IN LOVE trouble - Ann Brondhem - E-Book

IN LOVE trouble E-Book

Ann Brondhem

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Beschreibung

Und Charly sollte recht behalten. Es war eben nicht Schluss mit dem Quatsch, im Gegenteil, es fing alles erst richtig an mit uns. Denn zu guter Letzt haben wir uns dann nämlich geküsst. Zum Abschied. Es war gar nichts Dolles, nur ein ganz normaler Kuss und eine herzhafte Umarmung. Das hatte überhaupt nichts zu bedeuten. Einfach ein Abschiedskuss – nur eben auf den Mund. Wo ich dann hinterher gemerkt habe, dass es eben doch etwas zu bedeuten hatte. Das war nicht einfach nur so. Irgendwie war es so, dass dieser Kuss gefühlt die ganze Welt auf den Kopf stellte. Neue Freund*innen, neue Möglichkeiten, neue Beziehungen: Als Anna für ihr Studium nach Hamburg umzieht, ändert sich in ihrem Leben mehr als nur der Wohnort. Band 1 der IN LOVE-Trilogie

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EPUB
MOBI

Seitenzahl: 325

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Ann Brondhem

IN LOVE trouble

Roman

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil I

1: Frühstücksbesuch

2: Fernweh/Heimweh

3: R/Evolution

4: Eskalation

5: Hunderunde

6: Dating

7: Verwirrung

Teil II

8: Nachspiel

9: Verlängerung

10: Ablösungsmanöver

11: Hauptstadt

12: Diese Sache mit Anna

13: Sommerfest

Autor*innen der zitierten Songtexte:

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Impressum neobooks

Teil I

1: Frühstücksbesuch

Drei viertel 10. Noch fünfzehn Minuten, vorausgesetzt, er ist pünktlich. Und davon gehe ich aus. Jan ist sehr zuverlässig, glaube ich, so habe ich ihn jedenfalls kennengelernt – obwohl ich ihn ja eigentlich noch gar nicht so gut kenne, als dass ich das beurteilen könnte. Faktisch ist er ein völlig Fremder.

Obwohl, naja, vielleicht kein völlig Fremder. Jan ist ein Kommilitone von der FH. Wir kennen uns jetzt seit etwa einem Dreivierteljahr und haben uns auch schon ganz oft sehr nett unterhalten. Im Laufe des ersten Semesters habe ich mich ja mit so einigen Leuten aus dem Studium angefreundet, unter anderem eben mit Jan. Der Kontakt ergab sich irgendwie ganz zwanglos. Es war gleich am ersten Tag, Rau­cherpause, und wir standen mehr oder weniger zufällig zusammen vor der Tür. Ich war gerade dabei, mir eine Zigarette zu drehen, und er auch, und es war dann so witzig, weil wir beide den gleichen Tabak rauchten.

»Edgar«, sagte ich, das war der Name des Tabaks.

»Echt?«, sagte Jan und blickte mich an, so ganz direkt. »Ich hatte dich ehrlich gesagt als Frau gelesen.«

»Öh.« Ich war für einen Moment völlig baff. »Na, so kann man sich täuschen«, sagte ich dann lachend, und er lachte auch.

»Scheint so. – Freut mich, dich kennenzulernen, Edgar. Ich bin Jan.«

»Hallo Jan.« Ich gab ihm Feuer und wir rauchten zusammen und redeten, stellten uns vor, na, so die Basics halt.

»Ziemlicher Kindergarten hier«, meinte Jan dann irgendwann, und ich so: »Ja. Kann man so sagen.« Und das war dann, im Nachhinein betrachtet, dieser gewisse Moment, wo man merkt, man hat irgendwie etwas gemeinsam und von daher auch gleich einen Draht zueinander. Wir gehörten ja beide zur Gruppe der »Älteren«, die meisten unserer Kommiliton*innen waren ja noch ganz jung, so 19, 20. Aber es gab eben auch ein paar ältere, so wie mich mit 24 oder Jan, der sogar schon 29 war, die dann auch häufig bereits eine Berufsausbildung hatten. Aber mehr war da zunächst nicht zwischen uns. Im Laufe des Semesters sind wir uns dann natürlich häufiger begegnet, das Studium ist ja stark wie Schule organisiert, so dass man sich eh ständig über den Weg läuft, in den Pflichtveranstaltungen sowieso, und zudem hatten wir dann auch noch den gleichen Schwerpunkt. Wenn wir uns trafen, wechselten wir häufig ein paar Worte oder gingen zusammen eine rauchen oder Kaffeetrinken. Und es war eigentlich immer so, dass wir bei diesen Gelegenheiten ganz viel und gut miteinander geredet haben, so über dies und das. So dass einfach ziemlich schnell klar war, wir mochten uns. Aber das war auch alles, sonst war da nix. Also jetzt nix in dem Sinne von, dass es da großartig privaten Kontakt gegeben hätte.

Nur wieso habe ich ihn denn dann überhaupt eingeladen? Die Erklärung ist ebenso einfach wie harmlos: Wir sind zum Frühstück verabredet. Das Besondere an dieser Verabredung ist allenfalls, dass es erst das zweite Mal ist, dass wir uns so treffen. Also so im Sinne von nicht in der Öffentlichkeit: also weder an der Fachhochschule noch in einer Kneipe noch auf einer Party, sondern privat. Ganz privat, nur wir zwei.

Ich habe in der Küche für uns gedeckt. Alles ist bestens vorbereitet, aber jetzt auch nicht überkandidelt. Jan ist zum Glück ganz unkompliziert, was Essen angeht. Er ist weder vegan noch Vegetarier, keine bekannten Allergien. Von daher kann ich einfach das Übliche servieren: bisschen salzig, bisschen süß, frische Brötchen von Kummer, Heringssalat. Und falls er Lust darauf haben sollte, könnte ich uns auch noch Rührei machen. Und meine berühmten Kaffee-Spezialitäten natürlich.

Es ist einfach nur ein Frühstück, auch wenn das vielleicht nicht alles ist, was man darüber wissen sollte. Ich habe mich nämlich ein bisschen in Jan verguckt, ehrlich gesagt. Ein bisschen mehr vielleicht, wenn ich ganz ehrlich bin. Aber ich habe da keine weitergehenden Ambitionen, ich habe schließlich einen Freund, und Jan wohnt mit seiner Freundin zusammen. Ich habe also nicht vor, mit ihm etwas anzufangen. Es ist wirklich nur ein Frühstück.

