Internat Gut Wolkenstein - Ab auf die Insel - Janita Pauliks - E-Book

Internat Gut Wolkenstein - Ab auf die Insel E-Book

Janita Pauliks

4,9

Beschreibung

Seit fast einem Jahr lebt Mila nun im Mädcheninternat Gut Wolkenstein. Und es ist schon so viel passiert! Die Krönung war natürlich der Gewinn des Musical-Wettbewerbs - und vor allem der Preis: eine Klassenfahrt nach England! Doch bevor die Reise los geht, bekommt Mila einen Brief von ihrer Mutter, die sie noch nie gesehen hat. Soll sie den Brief öffnen und ihrer Mutter eine Chance geben? Mila ist hin- und hergerissen. Außerdem muss sie sich um eine neue Mitschülerin kümmern, die sehr verschlossen ist, bis sie ihre traurige Geschichte erzählt. Und dann geht es endlich nach England, wo aufregende Abenteuer und Erlebnisse warten!

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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22839-7 (E-Book)

ISBN 978-3-417-28721-9 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI books GmbH, Leck

© 2016 SCM-Verlag GmbH & Co KG, 58452 Witten

Internet: www.scmedien.de; E-Mail: [email protected]

Die Bibelstellen sind folgender Ausgabe entnommen:

Neues Leben Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006

SCM-Verlag GmbH & Co KG, Witten S 25: Psalm 139, 14-16; S 58:

Psalm 34,18+19; S 137, 141: Psalm 147,35; S 151: Markus 9,23;

S. 169: Jesaja 43,19

Coverillustration: Elke Broska, Wiesbaden

Satz: Katrin Schäder, Velbert

Inhalt

Das ist Mila

Prolog

Ein überraschender Brief

Endlich Urlaub!

Luisas Geheimnis

Typisch Englisch

Die unheimliche Begegnung

Kulinarische Achterbahn

Unerwartete Wendungen in St. Ives

Gespräch unter vier Augen

Erdnusstörtchen und Bettenchaos

Der Rex in Gefahr

Goodbye, England

Klare Verhältnisse

Die Überraschung

Zur Autorin

Ein riesiges Dankeschön!

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Das ist Mila,

eigentlich Melanie. Melanie Meisentöter. Weil ihre Oma einen Schlaganfall erlitten hat, musste sie ihr Zuhause verlassen und auf das Internat Gut Wolkenstein ziehen. Milas Vater ist nämlich Pilot und daher selten zu Hause, ihre Mutter verschwand kurz nach Milas Geburt. Durch die Unterstützung der Mädchen aus der Schulband, aber auch weil sie erlebt, dass Jesus ihr hilft, fühlt sich Mila im Internat bald pudelwohl. Das liegt auch an ihren Freundinnen Lissy, Ela und vor allem Tonne.

Wären da nur nicht die Mädchen aus der Theatergruppe, die es auf die Schulband abgesehen haben! Ständig gibt es Zickereien und Ärger. Als es zu einer Schlägerei zwischen Mila und Janine, der Anführerin der Theatermädchen, kommt, müssen die beiden ihre Strafe gemeinsam absitzen. Dabei finden sie heraus, dass sie sich eigentlich ganz gut verstehen. Die Musik- und Theatermädchen beschließen, gemeinsam an einem Musicalwettbewerb teilzunehmen. Nach einigen Aufregungen gewinnen sie sogar den ersten Preis: eine Reise nach England …

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Prolog

Ich liege auf meiner flauschigen Bettdecke und stecke die Nase ins Kissen. Soll ich, soll ich nicht …, kreist es mir durch den Kopf. Ich ziehe mit zitternden Fingern den zerknickten Briefumschlag aus der Hosentasche meiner selbst gebatikten Jeans und lege ihn vor mich auf das Kissen. In sauberer Handschrift steht mein Name auf dem Kuvert: „An Melanie Meisentöter“.

