tristan & Ramona - ann brondhem - E-Book

tristan & Ramona E-Book

Ann Brondhem

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Beschreibung

Vier Frauen. Vier Geschichten über die Liebe. Sonia: Ich hab einfach kein Glück mit Männer. Hatt ich genau genommen auch noch nie. Rebecca: Wer jetzt denkt Liebeskummer, liegt damit gar nicht so verkehrt, obwohl ganz das richtige Wort ist es auch wieder nicht. Ramona: Der Freund meiner Freundin ist mein Freund. Die Freundin meines Freundes ist mein Feind. Lotta: Ich habe das Gefühl, er ist direkt aus dem Himmel in mein Leben gefallen – und in mein Bett.

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Seitenzahl: 429

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ann brondhem

tristan & Ramona

vier geschichten über die liebe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

mit der Seele suchend

Total versaut

Tristan & Ramona

Phase 8 / Umkehrung der Vorzeichen

Impressum neobooks

mit der Seele suchend

"Ich hab einfach kein Glück mit Männern", sagte ich, zu Verena umgewandt. Sie lag auf der Rückbank, die nackten Füße gegen das rechte Seitenfenster gestemmt. "Hatt ich auch genau genommen noch nie."

"Okay?", sagte sie, mit diesem typischen kleinen Grinsen, das ich in den nächsten Wochen noch so oft bei ihr sehen sollte. Und wahrscheinlich fand sie es eine ziemlich merkwürdige Antwort auf die Frage, ob ich einen festen Freund habe.

Ellen fing an zu lachen. "Nah, Mädle! Lass dich net täusche! Unsere kleine Sonia hier jammert nämlich immer ganz gern mal ein bisschen, wenn's ums leidige Thema Kerle geht. Aber immer auf höch­stem Niveau."

"Stimmt ja gar nicht!", protestierte ich.

"Doch, doch doch!", sagte Ellen. "Nur dass es bei ihr in Wirklichkeit immer dieses Ding ist... Ach was weiß ich, an jedem Finger zehn. Weil Sonia... Sonia nämlich nicht bloß einen festen Freund hat, sondern obendrein auch meistens immer noch einen Liebhaber. Plus jede Menge..."

"Pfff!"

"One-Night-Stands. Ach komm, sag was du willst!", sagte Ellen und knuffte mich liebevoll auf den linken Oberarm. "Für mich warst du jedenfalls schon immer sowas wie die... Ach was weiß ich! Das leuchtende Vorbild oder so. Die letzte Hoffnung. Für alle Mädels."

Der erste Eindruck: so wichtig! Und für Verena war das ja praktisch der erste Eindruck, den sie von mir bekam, wir hatten ja gerade erst angefangen, uns kennenzulernen. Und dann kam Elli mit ihren Geschichten. Andererseits ist es natürlich schon auch immer hochinteressant mitzukriegen, wie andere Leute dich wahrnehmen – imGegensatz zu dem, wie du dich selbst siehst und dein Leben. Und in diesem Falle war es eben auch deshalb besonders interessant, weil diese bestimmt liebgemeinte, aber eben nicht nur schmeichelhafte Charakterisierung nun ausgerech­net von Ellen kam. Sie ist meine älteste Freundin, wir kennen uns schon ewig, schon unser halbes Le­ben. Ach, mehr als das halbe Leben, wir sind zusammen aufgewachsen, praktisch. Zuerst war's Pony und Barbie, und später dann Party, Kiffen und Jungs. Und zusammen Abi ma­chen. Auf'ne Art war Elli die Schwester, die ich nie hatte.

"Weswegen jetzt?", fragte Verena. Sie hatte sich aufgesetzt und ihren Kopf zwischen den beiden Sitzen hindurch nach vorn geschoben, ihr Oberarm lag auf meiner linken Schulter. "Also wofür jetzt, letzte Hoffnung?"

"Na, dafür halt", sagte Ellen und machte eine Kopfbewegung, als würde sie mit dem Kinn darauf deuten. "Das Ganze so. Liebööö!"

"Liebeee!", rief Verena lachend und patschte mir dabei auf den linken Oberarm. "Voll fett!"

"Yeah!", rief Elli. "Und Sex natürlich! Böp, böp, böp!" Und dabei drückte sie auf die Hupe, dreimal.

"Oh fuck, nee", sagte ich und legte die Hände vors Gesicht. Denn ich hatte bereits zu diesem Zeitpunkt ein ganz bestimmtes Gefühl, worauf das alles hier hinauslaufen würde.

Kaum zu glauben, dass das erst vier Wochen her ist. Und jetzt ist es schon wieder vorbei, einfach so: Zack, Ferienende! Und du sitzt heulend im Flieger und starrst aus dem Fenster. Oder auf die Rückenlehne des Vordersitzes. Oder auf die Fotos in deinem Mobiltelefon. Oder in dein Reisetagebuch.

Zu Anfang des Urlaubs hat man ja immer dies Gefühl, man würde eintauchen in einen paradiesischen Zustand völliger Zeitlosigkeit. So dies Ferien-auf-Saltkrokan-Feeling, wie in den Sommerferien damals mit Mama und Oma in Dänemark. Und Ferienende, das findet ja wahrscheinlich jeder doof. Oder gibt's das? Leute, die es toll finden, wenn die Ferien vorbei sind, so nach dem Motto: Oh super, jetzt schön wieder arbeiten gehen! Ja wohl eher nicht. Also kann ich mir jedenfalls nicht vorstellen.

Vorhin haben wir noch zusammen gefrühstückt, Verena war vorbeigekommen, und nach dem Frühstück fuhren meine beiden Mädels mich zum Flughafen und halfen mir beim Einchecken. Anschließend saßen wir noch zusammen in der Halle und warteten, bis mein Flug dran war.

"Ach, war das geil, Leute!", sagte Ellen. "Gelle?" Sie legte die Arme um Verenas und meine Schultern und küsste uns nacheinander auf die Wange. "Eine anstrengende, aber auch sehr schöne Reise."

"Ja, ich fühl mich auch komplett… amorph", meinte Verena und seufzte. "Dabei kommen wir doch gerade erst aus dem Urlaub."

"Ich mich auch", sagte ich. Mir war schon den ganzen Morgen schlecht (Mama würde sagen: wie Buttermilch und Spucke), und ich hatte deswegen auch kaum was gegessen. Aber dafür hatte ich extra viel Make-up aufgelegt.

"Vielleicht 'ne leichte Irritation der kleinen rosa Festkörperchen", sagte Verena lachend.

"Ja, vielleicht. Könnte sein."

"Und zudem dann auch noch Urlaub vorbei und Auftritt Ernst, wie in Ernst des Lebens."

"Na, ich bin jedenfalls scheißfroh, dass Michi nichts gemerkt hat", sagte Ellen. "Von daher glaube ich, ich kann mir meine Beichte sparen."

"Kann ja noch kommen."

"Mensch, hör auf! Sowas soll man nicht beschreien."

Dann wurde mein Flug aufgerufen, und die beiden brachten mich noch bis zum Securitycheck. Wir verabschiedeten uns tränenreich voneinander, obwohl es in Wirklichkeit ziemlich lustig war: Ellen umarmte mich, Verena umarmte mich, Verena umarmte Ellen.

"Ach Gott ach Gott!", sagte sie und winkte mit beiden Händen ab. "Ich bin heut ganz konfus. Ich flieg doch gar nicht weg."

"Ich spüre eine Erschütterung der Macht", sagte Ellen lachend. Sie umarmte mich und küsste mich noch einmal. "Hierbleiben du musst!"

"Ist das auch ein Spezialgebiet von dir?", fragte ich Verena, mit einem Lächeln, das wahrscheinlich etwas verunglückt aussah.

"Manchmal, ja." Sie probierte ihr Lächeln. Und es wirkte, zumindest bei mir. "Es kommt auf die Umstände an, gell? Die Umgebungsvariablen sind ja das A und O bei solchen Sachen."

"So, kommt her, Mädels", jauchzte Ellen. "Einmal noch Po-Ebene per tutti!"

Die letzte Umarmung. Verenas Gesicht ganz nah vor mir. Nur ein riesiges Auge, tiefblau.

"She's lookin' at you, kid." Sie küsste mich, ganz zart, mitten auf den Mund. "Und das nächste Mal machen wir dann einfach alles anders", flüsterte sie mir ins Ohr. Ich fühlte ihre Hand auf meinem Po, zum letzten Mal. "Von Anfang an."

