Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Auch wenn die Familie zerrüttet ist und der Alltag knallhart: Audun lässt sich nicht unterkriegen. Schon mit dreizehn hat er während der Ferien in ein paar Pappkartons am Bahndamm gehaust. Jetzt lebt er mit der Mutter in einem Arbeiterviertel in Oslo und trägt Zeitungen aus. Egal, was passiert, Audun schluckt den Schmerz und die großen Gefühle hinunter: „Ist schon in Ordnung.“ Per Petterson aus Norwegen hat einen großartigen Roman über die Jugend, das Erwachsenwerden und die Gesellschaft der 70er Jahre geschrieben: Brutal und zärtlich, schonungslos und poetisch.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 272
Veröffentlichungsjahr: 2011
Das Hörbuch können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Per Petterson
Ist schon in Ordnung
Roman
Aus dem Norwegischen
von Ina Kronenberger
Carl Hanser Verlag
Die norwegische Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel Det er greit for meg bei Forlaget Oktober in Oslo.
Die Übersetzung wurde von NORLA in Oslo gefördert.
eBook-ISBN 978-3-446-23827-5
© Forlaget Oktober A/S 1992
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© Carl Hanser Verlag München 2011
Satz: Gaby Michel, Hamburg
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
Datenkonvertierung eBook:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
Unser gesamtes lieferbares Programm
und viele andere Informationen finden Sie unter:
www.hanser-literaturverlage.de
Ich war dreizehn und sollte in der siebten Klasse an der Veitvet-Schule beginnen. Meine Mutter wollte mich am ersten Tag begleiten, wir waren neu hier, und sie hatte ohnehin keine Arbeit, aber ich wollte sie nicht dabeihaben. Es war der achtzehnte August, der Himmel wolkenverhangen, und als ich das Tor aufmachte und den Schulhof betrat, fing es an zu regnen. Ich schob die Sonnenbrille näher an die Augen und überquerte den großen Platz. Er war menschenleer. Auf halbem Weg blieb ich stehen und sah mich um. Rechts standen zwei rote Pavillons, direkt vor mir lag das niedrige blaue Hauptgebäude. Ein Fahnenmast stand auch da mit einer Fahne, die schwer an der Stange herunterhing. Hinter den Fenstern konnte ich Gesichter erkennen, und diejenigen, die drinnen saßen, drückten die Nasen an die Scheibe und betrachteten mich, der ich draußen im Regen stand. Es goss in Strömen. Ich kam am ersten Tag zu spät.
Als ich den Eingang erreichte, trieften meine Haare, und mein Hemd war durchnässt. Ich streifte es ab und wrang es aus, die Sonnenbrille trocknete ich an der Jeans, bevor ich sie wieder aufsetzte und das Hemd über den Kopf zog. Dann ging ich hinein.
Das erste, was ich sah, war die Verfassung. Sie hing gerahmt und hinter Glas gleich rechts an der Wand. Das zweite, was ich sah, war das Büro des Rektors. Man konnte es nicht verfehlen, denn an der Tür hing ein Schild. Ich ging geradewegs auf das Schild zu, ohne den Schritt zu verlangsamen, es konnte ja sein, dass mich jemand sah, und keiner sollte denken, dass ich nicht wusste, wohin ich zu gehen hatte. Ich klopfte und hielt das Gesicht an die Tür, wartete ab, und als eine Stimme HEREIN rief, machte ich die Tür auf, ohne nach rechts oder links zu schauen.
Es war ein großes Zimmer mit Regalen an der Wand, einem Matrizendrucker in der Ecke und einem Schreibtisch. Hinter dem Schreibtisch saß ein großer und ziemlich dicker Mann. Er blickte von einem Stapel Papier hoch und sah mich an. Durch die Sonnenbrille war es schwer zu erkennen, ob er lächelte, aber ich glaube es nicht.
»Mach den Rand an deinen Gummistiefeln hoch«, sagte er. Ich betrachtete meine Stiefel. Wie die meisten anderen hatte ich hohe braune Gummistiefel, deren Rand umgekrempelt war, und auf dem hellen Rand stand in Großbuchstaben BEATLES. Ich bückte mich und klappte den Rand hoch.
»Die sind für mich das Allerschlimmste«, sagte er.
Ich zuckte mit den Schultern und wartete. Er starrte mich an, und es war lange still, bis er sagte:
»Und dann setzt du die Sonnenbrille ab. Ich möchte wissen, mit wem ich mich unterhalte.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein?«
Noch einmal schüttelte ich den Kopf.
»Darf man fragen, warum?« Sein Gesicht war ein Ballon, ein Mond mit dunklen Flecken.