Mal wieder steigt Ärger über diesen schrecklichen Nachnamen in mir auf. Doch der wird schnell durch megaviel Stolz verdrängt; schließlich hat mir mein Papa diesen Namen vererbt und meine Omi heißt genauso. Ich muss schmunzeln, denn wenn eines feststeht, dann, dass ich die beiden von Herzen liebe.

Wieder blicke ich auf den Briefumschlag, der vor meiner Nase liegt. Ich streiche ihn mit der Hand glatt und drehe ihn um. „Mirijam Vogt“ steht in feinen Druckbuchstaben auf der Rückseite. Sie betteln mich förmlich an, den Brief endlich zu öffnen und zu lesen. Mir rollt eine Träne über die Wange. Wie eine Katze, die sich vor einem Bad sträubt, wehrt sich etwas in mir, mich mit dem Inhalt des Briefes auseinanderzusetzen. Schon seit Tagen kämpfe ich mit der Entscheidung, diesen Brief zu öffnen oder einfach wegzuschmeißen. Nicht nur einmal habe ich ihn in den letzten Tagen wieder aus der Papiermülltonne gekramt.

Mein Blick gleitet jetzt durch mein Zimmer. An das Fenster prasseln Regentropfen, die in winzigen Flüsschen an der Scheibe herunterrinnen. Im Raum riecht es nach frischer Wäsche und Lavendel. Omi konnte es wieder nicht sein lassen, denke ich und muss grinsen. Sie liebt Lavendel so sehr, dass sie jeden Raum damit dekorieren muss, zu dem sie Zugang bekommt.

Was soll mir passieren?, überlege ich weiter. Mein Vater im Himmel hat schließlich einen wundervollen Plan für mein Leben.

Ich erinnere mich an die Ängste, die ich hatte, als feststand, dass ich auf ein Internat gehen soll – viel zu weit weg von meinem geliebten Papa und meiner Omi. Ein Schmunzeln huscht mir über das Gesicht, weil gerade dieser Ort, das Internat Gut Wolkenstein, zu so einem besonderen Ort für mich geworden ist.

Was die anderen wohl jetzt treiben?, grüble ich und sehe Ela, eine meiner Internatsfreundinnen, vor meinem inneren Auge. Mit hundertprozentiger Sicherheit schiebt sie sich in diesem Moment ihre neue Errungenschaft in den Mund: Erdnusstörtchen. Ein flüchtiger Gedanke an meine beste Freundin Tonne lässt mein Herz höherschlagen. Sie hat es tatsächlich fertiggebracht, die schweigsame Luisa zum Lachen zu bringen. „Was für ein Wunder!“, lache ich laut, schließe die Augen und erinnere mich an unseren Ausflug nach England in der letzten Woche.

Zwei Wochen vorher:

Vorfreude

„Mensch Leute, könnt ihr das glauben? In einer Woche schon werden wir als ganze Klasse irgendwo in England am Meer sitzen und uns englischen Cream Tea servieren lassen!“ Janine lässt sich neben mich auf das Bett plumpsen, das daraufhin einen ächzenden Laut von sich gibt.

„Wer erlaubt euch allen eigentlich, euch auf mein Bett zu plauzen?“, sage ich gespielt empört. „Wenn es sich weiterhin die halbe Welt darauf bequem macht, dann schlafe ich besser in einer Hängematte.“

„Warum habt ihr auch keine Sofaecke in eurem Zimmer? Dann bräuchten wir nicht immer auf euren quietschenden Betten zu sitzen, Mila“, kontert Ela und krümelt eine Ladung Kekse über mein Bett.

Ich freue mich, dass die Mädchen im Internat mich bei meinem Spitznamen nennen. Melanie mag ich nämlich gar nicht gerne. Trotzdem stupse ich Ela an und fordere sie mit einem bösen Blick auf, mein Bett wieder zu säubern. Halbherzig folgt Ela meiner Aufforderung.