"Okay. Von Anfang an."

Dann ging ich durch die Sicherheitsschleuse.

"Tschü'üs!", rief Ellen von der anderen Seite und winkte überschwänglich. "Bis ba'ald! Und ruf an, wenn du da bist, hörst du!"

Und damit war alles vorbei. Unser Superduper-Mädelsurlaub war zu Ende und alles andere auch. Als ich im Flugzeug saß, das erste Mal allein seit mehr als vier Wochen und mit meinen ganzen Erinnerungen, rollten mir unablässig die Tränen. Ich konnte sie nicht stoppen, sondern immer nur wegwischen.

Und es waren wirklich megageile Ferien, von Anfang an. OK, auf dem ersten Stück durch Österreich hat es geregnet, und wir waren alle drei noch ein wenig müde, so: muffelig und ein bisschen maulfaul. Aber zwei Stunden später waren wir schon über den Brenner und freuten uns wie die Schneeköniginnen, weil uns die liebliche Sonne des Südens anlachte. Und wir dann alle so: Yippie yeah! Mädelsurlaub!

"Jetzt fangen die Ferien so richtig an", verkündete Ellen. "Sommer. Sonne. Sex."

"Sommer und Sonne sind schon da", sagte ich und setzte meine Sonnenbrille auf. "Ziemlich viel davon."

"Fehlt also bloß noch – Sex!", meinte Ellen grinsend. "Und bitte auch gerne viel davon! Oder hat jemand Gegenvorschläge?" Ich rollte schon so leicht mit den Augen, als sie das sagte, so nach dem Motto: Oh bitte nicht das wieder! Das konnte Ellen aber nicht sehen. "Die müssten dann allerdings auch mit S sein", fügte sie hinzu.

"Wieso?", fragte Verena.

"Wieso wieso?"

"Wieso müssen die mit S sein?"

"Par ordre du mufti", sagte Ellen und machte sich mit dem Zeigefinger einen Schnurrbart. Und so sammelten wir dann bis zur nächsten Pipi-Pause einen ganzen Haufen von Gegenvorschlägen, alle mit S: Shoppen, Strand, Sizilien, Sightseeing, Stracciatella, Siena usw. Mein Vorschlag Sixtinische Kapelle wurde von Ellen ausgebuht ("Langweilig!"), Verenas bunga bunga dagegen fand Gnade vor ihren Augen.

"Hä? Bunga bunga geht ja nun wohl gar nicht", protestierte ich.

"Aber sicher doch", meinte Verena, "das ist hier sozusagen Volkssport."

"Geht nicht! Ist nicht mit S."

Und Ellen dann meinte: "Peace, Mädels. Ich subsumier das mal unter Sex, dann passt's schon."

Dieser Mädelsurlaub war Ellens Idee. Ich wollte ja ursprünglich eigentlich mit Jan in die Ferien fahren, aber mein beknackter Freund hatte mal wieder andere Pläne. Insofern passte es mir dann natürlich ganz gut, als Elli anfragte, von wegen mal wieder zusammen in Urlaub fahren und Italien, und ich sagte spontan ja. Zum einen, weil Urlaub mit Ellen sowieso immer schon toll war. Wüst, aber toll. Und zum anderen fand ich es nach diesem erneuten Debakel mit meiner Urlaubsplanung völlig evident, dass ich mir ganz dringend einmal über ein paar Sachen klarwerden musste. Und bei so einem vierwöchigen Urlaub im sonnigen Süden würde ich ja wahrscheinlich massig Zeit haben: also zum einen, in Ruhe nachzudenken, wie es für mich eigentlich weitergehen sollte mit Jan, oder ob überhaupt, und zum anderen natürlich auch ein bisschen zu entspannen und mich zu regenerieren.

Dritte im Bunde war Verena, eine Freundin und Arbeitskollegin von Ellen aus Innsbruck. Ich kannte Verena vorher noch nicht, wir waren uns mal flüchtig begegnet, als ich Elli in Innsbruck besucht habe, das war alles, und in solch einer Konstellation in Urlaub zu fahren, ist natürlich schon immer Risiko. Aber es stellte sich dann ziemlich schnell heraus, dass wir zwei gut miteinander auskommen würden, im Prinzip schon gleich am allerersten Tag. Ich fand sie gleich von Anfang an supersympathisch und schloss sie sofort ins Herz.

Es waren wirklich wunderschöne Ferien, the best Urlaub ever. Und was das Wichtigste war: Ich war in diesen vier Wochen mental völlig weg von allem, was mich zuhause bedrückte. Meistens jedenfalls. Es gab auch so Depri-Momente, aber meistenteils war ich einfach happy und wunderbar entspannt. Oder eben "völlig bunga bunga" (O-Ton Verena), was dann so ungefähr das gleiche bedeutete.

Insofern ist die Situation jetzt schon irgendwie ziemlich paradox. Denn hätte Jan mich nicht versetzt, hätte es unseren supertollen Mädelsurlaub nie gegeben. Nichts von alledem, was passiert ist, wäre jemals geschehen. Nur dass ich jetzt auf 'ne Art eben noch viel unglücklicher bin als vorher.

Kurz hinter der Grenze fuhren wir auf die Raststätte, für Pipi-Pause und Fahrerwechsel, und weil Ellen sich Zigaretten kaufen wollte. Sie rauchte zwar eigentlich schon ewig nicht mehr, außer beim Kiffen vielleicht noch und eben in den Ferien.

"Also i'ich, ich brauch jetzt erstmal Fortuna", sagte sie und zog los Richtung Tankstelle. Und als sie kurz darauf zurückkam, rief sie schon von weitem: "Die haben hier gar nicht Fortuna! MS heißen die hier, die Zigaretten."

"Fortuna ist Spanien", sagte Verena.

"Stimmt! Jetzt wo du's sagst", meinte Ellen und zündete sich eine Zigarette an. "Ist ja aber auch kackegal, wie die heißen. Zigaretten sind Zigaretten. Obwohl so'n büschen Fortuna könnt ich natürlich auch gut gebrauchen", fügte sie hinzu, ließ die Zungenspitze kurz aufblitzen, und dann lachte sie dieses kleine debile dreckige Lachen, wo du schon gleich weißt: OK, der Feierdrachen fährt gerade schon wieder hoch.

Irgendwie war das bei Elli schon immer so, dass sie so völlig ausrastete, wenn wir zusammen im Urlaub waren oder auf einem Festival. Oder wenn sie mich in Hamburg besuchen kam. Und sie es dann immer so darstellte, als wäre ich diejenige welche. Böse Sonia!

Und auch dieses Mal war sie anscheinend wild entschlossen, die Sau rauszulassen. Was insofern erstaunlich war, als sie ja in einer festen Beziehung ist, wie wir alle drei übrigens, mehr oder weniger. Aber Elli eben mehr: Sie war schon seit fünf Jahren mit Michi ein Paar, und die beiden wohnten ja sogar zusammen. Und schon seit längerem war immer die Rede von Kind und von Heiraten und Hochzeitsglocken, vor allem in letzter Zeit. Aber Ellis Credo ist irgendwie schon immer gewesen: Urlaub is Urlaub, und da gelten andere Tabus.

"Also mein planning für diese Ferien ist einfach ein bisschen Detox", sagte ich, "ein bisschen Wellness, ein bisschen Strand."

"Boarr, langweilig!", rief Elli und stampfte mit dem Fuß auf.

"Bisschen Lesen. Schlafen. Gut essen."

"Oarr, Mann! Das sind Oma-Ferien, echt!", sagte Elli und stampfte gleich nochmal mit dem Fuß auf. Sie war ernsthaft enttäuscht.

"Ja. Herrlich. Superlangweilig", sagte ich grinsend. ("Soni-Maus, ist dir auch schön langweilig?" war dann die nächsten vier Wochen immer so die Standardfrage, wenn Ellen mich aufziehen wollte.) "Aber vor allem will ich diesmal nicht wieder dieses übliche Chaos. Keine dämlichen Flirts, keine besoffenen Typen nachts im Apartment. Keinen Mount-Everest-Sex."

"Was ist Mount-Everest-Sex?", fragte Verena.

"Wieso Mount Everest? Weil er da ist", sagten Elli und ich gleichzeitig.

"Das ist so'n running gag zwischen Sonia und mir", sagte Ellen.

