Neuanfang auf dem alten Hof - oder: Mondfieber - Dagmar Clemens - E-Book
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Neuanfang auf dem alten Hof - oder: Mondfieber E-Book

Dagmar Clemens

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Beschreibung

Sie wagt einen Neuanfang – und stolpert direkt ins Chaos der Gefühle … Die Reittherapeutin Antonia ist am Boden zerstört: Gerade wurde sie von ihrem Freund Jonathan verlassen, und auch in ihrer Familie findet sie keinen Halt. Wieso können ihre Eltern einfach nicht nachvollziehen, dass sie sich in ihrer Reithose im Stall deutlich wohler fühlt als auf der Vernissage ihrer Vorzeigeschwester? Doch Antonia lässt sich nicht unterkriegen: Es ist Zeit für einen Neuanfang! Sie findet ihren Traumjob in einer Klinik auf dem Land und eine Wohnung in einem wunderschönen alten Bauernhof, in den sie sich sofort verliebt. Womit sie nicht gerechnet hätte: Auf einmal gibt es da diesen neuen Mann, der ihr Herz schneller klopfen lässt. Doch es gibt keine Liebe ohne Hindernisse … »Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen!« Amazon-Leserin Ein bewegender Roman für alle, die Pferde oder die Romane von Nora Roberts und Katie Fforde lieben.

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EPUB
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Seitenzahl: 437

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Über dieses Buch:

Die Reittherapeutin Antonia ist am Boden zerstört: Gerade wurde sie von ihrem Freund Jonathan verlassen, und auch in ihrer Familie findet sie keinen Halt. Wieso können ihre Eltern einfach nicht nachvollziehen, dass sie sich in ihrer Reithose im Stall deutlich wohler fühlt als auf der Vernissage ihrer Vorzeigeschwester? Doch Antonia lässt sich nicht unterkriegen: Es ist Zeit für einen Neuanfang! Sie findet ihren Traumjob in einer Klinik auf dem Land und eine Wohnung in einem wunderschönen alten Bauernhof, in den sie sich sofort verliebt. Womit sie nicht gerechnet hätte: Auf einmal gibt es da diesen neuen Mann, der ihr Herz schneller klopfen lässt. Doch es gibt keine Liebe ohne Hindernisse …

Über die Autorin:

Dagmar Clemens, geboren 1957, hat ihre Liebe zu Pferden in frühester Kindheit entdeckt. Nach kurzen Ausflügen in die Welt der Wirtschaft und Verwaltung, machte Clemens ihr Hobby zum Beruf: sie arbeitet nun als Pferdewirtin und Bereiterin. Auch als Autorin bleibt sie ihrer Leidenschaft treu und gesteht den Pferden eine tragende Rolle in ihren Romanen zu.

Dagmar Clemens veröffentlichte bei dotbooks bereits »Irische Glücksträume«.

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eBook-Neuausgabe Juni 2025

Dieses Buch erschien unter dem Titel »Mondfieber« bereits 2003 beim Scherz Verlag und 2014 bei dotbooks.

Copyright © der Originalausgabe 2003 by Scherz Verlag, Bern

Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-95520-734-2

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Dagmar Clemens

Neuanfang auf dem alten Hof

Roman

dotbooks.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Lesetipps

Kapitel 1

Es regnete, die Scheibenwischer schlugen hektisch hin und her, konnten aber der Unmenge von Regentropfen nicht beikommen. Antonia schien es, als hätte das Wetter der vergangenen zwei Wochen beschlossen, sich ihrer Stimmung anzupassen. An der Ampel musste sie warten und ärgerte sich über die lange Rotphase. Sie fröstelte und drehte das Gebläse der Heizung höher, aber aus dem Schacht kam kalte Luft. Endlich konnte sie fahren. Sie bog nach rechts ab und hoffte einen Parkplatz vor der Haustür zu bekommen. In letzter Zeit waren die Abstellplätze, die eigentlich für die Hausbewohner vorgesehen waren, meistens schon belegt, wenn sie abends von der Arbeit kam. Die Hausverwaltung kümmerte sich nicht weiter darum, obwohl Antonia sich schon öfter beschwert hatte.

Als sie langsam die Parkplätze abfuhr, beobachtete sie einen Mann, der die Straße überquerte. Er hielt einen riesigen Blumenstrauß in der Hand und schien in Eile. Wahrscheinlich war er auf dem Weg zu einer Freundin. Sicherlich eine ganz junge Beziehung, dachte Antonia.

Sie fand einen Parkplatz, stellte den Motor ab und blieb noch einen Moment sitzen. Die Fassade des Hauses, in dem sie wohnte, wirkte schmuddelig. Schon letztes Jahr sollte sie renoviert werden. Antonias Blick fiel auf ihr Abbild im Innenspiegel. Der Lippenstift, den sie eben erst aufgetragen hatte, war verschmiert. Vorsichtig fuhr sie mit dem Finger am Rand entlang. Sie beschloss, ein Bad zu nehmen und früh zu Bett zu gehen.

Als sie die Wohnungstür aufsperrte, sah sie sofort den Brief auf dem Boden. Hastig griff sie danach, warf einen Blick auf den Absender und riss ihn auf. Es war die Zusage der Klinikleitung. Für einen Moment fühlten sich ihre Augen heiß an, und sie schluckte. Aber gleichzeitig spürte sie Erleichterung und griff zum Telefon. Sie tippte die Nummer ihrer Freundin Martine ein und war froh, als sie den Hörer abnahm.

»Hallo, ich bin es. Ich habe gerade die Zusage bekommen.«

Martine freute sich. »Lass uns doch ein Glas Wein trinken.«

Martine wusste, wie schwer ihr der Weggang fiel, aber Antonia war müde und vertröstete sie auf einen der nächsten Tage.

Die letzten Wochen waren sehr anstrengend gewesen. Nach der Trennung von Jonathan schrieb sie zahlreiche Bewerbungen und durchsuchte den Anzeigenteil der Zeitung nach einer passenden Wohnung. Die Klinik in Rheinenbach gefiel ihr auf Anhieb. Jetzt hatte sie die Zusage der Klinik erhalten, in der sie als Heilpädagogische Reittherapeutin arbeiten sollte.

Am nächsten Tag fuhr Antonia zu ihren Eltern. Als sie in das ruhige Villenviertel einbog, musterte sie die Häuser, deren helle Fassaden durch die immer noch dürren Äste der Bäume und Sträucher schimmerten, bevor sie sich im Sommer hinter dem üppigen Grün der Kastanien- und Eichenbäume verstecken würden. Antonia hatte die schmiedeeisernen Tore nie gemocht, die allen Häusern zu Eigen waren und hinter dem sie sich eingesperrt fühlte. Als Kind wollte sie nie im Garten spielen, aber das Tor war stets versperrt und nur von innen auf Knopfdruck zu öffnen. Maja fühlte sich im Garten wohl, aber Antonia lugte oft über den Zaun und sehnte sich danach, auf die Straße hinauszukönnen.

Ihre Mutter öffnete ihr die Tür und nahm Antonia vorsichtig in den Arm. Wie immer war sie perfekt frisiert, jede einzelne Strähne ihres silberblond gefärbten Haares lag an der richtigen Stelle, ihr heller Hausanzug war elegant und schlicht. Antonia sah kurz an sich hinunter. Sie kam aus dem Reitstall, und in der Gegenwart ihrer Mutter roch sie sofort den intensiven, leicht süßlichen Geruch der Pferde. Sie hatte zwar die Reitstiefel gegen Turnschuhe ausgetauscht und sich die Hände gründlich gewaschen, aber sie wusste, dass ihre Hose schmutzig und der dicke Pulli verstaubt war. Und ihre Haarfarbe war immer noch zu grell.

Sie setzten sich in die Bibliothek und tranken Tee. Maria, die langjährige Haushaltshilfe der Familie, zwinkerte Antonia zu, und Antonia zwinkerte lächelnd zurück. Kurz darauf kam ihr Vater von seinem abendlichen Lauftraining zurück. Wie immer sah er geschniegelt aus, und Antonia musste kurz an die junge Frau denken, die sie mit ihm zusammen gesehen hatte. Er setzte sich auf die andere Seite des Tisches und sah Antonia fragend an.

