Irrlicht 28 – Mystikroman - Susan Lennox - E-Book

Irrlicht 28 – Mystikroman E-Book

Susan Lennox

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. »Wie können solche wunderschönen Augen nur so wenig sehen?« fragte Sergeant Dennis Navarro mit einem Funkeln in seinen braunen Augen. Ein breites Grinsen vervollständigte seine entwaffnende Art, nachsichtig mit weiblichen Verkehrssündern umzugehen. Die junge Frau, die in ihrem weißen Sportwagen saß – die blonden Haare unter einem gepunkteten Tuch verborgen, so daß nur ein paar Strähnen keck seitlich herausfielen –, zog die Sonnenbrille von der Nase und blickte den sympathischen jungen Polizisten an. »Und wie kann ein so süß aussehender Mann nur Polizist werden«, entgegnete Jeannie Bromfield mindestens genauso schnippisch wie amüsiert. »Und dann auch noch Streifenpolizist, der Knöllchen verteilt.« Dennis Navarro lächelte, neigte den Kopf, um nicht in die tief stehende Morgensonne blinzeln zu müssen, die schräg auf das Geflecht von Straßen einfiel. Er wirkte dabei jungenhaft charmant, und er wußte das. Es gab Tage, da setzte er sein gewinnendes Lächeln ganz bewußt bei der Damenwelt ein. Meist geschah dies allerdings außerhalb seines Dienstes. Der leichte Wind blähte sein dunkelblaues Dienstjackett auf und ein ledernes Schulterholster, in dem eine Handfeuerwaffe steckte, wurde für einen kurzen Moment sichtbar. »Uh – wie gefährlich.« Jeannie legte in gespieltem Erschrockensein beide Hände ans Gesicht und spitzte die Lippen. Dennis Navarro nickte lächelnd, ging aber nicht auf ihre provokante Reaktion ein. »Sie irren sich«, sagte er statt dessen betont ruhig, auch wenn er liebend gern auf ihren kleinen Flirtversuch deutlicher eingegangen wäre. »Ich bin kein Streifenpolizist. Es ist purer Zufall, daß gerade ich es bin, der Sie jetzt hier mitten auf der Straße aufhält. Was übrigens nicht passiert wäre, wenn Sie nicht innerhalb der Stadt mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren wären und mich beinahe auf dem Zebrastreifen aufgespießt hätten wie ein Stier den Torero.«

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Irrlicht – 28 –

Sie war Werkzeug eines Geistes

… und der Schreckliche verlangt nach Mord!

Susan Lennox

»Wie können solche wunderschönen Augen nur so wenig sehen?« fragte Sergeant Dennis Navarro mit einem Funkeln in seinen braunen Augen. Ein breites Grinsen vervollständigte seine entwaffnende Art, nachsichtig mit weiblichen Verkehrssündern umzugehen.

Die junge Frau, die in ihrem weißen Sportwagen saß – die blonden Haare unter einem gepunkteten Tuch verborgen, so daß nur ein paar Strähnen keck seitlich herausfielen –, zog die Sonnenbrille von der Nase und blickte den sympathischen jungen Polizisten an.

»Und wie kann ein so süß aussehender Mann nur Polizist werden«, entgegnete Jeannie Bromfield mindestens genauso schnippisch wie amüsiert. »Und dann auch noch Streifenpolizist, der Knöllchen verteilt.«

Dennis Navarro lächelte, neigte den Kopf, um nicht in die tief stehende Morgensonne blinzeln zu müssen, die schräg auf das Geflecht von Straßen einfiel. Er wirkte dabei jungenhaft charmant, und er wußte das. Es gab Tage, da setzte er sein gewinnendes Lächeln ganz bewußt bei der Damenwelt ein. Meist geschah dies allerdings außerhalb seines Dienstes.

Der leichte Wind blähte sein dunkelblaues Dienstjackett auf und ein ledernes Schulterholster, in dem eine Handfeuerwaffe steckte, wurde für einen kurzen Moment sichtbar.