"Ah ja!"

"Also Gag würd ich das nicht nennen", sagte ich.

"Jaja. Nur dass erfahrungsgemäß ja meistens du diejenige bist, die als erstes damit anfängt."

"Achso, jetzt ist alles meine Schuld. Ja, klar."

"Ja, genau. Du bringst immer all meine ganzen schlechten Angewohnheiten zum Vorschein", sagte Ellen lachend. "So wie rauchen zum Beispiel. Ich rauch echt nur noch, wenn ich mit dir zusammen bin. Sonst nie."

"Lass mich da mal schön raus! Wenn du rauchen willst, rauch. Und wenn du in den Ferien rumpoppen willst wie eine Beknackte, kannst du das gerne tun. Nur ich kann da diesmal glaub ich gepflegt drauf verzichten."

"Ich nicht! Ich muss das ganze Jahr schon immer verzichten. Aber jetzt – sind Ferien! C'est les vacances les filles!"

"Worauf musst du denn verzichten?", fragte ich. Aber das war auch eher eine rhetorische Frage: Elli Feierdrachen reitet wieder.

Ellen ging nach dem Abi damals zum Physikstudium nach Freiburg, während ich in Hamburg blieb. Und seit fünf Jahren lebt sie jetzt in Innsbruck. Dort hat sie promoviert, und dort hat sie auch ihren Freund kennengelernt, Michael. Trotzdem blieb unser Kontakt immer total eng, und bis heute besuchen wir uns immer noch ganz oft oder fahren zusammen in Urlaub.

Verena ist auch Physikerin und arbeitet an dem gleichen Forschungsinstitut wie Ellen und ihr Freund. Sie kommt auch aus Deutschland, aus dem Hochschwarzwald, weshalb sie mit diesem wahnsinnig niedlichen Dialekt spricht, wenn sie denkt, sie spräche das reinste Hochdeutsch.

"D's kleine Vreni ist halt a richtigs Schwarzwaldmädle", meinte Ellen, wobei sie Verenas Akzent ziemlich perfekt nachmachte.

"Stimmt ja gar net!", sagte Verena lachend. "Was du immer redst!"

"Doch doch! Sie kommt nämlich so echt total vom Dorf", sagte Ellen grinsend. "Aus Hinterzarten am Titisee."

"Wäwäwä!", machte Verena, so leicht angepisst.

"Das ist gleich um die Ecke von Sankt Blasien. Kein Witz!"

"Ach, die Ellen tut mich immer aufziehen damit", sagte Verena und lachte mich strahlend an, während sie gleichzeitig versuchte, Elli zu hauen. "Aber net, dass ich jetzt die ganzen Ferien hindurch für euch das Schwarzwaldmädle spielen muss. Da hätt ich nun absolut keinen Bock dazu. Und wenn, wär ich außerdem sowieso eher so der Waldbauernbub." Sie kniff Ellen in die kleine Speckrolle an der Hüfte.

"Touché", kommentierte Ellen trocken, und Verena gnickerte.

Das blieb dann natürlich Verenas nickname für den Rest der Reise: Waldbauernbub. Selber schuld, würde ich sagen. Und es passte einfach auch zu gut: jung klein muskulös, rotzfrech – obwohl sie für einen Buben vielleicht ein klein wenig zu viel Busen hat.

Ellens nickname auf der Reise war Mamma Ellen oder einfach la mamma, weil sie sich immer total fürsorglich um alles Organisatorische kümmerte und außerdem unsere gemeinsame Kasse verwaltete.

Ich war il dottore, klar, schon weil ich für alle kleinen Wehwehchen zuständig war.

"Dottore Sonia isse die mit die bittere pille und mit die condomi", meinte Ellen immer, um mich ein bisschen aufzuziehen, weil ich ihnen angeblich ständig Vorträge halten würde über Safe Sex. Obwohl, Verena nannte mich meistens "Kleine", dabei bin ich a) einen halben Kopf größer als sie und 2. die Älteste von uns dreien.

Selbstverständlich hatten wir unsere Reise nicht bis ins Kleinste durchgeplant, aber ganz grob einen Masterplan gab's schon: Wir wollten nach Sizilien und dort dann herumcruisen, die Insel erkunden bis hinüber nach Palermo und auch das Binnenland. Liparische Inseln, wenn die Zeit es erlaubt. Außerdem Strandleben, baden, feiern, joggen, lesen. Lecker essen. Und shoppen natürlich, klar: "Wir sind schließlich Mädchen" (O-Ton Elli). Für die Rückfahrt wollten wir uns dann ein bisschen Zeit nehmen, ein paar Städte abklappern, Neapel, Rom, Florenz usw., aber die Hinfahrt runter nach Sizilien wollten wir in einem Rutsch machen.

"Und da'as", hatte Ellen am Vorabend unserer Abfahrt noch gemeint, "wird ein richtiger Höllentrip. Ein 24-Stunden-Höllentrip!"

In Wirklichkeit war die Fahrt dann das absolute Gegenteil von Höllentrip: sehr sehr angenehm, vollkommen gechillt, fast ein wenig hypnotisch. Wie ein langer, schöner Trip. Wir hatten praktisch von Anbeginn eine superschöne Stimmung miteinander, total locker und fröhlich. Und Verena und ich hatten die ganze lange Autofahrt Zeit, um uns ein bisschen näher kennenzulernen und miteinander warm zu werden. Wir befanden uns ja noch in dieser allerersten Kennlern-Phase. Wo dann aber einfach ziemlich schnell klar war, dass es passt mit uns beiden.

Die meiste Zeit quasselten wir äußerst angeregt über alles Mögliche. Manchmal auch ernsthaft, klar, aber meistens war es eben einfach nur superlustig, komplett gaga und laa lala. Wir machten jede Menge Quatsch. OK, beim Autogrill war ich die Einzige, die es lustig fand, aber über die Po-Ebene zum Beispiel konnten wir uns stundenlang amüsieren, wie die kleinen Kinder. Und manchmal wurde es dann auch ein bisschen versaut, klar, wir sind ja schließlich schon große Mädchen.

"Hehehehe", gackerte Ellen, "guckt mal, Mädels: der Laster. Der ist aus Poland." Sie konnte sich wirklich königlich darüber amüsieren. "Der kommt bestimmt aus Hinterzarten, was ja bekanntlich die Hauptstadt von Poland ist", fügte sie grinsend hinzu und streckte Verena die Zunge raus.

"Wäwäwä!"

"Unterwegs nach Hinterzarten! Aber wer weiß, vielleicht ist er ja auch auf dem Weg nach St. Blasien. Wie auch immer, ich fühl misch jedenfalls jetzt schon ganz popo-popolisch."

"Von wegen popo-popolisch", sagte ich grinsend. "Du bist rollig wie eine Lernschwester." Verena musste so lachen, als sie das hörte, sie konnte sich kaum wieder einkriegen.

"Könnte sein. Könnte durchaus sein. Obwohl eigentlich vertrittst du ja die Medizinberufe hier." Jetzt bekam ich die Zunge gezeigt. "Guck, da steht's sogar schon dran", fügte sie hinzu, als wir unter einer dieser Signaltafeln hindurchfuhren. "Per traffico intenso! Schätze, das bedeutet genau das, was ich denke, dass es bedeutet. Ist also genau unsere Richtung."

"Da steht auch controllo elettronico della velocità. Schätze, das heißt: mach mal halblang auf Italienisch."

"Ach weißt du, lang oder halblang, ich bin da ganz offen", sagte Elli. Und wieder das reizende kleine dreckige Lachen.

Unser Höllentrip verlief mehr oder weniger planmäßig, ohne größere Staus oder sonstige Probleme, so dass wir gegen Abend kurz vor Rom waren. Wir fuhren auf die Raststätte, für Pipi-Pause und um Don Vito vollzutanken.

"Jetzt sind wir schon so richtig im Süden, find ich", meinte Verena, als wir nach dem Tanken beim Wagen standen und rauchten. "Die Vegetation undsoweiter und wie alles aussieht, das ist echt schon so Südeuropa, finde ich." Da konnte man ihr nur zustimmen. Bella Italia! Ellen hatte dann die glorreiche Idee, dass wir doch einfach zum Abendessen nach Rom hineinfahren könnten.

"Ich mein, wir kommen doch so oder so erst morgen früh auf Sizilien an", sagte sie. "Und dann doch lieber so, oder?"

