Irische Glücksträume - Dagmar Clemens - E-Book
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Irische Glücksträume E-Book

Dagmar Clemens

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Beschreibung

Ein bewegender Familiengeheimnisroman über Trauer, Hoffnung und die große Liebe Annes Leben hat alle Farbe verloren, seit ihr geliebter Ehemann Tom verstorben ist. Auch ihren gemeinsamen Traum, Irland zu besuchen, konnten sie nicht mehr verwirklichen. Um sie aus ihrer Trauer zu reißen, nimmt ihre Schwester Denise sie nun auf eine Irlandreise mit. Zwischen grünen Hügeln und blühenden Gärten geschieht, worauf Anne nie zu hoffen gewagt hätte: Sie lernt den charmanten Reitlehrer Malcolm kennen – und verliebt sich neu. Obwohl sie sich zunächst gegen ihre Gefühle wehrt, kommen die beiden sich langsam näher. Aber darf sie wirklich einen Neuanfang wagen, wo sie Tom noch immer jeden Tag vermisst? Und dann findet Anne plötzlich heraus, dass Malcolm etwas vor ihr verbirgt … Dieser Liebesroman erschien bereits unter dem Titel »Das große Glück dieser Erde« und wird Fans von Nora Roberts und Katie Fforde begeistern.

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Seitenzahl: 516

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Annes Leben hat alle Farbe verloren, seit ihr geliebter Ehemann Tom verstorben ist. Auch ihren gemeinsamen Traum, Irland zu besuchen, konnten sie nicht mehr verwirklichen. Um sie aus ihrer Trauer zu reißen, nimmt ihre Schwester Denise sie nun auf eine Irlandreise mit. Zwischen grünen Hügeln und blühenden Gärten geschieht, worauf Anne nie zu hoffen gewagt hätte: Sie lernt den charmanten Reitlehrer Malcolm kennen – und verliebt sich neu. Obwohl sie sich zunächst gegen ihre Gefühle wehrt, kommen die beiden sich langsam näher. Aber darf sie wirklich einen Neuanfang wagen, wo sie Tom noch immer jeden Tag vermisst? Und dann findet Anne plötzlich heraus, dass Malcolm etwas vor ihr verbirgt …

Über die Autorin:

Dagmar Clemens, geboren 1957, hat ihre Liebe zu Pferden in frühester Kindheit entdeckt. Nach kurzen Ausflügen in die Welt der Wirtschaft und Verwaltung, machte Clemens ihr Hobby zum Beruf: sie arbeitet nun als Pferdewirtin und Bereiterin. Auch als Autorin bleibt sie ihrer Leidenschaft treu und gesteht den Pferden eine tragende Rolle in ihren Romanen zu.

Bei dotbooks erscheint von Dagmar Clemens außerdem »Neuanfang auf dem alten Hof«.

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Neuausgabe August 2014, Juni 2025

Dieser Roman erschien bereits unter dem Titel »Das große Glück dieser Erde« 2004 bei Knaur und 2014 bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2004 bei Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2014, 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Elenamiv, Jasminka, Poadium Solutions, Stas Malyarevsky

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-69076-107-9

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Dagmar Clemens

Irische Glücksträume

Roman

dotbooks.

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Epilog

Lesetipps

Widmung

Meinem Neffen Robin,der so schnell erwachsen werden musste, und meiner Nichte Christina, die das ebenso bedauert wie ich

Prolog

Die Tür öffnete sich knarrend einen Spaltbreit und klemmte dann. Anne rüttelte am Knauf, aber nichts bewegte sich. Ärgerlich stemmte sie sich mit der Schulter dagegen und dachte kurz an den empfindlichen hellen Pullover, den sie trug. Mit einem schabenden Geräusch ging die Tür auf. Es war dunkel. Anne tastete nach dem Lichtschalter, drehte den Knopf und blinzelte einen Moment in das grelle Licht der Deckenlampe.

Das Erste, was sie sah, war ein riesiges Spinnengewebe, das sich von der Decke bis zum Boden spannte. Eine kleine Spinne mit dickem Körper und kurzen schwarzen Beinen saß in der Mitte. Anne atmete tief durch, sie mochte Spinnen nicht.

Der Boden des Verschlags war mit Staubflocken bedeckt. Bei ihrem Eintritt setzten sie sich in Bewegung und schwebten nach oben, verharrten einen Moment in der Luft, als wollten sie der Schwerkraft widerstehen, und senkten sich dann langsam auf die Erde zu drei vertrockneten Rosenblättern. Anne sah hoch. Ein kopfüber aufgehängter Blumenstrauß baumelte von der Decke. Es waren die Rosen, die sie von Tom zu ihrem letzten Hochzeitstag bekommen hatte. Als junges Mädchen liebte sie getrocknete Blumen und sammelte interessante Pflanzen, die sie zwischen zwei Bücher legte, bis sie ausgetrocknet waren. Aber die einst roten Rosen waren völlig verstaubt und hatten eine gräuliche Farbe angenommen.

Unter dem Strauß standen zwei Kisten mit Büchern und Zeitschriften, die Anne eigentlich auf einem Flohmarkt verkaufen wollte. Ein offenes Holzregal mit leeren Einmachgläsern, alten Schuhen, Pappkartons mit abgelösten Briefmarken und Aktenordnern nahm eine Seite des Verschlags ein. Die Wanderschuhe von Tom, die sie nicht fortgeben wollte, lagen auf dem untersten Brett neben langstieligen Partykerzen, die sie nie gebraucht hatte. An der rechten Wand befand sich eine kleine Kommode, die noch aus ihrer ersten Wohnung stammte. Sie war zum Schutz in ein altes weißes Laken eingehüllt. Daneben stand ein Klappbett, das manchmal als Gästebett diente, wenn Theresa bei ihr übernachtete. Aber das war lange nicht mehr vorgekommen.

Drei leere Kisten waren vor dem Regal unordentlich übereinander gestapelt. Eine weitere lag umgekippt daneben. An der Wand hing ein alter Regenmantel, den Anne überhaupt nicht kannte.

Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Von der schwarzen Reisetasche war nichts zu sehen. Sie konnte sich auch nicht daran erinnern, wann sie sie zuletzt benutzt hatte. Seufzend wandte sie sich ab und gab der untersten Kiste einen leichten Tritt. Der Stapel kippte um und gab den Blick frei auf Annes Reitstiefel. Der linke Stiefel lag auf dem Boden, der andere stand im Fußgelenk nach vorne abgeknickt daneben. Anne starrte sie verwirrt an. Dann ging sie einen Schritt darauf zu, bückte sich und strich sanft mit dem Finger über das Leder. Der Finger hinterließ eine glänzende Spur auf der verstaubten Oberfläche.

Kapitel 1

Es war nicht mehr so heiß wie am Vortag. Ein leichter Wind war aufgekommen, und der Wetterbericht hatte für den Abend endlich Regen angesagt. Anne nahm ihre Sonnenbrille ab und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Sie verspürte leichte Kopfschmerzen, wusste aber, dass der bevorstehende Wetterumschwung die Ursache dafür war. Es hatte wochenlang nicht mehr geregnet, das Grün der Bäume wirkte lustlos, die Blätter begannen sich langsam zu verfärben, und Anne kam es so vor, als könnte sie den bevorstehenden Herbst schon riechen.

An der großen Kreuzung blieb sie vor einer roten Ampel stehen und summte in Gedanken eine Melodie, die sie am Morgen im Radio gehört hatte, aber keinem Interpreten zuordnen konnte. Theresa würde ihr sicher sagen können, um welches Lied es sich handelte. Theresa kannte alle gängigen Hits und war im Besitz einer riesigen Schallplatten- und CD-Sammlung.

Eigentlich war sie mit Theresa verabredet, aber als Denise anrief, um mit ihr über Irland zu sprechen, sagte sie der Freundin mit schlechtem Gewissen ab.

Ein sportlicher Wagen hielt neben ihr auf der Linksabbiegerspur. Flüchtig sah Anne hinüber und bemerkte den lächelnden Blick eines älteren Mannes, der sie ungeniert anstarrte. Hastig sah sie wieder nach vorne und gab erleichtert Gas, als die Ampel auf Grün sprang.

Das Haus von Denise und Georg lag am Stadtrand in einem neu angelegten Wohnpark. Die Baugesellschaft bot seinerzeit drei verschiedene Haustypen an. Die beiden hatten sich für ein Einfamilienhaus mit kleiner Einliegerwohnung und relativ großem Garten entschieden. Anne mochte die Anlage, die von einer hohen dunkelgelben Mauer umgeben war und an die Abgeschiedenheit einer Insel erinnerte. Ein breites, rustikal gebeiztes Holztor ermöglichte die Zufahrt in die Siedlung. Die Häuser waren um einen in der Mitte angelegten Parkplatz gruppiert, der durch die jungen mit Holzlatten gestützten Bäume noch unfertig wirkte. Vor jedem Haus befand sich ein kleiner Vorgarten. Einige waren schon üppig bepflanzt, bei anderen konnte man erkennen, dass die Besitzer dazu noch keine Zeit gefunden hatten.

