Ins räudige Herz der Bestie - Michael Contre - E-Book

Ins räudige Herz der Bestie E-Book

Michael Contre

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Beschreibung

Der investigative Journalist Veit Derner ist zwar abgehalftert und abgebrannt, aber längst noch nicht ausgezählt. Er braucht dringend eine Story, die außer ihm niemand liefern kann. Einen echten Knaller eben. Schließlich will er unbedingt zurück ins Geschäft. Da wird er von einer aufregenden Femme fatal in Schwarz mit einer großkalibrigen Pistole rekrutiert, um ein Killerkommando aufzuspüren, das in 36 Stunden zuschlägt. Die Uhr tickt. Derner weiß: Dies ist der Knaller seiner Karriere. Vorausgesetzt, er überlebt den infernalen Höllentrip. Wonach es allerdings nicht aussieht. Je nach Bedarf abwechselnd vollgepumpt mit bewusstseinserweiternden oder leistungsfördernden Drogen, gerät Derner auf ein Schlachtfeld rivalisierender Großkonzerne. Der heiß umkämpfte Preis ist ein El Dorado des 21. Jahrhunderts. Und wenn es um Milliarden geht, hört der Spaß bekanntlich auf. Als wäre all das nicht schlimm genug, erliegt er ausgerechnet dem mörderisch-erotischen Bann der Femme fatal, die auf ihrer Suche nach dem Killerkommando eine Schneise der Verwüstung quer durch Deutschland hinterlässt. Damit hat Derner den größten aller journalistischen Fehler begangen. Er ist zum Protagonisten seiner eigenen Enthüllungsstory mutiert. Was kann ihn jetzt noch retten? Sein unwiderstehlich charmantes Lächeln vielleicht?

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1

Ich hocke mal wieder ohne Klopapier auf der Keramikschüssel, als sechs englische Zivilbullen den gefesselten weißbärtigen Mann mit den langen, zu einem Zopf gebunden Haaren aus einem Backsteingebäude hinaus die Treppe hinabschleppen. Auf seinem kurzen Weg zu dem direkt am Bordstein parkenden Polizeitransporter hält der von Amis und Europäern gleichermaßen gehasste wie gefürchtete Wahrheitsverkünder die Aufklärungsschrift „Geschichte des Nationalen-Sicherheitsstaates“ in den Händen und ruft den von einem Polizeikordon abgeschirmten Getreuen zu: „Ihr könnt Widerstand leisten. Ihr müsst Widerstand leisten!“

Dank unserer digitalen Gegenwart erwischt mich der Livestream vom gewaltsamen Ende seines siebenjährigen Asyls in der ecuadorianischen Botschaft buchstäblich mit heruntergelassenen Hosen. Die von der Systempresse klammheimlich beklatschte Verhaftung des wichtigsten Journalisten unserer Zeit ist eine knüppelharte Machtdemonstration des imperialen Obermaxes und zugleich eine unverhohlene Drohung an Querulanten wie mich: „Wir vergessen nichts, und wir verzeihen niemals. Wo immer auch du dich verkriechst, wir kriegen dich.“

Spontan denke ich: Glückwunsch, Derner, alter Sack, du bist der Nächste. Zugegeben, das klingt jetzt schwer nach Paranoia oder Größenwahn, aber jeder im Schreibmetier weiß, erst wenn sie aufhören, dich zu ignorieren, machst du einen guten Job. Und eines bilde ich mir nach dreißig Jahren – in denen ich nicht weiser, sondern nur grauer geworden bin – wirklich ein, dass ich einen guten Job mache.

Als ich ein paar Nächte nach dem Livestream mit einer Großpackung „Dreiblatt extra – für die extrazarte Haut“ meine Bude betrete, richtet eine aufregend schlanke, ganz in schwarz gekleidete Frau mit einer schwarzen Pagenkopffrisur eine schallgedämpfte israelische Jericho 941 auf mich. Mann-o-Mann, klassische, zeitlose Eleganz, geht es mir durch den Sinn und dann: Hey, die einzige Knarre, die sich auf Inferno reimt. Das passt zu dem alten Apartheidsstaat.

