vertrauen.

2. Das chinesische Viertel.

Dem Fremden auf Java fallen besonders die Masse Chinesen auf, die überall als Krämer die Straßen durchziehen, in kleinen Kaufläden sitzen, in allen offenen Werkstätten hämmern und feilen, schneidern und schustern, ja auch in ihren Cabriolets, mit Malayischen Kutschern und Bedienten, reich aber stets in ihre Nationaltracht gekleidet, durch die Straßen fahren. Diese Nationaltracht ist übrigens bei ihnen nicht etwa, wie der Zopf, eine Nationaltugend, der sie sich nicht aus eigenem Willen entschlagen möchten, sondern sie sind von der Holländischen Regierung genöthigt, dieselbe beizubehalten. Vor einigen Jahren hatten sie sich nämlich einmal europäisiren wollen, es war ihnen das aber nicht gestattet worden; den Frack und Zopf haben sich die Europäer als ausschließliche Vorrechte vorbehalten.

Die Chinesen sind nun allerdings durch die ganze Stadt zerstreut – was nämlich den Geschäftstheil derselben betrifft, und wo des ungesunden Klimas wegen, gar keine Europäer oder doch nur sehr wenige wohnen und schlafen – ihren Hauptsitz haben sie aber in dem sogenannten Chinesischen Viertel, das ausschließlich von ihnen bewohnt wird, und das wahrlich eher einem Bienenkorbe, als irgend etwas anderem gleicht. Sobald man nur, vom kali besaar aus über die Brücke tritt, beginnen schon die Chinesischen Kaufläden, und dicht gedrängt, in kleinen niedrigen, schmutzigen Buden, jede mit ihrem Götzenbild und mit Lampen und Weihrauchgefäßen verziert, kauert Händler an Händler. Besondere Theile dieses Viertels sind dabei wieder besonderen Handwerken gewidmet; in einem Theile sind die Färber, in einem andern die Lakirer, hier die Korbflechter, da die Schmiede, dort die Zimmerleute. Nur die Schuster und Schneider, wie auch Kunstfeuerwerker, die bei den Chinesen eine sehr bedeutende Rolle spielen, sind überall herum zerstreut, da sie auch zugleich mit ihrem Geschäft gewöhnlich einen kleinen Laden verbinden.

In diesen Läden findet man Alles, was man sich nur denken kann, und die Chinesen sind auch in der That, einige sehr wenige Europäische Handlungen in der Stadt selber ausgenommen, die einzigen Detailhändler, Mäkler, Krämer etc. Kurze und lange Waaren, Eisen- und Flechtwerk, Produkte, Ausschnitt- und Modewaaren, Schuhe und Schirme, Tabak- und Theehandlungen, Apotheken und Droguerien etc., eins steht im bunten Gemisch neben dem anderen. In eben dieser Art durchkreuzen sich die winkligen engen Straßen, die überall von schmutzigen Canälen durchschnitten werden, und sich einander so gleich sehen, daß sich der Fremde leicht in ihnen verirren kann; und dazwischen wimmelt und schwärmt ein geschäftiges, fleißiges, unermüdliches Volk, und es summt und schwirrt, hämmert, schmiedet, rasselt, saust und klingt vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein, über dem fleißigen, unermüdlichen Viertel dieser wunderlichen Stadt, in einer Stadt, dem lautern Räderwerke menschlichen Fleißes und Schaffens.

Die Chinesen sind jedenfalls das industriöseste Volk das ich je gesehen, und sie haben, was ihren Handel und ihr Handeln anbetrifft, ungemeine Aehnlichkeit mit unseren europäischen Juden. Ein chinesischer Krämer ist nie außer Fassung zu bringen, und wer ihm einmal ein Gebot gethan, muß auch von ihm kaufen. Dabei schlagen sie entsetzlich vor – es ist äußerst gefährlich selbst die Hälfte des Geforderten zu bieten, denn der Bietende setzt sich dem aus, daß er sich auf einmal und zwar ganz unerwartet als überraschter Eigenthümer einer Sache findet, die zu kaufen er vor wenigen Augenblicken noch kaum einen Gedanken hatte. Ich habe Sachen, die ich nicht haben wollte, und auf die ich, um nur mein Umherschauen im Laden in etwas zu entschuldigen, ein Drittheil des Geforderten bot, wohl oder übel mit fortnehmen müssen, und glaube ich bin doch noch geprellt worden.

