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10 Mio Jahre sind in der Geschichte der Erde nur ein kurzes Augenzwinkern, das ausgereichte, im hohen Norden eine Insel namens Island zu erschaffen. Brodelnd heiße Quellen, von hartem, braunen Gestein zerklüftete Felsen und kochende Vulkane üben einen unerklärlichen Reiz auf Adele aus und so beschließt sie kurzentschlossen, ein neues Abenteuer zu wagen. Ausgerüstet mit einem Jeep, GPS und einen dickbäuchigen, sprechenden Kater im Handgepäck. Die Erkenntnis, dass sie den Kater lieber zu Hause gelassen hätte, kommt zu spät. Auf ihrer Flucht vor dem beleidigten Leiter des Isländischen Meteorologischen Instituts jagen sie in rasanten Tempo durch ein wahrhaft märchenhaftes Land.
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Seitenzahl: 213
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Für Reisende ab 10 Jahren
von Marlene Lytke
Inhaltsverzeichnis
Was bisher geschah
Kapitel: Auf dem Golfplatz
Kapitel: Abseits der Ringstraße
Kapitel: Gefangen
Kapitel: Abseits der Ringstraße
Kapitel: Reykjavik 1
Kapitel: Entfesselt
Kapitel: Reykjavik 2
Kapitel: Flucht
Kapitel: Flucht 2
Kapitel: Aftartunga
Kapitel: Alles andere als eine Versöhnung
Epilog
Die Ereignisse, die sich in Albern am Buckel abgespielt hatten, lagen nun schon ein paar Monate hinter Adele und ihren 4 Katzen. Adele saß gelangweilt in einer kleinen Holzhütte, die unweit eines kleinen Kiefernwaldes am Rande von Novosibirsk stand. Sie blätterte in wochenalten Zeitschriften und betrachtete die Hochglanzfotos des Stadtparks von Albern am Buckel.
Der Park, den Adele mit Hilfe ihrer 4 Katzen, ihrer russischen Tante Olga und deren ewig schlechtgelaunten Kater Duma Dumaschewsi in Albern am Buckel angelegt hatte, war fertig gestellt. Wunderschön war der Park geworden, elegant schlängelten sich rotgepflasterte Wege unter Alleen prächtiger Bäume. In ein paar Jahren würde sich niemand mehr daran erinnern, dass eine Zaubergärtnerin es in nur 3 Nächten geschafft hatte, das Bauprojekt des Bürgermeisters zu stoppen und so der kleinen Stadt in Deutschland den wundervollen Stadtpark zu erhalten.
Adele seufzte, während Minzer neben ihr auf der Ofenbank lag. „Fett bist du geworden“, sagte sie und streichelte sein blaues Fell. „Zu wenig los in Novosibirsk, was?“ Minzer döste ungerührt und ohne Antwort zu geben. Sie blätterte weiter und warf die Zeitschrift dann traurig zu Boden. Auf dem Küchentisch lag der getigerte Kater Minx Munx und starrte auf Tante Olgas Hände, die eine Masse aus klebrigem Teig kneteten. „Was los, Adelschiki?“, fragte Tante Olga und leckte sich dabei den Teig von den dicken Fingern. Dabei fiel ein Stück des Teigs auf den Boden und der sonst so schüchterne Kater Minx Munx sprang sofort hinterher, um die süße Speise aufzulecken.
„Was soll schon los sein?“, erwiderte Adele müde. „Mir ist langweilig.“ Sie machte eine Pause und konnte eine Träne nur mühsam unterdrücken. „Ich will nach Hause“, klagte sie leise, kaum hörbar. „Mir fehlt mein zu Hause. Ich will nach Albern am Buckel, in mein schönes kleines schmales Haus. Hätte ich doch nur nie diesen dummen Park gebaut!“ Wütend erhob sie sich.