Anne parkte vor Georgs Garage, blieb einen Moment versonnen sitzen und sah zum Nachbarhaus, dessen Eingangstür offen stand. Wie schon bei ihrem letzten Besuch spürte sie eine gewisse Behaglichkeit bei der Vorstellung, in einem dieser Häuser zu wohnen. Georg und Denise hatten das Haus sofort nach ihrer Rückkehr aus den Staaten gekauft und gleich bezogen. Das war vor einem Dreivierteljahr gewesen.

Anne stieg aus, und als sie den Wagen abschloss, kam die Nachbarin aus der offen stehenden Haustür, nickte ihr kurz und freundlich zu und begann im Garten zu arbeiten.

Schon nach dem ersten Klingeln wurde ihr geöffnet. Robin sah sie freudig an und stürzte sich dann in ihre Arme. Anne nahm ihn hoch und drückte ihn fest an sich.

»Hallo, mein Schatz. Hast du schon auf mich gewartet?«

Der Junge nickte und berührte sie sacht an der Wange. Robin roch wie immer nach Pflegecreme, und Anne atmete einmal tief ein, bevor sie ihn wieder absetzte. Denise erschien.

»Hallo, Anne. Robin hat mich die letzten beiden Stunden mit der Frage genervt, wann du denn endlich kommst. Er kann die Uhr noch nicht lesen und hat sich tatsächlich auf sein Hockerchen gesetzt und die Zeiger beobachtet.«

Das Haus von Denise und Georg strahlte Gemütlichkeit und Atmosphäre aus. Denise hatte für die Wände helle Naturfarben in verschiedenen Abstufungen und dazu passende Teppiche oder Fliesen gewählt. Die Möbel aus Kirschbaum harmonierten damit, und nur die farblich etwas ausgefallenen Übergardinen sorgten dafür, dass keine Langweile aufkam. Das Wohnzimmer wurde von einem großen Kamin dominiert. Die zierliche cremefarbene Sitzgruppe wirkte für eine Familie mit Kind ein wenig zu elegant. Schon beim letzten Mal hatte Anne sich gewundert, dass Denise nicht befürchtete, Robin könne die empfindlichen Möbel schmutzig machen. Immerhin war der Kleine erst vier Jahre alt.

Die Wände waren zum größten Teil noch unbedeckt. Georg ging gerne auf Kunstausstellungen und wollte sich die passenden Bilder in Ruhe zusammensuchen. Er ließ Denise in allem, was die Einrichtung des Hauses betraf, völlig freie Hand. Lediglich die Gestaltung der Wände war seine Sache. Das zweite Kinderzimmer wurde von Denise als Morgenzimmer benutzt, weil es auf der Südseite lag und bis in den Nachmittag hinein Sonne hatte. Die Einliegerwohnung diente Georg als Arbeitsbereich. In Regalen, die zwei Wände bedeckten, standen seine Bücher, überwiegend wissenschaftliche Werke. Die restliche Einrichtung war nüchtern und funktionell.

Der Garten wirkte noch kümmerlich. Denise würde erst im nächsten Frühjahr mit der Bepflanzung beginnen. Aber die mit rustikalen Fliesen belegte Terrasse vermittelte bereits einen südländischen Eindruck. Eine von Geranien, Edellieschen und Petunien fast vollständig bedeckte Mauer begrenzte den Einblick der Nachbarn. Die Pflanzen waren auf drei Ebenen angeordnet und blühten immer noch, und Anne dachte kurz, dass Denise' Ausbildung als Floristin nicht ganz umsonst gewesen war.

»Möchtest du Kaffee, oder soll ich uns einen Tee machen?« Denise ging in die Küche, die vom Wohnzimmer nur durch eine Theke abgetrennt war.

»Lieber Tee, ich hab den ganzen Tag über Kaffee getrunken. Wir hatten eine große Eigentümerversammlung, und es ging wie immer hoch her.«

Mit einem Seufzer ließ Anne sich nieder. Durch die offene Terrassentür wehte ein kühler Luftzug. Robin setzte sich sofort mit einem kleinen Bagger zu ihr und erklärte ihr umständlich die Funktionen des Fahrzeugs.

»Hast du noch einmal darüber nachgedacht?«, fragte Denise und kam mit einem Tablett ins Wohnzimmer. »Georg hat die Route ausgearbeitet, wir werden zwei Tage mit dem Wagen unterwegs sein. Das ist zwar ziemlich lange, aber so können wir relativ viel mitnehmen. Georg zum Beispiel sein halbes Arbeitszimmer, weil er im Urlaub unbedingt arbeiten will.« Sie lachte kurz auf. »Ich möchte natürlich einiges von der Insel sehen, was am besten mit einem Auto geht, und Georg hätte nie einen Leihwagen genommen. Du kennst ihn ja.«

So gut kannte Anne ihren Schwager eigentlich nicht. Aber Georg konnte sehr eigenwillig sein. Dass er sich in einem fremden Land nicht auf einen Leihwagen verlassen wollte, konnte sie sich gut vorstellen.

Denise schenkte ihr Tee ein und sah auf Robin hinab, der mittlerweile auf Annes Schoß saß.

»Lass Anne jetzt ein wenig in Ruhe, wir möchten uns unterhalten. Willst du nicht mit deinem neuen Bagger weiterspielen?«

Robin schüttelte den Kopf. »Kommt Anne mit uns?«, fragte er und sah dabei in das Gesicht seiner Tante.

»Ich hoffe«, sagte Denise und fragte dann Anne: »Hast du es dir überlegt?« Ihre Stimme klang ein wenig angespannt. »Wir hätten dich wirklich gerne dabei, und du wolltest doch immer schon nach Irland. Wir werden vier Wochen bleiben, sodass wir viel unternehmen können.«

Denise wusste, dass sie und Tom eine Irlandreise geplant hatten, aber dazu war es nicht mehr gekommen

»Und Robin würde sich auch freuen, ihr könntet den ganzen Tag zusammen sein. Er ist ganz versessen auf dich.«

Anne sah auf das Kind, das wieder auf dem Teppich saß und mit seinem Bagger spielte und dabei brummende Geräusche von sich gab.

Vom ersten Augenblick an hatte sie Zuneigung zu dem kleinen Jungen gefasst. Robin, der, wie Denise meinte, eher zurückhaltend war und auch nicht gerne in den Kindergarten ging, schien ebenfalls sehr an ihr zu hängen. Anne war kurz nach deren Rückkehr aus den Staaten bei ihrer Schwester gewesen. Zwei Tage später klingelte abends bei ihr das Telefon. Es war Robin, der wissen wollte, wann sie wiederkomme. Später erfuhr Anne von Denise, dass sie einige Telefonnummern gespeichert hatte.

»Ich zeigte ihm die Kurzwahltasten und erklärte ihm, wessen Nummern es sind. Die mit deiner Nummer hat er sich gemerkt.«

Der Gedanke, mit ihrer Schwester und deren Familie zusammen zu sein, war verlockend. Bei ihrem letzten Urlaub war ihr die Zeit lang geworden, weil Theresa nicht mitfahren konnte und sie keinen rechten Anschluss zu den anderen Urlaubsgästen fand. Nachdenklich rührte sie in ihrem Tee.

»Du hast doch noch deinen ganzen Urlaub, und es wird nicht sehr teuer werden. Das Ferienhaus ist preiswert, und ich werde die meiste Zeit für uns alle kochen.« Denise blinzelte mit einem Auge und lächelte, als sie Annes Blick sah. »Mein nervöses Auge. Ich hatte es mir so schön abgewöhnt, aber in den Staaten fing es wieder an.«

Anne dachte, dass es so war wie früher auch. Wenn Denise sich etwas in den Kopf setzte, gab sie keine Ruhe, bis sie ihr Ziel erreichte. Und jetzt wollte sie unbedingt, dass sie mit nach Irland kam.

Robin schob seinen Bagger vor und zurück. Eine Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht, die er mit einer schnellen Kopfbewegung nach hinten warf.

»Georg würde sich auch freuen, du weißt, dass er dich gut leiden kann.«

Denises Stimme klang drängend, und Anne sah auf. Georg war immer freundlich und zuvorkommend, er mochte ihren Sinn für Humor und schätzte sie auch als ernst zu nehmende Gesprächspartnerin. Dennoch bezweifelte Anne, dass es ihm angenehm sein würde, sie täglich um sich zu haben. Vor allem, nachdem die Familie fast vier Jahre in den Staaten verbracht hatte und sich erst wieder akklimatisieren musste.

»Bist du sicher, dass Georg sich nicht gestört fühlt, wenn ich immer dabei bin? Es ist doch euer erster richtiger Familienurlaub.«

Anne kam es plötzlich so vor, als wäre die Zeit nur so verflogen.

»Du kannst ihn gleich selbst fragen, er müsste jeden Moment kommen.«

Aber es dauerte noch eine Weile, bis Georg endlich nach Hause kam. Anne spielte mit Robin auf dem Boden liegend mit seiner Autobahn, während Denise in der Küche einen Auflauf zubereitete. Als die Form im Ofen war, setzte sie sich zu Anne und Robin und seufzte: »Jetzt würde ich alles für eine Zigarette geben.«

Anne lachte. Denise hatte sich vor drei Monaten das Rauchen abgewöhnt.

