Irrlicht 45 – Mystikroman - Elisa Raven - E-Book

Irrlicht 45 – Mystikroman E-Book

Elisa Raven

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Beschreibung

Der Liebesroman mit Gänsehauteffekt begeistert alle, die ein Herz für Spannung, Spuk und Liebe haben. Mystik der Extraklasse – das ist das Markenzeichen der beliebten Romanreihe Irrlicht: Werwölfe, Geisterladies, Spukschlösser, Hexen und andere unfassbare Gestalten und Erscheinungen erzeugen wohlige Schaudergefühle. Jutta erschrak und mußte heftig schlucken, so unsagbar hässlich war dieser Mensch. Er war ein grobschlächtiges, knapp unter zwei Meter großes Wesen, dessen Gesichtszüge denen eines Urmenschen glich. Zudem hatte er eine scheußliche dicke rote Narbe, die quer über sein ganzes Gesicht lief. Der Schnee lag schon sehr hoch und kam doch immer noch in solchen Mengen vom Himmel, daß die junge Frau hinter dem Steuer Mühe hatte, ihren Wagen voranzubringen. Die Scheibenwischer machten den Eindruck, als wären sie gerade dabei, den Kampf gegen die gewaltigen Schneemassen aufzugeben, und auch die Heizung des kleinen Autos schien es für sinnlos zu halten, ihre Kräfte bei dieser Kälte noch länger zu verschwenden. Jutta Selbach wischte mit einem Tuch über die Scheiben, doch auch so konnte sie kaum erkennen, wo genau sie sich befand. Es war auch das erste Mal, daß sie diese Strecke fuhr, denn sonst, wenn sie ihre Schwester in England besucht hatte, war sie geflogen und direkt in London am Flughafen von Caroline und Edward abgeholt worden. Aber dieses Mal war sie mit der Autofähre von Hamburg nach Harwich gekommen und wurde von diesem schrecklichen Schneesturm überrascht, mit dem sicher auch hier niemand gerechnet hatte. Die kleine zweispurige Landstraße lief hier durch eine waldreiche Gegend, und rechts und links vom Straßenrand war nirgendwo ein Licht zu erkennen. Es war stockfinster. Gerade hatte Jutta sich überlegt, daß sie von der nächsten Telefonzelle aus bei ihrer Schwester anrufen würde, da blieb der Wagen mit einem leisen, mutlosen Gurgeln stehen. »Mist!« sagte sie zu sich selbst und wäre sehr froh gewesen, wenn sie jemand gehört hätte. Doch was nützte es? Sie war allein, und sie mußte sich auch allein helfen. Also nahm sie ihre dicke Lammfelljacke vom Rücksitz, griff nach der Taschenlampe, die sie immer im Auto liegen hatte, und stieg aus. Da stand er, hatte einfach den Geist aufgegeben. Alle Versuche ihn an den Straßenrand zu schieben, mußte Jutta wegen des mittlerweile meterhohen Schnees aufgeben. Also schaltete sie nur die Warnblinkanlage an, nahm ihre Handtasche aus dem Auto und machte sich auf den Weg. Immer der Straße nach wollte sie gehen.

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Irrlicht – 45 –

Verbündete des Grauens

Wer ihnen in die Hände fällt, ist verloren …

Elisa Raven

Jutta erschrak und mußte heftig schlucken, so unsagbar hässlich war dieser Mensch. Er war ein grobschlächtiges, knapp unter zwei Meter großes Wesen, dessen Gesichtszüge denen eines Urmenschen glich. Zudem hatte er eine scheußliche dicke rote Narbe, die quer über sein ganzes Gesicht lief. Unter seinen buschigen schwarzen Augenbrauen sahen sie graue Augen mit einem dumpfen, aber durchdringenden Blick an, unter dem Jutta das Gefühl hatte, völlig unbekleidet da

Der Schnee lag schon sehr hoch und kam doch immer noch in solchen Mengen vom Himmel, daß die junge Frau hinter dem Steuer Mühe hatte, ihren Wagen voranzubringen. Die Scheibenwischer machten den Eindruck, als wären sie gerade dabei, den Kampf gegen die gewaltigen Schneemassen aufzugeben, und auch die Heizung des kleinen Autos schien es für sinnlos zu halten, ihre Kräfte bei dieser Kälte noch länger zu verschwenden.