„Ich stelle einen Antrag auf ein größeres Zimmer“, schnauft Tonne, auf deren Bett sich fünf weitere Mädchen tummeln.

„Och, nö!“, jault da Lissy auf. „Es ist doch irre gemütlich hier bei euch.“

Tonne und ich sehen uns kopfschüttelnd an. „Da ist wohl nichts zu machen“, grinse ich. „Aber bald sind wir sowieso für ein ganzes Weilchen an einem schöneren Ort.“

„Wer hätte gedacht, dass wir tatsächlich die Fahrt nach England gewinnen würden, als Janine vor den Sommerferien mit ihrer Idee ankam, bei dem Musicalwettbewerb mitzumachen?“, fragt Frieda und schnipst sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Unglaublich, aber wahr!“, jubelt Janine auf. „In einer Woche sitzen wir schon im Bus!“

„Das ist wirklich ein toller Abschluss vor den Herbstferien“, ergänzt Tonne.

Im nächsten Moment erfüllt ein freudiges Geschnatter das Zimmer. Man kann die Vorfreude fast mit Händen greifen, denke ich und bilde mir ein, sie zwischen den Köpfen meiner Freundinnen knistern hören zu können.

„Willst du auch was?“, fragt mich da Ela und hält mir eine Tüte mit Chips unter die Nase.

Das war das Knistern, stelle ich fest und schüttle den Kopf.

In diesem Moment schiebt sich Pauline durch die Zimmertür. „Habt ihr noch ein Plätzchen für mich?“, fragt sie und quetscht sich, ohne auf eine Antwort zu warten, mit auf mein Bett, das nun anfängt ziemlich laut zu knacken.

„Sinnlos!“, schnaufe ich und verdrehe die Augen.

„Das kannst du laut sagen“, unterbricht mich Pauline. „Eigentlich mache ich den Begrüßungsjob für die Neuen ja gern. Man lernt jedes Mädchen, das hier zu uns kommt, als Erste kennen und kann die, die es brauchen, ein wenig aufmuntern.“ Pauline macht eine kurze Pause und zwinkert mir zu. Ich muss an meine Ankunft auf Wolkenstein denken und erinnere mich an Paulines freundliches Mondgesicht, das mich hier in Empfang genommen hat.

„Aber bei der Neuen, die ich gerade getroffen habe, ist das mehr als sinnlos, sage ich euch“, fährt Pauline fort. „Ich hätte mich auf den Kopf stellen können, mir ein Gurkenbrot mit meinen Füßen in den Mund stecken und dabei ‚Edeltraut‘ singen können; die hätte keine Miene verzogen, geschweige denn etwas gesagt. Kein Wort hat sie über die Lippen gebracht – nicht einen Piep. Ich bin völlig fertig, sage ich euch! Habt ihr schon mal versucht, mit einem Goldfisch ein Duett zu singen?“, fragt sie in die Runde und alle blicken nur verwirrt in ihre Richtung. „So ähnlich habe ich mich gefühlt. War echt froh, als ich sie beim Rex abliefern konnte.“ Ein tiefer Seufzer macht klar, dass es Pauline wirklich ganz schön mitgenommen hat. Janine legt tröstend ihren Arm um Paulines Schultern, die noch mal laut aufstöhnt.

„Wird schon“, meine ich aufmunternd. „Wir Mädchen von Gut Wolkenstein haben schon so einige harte Nüsse geknackt.“

Da verwandelt sich Paulines niedergeschlagener Blick in ein breites Grinsen. „Du hast recht! Wenn es jemand schafft, dann sind wohl wir es.“

Alle stimmen kichernd zu und bald ist unsere bevorstehende Englandfahrt wieder der Grund für die nicht gerade leisen Gespräche in Tonnes und meinem Zimmer.