»Uh – wie gefährlich.« Jeannie legte in gespieltem Erschrockensein beide Hände ans Gesicht und spitzte die Lippen.

Dennis Navarro nickte lächelnd, ging aber nicht auf ihre provokante Reaktion ein.

»Sie irren sich«, sagte er statt dessen betont ruhig, auch wenn er liebend gern auf ihren kleinen Flirtversuch deutlicher eingegangen wäre. »Ich bin kein Streifenpolizist. Es ist purer Zufall, daß gerade ich es bin, der Sie jetzt hier mitten auf der Straße aufhält. Was übrigens nicht passiert wäre, wenn Sie nicht innerhalb der Stadt mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren wären und mich beinahe auf dem Zebrastreifen aufgespießt hätten wie ein Stier den Torero.«

»Wenn ich das gewollt hätte«, säuselte Jeannie Bromfield, »wäre es mir bestimmt nicht nur beinahe gelungen.«

Schade eigentlich, daß das hübsche Kind es nicht wollte, dachte Dennis, ließ sich aber nichts anmerken.

»Sind Sie Engländerin?« fragte er.

Der Blick in ihre dunklen Augen hatte ihn gefangengenommen. In ihren Augen lag etwas fröhliches, lebendiges und gleichzeitig auch scheues und verletzliches. Eine Mischung, die Dennis’ Herz sofort berührte, ohne zu wissen, ob die junge Frau auch wirklich ein liebenswerter Mensch sei.

»Ja«, entgegnete Jeannie. Ihr Lächeln wurde breiter.

Er möchte mich in ein Gespräch verwickeln, dachte sie erfreut. Das macht er doch bestimmt nicht ohne Grund.

Jeannie bemerkte, wie sich in ihrem Mund vor Aufregung zu viel Speichel ansammelte und sie hoffte, daß wenn sie gleich schluckte, es nicht zu hören war. Nichts wäre ihr peinlicher, als in einem solchen Moment vorsichtiger erster Annäherung durch wenig elegante Geräusche aufzufallen.

»Merkt man gleich. Ihre Aussprache ist so... elegant«, meinte Dennis.

Beinahe hätte Jeannie laut aufgelacht. Es war, als hätte der junge Polizist ihre Angst erraten und sie ihr mit seiner Äußerung nehmen wollen. Er verwendete sogar den gleichen Ausdruck wie sie selbst.

Jeannie lächelte verlegen. Ihre Wangen röteten sich leicht, was allerdings auch an der unerträglichen Hitze in Las Vegas liegen konnte.

Sie schalt sich selbst eine Närrin. Es konnte doch nicht sein, daß ihr ein junger Mann gefiel, den sie mitten auf der Straße fast mit ihrem Sportwagen überfahren hätte. Sie kannte ihn doch gar nicht. Aber war das nicht eigentlich egal? Schnell beschloß sie, sich ihre Unsicherheit nicht anmerken zu lassen.

»Was geschieht nun mit mir?« fragte sie herausfordernd. Sie streckte Dennis Navarro beide Hände entgegen. »Handschellen?«

Navarro hätte am liebsten gesagt, daß es genau das war, woran er auch gedacht hatte, als er die hübsche Frau mit den lebendigen Augen und dem apart geschnittenen Gesicht erblickt hatte. Sie sofort gefangen nehmen, so wie sie ihn sofort bezauberte. Und dann nicht mehr entwischen lassen, denn in einer Stadt wie Las Vegas läuft man sich kein zweites Mal durch Zufall über den Weg. Sollte er sie wirklich mit aufs Revier nehmen?