Jutta Selbach wischte mit einem Tuch über die Scheiben, doch auch so konnte sie kaum erkennen, wo genau sie sich befand. Es war auch das erste Mal, daß sie diese Strecke fuhr, denn sonst, wenn sie ihre Schwester in England besucht hatte, war sie geflogen und direkt in London am Flughafen von Caroline und Edward abgeholt worden. Aber dieses Mal war sie mit der Autofähre von Hamburg nach Harwich gekommen und wurde von diesem schrecklichen Schneesturm überrascht, mit dem sicher auch hier niemand gerechnet hatte.

Die kleine zweispurige Landstraße lief hier durch eine waldreiche Gegend, und rechts und links vom Straßenrand war nirgendwo ein Licht zu erkennen. Es war stockfinster. Gerade hatte Jutta sich überlegt, daß sie von der nächsten Telefonzelle aus bei ihrer Schwester anrufen würde, da blieb der Wagen mit einem leisen, mutlosen Gurgeln stehen.

»Mist!« sagte sie zu sich selbst und wäre sehr froh gewesen, wenn sie jemand gehört hätte. Doch was nützte es? Sie war allein, und sie mußte sich auch allein helfen. Also nahm sie ihre dicke Lammfelljacke vom Rücksitz, griff nach der Taschenlampe, die sie immer im Auto liegen hatte, und stieg aus.

Da stand er, hatte einfach den Geist aufgegeben. Alle Versuche ihn an den Straßenrand zu schieben, mußte Jutta wegen des mittlerweile meterhohen Schnees aufgeben. Also schaltete sie nur die Warnblinkanlage an, nahm ihre Handtasche aus dem Auto und machte sich auf den Weg. Immer der Straße nach wollte sie gehen. Da sie schon eine ganze Weile durch keine Ortschaft mehr gekommen war, konnte es eigentlich nicht mehr lange dauern, bis sie die nächste erreichen würde.

Es war nur wirklich zu dumm, daß ausgerechnet jetzt, wo sie einmal ohne ihren Freund Hartmut unterwegs war, so eine dumme Panne passieren mußte.

Hartmut Fischer war Journalist in Hamburg und arbeitete dort in derselben Redaktion einer großen Illustrierten, in der auch Jutta als Sekretärin angestellt war. Sie hatten eigentlich zusammen hierher fahren wollen, doch kurzfristig war Hartmut mit einer sehr wichtigen Reportage beauftragt worden, die noch unbedingt vor Weihnachten abgeschlossen werden mußte. Er wollte aber in spätestens drei Tagen nachkommen.

Die ganze Gegend kam ihr zusehends ungemütlicher vor. Es war, als würde sie sich nicht mehr in England auf dem Weg zu dem Cottage ihrer Schwester befinden. Alles um sie herum war weiß, und die hohen Tannen warfen gespenstische Schatten auf den Schnee. Nirgendwo an der Straße war eine Laterne aufgestellt. Nichts außer dem unwirklichen blauen Mondlicht erhellte ihr den Weg.

Endlich erreichte sie eine Waldschneise, auf der ein kleines Haus stand, hinter dessen Fenstern auch tatsächlich Licht brannte.

Jutta atmete erleichtert auf. Hier würde sie sicherlich telefonieren können. Caroline und auch Hartmut zu Hause würden sich wahrscheinlich doch schon Sorgen machen.

Sie ging auf das Haus zu, das, je näher sie ihm kam, immer heller zu leuchten schien. Es war, als würde sie der Lichtschein anziehen. Es war ein kleines, aus dunkelroten Ziegelsteinen gebautes Haus mit einer einladend wirkenden weißen Eingangstür, an der ein Türklopfer in Form eines Ziegenkopfes hing. Der allerdings blickte alles andere als einladend aus merkwürdigen funkelndgrünen Glasaugen starr in Juttas Gesicht. Doch nichtsdestotrotz ergriff sie ihn und klopfte dreimal an die Tür.