»Ich habe Narben.«
»Narben?«
»Schreckliche Narben um die Augen.«
»Aha.« Er nickte bedächtig mit seinem runden Kopf und fuhr sich über das Kinn. »Darf ich mal sehen?«
»Nein.«
»Neiiin?« Er war entgeistert. Trommelte mit einem Bleistift auf der Tischplatte. »So so, und wie heißt du?«
»Audun Sletten. Ich soll hier in der Siebten anfangen.«
»Aha, du bist also Audun Sletten. Ich habe dich vor einer halben Stunde erwartet.«
»Ich habe mich verlaufen.«
»Du hast dich verlaufen?«
»Ja.«
»Kann das sein? Es gibt doch nur eine Straße hierher.«
Ich zuckte mit den Schultern. Er war jetzt unsicher, ich wusste, dass er meine Augen nicht sehen konnte. Ich war das Phantom. Er seufzte und stand auf.
»Du kommst in die Sieben B. Das ist eine gemischte Klasse. Wir haben in der Siebten eine Mädchenklasse, eine Jungenklasse und eine gemischte Klasse. Komm mit.«
Mit raschen kleinen Schritten ging er zur Tür, obwohl er groß und schwer war wie John Wayne, er hatte leichte X-Beine, und ich sprang zur Seite, damit er an mir vorbeikam, schon standen wir auf dem Flur. Ich trottete hinter ihm er. Verglichen mit meiner früheren Schule, wirkte diese hier unendlich groß. Auf halbem Weg blieb er stehen und drehte sich um.
»Bist du sicher, dass die Narben so schlimm sind?«
»Sie sind verdammt schlimm«, sagte ich. Seine Hand war auf dem Weg zu meiner Brille, und ich trat einen Schritt zurück und nahm die Fäuste hoch. Die Reaktion kam ganz von allein. Er ließ die Hand wieder sinken.
»Pass auf, wie du sprichst«, sagte er, »hier bei uns wird nicht geflucht.«
Ich gab keine Antwort, und wir liefen bis zum Ende des Korridors, wo er stehenblieb, an eine Tür klopfte und sie öffnete, ohne eine Antwort abzuwarten. Er hielt sie auf und winkte mich hinein. Alle sahen uns an. Ein Mädchen kicherte. Ich spürte ihn dicht hinter mir und hielt mich bereit, falls er auf dumme Gedanken kommen sollte.
»Das hier ist Audun Sletten, der neue Junge in eurer Klasse, von dem ihr sicher schon gehört habt. Er kommt von weit her, vom Land, ich möchte, dass ihr ihn freundlich aufnehmt. Auch er mag die Beatles. Die Sonnenbrille braucht ihr nicht zu beachten. Die sitzt fest.«
Das Mädchen kicherte erneut. Sie hatte halblange schwarze Haare. Bevor er ging, beugte er sich zu mir herunter und flüsterte mir ins Ohr.
»Wegen der Narben rufe ich deine Mutter an, das mache ich gleich.«
»Wir haben kein Telefon«, sagte ich laut, aber er war schon weg.
»Telefon haben nicht alle«, sagte der Lehrer, »aber gut zu wissen.« Die halbe Klasse lachte.
»Du kannst dich an das freie Pult am Fenster setzen.« Er trug eine Brille mit Goldrand, seine Haare waren vorne ziemlich dünn, aber er sah aus, als würde er Sport treiben, denn das Hemd spannte über der Brust und an den Oberarmen. Ich ging nach vorn, am Katheder vorbei, dann die Reihe nach hinten durch und setzte mich an das Pult am Fenster. Die Tasche hängte ich an einen Haken auf der Seite. Es hatte aufgehört zu regnen. Die Sonne schien durch die Wolken, und das Licht machte den Schulhof zu einem See, blank, langgezogen, und ich stellte mir Flöße und eine Angel und einen Damm vor wie am Aurtjern, dort konnte man stehen und die Angel auswerfen, denn oft schwammen die Fische dicht an die Mauer heran. Als ich mich zur Tafel drehte, war auf einen Schlag alles schwarz, und erst allmählich wurde deutlich, was dort mit Kreide stand. Schließlich konnte ich es sogar mit Sonnenbrille lesen. WILLKOMMEN!, stand dort. Ich tauchte unter das Pult und krempelte den Rand der Stiefel wieder um.