Nein, er war im Dienst, und er durfte sich keinerlei Übergriffe auf Privatpersonen erlauben. Schon gar nicht, wenn er gerade dabei war, diese auf kleinere Vergehen hinzuweisen. Er wußte, wie schnell man ihm sonst Amtsmißbrauch hätte vorwerfen können. Tja, dachte er seufzend, das war nun mal das Schicksal eines Sergeants, daß er die interessantesten Frauen meist nur während der Arbeitszeit kennenlernte.

»Ich will es mal bei einer Ermahnung belassen«, meinte er augenzwinkernd. Lässig beugte er sich hinunter, stützte seine Unterarme auf der Tür des offenen Sportwagens ab. Die blonde Frau wich nicht zurück, im Gegenteil, ein feines Lächeln zauberte sich in ihr Gesicht, als der Mann, den sie beinahe überfahren hätte, etwas näher an sie heranrückte. Ihre beiden Gesichter waren kaum eine Handbreit voneinander entfernt. Navarro konnte den verwirrend frischen Duft von Bergamotte an ihrem Hals rie-

chen.

»Aber Sie sollten besser nicht mehr so schnell fahren«, meinte er weiter. »Wir hier in Las Vegas halten uns streng an die Regeln. Das müssen wir, sonst herrscht hier bald das totale Chaos bei all den Showtheatern, Varietés und Spielcasinos. Und bei all den Verrückten, die unsere Stadt heimsuchen.«

Dennis Navarro tippte sich mit zwei Fingern an die Stirn und zeigte der jungen Frau sein strahlendstes Lächeln.

Jeannie Bromfield legte die Hände wieder ans Steuer. »Vielen Dank, Herr...« Sie legte die Zungenspitze an die Oberlippe und wartete, bis er ihren Satz vollendete.

»Sergeant Navarro, Miss...«

»Bromfield, Jeannie Bromfield.«

Die beiden jungen Leute lächelten sich an. Sie wußten, – an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit hätten sie sich ganz unverbindlich zu einem Kaffee verabredet. Und wer weiß, was daraus entstanden wäre. So aber konnte es nur ein kleiner Flirt zwischen einem Polizisten und einer Besucherin im Spielerparadies von Nevada sein. Ein Flirt, der nicht länger dauerte, als eine Verkehrsampel brauchte, um von Rot auf Grün zu springen.

Navarro überlegte, ob er sich vielleicht noch die Papiere der Frau zeigen lassen und zusätzlich noch das Nummernschild notieren sollte. Er könnte sie nach Dienstschluß ausfindig machen. Doch auch dies konnte ihm von Seiten seiner Vorgesetzten falsch ausgelegt werden, also unterließ er es schweren Herzens, danach zu fragen.

»Schönen Tag noch, Miss Bromfield«, sagte Navarro. Dann stieß er sich vom Sportwagen ab, wandte sich um und schlenderte den Boulevard hinauf.

Jeannie Bromfield sah dem Sergeant mit einem breiten Schmunzeln nach. Selbst von hinten sah er noch gut aus, was man wirklich nicht von allen Männer behaupten konnte, dachte sie. Sie konnte es sich nicht verkneifen, dem gutaussehenden Polizisten noch etwas nachzurufen, bevor sie mit ihrem Sportwagen weiterfuhr.

»Vielleicht sehen wir uns mal wieder!« rief sie Navarro hinterher, der bereits auf dem Gehsteig der gegenüberliegenden Straßenseite angelangt war. Er drehte sich um und winkte ihr freundlich zu.

»Ich hoffe, nicht!« rief er zurück.

Überrascht über diese Antwort blieb Jeannie der Mund offen.

»Warum nicht?«

»Weil ich von der Mordkommision bin, und wenn wir uns wiedersehen, dann wären Sie vermutlich tot!«

Jeannie Bromfield erschrak. Schnell fing sie sich wieder und gewann ihre Schlagfertigkeit wieder.

»Ich muß ja nicht die Tote sein!« rief sie. »Ich könnte auch die Mörderin sein!«

Dann trat sie das Gaspedal durch und brauste die Straße mit qualmenden Reifen weiter.