Frierend und nun doch etwas unsicher wartete sie, wer ihr wohl öffnen würde. Ein Namensschild war nirgends zu entdecken gewesen, und auch Geräusche waren von drinnen nicht zu hören.

Doch dann ging die Tür auf – einen kleinen Spalt zwar nur, aber durch diesen konnte sie in das Gesicht einer älteren, etwa siebzigjährigen Frau sehen. Sie trug ein Kopftuch und war auch sonst wie eine alte Frau auf dem Lande vor etwa zwanzig Jahren gekleidet – schwarze, hochgeschlossene Bluse, schwarzer, wadenlanger Rock und schwarze Schürze.

»Was um alles in der Welt treibt Sie denn bei dem schrecklichen Wetter noch hier in diese Gegend?« Ihre Stimme hatte einen rauhen Klang und einen starken ländlichen Akzent, war aber nicht unfreundlich.

»Ach, entschuldigen Sie bitte, mein Name ist Jutta Selbach. Ich bin ja so froh, daß ich überhaupt jemanden angetroffen habe. Ich dachte schon, ich wäre in einer Einöde gelandet. Mein Auto ist mir an der Landstraße stehengeblieben, und ich müßte dringend einmal telefonieren. Wissen Sie, meine Familie macht sich bestimmt schon Sorgen um mich.«

»Kommen Sie doch bitte herein. Selbstverständlich können Sie bei uns telefonieren.« Die Frau öffnete die Tür ganz, so daß Jutta eintreten konnte.

»Es ist ja auch wirklich furchtbar ungemütlich dort draußen. Seien Sie nur froh, daß Sie den Weg zu uns gefunden haben.« Jutta blickte sich in dem Haus um. Es war sehr karg ausgestattet. Dadurch und durch die Unordnung, die schon auf den ersten Blick überall zu erkennen war, wirkte es nicht besonders einladend. Und es war kalt. Sehr kalt sogar, und sie fragte sich, wie die Frau es in ihrer einfachen Baumwollbluse in der Kälte aushalten konnte.

»Gehen Sie nur ganz bis nach hinten durch, dort steht das Telefon.« Die Worte der Frau, die sich als Mary Cummings vorstellte, rissen Jutta aus ihren Gedanken. Sie ging den langen, mit einfachen Steinplatten ausgelegten Flur entlang und sah auch schon das Telefon, das an der Wand hing.

»Das ist sehr nett von Ihnen, daß ich hier telefonieren darf. Sie glauben gar nicht, wie man sich fühlt, wenn einem so einfach in einer wildfremden Gegend der Wagen schlappmacht.

Jutta hatte sich umgedreht, um mit Mary Cummings zu reden, aber diese war nicht mehr zu sehen. Sie hatte sich geradezu lautlos entfernt.

Um so besser, dachte Jutta, da kann ich wenigstens in aller Ruhe mit Caroline sprechen.

Jutta griff nach dem Hörer und hielt ihn mit ein wenig Abstand an ihr Ohr. Doch kein Freizeichen ertönte. Sie wunderte sich zwar, wählte aber trotzdem, doch es kam keine Verbindung zustande.

»O nein. Das ist ja wirklich zu dumm. Jetzt habe ich hier ein Telefon mitten in der Wallachei gefunden, und das tut es nicht einmal.« Sie gab allerdings nicht auf und versuchte es noch ein zweites Mal, diesmal mit Hartmuts Nummer in Hamburg. Wieder nichts.

»Ist etwas nicht in Ordnung, meine Liebe?« Die kleine schwarzgekleidete Frau war schon wieder wie aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht.