Und dagegen ließ sich ja nun wirklich nichts einwenden. Also gesagt getan, fuhren wir nach Rom und in einen phantastischen Sonnenuntergang hinein und verbrachten unseren ersten Abend in der Ewigen Stadt. Wir fanden ein schickes kleines Restaurant, das auch Pizza anbot, und wo wir auf einer Terrasse unter Platanen draußen sitzen konnten. Das Lokal war halb leer, genau wie die Stadt. Offenbar waren viele Einheimische schon in den Ferien.

"Die sind bestimmt alle auf Sizilien", meinte Ellen. "Könnte doch sein."

Es war jedenfalls eine tolle Atmosphäre, beinahe ruhig und friedlich, wenn man bedenkt, dass wir ja mitten im Zentrum waren, fast so, als könnten wir der großen Stadt beim Atmen zuhören.

Beim Essen sprachen wir noch ein bisschen weiter über unsere gemeinsame Reise und unsere jeweiligen Vorstellungen. Ich wollte Strand, ein bisschen Spaß und im Übrigen "Oma-Ferien". Verena wollte auch an den Strand, sie musste aber auch ein bisschen was arbeiten, weil sie einen Aufsatz fertigschreiben wollte, den sie für eine Fachzeitschrift vorbereitete.

"Außerdem will ich alle Caravaggios sehen. Und in die Oper will ich auch."

"Schätze, wir haben da also weitgehend Konsens, was das Unterhaltungsprogramm anbetrifft, oder?", sagte Ellen. "Die vier großen S: Sonne, Strand, Shoppen und – bunga bunga!" Die beiden letzten Worte sang sie förmlich und wackelte dabei mit dem Hintern.

"O menno", sagte ich lachend, "ich wusste es!"

"Ach komm! Sei ein Schatz, Darling", flehte Ellen und flatterte mit den Augenlidern. "Nur einen ganz klitze-klitzekleinen Urlaubsflirt für misch." Mit dieser Babe-goes-Vamp-Nummer konnte sie mich schon immer zum Lachen bringen.

"Ach mach doch, was du willst, Hasi! Nur bitte nicht wieder solche Dramen wie auf Lesbos."

"Was war Lesbos?", fragte Verena mit unverhohlener Neugier.

"Mhmmm, Lesbos war legendär", sagte Ellen schwärmerisch und schloss für einige Sekunden die Augen im Gedanken an unseren letzten gemeinsamen Urlaub vor vier Jahren.

"Was war Lesbos?", wiederholte Verena und sah mich fragend an. "Lesbisch?"

"Nichts. Nichts-nichts", sagte ich lachend und legte die Hand über die Augen. "Lesbos war gar nichts. Ich will nur noch vergessen."

"Hehehehehe", kicherte Ellen. "Sag isch legendär, mein isch legendär. Dat Land der Grieschen mit der Möse suchen." Und in wenigen anschaulichen Zügen gab sie Verena einen kurzen Abriss über unsere Reise auf die griechischen Inseln.

"Oooh, es war echt so geil! Irgendwie haben wir die ganze Zeit nur mit Wölfen jongliert. Du vor allem, ma chère, wenn ich dich daran erinnern darf. Und waren ansonsten dauer-stoned. Und wahrscheinlich wären wir da völlig versackt, wenn uns die Vermieterin nicht am Ende rausgeschmissen hätte."

"Na, da kann ich mich ja auf was gefasst machen", sagte Verena und zog die Nase kraus.

"Okay", sagte ich. "Lesbos war extrem. Aber es war nicht so extrem."

"Aber ziemlich extrem", sagte Ellen. "Weißt du noch Jannis? Jannis Galanakis? Der Mann mit den goldenen Fingern, hab ich immer gesagt. Wo ich dachte, das wäre so eine Art Lustzauber-Balsam, womit er mich da einschmiert, während er mich die ganze Zeit auf Griechisch zusäuselte. Dabei war es nur ganz ordinäres Olivenöl."

"Kannst du Griechisch?", fragte Verena.

"Nah, naturlich nichtoss!"

"Und wie habt ihr euch verständigt?"

"Hehehe, das war mehr so – intuitiv. Er sprach Griechisch und liebte Französisch. Besser wie umgekehrt, würd ich sagen." Elli lachte. Dann trommelte sie mit beiden Händen auf den Tisch und stand auf. "So, nun aber genug der heiteren Reminiszenzen. Ich geh jetzt noch mal schnell Lulu machen und dann können wir, oder?"

Ellen ging zur Toilette, und Verena rückte ihren Stuhl näher zu mir heran.

"Jetzt sag einmal: Ist das alles nur Gered oder meint sie das ernst?", fragte sie.

"Was denkst du?"

"Ich weiß net. Sag du's mir, du kennst sie schon länger."

"Sie meint das todernst. Ellen findet, im Urlaub wäre alles erlaubt."

"Naja, irgendwie stimmt es ja auch", sagte Verena und grinste verschmitzt.

"Und das war schon immer so bei ihr. Urlaub mit Ellen ist immer so ein bisschen wie Kegelclub: oberwitzig, aber auch oberpeinlich manchmal, ungefähr so peinlich wie Springbreak in Lloret de Mar."

"Oder Lesbos extrem", sagte Verena.

"Oder Lesbos extrem." Und wir mussten beide von Herzen lachen. Dann kam Elli vom Klo zurück.

"What's up, Mädels?"

"Wir reden gerade über dich", sagte Verena.

"Nur Gutes, hoff ich."

"Naja, wir diskutieren deinen sexualrevolutionären Weltaufstandsplan."

"Hehehe! Meinen Welturlaubsplan meinst du", sagte Ellen. "Ich kann nix dafür. Bin isch Triebnatur, weissu?"

"Jaja, von wegen, Triebnatur. Oversexed bist du."

"Hehehe! Ja, genau. Oversexed and underfucked. Und vor allem underfucked. Ich bin so underfucked, in Wirklichkeit müsste die Krankenkasse meinen Urlaub bezahlen."

"Na denn: Lasset die Spiele beginnen!", sagte ich.

"Jo! Panem et circenses, würd ich sagen."

Wir mussten die ganze Zeit so lachen, als wir zum Auto zurückgingen, dass uns fast die Tränen herunterliefen.

Die Nachtfahrt von Rom nach Reggio di Calabria war dann die zweite Hälfte unseres Höllentrips. Zuerst waren wir noch total aufgekratzt und unterhielten uns über dies und das. Um die Fahrerin wachzuhalten, klar, aber es gab auch so unendlich viel zu erzählen. Und insbesondere Verena und ich hatten natürlich auch Bock darauf, uns gegenseitig so ein bisschen auszufragen. Später hielten wir uns mit Singen und Ratespielen bei Laune, diese Art Spiele, die wir schon gespielt hatten, als wir zusammen Ferien auf dem Ponyhof gemacht haben, nachts im Bett. Wir grölten das Biene-Maja-Lied und natürlich immer wieder Pippi Langstrumpf, Ellis Version: "Hej, Pippi Langstrumpf, ich mach, was mir gefällt."

Als ich wieder dran war mit Fahren, war es dann schon tierisch spät. Ellen lag auf dem Rücksitz und schlief. Verena gab sich noch eine Zeit lang redlich Mühe, mich zu unterhalten, aber schlief dann auch ein. Ich kam mir vor wie in einem Roadmovie: allein durch die Nacht brausen, warm und südlich, das Autoradio dudelt leise italienische Schnulzenmusik. Der neue Kitsch! Und wahrscheinlich hörte ich da dann auch zum ersten Mal Cercavo Amore, das in Italien gerade der absolute Top-Hit war und stets und ständig und überall lief, und das dann sowas wie unsere Hymne werden sollte. Aber das konnte ich da natürlich noch nicht wissen.

Montag 16. Juli 2012

Auch ich in Arkadien! Benvenuti a Sicilia! Gestern morgen in Innsbruck bei Regen losgefahren, und keine 24 Stunden später sind wir schon da! Die Fahrt war lang, aber sehr nett.

Elli dreht schon wieder ein bisschen am Rad ("oversexed + underfucked") Aber was soll's, wenn sie unbedingt will. Sind schließlich Ferien. Und auch ich bin bereit, alles von mir abfallen zu lassen

Kaum waren wir in Messina von der Fähre runter, nahmen wir erstmal einen Cappuccino und futterten die A-Klasse-Sandwiches, die Ellen uns besorgt hatte.