Ich habe mich noch nicht einmal besonders aufgebrezelt für diese Verabredung: olle Jeans, Pullover, Gesundheitslatschen, kein Make-up – OK, ein sehr dezentes Make-up. Und die olle Jeans ist meine aktuelle Lieblingsjeans (»das Arschwunder«, wie Mina sagen würde). Und der Pulli ist aus Mohair und mit Glitzer. Aber ansonsten... Ach so, und untendrunter die neue weiße Unterwäsche, die ich mir am Wochenende in Rostock extra noch gekauft hatte. Aber das hat nicht wirklich etwas zu bedeuten. Es ist nur ein Frühstück.

Ding-dong!

Punkt 10 Uhr. Jan kommt. Mit Blumen!

»O, sind die schön«, sage ich. »Danke!«

»Gerne.«

Wir umarmen uns – und küssen uns, auf die Wange.

»Na? Hast du Hunger mitgebracht?«

»Ja.«

»Und wo ist der Champagner? Hattest du nicht gesagt, dass du welchen mitbringen wolltest?«

»Ich habe mich umentschieden«, sagt er lachend.

»Wir können gleich loslegen, wenn du willst. Alles schon fertig.«

»Ja. Toll!«

Nur dass wir dann eben nicht in die Küche gehen, sondern ins Wohnzimmer, und uns aufs Sofa setzen. Wir fangen an, uns zu küssen, uns anzufassen, uns gegenseitig auszuziehen.

»Siehst du? Weiße Unterwäsche«, sage ich, als ich mir den Pullover ausziehe. Aber nicht, um ihn damit heißzumachen, sondern eher, um überhaupt irgend­etwas zu sagen und damit auch vielleicht ein bisschen das Tempo herauszunehmen aus dieser Eskalation, die hier gerade abläuft. Aber das funktioniert nur mittelgut, Jan sagt einfach bloß »hübsch« und wir eskalieren weiter. Knutschen wie wild, ziehen uns immer weiter aus.

»Wollen wir nach nebenan gehen?«, flüstere ich ihm ins Ohr. Wir wollen. Wir gehen ins Schlafzimmer und legen uns aufs Bett. Knutschen und anfassen. Immer heftiger.

»Und, was machen wir jetzt?«

»Küssen ist okay für mich«, sage ich. »Und anfassen auch. Also teilweise jedenfalls. Wenn das für dich okay ist.«

»Ja. Das ist okay.«

»Du weißt doch, ich habe einen Freund«, sage ich. »Von daher.«

»Jaja, ich weiß. Ist okay. Ist okay.«

Ich ziehe mir die Jeans aus – und auch den Slip. Er streichelt mir den Rücken, küsst mich, packt mich. Es ist ein bisschen so wie Frage und Antwort, nur ohne Worte. Ich gebe ihm vor, was erlaubt ist und was nicht. Keine Penetration, klar! Vulva und Anus sind Sperrzone, alles andere ist mehr oder weniger freigegeben. Und Jan ist gut: Er hält sich innerhalb des erlaubten Bereichs. Er streichelt meinen Oberschenkel und massiert meine Pobacke. Er schiebt sein Bein zwischen meine und schuppert sich an mir.

Anfangs schuppere ich mich ebenfalls an ihm, aber wirklich nur zu Beginn. Zu gefährlich! Deshalb höre ich lieber auf. Ansonsten beschränke ich mich darauf, seine Küsse zu erwidern, seinen Kopf zu halten, ihm den Hals zu streicheln und die Schulter. Später fasse ich noch seine Pobacke und kralle mich darin fest. Mehr nicht. – Was ungewöhnlich ist für mich, denn eigentlich, eigentlich bin ich im Bett gar nicht so passiv. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich mit dieser unvorhergesehenen Situation umgehen will, obwohl ich über alle Maßen erregt bin, vollkommen nass und schlüpfrig, daran liegt es nicht. Ich habe Lust auf ihn, auf all das, was hier gerade passiert, sehr sogar. Denn irgendwie habe ich das alles in den letzten paar Wochen schon diverse Male im Geiste vorweggenommen, vorerlebt, vorgeträumt. Und obwohl ich fast nichts dafür tue, bin ich schon fast so weit. Ich mache ein Geräusch, so einen Laut wie ein leises Wimmern, das den Orgasmus ankündigt, was für ihn dann der letzte Kick ist, um zu kommen. Er stöhnt leise auf, krallt seine Finger fest in meine Pobacke und kommt auf meinem Oberschenkel.

Für ihn ist es der Augenblick des Orgasmus, für mich ist es der Moment, wo der Kopf wieder angeht.

»Uh«, mache ich und gebe ihm einen schnellen Kuss. »Wow!« Langsam löse ich mich von ihm. Ich ziehe mein Bein zurück und drehe mich halbwegs auf den Rücken.

»Ja«, seufzt er wohlig, vollkommen fertig. »Ziemlich uh.« Er lacht leise auf und verschmiert das Sperma mit der Hand auf meinem Schenkel.

»Ih! Sperma«, sage ich lächelnd. »Eine ganze Ladung.«

»Ja. – Wow.«

Wir müssen beide lachen. Er ist offenbar wirklich vollkommen alle.

»Bist du müde?«, frage ich und gebe ihm einen Kuss ins Gesicht.

»Büschen«, murmelt er und kuschelt sich an mich. Ich streichle ihm den Kopf und grinse wie ein Honigkuchenpferd und gebe ihm noch einen Kuss. Aber dann strebe ich auch schon aus dem Bett.

»Komm«, sage ich. »Duschen. – Und frühstücken. Ich habe jetzt echt Hunger.«

»Okay.«

Wir gingen zusammen unter die Dusche. Das war schön, sehr innig, aber auch sehr – ja, respektvoll. Nur dass ich unter der Dusche dann natürlich wie immer pissen musste.