»Du hast gut lachen. Wenn du wüsstest, wie schwer das ist.« Denise nahm versonnen eines von Robins Autos in die Hand.

»Wir haben in Denver ein Ehepaar kennen gelernt, auch Deutsche. Der Mann arbeitete mit Georg zusammen. Ich bin manchmal mit seiner Frau einkaufen gegangen. Sie wollte unbedingt mit dem Rauchen aufhören, hielt es aber nie lange durch. Sie aß massenweise Schokolade und nahm natürlich zu. Als sie nicht mehr in Kleidergröße zweiundvierzig passte, war sie unausstehlich.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß überhaupt nicht, warum ich sie immer wieder getroffen habe. Wahrscheinlich, weil ich mich so einsam fühlte. Nun ja, jedenfalls waren die beiden schon ein seltsames Paar. Sie stritten sich ständig. Aber sobald wir von gemeinsamen Unternehmungen zurückkamen, legten sie den Streit bei. Ich glaube, sie hatten Angst, zerstritten alleine zu bleiben, und haben sich deshalb immer schnell vertragen, bevor wir sie verließen.«

Es war schon nach sieben, als Georg endlich kam.

»Papa, Anne ist hier«, krähte Robin. Georg lockerte seine Krawatte und hob Robin hoch. Dann lächelte er Anne an und berührte sie leicht an der Schulter.

»Hallo, Anne, schön, dass du noch da bist. Ich hab es einfach nicht früher geschafft.«

»Papa, Anne kommt mit uns aufs Boot.« Robin sah seinen Vater mit großen Augen an. Georg lachte, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und setzte ihn ab, als Denise mit der Schüssel kam. Er nahm sie kurz in den Arm, aber Denise drehte sich zur Seite.

»Pass auf, die Form ist sehr heiß.« Vorsichtig stellte sie die Schüssel auf ein kleines Holzbrett. »Setz dich, wir können gleich essen.«

»Du kommst also mit?« Georg schenkte sich ein Glas Rotwein ein. »Hat Denise dir schon die Route erklärt?«

»Nein.« Anne schüttelte den Kopf und fühlte sich ein wenig überrumpelt.

Georg lehnte sich zurück. »Wir fahren bis Calais, setzen mit der kleinen Fähre nach Dover über, und von dort geht es weiter bis Bristol. Ich hab in einem Vorort ein Doppelzimmer gebucht. Das Einzelzimmer für dich dürfte kein Problem sein.« Er nahm einen Schluck Wein und schien sich endlich zu entspannen. »Am nächsten Morgen fahren wir bis Pembroke, wo wir die große Fähre nach Rosslare nehmen. Bis Killarney sind es dann noch einmal ungefähr drei Stunden. Killarney liegt östlich vom Ring of Kerry. Du hast sicher davon gehört.«

»Ja, aber was meinst du mit kleiner und großer Fähre?« Anne schenkte sich ebenfalls Wein ein.

»Nimm dir«, Denise schob ihr die Auflaufform zu, und Anne bediente sich.

»Die Fähre nach Dover ist vergleichsweise klein, die Überfahrt dauert etwas über eine Stunde. Aber die Fähre von Pembroke nach Irland ist riesengroß, und die Überfahrt dauert etwas mehr als drei Stunden.«

Georg nahm sich ebenfalls von dem Auflauf und fragte Robin: »Soll ich dir was geben, oder willst du selbst?«

»Selber.«

Robin griff nach dem großen Löffel, stocherte in dem Auflauf herum und nahm sich dann davon. Denise setzte sich zu ihnen, und Georg fuhr fort: »Einer meiner Kollegen ist Ire und fährt jedes Jahr nach Irland zu seiner Familie. Er hat mir einiges an Informationsmaterial gegeben und mir erzählt, dass die Fähre sehr luxuriös ist. Es ist eine irische Fähre, die allein fünf Decks für die Autos und Busse hat. Sie ist, wie er sagt, sehr komfortabel und bequem. Sie wird sogar dir gefallen.«

Die letzten Worte hatte Georg an Denise gerichtet.

Anne spürte ganz kurz ein leichtes Unbehagen, das jedoch sofort von Denise vertrieben wurde, die lachend sagte: »Du weißt ja, dass ich schnell seekrank werde. Georg hat mir versprochen, dass man auf der großen Fähre überhaupt nichts spürt.« Sie trank einen Schluck Rotwein und fragte dann: »Du kommst also mit?«

»Ja.« Anne nickte und wandte sich an Robin, der neben ihr saß und sie fragend ansah. »Ich komme mit euch, und wir werden viel Spaß haben.«

Robin strahlte sie an, und Anne sah in seine Augen, die von einem hellen Blau waren. Winzigkleine braune Punkte umrahmten die Pupillen, sodass es aussah, als würden die Augen von innen her leuchten. Sie musste an Tom denken. Die Farbe seiner Augen hatte sich immer seinen Stimmungen angepasst, und je fröhlicher er wurde, desto heller schienen sie zu werden.

Angela schüttelte den Kopf, blickte hoch und sagte: »Tut mir leid, Anne, das wird schwierig. Svenja und Ute sind nicht da. Wer soll Sie vertreten?«

Angela mochte es nicht, wenn Mitarbeiter kurzfristig Urlaub nahmen. Aber Denise und Georg hatten Anne erst kurz vor deren Besuch gefragt, ob sie nicht mitkommen wolle. Anne konnte sich mit den Kollegen nicht mehr absprechen, und Svenja war nun für einen Lehrgang angemeldet. Ute, die noch nicht lange in der Firma, aber sehr zuverlässig war, lag mit einer Grippe im Bett.

Für Anne gab es keine feste Vertretung. Sie betreute in erster Linie Eigentümergemeinschaften. Einige davon waren sehr schwierig, und Anne brauchte immer wieder viel Zeit und Geduld, um die unterschiedlichen Interessen der Eigentümer unter einen Hut zu bringen. Wenn sie fort war, übernahmen Ute und Svenja einen Teil ihrer Arbeit. Aber die Versammlungen musste Anne selbst vorbereiten und leiten.

»Ulrike kann mich vertreten. Beim letzten Mal hat es doch auch ganz gut geklappt.«

Angela unterschrieb den Urlaubsantrag verärgert, und Anne fühlte sich schuldig. Sie verstand sich gut mit ihrer Chefin, es war das erste Mal, dass eine schlechte Stimmung aufkam.

Sie ging mit Ulrike die wichtigsten Termine durch und versprach ihr, zwischendurch anzurufen, um sich zu erkundigen, ob alles seinen geregelten Gang gehe. Ulrike lächelte unsicher und meinte, sie solle sich keine Sorgen machen, sie komme schon zurecht. Anne überlegte kurz, ob sie Beate, eine andere Kollegin, bitten sollte, Ulrike zu helfen, aber sie verwarf den Gedanken sofort. Sie und Beate mochten sich nicht, Beate war schnippisch und arrogant, und Anne fand sie nicht sonderlich zuverlässig.

Als sie an ihrem letzten Arbeitstag mit einem unguten Gefühl nach Hause fuhr, bedauerte sie fast schon, Denise zugesagt zu haben. Sie ging früh zu Bett, weil sie zeitig starten wollten, aber sie fand keinen Schlaf. Schließlich stand sie auf und machte sich etwas Milch heiß. Langsam rührte sie in der Milch, damit sie nicht am Boden des Topfs anbrannte. Als sie zu sieden begann, goss sie die dampfende Flüssigkeit in eine große Tasse und tat einen Löffel Honig hinein. Mit beiden Händen umklammerte sie die Tasse und ging zurück ins Wohnzimmer. Versonnen ließ sie ihren Blick durch die Wohnung schweifen. Maria, ihre junge hilfsbereite Nachbarin, würde die Blumen gießen und die Post einsammeln. Auf sie war Verlass. Im letzten Jahr war in die Erdgeschosswohnung eingebrochen worden. Die Bewohner befanden sich im Urlaub und hatten keine Adresse hinterlassen. Erst am nächsten Morgen bemerkte der Hausmeister die aufgebrochene Wohnungstür. Die Polizei suchte nach Fingerabdrücken, aber die Täter wurden nie gefasst. Nachdenklich nippte Anne an der süßen Milch. Ulrike würde schon zurechtkommen. Kurz bevor sie das Büro verlassen hatte, hatte Anne noch zwei anstehende Versammlungen verschoben. Ulrike würde nur eine kleinere Gemeinschaft betreuen müssen, bei der zurzeit keine Probleme zu erwarten waren. Sie war sehr diplomatisch, konnte gut mit Menschen umgehen und wusste sich auch in schwierigen Situationen zu helfen.

Langsam ging Anne in den kleinen Flur. Der große Koffer nahm fast die ganze Breite des Flurs ein, und sie ärgerte sich, dass die schwarze Reisetasche nicht auffindbar war. Sie war noch ganz neu gewesen.

Sie trank den Rest der Milch, spülte sich kurz den Mund aus und legte sich wieder hin. Beinahe sofort schlief sie ein.