Irgendwie bin ich froh, als ich am Abend alleine in unseren Schafstall gehen kann. Endlich Ruhe!, denke ich dann und muss grinsen, weil man die hier im Internat manchmal echt suchen muss. Ich lasse mich auf einen Strohballen plumpsen und streichle dem Schaf Mecky durch sein fettig-wolliges Fell.

„Du wirst immer mein Kleiner bleiben“, sage ich und erinnere mich, wie ich das kleine Wollknäuel mit der Flasche gefüttert habe. Die Verantwortung, die ich damit für das Lämmchen in den ersten Tagen hier auf Wolkenstein hatte, hat mich damals von der Trennung von Papa und Omi abgelenkt. „Schön, dass ich dich habe“, flüstere ich dem inzwischen großen Schaf ins Ohr und streichle ihm über die Nase. „Danke Gott, dass du immer da bist. Und danke, dass du alles gut machst“, bete ich.

Nachdem ich eine ganze Weile mit meinem Schaf gekuschelt habe, schlüpfe ich aus der Stalltür und flitze rüber zum Haupthaus. Alles ist schon verdächtig ruhig und dunkel. Ich sehe auf die große Standuhr, die den langen Flur mit ihrem dumpfen Ticken erfüllt. Ups, da habe ich wohl ein bisschen die Zeit vergessen, erschrecke ich mich.

Gerade als ich um die Ecke schleichen will, um zu Tonnes und meinem Zimmer zu laufen, taucht vor mir im Dunkeln eine Person auf, mit der ich zusammenpralle. Ich bekomme fast einen Herzinfarkt. Schnaufend schnappe ich nach Luft und erkenne im schummrigen Licht des Flures Luisa, das neue Mädchen im Internat.

„Tut mir leid, dass ich dich fast über den Haufen gerannt habe“, japse ich.

Doch Luisa dreht ihr Gesicht ruckartig weg und ich sehe nur noch, wie eine schimmernde Träne ihre Wange herunterläuft. Bevor ich darauf reagieren kann, läuft Luisa den Flur entlang davon.

„Sorry!“, flüstere ich, obwohl ich genau weiß, dass sie das bestimmt nicht mehr hören kann.

Ich sprinte los. Als ich gerade durch meine Zimmertür schlüpfen will, öffnet sich eine andere Tür im Gang und ein heller Lichtstrahl trifft mich.

„Guten Abend, Frau Meisentöter!“

Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

„Wo kommst du denn jetzt erst her?“, höre ich die Stimme von Frau Spießlig über den Flur krächzen.

Warum muss Gitty gerade heute ihren freien Tag haben?, denke ich. Normalerweise hat sie nämlich die Aufsicht über unseren Flur. Sie hätte bestimmt nichts gesagt, wenn ich ein paar Minuten nach der Nachtruhe gekommen wäre. Nach einem kurzen Verhör und einer Rüge darf ich endlich in mein Zimmer gehen. Ich atme tief durch, als die Tür hinter mir ins Schloss fällt.

„Dass du auch gerade an Gittys freiem Tag deine Zeit mit diesem Schaf verträumst“, murmelt Tonne, die schon im Bett liegt. „Du weißt doch, dass der Hausdrache jeden bemerkt, der sich nach Schlafenszeit über den Flur schleicht.“

„Luisa hat sie jedenfalls nicht bemerkt“, schnaufe ich und ziehe mir schnell meinen Lieblingsschlafanzug über.

„Du hast die Neue da draußen getroffen?“, fragt Tonne ungläubig und richtet sich auf.

„Sie hat mich fast zu Tode erschreckt, als ich um eine Ecke gebogen bin“, berichte ich.

„Wie kann jemand, der Meisentöter heißt, so schreckhaft sein?“, witzelt Tonne.

„Ich habe mir den Namen nicht ausgesucht“, knurre ich und funkle Tonne mit zusammengekniffenen Augen an.

„War ja nicht so gemeint“, lächelt Tonne entschuldigend.

„Ich glaube, Luisa geht es nicht gut“, sage ich eher zu mir als zu Tonne.