»Sorry«, meinte ich, »aber ich muss immer pinkeln beim Duschen.«

»Tu dir keinen Zwang an«, sagte Jan, und ich habe gepisst und es war überhaupt kein bisschen peinlich, sondern eher total lustig. Er meinte dann nämlich: »Darf ich?« Und ich so: »Klar«, und er hielt seine Hand in meinen Pisse-Strahl.

»Mhm, Kaffee«, sagte er.

Und ich so: »Ja. Ich bin doch so eine alte Kaffeetante, deswegen.«

»Klar«, meinte er. »Denk ich mir.«

Danach hat Jan dann auch noch gepisst. Ich hielt ihm mein Bein hin, das linke, auf dem er gekommen war, und er hat mir auf den Oberschenkel gepisst. Seine Pisse roch ebenfalls nach Kaffee.

»Ui, das ist total warm«, sagte ich mit einem kleinen Lachen.

»Ja. Geil«, sagte er.

Und ich auch: »Ja, geil!«

Während er mich angepisst hat, konnte ich mir seinen Schwanz zum ersten Mal ganz genau anschauen. Er war dunkler als der kleine Kevin, und auch etwas dicker, würde ich sagen. Zuletzt kriegte Jan dann wieder ein bisschen Erektion und konnte deshalb nicht mehr weiterpissen.

»Sorry!«

»Ist nicht schlimm.« Ich ließ mich gegen ihn fallen und schlang die Arme um seine Taille. »Das war schön. Total lustig.«

»Ja«, sagte er, und dann haben wir uns geküsst, während uns das heiße Wasser über den Kopf lief. Danach haben wir uns gegenseitig noch ein bisschen gewaschen, also nicht wirklich, es war mehr ein Spiel, kein wirkliches Saubermachen.

Nachdem wir wieder angezogen waren, bat ich Jan in die Küche und platzierte ihn am Tisch, Blickrichtung Balkon.

»Der Ehrenplatz«, sagte ich. »Da sitze ich normalerweise.«

»Ist mir eine Ehre«, sagte er.

»Gerne.«

Ich war nach diesem stürmischen Auftakt unserer Frühstücksverabredung natürlich total aufgekratzt, so eine Mischung aus verliebt und verlegen: überaus charmant und völlig verpeilt. Wahrscheinlich hatte ich gerade ziemlich Bombe und hektische Flecken auf den Wangen, mein Gesicht fühlte sich jedenfalls ganz heiß an. Jan ging es offenbar genauso. Also er hatte nicht Bombe, aber es war nicht zu übersehen, dass er auch ein bisschen mitgenommen war, emotional. Wir waren beide total angepeppt, von uns, von der ganzen Situation, von dem, was gerade passiert war und immer noch passierte zwischen uns, und wir sabbelten in einer Tour.

Ich schaltete die Espressomaschine ein, stellte die Blumen in die Vase und fing an, unser Frühstück aufzudecken.

»Was willst du trinken?«

»Kaffee?«

»Ja klar, aber irgendwas Spezielles? Du bist hier nämlich bei einer Profi-Barista zu Gast.«

»Cappuccino?«

»Okay. Cappuccino kommt.«

Jan lachte. Er holte seinen Tabak heraus und fing an, eine Zigarette zu drehen.

»Edgar«, sagte ich lachend.

»Ja«, sagte er mit einem breiten Grinsen. »Darf man bei dir rauchen?«

»Balkon«, sagte ich. »Sorry. Ich bin eine beschissene Gastgeberin. Dabei will ich eigentlich auch schon die ganze Zeit rauchen.«

»Die Zigarette danach.«

»Ja, genau. Drehst du mir auch eine?«

»Klaro.«

Wir lachten beide. Wir gingen auf den Mini-Balkon an der Küche, standen in der Sonne und rauchten.

»Toller Blick, dein Hinterhof.«

»Ja, ganz schick.«

»Du hast echt eine tolle Wohnung, finde ich.«

»Ja. Finde ich auch«, sagte ich lachend. »Ich würde dir ja eine kleine Führung machen, aber du hast ja irgendwie schon alles gesehen.« Wir mussten beide lachen, und ich fühlte, dass ich wieder Bombe kriegte. »Außer Dachboden und Keller vielleicht.«

»Du hast einen Dachboden und einen Keller? Wow!«

»Ja. Das ist nicht schlecht, so ein Keller.« Ich strahlte ihn an. »Falls man mal etwas – einkellern möchte.« O Mann, Alte, jetzt reiß dich mal zusammen!

»Denk ich mir.«

»Brrr«, sagte ich und rieb mir die Oberarme. »Ganz schön kalt, was?«

»Ziemlich.«

Wir gingen wieder hinein und setzten uns zum Frühstück hin. Das heißt, ich setzte Jan auf seinen Platz und machte mich an die letzten Vorbereitungen, wirbelte ein bisschen herum zwischen Espressomaschine und Kühlschrank. Die schöne Stimmung zwischen uns blieb, wir plauderten die ganze Zeit, äußerst ausgelassen und auch ein bisschen flirty.

»Und was zahlst du hier Miete?«

»Wieso? Willst du hier einziehen?«

»Joa, warum nicht?«, sagte Jan, und wir mussten beide lachen.

»Nix. Ist eine Eigentumswohnung.«

»Aha. Wie kommt? Bist du so reich?«

»Nee«, sagte ich lachend. »Also ich sowieso nicht. Meine Eltern haben die Wohnung gekauft. Als ich den Studienplatz gekriegt habe, hatte ich eine Zeitlang ziemlich herumgesucht, so wegen Wohnung, WG-Zimmer. Wobei ich eigentlich schon am liebsten alleine wohnen wollte. – Naja, leichter gesagt als getan. Das zog sich ziemlich in die Länge, echt so never ending story. Ich hätte mir das wahrscheinlich auch noch ein bisschen länger gegeben, aber mein Papa meinte dann: Dann kaufen wir halt eine.«

»Cool!«

»Was dann allerdings auch nicht mal so eben war. Und so bin ich hier in Hamm gelandet, ziemlich weit im Osten. Wo Papa dann meinte: Passt doch! Naja, und das finde ich im Grunde auch.«