»Hat es geklappt?«

Antonia nickte. »Zum 1. Mai kann ich anfangen.«

»Aha.« Ihr Vater rührte in seinem Tee und wirkte einen Moment unaufmerksam. »Und die Wohnung, von der du gesprochen hast?«

Antonia begann nun ebenfalls in ihrem Tee zu rühren.

»Die Wohnung kann ich auch zum 1. Mai haben.« Abwartend sah sie ihren Vater und dann ihre Mutter an. Ihr Vater runzelte die Stirn, und Antonia sagte schnell: »Es ist nicht weit weg von hier, noch keine zwei Stunden Fahrt.«

»Ach ja?«

Ihr Vater schien mit seinen Gedanken irgendwo anders zu sein.

»Hast du schon von Majas Ausstellung gehört?«, fragte er plötzlich, und Antonia versuchte den bitteren Geschmack in ihrem Mund zu ignorieren.

Jetzt wurde auch ihre Mutter lebhaft und erzählte, Maja, Antonias um ein Jahr ältere Schwester, habe eine Ausstellung geplant.

»Es stand schon im Kulturteil der Zeitung«, sagte sie stolz, und auch ihr Vater nickte.

»Sie will ihre ersten Bilder ausstellen. Hagen hat sie überaus lobend erwähnt.«

Hagen, so viel wusste Antonia, war der Kunstkenner der Düsseldorfer Szene, und ein Lob aus Hagens Mund bedeutete viel.

»Wahrscheinlich wird sie am 1. Juli ausstellen. Sie und Berthold sind sich noch nicht einig darüber, wer eine Einladung erhält.«

Unwillkürlich musste Antonia grinsen. Maja, die schöne, begabte Schwester, deren Bilder demnächst ausgestellt werden sollten, kannte nur ein Problem, und das war der unbedeutende Vorname ihres Mannes. Antonia wusste, dass Maja sich am Namen ihres Mannes furchtbar störte. Eine Zeit lang nannte sie ihn »Bob«. Aber Berthold, der seiner Frau sonst alles durchgehen ließ, hatte sich geweigert, auf einen anderen Namen als seinen eigenen zu hören.

»Und du hast eine schöne Stelle gefunden?«

Ihr Vater sah sie so bemüht interessiert an, dass Antonia schlucken musste. Sie verstand ihre Eltern nicht. Sie war sich immer wie ein Fremdkörper in der Familie vorgekommen, die von der Bewunderung für Maja beherrscht wurde und in der ihr nur eine unbedeutende Rolle zugedacht war. Nicht einmal ihr erfolgreich abgeschlossenes Studium konnte etwas daran ändern, dass nichts, was sie tat, auszureichen schien. Maja war immer der Dreh- und Angelpunkt des Hauses gewesen, und Antonia war irgendwann aufgegangen, dass das Interesse für ihre ältere Tochter beide Eltern von eigenen Problemen ablenkte.

Wieder fiel ihr die junge Frau ein, mit der zusammen sie ihren Vater einmal in einem Lokal gesehen hatte. Ihr Vater streichelte ihre Hand, während er ihr etwas erzählte. Hastig war sie wieder hinausgegangen und hatte das Lokal und die Gegend fortan gemieden.

Müde fuhr sie sich mit den Händen durchs Haar.

»Was hast du denn mit deinen Haaren gemacht?«

Die Stimme ihrer Mutter war schrill, und Antonia fragte sich, warum sie immer den Eindruck hatte, in ihrer Gegenwart nicht wirklich da zu sein.

Sie hatte sich die Haare tönen wollen, weil ihr die eigene Farbe zu langweilig vorgekommen war. Wie Martine ihr am Telefon erklärte, sei es ganz einfach und sie könne es selbst machen, sie solle sich nur an die Gebrauchsanweisung halten. Das hatte sie auch getan. Aber dann rief ihre Mutter an und erzählte ihr irgendetwas, und sie verlor die Zeit aus den Augen. Als sie das Telefonat endlich beenden konnte und sich die Farbe auswusch, leuchtete ihr zu ihrem Entsetzen ein dunkelroter Haarschopf aus dem Spiegel entgegen. Martine war sofort gekommen und hatte die Haare mit einer Neutralisation behandelt. Die Farbe war daraufhin nicht mehr so auffallend, aber immer noch kräftiger, als Antonia lieb war. Sie tröstete sich damit, dass sich der Rotton schnell auswaschen und sie dann wieder ihre alte dunkelblonde Haarmähne haben würde.

Wenig später verabschiedete sie sich und versprach, so bald wie möglich anzurufen. Ihr Vater brachte sie zur Haustür und fragte mit gedämpfter Stimme, ob sie Unterstützung brauche. Antonia hätte gerne gesagt, dass sie in der Tat Unterstützung brauche, aber nicht die, die ihm vorschwebte. Doch sie schüttelte nur den Kopf.

Zwei Tage bevor die Umzugsfirma kommen sollte, begannen Antonia und Martine alles zusammenzupacken. Die beiden kannten sich seit der Schulzeit, sie hatten nebeneinander gesessen und voneinander abgeschrieben. Als Antonia ihr Studium begann, lernte Martine einen Mann kennen, den sie wenig später heiratete. Aus Gründen, die ihnen beiden nicht recht klar waren, sahen sie sich während Martines ganzer Ehezeit nicht. Erst als ihre Freundin bei ihrem Mann ausgezogen war, begegneten sie sich zufällig auf der Straße. Seitdem trafen sie sich häufig, telefonierten regelmäßig und fuhren öfter zusammen in Urlaub. Das war allerdings vor Jonathan gewesen.

Schnell und ohne Umstand verstaute Martine Antonias zahlreiche Bücher in Kisten und räumte das eingewickelte Geschirr vorsichtig ein, während Antonia ihre Kleider in vier Koffern unterzubringen versuchte. Als sie fast alles eingepackt hatten, setzten sie sich auf eine der Kisten und tranken Kaffee aus der von Martine mitgebrachten Thermoskanne.

Müde sah Antonia ihre leeren Möbel und die kahlen Wände an.

»Ich hoffe, du tust das Richtige.«

Martine musterte sie, und Antonia zuckte mit den Schultern.

»Es ist ein neuer Job und eine neue Wohnung, weiter nichts.« Aber so einfach war es nicht, und Antonia wusste, dass sie Martine nichts vormachen konnte.

»Ich komme schon zurecht, keine Angst. Außerdem kannst du mich besuchen kommen. Es ist ja nicht weit.«

Es waren immerhin hundert Kilometer, die sie von Düsseldorf trennen würde, zu viel, um auf eine Tasse Kaffee zu kommen. Und obwohl Antonia den Umgang mit ihren Freunden vermissen würden, wollte sie genau diese Distanz haben, um einen Neubeginn machen zu können. In Düsseldorf war das nicht möglich.

Als es an der Tür klingelte, sahen die beiden sich verdutzt an.

»Erwartest du noch Besuch?«, fragte Martine.

»Nein, nicht dass ich wüsste.«

Antonia öffnete die Tür. Es war ihre Nachbarin, eine ältere allein stehende Dame.

»Ich will nicht lange stören, aber ich möchte mich von Ihnen verabschieden und Ihnen alles Gute wünschen.«

Antonia wurde rot. Sie hatte noch nicht daran gedacht, sich von ihren Nachbarn zu verabschieden, und wahrscheinlich hätte sie es auch vergessen. Sie bat die Nachbarin herein und bot ihr einen Schluck Kaffee an.

»Aber ich will nicht stören«, wiederholte sie zögernd.

»Sie stören nicht, wir sind sowieso gleich fertig.«

Sie reichte ihr die Tasse und setzte sich zu ihr.

Die ältere Dame sagte, es tue ihr Leid, dass sie weggehen wolle, sie sei eine ruhige Nachbarin gewesen, und wer weiß, wer als Nächstes komme.

Dann fiel ihr Blick auf den Reitsattel, der hochkant in einer leeren Ecke lag.

»Nehmen Sie Ihr Pferd auch mit?«

Sie hatte sie öfter in Reitstiefeln gesehen und ihr manchmal trockenes Brot mitgegeben.

»Ja.« Antonia nickte.