Kapitel 2

Annes linker Fuß war eingeschlafen. Sie bewegte die Zehen, bis das allmählich einsetzende Kribbeln ihr zeigte, dass die Blutzirkulation wieder in Gang kam. Obwohl Georgs Wagen groß war und einen riesigen Kofferraum hatte, war auch die Rückbank zur Hälfte noch mit Gepäck beladen. Denise wollte unbedingt Lebensmittel mitnehmen, damit sie nicht am Tag der Ankunft noch einkaufen mussten.

»Außerdem gibt es weder in England noch in Irland ordentliches Brot. Und wir können nicht ständig nur Toast essen«, meinte sie, als Anne amüsiert die Zutaten für selbst gemachtes Brot begutachtete.

»Aber es wäre doch eigentlich ganz richtig, wenn wir uns ein wenig der Esskultur des Landes anpassen würden, findest du nicht?« Anne zwinkerte ihr zu.

Denise verzog das Gesicht. »Möchtest du schon zum Frühstück Würstchen, Bohnen und Spiegelei essen? Ich jedenfalls nicht.«

Außer den Lebensmitteln mussten sie auch noch drei Aktenordner, einen Laptop und einen Stapel Papiere für Georg, der Mathematiker war, mitnehmen.

Anne saß mit Robin im Fond des Wagens. Der Junge war noch müde und schlief, den Kopf auf Annes Schoß. Sie waren schon um sechs Uhr morgens gestartet, damit sie die Fähre nicht verpassten, die gegen zwölf Uhr ging. Anne sah in die Dunkelheit, die sich immer mehr lichtete. Zu ihrer Überraschung war auf der Autobahn bereits viel Verkehr. Lastwagen waren unterwegs, die immer wieder von schnelleren Autos überholt wurden. Auch Georg fuhr zügig. Anne sah im Vorbeifahren in müde Gesichter, die angestrengt nach vorne blickten. Manche der Beifahrer schliefen. Eine Familie mit drei Kindern fuhr gemächlich auf der rechten Fahrbahn, die Kinder tobten auf dem Rücksitz, und ein genervter Vater drohte mit der Hand.

Anne musste an Maria denken, die sicher ebenfalls noch schlief. Das Reisebüro, in dem sie arbeitete, öffnete nicht vor zehn Uhr. Maria stand erst um neun auf und fuhr nach einem schnellen Frühstück los. Anne beneidete sie manchmal, weil sie selbst schon vor acht im Büro sein musste.

Anne und Maria lernten sich kurz nach deren Einzug ins Haus kennen. Anne kam von einem Einkauf zurück und war in Eile. Tom wollte etwas früher als sonst Schluss machen, und sie hatte ihm sein Lieblingsgericht versprochen. Er aß für sein Leben gerne Poularde mit Backpflaumen. Sie wollte fertig sein, wenn er kam. Die Pflaumen hatte sie am Vortag schon in Wasser und Rotwein weichen lassen, aber die Poularde selbst brauchte fast eine Stunde. Sie stürmte die Treppen hoch, doch auf der letzten Stufe rutschte sie aus und fiel hin. Die Papiertüte riss auf, und die Lebensmittel verstreuten sich auf dem Flur. Eine Konservendose rollte genau vor Marias Tür. In diesem Moment kam sie aus ihrer Wohnung und sah verdutzt auf Anne hinab, die vor ihr kniete.

»Herrje, Sie Ärmste. Haben Sie sich verletzt?« Maria bückte sich und half Anne hoch. »Die Treppen sind nach dem Putzen immer ganz glatt. Ich bin letzte Woche auch um ein Haar ausgerutscht.«

Maria plapperte unbekümmert weiter, während sie Toilettenpapier, Deo und Schwarzbrot auflas, und Anne versuchte, ihrer Verlegenheit Herr zu werden.

»Danke, sehr freundlich von Ihnen. Ich hab wohl nicht aufgepasst.«

Maria richtete sich wieder auf. Ihr schwarzes Haar war kurz und pfiffig geschnitten. Einzelne längere Ponysträhnen fielen ihr ins Gesicht. Die braunen Augen funkelten lustig und verschmitzt. Anne bedankte sich noch einmal und sah ihr hinterher, als sie eilig die Stufen hinunterlief.

Als sie in Calais ankamen, herrschte im Hafen schon großer Andrang. Zwei Reisebusse warteten vor ihnen in der Schlange, die sich nur langsam vorwärts bewegte. Robin staunte über einen Kran und fragte Anne, wozu er gebraucht wurde.

»Ich glaube, damit werden ganz schwere Sachen gehoben«, meinte sie vage.

Georg fuhr an den Schalter und suchte das Ticket für die Fähre. Es entstand ein wenig Unruhe, weil er nicht sofort wusste, wo er es verstaut hatte. Dann zog er es aus dem Handschuhfach und reichte es dem Angestellten, der es musterte und zustimmend nickte. Langsam fuhren sie weiter und suchten nach der richtigen Auffahrt zur Fähre.

»Die Nummer zweiundachtzig muss es sein«, murmelte er. »Da vorne.« Denise zeigte nach rechts, und Georg bog ab. »Seit dem Bau des Tunnels hat sich hier vieles verändert«, erklärte er. »Die Tunnelgesellschaft ist eine große Konkurrenz für die Fähren. Früher hat man hier viel länger gewartet. Mittlerweile geht es.«

Langsam fuhren sie hinter einem kleinen VW-Bus auf die Fähre und blieben dann stehen.

»So, das war das«, sagte Georg.

Rechts und links des Wagendecks befanden sich Aufzüge, die sie nach oben brachten. Sie kamen im Mitteldeck an. »Lasst uns einen Moment nach draußen gehen und uns die Beine vertreten«, schlug Georg vor. »Von hier müssten wir eigentlich schon die weißen Klippen von Dover sehen.«

Es war sehr windig, und Anne hoffte, dass ihre Haarklammern halten würden. Georg führte sie auf das Deck der Fähre, und wenig später begannen sie abzulegen. Robin war ganz aufgeregt und klammerte sich an Annes Hand. Als ein Schwarm Möwen aufstieg und über ihren Köpfen zu kreisen begann, riss er sich los und lief hinter einer einzelnen Möwe her, die sich den anderen offenbar noch nicht anschließen wollte. Sie ließ sich immer wieder in seiner Nähe nieder und flog kurz bevor er sie anfassen konnte wieder hoch.

Das Wasser war graublau meliert, und Denise deutete auf das helle aufgeschäumte Kielwasser, das in einer unregelmäßigen Spur verlief. »Es sieht so aus, als wüsste das Schiff nicht, wo es hinwill«, meinte sie versonnen.

Georg hatte sich auf einer der Holzbänke niedergelassen, und Robin turnte um ihn herum.

»Das Meer und Gefühle«, sagte Denise langsam. »Da besteht eine Verwandtschaft. Es hat etwas mit der Tiefe zu tun, ich weiß nicht genau.« Sie stockte und schien nach Worten zu suchen. Anne sah sie neugierig an. Aber dann lachte Denise plötzlich und meinte: »Komm, lass uns reingehen und einen Kaffee trinken.«

Die Möwen waren wieder zurück zum Land geflogen und umschwärmten eine andere gerade angekommene Fähre. Als sie nach einer guten Stunde in Dover das Schiff verließen, sahen Anne und Denise gespannt aus dem Fenster. Robin war unleidlich gewesen. Nach dem Kakao wollte er ein Eis haben und dann noch ein zweites, was Georg ihm kurzerhand verbot. Denise war schon im Begriff, etwas einzuwenden, biss sich aber auf die Lippen und sagte nichts. Anne schaute sie kurz an und glaubte später sich geirrt zu haben. Ihre Schwester hatte die Stirn gerunzelt und einen Moment lang bedrückt ausgesehen. Aber als sie Annes Blick bemerkte, verschwand der Ausdruck in ihrem Gesicht, und sie lächelte ihr zu.

Robin vergaß das Eis schnell und staunte über ein riesiges Schiff, das in einem Seitenarm des Hafens lag. Langsam rollten sie mit den anderen Wagen auf den weißen mit Grün durchbrochenen Felsen zu und suchten den richtigen Steg. Am Terminal mussten sie ihre Pässe zeigen. Georg wechselte auf die linke Seite und sagte munter: »Auf geht's. Willkommen im Land der Geisterfahrer.«

Anne musste wieder an diese Worte denken, als sie müde und erschöpft gegen sieben Uhr endlich das Hotel erreichten. Das Fahren auf der linken Seite war ungewohnt, und Georg musste sich konzentrieren. Einmal kamen sie zu einem Verteilerkreis, und Anne sagte spontan: »Also ich wüsste jetzt nicht weiter.«

Sie parkten vor dem Hotel auf einem hauseigenen Parkplatz, und Georg gab Denise den kleinen Übernachtungskoffer. Anne ärgerte sich, dass sie nicht daran gedacht hatte, für die Übernachtung eine Extratasche zu packen. Sie konnte ein Einzelzimmer direkt neben dem großen Dreibettzimmer von Georg und Denise buchen. Georg, der fließend Englisch sprach, erkundigte sich an der Rezeption nach dem Abendessen und erklärte dann: »Wir können gleich etwas essen.«

Annes Zimmer wirkte plüschig-altmodisch mit dunkelroter Tapete, schweren, bis auf den Boden reichenden Übergardinen und grünem Teppich. Auf einem kleinen Tisch stand ein Wasserkocher und eine Tasse. In einer Dose befanden sich in verschiedenen Beuteln löslicher Kaffee, Zucker und Tee.