»Wieso?«

»Na, weil wir doch aus dem Osten sind. Deswegen.«

»Ach so.«

»Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit meinem kleinen Königinnenreich. Ich wohne zwar fernab von allem, was hip ist, aber das finde ich nicht wirklich schlimm. Hamm ist schön, also teilweise wenigstens. Es ist grün, es ist ruhig, und bis ins Zentrum sind es nur fünf Kilometer. Dafür habe ich es nicht weit bis zur FH. Naja, und wenn ich nach Hause fahren will, habe ich es zwei Minuten bis zur Autobahn.«

Das war natürlich alles vollkommen banal, diese ganzen Gesprächsthemen. Ich fand es trotzdem schön. Und ich war so unendlich froh, dass es so eine superschöne Stimmung war zwischen uns, also dass wir hier jetzt so ganz unkompliziert sitzen und reden konnten, ganz entspannt, ganz vertraut. Und ganz glückselig auch, weil wir so schönen Sex miteinander gehabt hatten – ohne wirklich Sex zu haben. OK, das versteht jetzt wahrscheinlich wieder kein Mensch, aber so ging es mir in diesem Augenblick.

Dann waren wir irgendwann fertig mit Frühstücken, aber ich hatte noch gar keine Lust, dass unser Zusammensein bereits zu Ende gehen sollte. Ich hätte noch ewig mit ihm hier so sitzen und reden können. Wir gingen noch einmal auf den Küchen-Balkon zum Rauchen. Es war ein sonniger Tag, aber recht kühl, und der Balkon lag schon wieder im Schatten. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Brüstungsmauer des Balkons, damit ich ihn so halb von vorn anschauen konnte.

Jan ist gut eine Handbreit größer als ich. Eins siebenundachtzig? Eins sechsundachtzig? Etwas kleiner als Kevin auf jeden Fall. Breite Schultern, kurze blonde Haare, große Nase, spitzes Kinn mit einem Sechstage-Bart. Und ein strahlendes Lächeln im Gesicht, in diesem Moment auf alle Fälle.

Er legte den Kopf schief. »Was ist?«

»Nichts. Ich schaue dich an.«

»Denk ich mir.«

»Hast du es eilig?«, fragte ich.

»Nein, ich habe den ganzen Tag Zeit.«

»Ich leider nicht«, sagte ich. »Ich habe doch um drei noch diesen einen Termin.«

»Ah ja. Stimmt.«

Das war ehrlich gesagt nicht ganz die Wahrheit, ich hatte gar keinen Termin um 15 Uhr, das hatte ich zuvor nur behauptet, um unser Date auf eine elegante Art begrenzen zu können, was mir taktisch schlau zu sein schien – und ich ja außerdem auch immer noch hätte sagen können: Egal, ich lass den Termin sausen oder so etwas, falls ich es mir doch anders überlegt hätte.

»Ja, leider«, sagte ich. »Aber bis dahin... könnten wir doch noch gut etwas Schönes zusammen machen.«

»Okay? Und was?«

»Ich finde, es ist so tolles Wetter. Wir könnten doch noch ein bisschen rausgehen zusammen. So kleinen Spaziergang oder so.«

»Hunderunde.«

»Ja, genau.« Ich legte den Kopf schief und strahlte ihn an. »Dafür ist noch Zeit.«

»Okay.«

»Ja? Gut. Dann lass uns das machen.«

Es war mir nach dem, was passiert war, einfach lieber, wenn wir nach draußen gingen. Ich wollte zwar wahnsinnig gern noch etwas Zeit mit ihm verbringen, andererseits wollte ich aber auch unbedingt aus der Gefahrenzone heraus. Denn wenn wir hier in der Wohnung bleiben würden, bestünde ja durchaus die Gefahr, dass wir noch einmal zurück ins Bett gingen – und diesmal würden wir es richtig machen, das fand ich sowas von klar. Und Lust dazu hätte ich durchaus gehabt – große Lust! Sehr große. Aber manchmal muss man einfach den Kopf angeschaltet lassen.

Wir drückten unsere Zigaretten aus. Jan ging noch einmal auf die Toilette, während ich die Spülmaschine einräumte. Dann zogen wir uns an und verließen die Wohnung.

»Und wo gehen wir hin?«, fragte er, als wir unten auf der Straße standen.

»Wohin du willst!«

»Keine Ahnung. Ich kenne mich nicht aus. Null.«

»Soll ich dir was Schönes zeigen?«

»Ja?« Er lachte. »Gerne!«

Ich verschleppte ihn in den Hammer Park, der ja praktisch um die Ecke ist. Es ist ein total schöner Park mit riesigen alten Bäumen, alles so leicht verwunschen, eine richtige kleine Oase mitten in der Stadt. Ich hatte ihn schon letzten Sommer für mich entdeckt, gleich nachdem ich hergezogen war.

Es war so, wie es bislang immer war, wenn wir zusammen Hunderunde machten: Wir gingen nebeneinanderher und redeten, alberten herum und lachten. Das war immer sehr vertraut, sehr nahe, aber wir hielten jetzt auch nicht Händchen oder so, nur manchmal dengelten wir wie zufällig mit den Armen und Händen gegeneinander. Und genauso war es auch diesmal. Wir redeten die ganze Zeit, also besonders ich, ehrlich gesagt, über alles Mögliche, was weiß ich, Studium, Job, echt so quer durch den Garten, so etwas wie die Energiekosten z.B.

»Die waren ja zu der Zeit, als ich hier eingezogen bin, geradezu explodiert, wegen des Krieges.«

»Stimmt. Echt hammermäßig.«

»Stimmt. – Naja, da war ich natürlich schon echt froh, dass meine Eltern das netterweise ausgeglichen haben.«

»Cool.«

»Ja, echt.«

»So reiche Eltern zu haben.«

»Nee. Wie kommst du...«

»Na, ich meine, so wegen Eigentumswohnung und so?«

»Nee. Also nicht wirklich. Ich habe mich selber ein bisschen gewundert ehrlich gesagt, als Papa so ganz locker meinte: kaufen. Weil ich eigentlich immer dachte, wir haben nicht so viel Geld.«

Bei dem alten Planschbecken lehnten wir uns gegen einen der Krokodilköpfe aus Beton, um eine Zigarette zu rauchen. Es war kein Wasser darin, stattdessen lag noch ganz viel Herbstlaub auf dem Boden des Bassins. Wir standen ganz nahe zusammen und rauchten. Der Park war für mich so etwas wie ein Safe Space. Ich musste keine Sorge haben, dass es zwischen uns noch einmal so eskalieren könnte wie gerade eben. Von daher war ich wieder etwas entspannt.