Aber sie würde nicht nur Balko, ihr schon angejahrtes Therapiepferd, sondern auch Corporal, Marks Pferd, mitnehmen.

»Dann sind Sie ja nicht alleine.«

An ihrem letzten Tag in der Klinik gab Antonia zum Abschied ein Frühstück und nahm gerührt und mit Tränen in den Augen eine Kristallvase entgegen, die die Kollegen ihr schenkten. Der Abschied von den Menschen, mit denen sie fünf Jahre zusammen gewesen war, fiel ihr schwer, und einen kurzen Moment lang befürchtete sie, in Tränen auszubrechen. Erst als ihr Chef ihr versicherte, sie könne jederzeit zurückkommen, fand sie ihre Gelassenheit wieder. Von ihren kleinen Patienten hatte Antonia sich im Laufe der letzten beiden Wochen verabschiedet. Sie war sich wie eine Verräterin vorgekommen, als sie den Kindern zu erklären versuchte, dass jemand anders in Zukunft mit ihnen reiten gehen würde.

Auf dem Nachhauseweg dachte Antonia daran, dass sie nun zum letzten Mal diesen Weg fuhr. Nie mehr würde sie in die kleine Seitenstraße einbiegen und einen kurzen Blick auf den Spielplatz werfen um zu sehen, ob sich dort Kinder aufhielten. Sie kam an dem Briefkasten vorbei, über den sie sich bei ihrem Einzug damals gefreut hatte, weil sie ihre Briefe so dicht an ihrer Wohnung einwerfen konnte. Sie fand wieder keinen Parkplatz, aber diesmal störte es sie nicht, dass sie hundert Meter weiterfahren musste.

Am anderen Morgen sollte der Möbeltransporter kommen. Für die Nacht stellte sie ein Gästebett auf. Es war ungemütlich, und sie bedauerte kurz, dass sie Martines Angebot, bei ihr zu übernachten, nicht angenommen hatte. Aber Mark wollte noch vorbeikommen.

Sie hatte Mark während des Studiums kennen gelernt und trainierte seit drei Jahren sein Pferd. Corporal, ein großer brauner Holsteiner, hatte sich unter ihrer Anleitung gut entwickelt, sodass Mark, der für ein Zusatzstudium in die Staaten ging, sie gebeten hatte, ihn mitzunehmen.

Während Antonia sich einen Tee machte, musste sie an Mark denken. Seine Eltern glichen in vieler Hinsicht ihren eigenen. Vielleicht hatte sie ihn deshalb wie einen Bruder ins Herz geschlossen. Seit sie ihn kannte, hatte sie das Bedürfnis, sich um ihn zu kümmern. Mark sah gut aus mit seinem dunklen Haar und dem vollen, weichen Mund. Durch seine Umgangsformen wirkte er weltgewandt und souverän und viel erwachsener, als er in Wirklichkeit war. Wenn sie mit ihm ausging, amüsierte sie sich köstlich über die neidischen Blicke der Frauen, die glaubten, sie seien ein Paar.

Wenig später klingelte es. Es war Mark, der eine Flasche Sekt in der Hand hielt und sie angrinste.

»Ich habe nicht viel Zeit, aber für ein Glas Sekt reicht es.«

Antonia kannte seine unverblümte Art und meinte schlecht gelaunt: »Ich dachte, wir müssten noch einiges besprechen.«

Mark öffnete die Flasche und sah sich nach Gläsern um.

»Ich habe alles eingepackt. Wir werden wohl aus der Flasche trinken müssen.«

Antonia setzte sich auf eine Kiste.

»Kein Problem.«

Mark nahm einen Schluck und verzog das Gesicht. »Zu trocken.«

Der Sekt war in der Tat sehr trocken, aber Antonia nahm dennoch einen großen Schluck.

»Ich bin morgen früh um zehn Uhr hier. Wir haben also Zeit genug.«

Mark würde erst Balko abholen und dann Corporal, die in zwei verschiedenen Ställen unterstanden. Antonia musste auf die Möbelpacker warten.

»Ich habe hier meine Anschrift und einige Telefonnummern.«

Mark reichte ihr einen Zettel. »Aber ich komme im Juli rüber und werde dich auf jeden Fall besuchen.«

Antonia glaubte noch nicht so recht daran, dass Mark wirklich sein Studium beenden würde. Wahrscheinlich würde er sich das Land ansehen, viel unterwegs sein, Freundschaften schließen und schlussendlich wieder zurückkommen mit neuen Plänen. So kannte sie ihn.

»Und was ist mit dir? Wie geht es dir, jetzt, da es ernst wird?«

Antonia schwieg und sah auf ihre Hände.

»Ich weiß nicht.«

Mark gegenüber hatte sie immer völlig ehrlich sein können, ihm gestand sie sogar Dinge ein, die sie Martine nicht erzählte. Antonia dachte oft darüber nach, wieso das so war. Vielleicht lag es daran, dass Mark ein Mann war. Er war es auch gewesen, den sie schluchzend anrief, als Jonathan sich von ihr trennte. Martine konnte sie erst zwei Tage später davon erzählen.

»Ich habe ein wenig Angst, dass es nicht funktionieren wird, dieser Neuanfang, meine ich. Vielleicht werde ich total einsam sein und mich zurücksehnen und alles bereuen.«

Mark nickte und drückte kurz ihre Hand, und in diesem Moment kam Antonia sich wie seine kleine Schwester vor.

Antonia konnte nicht einschlafen, unruhig wälzte sie sich hin und her. Die Matratze des Bettes war nicht mehr neu, ein paar Sprungfedern drückten sich unangenehm durch. Schließlich stand sie noch einmal auf, um einen Schluck Wasser zu trinken. Das Wasser war kalt und erfrischte sie. Langsam ging sie mit dem Becher ins Wohnzimmer und trat ans Fenster. Der Vollmond leuchtete so hell, dass Antonia die geparkten Autos auf der Straße erkennen konnte. Der Himmel stand voller Sterne, und sie betrachtete versunken die Lichter. Dann machte sie eine Bewegung aus und sah eine Gestalt, die auf der gegenüberliegenden Seite stand und das Haus zu beobachten schien. Sie kniff die Augen ein wenig zusammen, um besser sehen zu können. Irgendwas an ihr kam ihr bekannt vor, aber noch bevor sie wusste, was, drehte sich die Gestalt um und verschwand in einer Seitenstraße. Vielleicht jemand, der bei Vollmond nicht schlafen kann, dachte Antonia und nahm noch einen Schluck Wasser.

Am nächsten Tag standen die Möbelpacker pünktlich um neun Uhr vor der Tür. Antonia lief hektisch hin und her, hielt die Türen auf, schob Kisten von einer Wand zur anderen und stand im Weg, während die Packer systematisch einluden. Als alles verstaut war, ging sie noch einmal durch ihre drei Zimmer und sah nach, ob nichts vergessen worden war. Aber sie hatte alles eingepackt. Sie gab den Wohnungsschlüssel beim Hausmeister ab und ließ die Haustür hinter sich ins Schloss fallen.

Mark war schon mit dem Transporter da. Sie wollte gerade auf ihn zugehen, als ein Wagen anhielt und ein kleiner Junge aus dem Auto stieg, in der Hand einen Blumenstrauß. Es war Tom, von dem sie sich letzte Woche nicht verabschieden konnte, weil er krank war.

Tom kam zögernd mit staksigen Schritten auf sie zu, hob die Blumen und sagte schüchtern: »Frau Berger, ich wollte Ihnen Lebewohl sagen.«

Antonia schluckte. Jetzt kamen ihr doch die Tränen. Sie wischte sie hastig fort und ging in die Hocke.

»Das ist lieb von dir. Ich werde bestimmt oft an dich denken.«

Tom war ein externer Patient gewesen. Er litt an einer angeborenen Muskelschwäche. Durch das Reiten hatte sich sein Zustand verbessert.

»Wenn du weiter so fleißig reitest, wirst du eines Tages auch Fußball spielen können.«

Tom strahlte, und Antonia nickte der Mutter zu.

Mark stand mit verschränkten Armen vor seinem Wagen. Sie begrüßte ihn mit einer kurzen Umarmung, klopfte Corporal über die Laderampe hinweg auf die Kruppe, freute sich über Balkos Wiehern und ging dann zu ihrem Wagen.