„Veit Derner?“, fragt die Frau in Schwarz auf Hochdeutsch mit einem leichten Akzent, den ich nicht gleich zuordnen kann.

„Tut mir leid, ich bin nur ein Bekannter. Derner hat mir seine Schlüssel gegeben und gemeint, ich könnte hier pennen, weil meine Wohnung wegen Vermüllung geräumt wurd–“

„Wenn Sie nicht Veit Derner sind“, unterbricht sie mich, „erschieße ich Sie sofort.“

Ich denke: Dich schleppen keine sechs Zivilbullen lebend die Treppen hinunter, dich schleifen zwei Bestatter in einem Transportsarg aus hochverdichtetem Polystyrol in Holzoptik hier raus. Dann kommt mir diese mysteriös verschlüsselte E-Mail in meinem Postfach in den Sinn, die ich besser gelöscht hätte, anstatt darauf zu reagieren.

„Rein hypothetisch gesprochen, also mal angenommen, ich wäre dieser Derner, der ich natürlich nicht bin, aber wenn ich –“

„Wenn Sie es sind, erschieße ich Sie erst am Ende der Geschichte“, stoppt sie meinen Redeschwall.

Logo habe ich der E-Mail diesen Besuch zu verdanken. „Ich sehe, hier ist Leugnen zwecklos“, sage ich eilig und knipse mein unverschämt charmantes Lächeln an.

2

In bestimmten Kreisen unserer Bücklingsrepublik gelte ich als aufsässiger Renegat, der dringend eine Kugel zwischen die Augen benötigt, damit er für immer die Fresse hält, in anderen als einer der letzten aufrechten investigativen Rebellen, der in unseren Fake News verseuchten Zeiten die Wahrheit ans Licht zerrt. Beide Lager bombardieren mich mit E-Mails, die wahlweise exzessive Drohungen, obskure Andeutungen oder großartige Versprechungen enthalten, manchmal aber auch nur exklusive Kreditangebote und erstaunliche Sexofferten.

Der E-Mail-Sender OdysseUS köderte mich mit der Ankündigung, er hätte mir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen, und forderte mich auf, einem komplizierten Sicherheitsprotokoll zu folgen, damit wir gefahrlos in Kontakt treten könnten. Mein eigener Securedrop zur Wahrung der Anonymität meiner Informanten erschien ihm wohl zu unsicher. Ich vermochte nicht einzuschätzen, wer sich hinter dem Pseudonym OdysseUS verbarg und stand wieder einmal vor der ewig gleichen Frage: Enthüllungsknaller oder Untergang?

Die Ver- und Entschlüsselung von E-Mails nach seinem Sicherheitsprotokoll verlangte eine Aufmerksamkeit, zu der mir in jener Woche die nötige Geduld fehlte. Ich steckte mitten in zähen Verhandlungen mit einer großen nationalen Zeitung, die sich noch immer für ein investigatives Flaggschiff hält, über eine Serie, in der ich detailliert die Unterwanderung der Klimaprotestbewegung durch den hiesigen Verfassungsschutz enthüllte. Das ist jener Verein, der mit lachhaften Slogans wie „Im Verborgenen Gutes tun“ und 007-Anspielungen wie „Im Auftrag der Demokratie!“ versucht, Nachwuchsspitzel aller Couleur anzulocken.