»Echt nice, dein Park«, sagte Jan und blickte sich um.

»Ja, nicht wahr?« Ich schlang meine Arme um seine Taille, legte den Kopf ein wenig schief und sah ihn fragend an. »Happy?«

»Ja«, sagte er. »Sehr.« Er umarmte mich gleichfalls und dann küsste er mich.

»Pass auf!« sagte ich schelmisch. »Gefährlich. Was ist, wenn uns jemand sieht?«

»Wer sollte uns denn hier sehen.«

»Keine Ahnung. Jeder? Jeder kann uns hier sehen«, sagte ich.

»Und wäre das so schlimm?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht.«

»Ich finde, wir können uns durchaus sehen lassen.«

»Trotzdem. Vielleicht nicht so die prickelnde Idee, wo wir doch beide in...«

»Apropos sehen«, sagte Jan. »Sehen wir uns bald wieder?«

»Klar.«

»Ich meine: so.« Er drückte mich an sich.

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung.«

»Freitag?«

»Jetzt Freitag?«

»Ja. Der nächste Freitag.« Wir mussten beide lachen.

»Nee, da bin ich zuhause in Schwerin. Die ganzen Ostertage.«

»Ah ja, stimmt, da ist ja schon Ostern. Da bin ich auch weg.«

»In Rendsburg.«

»Nee. In Schleswig. Wir sind über Ostern bei Maries Schwester.«

»Der Fotografin?«

»Ja, genau.«

»Ah ja. Schön.«

»Von Sonnabend bis Montag einschließlich.«

»Da bin ich auch wieder da«, sagte ich. »Montag. Abends.«

»Dann halt nächste Woche irgendwann.«

»Wir werden einen Termin finden«, sagte ich.

»Denk ich mir.«

»Da bin ich ganz zuversichtlich«, fügte ich schelmisch hinzu und strich ihm sanft über die Wange.

»Das ist schön.«

»Ja. Das finde ich auch. Wir müssen einfach nur ein paar Dinge klären, verstehst du?«

»Ja. Diese Dinge.«

»Jepp.«

Ich habe dann die Gelegenheit genutzt, um »diese Dinge« anzusprechen, die mir schon länger auf der Seele und nach all dem, was gerade passiert war, ja sowieso ziemlich obenauf lagen. Ich habe ein bisschen was erzählt, so über meine Beziehung usw., und habe versucht, so ein wenig die ganzen Gos und No-Gos abzustecken, was das alles anging mit uns. »Also falls du überhaupt möchtest, dass da irgendwas weitergeht mit uns.«

Wo er dann so meinte: »Ja, schon.«

»Denk ich mir«, sagte ich lächelnd. »Ist bei mir ganz genauso. Und das ist ja genau das Problem irgendwie.«

Ich habe ihm dann gesagt, dass ich ihn sehr gern habe und dass ich wirklich große Lust auf ihn hätte, auch sexuell, nur dass ich eben mit Kevin zusammen sei und ihm treu sein wolle, was eben gewisse Schwierigkeiten und Einschränkungen zur Folge habe. Ich habe wahrscheinlich ziemlich herumgestammelt, als ich versucht habe, ihm meine Haltung dazu zu erklären, aber schlussendlich ist es mir, glaube ich, ganz gut gelungen. Jedenfalls meinte er, er könne das alles sehr gut nachvollziehen, auch weil es bei ihm ja letztendlich genau das Gleiche sei.

»Das wäre dann also geklärt«, sagte ich.

»Ja.«

»Schön.«

Wir fassten uns bei der Hand und schlenderten weiter, Richtung Ausgang. Ich fand es in Ordnung, so Hand in Hand zu gehen – nein, mehr als das, es war wunderschön. Meine Sorge, dass uns jemand sehen könnte, wurde von der Euphorie, von der ich erfüllt war, zum Schweigen gebracht. Zudem war auch nicht viel los, wir waren praktisch allein im Park, obwohl eigentlich ganz schönes Wetter war. Kurz bevor wir den Park verließen, blieb ich stehen und er auch. Ich legte meine Arme um ihn und dann küssten wir uns.

»Pass auf!« sagte Jan.

»Was?«

»Gefährlich. Wenn uns jemand so sieht.«

»Wer sollte uns hier sehen.« Und dann mussten wir beide lachen.

Ich brachte ihn noch bis zur Bushaltestelle. Als der Bus kam, nahmen wir uns noch einmal kurz in den Arm. Er stieg ein, ich winkte ihm zu und lächelte. Dann fuhr er davon.

Als ich wieder in meiner Wohnung war, hatte ich eine SayWord-Nachricht von ihm: schönes frühstück und dazu dieses Smiley, dem die Zunge aus dem Mundwinkel hängt. Ich musste lächeln, als ich das las, und schrieb spontan: bald wieder mit dem gleichen Smiley. Aber ich löschte das alles sofort wieder. Stattdessen schrieb ich: fand ich auch und dazu das Smiley mit der Nerd-Brille.

Ich legte mich noch einmal schnell ins Bett und vollendete, was wir vorhin angefangen hatten, kurz und knapp – und ziemlich heftig. Danach zog ich die Bettwäsche ab und startete eine Waschmaschine mit weißer Wäsche. Ich bezog das Bett neu und setzte Schnapps zurück auf ihren Platz. Ich hatte sie heute Morgen in den Kleiderschrank gesetzt, kurz bevor Jan kam.

Ich ging an den Schreibtisch, um zu arbeiten, aber in Wirklichkeit saß ich nur da, das Kinn auf die Hände gestützt, guckte aus dem Fenster und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Fuck, war das schön, dachte ich. Und: Scheiße, was mache ich jetzt bloß?

Es war völlig strange. Ich war immer noch ziemlich euphorisch, klar – einerseits. Aber andererseits hatte ich ganz klar so ein Schlussstrich-Gefühl, nach dem Motto: Basta, das geht so alles nicht. Schließlich waren wir beide in einer Beziehung, ich war mit Kevin zusammen, und er war mit Wie-auch-immer-sie-heißt zusammen, was also sollte das geben? Okay, das war hässlich, so zu denken, ich wusste ganz genau, wie Jans Freundin hieß, und in gewisser Hinsicht war das ja auch Teil des Problems.