»Verrücktes hübsches, kleines Vögelchen«, murmelte Navarro.

Er konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen, auf welch schlimme Art und Weise sich Jeannies Worte bewahrheiten sollten.

*

Jeannie Bromfield ließ sich an der Rezeption des Carlton Hotels, in dem sie seit zwei Tagen eine kleine Suite bezogen hatte, den Schlüssel aushändigen, fuhr mit dem Lift in die vierzehnte Etage und öffnete die Tür zu ihrem Wohnbereich. Gleich nach dem Eintreten zog sie sämtliche Vorhänge in Wohnzimmer und Schlafzimmer auf, um den herrlichen Sonnenschein, der das bunte Spielerparadies Las Vegas überschüttete, auch in ihre kleine Welt zu lassen. Zwar waren an sämtlichen Hotels und Theaters die Lichter ausgeschaltet, doch das gleichermaßen rege und gemächliche Treiben der Menschen auf den Straßen vermittelte ein so ganz anderes Bild als man es von den üblichen amerikanischen Großstädten her kannte. Es stimmte, daß sich das Leben hier vorwiegend nachts abspielte. Tagsüber herrschte Müßigkeit und eine schläfrige Aktivität der arbeitenden Menschen, so daß man das Gefühl nicht los wurde, alle Menschen befänden sich nur auf einem Erholungstrip. Daß hinter den Kulissen dennoch hart gearbeitet wurde, war Jeannie Bromfield natürlich klar, auch wenn man bestenfalls innerhalb der Hotels etwas von der Aufmerksamkeit und der hektischen Abwicklung der Tagesabläufe mitbekam.

Die junge Frau ging zur Minibar, die neben der großen, mit wuchtigen Armlehnen versehenen Couch stand und nahm sich einen Piccolo heraus. Sie schraubte den Verschluß ab und goß sich ein Glas voll und betrachtete das Prickeln mit einem wehmütigen Gefühl.

Sie setzte sich auf die Couch und seufzte.

Hatte sie sich ihren Aufenthalt so vorgestellt?

Jeannie wußte diese Frage nicht zu beantworten. Wieder seufzte sie schwermütig und nahm einen Schluck aus dem Glas. Die Luftbläschen kitzelten an ihrem Gaumen, so daß sie sich verschluckte und räuspern mußte.

Das paßt zu dir, dachte sich Jeannie. Nach außen hin tust du so, als wärst du selbstsicher, aber in Wirklichkeit kannst du noch nicht einmal ein Glas Sekt trinken, ohne dich zu verschlucken. Toll, Jeannie, wirklich toll.

Die junge Engländerin fuhr nachdenklich mit zwei Fingern über den Stoffbezug der Couch.

Hatte sie sich ihr Leben so vorgestellt? So unendlich frei? War es nicht das, wonach so viele Menschen strebten und was so viele glücklich machte? Und sie selbst? Jeannie konnte sich diese Frage nicht beantworten. Wie immer, wenn sie zum Nachdenken anfing, schwirrte ihr bald der Kopf. Hatte sie nicht vielmehr Grund zum Unglücklichsein?

Nein, entschloß sich die junge Frau energisch. Sie preßte die Lippen aufeinander und nickte sich selbst bestätigend in der Spiegelung des schmalen Glases zu.

Jeannie war nicht ohne Grund von Birmingham in England nach Las Vegas gereist. Sie hatte ganz gezielt die Ablenkung gesucht. Sie wollte eine bewußte Zerstreuung erleben. Ihr Wunsch war, sich selbst neu zu erleben. Nach all den Jahren, die sie sich wie eingesperrt in der heimatlichen Wohnung, die sie sich gemeinsam mit ihrem Freund Michael teilte, war es ihr überlebensnotwendig erschienen, wieder festzustellen, wer sie eigentlich war.