Beim Anfahren warf sie noch einen letzten Blick auf das große mehrstöckige Haus, das so lange ihr Zuhause gewesen war. Dann entschwand der Bau ihren Blicken.

Kapitel 2

Der Rhein war kurz zu sehen, bevor Häuserzeilen die Sicht wieder verdeckten. Er glitzerte, und Antonia freute sich über die Maisonne, die so strahlend schien, als wollte sie ihr zum Abschied zuwinken. Sie griff in das Handschuhfach und setzte eine Sonnenbrille auf.

Nach einer Weile schaltete Antonia das Radio ein und suchte einen Sender. Sie genoss den Wind, der ihr durch das geöffnete Fenster ins Gesicht wehte. Jonathan hatte sie einmal mit einer Bäuerin verglichen, als sie noch in Arbeitskleidung in seiner Praxis erschienen war. Sie hatte nach den Tieren gerochen, ihr Haar war zerzaust gewesen und ihre Hände schmutzig. Er hatte sich fürchterlich aufgeregt und sie sogar beschuldigt, ihn provozieren zu wollen. Antonia sah auf die Hose, die sie trug, und den modischen Bolero. Sie war letzte Woche in einer teuren Boutique gewesen und hatte sich die Kombination gekauft. Sie kam sich mondän vor und wusste noch nicht so richtig, ob sie sich so gefiel. Normalerweise trug sie lieber sportliche Sachen, was Jonathan immer gestört hatte.

Mark, der mit dem Transporter hinter ihr herfuhr, signalisierte ihr mit der Lichthupe, sie solle langsamer fahren. Antonia sah, dass der Pferdehänger leicht nach rechts und links ausbrach. Corporal schien unruhig zu werden, er ließ sich nicht gerne transportieren.

Antonia lächelte bei dem Gedanken an die Tricks, die immer nötig waren beim Verladen. Einmal waren sie zu einer Dressurprüfung im Nachbarstall gemeldet, und Corporal, der merkte, wenn etwas Besonderes anstand, war unleidlich. Er blieb vor der Rampe stehen und weigerte sich, in den Hänger zu gehen. Antonia band ihn von der Leine los, sodass er nur noch sein Stallhalfter trug und frei im Hof stand. Anschließend war sie in den Hänger gegangen und hatte sich am Heusack zu schaffen gemacht. Corporal roch am Boden herum, scharrte mit einem Vorderfuß, hob den Kopf und blähte seine Nüstern. Und dann war er, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, in den Hänger getrottet.

Der Hänger wurde wieder ruhiger, und Antonia lehnte sich entspannt zurück.

Balko war da ganz anders. Er war das Geschenk einer älteren Dame, die den Reitsport aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste. Antonia hatte sich anfangs gegen das Geschenk gewehrt, konnte es ihr aber dann nicht abschlagen. Sie ging mit Balko viel ins Gelände und setzte manchmal junge Reiter auf ihn, weil er lammfromm war und absolut geräuschunempfindlich. Als sie von der Möglichkeit des Heilpädagogischen Reitens erfuhr, begann sie Balko zu trainieren und stellte fest, dass er sich als Therapiepferd hervorragend eignete. In der Düsseldorfer Klinik war er lange Zeit das einzige Therapiepferd gewesen. Später kamen noch weitere Pferde dazu.

Nach zwei Stunden Fahrt parkte sie auf dem Parkplatz des Reitstalls in Bergedorf, wo sie Corporal und Balko unterbringen würde. Mark fuhr unter einem Torbogen in den Hof hinein und stellte sich neben einen Anhänger mit Stroh, der gerade abgeladen wurde. Antonia wunderte sich. Stroh wurde eigentlich erst im Juli gepresst. Langsam ging sie in den Hof. Zwei Männer und ein kleiner Junge halfen beim Abladen. Plötzlich rollte ein Ballen von der Ladung herunter und landete wenige Meter von Antonia entfernt. Sie machte einen raschen Schritt zur Seite und sah nach oben. Einer der beiden Männer verharrte einen Moment und blickte neugierig auf sie hinunter. Antonia runzelte die Stirn. Dann wandte sie sich verwirrt ab.

Auch Mark war ausgestiegen. Er reckte sich und sah sich interessiert um. Er bemerkte den Mann auf dem Hänger, der sie immer noch anstarrte.

»Scheint, du hast einen Verehrer«, meinte er grinsend.

Antonia gab ihm einen liebevollen Stups und sagte: »Komm, lass uns ausladen.«

Mark klappte die beiden Hebel hoch und nahm die Tür vorsichtig als Rampe hinunter. Corporal begann herumzutänzeln, und Antonia klopfte ihm auf die Kruppe. Balko blieb wie immer ganz ruhig, drehte den Kopf zu Antonia und stieß ein freudiges Schnauben aus.

Mark öffnete die niedrige Tür am Kopfende des Hängers und kroch hinein.

»Alles okay?«, fragte Antonia, die nicht sehen konnte, ob er Corporal schon losgebunden hatte.

»Klar«, brummte er, und Antonia nahm vorsichtig die Sicherheitsstange hoch, die den Transportraum von innen zusätzlich absicherte und das Pferd daran hindert, beim Öffnen der Klappe sofort nach hinten hinauszutreten.

Corporal tänzelte immer noch, und Mark nahm den Strick kürzer.

»Halt, warte.«

Antonia legte die Stange wieder ein und stieg in den Transporter. Corporal, der ihre Stimme gehört hatte, machte ihr Platz, warf aber den Kopf unruhig nach oben. Antonia nahm Mark den Strick aus der Hand.

»Bitte stell dich draußen neben die Tür. Er scheint schlecht gelaunt zu sein.«

Sie wusste, dass es sich so anhören musste, als ob das Tier verzogen wäre. Aber Corporal hatte in seiner Jugend schlechte Erfahrungen gemacht und verabscheute seitdem alles, was mit dem Transport zu tun hatte.

Antonia klopfte ihm mit einschmeichelnden Worten den Hals und streichelte seine Nüstern. Dann nahm sie den Strick und legte ihn über den Hals des Pferdes, das jetzt ganz frei stand. Vorsichtig führte sie das Tier rückwärts, indem sie ihre Hand sacht gegen seinen Nasenrücken drückte. Langsam und mit stockenden Bewegungen trat das Pferd aus dem Hänger und stand schließlich auf dem Hof. Erstaunt hob Corporal den Kopf. Antonia sah sich um und hoffte, jemanden vom Stallpersonal zu sehen. Der kleine Junge auf dem Strohwagen starrte sie mit offenem Mund an und Antonia lächelte ihm zu. Dann bemerkte sie, dass der Mann immer noch zu ihr hinsah und begann sich über sein ungehobeltes Benehmen zu ärgern.

Mark lud Balko aus, als Heinrich Kessel, der Besitzer der Anlage, auf sie zutrat. Er begrüßte Antonia und sah sich die beiden Pferde an. Antonia freute sich über seinen anerkennenden Blick. Corporal entstammte einer alten holsteinischen Familie. Sein Vater war ein bekannter Beschäler gewesen. Mark hatte es erst nach längerem Überlegen über sich gebracht, den jungen Hengst kastrieren zu lassen. Als Hengst war die Unterbringung immer wieder ein Problem gewesen, als Wallach vertrug er sich mit anderen Pferden besser. Aber auch Balko wirkte gepflegt mit seinem glänzenden Fell und dem kleinen sympathischen Kopf.

Heinrich zeigte ihnen drei nebeneinander liegende Boxen. Eine davon war besetzt, die beiden anderen standen Antonia zur Verfügung. Corporal schnupperte am Stroh und begann vorsichtig das duftende Heu zu fressen, während Balko in den Trog sah und den Mechanismus der Tränke ausprobierte. In der dritten Box stand »Schotte«, ein klinikeigenes Pferd.

»Eigentlich heißt er ›National Dream‹, aber das passt nicht zu ihm.« Heinrich grinste, und Antonia musste lachen. »Er wird von allen ›Schotte‹ genannt, weil er diese seltsame Musterung im Fell hat.«

Antonia sah sich das dunkle Fell genauer an. Tatsächlich konnte man auf der Kruppe ein Karomuster erkennen, hervorgerufen durch eigenwillige Wirbel.