»Leider, Mrs. Cummings. Das Telefon funktioniert nicht.«

»Ach, du meine Güte! Das tut mir aber leid. Es liegt sicher am Wetter. Das hält ja der stärkste Telefonmast nicht aus. Ich erinnere mich, daß wir so etwas schon einmal hatten, vor etwa sechs Jahren. Da war auch in der ganzen Gegend keine Leitung mehr heil.« Sie hatte den Hörer auch noch einmal an ihr Ohr gehalten, nickte aber nur bedauernd und legte wieder auf.

»Aber was soll ich nur machen? Meine Familie sorgt sich wahrscheinlich schon um mich. Meinen Sie, daß ich woanders eine Chance hätte zu telefonieren?

Ein freundliches, wenn auch etwas seltsames Lächeln war die Antwort.

»Liebes Kind, sie kennen sich nicht aus in der Gegend. Wir sind das einzige Haus im Umkreis von fünfzehn Kilometern. Sie hatten Glück, daß Sie hierhergekommen sind. Sonst gibt es wirklich und wahrhaftig keine Möglichkeit zum Telefonieren.«

Sie schien Juttas Unsicherheit und Enttäuschung zu bemerken und sagte:

»Wissen Sie was, Sie kommen jetzt erst einmal mit mir in die Küche und trinken eine Tasse heißen Kaffee. Dann versuchen wir es später noch einmal, vielleicht ist der Schaden an der Leitung dann behoben.«

Eigentlich war das Jutta gar nicht recht, aber sie fühlte sich schon auf die Küchentür zugeschoben und betrat dann auch den kalten, bis zur Hälfte der Wandhöhe gekachelten Raum, in dessen Mitte ein aus grobem Kiefernholz gezimmerter Tisch mit vier Stühlen stand.

»Setzen Sie sich doch, meine Liebe. Ich mache uns schnell den Kaffee.«

Jutta nahm etwas widerwillig auf einem der Stühle Platz, vermied es jedoch, den Tisch in irgendeiner Weise mit den Händen zu berühren. Er sah aus, als wäre er monatelang nicht abgewischt worden, und auch auf dem Boden lagen überall verstreut Krümel und Reste von Küchenabfällen, die der hoffnungslos überladene Abfalleimer beim besten Willen nicht mehr hatte aufnehmen können. Wie war es möglich, daß eine Frau wie Mary Cummings, die doch einigermaßen ordentlich aussah, in derartigem Schmutz leben konnte?

»So, das Wasser kocht schon, jetzt kann’s gleich losgehen. Wir werden uns doch von so einer dummen Telefonleitung nicht den Appetit verderben lassen.« Und sie goß das Wasser durch den Filter in die Kanne und goß immer weiter nach, bis es zuviel war und der überlaufende, brühheiße Kaffee auf ihre Hand tropfte.

Erschreckt darüber sprang Jutta auf, um ihr zu helfen. Doch die Alte zeigte keinerlei Reaktion, so als wäre ihre Hand völlig gefühllos. Erstaunt und verwirrt setzte Jutta sich wieder. Sie brachte kein Wort über die Lippen.

»Jetzt trinken Sie erst einmal, dann geht es Ihnen sicher gleich besser«, sagte Mrs. Cummings, als sie den Kaffee in einen schmierigen Becher eingoß, den sie zwar kurz unter fließendes Wasser gehalten hatte, was seinen Zustand aber auch nicht gebessert hatte.

»Warten Sie, hier müssen auch noch irgendwo ein paar Kekse sein. Ach ja, hier habe ich sie«, und sie zog ihre Beute unten aus einem alten Küchenschrank, dessen Türen nicht mehr richtig schlossen.

»Greifen Sie nur zu. Meine Güte, sie sind ja ganz blaß. Ist Ihnen nicht gut? Sie werden sich doch nicht erkältet haben da draußen?«

»O nein, es ist schon in Ordnung«, beeilte sich Jutta zu sagen, vor lauter Angst, daß sie vielleicht noch andere Sachen würde serviert bekommen von dieser merkwürdigen alten Frau.

»Ich mache mir nur halt Gedanken, wie und wann ich meine Schwester benachrichtigen kann. Die wissen doch gar nicht, wo ich bin, und bei dem Wetter könnte mir ja sonstwas passiert sein.« Sie hatte ihre Hände um den heißen Becher gelegt, um sich daran zu wärmen, traute sich aber nicht, ihn an die Lippen zu setzen. Auch die Kekse mochte sie nicht essen.