Sie lassen sich keine Mühe verdrießen ihre Waaren an den Mann zu bringen, und laufen mit ihren Lasten bis in die entferntesten Theile der Stadt. Dabei haben sie aber das, als unendlichen Vorzug vor unseren Juden voraus, daß sie sich keiner Arbeit scheuen, und da wo sie nicht mit Handeln durchkommen, mit eben solchem Eifer, eben solcher Ausdauer zu Hammer, und Ambos, zu Nadel oder Ahle greifen, – worin sie eine Geschicklichkeit entwickeln, in der sie sicherlich von keinem Volke der Welt übertroffen worden. Das thut der Jude, besonders der deutsche, nicht. Auf dem Schiffe auf welchem ich zum ersten Mal nach Nordamerika überfuhr, befanden sich eine große Menge auswandernder Juden, und die meisten von diesen hatten in Deutschland, wahrscheinlich durch Verhältnisse gezwungen, ein Handwerk gelernt – Handwerke bei deren Ausübung sie sich dabei in Amerika, mit nur mäßigem Fleiß hätten eine sichere Existenz gründen können; aber ich weiß von allen denen auch nicht einen einzigen, der bei seinem Handwerk geblieben wäre, und nicht die erste sich ihm bietende Gelegenheit benutzt hätte, zum ewigen Handel und Schacher zu greifen. Sie ließen sich dabei keine Mühe verdrießen, das muß man ihnen lassen, und ich bin Manchem von ihnen begegnet, der ein schweres schweres Bündel auf dem Rücken durch's Land keuchte, aber lieber das, als die leichteste und nur stete Arbeit thun, und dabei dem unwiderstehlichen Reiz des »Profitchens« entsagen.

– Es ist das eine eigene Naturgabe. –

Mir lag besonders daran, in dem chinesischen Viertel einige chinesische Eigenthümlichkeiten aufzufinden; nichts war aber, wunderbarer Weise, gerade schwieriger als das, denn in fast allen chinesischen Läden fand man nur sehr wenige chinesische Waaren und das meiste bestand aus eingeführten europäischen Gütern. Europäische Porcellanfiguren, Nippsachen, Schirme, Schmuck, Tücher, Kästchen, Lithographien, Cattunen etc. Sogar Eisele und Beisele, wie sie sich über die Leipziger Butterbemmen freuen, standen einsam und trostlos in einer dieser chinesischen Buden und über ihnen hingen chinesische Papierschirme und neben ihnen standen Theekisten und Tuschkästchen – armer Eisele und Beisele, wo seyd ihr nicht überall hingekommen. Das Komischste von der Sache war, daß sie dem Chinesen, der sie mit Wohlgefallen betrachtete, keineswegs Fremde waren, und auf meine, anscheinend unschuldige Frage nach ihnen – ich verleugnete den Baron mit seinem Hofmeister, und der Hahn krähte nicht – antwortete er freundlich – »Eisele – Beisele.« »Bagoes« setzte er dann empfehlend und mit gutmüthiger Zopfbewegung hinzu.

Chinesisches Steingut, Thee, Tusche, Papier, Papierschirme, weiße Schminke und einige chinesische Hausmittel sind fast das einzige, was man wirklich ächt in diesen Läden bekommt, alles andere ist europäisch oder im Lande selbst gefertigt.

Interessant für den Fremden sollten die chinesischen Pasar oder Marktabende seyn, und einer der jungen Deutschen in Batavia war freundlich genug, mich dorthin zu führen, da ich im Anfang noch nicht bekannt genug war, meinen Weg in dem Gewirr von Straßen Nachts allein zu finden. Wir fuhren etwa um neun Uhr vom Hotel fort, und ließen den Wagen, im chinesischen Viertel angekommen, am Marktplatz halten, von wo uns schon wüste lärmende Musik und Singen und Schreien, Cymbel-, Pauken- und Gongschlagen und das wunderbar ängstliche Kreischen der Spielenden entgegentönte.