"Hehehe, ich sorge für euch wie eine Mutter", sagte sie, und Verena meinte: "Mamma Ellen!" und prägte damit Ellis nickname für den Rest unserer Reise.

Verena hatte sich aus ihrem schwarzen "Schnuffelanzug" aus Nicki-Stoff geschält, den sie auf der Fahrt getragen hatte, und zeigte der dankbaren Welt ihre schlanken braunen Beine.

"O, wie's scheint, haben Madame schon etwas vorgearbeitet", meinte Ellen und tätschelte Verenas Oberschenkel, worauf die nur trocken meinte: "Bräunungscreme. Gives you a kind of a head start."

Die erste Nacht auf Sizilien verbrachten wir planmäßig in einer Jugendherberge in den Bergen (der "absolute Geheimtipp" einer Kollegin von Mama, die letztes Jahr im Herbst dort gewesen war), die jetzt im Sommer natürlich rappelvoll war mit Travellern zwischen 18 und 80. Und dort lernten wir dann Sascha und Torsten kennen, ein süßes schwules Pärchen aus Berlin. Die beiden hatten für die Dauer ihres Aufenthaltes ein Apartment in Catania gemietet, das sie als Basislager nutzten, von wo aus sie ihre Exkursionen unternahmen.

Wir hatten ja eigentlich unseren supertollen Masterplan, aber da es so unglaublich heiß war, warfen wir kurzentschlossen alles über den Haufen. Statt die ganze Insel abzugrasen, wollten wir lieber erstmal ein paar Strandtage einschieben und dann am Ende der Woche das Appartamento der beiden Jungs übernehmen.

Doch bis zur Wohnungsübernahme waren es noch vier Tage. Also machten wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft am Meer, wo wir bis dahin residieren konnten. Ursprünglich hatten wir ja eigentlich auch geplant zu zelten, tatsächlich gemacht haben wir es schlussendlich kein einziges Mal.

Tageslosung: "O menno! Hunger, Pipi, heiß!" (Elli)

Wir fuhren hinunter in den Süden, den Ätna immer im Blick. Majestätischer Berg. Der Vulkan ist so hoch, dass er praktisch von überall zu sehen ist. Schließlich landeten wir in Marina di Modica, wo wir trotz Ferienzeit problemlos ein Hotelzimmer bekamen.

"Ja, Bombe! Das klappt doch hervorragend", sagte ich.

"Ja genau", sagte Ellen. "Und innert drei Tagen übernehmen wir dann die Hütte von den beiden Berlinern. Sorry, Maus, für diese kleinen Austriazismen", fügte sie entschuldigend hinzu.

"Ist schon okay", meinte ich nur. "Sowas bleibt ja nicht aus, wenn man im Ausland lebt."

In meiner Erinnerung war unser Hotelzimmer grün. Die Jalousien blieben den ganzen Tag geschlossen, um die Hitze draußen zu halten, und deshalb war alles in ein grünliches Licht getaucht wie in einem 50er-Jahre-Südstaaten-Film, Katze auf dem heißen Blechdach oder sowas. Es gab nur ein Doppelbett, weshalb kleine Verena sich zum Schlafen "zwischen die beiden dicken Mädchen quetschen" musste. Aber sie meinte, es wäre recht gemütlich. Und das fand ich in Wirklichkeit auch.

Und ab da waren wir dann eigentlich jeden Tag alla spiaggia.

Heiß heißer superheiß – und damit ist nicht bloß der Zustand von Ellis Libido gemeint, sondern die hiesige Lufttemperatur.

Es war so heiß, dass man es nur am Meer unterm Sonnenschirm liegend aushalten konnte.

"Schweinchen Madonna, was 'ne Affenhitze!", stöhnte Elli. "Ich fühl mich komplett juicy-fruity. Hundert Prozent Lustfeuchtigkeit." Und sie lachte ihr reizendes schmutziges Lachen. Sie wollte es wirklich wissen. Was sie allerdings nicht daran hinderte, eifersüchtig zu sein und jeden Tag zuhause bei ihrem Freund anzurufen.

"Der tägliche Kontrollanruf. Ich muss doch schließlich checken, ob alles in Ordnung ist."

"Und? Ist alles in Ordnung?"

"Pfff! Er sagt ja. Aber ob da die nackerten Weiber rumspringen, weil er bei uns in der Bude ohne Ende Party macht, weißt du ja eh nicht. Und wenn ich ihm hier jetzt fremdginge, wär das also so gesehen nix anderes als wie so'ne Art Putativnotwehr."

Auch Verena telefonierte praktisch täglich mit ihrem Freund.

"Hast du das noch nicht gemerkt?", fragte Ellen mit nachsichtigem Grinsen. "Immer wenn sie so sch-sch-sch in ihr Handy säuselt und dabei diesen leicht debilen Gesichtsausdruck hat, ist Gary dran." Für den debilen Gesichtsausdruck kassierte sie einen kleinen Fausthieb von Verena. "Ach Gary, Gary Gary, uuhuu! Naja, du kennst das."

"Du bist doof", schmollte Verena. "Dir erzähl ich nie nix mehr."

"Nee", sagte ich lachend. "Kenn ich nicht!"

Kannte ich wirklich nicht. Mein Freund rief mich nämlich nicht an. Seit Jan mit Ex und Kind in Urlaub gefahren war, hatte er mich noch kein einziges Mal angerufen. Und am Ende war ich es dann mal wieder, die ihn anrufen musste. Die einzigen, die mich angerufen haben, waren Mama und Lena. Die meisten Leute wussten, dass ich im Ausland war, und beschränkten sich daher auf SMS. OK, dass Mama anruft, war klar, dem kann man ja schlecht entgehen, und als einziges Kind muss man da ja sowieso einiges abpuffern. Und dass Lena mich anrufen würde, war auch irgendwie klar. Sie ist aktuell mal wieder der Verzweiflung nahe, was in der letzten Zeit häufiger der Fall war, und muss sich dann einfach ein bisschen entlasten. Ich find's OK, dafür sind Freunde schließlich da. Nur mein beknackter Freund zog es vor, mich mit Kontaktsperre zu belegen.

"Mach dir nichts draus", sagte Elli. "Das Leben ist halt kein Kindergeburtstag."

"Doch, das ist ja genau das Problem", sagte ich. "Das Leben ist Kindergeburtstag. Am Anfang wollen alle Prinzessin sein, und am Ende heulen dann alle."

"Ach was weiß ich, dann ist es eben kein Ponyhof. Jedenfalls ist es scheiße!"

Eigentlich finde ich das gar nicht. Mein Leben ist nicht scheiße. Soll heißen: Es gibt auch schöne Dinge. Die Affäre mit Tim zum Beispiel. Seit neun Monaten geht das jetzt mit ihm. Ellen würde sagen, er ist mein "Lover", aber ich sage Liebhaber. Das ist ein Unterschied. Dein Liebhaber bringt dich zum Flughafen, während dein eigener Freund dich versetzt. Und es war Tim, der mich zum Flughafen gefahren und mir mit dem Gepäck geholfen hat. Er ist einfach ein Lieber. Die letzte Nacht vor meiner Abreise hatten wir zusammen verbracht, inklusive Abschiedssex. Schöner, schmutziger Timmi-Sex. Hart und rumpelig, wo dir noch drei Tage hinterher alles wehtut. Süßer Schmerz der Wollust...

Verenas Freund Gary war ebenfalls Physiker. Die beiden hatten sich in Boston kennengelernt, als Verena dort ihr Auslandsjahr gemacht hatte.

"Ist das ein Ami?", fragte ich.

"Nah, nee nee. Er ist eigentlich Engländer. Aber er arbeitet schon seit ein paar Jahren dort."

"Verenas Süßer ist nämlich so eine Art physikalisches Wunderkind", sagte Ellen. "Solche Verbindungen werden im Himmel geschlossen: das höchstbegabte Fräulein Gutlieb und Mister Gary Saunders, das junge Alphamännchen unseres Faches."

"Gutlieb", wiederholte ich grinsend, und Verena wurde ein bisschen rot.

"Und zusammen zeugen sie dann den nächsten Einstein."

"Und seht ihr euch oft? Wenn er in den USA lebt?"

"Ja, meistenteils schon. Aber jetzt sind's schon fast drei Monate."

"Uffa!"