Michael war von Jahr zu Jahr verschlossener geworden. Er und Jeannie waren seit sieben Jahren ein Paar gewesen, doch er hatte sich nie dazu durchringen können, Jeannie zu heiraten, oder sie wenigstens mal zu fragen, ob sie ihn überhaupt haben wollte. Heute war Jeannie froh darüber, daß sie Michael nicht geheiratet hatte. Es wäre ein noch größeres Gefängnis geworden. Vielleicht hatte Michael geglaubt, es würde genügen, in der Anfangszeit ihrer Liebe freundlich zu sein, liebevoll zu sein. Vielleicht war Michael tatsächlich der Ansicht, daß er sich nicht mehr um seine Freundin bemühen mußte, wenn sie erst einmal zusammen eine Wohnung bezogen hatten.

Doch Jeannie hatte sich mehr erwartet. Mehr von einer Partnerschaft und mehr vom Leben. Zuerst kümmerte sich Michael nicht mehr um die Dinge, die Jeannie interessierten, dann legte er auch keinen Wert mehr auf gemeinsame Unternehmungen und Gespräche. Jeannie hatte das Gefühl, daß Michael sie nur noch nachts brauchte, wenn es darum ging, daß er seine Leidenschaft an ihr austobte. Doch auch hier hatte sich die junge Frau mehr Zärtlichkeit und auch Rücksichtnahme auf sie selbst gewünscht. Doch von Michael war nichts mehr zu erwarten. Bald schon herrschte nur noch das große Schweigen zwischen beiden. So lange, bis Jeannie es nicht mehr aushielt.

Sie war gerade mal 34 Jahre alt. Das konnte doch nicht alles gewesen sein? Nein, wenn sie nicht vorhatte, ihr Leben jetzt schon einstauben zu lassen, dann mußte sich etwas ändern, das wußte Jeannie.

Und sie änderte etwas. Vor zwei Wochen zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus, brachte all ihr Hab und Gut übergangsweise bis sie eine eigene Wohnung gefunden hatte, zu ihren Eltern (die selbstverständlich nicht erfreut waren) und entschloß sich, diesen entscheidenden Einschnitt in ihrem Leben mit einer Reise ins Unbekannte zu beginnen. Sie kratzte ihr letztes Erspartes zusammen, kaufte sich ein Flugticket nach Las Vegas und nahm sich vor, für vier Wochen das Leben auf eine ganz neue Art zu genießen. Und wer weiß – vielleicht gewann sie sogar noch ein bißchen Geld, mit dem sie dann zurück in England es leichter haben würde, die neue Eigenständigkeit aufzubauen.

Von Michael verabschiedete sie sich nicht. Und es tat ihr nicht leid.

Die junge Frau erhob sich von der Couch und ging ans Fenster. Nachdenklich blickte sie über die Boulevards und das Geflecht von Straßen zwischen den einzelnen Casinos.

War sie eine Träumerin? Hatte sie deshalb Las Vegas ausgesucht? Die Stadt der großen und zumeist geplatzten Träume?

Sie trank ihr Glas aus.

Dann nahm sie eine erfrischende Dusche, bevor sie sich frische Kleider anzog, um noch einmal die Straßen entlangzugehen. Sie wählte aus ihrem Kleiderschrank eine unifarbene grasgrüne Bluse und Jeans, darüber eine leichte Strickweste, da der Wüstenwind unabläßlich um die Stadt wehte.

Sie schloß ihre Appartementtür und ging über den mit einem roten Läufer belegten Flur des Stockwerks zum Aufzug.

Plötzlich blieb sie stehen. Sie war an einem Zimmer vorbeigekommen, bei dem die Tür nur angelehnt war. Täuschte sich Jeannie oder hatte sie tatsächlich ein leises Stöhnen vernommen?

Sie hielt die Luft an und lauschte.