„Adelschiki, jammere nicht! Ich rede mit Onkel Igor. Vielleicht kannst du noch etwas für ihn bauen. Seit du Garten für ihn scheen gemacht hast, is er sehr glücklich unn außerdem, du bist jetzt reiche Frau!“ „Tante Olga, Geld nützt mir nichts, wenn ich nicht dahin kann, wo ich am liebsten wäre.“ „Kind, ja snaju, ich weiß, aber du machen kannst gar nix. Denk doch mal nach. Du hast Geld wie Heu, kannst überall hingehen, wo du willst!“ Rastlos lief Adele in der kleinen Küche auf und ab. „Hier, iss erst mal was!“, versuchte Tante Olga ihre Nichte zu trösten und schob ihr eine heiße Pirogge hin. Noch ehe Adele zufassen konnte, hatte sich bereits Minx Munx auf die Pirogge gestürzt. Gierig schlang er und erwartungsgemäß verbrannte er sich das Maul dabei. Er sprang entsetzt davon. „Verfressen sind deine Katzen“, meckerte Tante Olga. „Fressen einem die Haar von Kopf. Warte ich gebe dir eine neue Pirogge.“
„Olga!“, Adele brüllte fast. „Ich will keine Pirogge! Ich will auch keine Bortsch oder irgendwas anderes aus roter Bete. Auch keine Lammkottelets oder heißen Tee! Mir ist der Appetit vergangen. Ständig soll ich essen. Das nervt.“
Mit einem heftigen Ruck trat Adele vor einen Hocker, der mit lautem Krachen umfiel. Olga stemmte die Hände in ihre üppigen Hüften. „Kind, jetzt is aber genug! Du musst weg hier, mach Reise, das hilft!“ Einen Handgriff später hatte Tante Olga ein dickes, großes Buch in der Hand und warf es Adele zu. „Atlas!“, sagte sie bestimmt. „Such dir aus, wo du hinwillst, los! Welt is groß.“
Adele stand ratlos um sich blickend auf dem 17. Loches des Golfplatzes von Vestamanneyjar, der südlichsten Insel Islands. Sie versuchte ihren Golfball zu finden, den sie einige Minuten zuvor quer über den Platz geschossen hatte. Offenbar war dieses Vorhaben schief gegangen, denn der kleine, weiße Golfball war nirgends zu sehen. Geduldig suchte Adele zwischen den dunklen Felsspalten des Lavagesteins.
Jemand räusperte sich hinter ihr. „Na, hast du´s endlich geschafft, mich einzuholen?“, fragte Adele mit einem knappen Seitenblick auf die am Boden schleifende Wampe ihres korpulenten Katers, der auf den Namen Minzer hörte und sprechen konnte. „Sehr witzig. HA! HA!“, erwiderte Minzer und legte sich ohne ein weiteres Wort quer auf den Rasen der Abschlagfläche des 17. Loches, um sich auszuruhen. „Hast du mal nach unten gesehen?“, fragte er betont lässig. Adele´ s Blick wanderte über den Rand des Golfplatzes, doch da war nichts, außer schwarze Felsen und strahlend blauer Himmel. Mit vorsichtigen Schritten tastete sie sich über die scharfkantigen Steine bis zum Rand der Steilküste. Meterhohe Wellen tobten tosend gegen den Fels. Sie blickte hinab in den schwindelerregenden Abgrund und zog sich hastig zurück. „Nun weißt du, wo dein Golfball ist!“, sagte Minzer gähnend und ein wenig schadenfroh.
„Und 1000 andere Golfbälle auch“, lächelte er im Stillen, während er liegend die selten so warmen isländischen Sonnenstrahlen genoss. „Was musste es auch Island sein“, dachte er träge.
Überall hätten sie hinfahren können. Die Welt stand ihnen offen, nachdem Adele von Tante Olga´ s Freund Igor Igorowitsch aus Novosibirsk für die Verschönerung seines riesigen Gartens ein hübsches Sümmchen in Dollar bekommen hatte. Igor war in den langen Monaten in Novosibirsk ein guter Freund geworden und tat praktisch alles für Adele; hatte sie es doch geschafft, dass in seinen Gewächshäusern nun Orangen- und Zitronenbäume wuchsen. Seinen Garten zierte ein Olivenbaum, der auf Grund des kalten sibirischen Klimas mit einer Fußbodenheizung ausgestattet worden war. Igor besaß dank Adele nun den schönsten Garten Sibiriens, und mit dem vielen Geld von Igor hätten er und Adele beispielsweise nach Brasilien fahren können, zur Fußball WM.