"Tja, s'ist halt eine Fernbeziehung. Aber zum Glück gibt's ja Internet. Und wenn’s alles geht wie geplant, gehe ich nächstes Jahr auch nach Boston. Also jetzt net wegen Gary, net nur. Mit etwas Glück kann ich dort am Institut eine Assistentenstelle bekommen."

"Von wegen Glück", sagte Ellen. "Du bist einfach die Beste."

"Du nun wieder!", sagte Verena, ein wenig verlegen. "Naja. Aber wenn wir wieder zurück sind, kommt Gary nach Innsbruck. Das erste Mal. Und dann mal schauen, was wir machen. Vielleicht fahren wir meine Eltern besuchen."

"Er kommt dann rüber?"

"Nee. Er ist zurzeit in London bei seiner Familie. Also genaugenommen ist er bei seinen Eltern. Und bei seiner Ex und..."

"Nah, das find ich schon echt brutal", sagte Ellen.

"Ja, irgendwie schon." Verena drehte ihr Haar zusammen und steckte es hoch. Ich war immer vollkommen davon fasziniert, was sie alles mit ihren Haaren anstellte. Sie hatte nie mehr als ein paar Stunden die gleiche Frisur. "Andererseits, die beiden haben nun mal ein Kind zusammen, so eine richtige kleine Prinzessin, sechs Jahre alt. Sheila. Von daher."

"Wir hatten früher mal einen Hund, der Sheila hieß", sagte Ellen. "Einen total süßen Bordercollie."

"Und kennst du sie?", fragte ich.

"Sheila, komm bei!" rief Ellen energisch und lachte.

"Das Kind meinst du? Nee. Achso, nee, die Ex auch nicht. Sie ist anscheinend so eine richtige englische Oberschichten-Tante aus der erstbesten Londoner Gesellschaft, mit endlos Geld und so. Grace Kelly, sag ich immer."

"Weil sie so aussieht wie Grace Kelly?"

"Ach scheiße, nein! Keine Ahnung. Das sind alles nur so meine Phantasien. Aber Gary ist ja auch Upper Class. Die Eltern haben eine Villa in Kensington, das ist so ein richtiger Palast. Mehr Schicki geht net. Das kommt gleich nach Buckingham Palace, weischt? Und da passt Waldbauernbub halt net so gut."

"Tja, da hast du dann immer gleich die Klassenfrage", sagte ich.

"Ja", sagte Verena. "Leider. Aber London ist geil!"

"Klar. Obwohl, mit der Olympiade jetzt, das muss doch auch das absolute Grauen sein. Also für die Einwohner von London, stell ich mir vor."

"Vermutlich. Obwohl, sie sind grad gar net in London, sondern auf dem Land, ganz standesgemäß. Ich sag immer: Schloss Balmoral oder sowas in der Art."

Da waren wir also, jede mit ihrem Beziehungsstatus, wie er unterschiedlicher nicht sein konnte. Verena hatte ihren englischen Traumprinzen. Ellen hatte ihren Michi aus Tirol, und das einzige Problem bestand darin, dass sie immer total eifersüchtig war und von daher, paradoxerweise, permanent auf Rachefeldzug wegen des eingebildeten oder tatsächlichen Fremdgehens Michaels. Und ich? Ich hatte gefühlt nichts. Das konnte man sicherlich auch anders sehen. Ellen jedenfalls fand meine Situation äußerst komfortabel.

"Wasse du wolle? Du hast deinen super Haupt-Mann. Und obendrein hast du auch noch deinen Sex-Knecht." Sie leckte sich die Lippen bei dem bloßen Gedanken an all die versauten Implikationen dieses Begriffs.

"Hihihi", gnickerte Verena, "Sex-Knecht."

"Ja, genau. El Toro." Sie machte sich Stierhörner mit den Zeigefingern. "Olé!"

"Ah Scheiße Mann, ich erzähl dir bald gar nix mehr," stöhnte ich, musste dann aber trotzdem grinsen. Ich fand es auch nicht wirklich schlimm, dass sie das sagte, weil es ja nur Verena war, die es mitbekam. Aber ich hasste Ellens Angewohnheit, intime Details, die man ihr erzählt, öffentlich auszuplaudern. Da musste man schon aus Prinzip immer ein bisschen gegensteuern.

Anders als Elli hatte ich in diesen Ferien gar nichts vor, was Sex anging. Mein Liebesleben ist ohnehin schon kompliziert genug. Meine Rolle im Team hätte also gut und gern die der "vernünftigen Erwachsenen" sein können. Nur dass dann schon an unserem vierten Abend auf Sizilien die "vernünftige" Sonia plötzlich zur Drama-Queen mutierte und um ein Haar unseren ganzen Mädelsurlaub gecrasht hätte.

Eigentlich war es keine große Sache, mein kleines Techtel mit Jonas. Im Nachhinein verstehe ich auch nicht mehr, was mich da geritten hat. Denn eigentlich war da nichts. Wir waren uns ein paar Mal über den Weg gelaufen, tagsüber am Strand und abends im Dorf, auf der Piazza. Wir haben uns erst angeguckt, dann angelächelt und schließlich auch ein paar Worte gewechselt, so: "Hallo, ich bin der Jonas." "Freut mich. Ich bin Sonia." Das war alles. Nur dass er dann an unserem letzten Abend in Marina di Modica plötzlich vor unserem Tisch stand, als ich mit den Mädels auf der Terrasse vom ristorante saß.

"Ach, da schau her. Sonias kleiner Kavalier", meinte Ellen trocken. "Und, wo hast du dein Pferd geparkt, Froschkönig?"

Jonas guckte leicht irritiert, aber er ließ sich davon nicht abschrecken und durfte sich dann auch zu uns an den Tisch setzen. Nach dem Essen verabschiedeten sich meine Mädels zügig.

"Scusi amici, aber wir können nicht bleiben", meinte Ellen, "wir müssen vorm Zubettgehen noch ein paar Kerle aufreißen."

Und Verena flüsterte mir deutlich hörbar zu: "Buona sera signorina! Va fanculo! Baccia mi!"

"Das – war Vulgärlateinisch!", sagte Elli und klimperte mit den Augen wie die Maus aus der Sendung mit der Maus.

Dann zogen die beiden ab, und ich war mit Jonas allein.

Wir blieben noch ein bisschen sitzen, tranken, rauchten, redeten ganz viel und lachten noch mehr. Und gingen dann, irgendwann spät, hinunter zum Strand. Es war stockfinster, das Wasser pechschwarz und beinahe still, nur ein sanftes Wogen. Wir gingen nackt schwimmen, und danach lagen wir am Strand und haben geknutscht.

Das war schön. Sehr schön! Ziemlich heiß, auch ohne Sex. Ich fühlte mich vollkommen gelöst und irgendwie zufrieden.

Jonas brachte mich noch zurück zum Hotel. Und beim Abschied hat er dann gefragt, ob wir uns morgen wiedersehen würden, und ich meinte dann so: Nee. Und dass wir am nächsten Tag weiterwollten nach Catania. Und dann, ganz spontan, ohne vorher groß darüber nachzudenken, sagte ich: "Aber du kannst dich uns doch einfach anschließen. Das wäre toll, dann könnten wir noch ein paar Tage zusammenbleiben."

Ich fand das in dem Moment eine ganz bezaubernde Idee. Und Jonas offenbar auch. Er meinte aber, dass ich das doch wahrscheinlich zunächst mal mit meinen Freundinnen besprechen müsste, bevor wir etwas abmachten. Und dass er auch nochmal darüber nachdenken würde.

Als ich dann ein paar Minuten später im Hotelzimmer Ellen und Verena davon erzählte, hörte sich meine bezaubernde Idee allerdings schon total dämlich an. Und die beiden fanden die Idee auch überhaupt nicht bezaubernd, sondern schlicht doof. Ellen lavierte zuerst noch ein bisschen herum und verpackte ihr Nein in höfliche Ausflüchte. Verena war schlicht dagegen.

"Sorry, aber ich fänd's halt einfach net gut. Ich fänd's halt einfach net gut, wenn wir uns unseren schönen Mädelsurlaub jetzt so kaputtmachen täten, und nur wegen einem Kerl."

"Genau!", meinte Ellen dann. "Wir sind schließlich ein Team, und das geht gar nicht, dass eine von uns hier so'ne Solonummer durchzieht."