Draußen war Frühling. Ich zog mir mein Hoodie über und trat auf den Balkon hinaus. Ich zündete mir eine Zigarette an und guckte hinunter auf die Straße. Leute gucken, ich liebe es. Und das geht supergut von meinem Balkon aus. The girl next door war auch gerade auf dem Balkon und rauchte. Sie wohnt im Haus gegenüber, nur eine Etage tiefer, und ich beobachte sie gern immer ein bisschen. Ich nenne sie immer meine heimliche Freundin, dabei kenne ich sie gar nicht. Eher mein Alter Ego als eine Freundin. Sie ist so mein Alter, schätze ich, und sie lebt auch allein. Sie hat einen Freund, der nicht mit ihr zusammenwohnt. Er besucht sie, immer donnerstags, und dann haben sie Sex, und sie hat keine Vorhänge vor den Fenstern – mein privater Pornokanal. Ich frage mich immer, was wohl die Leute aus dem Haus gegenüber über mich denken. Wahrscheinlich so etwas wie: die einsame Gen-Z-Tussi aus dem Osten, die immer ganz viel weg ist und vor allem am Wochenende.

Ich ging wieder hinein und fing an aufzuräumen, ein bisschen planlos. Ich hatte ja nichts weiter vor und wusste nicht so richtig, was beginnen. Um fünf Uhr machte ich mir noch einen Caffè Americano, legte mich aufs Sofa und rief Mina an. Sie ist schließlich meine beste Freundin und ergo dafür da, für solche Fälle. Zudem war sie bereits eingeweiht und wusste, dass ich heute dieses Date mit Jan gehabt hatte.

»Und, wie war's mit Breakfast Boy?«, war dann auch ihre erste Frage. »Hast du ihn gefickt?«

»Nein!«

»Äh... Hat er dich gefickt?«

»Menno, nein.«

»Okay. Also: Hattet ihr einvernehmlichen penetrativen Geschlechtsverkehr?«

»Nein. Nicht wirklich.«

»Oarr Mann, Alte, du bist aber echt schwer von Begriff!«

»Wie meinst du?«

»Na, ich will wissen, ob es zu sexuellen Handlungen gekommen ist. Irgendetwas auf einer Skala von butterfly-kiss bis three-hole challenge.«

»Oarr Mann, Mina. Language!«

»Netter Versuch. Aber keine Ablenkungsmanöver jetzt. Also, wo stehen wir?«

»Ach, keine Ahnung. Was weiß ich.«

»Wer denn sonst? Ich vielleicht?«

»Ach, irgendwas zwischen ein büschen Rummachen und heavy necking.«

»Hä? Und das war alles?«

»Ja. Mehr oder weniger.«

»Mit andern Worten: Du hast es vermasselt.«

»Ja. – Quatsch, nein. – Ach, keine Ahnung. Ich weiß es doch auch nicht.«

»Also ich komme jetzt irgendwie nicht mehr mit, ehrlich gesagt. Ich dachte, das war Sinn und Zweck dieser ganzen Veranstaltung, dass du dich von Breakfast Boy flach... also dass du mit ihm – intim wirst.«

»Ja, irgendwie schon, eigentlich. Aber irgendwie offenbar auch nicht.«

»O Mann! Anna Drama-Queen«, sagte Mina lachend. »Na, ich würde dir ja gern noch ein bisschen die Leviten lesen, aber ich habe leider keine Zeit. Ich muss gleich noch ein büschen rumhuren gehen. Lass uns morgen Abend telefonieren, okay?«

»Okay.«

Wir legten auf. Mina schickte mir noch eine Message auf SayWord: CALL YA! zusammen mit einem semipornografischen »erotischen« GIF. Und gleich darauf noch eins mit zwei niedlichen Comic-Bärchen, die knutschen. Mina eben.

Mina Lebusch, aka Minapopina, Supermina oder auch Wilhelmina, das ist ihr richtiger Vorname. Sie ist meine allerbeste Freundin – schon seit immer. Seit der ersten Klasse. Damals hatte sie mich gefragt: »Willst du meine Freundin sein?« und ich hatte ja gesagt. Aber vielleicht war die Frage auch »Soll ich deine Freundin sein?« oder »Willst du mit mir befreundet sein?« oder »Soll ich mit dir befreundet sein?« oder »Wollen wir befreundet sein?« Ich erinnere mich ehrlich gesagt nicht mehr, was sie genau gesagt hatte. Aber wie auch immer ihre Frage war, meine Antwort lautete »Ja!« und wir wurden Freundinnen. Und sind es geblieben, die ganzen Jahre. Wir sind zusammen zur Schule gegangen, von der ersten Klasse bis zum Abi. Sie ist die wichtigste Person in meinem Leben, jetzt abgesehen von Mama und Papa, und von Kevin vielleicht. Wenn es für jemand so etwas wie einen Seelenverwandten gibt, dann ist Mina genau das für mich. Und auch wenn wir uns jetzt nicht mehr jeden Tag sehen können, weil sie in Berlin ist und ich in Hamburg, telefonieren wir doch immer noch ganz ganz oft und halten den Kontakt in den sozialen Netzwerken.

Nach dem Abi war Mina weggegangen aus Schwerin und ich war dortgeblieben. Im Unterschied zu mir hatte sie ein Super-Abi hingelegt, sie war der Stolz der Lehrer, weil sie so unendlich begabt war. Mit ihrem Notenschnitt konnte sie sich aussuchen, was sie studieren wollte, und sie entschied sich für Psychologie. Obwohl das eigentlich auch vorher schon festgestanden hatte, das war ihr Traum. Also ging sie für den Bachelor nach Marburg, hat dort in Rekordzeit ihren Bachelor gemacht, und kam dann wieder zurück nach Hause. Und jetzt letztes Jahr ist sie für den Master nach Berlin gegangen. Sie war einfach so gut, dass sie sich aussuchen konnte, wo sie studieren wollte. Und für sie war Berlin immer schon das Maß aller Dinge.