»Er läuft seit vier Wochen nur auf der Weide. Sie werden wohl etwas mit ihm tun müssen, bevor sie ihn auf Ihre armen Patienten loslassen.«

Antonia wusste, dass das Tier vernachlässigt worden war, seit ihre Vorgängerin in Mutterschaftsurlaub gegangen war.

Der Reitstall war eine ehemalige Mühle, die erst vor vierzig Jahren den Betrieb eingestellt hatte. Der alte Kessel hatte neben der Mühle auch eine ausgedehnte Landwirtschaft betrieben. Heinrich, der Sohn, hatte Anfang der siebziger Jahre begonnen Pferde zu züchten. Im Laufe der Zeit konnte er seinen Bestand an Kühen immer mehr vermindern und den Bestand an Privatpferden immer mehr vergrößern. Schließlich war aus dem ehemaligen Bauernhof ein gut gehender Reitstall geworden.

Die Anlage war größer, als man auf den ersten Blick sah. Der Innenhof wurde hufeisenförmig von Gebäuden begrenzt. An der kurzen Seite des Hofes befand sich eine Toilettenanlage und ein großer Zwinger mit einem gelassen dreinblickenden Rottweiler. Im rechten Gebäude waren die Stallungen, die überwiegend aus großen quadratischen Pferdeboxen bestanden. Oberhalb davon wurde Stroh und Heu gelagert, das durch Ladeluken vom Hof aus zu erreichen war. Vor einigen Jahren war an den ursprünglichen Stall noch ein weiteres Gebäude angebaut worden. Die Halle lag außerhalb der Stallungen.

Antonia wusste, dass sich draußen noch ein Dressurviereck, ein Voltigierzirkel und ein Springplatz befanden. Außerdem gab es rund um den Hof etliche Weiden, auf denen Pensionspferde, aber auch Stuten mit Fohlen liefen.

Die Gegend war ideal für den Reitsport. Es gab viel Landwirtschaft mit Feldern und angrenzenden Feldwegen, die breit genug waren, dass ein Traktor und ein Pferd einander passieren konnten. Die Wälder verfügten über ein ausgebautes Reitwegenetz.

Als Mark sich von ihr verabschiedete, fühlte Antonia sich im ersten Moment ein wenig einsam. Mark bemerkte ihre gerunzelte Stirn und nahm sie kurz in den Arm. Als Antonia über seine Schulter sah, bemerkte sie wieder den Mann von vorhin, der gerade aus dem Stall trat. Mark versprach, sie sofort nach seiner Ankunft in den Staaten anzurufen, und Antonia blinzelte ihre Tränen zurück.

Die Wohnung befand sich in einem ehemaligen Bauernhof, der umgebaut worden war. Das Haus selbst war groß und etwas verwinkelt. Verschiedene Anbauten, durch die mehr Raum gewonnen werden sollte, gaben dem Anwesen eine ganz eigene Note. Die Dreizimmerwohnung war ein solcher Anbau. Den Eingang erreichte man nur über eine Wendeltreppe zum ersten Stock hin. Als Antonia sich die Wohnung angesehen hatte, wusste sie sofort, dass sie sie nehmen würde.

Martha Heinen, die Vermieterin, eine noch junge, ungefähr fünfundzwanzigjährige Frau, war mit dem zweiten Kind hochschwanger. Während der Besichtigung hielt sie ein kleines Mädchen an der Hand, das Antonia ehrfürchtig betrachtete.

»Wir haben den Hof erst vor zwei Jahren gekauft und noch einiges geändert«, hatte sie Antonia erklärt. »Aber das Haus ist einfach zu groß für uns. Außerdem liegen wir etwas abseits hier. Das nächste Wohnhaus ist ungefähr drei Kilometer entfernt im nächsten Dorf. Wir haben uns überlegt, dass es besser ist, einen Teil des Hauses zu vermieten, damit wir nicht alleine sind.«

Martha Heinen wirkte trotz der Schwangerschaft schmal. Ihr blondes Haar war ganz kurz geschnitten und passte gut zu ihrer alabasterfarbenen Haut. Ihre Tochter Cora war dunkelhaarig und schien mehr dem Vater zu gleichen.

Die Wohnung war hell und groß genug, um Antonias Möbel unterbringen zu können. Als sie ankam, war der Möbeltransporter schon da, und die Packer luden aus. Das Bad war ganz neu und wirkte etwas eigenwillig mit lachsfarbenen Fliesen und rötlichen Becken. Der Boden bestand aus Parkett, die Wände waren weiß getüncht. Das Schönste aber war der kleine Balkon an der Südseite. Antonia hatte ihn ausgemessen und festgestellt, dass ihr Terrassentisch und zwei Stühle hinpassten. Wenn es warm genug war, würde sie am Wochenende draußen im Sonnenschein frühstücken können.

Antonia gab den Packern Anweisungen, wo die größeren Möbel stehen sollten, und ärgerte sich, dass sie den Boden nicht vorher noch putzen konnte. Nach einer Stunde war alles an Ort und Stelle. Die unzähligen Umzugskartons nahmen den ganzen Flur ein. Sie würde das Wochenende damit zubringen müssen, sich einzurichten.

Nach zwei Stunden war Antonias Kleidung und Wäsche im Kleiderschrank verschwunden und die mitgebrachten Lebensmittel in der Küche verstaut. Die leeren zusammengefalteten Kartons stapelte sie im Flur und hoffte, bald auch die restlichen Kartons ausgepackt zu haben, damit die Transportfirma sie wieder abholen konnte.

Müde und erschöpft, aber nicht unzufrieden sah Antonia sich schließlich in ihrer neuen Wohnung um. Die Möbel standen bereits an der richtigen Stelle, ihre Teppiche lagen allerdings noch aufgerollt im Flur. Sie setzte sich langsam auf das behagliche Sofa, das dem Fenster gegenüberstand. Von hier aus konnte sie ungehindert in den Garten sehen. Die Wände waren frisch gestrichen und boten Platz für viele Bilder. Majas Bilder fielen ihr ein. Ihre Schwester malte abstrakt ohne erkennbare Motive. Sie benutzte dunkle Farben, und Antonia dachte manchmal, dass ihre Bilder etwas Lebloses hatten. Sie mochte die Gemälde nicht, die in ihren Augen Unruhe ausstrahlten. Aber Antonia wusste auch, dass sie keine Ahnung von Kunst hatte. Sie fand es lächerlich, dass Maja seit einigen Jahren fast nur noch schwarze Kleidung trug. Und sie schminkte sich die Augen sehr stark.

Antonia pustete eine Haarsträhne weg, die sich gelöst hatte und ihr vorwitzig ins Gesicht fiel. Sie würde ihre Eltern in Zukunft nicht mehr so häufig sehen, und auch ihre Schwester nicht. Maja war an mehreren Tagen in der Woche bei den Eltern, obwohl sie ein großes, schönes Haus hatte und sogar ein eigenes Atelier. Wenn Antonia ihre Eltern besuchte, konnte sie in der Regel auch Maja dort antreffen. Das würde sich nun ändern.

Sie musste an Jonathan denken und an die Trennung. Damals schien ihr Schmerz Maja nicht sonderlich berührt zu haben. Sie wirkte nicht überrascht, und Antonia vermutete, dass sie wahrscheinlich sogar damit gerechnet hatte, dass es irgendwann vorbei sein würde zwischen ihrer Schwester und dem erfolgreichen Arzt.

Antonia spürte so etwas wie Bitterkeit in sich aufsteigen.

Abrupt stand sie auf und sah in den Badezimmerspiegel. Mit ihren zweiunddreißig Jahren hatte sie noch keine einzige Falte, ihre Haut war glatt und straff. Ganz anders ihre Haare. Durch die starke Natur kringelten sie sich in unzähligen Löckchen. Meist band sie ihre Mähne zusammen, jetzt aber hatte sich das Band gelöst, und das schulterlange Haar umrahmte weich ihr Gesicht. Die Farbe störte sie immer noch, aber zusammen mit den Sommersprossen, die sich auf ihrer Nase tummelten, wirkte das Rot jetzt ganz natürlich. Früher hatte sie sich oft über die Sommersprossen geärgert, weil sie das Schönste an ihr, ihre Nase, verunstalteten. Antonia mochte ihre kleine, gerade Nase, die Jonathan einmal klassisch genannt hatte. Ihre Augen waren dunkelblau und ihr Mund zwar schmal, aber schön geformt. Sie war keine Schönheit, doch sie wusste, dass sie gut aussah.