Der leidige Kampf ums Honorar erschwert zunehmend ein fokussiertes Arbeiten. Meine Branche befindet sich seit Jahren auf dem Rückzug. Inzwischen sind die großen Gefechte zu vereinzelten Scharmützeln verkümmert. Die „faktische Wahrheit“ wird verzerrt und zum eigenen Vorteil verdreht. Ohne Kontext dient sie als Waffe in dem allseits tobenden Propagandakrieg. Der sogenannte investigative Journalismus der Systempresse hängt zunehmend an der Nabelschnur spendabler Mäzene und Stiftungen. Meine bestenfalls naiven Kollegen betreiben „Feindaufklärung“ für ihre Geldgeber mit dem Ziel, deren politische und ökonomische Gegner zu ruinieren. Getreu dem Motto „Wessen Brot ich ess’, dessen Lied ich sing“, werden die Machenschaften ihrer Finanziers geflissentlich ignoriert. In absehbarer Zeit wird der letzte Widerstand vollends erloschen sein. Alle glauben ohnehin, was sie wollen, und trompeten jeden Schwachsinn als Wahrheit hinaus. Selbst der dümmste Blogger hält sich für einen bedeutenden Aufklärer. Längst haben sich die asozialen Medien zum größten Stammtisch der Welt aufgeschwungen und produzieren hysterische Aufreger, die Wut und Hass erzeugen, weil das Klickraten und Verweildauer befeuert und so den Profit ihrer Investoren steigert. Es geht letztlich um Milliarden, darum werden die Hirnlosen aufgestachelt.

In dem Moment dachte ich jedenfalls, wenn’s wirklich wichtig ist, wird der E-Mail-Sender sich schon wieder melden, und unternahm nichts.

OdysseUS hielt es wohl für wirklich wichtig und hatte es dazu eilig. Seine zweite Nachricht am nächsten Tag enthielt neben einer wiederholten dringenden Aufforderung zur Kontaktaufnahme gleich eine Videoanleitung, wie ich das Verschlüsselungsprogramm installieren und benutzen sollte. Noch bequemer ging’s nicht. Für diese Fälle habe ich extra einen von einem befreundeten Hacker zusammengebauten separaten Rechner, damit sich nicht unbemerkt irgendwelche Spyware oder Trojaner in meinem Hauptcomputer einnisten. Schritt für Schritt war die Installation easy. Wir trafen uns via Tor-Browser, privater VPN und ein paar zusätzlichen Umwegen in einem anonymen Chatraum.

Er sagte: „Ich bin ein großer Fan von dir, Aufdecker.“

Ich sagte: „Prima. Wovon genau?“

„Na, der Artikel über die Whistleblower-Maulwürfe im Auftrag der Geheimdienste zum Beispiel und der über die zweite Spur in den V-Schutz nach den Mordanschlägen der Faschos und dann die Reportage über die Kindermütter von Foča. Aber mein Favorit ist dein Video, wo die libyschen Sklavenhändler auf dich schießen, während du sie filmst.“

Er betete meine ewige Bestenliste herunter. Schmeichler sind erfahrungsgemäß hinterfotzig und deshalb mit Vorsicht zu genießen.

Ich fragte direkt: „Was hast du für mich?“

„Vorher musst du wissen, warum ich das mache.“

„Was genau machst?“

„Warum ich dir diese Infos gebe. Ich –“

„Du willst dich absichern“, würgte ich ihn ab.

„ …“

„Das heißt, du wurdest entdeckt“, sagte ich.

„Nein, niemand weiß, wer ich bin.“

„Du weißt, wer die ,Niemand‘ sind?“

„Ich mache das nicht, weil ich entdeckt wurde, sondern weil alle die Wahrheit erfahren müssen.“

„Warum veröffentlichst du es dann nicht einfach?“

„Was ich dir zu sagen habe, ist nur eine Komponente. Ein erster Baustein. Ich kann ihn nicht und ich will ihn nicht weiterverfolgen – aber ich kann die Angelegenheit auch nicht auf sich beruhen lassen.“

„Wovon redest du die ganze Zeit?“

„Zuerst musst du mir versprechen, dass du der Spur nachgehst und alles ans Licht bringst.“

„Ohne zu wissen, um was es geht, verspreche ich dir gar nichts. Und wenn du es mir sagst, dann verspreche ich dir immer noch nichts. Aber ich werde es mir anschauen und gründlich prüfen. Wenn es einen Ansatzpunkt für mich gibt, dann gehe ich der Sache vielleicht nach.“ Okay, das war ein bisschen dicke.