Nein, tatsächlich. Eine wimmernde Stimme drang aus dem Inneren des Appartements. Zuerst mußte Jeannie ein Kichern unterdrücken, weil sie glaubte, daß ein Pärchen sich vergnügte, dabei die Welt um sich herum vergaß, genauso wie die Zimmertür zu schließen, doch dann verging Jeannie das Lachen.

Das war ein Wimmern und Stöhnen wie es nur ein Mensch von sich gab, der Schmerzen hatte.

Jeannie Bromfield erschrak. Was ging in diesem Appartement vor sich?

Die junge Engländerin überlegte, was sie tun sollte. Durfte sie einfach so in das fremde Zimmer eintreten? Was, wenn sie sich täuschte? Andererseits würde sie es sich niemals verzeihen, wenn jemand Hilfe brauchte und sie nicht einschritt.

Jeannie atmete tief ein. Sie legte die flache Hand an die Tür und schob sie langsam auf.

»Hallo?« rief sie mit verhaltener Stimme.

Keine Antwort.

»Ist hier jemand?«

Erneut keine Antwort. Aber wieder dieses klägliche Stöhnen.

Tapfer nahm Jeannie ihr Herz in beide Hände und wagte sich tiefer in das Appartement hinein. Die Räume waren durch zugezogene Vorhänge abgedunkelt, dennoch konnte Jeannie im Schlafzimmer eine gekrümmte Gestalt auf dem Bett liegen sehen.

Jeannie blickte sich um. Ansonsten befand sich niemand im Zimmer. Erleichtert atmete Jeannie auf, ging zu den schweren Vorhängen und zog sie zurück.

Auf dem Bett lag ein junges schwarzhaariges Mädchen in einem weißen Nachthemd. Sie mochte vielleicht neunzehn Jahre alt sein. Zusammengekauert, beide Arme fest um die angezogenen Beine geschlungen, lag das Mädchen auf dem Bett und weinte.

Jeannie erschrak, als sie das Gesicht des Mädchens sah. Jemand mußte es geschlagen haben. Und auch an den Handgelenken konnte man blaue Flecken und Druckstellen ganz deutlich erkennen.

»Oh, mein Gott«, stieß Jeannie erschüttert aus. »Was ist passiert?« Sie setzte sich an den Bettrand und versuchte, das Mädchen zu beruhigen. Anfangs zögerte Jeannie noch, ihr eine Hand auf die Stirn und die Schultern zu legen, weil sie fürchtete, daß das Mädchen dann laut zu schreien beginnen würde, aber schließlich tat sie es doch.

Mit vor Angst weit aufgerissenen Augen riß das schwarzhaarige Mädchen den Kopf hoch. Sie hatte den Mund geöffnet, doch es kam kein Schrei über ihre Lippen, nur immer wieder dieses klagende Jammern.

Jeannie ahnte sogleich, was passiert war. Irgend jemand mußte sich Zutritt in das Zimmer dieses Mädchens verschafft und sie dann schändlich mißbraucht haben. Alle Anzeichen sprachen dafür. Unbändige Wut kochte in Jeannie hoch, wenn sie auf das verschüchterte Häufchen Elend vor sich blickte.

»Bleib ganz still liegen«, flüsterte Jeannie mit weicher Stimme. Sie hoffte, daß ihre Anwesenheit das Mädchen beruhigte. »Ich bin jetzt bei dir. Komm.«

Jeannie hob den Oberkörper des Mädchens leicht an und schloß sie in die Arme. Das Mädchen zitterte am ganzen Leib, als hätte sie im Winter in einem See gebadet.

Ich muß einen Arzt holen, dachte Jeannie. Das Mädchen braucht dringend Hilfe. Und die Polizei muß auch kommen. Derjenige, der ihr das angetan hat, muß dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Plötzlich und unerwartet wand sich das Mädchen aus Jeannies Umarmung und stieß sie von sich. Dabei gab sie einen erstickten Schrei von sich.