Sie zog sich einen anderen Pullover an und löste den Knoten, der etwas verrutscht war. Dann steckte sie die Haare wieder fest, trug einen Hauch Lippenstift auf und trat auf den Flur. Sie hörte Robins Stimme und dann Georgs lautere. Zaghaft klopfte sie an. Denise suchte etwas in ihrer Handtasche und begann dann in der Reisetasche herumzuwühlen.

»Verflixt«, murmelte sie.

»Komm, lass uns gehen«, sagte Georg. Er lächelte Anne an und meinte mit gespielter Resignation: »Sie sucht Robins Matchboxauto.«

Denise nahm den Jungen an die Hand. »Schatz, morgen werde ich das Auto finden. Ganz bestimmt. Jetzt aber habe ich Hunger.«

Robin verzog sein Gesicht und maulte: »Will Auto.«

Denise beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen raschen Kuss. »Wenn wir das Auto nicht finden, kaufen wir dir eben ein neues.« Robin nickte besänftigt, und Denise sagte leise zu Anne: »Er ist völlig übermüdet. Nach dem Essen muss er gleich ins Bett.«

Zusammen gingen sie zum Lift. Der Speisesaal lag links vom Eingang. Ein Kellner führte sie an einen Tisch und legte ihnen die Karte vor. Anne begann sich zu entspannen und bestellte Lamm in Minzsoße und Mineralwasser. Sie war durstig, denn auf der Fahrt hatte sie kaum was getrunken. Georg bestellte für sich und Denise Paprikahühnchen und eine Flasche Rotwein.

»Morgen möchte ich gerne früh starten. Ich dachte so gegen sieben.«

Fragend sah er Anne an, und diese nickte. »Kein Problem, aber ihr müsst mich wecken, ich hab keinen Wecker dabei.«

»Wir brauchen ungefähr drei Stunden bis Pembroke. Dann kommt die Überfahrt und dann die Fahrt nach Killarney. Wir werden also nicht früher eintreffen als heute.«

Robin begann quenglig zu werden, und Denise flüsterte ihm etwas ins Ohr. Als das Essen kam, spielte er mit der Gabel auf seinem Teller herum, aß aber nichts. Dann wollte er auf Denises Schoß, und sie begann ihn zu füttern.

»Das muss er doch alleine können«, meinte Georg, und Anne glaubte so etwas wie Verärgerung in seiner Stimme zu hören.

»Ach, lass ihn doch.« Denise legte die Gabel wieder zur Seite, als Robin den Kopf wegdrehte. »Er ist müde und hat eigentlich gar keinen Hunger.«

Auch Anne spürte nun die Müdigkeit. Als sie wenig später wieder in ihre Zimmer gingen, fiel sie erschöpft ins Bett und schlief sofort ein.

Am nächsten Morgen wurde sie von Robin geweckt, der laut an ihre Tür klopfte. Sie beeilten sich mit dem Frühstück, das aus Würstchen, Eiern und gegrillter Tomate bestand. Aber es gab auch Toast und Orangenmarmelade. Anne nahm sich ein Spiegelei, Brot und ein Glas Grapefruitsaft, Georg und Robin aßen Würstchen, Denise begnügte sich mit Toast.

Während der Fahrt erklärte Georg, dass in Irland die Entfernungen teilweise in Meilen, teilweise auch in Kilometern angegeben waren.

»Mein Arbeitskollege erzählte mir, dass in Irland die Angaben auf den Straßenschildern nicht einheitlich seien. Bei den alten Schildern handelt es sich um Meilen. Weißt du eigentlich, wie der Linksverkehr entstanden ist?« Georg schien guter Laune zu sein. Er sah durch den Rückspiegel in Annes Gesicht.

»Der Linksverkehr wurde überall dort eingeführt, wo Napoleon war, also in Indien, Australien, Südafrika. Ich las einmal, es habe auch damit zu tun, dass eine Waffe immer mit der rechten Hand benutzt wurde. So erklärt man sich übrigens auch das Aufsitzen aufs Pferd. Man steigt doch von links auf, oder?«

»Ja«, sagte Anne.

Gegen Mittag erreichten sie den Hafen von Pembroke. Die Fähre war tatsächlich riesig und hatte fast zehn Decks. Wieder reihten sie sich ein, verließen den Wagen im Inneren des Laderaums, versuchten sich den Stellplatz zu merken und stiegen die Treppen hinauf.

Georg führte sie durch ein bereits völlig überfülltes Café. Offenbar war auch eine Schulklasse unterwegs. Anne sah viele Jugendliche, die sich auf den Sesseln lümmelten und unterhielten. Laute Popmusik ertönte, und ein großer in die Wand eingelassener TV-Bildschirm zeigte ein Popkonzert mit Anastasia und anderen Interpreten.

»Zu laut«, meinte Georg, und sie gingen in den Nichtraucherbereich, der mit englischen Möbeln und empfindlich aussehenden Teppichen ausgestattet war. Die Decke war niedrig und verlieh dem Raum trotz seiner Größe Gemütlichkeit. In der Mitte befand sich eine Theke, wo Georg Kaffee, Tee und für sich einen Whiskey holte. Der Raum hatte Atmosphäre, alles wirkte gediegen und gedämpft, und Anne dachte, dass sie sich so einen irischen Pub vorstellte. Nur das brummende Geräusch der Motoren erinnerte daran, dass sie sich auf dem Wasser befanden.

Anne und Denise ließen sich auf einer Eckbank nieder, Robin kletterte auf einen Sessel. Als Georg zurückkam, sagte Denise: »Ich hab übrigens mit Helen vereinbart, dass wir sie einmal besuchen werden.«

Anne sah sie fragend an. »Helen?«

»Du musst dich doch noch an Helen erinnern. Meine alte Schulfreundin, die jetzt in Irland lebt. Ich dachte, wenn ich schon einmal in der Nähe bin, will ich sie auch sehen. Sie hat uns zum Kaffee eingeladen.«

Jetzt konnte sich Anne wieder erinnern. Helen und Denise waren während der Schulzeit unzertrennlich gewesen und wollten immer zusammenziehen. Aber Helen lernte Patrick kennen und zog mit ihm nach Irland. Denise war damals untröstlich. Doch kurz darauf traf sie Georg, und nach einem Jahr heirateten die beiden.

»Helens Bruder wird auch da sein. An ihn wirst du dich nicht mehr erinnern können. Hans verbringt jedes Jahr seinen Urlaub bei ihr.« Denise schwieg einen Moment, dann sagte sie betont gelassen: »Hans ist nett, er ist etwas älter als du und seit drei Jahren geschieden.«

»Mein Gott«, warf Georg ein und schüttelte genervt den Kopf.

Anne lachte. Das war wieder einmal typisch Denise. Bestimmt hatte sie Helen zugesichert, dass sie mitkommen würde. Denise war schon als Kind sehr direkt gewesen. Wenn sie sich etwas vornahm, versuchte sie auch es mit aller Gewalt umzusetzen. Sie ließ sich nur schwer von etwas abbringen.

Anne versuchte als Kind oft, die um ein Jahr ältere Schwester nachzuahmen, aber sie scheiterte jedes Mal kläglich. Sie konnte sich noch gut an den Friseurbesuch erinnern, bei dem Denise ihre langen blonden Haare abschneiden ließ. Ihre Eltern wussten nichts davon, und ihre Mutter war wütend geworden, als der Besitzer des Salons anrief, weil Denise kein Geld dabeihatte. Sie zog ihr den Betrag vom Taschengeld ab. Seitdem trug Denise einen modischen Kurzhaarschnitt, der gut zu ihrem hübschen, wenn auch etwas herben Gesicht, ihrer Burschikosität und ihrem sportlichen Stil passte.

Nach einer Weile zog Georg seine Schuhe aus und legte sich auf die gepolsterte Sitzbank. Auch andere Gäste hatten sich ausgestreckt. Ein junger Mann lag, sein Gesicht mit einer Zeitung bedeckt, nur wenige Meter von ihnen entfernt und schnarchte. Robin begann auf Georgs Beinen herumzuturnen, bis Denise ihn zu sich holte. »Lass Papa schlafen, er ist müde.«

Unmutig spielte der Kleine mit einem Kuscheltier, das unverständliche Töne von sich gab, sobald man es drückte. Dann wurde ihm das Spiel zu langweilig, und er legte sich zu Georg. Kurz darauf war er eingeschlafen. Anne nippte an ihrem Tee und versuchte herauszufinden, in welche Richtung sich die Fähre bewegte.

»Ich lege mich auch ein wenig hin.« Denise streifte ihre Schuhe ab. »Passt du bitte auf Robin auf? Wenn er wach wird, läuft er sicher überall herum.«

Anne nickte und nahm ein Buch aus ihrer Tasche. Aber sie las nicht, sondern ließ sich von der Stimmung treiben.