Mehr als alles auf der Welt liebte Minzer Fußball und träumte vom Finalspiel, das er sich schlussendlich im Fernsehen hatte ansehen müssen. Sehnsüchtig zuckten bei dem schönen brasilianischen Tagtraum seine Pfoten im Halbschlaf. Er summte kaum hörbar die Melodie zum WM-Song „Atemlos durch die Nacht.“ „Kanada wäre auch schön gewesen“, träumte er weiter. „Mal so eine kanadische Luchsfrau kennenlernen und gemeinsam einen Schneeschuhhasen verspeisen, ja, das wäre wirklich schön gewesen.“ Ein wohliges Wabern wanderte durch Minzer´ s Körper, seine Beine zuckten dabei im Halbschlaf.
Minzer war durch seine Studien überzeugt davon, dass die kanadische Luchsfrau ihm eine gute Gefährtin gewesen wäre. Das Gewicht der Luchsfrau stimmte jedenfalls; er hatte, genau wie eine Luchsfrau, gut 12 kg auf den Rippen.
Minzer übersah dabei geflissentlich, dass ein kanadischer Luchs das doppelte seiner Größe Maß, denn er war einfach nur eine europäische Hauskatze. Allerdings eine blaue europäische Hauskatze, wie man neidlos zugestehen musste und damit sehr selten. „Nein!“, dachte Minzer und schüttelte sich angewidert, während er erwachte. Es hatte dieses triste, ungemütliche Island sein müssen. Eine Insel südlich des Nordpolarkreises, auf der es nichts gab, außer schwarzbraune, qualmende Gebirge und wollige, blökende Schafe nebst Schafkacke.
Dazwischen weites, dunkles Land und Islandpferde samt Islandpferdkacke.
Unendliche Lavafelder, rauchend-blubbernde Schlammlöcher und wieder Schafe, die am kargen Gewächs zwischen den Steinen grasten.
Ein Land durchzogen von holprigen, unpassierbaren Feldwegen.
„Na gut“, dachte Minzer zu Islands Ehrenrettung. „Jedes Dorf hat hier ein Schwimmbad. Aber was interessiert das mich, wo ich Wasser überhaupt nicht leiden kann?“ Er schüttelte sich erneut. „Und überhaupt“, führte er sein inneres Zwiegespräch fort. „Die haben hier in Island nur eine einzige richtige Stadt!“
Die Stadt, die Minzer im Sinn hatte, ist Reykjavik, die Hauptstadt Islands und ein Besuch dort würde Minzer sicherlich nicht erspart bleiben. Adele wollte das ganze Land bereisen. Minzer war nicht glücklich bei diesem Gedanken, sehnte er sich doch zurück nach Albern am Buckel, dahin, wo sie einst ein schönes Haus mitten in der Stadt ihr Eigen genannt und ein glückliches, zufriedenes Leben geführt hatten. Bis Adele sich einbildete, den Rathausplatz in einem Park umbauen zu wollen, obwohl dort gerade ein Einkaufszentrum errichtet werden sollte. Weltweit stand das Ereignis in den Zeitungen. „Hexerei am Rathausplatz“, hatte es geheißen und „War da Zauberei im Spiel?“ Adele und ihre Helfer bekamen weltweit Publicity und sie hatten es nicht einmal genießen können!
Jäh wurde Minzer aus seinen Gedanken gerissen. Er schreckte hoch und machte einen Buckel nach Katzenart. Vor ihm stand hocherhoben ein Herr in graubraun-karierten Knickebockerhosen. Er trug eine gleichfalls karierte Weste und darüber eine rote Stickjacke mit weißem Kragen.
Der Kopf des Mannes lugte lustig unter einem Käppi hervor.
„Mach dich weg, dickes Vieh!“, meckerte der feine Herr in seiner Heimatsprache isländisch.
Minzer, der wie man weiß, Sprachen sehr schnell und flüssig erlernt, hatte auch isländisch längst für sich entdeckt und hielt es für unhöflich, zu schweigen.
„Sig þykkur naut!“ Mit diesen Worten erhob sich Minzer gemächlich und dem Herrn in der Kniebundhose blieb der Mund noch etwas länger offen stehen.
Noch nie hatte eine Katze >Selber dickes Vieh< zu ihm gesagt. Der Herr sah an sich hinunter und betrachtete seinen Körper.