Jeannie hob beschwichtigend beide Hände. »Ganz ruhig. Sie, ich will dir nur helfen.«

Das Mädchen brüllte laut. Dann schüttelte sie den Kopf, daß die schwarzen Haare nach links und rechts geworfen wurden.

Ihre rechte Hand schoß vor und krallte sich in Jeannies Bluse. Erschrocken zuckte die junge Engländerin zurück.

»Du wirst mich rächen«, gurgelte das schwarzhaarige Mädchen heiser. Sie hatte den Kopf nach unten geneigt und blickte Jeannie aus blutunterlaufenen Augen an.

»Wie?«

»Du....«, sprach das Mädchen schleppend und mit rauer Stimme, die gar nicht so recht zu dem zerbrechlichen Äußeren passen wollte. »Du wirst es vollenden!«

In einem Reflex schlug Jeannie die Hand des Mädchens von sich und sprang auf. Hastig taumelte sie zwei, drei Schritte vom Bett weg. Ein Schwindel befiel sie. Das Zimmer schien sich zu drehen. Doch Jeannie konnte nach wie vor ganz deutlich das Bett sehen, auf dem das Mädchen in seinem hochgerutschten Nachthemd hockte, die schwarzen Haare wirr und durcheinander vor das Gesicht fallend.

Das Mädchen kroch über die Matratze auf Jeannie zu.

»Nein!« Ein panischer Schrei entrutschte der jungen Engländerin. Das Zimmer um sie herum verdunkelte sich. Hatte jemand die Vorhänge wieder zugezogen? Jeannie taumelte. Sie wollte die Tür erreichen, doch ihre Beine knickten ein, so daß sie mitten im Zimmer auf den Boden sackte.

Ein Windstoß erfaßte Jeannie. Dabei war sie ganz sicher, daß die Fenster geschlossen waren, als sie in das Zimmer trat.

Die junge Engländerin preßte beide Handflächen gegen ihre Schläfen. Ein unbeschreiblicher Druck setzte sich in ihrem Kopf fest und breitete sich von innen nach außen aus, so daß Jeannie fürchtete, ihr Schädel würde zerspringen.

Und endlich begann sie zu schreien. Wie eine Erlösung kam es aus ihr heraus.

Dann sackte Jeannie vollends zu Boden. Bewußtlos blieb sie in der Dunkelheit liegen.

*

Das Büro im dritten Stock des Polizeipräsidiums von Las Vegas war karg eingerichtet. Bis auf einen Kalender, einen Stadtplan mit Straßenverzeichnis und einem Bild von seiner Lieblingsschauspielerin Jean Simmons, einer aparten Engländerin, hatte Sergeant Dennis Navarro keinerlei Wandschmuck in seinem Büro angebracht. Auch auf Pflanzen verzichtete er, da er zuwenig Zeit hatte, sich um sie angemessen zu kümmern und alles Grünzeug bei dieser Hitze sowieso schneller einging als er mit der Gießkanne darüber schütten konnte.

Navarro lehnte auf seinem Drehstuhl und rollte in einem immer gleichen Rhythmus vor und zurück. Auf dem Schreibtisch stapelte sich eine Menge Papierkram. Genau den hatte er heute wegarbeiten wollen. Es war genau der richtige Tag, so dachte er. Und nun konnte er keinen klaren Gedanken fassen, hatte seit mehr als einer Stunde den Kugelschreiber nicht in die Hand genommen und eigentlich nur Kaffee aus der Kanne in den Becher nachgeschenkt. Zu mehr war er an diesem Vormittag noch nicht gekommen.

Eine kleine süße Engländerin.

Er konnte es nicht verhindern, daß seine Gedanken ständig zu der jungen Frau im Sportwagen pendelten. Sie sah nett aus. In ihren Augen konnte man schon lesen, daß sie auch etwas im Kopf hatte und nicht einfach nur eines dieser überschminkten Modepüppchen war, die sich ein alter Mann für einen Wochenendtrip mit nach Las Vegas genommen hatte.