Mitten auf dem Marktplatz war ein hohes bedecktes Bambusgerüst, eine Art großen offenen Taubenschlags, errichtet, der von einigen stammenden Oellampen – d. h. Schalen voll Oel, in denen breitmächtige Dochte flackerten – erleuchtet wurde. Das Orchester – eine wunderliche Bande von Spektakelmachern – saß oben mit darin, an den Seitenwänden des Theaters, das sich keiner Coulissen, sondern hinten nur zweier »Abgänge« erfreute, und auf der Bühne selbst stand eine Art Tisch oder Altar und ein paar Kästen mit alten Kostümen und Bärten, aus denen die Schauspieler, den Rücken dem Publikum zugewendet, und oft noch immer in dem Geist ihrer letztgehaltenen Reden fortgesticulirend, während dem Spiele selbst ihre Kleider wechselten; eine ungeheuere Zeitersparniß, die wirklich auf deutschen Bühnen nachgeahmt zu werden verdiente, wo die Damen besonders manchmal oft unverhältnißmäßig viel Zeit zum Umkleiden brauchen.

Den Raum zwischen den einzelnen Musikern, den Wänden des Theaters, dem Hintergrund und den Lampen füllte eine staunende glückliche Masse jugendlichen Publikums aus, das an den Pfosten hinaufgeklettert seyn mußte, um den vollen Genuß der selbst in der Ferne betäubenden Musik und des ohrenzerreißenden Gekreisches in nächster Nähe zu haben.

Die Schauspieler, von denen ich noch bis auf den heutigen Tag nicht weiß, ob es Männer oder Frauen waren, denn die Gestalten verriethen das erste und die Stimmen das zweite Geschlecht, figurirten in altchinesischen und tartarischen Trachten auf dem Gestell herum, schlugen mit Stöcken und hölzernen Schwertern auf eine höchst leichtsinnige und armverdrehende Weise um sich, und schrien sich dabei die unglaublichsten Dinge und zwar mit einer Stimme in die Ohren, als ob sie über den Niagarafall hätten hinüberbrüllen wollen. Fast alle waren weiß geschminkt, und ihre Hauptkunst schien in einem fortwährenden ununterbrochenen Armverdrehen und in der Grundbedingung zu bestehen, ihre Körper wie Glieder auch nicht für eine Sekunde ruhig zu halten. Man wurde förmlich seekrank, wenn man sich die abenteuerlichen Gestalten, an denen man weder Geschlecht noch Form erkennen konnte, wie trunkene Kreisel unaufhörlich herumdrehen und bewegen sah, und die Musik – o Apollo verzeihe mir den Ausdruck – diente wahrhaftig nicht dazu sich wieder zu sich selber zu bringen.

Eine eigenthümliche Bewegung haben sie dabei, die ich in allen diesen wie malayischen Tänzen wiederholt fand, und zwar mit den offenen Händen, die sie soweit wie möglich zurückzudrehen und dabei das Handgelenk und die Arme in alle nur mögliche Verrenkungen zu bringen suchen. Ich als civilisirter Europäer hätte mich aber über diese unnatürlichen Bewegungen am allerwenigsten wundern sollen, da dieselben ja gerade auf unseren Theatern ebenso und vielleicht in noch höherem Grabe zu Hause sind. Wer einmal ein deutsches Ballet und dabei gesehen hat, wie die süßlächelnden Tänzerinnen und Tänzer ihre Füße drehen und biegen, auf den Zehen stehen und die Beine dann auf 45° in die Luft hineinstrecken, der sollte auch gewiß gegen eine verkehrte Handbewegung von Chinesen gefühllos und abgestumpft seyn.

Ein besonderer Vortheil für diese Schauspieler ist der Mangel an Gasbeleuchtung, die an ihren Costümen sonst sicherlich manchen Flecken aufdecken könnte, aber Flecken hat ja selbst die Sonne, warum nicht also auch ein alter chinesischer Rock; überdieß können das die entfernt und unten Stehenden gar nicht so genau beurtheilen, und die sich oben und in nächster Nähe der Schauspieler befinden, haben viel zu viel zu thun, auf die stets schwingenden Stöcke und hölzerne Schwerter und Lanzen zu passen, die ihnen unaufhörlich um die Köpfe stiegen, als daß sie groß auf die Kleider sehen könnten. Es muß dieß fortwährende Pariren und Aufpassen einen ungemeinen Reiz, ein bedeutendes Interesse haben, denn es hält gewiß den Geist in einer fortwährenden angenehmen Aufregung. – Ich blieb aber doch unten.