Als sie Jonathan damals stolz der Familie vorstellte, erfüllte sie der kurz aufschimmernde Neid in Majas Augen mit heimlicher Freude. Majas Mann leitete die große Firma seiner Eltern, in die er sofort nach der Schule eingetreten war, weil der Betrieb kurz vor dem Konkurs stand. Er hatte nie eine Universität besucht und sich von unten hochgearbeitet. Innerhalb von zehn Jahren wurde aus einem kleinen Unternehmen, das sich mit Stahlverarbeitung beschäftigte, ein großer ins Ausland exportierender Betrieb. Bernhards Vater hatte sich sehr bald nach dem Eintritt des Sohnes aus dem Geschäftsleben zurückgezogen. Mittlerweile war der Betrieb auf hundert Angestellte angewachsen. Berthold und Maja konnten sich einen exklusiven Lebensstil leisten und gehörten zur besseren Gesellschaft Düsseldorfs. Aber Antonia wusste auch, dass Maja insgeheim darunter litt, dass Berthold keine akademische Ausbildung hatte, und manchmal kam es Antonia so vor, als würde sie sich nur deshalb mit der Malerei beschäftigen, um für einen Ausgleich zu sorgen.

Als sie damals eine rauschende Hochzeit mit mehr als zweihundert Gästen gefeiert hatten, war Maja der strahlende Mittelpunkt gewesen. Antonia musste den ganzen Tag die Begeisterung und Bewunderung der Gäste ertragen. Sie musste ihnen zustimmen, wenn sie meinten, eine schönere Braut könne es nicht geben, und sie lächelte verlegen, als ein entfernter Onkel taktlos fragte, wann es denn bei ihr so weit sei. Als das Brautpaar endlich in die Flitterwochen aufbrach, schmerzte ihr Gesicht davon, dass sie ununterbrochen gelächelt hatte.

Antonia rieb sich die Augen. In Zukunft würde sie an Majas Leben nicht mehr Anteil nehmen müssen.

Kapitel 3

Der kleine Junge beugte sich ängstlich nach vorne, und Antonia ließ die Peitsche sinken.

»Ganz ruhig.« Ihre Stimme hörte sich tief an, und sofort verlangsamte sich der Schritt des Pferdes. »Bleib ganz locker«, versuchte sie den Jungen zu ermuntern und lächelte ihn an, als er kurz zu ihr hinsah.

Sam saß ängstlich auf seinen Oberschenkeln und beugte sich zu weit nach vorne.

»Klopf den Balko mal am Hals.«

Sam zögerte einen Moment, beugte sich dann noch weiter vor und betastete zaghaft den breiten Pferdehals. Balko stieß ein Schnauben aus, und Sam lachte spontan.

Auch Antonia lachte. Balko hatte die Angewohnheit zu sprechen. Sobald man mit ihm redete oder ihn klopfte, gab er Geräusche von sich. Für viele Patienten war es faszinierend, wenn sie bemerkten, dass sie mit ihm kommunizieren konnten.

Sam war zur Reittherapie gekommen, weil er kontaktscheu war und nicht richtig sprechen konnte oder wollte. Mit seinen Sommersprossen und seinem roten Haarschopf erinnerte er Antonia sofort an Huckleberry Finn. Aber Sam war nicht mager, sondern von kräftiger Statur. Als Antonia ihn kennen lernte, wirkte er auf sie unlebendig und gleichgültig. »Möchtest du mit mir zu den Pferden fahren?« Sie beugte sich zu ihm und versuchte Augenkontakt herzustellen.

Sam zögerte einen Moment und zuckte dann mit den Schultern.

»Es wird dir sicher gefallen.«

Antonia strich ihm kurz über den Kopf, und der Junge sah zu ihr hoch und nickte.

Am nächsten Tag fuhren Antonia und Sam zur Mühle. Sie band Balko im Hof an, und Sam bekam von ihr eine Bürste. Voller Eifer begann der Junge dass Pferd zu putzen. Er wirkte mit einem Mal gelöst und glücklich und gab vereinzelte Laute von sich. Schließlich konnte Antonia ihm sogar Fragen stellen, die er zögernd beantwortete.

Anschließend setzte Antonia Sam auf Balko und ging mit ihm in die Halle. Sie führte ihn eine Runde an der Bande der Reithalle, dem Hufschlag, entlang und forderte Sam dann auf, Balko zum Halten zu bringen. Sam schaute auf seine Hände, in denen er die Zügel hielt, sah wieder zu Antonia hin und nahm beide Hände leicht nach hinten. Sofort blieb Balko stehen, und Antonia lobte den Jungen. Ohne Aufforderung klopfte Sam Balkos Hals.

Antonia beschloss, mit Sams Mutter zu reden. Die im Teamgespräch festgehaltenen Schwierigkeiten hatten sich eigentlich nicht gezeigt.

Antonia war an ihrem ersten Arbeitstag mit klopfendem Herzen zur Klinik gefahren. Als sie auf den Personalparkplatz abbog, war sie wieder erstaunt über die Größe der Anlage, die immerhin zweihundert Betten hatte. Die Düsseldorfer Klinik war kleiner gewesen, und einen eigenen Parkplatz für das Personal hatte es nicht gegeben. Meistens hatten sie ihre Autos auf der Straße unter den Eichenbäumen abgestellt, wo Parken eigentlich verboten war. Aber es hatte nie Schwierigkeiten gegeben, die Stadtverwaltung war genauso gemächlich gewesen wie die Klinik selbst.

Antonia meldete sich an der Pforte an und wurde zum Aufzug gewiesen, den sie bis zum dritten Stock nehmen sollte. Oben angekommen, sah sie sich suchend nach jemandem um und wurde von einer hübschen, etwas untersetzten Frau angesprochen.

»Frau Berger? Herzlich willkommen. Ich bin Brigitte Kahl, die Sekretärin. Nennen Sie mich einfach Gitte.«

Gitte hatte eine kleine Stupsnase, lebhafte Augen und dichtes schwarzes Haar, das sie kurz geschnitten trug. Sie reichte ihr die Hand, und Antonia bemerkte die abgeknabberten Fingernägel, die einen seltsamen Gegensatz zu dem lustigen Gesicht bildeten.

Gitte brachte Antonia in ein kleines helles Büro.

»Das ist Ihr Reich, wir haben es frisch renovieren lassen.«

Es roch immer noch leicht nach Farbe.

»Um neun Uhr ist unser tägliches Teamgespräch. Ich komme Sie dann holen.«

Als sich die Tür hinter Gitte schloss, fühlte Antonia sich einsam und sah sich langsam in dem kleinen Raum um. In einer Ecke stand ein mahagonifarbenes Bücherregal. Es schien ebenfalls neu zu sein, kein einziges Buch stand darin. Gegenüber dem Schreibtisch war ein großes Fenster mit Blick auf den Parkplatz. Direkt hinter dem Parkplatz erstreckte sich ein größeres Waldgebiet. Als Antonia sich setzte, verschwand der Parkplatz, und sie konnte nur noch die sich wiegenden Baumwipfel sehen.

Auf dem Schreibtisch lagen einige Krankenakten. Antonia schlug die erste auf und las die Geschichte von Sam. Sam hatte keinen Vater, seine Mutter war Ende zwanzig und erzog ihn alleine. Sie gab an, dass er kaum spreche und nie mit anderen Kindern spiele. Die Stationsärztin hatte notiert, dass für den Patienten Heilpädagogisches Reiten in Frage komme.

Antonia legte die Akte zur Seite und griff nach der nächsten. Peter, ein sechsjähriger Junge, nässte noch ein. Als Grund dafür wurde die bevorstehende Einschulung gesehen. Auch für ihn kam eine Reittherapie in Frage.

Antonia lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie glücklich das Reiten sie von Anfang an gemacht hatte. Es hatte sie fasziniert, mit einem großen Tier, das ihr kräftemäßig überlegen war, in Kontakt zu treten. Schon bald war es ihr größter Wunsch gewesen, eine gute Reiterin zu werden.