„Ich bin doch gar nicht dick“, stammelte er verlegen und verfolgte mit seinem Blick den Weg des langsam auf den gepflegten Wegen des Golfplatzes davon schlendernden Katers….
Sigurd Lasse Sigurdson, der Mann in den Knickerbockers, spielte gern Golf und war darüber hinaus Leiter des Meteorologischen Instituts von Island. Heute war sein freier Tag und den wollte er sich nicht von einer vorlauten Katze verderben lassen.
Nach dem Zusammentreffen mit der Katze spielte er deshalb zunächst unbeirrt weiter. Er setzte zum Abschlagen des Golfballs an. Stehend und nach vorne gebeugt, hielt er dann doch jäh inne und schüttelte verwundert den Kopf. Seine hübsche Golfer-Mütze fiel hinunter und landete neben dem Golfschläger.
„Was war denn jetzt BITTE SCHÖN das?“, fragte er laut in den Wind, verlor die Kontrolle über seinen Abschlag und verfehlte die Richtung, so dass der Golfball mit einem nicht hörbaren Platsch im Atlantik landete.
Wütenden Schrittes folgte er entschlossen dem Kater, der es nicht eilig zu haben schien. Der Kater lief hinter einer jungen Dame in einer blauen Hose und einer gelben Jacke her, deren blondes Haar steil im Wind stand. Diese stand reglos am letzten Loch des Golfplatzes und war offenbar hoch konzentriert.
Keine 5 Minuten später hatte Sigurd Lasse Sigurdson zeitgleich mit dem Kater die junge Frau erreicht. „Guten Tag“, sagte der Herr auf Englisch, hatte er doch sofort erkannt, dass die junge Frau keine Einheimische sein konnte.
Adele antwortete höflich und wünschte das Gleiche. „Schönen guten Tag!“ Fröhlich blickte sie den Herrn an, der seine schlechte Laune nicht ganz hinter der aufgesetzten Freundlichkeit verstecken konnte.
„Ist das ihre Katze?“ Der Blick des Mannes schweifte zu Minzer, der ein wenig verlegen nicht weit von Beiden lag und gespannt in ein Loch starrte. Minzer versuchte, sich wie eine normale Katze zu benehmen, das war offensichtlich für Adele. Der Kater täuschte Mäusefang vor.
„Katze?“, Adele´ s Blick schweifte scheinbar suchend über den Golfplatz, fand Minzer und antwortete: „Nein, ich nehme doch keine Katze mit auf den Golfplatz!“
„Aha“, der Mann drehte sich abrupt um und erreichte innerhalb weniger Sekunden Minzer, bückte sich und wollte den Kater ergreifen. „Keine Marke!“, brüllte er wütend. Seine Hand hing jetzt nur noch wenige Zentimeter über Minzer´ s Nacken, schwebte quasi über ihm und war kurz davor, zuzugreifen, als Minzer mit einem beleidigtem „Miau“ aufsprang und schneller als man es ihm zugetraut hätte, davonlief.
Adele verkniff sich ein Lächeln, als sie dem Mann hinter her blickte, der mit stampfenden Schritten versuchte, den Kater zu fangen. „Das wird dir nicht gelingen“, dachte Adele vergnügt. Sie schulterte den Golfschläger und machte sich geraden Schrittes in entgegengesetzter Richtung davon.
Minzer würde sie bei der „Hexe“ treffen, einer alten Damen, die sehr hässliche, aber trotzdem gemütliche Zimmer auf Vestamannayjar vermietete und bei der sie die letzten Nächte verbracht hatten. Die Hexe war nicht nur Besitzerin einer kleinen Pension, nein, sie kochte auch für ihre Gäste Spiegeleier auf den noch glimmenden Resten eines kleinen Vulkans namens Helgafell. Adele hatte keine Zweifel, das Minzer den Knickebockerhosenmann abhängen würde.
Womit sie recht hatte, denn Sigurd Lasse Sigurdson gab seine Jagd auf den Kater am Fuße des Eldfell auf, einem Zwillingsvulkan, direkt gegenüber dem Helgafell gelegen.
Der Vulkan Eldfell entstand im Jahr 1973 durch 6 Monate andauernde, heftige Erdbeben. Die Insel Vestamannejyar wuchs durch die ausbrechende Lava einige Quadratkilometer und das Örtchen Heimaey wurde stark zerstört. Viele Menschen verließen die Insel, auf der nun wieder beinahe 4000 Menschen leben. Wie durch ein Wunder überlebten alle Bewohner der Insel und konnten mit Schiffen gerettet werden – bis auf einen.