Ihre Dialoge, die mitten zwischen diesen Körperverdrehungen, natürlich chinesisch, geführt wurden, müssen oft pikant seyn, denn die chinesischen Zuschauer folgen ihnen anscheinend mit vielem Interesse, und oft kündet lautes schallendes Gelächter ein glücklich gelungenes Wortspiel, einen schlagenden Witz an, und unter einander erzählen sie sich dann auf das eifrigste, und mit den breit glänzenden lachenden platten Gesichtern, was der eine Theil vielleicht nicht verstanden, oder neu Hinzukommende noch nicht gehört hatten.

Die Bühne steht nämlich, wie schon gesagt, ganz allein und einzeln im Freien; Eintrittsgeld kann dabei natürlich gar nicht bezahlt oder verlangt werden, denn Jeder, der nur auf den Marktplatz kommt, ist eingetreten. Sitze sind ebenfalls nicht angebracht, sondern die Leute, die dort herumschlendern, bleiben nur eben, wie sie Laune oder Zufall treibt, kürzere oder längere Zeit vor dem erleuchteten lärmenden theatralischen Taubenhaus stehn, in dem Schauspieler wie Musici unermüdlich schienen, den stets wechselnden Zuschauern eine unermüdliche, ununterbrochene Kette von Genüssen zu bieten.

Das Orchester, um dem Leser nur einen kleinen Begriff davon zu geben – denn mir klingen die Ohren, wenn ich nur daran zurückdenke – besteht aus mehreren metallenen Gongs, von denen schon einer hinlänglich ist, ein ganzes Stadtviertel taub zu machen – aus einer unbestimmten Anzahl zwei- und einsaitiger Violinen, bei denen von Zusammenstimmen gar keine Rede ist, aus ein paar Holzharmonika's und dann diversen Stücken Holz und Metall, die mit allen nur möglichen und erdenkbaren Gegenständen so lange gestoßen und geschlagen werden, bis sie endlich Musik machen müssen.

Kaum minder interessant als die Spielenden beiderlei Art war aber für mich selber das Publikum, die bezopften, dicht geschorenen vergnügten Söhne China's, Gestalten, die wir in Europa nur aus Theekistbildern kennen, und die mich hier lebendig und lachend umstanden. Theater? – was brauchte ich noch ein Theater, mich zu amüsiren? – jede einzelne Figur um mich her spielte Comödie; die Scenerie dabei, Palme und Bambusdächer, der südliche Himmel über mir, mit seinem geheimnißvollen Kreuz, die Verkäufer, Spieler und Schreier – wohin ich den Fuß setzte, saß ich auf einem Sperrsitz, mitten drin in dem Wunderbaren. Was hätte ich darum gegeben, wär' ich in dem Augenblick im Stande gewesen, meine ganze Umgebung, wie sie da stand, mit Bambushütte und Cocosölflammen, mit Schauspielern und Musikanten, mit all' ihren Zuschauern oben und unten – mit Gongs und Violinen – in Spiritus zu setzen und sie so, unversehrt, unverändert, mit all ihrer Lebendigkeit, ihrer wunderlichen Beleuchtung, dem vollen eigenthümlichen Charakter des Ganzen, vor meinen deutschen Landsleuten auf einmal wieder auspacken zu können.

Woher aber hier diese Uneigennützigkeit des Schauspielwesens? weßhalb nicht das mindeste Entrée, selbst nicht für »Honoratioren,« auf deren »eigenes Belieben« die europäischen Winkelbühnen soviel geben, weil sie hoffen, daß diese dasselbe thun sollen? – Wer unterhielt diese Leute, denn ich konnte doch unmöglich glauben, daß sie mit unter den »Vögeln des Himmels« und den »Lilien des Feldes« einbegriffen seyen. Mein Begleiter löste aber, während er mich einigen dicht dabei lodernden hellen Cocosnußölflammen zuführte, bald diesen Zweifel, und zwar auf die vollständigste Art.

Wir traten zu fünf oder sechs, Spiel tischen kann ich nicht gut sagen, besser Spiel matten, von denen einige auch auf der Erde ausgebreitet waren, und um die wir eine dichtgedrängte Schaar von Chinesen wie auch Malayen herumstehend fanden. Ein Chinese hatte diese Spielbanken von der indischen Regierung zu einem enormen Preis gepachtet und mußte nun auch sein Möglichstes thun, das Geld und seinen Nutzen wieder aus seinen heidnischen wie muhamedanischen Mitmenschen herauszupressen – das war nicht mehr als christlich. Diese aber heranzulocken, dazu diente das Theater, und derselbe Chinese unterhielt deßhalb auch Künstler wie Bühne und Beleuchtung, zum »Besten des Publikums« aus seiner eigenen Tasche – er rechnete das natürlich mit auf den Pacht.