Er sagte: „Das ist mir zu wenig.“

„Und ich bezahle auch nichts dafür.“

„ …“

„Nimm es oder lass es.“ Noch ‘ne Klatsche.

„Ich will kein Geld von dir. Ich will, dass du mir versprichst, der Sache nachzugehen.“

„Du kennst meine Antwort.“

Lange herrschte nur Stille in der Leitung. Jetzt kam der Punkt, an dem er wie jeder Informant vor ihm entscheiden musste, ob er mir vertrauen wollte oder nicht.

OdysseUS wollte mir offenbar vertrauen, denn er sagte: „Ich habe die Datenbank von XLUTION gehackt.“

Beeindruckend, wenn es denn stimmte. XLUTION ist ein Unternehmen, das sich Staaten, Konzernen und potenten Oligarchen als militärischer Problemlöser andient. Jerome Fürst, Gründer und CEO, ein übler, aber durchaus geschmeidiger Kriegsverbrecher, unterhält nach Jahren in der Diaspora beste Verbindungen in die Topetagen, wo knauserige Oberbosse sich mehr und mehr für seine Vision von outgesourcten, privatgeführten Auftragskriegen zu Spottpreisen begeistern. Die Kanaille ist fetter Kandidat für einen Enthüllungsknaller, allerdings mit einem exponentiell steigendem persönlichen Untergangsrisiko für jeden Schnüffler. Ich hatte ihn schon länger im Visier, nur fehlte mir bisher ein echter Weg ins räudige Herz der Bestie. Vielleicht bin ich auch einfach nicht so mutig wie der Italiener oder die unzähligen mexikanischen Kollegen, die allem Morden zum Trotz den Mächtigen und aller Welt die Wahrheit vor den Latz klatschen. Ich habe ja nicht mal wirklich Bock darauf, in einem verkackten Hochsicherheitsknast zu landen.

Darum blieb ich skeptisch. „Erzähl keinen Scheiß.“

Er betonte, es sei die Wahrheit. Warum solle er lügen?

Ja, warum? Gespielt gleichgültig sagte ich: „Einfach so gehackt oder um etwas Bestimmtes zu finden?“

„Zuerst musst du’s mir versprechen.“

„Bin ich vielleicht eine Sprechpuppe, die immer dasselbe leiert?“

„Ich habe Topsecret-Material über den nächsten XLUTION-Einsatz.“

Er rieb mir einen verlockenden Köder nach dem anderen unter die Nase, also fragte ich rollengemäß: „Über was für einen Einsatz denn?“

„Ein Killerkommando, mein Aufdecker.“

3

Steht jetzt ein Mitglied dieses Killerkommandos vor mir? Bin ich ein lästiger Mitwisser, der über die Wupper muss? Mein unverschämt charmantes Lächeln jedenfalls lässt die Frau in Schwarz völlig kalt. Mit einer knappen Kopfbewegung beordert sie mich ins Wohnzimmer. Beim Rückwärtsgehen versuche ich, in ihre glitzernden, dunklen Augen und nicht in die dunkle Pistolenmündung zu schauen.

„Damit der Gesprächsrahmen gleich abgesteckt ist: Ich frage immer nur einmal. Wenn Sie die Antwort verweigern oder gar lügen, verpasse ich Ihnen ein .41-Action-Express Projektil“, sagt die Frau in Schwarz. „Die Folgen können Sie sich vorstellen.“

Ich stoße mit einer Wade gegen die Couch, setze mich langsam und erwidere: „Ich kenne die Folgen.“

„Umso besser. Welches Material hat er Ihnen übergeben?“

„Sie müssen mir schon sagen, wovon Sie reden. Mir wird andauernd Material übergeb–“

Ein .41-Action-Express-Projektil durchschlägt knapp neben meiner rechten Wade die Couch und bohrt sich dem Geräusch nach in den Fußboden.