»Darf ich es vielleicht noch einmal versuchen?« Der Kloß in ihrem Hals machte sich wieder bemerkbar. Sie wäre jetzt eigentlich lieber wieder gegangen. Das alles hier war nicht gerade dazu angetan, sich heimisch zu fühlen. Aber leider sah es so aus, als wäre sie auf diese Frau und ihr Telefon angewiesen – wenn es stimmte, was sie gesagt hatte, und es wirklich kein anderes Haus in der Nähe gab.

»Ähm…, ja, natürlich, gehen Sie nur – gehen Sie nur. Sie wissen ja, wo es steht. Ich wünsche Ihnen noch viel Glück. Schmeckt Ihnen der Kaffee nicht?«

Doch Jutta antwortete einfach nicht. Sie tat so, als hätte sie es gar nicht mehr gehört, und ging wieder in die hintere Ecke des Flures zum Telefon.

Sie nahm den Hörer ab, hielt ihn an ihr Ohr, wählte, obwohl die Leitung wieder tot war, wäre fast in Tränen ausgebrochen. Aber es nützte nichts. Es kam einfach keine Verbindung zustande. Sie war ratlos.

»Na, meine Liebe, hat es dieses Mal geklappt?«

Erschrocken fuhr Jutta herum. Sie hatte einmal mehr nicht gehört, wie sich die alte Frau ihr genähert hatte. Aber jetzt stand sie ganz dicht neben ihr und sah sie mit einem durchdringenden Blick an. Aber dahinter war wieder dieses Lächeln, ganz so, als hätte sie schon damit gerechnet, daß auch dieser Versuch Juttas erfolglos geblieben war.

»Sie dürfen nicht verzagen, mein Kind. Ich sagte Ihnen ja bereits, daß es wegen des Wetters Schwierigkeiten geben würde.«

Jutta wich einen Schritt zurück. Irgendwie war ihr nicht wohl in der Nähe dieser Mary Cummings. Sie hatte etwas an sich, das ihr noch nie bei einem anderen Menschen aufgefallen war. Aber sie konnte nicht sagen, was es war.

»Ach, wissen Sie, ich bin im Moment etwas ratlos. Ich denke, es wäre vielleicht doch besser, wenn ich mich wieder auf den Weg machte, um woanders ein Telefon zu finden. Oder vielleicht treffe ich an der Landstraße auf jemanden, der mich mitnimmt.« Sie griff nach ihrer Handtasche und wollte sich wieder zur Haustür begeben, als die Alte sehr schnell sagte:

»Aber nicht doch, meine Liebe. Das hat doch gar keinen Sinn, wenn Sie jetzt wieder hinaus in dieses scheußliche Unwetter gehen. Wissen Sie was, ich habe da eine wunderbare Idee.«

Erstaunt und fragend blickte Jutta sie an.

»Sie bleiben heute nacht einfach hier, und morgen früh, wenn das Wetter sich wieder beruhigt hat, telefonieren Sie noch einmal. Und Sie werden sehen, dann klappt es.«

»Aber…«

»Kein Aber, meine Liebe. Sie bleiben hier. Wir haben oben noch ein schönes, kleines Zimmerchen für Sie, da können Sie die Nacht warm und trocken verbringen. Sie sind doch sicher müde, oder nicht?«

Jutta fiel erst jetzt auf, daß sie noch immer ihre Handtasche in der Hand hielt und vor der Haustür stand, durch die ein kalter Wind an ihre Beine zog. Durch ein kleines Fenster neben dem Eingang konnte man hinaussehen, und sie sah, wie dicke Schneeflocken im Schein der kleinen Haustürlampe unablässig vom Himmel fielen. Und sie war müde und fror. Warum sollte sie dort draußen allein in der Dunkelheit durch den hohen Schnee stapfen?