Im Anfang wunderte es mich, daß der Pacht so hoch seyn sollte, da ich nur meistens um Kupferdeute spielen sah, und viele von diesen dazu gehören, um einen einzelnen Gulden zu machen, ich hatte aber noch nicht lange gestanden, als auch Papier an die Reihe kam, und ich sah, daß im Allgemeinen ziemlich hoch, ja für die geringen Bedürfnisse eines so mäßigen Volkes, rasend hoch gespielt wurde; zehn und zwanzig Gulden wurden auf eine Karte gesetzt, und es sollen oft hundert und mehr daraus werden.

Ich hätte gern auf die holländische Regierung raisonnirt, daß sie einen solchen häßlichen Weg eingeschlagen, Taxen von den armen, so schon genug gedrückten Eingeborenen zu erpressen – aber ich durfte es nicht. So lange in unserem civilisirten Europa, in dem intelligenten Deutschland, von dem so viele menschenfreundliche Missionen ausgehen, fremde heidnische Völker mit dem Segen der christlichen Religion und wollenen Unterröcken zu beglücken, noch selbst die Lotterien und Hazardspiele wüthen und jedes Jahr ihre gesetzlichen Opfer fordern, so lange hat der Deutsche wahrhaftig nicht das Recht, über etwas derartiges unter heidnischen Völkern zu schimpfen.

Ich glaubte übrigens, ich hätte in Californien schon alle möglichen Arten von Hazardspielen gesehen, denn die Mannigfaltigkeit derselben grenzt dort wirklich ans Unglaubliche, hier scheinen sie aber doch noch wieder, wenigstens Abarten derselben zu haben, denn einige von ihnen begriff ich gar nicht, während die gewöhnlichsten einigen unserer eigenen Hazardspiele ziemlich gleichkamen.

Die am häufigsten gespielten waren dreierlei Art. Das erste hatte am meisten mit unserem Pharo Aehnlichkeit – jeder der Spielenden legte ein kleines Paket Karten vor sich, von dem er, wie es ihm gut dünkte, einzelne entweder zog oder aussuchte und besetzte. Der Bankier legte links und rechts ab.

Die chinesischen Karten sind dabei eigenthümlicher Art – sehr klein, kaum dritthalb Zoll lang und verhältnißmäßig breit und dabei schwarz und roth, aber sonst mit solchen unergründlichen Zeichen versehen, daß ich natürlich gern unterließ in die Geheimnisse dieser Hieroglyphen einzudringen.

Das zweite Spiel hatten sie auf besonders dazu gewebten Matten, auf denen die verschiedenen Vierecke auch wieder ihre verschiedenen Bedeutungen haben und verhältnißmäßig besetzt und bezahlt werden. Es scheint dabei ebenfalls viel darauf anzukommen, ob man auf einen Strich oder daneben oder in die verschiedenen Ecken der Felder setzt.

Das dritte Spiel ist mit einer grünen Art großer Bohnen, und unserem Paar oder Unpaar vollkommen ähnlich. Der Bankier läßt erst setzen, dann thut sein Gehülfe eine Hand voll Bohnen aufs gerathewohl in ein dazu bestimmtes hölzernes oder irdenes Gefäß, und der erste stülpt dieses dann – mit aufgestreiften Aermeln, damit nicht so leicht ein Betrug vorfallen kann – auf die Matte und zählt die Bohnen, indem er immer vier und vier, mit fast unglaublicher Schnelle und Geschicklichkeit auf ein Häufchen rückt, und so fortfährt, bis alle gehäufelt sind, und nur die letzten entscheidenden ein, zwei, drei oder vier übrig bleiben, wobei die Setzenden natürlich mit einem Blick sehen können, ob das Gefäß gleiche oder ungleiche Bohnen enthalten hatte.

Die Gleichen sind für den Bankier, die Ungleichen für die Spielenden.