Seit der Rückkehr aus den Staaten hatten sie und Denise sich nur wenige Male gesehen. Immer war etwas dazwischengekommen. Als sie in das neue Haus zog, war Anne sofort zu ihr gefahren. Aber sie war krank, und Anne blieb nicht lange. Denise besuchte sie wenig später in ihrer Wohnung und war immer noch kränklich. Ihr wurde schlecht, und Anne bestand darauf, dass sie sich hinlegte. Dann trafen sie sich einmal bei ihren Eltern, um den fünfundsechzigsten Geburtstag ihres Vaters zu feiern. Anne lächelte bei dem Gedanken daran. Ihre Eltern, die ihr und Denise gegenüber immer etwas distanziert wirkten, waren vernarrt in Robin, den sie kaum aus den Augen ließen.

Anne nippte an ihrem Tee. Ein junges Mädchen irrte suchend umher, sah kurz zu ihr hin und ging dann weiter.

Als Denise ihr den Vorschlag machte, mit nach Irland zu kommen, glaubte Anne sofort, Denise wolle ihre Beziehung verbessern. Als sie noch Kinder waren, gab es keine echte Nähe zwischen ihnen. Denise war lebhaft und praktisch veranlagt, Anne eher ruhig und in sich gekehrt. Sie waren nie Freundinnen gewesen. Als ihre Schwester vor gut vier Jahren mit Georg in die Staaten ging, bedauerte Anne, dass sie keine innigere Beziehung zueinander hatten und sich nun noch mehr entfremden würden. Aber sie schrieben sich regelmäßig und sehr ausführlich, und irgendwann begann Anne sich auf die Rückkehr zu freuen. Denises Briefen war nicht zu entnehmen, wie sie sich fühlte. Sie schilderte lustige Begebenheiten mit Menschen, die sie kennen lernte, und beschrieb ausführlich den Vorort von Los Angeles, in dem sie wohnten. Aber manchmal kam es Anne so vor, als wäre Denise nicht glücklich in dem fremden Land. Sicherlich konnte Georg, beruflich stark eingespannt, kaum Zeit für sie erübrigen.

Robin murmelte etwas im Schlaf, und Georg gab pfeifende Geräusche von sich. Anne sah in das markante Gesicht ihres Schwagers. Auf seiner hohen Denkerstirn zeigten sich schon tiefe Furchen. Er war dunkelblond, Denise etwas heller. Robin dagegen hatte braunes und sehr kräftiges, fast schon widerborstiges Haar.

Anne zog einen Taschenspiegel hervor und blickte in ihr Gesicht. Eine Strähne ihres Haares hatte sich gelöst. Vorsichtig berührte sie ihren Nackenknoten. Im Laufe der Zeit kam sie mit ihrer Frisur gut zurecht. Ihr Haar war sehr weich, und sie musste es immer fixieren, damit es überhaupt hielt. Seit sie den Knoten trug, war sie froh über den rötlichen Schimmer ihrer dunkelblonden Haare. Theresa fand ihre Frisur langweilig und riet ihr zu einem Kurzhaarschnitt, aber Anne konnte sich nicht entscheiden. Tom hatte den Knoten geliebt, von dem er meinte, dass er genau zu ihrem Stil passe.

Sie trug etwas Lippenstift auf und fand, dass ihr die neue Farbe gut stand. Dann musterte sie sich im Spiegel. Sie wusste, dass sie manchmal älter wirkte, als sie mit ihren vierunddreißig Jahren war. Aber sie mochte ihre Ernsthaftigkeit und fand ihren Kleidungsstil nicht konventionell, auch wenn Theresa sie immer wieder damit neckte. Sie wischte sich etwas von dem Lippenstift ab, den sie über den Rand der Lippen aufgetragen hatte, und zupfte kurz und unschlüssig an ihrem Ohrläppchen. Ihre Augen waren braun, was sie immer ein wenig bedauerte. Sie hätte gerne grüne Augen gehabt, die sie geheimnisvoll und exotisch fand. Aber sie wirkte trotz ihrer Frisur nicht langweilig. Eine ihrer Kolleginnen meinte einmal, sie mache einen tiefgründigen Eindruck. Anne grinste bei der Erinnerung.

Irland zeigte sich von seiner ungemütlichen Seite. Es war dunstig, die Luft schwer von Nässe, aber es regnete nicht. Starke Bewölkung war aufgezogen und tauchte die Landschaft in dämmriges Licht, obwohl es erst kurz nach Mittag war. Sie hatten die Fähre verlassen und saßen wieder im Wagen. Georg schaltete das Licht an. »Das also ist Irland. Aber tröstet euch, es könnte noch schlimmer sein.«

»Schlimmer? Papa, wieso schlimmer?«, fragte Robin.

Während Georg Robin zu erklären versuchte, dass das Wetter in Irland immer wieder wechselte, spürte Anne die alte Traurigkeit in sich aufsteigen. Eigentlich hatte sie diese Reise mit Tom machen wollen. Als sie damals davon sprachen, waren sie sich einig gewesen, dass Irland ihr nächstes Reiseziel sein sollte. Nachdenklich sah sie aus dem Fenster. Die nebelverhangenen Senken gaben nur widerwillig beim Näherkommen die knorrigen Büsche, Zäune und feuchten Weiden preis. An manchen Stellen ballte sich der Nebel so dicht neben der Fahrbahn, dass es aussah, als wollte er auf die Straße fließen.

Anne liebte Nebel seit ihrer Kindheit. Er vermittelte ihr Geborgenheit und Sicherheit und brachte sie dazu, die Dinge des Lebens in heiterer Gelassenheit zu sehen.

Stunden später umfuhren sie Killarney. Robin wurde allmählich unleidlich, und auch Anne war froh, endlich angekommen zu sein.

»Killarney gilt als Basislager für den Ring of Kerry«, erklärte Georg. »Hier gibt es natürlich viele Touristen, ja, in einigen Pubs trifft man fast nur Deutsche an, aber ich denke, wir werden auch einen typisch irischen Pub finden.«

Auch Georg war noch nie in Irland gewesen, aber er hatte sich auf die Reise vorbereitet und verschiedene Bücher über das Land gekauft.

»Was ist ein Pub?«, wollte Robin wissen.

»So etwas wie eine Kneipe, wo man hingeht und etwas trinkt«, antwortete Denise.

»Mama, ich hab Durst, können wir in einen Pub gehen?«

Anne lachte und drückte ihn kurz.

Ihr Ferienhaus war in einem kleinen Dorf östlich der Stadt »Die Vermieterin sagte mir, das Dorf sei unberührt vom Tourismus. Wir werden also unsere Ruhe haben.«

Georgs Stimme hörte sich zufrieden an, aber Denise sagte: »Hoffentlich langweilen wir uns nicht.«

»Wenn ihr euch langweilt, könnt ihr abends nach Killarney fahren.«

Anne legte ihm die Hand auf die Schulter und grinste Denise an. »So ist es recht. Der Mann bleibt zu Hause, und die Frauen machen die Stadt unsicher.«

Georg lachte, hielt kurz am Straßenrand an und zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche.

»Hier muss irgendwo eine kleine Straße abgehen. Oder ich bin schon vorbeigefahren.« Er studierte die Wegbeschreibung und fuhr wieder an. »Da hinten muss es sein, hinter der Kirche.«

Sie bogen von der Straße in einen kleinen holprigen Weg ein. Die Landschaft wirkte mit einem Schlag ländlich und ein wenig armselig. Die Straßendecke war voller Schlaglöcher, und Robin juchzte jedes Mal, wenn der Wagen heftig schaukelnd über die Unebenheiten fuhr. Der Weg schlängelte sich, und einmal kam ihnen ein Auto entgegen, und Georg musste anhalten, um es vorbeizulassen.

Anne sagte kichernd: »Jetzt hättest du um ein Haar rechts angehalten statt links, nicht wahr?«

Georg nickte und brummte: »Man muss sich daran gewöhnen.«

Und dann fanden sie das Dorf. Neugierig betrachtete Anne die Ansammlung verschlafener Häuser, die den Eindruck erweckte, als wäre die Zeit stehen geblieben. Alles schien ruhig, niemand war zu sehen, nur das eine oder andere Fenster war erhellt.

»Schau mal, Denise, ein Haus mit türkisfarbener Fassade.« Anne bewunderte ein wenig den Mut der Bewohner. Die Blumenkästen waren üppig bepflanzt, und die Blüten leuchteten in Rot, Gelb, Grün und Lachsfarben. Sie konnte sich nicht satt sehen und murmelte: »So habe ich es mir vorgestellt.«

Georg lachte. Am Ende des Dorfs stand ein vereinzeltes Herrenhaus, das etwas weiter zurücklag. Eine Steinmauer begrenzte das Grundstück. Das Eingangstor war weit offen. In der Mitte der breiten Auffahrt war ein Rondell angelegt, in dem zwei grüne ausladende Büsche standen.

Georg bremste abrupt. »Das müsste das Haus der Vermieterin sein. Ich hole schnell den Schlüssel. Es ist jetzt nicht mehr weit.«

Anne sah sich das Gebäude neugierig an. Es wirkte ein wenig schmuddlig unter der hellgelben Fassade. Aber die Haustür war offenbar frisch gestrichen, denn sie glänzte in einem satten Grün. Rechts der Tür stand ein großer Hortensienbusch, dessen einst rote Blüten mittlerweile rose und goldfarben schimmerten. Anne dachte an den Blumentopf mit Hortensien, den sie sich im Frühjahr gekauft hatte und der jetzt, im September, keine einzige Blüte mehr trug.