Das ist eine aber andere Geschichte.
Vor dem Herrn vom Golfplatz flüchtend, kletterte Minzer auf den Rest des halbrunden Vulkans und blickte von oben hinab in den Krater. Die Umgebung war schwarz und braun von Lavagestein und der Verfolger farblich kaum von seiner Umgebung zu unterscheiden. Nur seine rote Jacke leuchtete fröhlich. Keuchend hatte der Mann die Hälfte des Eldfells erklommen, war dann auf dem lockeren Schotterboden hingefallen und 80 Meter auf seinem Hosenboden nach unten gerutscht.
Jetzt saß er dort und versuchte, den schwarzen Staub von seiner Jacke zu wischen und die Schürfwunden an den Waden mit einem Taschentuch zu verbinden. Selten in seinem Leben war Sigurd Lasse Sigurdson so wütend gewesen. Nicht einmal, als die Hälfte seines Vermögens von der großen isländischen Bankenkrise im Jahr 2008 dahingerafft worden war. Nicht einmal deswegen hatte er so eine blinde Wut verspürt. Damals teilten viele Menschen in Island sein Schicksal. Nicht nur der Staat war zahlungsunfähig geworden, auch die Hälfte der Bevölkerung verlor einen Teil der Ersparnisse.
Sigurd Lasse jedenfalls konnte damit Leben, Geld zu verlieren.
Was er aber überhaupt nicht verkraften konnte - und das war ihm verschmutzt und gedemütigt soeben klar geworden - das waren Katzen. Er hasste Katzen. Jede Art von Katzen. Sein ganzes Leben lang hatte er Katzen nicht gemocht, nicht einmal als Kind.
Katzen waren nicht niedlich, weich und kuschelig.
Nein, Katzen waren überheblich und niederträchtig.
Ihr Fell war übersät von Ungeziefer.
Sein Verstand lehnte es ab zu glauben, dass blaue, dummes Zeug redende Katzen überhaupt existieren konnten.
Mühselig erhob er sich. „Es gibt keine sprechenden Katzen!“, sprach er laut in den Wind. „Und es gibt schon gar keine blauen Katzen!“
Sein Blick wanderte nach oben zum Kegel des halben Vulkans, der sich ca. 200 m über ihm erhob. Dort oben machten seine Augen einen kleinen, blauen Fleck ausfindig. Dieser schien dort abzuwarten und in seine Richtung zu blicken. Doch dann verschwand der blaue Fleck und Sigurd Lasse Sigurdson wischte sich über die Augen.
Der Aschestaub brannte entsetzlich und Sigurd verlor erneut das Gleichgewicht, stolperte und rutschte so noch die letzten Meter auf dem Boden seiner neuen Golfhose bis zum Fuß des Vulkans hinab. Kaum sah sich Sigurd Lasse Sigurdson wieder auf seinen 2 Beinen, schwor er, dass irgendjemand dafür würde Büsen müssen.
Im besten Fall eine blaue, sprechende Katze. Im schlimmsten Fall irgendwer anders. Aber Rache, da war er sich sicher, Rache war Blutwurst!
Klettern gehört nicht zu den glänzendsten Fähigkeiten Minzer´ s, und so erging es dem Kater auf der anderen Seite des halben Vulkans kaum besser.
Oben auf dem Kraterrand pfiff der Wind mit einer Wucht, dass es den stärksten Kater umhaute. Minzer tänzelte und versuchte, im Sturm sein Gleichgewicht zu halten. Er konnte die Aussicht auf den stahlblauen Atlantik, der hunderte Meter unterhalb des Vulkans und der Küste tobte, nicht genießen. Bei jedem Schritt flog er mehr, als das er lief, denn der Wind war kräftig. Minzer blieb auf seiner Flucht aber einzig der Weg über den Kamm des Vulkans, denn auf der anderen Seite befand sich der Knickerbockermann und unter ihm der Krater des Vulkans.