Ich meinte dann zwar noch: "Das sagt echt die Richtige", aber mit Verenas Veto war es im Grunde schon entschieden. Wäre es nur Elli gewesen, hätte ich meinen Kopf wahrscheinlich durchsetzen können und Jonas behalten dürfen. Sie konnte mir eigentlich nie was abschlagen.

Aber so musste ich am nächsten Morgen Jonas anrufen und ihm sagen, dass ich meine Einladung wieder zurückziehen müsse: "Sorry!" Er schien davon total überrascht, meinte dann aber selbst auch, dass er sich inzwischen ganz ganz viele Gedanken gemacht hätte, und dass er sich letztlich dafür entschieden hätte, doch lieber allein weiterzufahren. Das kränkte zwar mein Ego ein bisschen, aber im Grunde war ich doch eigentlich auch ganz froh darüber, dass er das so sah. Weil das nämlich bedeutete, dass er gar nicht erst versuchen würde, mich umzustimmen. Wir meinten dann beide noch, dass wir uns eventuell ja in Florenz noch einmal treffen könnten, falls das Timing stimmt. Und das war's dann. Im Nachhinein konnte ich auch ganz gut damit leben. Ich hatte jedenfalls keine Sekunde lang in Erwägung gezogen, meine beiden Mädels im Stich zu lassen und mit Jonas allein weiterzuziehen.

Nach vier Tagen wechselten wir nach Catania, was dann für die restliche Zeit unser Basislager wurde. Catania gefiel mir auf Anhieb. Es ist eine hart arbeitende Stadt, laut und schmutzig, eine richtige Hafenstadt eben, abgeschottet gegen das wilde, unbeherrschte Meer. Unser appartamento lag in der Via Antonio nahe der Piazza Bellini, also quasi mitten im centro storico.Die Nachbarschaft ist eine bunte Mischung aus Wohnen, Geschäften, Partymeile und Red-Light-District. Eine Straße weiter von unserer Wohnung warteten Straßenmädchen auf Freier, sogar tagsüber.

"Straßenmädchen, ich finde, das klingt immer so… keine Ahnung, Pretty-woman-mäßig", meinte Elli. "Dabei sind die meisten hier Frauen deutlichst Ü30, die wie wir alle gegen Verfall und Schwerkraft kämpfen müssen, und wo du dich wunderst, dass die überhaupt irgendwas gerissen kriegen."

Aber für uns war es natürlich top: Für billiges Geld hatten wir eine schöne, großzügige Wohnung, das Badezimmer hübsch renoviert. Alles ein bisschen improvisiert, die Gas-Wasser-Installationen z.B. waren haarsträubend. Aber sehr hübsch eingerichtet: praktisch leer, die wenigen Möbelstücke eine wilde Mischung aus Louis XVI und Gelsenkirchener Barock. Schon molto siciliano. Es gab keine Klima-Anlage, daher wohl auch der relativ günstige Preis. Aber für uns war es sehr in Ordnung. Führten wir halt ein Leben in Unterwäsche in unserer "Model-Villa", gammelten herum und ließen italienische Game-Shows im TV laufen. Und für Don Vito gab es sogar eine eigene Garage.

Tagsüber machten wir manchmal Ausflüge (nach Taormina oder nach Siracusa), aber meistens waren wir einfach nur am Strand. Und abends waren wir dann in der Stadt unterwegs. Wir machten bella figura, gingen essen und danach auf die Piste. Auf Sizilien hat ja jedes kleine Kaff seine Partyzone, wo die Einheimischen abends flanieren, quatschen, trinken. Jung und alt, bunt gemischt. Und natürlich erst recht in Catania. In den Straßen rund um die Piazza Bellini tobt nachts das Leben. Es gibt unendlich viele Bars und Kneipen, aber ganz ganz viel findet einfach auch draußen statt. Dort gehörten wir schon zu den älteren unter den Pistengängern, hauptsächlich waren es Kiddies, Oberschüler und Studenten, alles zwischen 16 und 22.

"Fuck, da fühlt man sich plötzlich schon richtig alt", meinte Verena.

"Ach was! Du bist doch noch ein junger Hüpfer", meinte Ellen trocken. "Was soll ich denn da sagen? Oder la dottora hier." Sie tauchte geschickt unter meinem Fausthieb hindurch. "Zu langsam! Sie wird nämlich schon bald 33, unsere Sonia."

"Oje, die große Doppel-Drei", sagte Verena und rubbelte tröstend meinen Unterarm.

"Schnapszahl", sagte Ellen. "Eigentlich kannst du ja gleich schon mal anfangen, einen darauf auszugeben. Wo ist denn hier die nächste Schnapsausgabe?"

Zweimal haben wir abends auch selbst gekocht. Verena kann super kochen. Das waren nur so ganz einfache Sachen, Pasta und Fisch und dazu Salat, aber es schmeckte ganz wunderbar, als ginge einem beim Essen das Herz auf.

"Definitiv Heiratsmaterial, die Frau", sagte Ellen und bedeckte Verenas Hand mit Küssen.

"Kochen ist die dunkle Seite der Physik", meinte Verena und grinste mich an. "Außerdem bin ich ja eigentlich auch eher der häusliche Typ, weischt?"

"Ah, isch liebe es", seufzte Ellen. "Ich find's echt so geil, wie wir hier residieren. Voll die Mische aus Frauen-WG und Model-Villa. So wie bei Top-Model, nur ohne das Gekreische."

"Aber dafür mit Senior-Models", sagte Verena lachend und musste flitzen, weil Ellen ihr Haue androhte für diese kleine Frechheit.

Appartamento hatte natürlich auch den Vorteil, dass wir immer ein bisschen Wellness machen konnten, was weiß ich: Haare waschen, Fußnägel lackieren, Wichteln usw., und das tausendmal besser als im Hotel. In der "Model-Villa" wurde natürlich auch das zum Happening.

"Hehehe, das wär's doch: kollektive Haarentfernung", sagte Elli. "Vielleicht sollte Heidi das mal ins Programm aufnehmen. Statt Umstyling."

"Oder zusätzlich", schlug ich vor.

"Du meinst Umstyling untenrum?"

Überflüssig zu sagen, dass Verena auch bei unseren Depilier-Partys die Anmut selbst war. Wie die Mädchen auf den Bildern von Degas. "Einfach hinreizend!" (O-Ton Elli). Breitbeinig stapfte sie durch die Wohnung, mit nichts am Leib als schneeweißer Enthaarungscreme in ihrer Bikinizone.

"Das schaut aus wie ein Weihnachtswichtel, findst net?", sagte sie und wackelte mit dem Hintern. Eine gewisse Ähnlichkeit war nicht zu leugnen. Hinterher sollten Ellen und ich dann das Resultat begutachten. "Meint's, ich kann mich so sehen lassen, alla spiaggia?" Wir fanden es sehr OK, und sie selbst war auch zufrieden, als sie das Ergebnis im Spiegel betrachtete.

"Mhm, eine richtige Mädchen-Pussy." Sie legte beide Hände auf ihren Unterleib und neigte den Kopf auf die Seite. "Glatt und makellos. Wie der Schoß einer 15jährigen Jungfrau."

"Hehehe", machte Ellen. "Und, ist das was Gutes?"

"Pfff, eigentlich net", sagte Verena. "Nur die Kerle stehen bestimmt drauf wie verrückt. Also eher als wie so auf die haarige Zottel-Mumu von einer 28jährigen Physikerin."

"Oder einer 32jährigen Ärztin", sagte ich.

"Hallo? Was soll ich denn da sagen?", meinte Ellen. "Ich bin 32 und Physikerin?"

"Das tät i so nun net sagen, Kleine. Das tät ich nun echt so net sagen."

"Na, am Strand behältst du dein Unterteil ja an", meinte Ellen. "Zum Glück! Sonst gäb's wahrscheinlich Herzkasper am laufenden Band, und die dottora käme gar nicht hinterher mit Wiederbelebung."

"Ich könnt's ja mal probieren", sagte Verena, und wir mussten alle lachen bei dieser Vorstellung: Verena nackt alla spiaggia.

"Schnappatmung", sagte ich.

"Na, ich geh dann mal meinen Wichtel abspülen", meinte Ellen. "Weil der ist jetzt bestimmt ja schon langsam mal gar." Und sie verzog sich unter die Dusche.

"32", sagte Verena mit diesem frechen kleinen Grinsen. "I hatt ja ursprünglich denkt, dass wir gleich alt wären, du und ich. Dabei bist du auch schon so eine alte Tante wie die Mamma Ellen."