Georg und eine ältere Frau traten aus dem Haus und redeten kurz miteinander. Georg schien sie nach dem Weg zu fragen, denn sie deutete mit dem Arm in eine Richtung. Dann verabschiedete er sich.

»So, gleich sind wir da. Ich kann nicht mehr sitzen.«

Er ließ den Motor an, und sie fuhren los. Robin winkte der Frau zu, die freundlich zurückwinkte. Sie verließen das Dorf und konnten in der Ferne ein einsames, allein stehendes Haus ausmachen. Links der Straße waren einzelne Baumgruppen auf einer großen nicht eingefassten Weide. Die Büsche auf der anderen Seite wirkten wahllos in die Landschaft hineingestellt. Immerhin war die Straße befestigt. Georg fuhr vor das Haus und parkte direkt vor einer kleinen Holztür.

»Das ist es«, sagte er zufrieden.

Sie blieben einen Moment sitzen und sahen sich das Haus an, das für die nächsten vier Wochen ihr Zuhause sein sollte. Anne fielen sofort das reetgedeckte Dach und die Butzenfenster auf, in denen sich der Himmel spiegelte. Die Fassade bestand aus grobem, etwas verwittertem Gestein. Der kleine unordentliche Garten war von einem Holzzaun eingefasst. Die Beete waren bepflanzt, aber auf der unebenen Rasenfläche wucherte Unkraut. Sicher wurde das Haus die meiste Zeit vermietet, und um den Garten kümmerte sich niemand. Anne stieg aus und reckte sich erst einmal.

»Das tut gut«, meinte sie, und auch Denise stützte sich mit beiden Händen im Rücken ab.

Georg öffnete vorsichtig die Zauntür, die zu Annes Überraschung leicht aufging. Der Hausschlüssel klemmte im ersten Moment, und Georg hantierte ungehalten am Schloss herum. Aber dann sprang die Tür auf.

»Ich hole das Gepäck«, sagte er und drehte sich wieder um. Anne betrat neugierig das Haus. Der kleine Flur führte in ein geräumiges Wohnzimmer mit offenem Kamin. Die Fenster ließen mehr Licht hinein, als von außen zu vermuten war. Sie trat näher. Durch ein Fenster konnte sie in der Ferne das Dorf ausmachen, rundum lagen unbestellte Felder. Sie drehte sich um. Die Wände waren weiß getüncht, das Mobiliar alt, aber gut gepflegt. Ein paar bunte Bilder zierten die Wände. Auf dem Boden lagen zwei große, offenbar selbst geknüpfte Teppiche. Der Raum war nur sparsam möbliert und wirkte sehr schlicht. Obwohl die Heizung noch nicht lief und der Kamin nicht brannte, strahlten die Wände Wärme und Behaglichkeit aus.

Die Küche ging von der Mitte des Wohnzimmers aus ab und war winzigklein. Anne warf einen kurzen Blick hinein und stieg dann die Stufen der Wendeltreppe hinauf, die am Ende des Wohnzimmers nach oben führte. Es gab drei Schlafzimmer. Ein kleiner Raum mit einem Kinderbett und einer Truhe, in der Anne Spielsachen vermutete. Dann ein etwas größerer Raum mit einem einzelnen Bett, einer kleinen Couch und einem Tisch. Das Zimmer war ziemlich dunkel. An der Decke hing eine altmodische Lampe mit grünem Schirm. Neugierig drehte Anne am Lichtschalter. Die Lampe funktionierte und tauchte den Raum in grünliches Licht. Das letzte Zimmer war mit einem Doppelbett und einem großen Kleiderschrank ausgestattet. Hinter der vierten Tür verbarg sich das Bad mit Toilette

Während Denise und Georg das Gepäck ausluden, flitzte Robin durch das Haus. Es war kühl geworden. Am Himmel türmten sich Wolken auf und brachten stärkeren Wind mit sich. Georg räumte alles aus dem Wagen in den kleinen Flur, der sofort überfüllt war. Anne trug einen Karton mit Lebensmitteln in die Küche, und Denise mühte sich mit einem Koffer die Treppe hinauf. Robin kippte einen Korb mit Spielsachen in der Mitte des Wohnzimmers aus und setzte sich auf den Teppich. Als sich alle Taschen im Haus befanden und Georg den Wagen absperrte, räumte Denise die Küche ein und stellte ihre mitgebrachten Gewürze auf die kleine Fensterbank.

»Kann ich dir helfen?« Anne sah sich die Gewürze an, von denen sie einige gar nicht kannte. »Hast du die aus den Staaten mitgebracht?«

Denise nickte. »Ja, aber sie neigen sich bald dem Ende zu. Ich hätte mehr mitnehmen sollen.«

Anne blieb unschlüssig stehen und überlegte, ob sie sich umziehen sollte.

»Ich kümmere mich jetzt um das Abendessen. Fragst du Georg, ob er den Kamin anmachen kann? Ich finde es ziemlich kalt.«

Aber Georg schichtete schon Holzscheite auf den Rost und stopfte die Lücken mit Zeitungspapier aus.

Anne sah wieder aus dem Fenster. »Ich gehe mal ganz kurz vor die Tür, ich bleibe auch nicht lange.«

Denise nickte. »Ich brauche eine gute halbe Stunde, bis das Essen fertig ist.«

Als Anne sich ihre Jacke anzog, stand Robin vom Boden auf. »Wohin fährst du?« Er hielt sie am Arm fest.

»Ich gehe nur kurz raus. Nicht lange. Gleich gibt es Abendbrot, und dann bin ich wieder zurück.«

Robin zerrte an ihrem Arm und bettelte: »Will mit.« Anne lächelte und sah in das glatte Kindergesicht.

»Will auch raus.« Robin nickte ernst. Er stand mit hochgezogenen Augenbrauen vor ihr, und Anne musste spontan lachen.

»Nein, du bleibst da«, sagte Denise. »Morgen unternehmen wir etwas, aber für heute hast du genug.«

Robin begann zu weinen, und Anne sah Georgs verärgerte Miene. Bevor er noch eingreifen konnte, sagte sie schnell: »Ich nehme ihn mit. Wir sind bald wieder zurück.«

Sie zog Robin eine Windjacke an und nahm ihn an die Hand. Robins Wangen waren noch feucht. Er lachte glücklich und sagte altklug zu Georg: »Papa, wir sind bald wieder zurück.« Anne ging nicht ins Dorf, sondern in die andere Richtung. Robin lief am Rand einer Weide entlang, und Anne befürchtete, dass er nasse Schuhe bekommen würde. Nach hundert Metern ging ein schmaler Pfad rechts ab.

Obwohl ihr der Gedanke noch wehtat, dass sie diese Reise mit Tom machen wollte, fühlte sie sich beschwingt und freute sich auf die vor ihr liegende Zeit. Robin lief immer wieder ein Stück voraus. Einmal fand er einen Stein, dann einen seltsam gebogenen, abgebrochenen Ast. Stolz zeigte er Anne seine Fundstücke.

Der Weg schlängelte sich, und Anne machte in der Ferne eine Bewegung aus. Sie kniff die Augen zusammen. Beim Näherkommen erkannte sie zwei Pferde auf einer Koppel. Abrupt blieb sie stehen. Auch Robin hatte die Tiere gesehen und lief voraus.

»Robin, komm, wir gehen zurück.«

Aber er lief weiter.

»Es wird gleich regnen, und dann werden wir nass.«

Robin war an der Weide angekommen und stand nun vor den Pferden. Anne kam notgedrungen nach. Sie sah einen braunen Wallach und eine Schimmelstute. Sie grasten friedlich nebeneinander. Das Fell der Tiere war verschmutzt, die Mähnen lang und zottlig. Der Schweif der Stute bestand nur noch aus einem dünnen Bündel Haare. Anne wunderte sich ein wenig darüber, dass die Tiere zu dieser Jahreszeit noch draußen waren. Einen Unterstand gab es nicht. Aber vielleicht wurden sie später am Abend in den Stall gebracht. Sie ergriff Robins Arm und sagte: »Komm, Schatz, wir gehen zurück.«

Robin sah sie enttäuscht an. »Will Pferde füttern.«

Anne beugte sich zu ihm hinunter und zog den Reißverschluss seiner Jacke wieder hoch.

»Wir können ja ein anderes Mal zu den Pferden gehen.«

Willig gab Robin ihr die Hand. Anne warf noch einen letzten Blick auf die Tiere. Die Stute war an den Zaun getreten und reckte den Hals über die oberste Latte. Mit großen Augen sah sie sie an. Anne schluckte. Es schien so lange her zu sein.

Als sie zurückkamen, brannte das Feuer im Kamin, und es roch nach Kartoffelsuppe. Robin erzählte begeistert von den Pferden, wurde dann aber so müde, dass Denise ihn kurzerhand ins Bett steckte.