Aus dem Krater war vor gerade einmal 42 Jahren die Lava ausgebrochen und Minzer hatte Angst, sich zu verbrennen. Der Krater konnte immer noch heiß sein, auch wenn es nicht danach aussah und Minzer war nicht gewillt, sich zu verbrennen.
Also quälte er sich mühsam und mit kleinen Schritten am oberen Rand des Vulkans entlang, wurde von einer Windböe erfasst und kullerte nun selbst und diesmal ohne Schadenfreude, wie ein Ball den Berg hinunter Richtung Ozean. Nackte Angst erfasste den Kater, kam das tobende Meer doch immer näher. Eine Lavabombe von der Größe eines Fußballes beendete seinen freien Fall und verhinderte das Schlimmste, sorgte aber für ein paar blaue Flecken und Schmerzen in der Hüfte.
„Von wegen Katzen können nicht fallen“, dachte er, rüttelte sich zu Recht und sah sich um. Er wunderte sich, denn da, wo eben noch der Atlantik gewesen war, befand sich jetzt himmelblauer Horizont.
Vor ihm richtete sich hocherhoben der Vulkan Eldfell zu majestätischer Größe auf. Minzer beschloss, ein wenig zu ruhen, war er sich doch noch nicht sicher, was nun als Nächstes zu tun war. Nachdem er sich besonnen die Pfoten geleckt hatte, beschloss er, seinen Weg fortsetzen.
Er kam nicht weit. Eine kräftige Windböe erfasste ihn und er kullerte noch einige Meter hinab, blieb an einem Felsen hängen und jetzt wusste er, warum er den Atlantik nicht mehr hatte sehen können. Das lag an der Steilküste, an deren obersten Rand er, allein gehalten von einem kleinen Felsvorsprung, festhing wie ein Papageientaucher.
Papageientaucher werden die berühmtesten Vögel Islands genannt, nur haben diesen den Vorteil, fliegen zu können.
Minzer, der vornehme, deutsche Hauskater, brüllte laut und auf Deutsch: „Scheibenkleister!“ Er duckte sich so gut er konnte an den Rand des Felsens. Bis nach unten zum tobenden Ozean blieben schätzungsweise 100 m freier Fall. „Dafür reichen meine 7 Leben im Leben nicht“, dachte Minzer besorgt. Hinter den Felsen begann die Sonne, sich in den Horizont zurückzuziehen. „Noch eine Stunde“, überlegte Minzer deprimiert, „dann wird es dunkel sein.“
Ein tonloses „Miau“ verzauberte den schönen Abend, doch niemand konnte es hören.
Adele hielt nach ihrer Ankunft in der Pension zunächst ein Schwätzchen mit der Hexe. Dann begann sie, in der kleinen Küche der Gästewohnungen, ein Abendbrot für sich und Minzer anzurichten. Krebsschwänzchen, mariniert in Sahnesoße, dazu gegrillte Garnelen mit Knoblauch für sich selbst und ohne Knoblauch für ihren frechen Kater. Sie bereitete auch einen Salat aus Kartoffeln, mit einer großen Portion Vorfreude gemischt. Dabei wurde ihr Hunger immer größer, doch als die Dämmerung hereinbrach, begann sie, sich Sorgen um ihren nichtsnutzigen Kater zu machen.
„Wo steckt Minzer denn bloß?“, dachte Adele, konnte sie doch nicht glauben, dass der gestrenge Mann ihren Kater eingefangen haben sollte. Das würde so gar nicht zu Minzer passen, sich von Menschen in den Enge treiben zu lassen.
„Nein“, setzte sie ihre Überlegungen fort, „da muss irgendwas passiert sein.“ Sie seufzte: „Ich werde ihn wohl suchen müssen.“
Doch Adele kannte sich auf der Insel Vestamanneyjar nicht aus. Das Eiland war zwar nicht groß, aber nachts in der Dunkelheit, zu Fuß und ohne Ortskenntnis? Wo sollte sie ihre Suche beginnen?
„Er ist nach Süden gelaufen“, überlegte sie. Aber vielleicht wollte Minzer sie auch nur zum Narren halten und verspätete sich mit Absicht. Es wäre nicht das erste Mal. Doch als die Sonne dann gänzlich hinter den Bergen verschwunden war, drehte sie die Flamme des Herdes aus, sog einen tiefen Zug des betörenden Essensduftes in ihre Nase und klopfte bei Hilgur, der Hexe.