Gleicher Fertigkeit wie beim Bohnenhäufeln, das ebenso schnell geht, als man mit der Hand mäßig rasch über die Decke fahren kann, beweisen die Chinesen beim Zählen des Kupfergeldes, wo jeder Gulden, wie schon gesagt, aus hundert und zwanzig einzelnen Deuten, etwa von der Größe unserer Pfennige, oder aus sechzig Doppeldeuten – die beiden einzigen Kupfermünzen – besteht. Natürlich haben sie es einzig und allein am Gefühl, und es würde einer deutschen Apfelfrau in der Seele wohlthun, die Kupfermünzen in solch wahrhaft zauberähnlicher Art fliegen zu sehen. Die Chinesen werden übrigens auch, eben wegen ihrer Geschicklichkeit, mit dem Geld umzugehen, von den Holländern sehr häufig und an den meisten öffentlichen Stellen zu Kassieren benutzt.

Das Bohnenspiel und das mit den Karten schienen das beliebteste, jedenfalls am meisten frequentirte von allen zu seyn.

An eben diesem Pasar oder Markt sollten auch noch Opiumhäuser bestehen, wir konnten aber an diesem Abend keines geöffnet finden, und ich verschob das auf eine spätere Gelegenheit.

Bei dem chinesischen Viertel kann ich übrigens eine Eigenthümlichkeit nicht unerwähnt lassen, die mir von vielen Seiten als wahr verbürgt wurde. Wo nämlich ein heirathsfähiges oder mannbares Mädchen im Hause ist, legen die Chinesen einen großen irdenen Topf auf das, vorn gewöhnlich etwas flach auslaufende Dach. Der Topf ist rund und gleicht einer Art Blumenscherbe – die Stellung des Topfes soll dabei noch die näheren Umstände genauer angeben, doch schien mir das zu unbestimmt, mich hierin auf eine Wiederholung des Gehörten einzulassen. So viel ist gewiß, den Topf sah ich auf sehr vielen Häusern, und wenn das Mädchen sich verheirathet oder stirbt, so wird er zerschlagen. Viele von diesen Töpfen sahen aber alt aus, und mußten schon viele Jahre der Witterung preisgegeben gewesen seyn; aus manchen wuchsen, trotz ihrer umgekehrten Lage, Caktus heraus, wie bei uns ja auch der Hauslauch auf den Dächern wächst. Diese alten Töpfe schienen mir nun keine besondere Empfehlung, und bezeugten jedenfalls, wenn sie in der That als solche höchst wichtige irdene Telegraphen in Haus- und Herzensangelegenheiten zu betrachten waren, eine Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit, wie wir sie, herrschte bei uns ein ähnlicher Gebrauch, wohl schwerlich finden möchten. Ich bin fest überzeugt, in Deutschland würde man stets Mittel und Wege finden, die alten Töpfe, auf gerade nicht zu auffällige Weise, mit neueren zu vertauschen – keinenfalls würde man Caktus darin wachsen lassen – oder Hauslauch.

Etwas gleiches soll, wenn ich nicht irre, in Norwegen, aber im Inneren der Häuser, mit aufgehangenen kupfernen Kesseln vorkommen, durch deren Zahl sogar noch auf höchst prosaische Weise die Größe der Mitgift angegeben wird. Vielleicht ist das aber nur ein Märchen.

Ich war so glücklich, später einmal einem chinesischen Hochzeitszuge zu begegnen, der eigenthümlich genug auftrat, mich etwa eine gute Stunde lang in eine dichtgedrängte Masse langzöpfiger Chinesen und Chineschen hineinzubannen, um der Braut ansichtig zu werden, was mir mit Geduld und Ausdauer auch gelang.

Durch eine der Straßen des chinesischen Viertels schlendernd sah ich plötzlich eine Masse Menschen in einem engen Durchzug halten, vor dem geputzte Chinesen mit bunten Lampen, immer von zwei und zwei gehaltenen rothen Festons und einer höchst interessanten Sammlung der wunderlichsten Musik und Lärminstrumente standen, die ich bis dahin noch auf einem Fleck zusammengesehen hatte.

Die Straße war dort gerade sehr schmutzig, und da ich nicht solche anderthalb Zoll dicke Sohlen als die Chinesen selber hatte, fing ich an mich schon sehr unbehaglich zu fühlen, als endlich das Zeichen zum Abgang gegeben wurde, und der Zug sich in Bewegung setzte. Zu gleicher Zeit kam ein mit rothen Federbüschen, Quasten und allen möglichen anderen Hängereien aufgeputzter Wagen an, der sich nur in seinen lebhaften Farben von unseren gewöhnlichen Leichenkutschen mit Federbüscheln unterschied. Fünf Minuten nachher erschien die Braut von einer Zahl Brautjungfern begleitet – o daß meine schönen Leserinnen sie gesehen haben könnten. Ich bin nämlich ein gar schlechter Anzugbeschreiber, weil ich die üble Angewohnheit habe, den Leuten immer mehr in die Augen zu sehen als auf den Rock – was in diesem Fall noch besonders zu entschuldigen war – doch will ich es versuchen.