Nach dem Essen setzten sie sich zusammen, um Pläne zu schmieden. Georg blätterte in einem Heft, lehnte sich dann zurück und sagte: »Also wir haben eine ganze Reihe von Möglichkeiten.«

Anne nahm einen Schluck Tee. Obwohl auch sie müde war, fühlte sie sich gut. Auch Denise machte einen ganz entspannten Eindruck. Mit hochgezogenen Beinen saß sie auf der Couch.

»Da ist einmal Bunratty Castle, eine alte Burg, die als Irlands Bilderbuchburg gilt. Sie ist aus dem 13. Jahrhundert und sehr gut erhalten. Neben der Burg befindet sich ein Freilichtmuseum mit Bauern- und Fischerhäusern. Das Dorf soll wirklich gut gemacht sein.«

»Was hast du da?«, fragte Anne neugierig.

Georg sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an. »Das ist ein Reiseführer für Irland.«

Anne erhob sich. »Ich hab auch einen Reiseführer dabei, warte mal.«

Sie ging nach oben und durchsuchte ihre Tasche, die sie noch nicht ganz ausgepackt hatte, und fand das Buch.

»Tom muss ihn gekauft haben«, sagte sie, als sie wieder unten war. »Ich hab ihn durch Zufall in meinem Bücherregal entdeckt.«

Denise stand auf und öffnete eine Flasche Wein. »Möchtest du?«, fragte sie Anne, aber die schüttelte den Kopf.

»Wir sollten uns auch auf jeden Fall Adare ansehen. Das Dorf wird als sehr skurril und beschaulich beschrieben. Allerdings wimmelt es dort von Touristen«, sagte Georg.

Anne blätterte in dem Reiseführer und stieß plötzlich am Rand auf eine handgeschriebene Notiz von Tom. Sie las: »Cliffs of Moher, sehr sehenswert.«

Tom war also schon in die nähere Planung für ihre Irlandreise gegangen. Vielleicht hatte er sie überraschen wollen. Sie strich sich mit der Hand über die Stirn und bemerkte plötzlich einen kleinen Zettel, der zwischen den Seiten hervorlugte. Es war eine Liste oder Aufstellung, und es war Toms saubere, flüssige Handschrift. »Regenzeug, Fotoapparat, Schlafsack, Tabak, warme Jacken.« Darunter hatte er noch die Namen einiger Städte aufgeschrieben: »Galway, Cork, Dingle«, und ein Datum, »15.-25. September 1996.«

Anne schüttelte den Kopf. Dann fiel ihr Toms Angewohnheit ein, auf der Innenseite des Einbanddeckels das Datum des Buchkaufs zu notieren. Sie schlug die erste Seite auf und fand den Eintrag: »2. Januar 1996.«

Sie schloss die Augen und versuchte sich zu erinnern. Ungefähr ein halbes Jahr vor seinem Tod hatte Tom vorgeschlagen, den nächsten Urlaub in Irland zu verbringen. Er war im Juni 1996 gestorben. Im Januar begann er also bereits zu planen und machte sich Notizen.

»Tom hat einiges notiert, er wollte tatsächlich nach Irland fahren«, meinte sie versonnen. »Er kritzelte immer überall herum. Er machte sich Listen, wenn wir in Urlaub fuhren, damit er nichts vergaß. Ich glaube, das Schreiben war ihm ein Bedürfnis.« Anne spielte mit einer Haarsträhne.

Georg nickte. »Irgendwie passte das zu ihm. Ich fand immer, er sah aus wie ein Schriftsteller mit der Strickjacke, die er zu Hause trug, und seiner Pfeife. Ich konnte ihn mir gut vor einer Wand mit Büchern vorstellen, im Interview mit jemandem, der mit ihm über sein letztes Werk sprechen will.«

Denise stand auf und nahm sich ein Papiertaschentuch aus der Packung.

»Bringst du mir auch eins mit«, bat Anne ihre Schwester. Dann wandte sie sich wieder Georg zu. »Ja, ich weiß, was du meinst. Anfangs dachte ich immer, es läge an seinem Beruf, in dem er auch viel schreiben musste.«

Tom war immer sehr systematisch gewesen. Er fuhr niemals fort, ohne sich zu notieren, was er mitnehmen wollte. Anne lachte ihn damals aus und meinte, er könne sich ruhig auf sie verlassen. Aber Tom ließ sich nicht von seinem System abbringen.

Tom wollte also damals eine Irlandreise vorbereiten und sie damit überraschen. Und dann wurden ihre gemeinsamen Zukunftspläne durch seinen plötzlichen Tod mit einem Schlag zunichte gemacht. Und jetzt war sie alleine in Irland, ohne Tom.

Und erneut stieg das bittere Gefühl in ihr hoch, das sie seit seinem Tod immer wieder überfiel und das sie nicht abschütteln konnte. Theresa meinte einmal, sie wolle Toms Tod nicht akzeptieren und sei nicht bereit, loszulassen. Sie schaue nicht nach vorne, sondern immer nur zurück, und sie bleibe auf der Stelle stehen. Anne hatte ihr heftig widersprochen. Es war der einzige Streit, den sie je hatten, und sie griffen das Thema nie mehr auf.

Aber auch jetzt spürte sie wieder den Zorn, weil Tom von ihr gegangen war und sie es nicht verhindern konnte.

»Und dann sollten wir auf jeden Fall den Ring of Kerry abfahren.« Georg blätterte in seinem Reiseführer. »Er gilt als eine der schönsten Küstenstraßen Europas.«

Anne versuchte sich vorzustellen, es wäre Tom, mit dem sie jetzt vor dem Kamin saß. Sie konnte ihn genau vor sich sehen, in der Hand eine seiner geliebten Pfeifen, die Luft von leicht süßlichem Tabakrauch erfüllt, dazu einen schwarzen Tee, der so stark war, dass Anne ihn nicht trinken konnte. Sie sah sein liebevolles Gesicht, das gepflegte braune Haar und den immer sorgfältig gestutzten Vollbart. Und dann die grüne Strickjacke, die er meist zu Hause trug.

Plötzlich bemerkte sie Georgs fragenden Blick. Hastig blätterte sie weiter und fand noch eine Anmerkung von Tom. Er hatte hinter das Kapitel »Dublin und der Osten« ein großes Ausrufezeichen gemacht.

»Was ist mit Dublin?«, fragte sie. »Kommen wir auch nach Dublin?«

»Nein.« Georg schüttelte den Kopf. »Zu weit. Aber Limerick ist möglich, es liegt kurz hinter Adare.«

Anne nickte.

»Wir können auch den Rock of Cashel besichtigen.« Georg sah auf. »Welche Route hatte Tom denn damals geplant?«

Denise nahm noch einen Schluck Wein und hielt die Flasche fragend über Georgs Glas. Georg nickte und sah dann wieder zu Anne.

Sie zuckte mit den Schultern. »Wir haben nicht darüber gesprochen. Ich wusste nicht einmal, dass er schon etwas Konkretes geplant hatte.«

Aber Tom wollte nie etwas dem Zufall überlassen. Er notierte sich alles, was ihm wichtig schien. Er hatte immer einen Stift zur Hand und machte sich auch Notizen in Büchern. Manchmal ergänzte er Stellen, die er unvollständig fand.

Anne klappte den Reiseführer zu. Anfangs störte es sie, in Büchern auf seine Kritzeleien zu stoßen, später gewöhnte sie sich daran, und jetzt kam es ihr fast wie eine Botschaft aus einer anderen Welt vor.

Kapitel 3

Robin war als Erster aufgestanden. Als Anne aus tiefem, traumlosem Schlaf erwachte, hörte sie seine helle Stimme. Noch benommen schlug sie die Bettdecke zurück, gähnte und stieg die Treppe hinunter. Der Junge war so in das Spiel mit seinem Teddybären vertieft, dass er sie erst bemerkte, als sie sich neben ihn hockte.

»Na, mein Schatz, ausgeschlafen?«

Robin nickte und meinte schuldbewusst: »Der Bär hat nicht geschlafen, ich hab ihn vergessen, und jetzt ist er ganz kalt.«

Am Vorabend waren sie nicht mehr zum Aufräumen gekommen. Robins Spielsachen lagen auf dem Boden verstreut, die Teller waren nicht abgeräumt, und auf dem Wohnzimmertisch standen drei Weingläser, eines davon noch halb gefüllt. Im Raum war es angenehm warm. Das Kaminfeuer hatte lange gebrannt, die letzten Reste der Glut leuchteten noch, als sie zu Bett gingen.

Anne spülte das schmutzige Geschirr, deckte den Tisch und stellte die Kaffeemaschine an. Dann nahm sie Robin mit ins Bad. Seine Sachen für den Tag lagen schon bereit. Sie band sich das Haar im Nacken zusammen und schlüpfte in eine bequeme Freizeithose und einen weiten Pullover. Leise schlichen sie wieder ins Wohnzimmer. Anne nahm sich eine Tasse Kaffee und suchte nach Brot, als sie Denises Stimme rufen hörte: »Riecht es schon nach Kaffee?«

Ihre Schwester kam verschlafen die Treppe herunter. Auf ihren Wangen zeichneten sich noch die Falten des Kopfkissens ab, und ihre Haare standen unordentlich vom Kopf weg.