„Er hat mir nichts übergeben!“, rufe ich laut und hebe meine Hände. „Ehrlich. Wenn Sie von OdysseUS reden, meine ich.“

Sie redet von OdysseUS und fragt: „Warum nicht?“

„So weit sind wir nicht gekommen.“

„Warum nicht?“

„Ich fand ihn nicht glaubwürdig.“

„Was hat er Ihnen erzählt?“

„Er hat behauptet, die Datenbank von XLUTION gehackt zu haben und mir Informationen über ein angebliches Killerkommando angeboten.“

„Und was fanden Sie daran nicht glaubwürdig?“

„Glaubwürdigkeit ist nicht der Punkt“, korrigiere ich mich hastig. „XLUTION ist einer der umstrittensten Military Contractor mit einer kilometerlangen Liste bewiesener Kriegsverbrechen. An dem Laden haben sich trotz Wikileaks-Enthüllungen schon viele ehrenwerte Kollegen abgearbeitet.“

„Aber nicht Veit Derner.“

„Nein, ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil … ich habe bisher keinen wirklich interessanten Weg ins … na, räudige Herz der Bestie gefunden.“

Sie zieht die Augenbrauen hoch.

„Ist nur so ‘ne Redewendung. Damit meine ich einen Ansatz für eine Story, den sonst keiner hat.“

„Ein brandaktueller Einsatzplan für ein Killerkommando ist für Sie kein Ansatz?“

„Ach, das ist nun wirklich die älteste Söldnerstory der Welt. Einen totgerittenen Gaul sattele ich nicht.“ Bevor sie mir eine weitere Frage stellt, sage ich schnell: „Aber das hat Ihnen OdysseUS doch bestimmt alles erzählt.“

„OdysseUS ist tot.“

„Hm-hm“, sage ich und denke unvermittelt: Und du bist der Nächste, Derner. Anschließend durchsucht sie deine Bude und lässt die wenigen Wertsachen, die Festplatten und den Laptop mitgehen, damit es wie ein unglücklich verlaufener Einbruch aussieht. Sechs Wochen später dann werden deine blau-weißen Freunde erleichtert die Ermittlungen einstellen (falls dich bis dahin jemand als vermisst gemeldet haben sollte und überhaupt Ermittlungen aufgenommen wurden).

Die Frau in Schwarz sagt: „Er war mein Bruder.“

„Das soll ich Ihnen glauben?“

Sie holt mit der linken Hand ein Samsungteil aus ihrer Hosentasche und wirft es mir in den Schoß. „Schalte es ein. Gib dann zwei, acht, sechs, vier ein.“

Das erste Foto auf dem kleinen Bildschirm zeigt einen lachenden, pickeligen jungen Mann mit Brille, Arm in Arm mit einer jüngeren, ebenfalls lachenden Frau in Schwarz. Das zweite zeigt denselben pickeligen jungen Mann tot an einem Dachbalken baumeln, einen umgekippten Stuhl zu Füßen. Die Augen sind ihm aus den Höhlen getreten, die Zunge hängt ihm lang aus dem Mund. Er hat sich in die Hosen gemacht. Schlimmer Anblick, aber ich habe schon Ekeligeres gesehen.

Ich sage: „Das tut mir wirklich leid.“

„Er hat sich nicht selbst umgebracht.“

„Hm-hm. Und wer hat –“

Wütend schneidet sie mir das Wort ab: „Er ist dir doch scheißegal. Du kanntest ihn nicht und hast ihn in eurem Chat wie Dreck behandelt.“

„Ich habe in unserem Chat meiner Skepsis Ausdruck verliehen und ihm klargemacht, wie ich mit Informanten und Informationen umgehe, um ihn und mich zu schützen.“

„Das hat nicht funktioniert.“

Offensichtlich. „Hören Sie, ich kann nur wiederholen, dass mir das, was OdysseUS widerfahren ist, wirklich lei–“

„Meinem Bruder.“

„Was Ihrem Bruder widerfahren ist, tut mir wirklich leid. Aber ich habe alle Ihre Fragen absolut wahrheitsgemäß beantwortet“, sage ich in der vagen Hoffnung, damit vom Haken zu sein.