„Du bist wirklich ein Schnellmerker“, sagt Tonne ironisch. „Wenn jemand kein Wort redet und sich bewegt, als habe er einen Stock verschluckt, muss es ihm doch schlecht gehen, oder?!“

Ich nicke und kuschle mich in mein Bett. „Sie hat geweint, als ich sie auf dem Flur getroffen habe“, flüstere ich.

„Oh“, meint Tonne mitleidig und knipst ihre Nachttischlampe aus. „Dann ist es vielleicht noch schlimmer als es aussieht.“

Nach kurzer Zeit höre ich Tonnes tiefes Atmen und wünsche mir mal wieder, ich könnte auch so schnell einschlafen wie meine Freundin. Aber stattdessen starre ich die kahle Decke an und versuche meine Gedanken über Luisa, die mich nicht schlafen lassen, zu verscheuchen.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

Ein überraschender Brief

In den nächsten Tagen laufen die Vorbereitungen für unsere Fahrt nach Südengland auf Hochtouren. Im Geografieunterricht stöbern wir durch Reiseführer und studieren Karten, um interessante Plätze rund um Penzance, wo wir die letzte Schulwoche vor den Herbstferien verbringen werden, zu finden.

„Wir müssen unbedingt nach St. Ives“, sagt Janine und tippt mit ihrem Zeigefinger auf der Karte auf einen Ort am Meer. „Da spielt ein Film, den ich neulich gesehen habe – dort muss es echt romantisch sein.“

Wir anderen, die wir unsere Köpfe mit Janine über die Karte gebeugt haben, verdrehen stöhnend die Augen.

„Rosamunde Pilcher lässt grüßen!“, lacht Ela und beißt von einem Salamibrot ab. „Ich hoffe vor allem, dass die da einigermaßen gutes Essen haben. Dann kann ich auf die Romantik gern verzichten.“

Alle Mädchen fangen nun an zu lachen und ich wundere mich mal wieder, warum Ela noch nicht wie ein Sumoringer aussieht – bei ihrem sehr gesunden Appetit.

In der Chemiestunde führt uns Frau Mosel ihr neustes Rezept gegen Reisekrankheit vor: „Extra für euch entwickelt, damit ihr die Bus- und Schifffahrt auch gut übersteht.“ Sie winkt mit einem weißen Tütchen vor unseren Augen hin und her.

„Hoffentlich ist das nicht explosiv!“, stöhne ich, denn ich erinnere mich an die letzten Versuche unserer sehr experimentierfreudigen Lehrerin.

„Wird schon nicht“, meint Tonne.

„Damit ihr die Wirkung beobachten könnt, werde ich heute einen Selbstversuch damit starten“, dringt die Stimme von Frau Mosel zu uns durch. Ein Raunen geht durch das Klassenzimmer.

Frau Mosel schiebt einen Drehstuhl vor die Klasse. Dann fährt sie fort: „Ich werde gleich einen Teelöffel von diesem wunderbaren Pulver in einem Glas Wasser auflösen und mich dann auf diesen Stuhl begeben. Dann benötige ich drei Freiwillige, die mich fünf Minuten lang auf dem Stuhl drehen.“

Sofort schnellen alle Finger in die Luft. Mein Blick fällt zufällig auf Luisa, die als Einzige ihre Hände still gefaltet in ihrem Schoß liegen lässt.

Nachdem sich Frau Mosel ihre Folterknechte ausgesucht hat, löst sie das Pulver in einem Glas Wasser auf und trinkt aus. Dann setzt sie sich auf den Drehstuhl und gibt Pauline die Anweisung, die Zeit zu stoppen. Neben Pauline steht Nele, die das Experiment mit der Kamera filmen soll. Wir anderen haben uns mittlerweile in die ersten Reihen gequetscht, um uns den Spaß anzusehen und warten gespannt auf das Startsignal.