Sie trug ein bunt und kleingeblümtes Seidenkleid, das bis auf die kleinen, nur dann und wann vorkommenden Füßchen hinunter ging und oben den Hals dicht umschloß, die Aermel waren so weit, daß sie die Hände vollständig verbargen. Ein ziemlich breiter Gürtel mit goldener Spange hielt das Ganze zusammen, das eigentlich mehr einem Talar, als einem Kleid glich, und zahlreiche Perl- und Steinschnüre hingen ihr um Brust und Nacken. Das Interessanteste aber war der Kopf– sie hatte sich weiß, oder vielmehr aschgrau geschminkt und ging mit stets niedergeschlagenen Augen (sie darf die Augen nicht erheben, bis sie mit dem Bräutigam verbunden ist) in Viertelschrittchen, wobei sie noch von zwei ihrer Brautjungfern unterstützt wurde, dem Wagen zu. Die Haare waren sehr natürlich à la chinoise frisirt, auf diesen aber trug sie eine Art Diadem, das kronenartig auslief, und von dessen äußersten Zacken drei bis fünf Zoll lange seidene Schnürchen nieder hingen, an deren unteren Enden Perlen, Korallen und bunte Steinchen, vielleicht Juwelen, befestigt waren, und also von allen Seiten, auch vorn über Stirn und Augen herunter, in ihr Gesicht, oder vielmehr, da sie den Kopf etwas nach vorn gebeugt hielt, auch vorn herüberhingen, und manchmal klappernd zusammenschlugen.

Zoll für Zoll bewegten sie sich nach der nicht fernstehenden Kutsche hin, und die Musikanten fingen unterdessen an, jeder nach eigenem Geschmack und Takt, ein Lied zu spielen, über dessen Melodie sie sich vielleicht im Anfang in etwas verständigt haben mochten, dessen Ausführung aber Alles übertraf, was ich bis dahin an Naivetät der Harmonie nur gehört hatte. Die zweisaitigen Violinen spielten eine Hauptrolle bei diesem Scandal, große Trommel und Cymbeln, Gongs und Klapperkasten fielen aber immer zu einer Zeit ein, wo man sie am allerwenigsten erwartete, und ich hätte wer weiß was darum gegeben diese Töne stenographiren zu können.

Was den beiden jungen Mädchen fehlte, die neben der Braut hergingen, und von denen die Eine mit einem Fächer ihr fortwährend Kühlung zufächelte, während die Andere mit einem prachtvollen seidenen Schirme die Strahlen der Sonne von ihr abhielt, weiß ich nicht, sie schüttelten aber fortwährend mit dem Kopf, und schienen mit der ganzen Geschichte nicht im geringsten einverstanden zu seyn.

Dicht vor den Wagen, als die Braut eben im Begriff war einzusteigen, oder vielmehr hineingehoben zu werden, traten jetzt zwei, wahrscheinlich von ihren Verwandten, und hielten ein altes, wenigstens schon gebrauchtes, aus Bambus geflochtenes Reissieb verkehrt über sie. Unter diesem hin stieg sie ein, der Bräutigam, eine verlegen aussehende etwas magere aber sonst schlanke und jugendliche Gestalt folgte, und der Zug setzte sich, unter dem rasenden Gekreisch der Violinen und der andern Mordinstrumente, langsam in Bewegung, den Nachbarn ebenfalls die Wohlthat der hochzeitlichen Musik zukommen zu lassen.

Hintennach kamen noch eine ganze Menge Wagen, Mandarinen und Geistliche wahrscheinlich, und die Verwandten der Braut, bis in die kleinsten Geschwister hinunter.

Ein Blick den ich in das Haus zurückwarf zeigte mir ihre Götzen, oder besser gesagt Heiligenbilder, festlich beleuchtet – ihr guter Geist sah noch einmal so dick und behäbig, ihr böser noch einmal so listig und verschmitzt aus mit dem dunkelgrünen dennoch gutmüthigen Gesicht und den rothen Augen, und auf den Tischen standen allerlei Confituren und eingemachte Leckerbissen, die die Chinesen vortrefflich zu bereiten wissen.