„Du bist schuld an seinem Tod“, sagt die Frau in Schwarz.

Spinnt die? „Ich bin was …?“

„Dafür wirst du bezahlen.“

Womit sie meine ewige Frage – neuer Enthüllungsknaller oder Untergang? – beantwortet.

Jetzt hocke ich auf dieser billigen Couch, umgeben von den wenigen Habseligkeiten, die einer ansammelt, der ständig unterwegs ist und sein Leben lang ungeheuerlichen Storys hinterherjagt, und starre in eine dunkle Pistolenmündung. Ich leide an Malaria und ein paar anderen Tropenerkrankungen, an denen ihr wegen der globalen Aufheizung bald ebenfalls Spaß bekommen werdet. Reich bin ich nur an Erinnerungen: Ich bin Kopfjägern auf Borneo entkommen und habe Schlangenbisse im Amazonas überlebt. Ich habe auf vier Kontinenten mit vom Westen als Terroristen denunzierten Freiheitskämpfern das Brot gebrochen und war mehrere Wochen auf dem Pazifischen Ozean schiffbrüchig. Ich habe Mafiosos und Drogenbarone in ihren Verstecken interviewt, als Geisel einer Berberbande auf einem Dromedar die Sahara durchritten und mit somalischen Piraten Fische gefangen. Mich kennt man in den Puffs von Bangkok bis Rio. Ich habe nichts ausgelassen. Was gibt es also noch zu erleben? Zum guten Schluss als Höhepunkt sozusagen einen erbärmlichen Abgang ohne Grandezza? Drück ruhig ab, Mädchen! So erfahre ich vielleicht, welcher Horror uns auf der anderen Seite erwartet, von der kein Reisender jemals zurückgekehrt ist.

Anstatt abzudrücken, nimmt die Frau in Schwarz die Jericho 941 herunter und sagt: „Du wirst für mich Jerome Fürst aufspüren.“

4

„Sie haben meine Lieblingscouch und meinen Fußboden beschädigt“, sage ich, nachdem wir beide uns handelseinig geworden sind und ich die Schäden begutachten konnte.

„Soll das etwa unsere neue Partnerschaft trüben?“

„Ich wusste gar nicht, dass wir Partner sind.“

„Als was würdest du es denn bezeichnen?“

„Als eine Auftragsbeziehung.“ Ich erspare mir das vertrauliche Du. „Sie bezahlen, ich liefere.“

„Ich bezahle immer erst nach Lieferung.“

„Meinetwegen. Aber ich bekomme im Voraus einen Spesenabschlag, Abrechnung gegen Beleg nach Auftragserfüllung.“ Ich grinse. „Falls wir dann noch dazu kommen.“

„Wie du mit deinem Fatalismus so lange in dem Job überleben konntest, ist mir schleierhaft.“

„Nur wer nichts zu verlieren hat, geht bis zum Äußersten.“

Ohne die Miene zu verziehen, wirft sie mir ein Geldbündel hin und sagt: „Der Betrag deckt auch das billige Ikea-Ding und das abgewetzte Laminat ab.“

Flott überschlage ich die Summe, zwanzigtausend Euro, annehmbar. „Wenn Sie meinen, junge Frau.“

Die Frau in Schwarz antwortet: „Meine ich und die dummen Chauvisprüche würde ich mir an deiner Stelle verkneifen.“

„Okay.“

„Okay. Damit du den richtigen Weg ins räudige Herz der Bestie findest, wie du’s ausdrückst, habe ich die gehackten XLUTION-Dateien darauf gespeichert.“

Sie deutet auf das Samsungteil.