Sie hatte früh zu reiten begonnen und war immer dabeigeblieben. Anders als bei ihren Freundinnen aus dem Reitstall hatte auch die erste Freundschaft zu einem Jungen sie nicht davon abhalten können, weiterhin täglich zum Stall zu fahren. Auch während des Studiums war sie ihrem Sport treu geblieben. Der Gedanke, ihr Hobby mit ihrem Beruf zu verbinden, war ihr mehr durch Zufall gekommen. Einmal, als sie ihre Eltern besuchte, hatte sie Tim, den kleinen vierjährigen Sohn der Nachbarn, im Garten gesehen. Der Junge war verhaltensgestört und wirkte wie ein Autist. Antonia hatte ihn schon öfter gesehen und manchmal über den elterlichen Gartenzaun hinweg mit ihm gesprochen. Der Junge gab zwar keine Antwort, hörte aber aufmerksam zu. Als sie ihm von ihrem früheren Pony erzählte, war er auf sie zugekommen und hatte gesagt: »Mit«.

Antonia nahm ihn kurzerhand mit in den Stall und setzte ihn auf ein braves, schon älteres Pferd. Sie führte das Tier eine halbe Stunde im Kreis herum und beobachtete das Kind. Der Junge war lebhaft geworden, hatte gelacht und versucht mit dem Tier in Kontakt zu treten.

Antonia hatte mit ihrem Dozenten gesprochen und zu ihrer Freude gehört, dass sie mit einer Zusatzausbildung als Heilpädagogische Reittherapeutin arbeiten könne. Voraussetzung war eine reitsportliche Qualifikation. Noch während des Studiums ließ sie sich durch Lehrgänge und Schulungen an der Deutschen Reitschule zum Fachübungsleiter für Reiten ausbilden. Nach Abschluss ihres Studiums absolvierte sie beim Deutschen Kuratorium eine Zusatzausbildung und erwarb den Nachweis als Fachkraft im Heilpädagogischen Reiten.

Ihre erste Stelle trat sie in einer kleinen Privatklinik an, in der sie viele verschiedene Therapieformen kennen lernte und ihre theoretischen Kenntnisse umsetzen konnte. Der Klinikleiter hielt allerdings nichts vom Heilpädagogischen Reiten. Er lehnte alle ihre Vorschläge ab und wies sie an, sich mit den in der Klinik praktizierten Therapieformen anzufreunden. Nach zwei Jahren wechselte Antonia in eine Jugendklinik für psychosomatische Störungen in Düsseldorf.

Auch hier musste sie ihre Vorgesetzten von der Reittherapie erst überzeugen. Anfangs arbeitete sie nur mit Balko, aber schließlich stellte ihr die Klinikleitung zwei weitere Pferd zur Verfügung. Da die Klinik keine eigenen Stallungen hatte, standen die Pferde in einem benachbarten Reitstall unter. Eine der beiden Reithallen konnte Antonia zu bestimmten Zeiten benutzen.

Als es klopfte, schrak Antonia auf. Es war Gitte, die sie abholen wollte. Antonia ärgerte sich über ihr Herzklopfen. Sie betrat einen großen Konferenzraum und sah in neugierige ihr zugewandte Gesichter. Dr. Helen Schneider, die Antonia bereits kennen gelernt hatte, kam lächelnd auf sie zu.

»Herzlich willkommen, schön dass Sie jetzt dabei sind.«

Gemurmel ertönte.

»Antonia Berger übernimmt das Heilpädagogische Reiten. Sie hat ihr Pferd mitgebracht, sodass sie mit unserem Therapiepferd zwei Tiere zum Arbeiten hat.«

»Wie exotisch«, murmelte einer der Männer, und Antonia wusste nicht, ob es Zustimmung oder Ablehnung war. Die Ärztin stellte ihr die Kollegen vor. Hape Grothahn, Antonia schätzte ihn auf ungefähr fünfundvierzig, war für Kunst- und Musiktherapie zuständig. Er musterte sie mit durchdringendem Blick. Von ihm stammte der Kommentar. Thomas Heider, ungefähr Mitte dreißig, machte Gesprächs- und Familientherapie.

»Rebecca und Angela sind die Schwestern für unsere Station.«

Rebecca machte einen sympathischen Eindruck. Sie war etwas jünger als Antonia und trug einen klassischen Pagenkopf. Antonia sah sie neugierig an. Rebeccas Lächeln war warm und herzlich, und Antonia dachte spontan an Maria. Angela dagegen wirkte etwas kühler. Sie sah aus wie ein Fotomodell mit einer aufwändigen Hochsteckfrisur und perfektem Make-up. Sie war groß und schlank, und Antonia konnte sie sich auf dem Cover eines Herrenmagazins vorstellen.

Thomas Heider schien ihre Gedanken erraten zu haben. Er grinste.

Die Ärztin wandte sich wieder Antonia zu. Ihre Augen funkelten durch die hochmodische Schildpattbrille, und Antonia überlegte, wie alt sie wohl sein mochte.

»Wie Sie wissen, verfügt das Krankenhaus über vier unabhängige Stationen.«

Der Klinikleiter, der unverschämt gut aussah, hatte Antonia beim Vorstellungsgespräch die Struktur der Klinik erklärt. Helen Schneider war die Stationsärztin der Station 3. Sie und ihr Team waren für Patienten mit psychosomatischen Störungen zuständig. Ein Teil der Patienten war stationär untergebracht und nahm an täglichen Therapiesitzungen teil. Jüngere Patienten kamen zur ambulanten Behandlung. Die Klinik war in vier Fachbereiche aufgeteilt, die unabhängig voneinander arbeiteten. Bei den Einführungsgesprächen mit den Patienten oder Angehörigen wurde der entsprechende Fachbereich festgelegt. Nur selten wechselte ein Patient von der einen auf die andere Station. Die Klinik war keine reine Jugendklinik, und Antonia hatte mit ihrer Bewerbung zuerst gezögert. Aber beim Vorstellungsgespräch wurde ihr versichert, dass sie hauptsächlich mit Kindern und Jugendlichen arbeiten würde.

Das Teamgespräch verlief lebhaft. Thomas Heider, der mit seiner runden Nickelbrille eher wie ein Student aussah, nahm der Sache durch seine Witzeleien etwas die Ernsthaftigkeit. Es gab vier neue Patienten, über die ausführlich gesprochen wurde. Grothahn, dessen Dialekt man anhörte, dass er Holländer war, stellte einen seiner Patienten vor, einen sechs Jahre alten Jungen mit Down-Syndrom.

»Johann Helmers ist geistig behindert und sehr unruhig. Man kann sich nur schlecht mit ihm verständigen. Zu Hause übersetzt seine Mutter alles, was er von sich gibt. Im Moment stagniert die Therapie, und ich habe den Eindruck, dass die Mutter, obwohl sie zur Verständigung notwendig ist, den therapeutischen Ablauf stört.« Er schaute kurz zu Antonia hin und meinte: »Vielleicht können Sie ihn sich einmal ansehen.«

Antonia nickte rasch.

Auch Sam, fünf Jahre alt, war ein neuer Patient. Er hatte Sprachbarrieren und war sehr kontaktscheu.

Helen Schneider schlug ihn für die Reittherapie vor, und Antonia ging durch den Kopf, dass Balko in Zukunft stärker gefordert würde, da ihr nur ein weiteres Therapiepferd zur Verfügung stand. Sie beschloss, Dr. Schneider auf ein zusätzliches Pferd anzusprechen.

Corporal blieb stehen, und Antonia sah hoch. Beruhigend klopfte sie das Tier am Hals und versuchte es mit leichtem Schenkeldruck nach vorne zu treiben. Zögernd ging Corporal weiter, den Kopf immer noch erhoben. Jetzt erst konnte Antonia die Egge ausmachen, die am Rande eines Feldes lag, die Spitzen dreckverkrustet.