„Auf die Plätze, fertig, los!“, ruft Frau Mosel. Die drei Mädchen wollen gerade mit aller Kraft losdrehen, als Frau Mosel in sich zusammensackt und laut anfängt zu schnarchen. Alle sind etwas irritiert und blicken auf die schlafende Lehrerin.

Da stellt sich Tonne neben den Stuhl und deutet zur Kamera. Mit verstellter Stimme und hochgezogenen Augenbrauen spricht sie ernst zu der wartenden Gruppe: „Meine Damen, ich befürchte, wir müssen den Start des Experimentes um einige Stunden verschieben, da unsere Testperson in einen Tiefschlaf gefallen ist. Vielleicht ist hiermit aber auch die absolute Wirksamkeit des Mittels bewiesen. Mit hundertprozentiger Sicherheit kann es unserer Testperson nun gar nicht mehr schlecht werden.“

Alle kreischen vor Lachen.

Nachdem sich minutenlang nichts getan hat und unsere Lehrerin trotz verschiedenster Aufweckmethoden nicht mehr aufwachen will, sondern immer noch vor sich hinschnarcht, lassen wir die Kamera weiter auf Frau Mosel gerichtet laufen und verdrücken uns kichernd auf den Hof in eine verfrühte Pause. Nur Frieda und Nele machen sich auf den Weg zum Büro unseres Rex, um ihm vom Tiefschlaf unserer wundervollen Frau Mosel zu berichten.

„Hast du deinen Schnorchel eingepackt?“, fragt mich Tonne einige Tage später. Wir versuchen gerade, in unserem ziemlich chaotischen Zimmer unsere Sachen zu packen. Tonne liegt verdreht auf ihrem Koffer und versucht ihn zu schließen, was fast unmöglich ist, weil sie ihn so vollgestopft hat, dass der Inhalt an der Seite herausquillt. „Das Meer an der Südküste Englands soll nämlich glasklar sein.“

Ich setze mich auf Tonnes Koffer, damit sie es vielleicht doch noch schafft, ihn zu schließen. Wie durch ein Wunder klappt es nach ein paar Versuchen.

„Wenn mein Papa recht behält, werden wir wahrscheinlich nicht viele Möglichkeiten haben, ins Wasser zu springen“, sage ich. „Er hat mir erzählt, dass die Wetterkarte uns eher Kälte und Regen als Wärme verspricht. Und wenn mein Papa eine Wetterkarte in die Hand bekommt, sind seine Prognosen fast immer richtig.“

„Kommt gar nicht in Frage! Jetzt ist der Koffer zu und ich werde mir nicht noch mal die Mühe machen, meine Sommersachen durch warme Kleidung zu ersetzen. Es ist schließlich noch Spätsommer“, meint Tonne, wischt sich den Schweiß von der Stirn und lässt sich neben ihrem Koffer auf ihr Bett fallen.

„Wann geht es morgen überhaupt los?“, frage ich sie, während ich einen dicken Pullover und meine Regensachen in meine Tasche stopfe. „Um 04:30 Uhr damit wir um 10:30 Uhr mit der Fähre nach England übersetzen können. Nach wenigen Stunden heißt es dann Sommer, Palmen, Strand und Meer“, schwärmt Tonne.

„Wow, du hast ja unseren Reiseplan auswendig gelernt“, staune ich.

„Alles hier abgespeichert.“ Tonne tippt sich mit ihrem Zeigefinger gegen den Kopf.

Ich versuche gerade krampfhaft, Omis dicke Bibel in meine Tasche zu stopfen, bekomme aber den Reisverschluss nicht mehr zu.

„Die musst du wohl hier lassen“, murmelt Tonne.

„Kommt gar nicht in Frage!“, sage ich bestimmt und versuche mit aller Gewalt, das Buch irgendwie noch reinzukriegen. „Dann muss ich eben den Reißverschluss auflassen“, gebe ich dann doch resigniert auf und setze mich schmollend auf mein Bett.