»Vielleicht haben Sie recht. Ich will Ihnen natürlich keine Unannehmlichkeiten bereiten.«

»Aber das tun Sie ganz und gar nicht. Ich freue mich doch, wenn ich Ihnen helfen kann. Kommen Sie nur mit, ich zeige Ihnen das Gästezimmer.« Und sie ging voraus, die dunkle, knarrende Holztreppe hinauf.

Jutta folgte ihr und rümpfte die Nase. Ein muffiger Geruch schlug ihr von oben entgegen. Es roch nach ungelüfteten Schlafräumen und unsauberen Menschen. Aber was nützte es. Nun war sie schon einmal bereit, hier zu bleiben, da mußte sie es auch durchstehen.

Mary Cummings blieb vor einer grauen Holztür stehen, von der schon reichlich Farbe abgeblättert war. Sie drehte den Schlüssel im Schloß herum und öffnete.

»So, es ist einfach, aber zum Schlafen wird es sicher reichen. Es ist ja auch nur für eine Nacht, nicht wahr.«

Jutta konnte mit Mühe nicken. Sagen mochte sie zu dem, was sie sah, nichts. Das Zimmer, das sich ihren Blicken darbot, war so spärlich möbliert wie eine Gefängniszelle. Nur nicht so sauber und ordentlich. Gott sei Dank war es zumindest eine Spur wärmer als unten, denn hier oben ging der Kamin vorbei und schien ein wenig Wärme in den Raum abzustrahlen.

»Na, ich bin sicher, Sie werden schon zurechtkommen. Die Toilette ist unten, hier oben ist nur ein Waschbecken dort in der Nische. Wenn Sie sich vielleicht ein wenig frischmachen wollen? Ich gehe dann schon mal nach unten und mache uns etwas zu essen.«

Jutta war froh, einen Moment allein sein zu können.

»O ja, ich würde mir gern wenigstens die Hände waschen. Ich komme dann auch gleich runter.«

Die Alte bewegte sich wieder die Treppe hinunter, doch seltsam – es war nicht das mindeste Knarren zu hören.

Vielleicht bin ich so schwer, daß es nur bei mir knarrt, dachte Jutta, wunderte sich aber dennoch. Es war schon seltsam, was man für merkwürdige Menschen kennenlernte, wenn man nur einmal mit dem Auto eine Panne hatte.

*

Als sie nach unten kam, roch es wider Erwarten gut. Das lag daran, daß Mary Cummings zum Kochen immer viele Kräuter verwendete. Sie hatte zwar nur eine heiße Brühe gemacht und bot Jutta dazu eine Scheibe altes Brot an, diese war aber froh, überhaupt etwas Eßbares zu bekommen. Die Brühe war auch genau das Richtige bei der Kälte, sie sättigte zwar nicht so richtig, dafür durchströmte Jutta aber, kaum daß sie sie ausgetrunken hatte, eine wohlige Wärme.

»Das duftet sehr gut nach Kräutern hier. Und die Brühe schmeckt auch danach. Was ist das, was Sie da hineingetan haben?«

Die Alte sah sie wieder mit diesem seltsamen Blick an, so daß es Jutta auf der Stelle unbehaglich wurde. Die Wirkung der heißen Brühe war verflogen, sie fröstelte wieder.

»Die Kräuter…, tja, mein Kind, die Kräuter sind mein Leben. Ich habe nie etwas anderes getan als Kräuter zu sammeln und zu verarbeiten. Zu den unterschiedlichsten Dingen habe ich sie gemacht. Und auch gebraucht. Ich kann damit heilen und lindern aber auch das Gegenteil bewirken. Je nachdem, was man will. Oder besser gesagt – was ich will.«

Jutta schauderte. War dies vielleicht eine Hexe? Dummes Zeug! Sie war nicht Hänsel oder Grete!, und dies war auch ganz und gar kein Knusperhäuschen. Sie befand sich im zwanzigsten Jahrhundert, hatte hier in England eine Autopanne gehabt und war durch Zufall in das Haus dieser netten, etwas schrulligen alten Dame gekommen. Also – alles ganz normal.