»Schon gut, dir passiert nichts.«

Sie musste lachen. Corporal kannte natürlich keine landwirtschaftlichen Geräte. Sie hatten in Düsseldorf nie das Gelände der Reitanlage verlassen. Manchmal war sie mit ihm auf einen der großen stalleigenen Springplätze gegangen und hatte ihn mit lang gestrecktem Hals eine große Runde im Schritt drehen lassen. Die Plätze waren durch hohe Hecken abgeschirmt, kein Spaziergänger konnte zufällig dort vorbeikommen. An heißen Sommertagen war manchmal in der Ferne das Knattern eines Traktors zu hören. Einmal war eine Windböe über ein frisch gemähtes Kornfeld gegangen und hatte die gehäckselten Strohhalme durch die Luft gewirbelt. Es hatte ausgesehen wie eine Windhose, und die Pferde, die draußen auf dem Platz waren, hatten erschrocken die Köpfe gehoben.

Der Turnierstall, in dem Corporal untergestanden hatte, war modern und als Leistungsstall bekannt. Mark wollte damals nur das Beste für sein Pferd, aber Antonia hatte sich dort nicht wohl gefühlt. Sie trainierte Corporal zusammen mit einem älteren Reitlehrer, der sie mit einer guten Ausbildung entschädigte.

Sie entschied sich, nicht an der Straße entlang zurückzukehren, sondern einen Parallelweg zu nehmen, der an einem kleinen Schloss vorbeiführte und ruhiger war. Die Sonne schien, für Mai war es schon sehr warm, und Antonia zog sich vorsichtig ihre Strickjacke aus und band sie sich um den Bauch. Corporal trottete mit weit ausholenden Schritten und langem Hals ruhig auf dem schmalen Grasstreifen neben der Straße.

Die Landschaft war flach, in der Ferne waren vereinzelte Waldgebiete zu erkennen und einige kleinere Höhenzüge. Antonia hatte von weitem eine Pappelallee gesehen und beschlossen, dass einer der nächsten Ausritte sie dorthin führen sollte. Die Saat der Sommergerste zeigte sich zaghaft, ein grünlicher Schleier lag auf den dunklen Feldern.

Antonias erster Arbeitstag war gut verlaufen, sie war zufrieden mit sich und zuversichtlich. Auf dem Heimweg war ihr der Gedanke gekommen, mit Corporal ins Gelände zu gehen, um die Gegend besser kennen zu lernen. Aber sie wollte auch Corporal seine neue Heimat zeigen, damit er sich allmählich in der ungewohnten Umgebung zu Hause fühlen konnte. Zufrieden sah sie Corporals nach vorne gerichtete Ohren. Der Ausritt schien ihm gut zu tun. Er war ein sehr gelehriges Pferd. Durch seine Aufzucht als Hengstfohlen war er allerdings immer isoliert gehalten worden. Mit anderen Fohlen konnte er nicht auf der Weide laufen, weil er nach ihnen schlug. Als Folge davon war er nicht oft nach draußen gekommen, sondern wurde überwiegend im Stall aufgezogen. Als er mit drei Jahren eingeritten wurde, war er scheu und nervös gewesen und lehnte andere Pferde ab. In Düsseldorf hatte Antonia keine Möglichkeit gehabt, mit ihm ins Gelände zu gehen. Einige Reiter hatten ihre Pferde im Hänger vor die Stadtgrenze gebracht, um draußen reiten zu können. Da aber Corporal den Transport nicht mochte, hatte sie auf Ausritte mit ihm verzichtet.

Corporals jetziger Stall konnte nicht mit dem großen Stall in Düsseldorf verglichen werden. Dort gab es insgesamt drei Reithallen und mehrere Außenplätze.

Die »Mühle« hatte lediglich eine einzige Halle, die ab siebzehn Uhr besetzt war. Direkt neben der Halle gab es ein Dressurviereck mit einer guten Drainage. Auch bei tagelangem Regen könne man dort reiten, wie Heinrich versicherte.

Antonia bog nach links ab. Als sie Heinrich auf Reitwege ansprach, sagte er ihr, dass die meisten durch die umgebenden Wälder führen würden.

»Sie sind im Augenblick durch den Regen ziemlich verschlammt. Sie können aber die Feldwege nehmen. Hier ist Reiten auf allen Feldwegen erlaubt.«

Er hatte ihr auch von Schloss Ringsheim erzählt, das einer Gräfin gehöre, die ebenfalls reite.

»Sie ist eine Freifrau von Bamberg, etwas über sechzig und verwitwet. Das Schloss wurde vor zweihundert Jahren errichtet. Der alte Bamberg hat dafür gesorgt, dass er nicht mehr als neunundneunzig Güter besitzt. Er war ein schlauer Fuchs. Bei hundert Gütern hätte er im Dritten Reich eine Armee stellen müssen.«

»Und die Gräfin reitet auch, sagten Sie?«

»Ja, sie hat drei Pferde, glaube ich, und sie stehen auf dem Wildangerhof« Heinrich zuckte mit den Schultern.

»Wildangerhof?«

»Ja, am Ende der Höfe, bevor es links nach Rheinenbach geht, ist der Wildangerhof. Ich kenne den Stall, ist eine noble Anlage. Dort stehen nur Pferde mit Geld.«

Das Schloss lag vor einem Weiher und war ringsum von Bäumen umgeben. Aber bevor die Straße in einem Bogen um das Schloss herumführte, konnte man einen Blick auf das Eingangsportal werfen, und Antonia blieb einen Moment stehen. Der Bau wirkte verwittert, aber nicht ungepflegt, die hohen Fenster funkelten in der Sonne. Die Treppe zum Eingang wirkte ausladend und weiträumig. Mit leisem Bedauern wandte Antonia sich wieder ab und hielt sich ganz links am Rand der Straße, die auch von Autos befahren wurde.

Plötzlich blieb Corporal abrupt stehen. Eine dunkle Gestalt erschien auf der Straße, und Antonias Herz klopfte einen Moment schneller, bis sie eine alte schwarz gekleidete Frau erkannte. Die Alte kam einige Schritte auf Antonia zu, und diese sah, dass sie sich sehr gebeugt bewegte und auf einem Stock abstützte. Sie trug einen langen schwarzen Rock und eine schwarze Jacke. Ihr Kopf war mit einem dunklen Kopftuch bedeckt. An den Fußspitzen, die unter dem Rock hervorlugten, konnte Antonia dunkle klobige Schuhe erkennen. Augenblicklich fiel ihr ein Foto von ihrer Großmutter ein, auf dem diese in ähnlicher Bekleidung abgebildet war. Ganz kurz fühlte sie sich in eine Vergangenheit versetzt, die sie nie erlebt hatte, und schrak hoch, als die Alte sie ansprach.

»Sind Sie davongelaufen?«

Die Stimme hörte sich trocken und irgendwie rissig an, und Antonia starrte fasziniert auf die Nase der alten Frau, die sich bei ihren Worten auf und ab bewegte. Sie musste an ihre Mutter denken, die von der Erscheinung sicher abgestoßen wäre.

»Sind Sie auch davongelaufen?«

Die Alte klopfte energisch mit ihrem Stock auf den Boden, als Antonia immer noch schwieg.

Corporal schnaubte laut, und Antonia tätschelte ihm beruhigend den Hals. Vorsichtig drückte sie mit ihren Unterschenkeln, aber das Pferd blieb stehen.

Ärgerlich sah sie die alte Frau an und sagte schließlich: »Würden Sie bitte etwas zur Seite treten?« Wieder drückte sie mit ihren Schenkeln, Corporal riss ihr mit einer heftigen Kopfbewegung die Zügel aus der Hand und schnaubte laut. Schnell verkürzte Antonia die Zügel und meinte beruhigend: »Schon gut.«

Die Frau stieß noch einmal mit ihrem Stock auf den Boden und machte dann einen Schritt zur Seite. Corporal verlor die Nerven, sprang nach vorne und stürmte an der Alten vorbei. Antonia fing ihn nach wenigen Metern ein und zwang ihn, einen Moment stehen zu bleiben. Vorsichtig drehte sie sich um, Corporal begann zu tänzeln. Die Alte war verschwunden.

Es dämmerte langsam. Antonia steckte ihre Hände tiefer in die Taschen ihrer Jacke. Sie freute sich auf das vor ihr liegende Wochenende, an dem sie in Ruhe ihre Wohnung weiter einrichten und lesen wollte.