Hilgur ist keine echte Hexe, so wie Tante Olga eine ist, aber Hilgur, die eigentlich Helga heißt, hatte Verstand und kannte jeden Winkel der Insel wie ihre Handtasche. Trotz des Einfuhrverbotes für Tiere aller Art und des Umstandes, dass Touristen deswegen niemals Tiere mit sich führten, gewährte sie der Frau namens Adele und dem Tier Unterkunft. Das da etwas nicht stimmen konnte, war ihr durchaus klar und als die Frau namens Adele jetzt bei ihr klopfte, da klingelten bei ihr alle Alarmglocken. Adele brauchte mithin nur wenige Worte, die Hexe davon zu überzeugen, dass Not am Mann war.
Es bedurfte keiner Erklärung, dass die Katze blau und sprachbegabt war, der Umstand, dass sie allein in der kalten Nacht der Westermanninsel war, reichte Helga als Grund aus. Das Tier brauchte ihre Hilfe. Hilgur rief ihre Freundin Anna. Man zog sich warme Sachen an, schnappte sich Taschenlampen und auf ging es.
Etwas bedauernd ließ Adele die betörende Mischung aus Knoblauchduft und Krebsfleisch hinter sich. Raschen Schrittes machten sich die 3 auf in Richtung Helgafell. „Wenn die Katze irgendwo ist, von wo sie nicht wegkommt, dann kann das nur an der Küste sein“, war die einzige Erklärung, die Hilgur gab.
Adele folgte beklommen. Sie sehnte sich nach Lilo, ihrem Zaubermotorrad, das jetzt ein sehr guter Begleiter gewesen wäre. Leider stand Lilo in Tante Olga ´s Schuppen in Novosibirsk und so mussten sie zu Fuß gehen. Endlos.
Nach 1 Stunde erreichten sie den Fuß des Helgafell. Hell leuchtete der Vollmond über dem Vulkan. Adele hatte noch nie in ihrem ganzen Leben einen so hellen und großen Vollmond gesehen. Verzaubert stand sie oben am Kraterrand. Der heftige Wind drückte ihr die Kleidung eng an den Körper. Mit einer Taschenlampe suchten sie den gesamten Vulkan ab, kletterten in dessen Tiefe und Adele konnte die schwefeligen Dämpfe aus dem Krater riechen.
„Es ist gut möglich, dass er sich hier versteckt und dann die giftigen Dämpfe eingeatmet hat“, erklärte Hilgur.
„Giftige Dämpfe?“ Adele wich erschrocken zurück. „Keine Sorge, ich kenne mich hier aus. Der Wind ist zu stark, aber wenn dir schlecht wird, sag Bescheid. Wie heißt dein Tier?“ „Minzer“, antwortete Adele. „Er hört auf den Namen Minzer.“ „Wenn er hier wäre und nicht ohnmächtig“, ergänzte Adele, „dann hätte er uns bereits verstanden und sich gemeldet.“ Kurz überlegte sie und fügte dann erklärend hinzu: „Minzer kann sprechen. Mehrere Sprachen. Auch isländisch und finnisch.“
Adele seufzte laut und die Hexe blickte zu ihrer Freundin Anna und die blickte zurück und beide dachten zunächst, dass Adele einen an der Waffel haben musste. Wie jeder weiß, können Katzen nicht sprechen. Adele spürte den Unglauben. „Das ist kein Witz“, ergänzte sie ihre Ausführungen. „Und genau das ist das Problem.“ Er war mal wieder frech und jetzt haben wir den Salat.“
Hilgur lief besonnen weiter, stellte keine Fragen mehr und hörte sich an, was Adele da sagte. Beim Weitergehen rief sie laut in den Wind:
„Sprechende Katze, bist du hier?“ Keine Antwort.
Nach 2 Stunden, es musste so gegen 24.00 Uhr sein, hatten sie den Helgafell vollständig abgesucht. Adele verbrannte sich die Finger, als sie ausrutschte und sich auf einem Stein abgestützte. „Au! Heiß!“, wimmerte sie entsetzt. „Klar ist es hier heiß“, sprach die Hexe. „Das hier ist nämlich ein Vulkan, weißt du!“ Adele seufzte: „Tanz auf dem Vulkan, ja?“ „Ja“, erwiderte die Hexe und Anna lachte leise vor sich hin.