Jetzt ist die Kanaille also kein fetter Kandidat mehr für den Enthüllungsknaller eines lebensmüden Journalisten, sondern die fleischgewordene Zielperson eines Rachefeldzugs, bei dem ich den bezahlten Bluthund mime. Über mein persönliches, exponentiell gestiegenes Untergangsrisiko mache ich mir keinen Kopf. Besteht etwa ein Unterschied darin, ob mich die Frau in Schwarz, der ich nicht über den Weg traue, ausixt oder Fürsts Schergen? Vielleicht würden Letztere mich vorher zum Spaß ein paar Runden anständig foltern. Immer noch besser, als in Her Majesty Prison in Belmarsh langsam verfaulen zu müssen.

Ich erzähle der Frau in Schwarz, die ich, solange ich ihren echten Namen nicht kenne, weiterhin Frau in Schwarz nennen werde, was ich über die Zielperson weiß: Ich hatte Fürst vor sieben Jahren in einem TV-Interview erlebt (zu der Zeit gab er noch Interviews). Für die Kameras spielte er den jungenhaften, idealistischen Helden in Maßanzug mit kurzen blonden Haaren und Pilotensonnenbrille (eine bei der Ikone des Cools, dem Schauspieler Steve McQueen abgekupferte Pose), der es verstand, kritische Fragen des Moderators elegant zu umschiffen und scharfe Angriffe der Experten geschickt ins Leere laufen zu lassen, um am Ende das Publikum völlig auf seine Seite zu ziehen.

Ein Gedanke poppt auf: Hey, versuchst du gerade, mit deinem druckfähigen Duktus Eindruck zu schinden?

„Zu Fürsts Herkunft ist mir bekannt“, fahre ich fort, „dass er als heiß ersehnter männlicher Nachfolger in eine streng evangelikale Familie im Schwarzwald hineingeboren wurde und mit dem sprichwörtlich goldenen Löffel im Sabbermäulchen unter vier Schwestern aufwuchs.

Der kleine Jerome galt als rebellisch und notorisch schlechter Schüler. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, ebenso ob er ein nuckelnder Bettnässer war oder wehrlose Tiere quälte. Irgendwann schnallte sein ambitionierter, in der zweiten Generation im Maschinenbau Millionen scheffelnder Alter, dass der auserwählte Sprössling niemals die Tradition des Familienunternehmens fortführen könnte. Also richtete Papi einen Treuhandfonds ein, damit der Ego-Shooter-Junkie in seiner sinnlosen Existenz immer wieder ein Freispiel ergattern würde.

Bis zu Jeromes 27. Lebensjahr schienen sich Fürst Seniors Befürchtungen zu bewahrheiten. Nach einem gescheiterten Versuch, die Aufnahme in das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr zu erzwingen (das konnte ich aber nicht hundertprozentig verifizieren), absolvierte Junior in einer privaten Soldatenschmiede in den USA eine Ausbildung zum Präzisionsschützen. Anschließend sammelte er als Söldner im Dienst eines Private Military Contractors aktive Kampferfahrung in Afghanistan (online kursierten von seinem Beobachter gefilmte Videos, die zeigten, wie Fürst afghanischen Männern aus fünfhundert Metern Entfernung die Schädel vom Rumpf schoss, er soll auch Ohren der Feinde als Trophäen gesammelt haben). Sein Schicksal wendete sich an jenem Tag, an dem Dubya und die Neo-Con-Junta in Washington den Irakkrieg anzettelten.

Berechnend wie sein alter Herr gründete Fürst XLUTION und nutzte eine schnell wachsende Marktlücke: Er spezialisierte sich auf die schmutzigen Jobs, um die sich niemand wirklich riss. Durch seine guten Afghanistankontakte gelang es ihm, für XLUTION lukrative Aufträge von der Agency an Land zu ziehen, die proportional zum steil wachsenden Umsatz das Interesse von Menschenrechtsorganisationen und Antikriegsaktivisten erregten, insbesondere aber das von der Wall Street.“

Mann-o-Mann, was über die Jahre alles haften bleibt.