In dem Moment öffnet sich unsere Zimmertür und Gitty, eine der Betreuerinnen, erfüllt den Raum mit ihrem freudigen Lächeln. „Hey, ihr zwei. Habt ihr schon alles gepackt?“

Ich zucke etwas genervt mit den Schultern, während Tonne freudig auf Gitty einredet. Als sich Gitty irgendwann von Tonnes Geplauder losreißen kann, kommt sie zu mir und hält mir ein kleines Päckchen hin. „Ist eben für dich gekommen, ich wollte es dir gleich vorbeibringen. Vielleicht ist es ja etwas, das du für unsere Fahrt brauchst.“

„Danke“, sage ich, blicke neugierig auf den Absender und bemerke gar nicht mehr, wie Gitty aus dem Zimmer geht.

„Von Omi und Papa“, sage ich und reiße dabei hastig den braunen Umschlag auf. Eine kleine Minibibel kommt zum Vorschein. Darauf klebt ein Zettel, auf dem steht: „Ist ein bisschen handlicher als mein altes Riesending. Hab eine gute Fahrt! Hab dich lieb! Deine Omi.“

Ich muss grinsen. Als wäre Omi eben dabei gewesen, als ich verzweifelt versucht habe, die Bibel in meiner Tasche zu verstauen. Wundervoll!, freue ich mich und drehe das Büchlein in meinen Händen hin und her. Die bekomme ich auf jeden Fall in mein Gepäck. Als ich den altmodischen braunen Einband betrachte, muss ich zwar wieder mal über Omis Geschmack schmunzeln, aber ich freue mich trotzdem riesig über das Geschenk.

Gerade als ich den Umschlag zerknüllen will, um ihn in den Papierkorb zu befördern, bemerke ich, dass noch ein Kuvert in dem Päckchen steckt. Ich ziehe es heraus und halte einen Brief in den Händen, auf dem „Von Papa“ steht. Das sieht ihm aber gar nicht ähnlich, denke ich.

„Ich gehe schon mal in Richtung Speisesaal, wenn du mich nicht mehr brauchst“, meldet sich Tonne.

„Ich komme auch gleich“, erwidere ich kurz. Dann hat der Brief in meiner Hand wieder meine vollste Aufmerksamkeit. Papa schreibt nie Briefe, schießt es mir durch den Kopf. Da ich meine Neugier nun nicht mehr bändigen kann, reiße ich den Umschlag auf. Zum Vorschein kommt ein weiterer Umschlag und ein zusammengefaltetes Papier, auf das Papa etwas in seiner krakeligen Handschrift geschrieben hat:

„Hallo, mein Schatz!

Bekomme bitte keinen Schreck, dass ich dir tatsächlich mal einen Brief schreibe, aber ich wollte dir die Post nicht ohne Erklärung zusenden. Gestern kam dieser Brief hier bei uns zu Hause an. Du wirst dich fragen, wer der Absender ist.“

Ich sehe auf den Briefumschlag und lese „Mirijam Vogt“. Wer soll das sein?, frage ich mich und lese weiter Papas Zeilen.

„Mirijam Vogt ist deine leibliche Mutter“, steht da.

Mir wird übel. Ich kann nicht glauben, was ich gerade gelesen habe. Mein Magen verkampft sich, und mir wird heiß und kalt.

„Mit Sicherheit ist es für dich ein Riesenschock, etwas von ihr zu hören. Glaube mir, mir ging es nicht anders und ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht, dir den Brief überhaupt zu schicken.

Bevor du ihn zerreißt und in den Mülleimer wirfst (ich weiß, dass das dein erster Gedanke sein wird, meine Kleine!), möchte ich dich bitten, dir ein wenig Zeit mit dieser Entscheidung zu lassen. Nimm diesen Brief mit auf deine Fahrt nach England und entscheide, wenn du meinst, dass du so weit bist.