"Bitch!", sagte ich lachend und gab ihr einen kleinen Klaps aufs immer noch nackte Hinterteil.

Komplimente machen kann sie.

Zwei Wochen Strand und Meer: Ich fand das einfach nur traumhaft! Ich war wirklich sehr zufrieden mit unserer Planänderung. Ich bin der absolute Meermensch. Und wenn ich die Wahl habe, entscheide ich mich immer fürs Meer.

Zum Baden fuhren wir immer ins Stella Marina, so ein typisch italienisches Strandbad, wo es alles gab, was das Herz begehrt: einen schönen hellen Sandstrand mit Strandliegen und Sonnenschirmen, Strandbar, Umkleidekabinen und Service direkt am Liegestuhl. Es gab dort keine aufdringliche Animation, keine "aquagym" mit hyperaktiven Vorturnerinnen, keine hammerlaute Musik all day long, die den ganzen Strand beschallt, wie in so vielen anderen italienischen Beachclubs. Kein Radau, sondern ganz classico. Und das fanden wir wunderbar.

Das Publikum war eine ganz bunte Mischung. Viele Touristen, klar, aber auch viele Einheimische. Familien, Paare. Und auch ganz viele junge Leute aus Catania.

Es wurden sehr entspannte Tage. Vollgepackt mit einer Fülle von Geschehnissen und Eindrücken, aber irgendwie auch immer das Gleiche, weil im Prinzip ja ein Tag wie der andere war. Ewige Wiederkehr.

Wir kamen immer gegen Mittag an den Strand, wenn die Frühschicht schon wieder ging. Die Einheimischen hielten uns vermutlich für völlig bekloppt: Nur Touristen legen sich in der Mittagshitze an den Strand. Nach zwei Tagen hatten wir praktisch unseren Stammplatz unweit des Wassers. Und der Rest verschwimmt in der Erinnerung. Es bleibt nur ein buntes Chaos im Kopf zurück: witzige Szenen, unsere kleinen Rituale. Gesprächsfetzen, Leute, Blicke...

Am Strand ging dann jede von uns ihren bevorzugten Beschäftigungen nach. Verena hatte immer eine ihrer Physikschwarten vor der Nase, ließ sich aber gern und leicht ablenken. Elli las ihre "Saftschinken" (O-Ton Verena) oder löste Kreuzworträtsel und unterhielt uns mit ihren Erkenntnissen: "Bedürfnis, Verlangen mit vier Buchstaben?" "Unbekleidet mit fünf Buchstaben?" Oft vergnügte sie sich mit Leutegucken und lästern. Ansonsten war sie mit Flirten beschäftigt, was sich allerdings auch praktisch kaum vermeiden ließ, weil wir permanent von irgendwelchen "Ragazzos" umlagert wurden, die mit uns "passeggio" machen wollten.

Insbesondere Verena wirkte auf die Kerle wie ein Magnet. Vielleicht lag es an ihrem türkismetallic schimmernden Bikini, aber das war es glaube ich nicht. Es hätte kaum schlimmer sein können, wenn sie komplett nackt gewesen wäre. Wir wurden auch nicht nur von den einheimischen Jungs belagert, sondern auch von Touristen: Amerikanern, Franzosen und Deutschen natürlich. Typen aller Gegenden und Zonen, die sich neben uns im Sand niederließen und anfingen, Konversation zu machen. Und es war evident, dass sie es nur darauf anlegten, eine von uns ins Bett zu kriegen. Und am liebsten Verena.

Keine von uns konnte Italienisch, obwohl ich z.B. ja mit den Liedern von Gianna Nannini quasi großgezogen worden bin. Aber das war nicht wirklich ein Problem. In den touristischen Zentren funktioniert Englisch eigentlich immer ganz gut. Und mit der Zeit schnappt man ja auch ganz schnell das wichtigste auf, so scusi, grazie, prego, fai accendere usw., alla spiaggia, porca madonna, va fanculo. Und damit kommt man ja eigentlich schon ganz gut durch. Ellen hatte sich zunächst noch ernsthaft mit dem Sprachreiseführer abgemüht, während Verena und ich eher lo-fi unterwegs waren.

"Ich glaub ja, das, was die da immer brabbeln, dies facciamo passeggio, heißt: Spaziergang machen auf Italienisch", sagte Ellen. "Nur in Wirklichkeit ist das glaub ich einfach die Aufforderung zu schnellem Sex, so nach dem Motto: hehehe, bella donna, maken spazieren gehen, alles klar? Irgendwo so rucki zucki im Stehen hinter einem dürftigen Gebüsch 'ne schnelle Nummer schieben. Oder Blowjob. Eine blasen maken."

"Bääh, ist das widerlich!" Verena schüttelte sich vor amüsiertem Ekel.

"Och, naja. Kann man so oder so sehen." Elli grinste vergnügt.

"Na, dann passt mal gut auf euch auf!", meinte ich, ein wenig spöttisch. "Make spaziere gehe." Verena grinste mich an und legte den Arm um mich.

"Keine Sorge, Kleine, wir haben alles im Griff. Festkörperphysik ist schließlich unser Spezialgebiet, weischt?", sagte sie und kniff mich in die Taille.

"Hehehe, genau. Alles bloß Physik", meinte Ellen.

"Maken spazieren gehen va bene, aber dann ist auch basta! Sollen sie sich selbst einen runterholen, ich mach's jedenfalls net!"

"Ich überleg noch", meinte Elli grinsend. "Aber keine Bange, dottore. Wenn uns einer blöd kommt, machisch Spock-Griff und: bum!"

"Das gibt's wirklich", sagte ich.

"Jaja, klar, bei den Vulkaniern."

"Nee, ganz wirklich. Wenn du hier am Hals die Carotis abdrückst, führt das augenblicklich zur Ohnmacht. Ist aber auch nicht ganz ungefährlich."

"Na dann! Greif ich dem voll in die Karotte, wenn uns einer blöd kommt."

"Festkörperphysik" als Synonym für Rummachen war natürlich der Brüller. Obwohl sich dann herausstellte, dass es tatsächlich das Spezialgebiet der beiden ist, und Verena dazu eine Publikation vorbereitete. Aber ich bin so völlig unbeleckt, was Physik angeht, und von daher prädestiniert für dumme Fragen.

"Festkörperphysik, ist das sowas wie Raketentechnik?"

"Häh?"

"Na, so Festkörperraketen. Sagt man das nicht?"

"Feststoff", sagte Verena. "Du meinst Feststoff-Raketen. Die Wunderwaffe der Nazis. Und die Weltraumrakete der Amerikaner. Nein, damit hat es nix zu tun."

Verena hat dann ein paarmal versucht, mir wenigstens die Grundlagen zu erklären: "Festkörperphysik befasst sich mit der Physik von Materie im festen Aggregatzustand." Aber Elli sei Dank glitten diese Ansätze immer schnell in Ferkelkram ab.

"Fester Aggregatzustand. Weißt Bescheid?", sagte Elli und legte die Spitze ihres Zeigefingers unter ihr rechtes Auge.

"Dabei sind die amorphen Festkörper letztlich die interessanteren, weil die Modelle nicht passen."

"Jo, völlig komplett amorph!"

Ich glaube, Verena war schlussendlich gar nicht an Sexabenteuern interessiert. Sie flirtete gern mal, aber im Grunde wollte sie einfach nur ein bisschen Spaß haben, was weiß ich: in die Strandbar gehen, kickern, Beachvolleyball, Strandspaziergänge.

"Keine Sorge, Kleine", sagte sie und legte mir die Hand um den Nacken. "Außer kickern und Cola trinken geschieht da gar nix. Eis essen vielleicht noch, aber sonst nix. Und wenn's du's genau wissen willst: das letzte Mal Sex hatte ich vor drei Monaten, als ich bei Gary in Boston war. Beruhigt?"

"Ja", sagte ich grinsend. Und merkwürdigerweise beruhigte es mich tatsächlich.

"Ich mach's wie die Ellen", fügte sie verschmitzt grinsend hinzu. "Höchstens mal heavy petting." Es war nur ein Scherz, aber Verena genoss den erschrockenen Ausdruck auf meinem Gesicht. "Ich glaub ja, sie gibt nur ein wenig an. Und sie mag halt im Urlaub gern a bissel strawanzen, weil's zuhaus ja net geht."

"Was will sie?"