Abends telefonierte ich mit Kevin bzw. ich hätte gern ein bisschen mit ihm telefoniert, aber er hatte nicht wirklich Zeit dafür, klar, er war auf dem Sprung: Dienstag ist Dart-Abend im Polarstern. Wir sprachen ganz kurz das kommende Wochenende ab.

»Wann kommst du?«, fragte er.

»Ich komme schon Donnerstag, so gegen fünf, halb sechs, schätze ich.«

»O toll.«

»Und bleibe dann bis Montag.«

»Ja, super. Das ist schön. Ich freu mich auf dich, Spatz.«

»Ich auch, Superspatz. – Was ist mit der Party Freitag? Haben wir schon Geschenk und so, oder soll ich mich kümmern?«

»Nee nee, alles bongo bongo. Shirin hat was für uns besorgt. Irgendwelche Klamotten.«

»Ja, super. Dann...«

»Bis Donnerstag«, sagte er. »Fahr vorsichtig.«

»Klar. Immer. Weißt du doch!«

»Ich liebe dich.«

»Ich dich auch. Immer. Weißt du doch!« Und auch wenn das angesichts der aktuellen Situation vielleicht komisch klang, so meinte ich es doch wirklich ernst. Er ist meine große Liebe. Mein allerliebster Superspatz. Mein Ein und Alles. Das war er von Anfang an und daran konnte nichts und niemand etwas ändern.

Ich holte mir noch ein Bier und ging auf den Balkon, eine rauchen. Danach setzte ich mich an den Schreibtisch und schrieb alles, was an diesem denkwürdigen Tag passiert war, in mein geheimes Tagebuch.

2: Fernweh/Heimweh

»Mein geheimes Tagebuch«, das ist natürlich nur so eine Redewendung. In Wirklichkeit ist es mein streng geheimes Tagebuch, weil wirklich nie- nie- niemals irgendjemand die darin enthaltenen Aufzeichnungen zu Gesicht bekommen dürfte.

Spaß!

Oder vielleicht auch nicht so ganz, keine Ahnung.

Ich hatte im ersten Semester damit angefangen, locker Tagebuch zu schreiben. Locker, das heißt, ich schreibe nicht jeden Tag, sondern nur so von Fall zu Fall. Unmittelbarer Anlass dafür war, dass ich den Job im Casa Nostra angefangen hatte, aber den Anstoß dazu hatte eine unserer Dozentinnen gegeben: »Anja« respektive Frau Doktor Barghaus-Willers, die das SexPol-Seminar im ersten Semester abgehalten hatte.

»Sie machen natürlich, was Sie wollen, aber ich kann es Ihnen nur wärmstens empfehlen.«

»Fangen Sie einfach an. Schreiben Sie alles auf, was Sie erleben, ohne Schere im Kopf. Nur nicht groß nachdenken, es ist ganz egal, was Sie da hineinschreiben.«

»Betrachten Sie es als eine Vorübung fürs Praktikum. Selbstreflexion ist schließlich die Basiskompetenz der pädagogischen Person.«

»Jetzt gucken Sie mich ungläubig an: Meint die das wirklich ernst? Den ganzen Quatsch soll ich aufschreiben? Ja, genau, diesen ganzen langweiligen, nervigen, unverdauten Alltagsquatsch. Denn dieser ganze langweilige Quatsch ist Ihre Lebenswirklichkeit, mehr oder weniger unmittelbar. Denn auch all die Fantasien, Halbwahrheiten und Lügen, die wir uns über uns selbst erzählen, gehören zu unserer Lebenswirklichkeit dazu. Und natürlich auch und vor allem: alles über Sex.«

»Sie denken jetzt gewiss: Jaja Alte, rede du man. Da werde ich mich ja wohl noch daran erinnern können, was letzte Woche passiert ist. Oder vor zwei Monaten. Oder vor einem Jahr. Ich sage: Sie können es nicht. Und wenn Sie in ein paar Jahren den ganzen Quatsch nachlesen, den Sie in Ihr Tagebuch geschrieben haben, dann wird dieser Quatsch die einzige authentische Quelle sein, über die Sie verfügen.«

Sie nahm ein Notizbuch aus ihrer Tasche, die auf dem Tisch hinter ihr lag, und schlug es auf. »Na gut. Um das Thema abzuschließen, lassen Sie mich Ihnen einen Spruch von Friedrich Nietzsche vorlesen: Das habe ich getan, sagt mein Gedächtnis. Das kann ich nicht getan haben – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach.«

Natürlich mussten wir alle grinsen, als sie das vorlas.

»Okay, ich sehe, Sie verstehen, worum es mir geht. Also: Tagebuch schreiben. Ist mein Tipp an Sie. Mein großes Vermächtnis, wenn Sie so wollen. Machen Sie es – oder lassen Sie's. Wie Sie wollen. Es ist Ihr Leben, vergessen Sie das nicht.«

Seit knapp acht Monaten wohne ich jetzt in Hamburg, am 13. August bin ich hier eingezogen. Für den Umzug konnte ich den Transporter der Firma nutzen, Papa ist gefahren. Kevin hatte ein paar Freunde/Kollegen als Umzugshelfer rekrutiert. Das ging alles ratzfatz, ich habe ja nicht viel, und viele von den kleinen Sachen hatte ich vorher schon mit Fabian hinübergefahren. Als alles ausgeladen war, gingen wir noch zusammen essen, Papa hat alle eingeladen. Und danach fuhren meine Helfer dann wieder zurück nach Schwerin. Bevor Papa sich auf den Weg machte, hatte er mir noch 500 Euro zugesteckt.

»Begrüßungsgeld«, meinte er mit einem großen Lächeln. »Das gehört schließlich so, wenn man im Westen ankommt.«

»Danke Papa. – Für alles.«

»Gern geschehen.« Er nahm mich in den Arm und wir drückten uns, ganz fest. »Ganz viel Glück, in deinem neuen Zuhause, Genossin Augenstern.« Ich kriegte ein bisschen feuchte Augen, als er das sagte. Er gab mir noch einen Kuss zum Abschied und fuhr dann auch los, zurück nach Hause. Nur Kevi und ich blieben allein zurück in meiner neuen Wohnung. Wir setzten uns in die Küche, tranken mitgebrachtes Bier und futterten Erdnüsse.