Minzer hing unterdessen ungemütlich zusammengerollt an seinem rettenden Felsvorsprung und betrachtete den Mond, der größer war als die Sonne es jemals sein würde.
„So werde ich hier sterben“, dachte er bekümmert.
„Im leuchtenden Mondschein, hoch oben auf den Klippen einer Insel, auf der ein paar Wikinger vor mehr als 1000 Jahren strandeten.“
Er malte sich aus, wie wüste Männer mit langen Bärten die Insel, vom Atlantik kommend, entdeckt hatten, froh, wieder Land unter die Füße zu bekommen. Sein Vorstellungsvermögen reichte kaum aus, sich vorzustellen, wie die Wikinger es bei der tief unter ihm tosenden Brandung geschafft hatten, an Land zu kommen.
„Wilde Küste, wildes Land“, dachte der Kater mit einsamen Herzen. Dafür brauchte es wilde Männer mit wilden Bärten, in Booten aus hartem Holz. Männer, die Fleisch und Fisch aßen und nie irgendetwas angebaut hatten.
„Das waren keine Bauern“, sinnierte Minzer, „das waren Eroberer, die den Mut hatten, zu sterben, auf der Suche nach neuen Welten und besserem Land. Und sie waren gestorben“, setzte er seine trübsinnigen Gedanken fort, „viele von ihnen haben den Tod gefunden. Dies wird auch mein Schicksal sein.“
So klangen des Katers trübe Gedanken, traurig und voller Selbstmitleid. „Ich werde an den Felsen zerschellen, mein seidiges Fell wird daran hängen bleiben und der riesenhafte Mond wird mich ein letztes Mal zum Abschied bescheinen.“ Beinahe hätte er vor schauerlicher Freude über seine poetischen Gedanken, angefangen zu weinen.
Eine zarte Stimme tauchte plötzlich in seinem Kopf auf. Dazu gesellte sich weiteres, liebliches Gesäusel.
Noch EINES. Plötzlich umgab ihn Stimmengewirr; zartes, feines, schnelles und quirliges, unverständliches Gerede.
„Da!“, ein Kichern. Noch EINES. Wildes, fröhliches Gegackere. Minzer erhob sich, wurde aber vom Wind sogleich wieder an den Felsrand gedrückt. Er horchte. Lauschte. Das Gekicher war weg. Verglommen. „Halluzinationen habe ich“, dachte Minzer, Vorstellungen von Dingen, die es nicht gibt. „Ich werde verrückt“, kam es ihm in den Sinn, als die Stimmen erneut, nun etwas weiter entfernt, begannen, sich zu mehren.
„Wer ist da?“, rief Minzer in die Dunkelheit und erwidert wurde diese Frage mit Schweigen. „Nanu, so still?“, richtete Minzer seine Stimme in die Schwärze und zum Wind. Ein Wispern erklang. „Aha“, brummte Minzer, „doch wer da?“ Verhaltenes Gemurmel war die Antwort. Minzer maunzte wie ein kätzischer Artgenosse es getan hätte.
„Mau! Mau! Mau!“ Es erklang, nicht weit von ihm, ein ebensolches: „MAU!“ In LAUT. „Bin ich also doch nicht kirre!“ Minzer entschloss sich zu einem weiteren: „MAU!“ In LAUT. Die Reaktion war wie erwartete ein noch LAUTERES „MAU.“
Beide Seiten setzten dieses Gespräch noch eine Weile fort, bis es Minzer, obgleich über dem stürmischen Atlantik am Fels klebend, zu bunt wurde. „Das nervt, Leute. Ich bin Minzer, ein Hauskater aus Deutschland. Ich sprechen 12 Sprachen und klemmen an Felswand fest, 100 m über dem Meer, yeah. Weil mich ein blöder, alter Mann in Knickebockerhosen verfolgt hat. Der Mond scheint hell und Adele hat sicher ein super Abendessen gemacht. Ich will nach Hause. Könnt ihr mir helfen? Wer auch immer ihr seid?“
Stille. Wenn man vom Toben des Ozeans absah, der laut donnernd in der Tiefe gegen die Felswände krachte. Immer noch Stille. Wispern. Gesäusele.