»Puho«, stöhnte ich. »What a day.«

»Kann man so sagen.«

»Ich bin total erledigt.«

»Kein Wunder. Wir sind seit sechs dabei.« Kevi streichelte mir den Handrücken. »Und, bist du zufrieden?«

»Ja, sehr. Hat doch alles perfekt geklappt.«

Ich setzte mich auf seinen Schoß und wir küssten uns ausgiebig. Ich schob meine Hände unter sein T-Shirt und er bei mir genauso.

»Begrüßungs-Sex?«

»Klar«, sagte ich. »Das gehört schließlich so.« Ich gab ihm einen fetten Kuss. »Wenn man im Westen ankommt.«

»Na dann: Herzlich Willkommen.«

Am Sonntag schliefen wir aus, so gut es ging, ich hatte ein bisschen Hummeln im Hintern. Den ganzen Tag verbrachten wir dann mit Möbelaufbauen, Auspacken und Einräumen. Und am Montag war dann unser Jahrestag, schon unser vierter. Das ist der Tag, an dem wir uns kennengelernt bzw. zum ersten Mal Sex gehabt haben, weil irgendwie kennen taten wir uns ja schon vorher. Wir verbringen diesen Tag immer zusammen. Es gibt Geschenke und wir machen etwas Schönes. Dieses Jahr machten wir Sightseeing in meiner neuen Stadt. Die große Hafenrundfahrt, Elbtunnel, Hafen-City, Elbphilharmonie, Alster. Es war ganz wunderbares Wetter. Abends machte ich uns ein Festessen mit Lieblingsrouladen von Mama und wir hüpften auch noch einmal schnell ins Bett. Kevin fuhr dann ganz spät noch zurück nach Hause, er musste ja am nächsten Tag früh raus.

Ich hatte ehrlich gesagt kurz überlegt, ob ich nicht mitfahre, hatte mich dann aber dagegen entschieden. Irgendwann muss man schließlich anfangen, auf eigenen Füßen zu stehen. Ich war ein bisschen stolz auf mich deswegen – aber auch ziemlich traurig. Es war ein ganz eigentümliches Gefühl, als ich zum ersten Male die Tür hinter mir zumachte – und mit einem Mal ganz allein war. Zum ersten Mal im Leben. Ich hatte das Gefühl, dass ich noch nie in meinem Leben so allein gewesen war wie in diesem Moment.

Ich legte mich ins Bett und heulte ein bisschen. Schnapps lag auf meinem Bauch, meine kleine grüne Plüschfreundin. Kevin hatte sie mir geschenkt, zu unserem ersten Jahrestag.

»Ach Schnappelchen, Schnappelchen«, sagte ich. »Jetzt sind nur noch wir beide.«

»Kein Problem. Ich habe keine Angst.«

»Ein Glück.« Ich küsste sie. »Wenigstens eine von uns, die keine Angst hat.«

»Du musst auch keine Angst haben, Annakind.«

»Ich hoffe, du hast recht.«

»Klar. Mach dir keinen Kopf, das wird geil. Glaub mir. Wir werden es uns ganz ganz schön machen hier.«

»Ja bitte! – Bitte bitte!«

Die erste Zeit in Hamburg war – nun ja: hart. Ich hatte ja vorher noch nie allein gewohnt. Als ich noch in Schwerin war, wohnte ich zuhause bei meinen Eltern, wenigstens offiziell, weil ich ja faktisch meistens bei Kevi war. Gefühlt war das mein Zuhause, auch wenn es natürlich faktisch seine Wohnung war. In der Praxis spielte das nicht wirklich eine Rolle, weil wir sowieso die meiste Zeit aufeinanderhockten und auch aufeinanderhocken wollten. Wir waren so perfekt zusammen. Was wir miteinander hatten, war einfach alles, was eine Beziehung ausmacht und braucht: atemberaubender Sex, absolutes Vertrauen, gemeinsame Interessen, ein gemeinsamer Freundeskreis. Das alles gab es, in überreichem Maße sogar. So gesehen hatte Mama natürlich auch recht, als sie meinte, dass es auch irgendwie merkwürdig wäre, dass wir bei aller Nähe und Intensität unserer Beziehung doch nie ernsthaft überlegt hatten zusammenzuziehen.

Die große Frage ist natürlich, warum ich es überhaupt gemacht habe. Also weggehen aus Schwerin, alleine wohnen? Warum ich das gemacht habe bzw. warum ich es unbedingt machen wollte?

Offizieller Hauptgrund für den Umzug nach Hamburg war natürlich das Studium. Ich hatte zum Wintersemester einen Studienplatz für Soziale Arbeit an der FH in Hamburg bekommen. Hamburg war mein Wunsch-Studienort, ich hatte mich ganz bewusst dafür entschieden. Ich hätte natürlich im Prinzip überall hingehen können zum Studieren, ich hätte z.B. auch nach Berlin gehen können. Mina war ja zur gleichen Zeit im Begriff, nach Berlin zu gehen, für ihren Master, und natürlich hatte sie mich immer gelockt, so nach dem Motto: Los Alte, komm, das wird geil. Aber ich weiß nicht, irgendwie ist Berlin nicht so meins. Berlin ist so riesengroß, ich wäre mir dort wahrscheinlich völlig verloren vorgekommen, auch wenn meine beste Freundin dort lebt. Gefühlt ist Berlin doppelt so groß wie Hamburg – und kilometermäßig ist es mehr als doppelt so weit weg von zuhause.

Der andere Hauptgrund war dann eher rein privat, so etwas wie: Ist ja vielleicht auch ganz gut, mal rauszukommen, mal auf eigenen Füßen zu stehen. Ich hatte nicht eigentlich ein Problem mit meinem bisherigen Leben, und in meinem Selbstbild und in dem, was andere mir spiegelten, war ich immer eher so: cool und selbstbewusst. Nur auf der anderen Seite war ich eben eine Person von fast Mitte 20, die immer noch zuhause bei Mama und Papa wohnte. So gesehen könnte man sagen, dass ich mich irgendwie auch selbst so ein bisschen unter Druck gesetzt habe damit. Ins kalte Wasser geworfen, gewissermaßen.