Es klingelte, und ich ging als letzter hinaus, wollte niemanden im Rücken haben. Der Lehrer hieß Levang. Er wollte mir die Hand geben und nett sein, also gab ich ihm auch die Hand, murmelte etwas, was ich selbst nicht verstand, und ging rasch weiter. Draußen auf dem Schulhof lief ich sofort zur anderen Seite und lehnte mich mit dem Rücken an den Zaun. Dahinter lag ein Fußballplatz, aber er war leer, von dem dunklen Kies stieg Dampf auf. Rechts von mir, auf dem Platz vor den Pavillons, liefen kleine Kinder hintereinander her, spielten Fangen und spritzten mit Wasser. Links vor dem Hauptgebäude standen die Großen in Gruppen und unterhielten sich. Ein paar Mädchen hüpften Gummitwist und hatten das Gummi unter den Achseln, und ein Junge mit Krücken kam direkt auf mich zu. Ich hatte ihn im Klassenzimmer etwas weiter vorn in der rechten Reihe gesehen. Jetzt sah ich mich um, aber am Zaun stand sonst niemand. Er hatte dunkle Locken und die gleichen Stiefel wie ich. Auf dem einen Rand stand KINKS und auf dem anderen HOLLIES. Das waren Popgruppen, aber ich hatte von ihnen keine Platten. Ich hatte überhaupt keine Platten. Zu Hause hatten wir nur Jussi Björling, aber ich besaß ein kleines Radio, das ich nachts anstellte.
Er blieb ein paar Meter vor mir stehen, stützte sich auf die Krücken und lächelte.
»Schicke Brille«, sagte er.
Schicke Krücken, dachte ich, aber zum Glück sagte ich es nicht. In gewisser Weise waren sie tatsächlich schick, Teil seines Körpers bei jeder Bewegung, etwas, was er nicht beachtete, was einfach da war.
»In zwei Monaten bin ich damit durch«, sagte er und folgte meinem Blick. »Ich habe sie seit einem Jahr. Mittlerweile komme ich ganz gut damit klar, aber ich habe die Schnauze voll.«
»Was ist mit deinem Bein?«
»Ein Autounfall.«
»Und wie sah das Auto aus?«
Er lachte so sehr, dass er fast von den Krücken fiel.
»Keine Ahnung, ich habe es nicht gesehen. Ich wurde von hinten angefahren, dann war ich bewusstlos und wachte bei meiner Oma in der Kammer wieder auf.« Er lachte noch einmal, sein ganzes Gesicht lachte. »Und ich dachte, ich wär im Himmel, das erste, was ich beim Aufwachen sah, war nämlich eins dieser Bilder, auf dem JESUS LEBT steht.«
»Glaubst du denn an Gott?«
»Nein, an Gott habe ich noch nie geglaubt, aber als ich bei meiner Oma in der Kammer aufwachte, dachte ich, ich hätte mich vielleicht geirrt. Zum Glück fiel mir wieder ein, wo ich war und dass das Bild schon immer dort gehangen hatte.«
Er stützte sich auf die Krücken, ließ das eine Bein über dem Bügel baumeln und lachte die ganze Zeit. Ich hatte mir vorgenommen, mich in dieser Schule mit niemandem anzufreunden, aber bei ihm hier könnte es schwierig werden.
»Stimmt was nicht mit deinen Augen?«
»Ich vertrage kein Licht«, sagte ich und bereute es sofort, weil es nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber es entsprach mehr der Wahrheit als andere Sachen, die ich gesagt hatte. »Ich muss dann sofort kotzen.«
»Das ist nichts wofür man sich schämen müsste«, sagte er daraufhin, und dann stockte das Gespräch, und ich fühlte mich wie ein Verräter. Zum Glück kam ein Ball angerollt. Ich sah ihn zuerst und wollte ihn gerade wegkicken, aber da sah er ihn auch, nahm Schwung, nutzte die Krücken als Seitpferd und trat mit dem gesunden Bein so fest gegen den Ball, dass dieser bis zum anderen Ende des Schulhofs flog und dort an den Zaun knallte. Ein beeindruckender Schuss, auch wenn er auf dem Fußballplatz bestimmt nicht erlaubt war.
»Nicht schlecht«, sagte ich, und er grinste und sagte:
»Ich heiße übrigens Arvid«, und dann läutete die Pausenglocke.
Diesmal fiel es mir leichter, den Klassenraum zu betreten, ich ging nicht als letzter hinein, aber die Brille behielt ich auf. Wenn sie mich in Ruhe ließen, wäre dieser Tag vielleicht erträglich.
Als alle an ihren Pulten Platz genommen hatten, ging Levang zum Katheder und setzte sich ebenfalls, legte die Hände übereinander und ließ den Blick über die Klasse schweifen, bis er bei mir innehielt. Er lächelte breit, ich spürte, wie mein Nacken steif wurde, und dann sagte er mit richtig freundlicher Stimme:
»Du, Audun. In der ersten Stunde blieb uns ja nicht mehr viel Zeit, aber ich dachte, du könntest uns jetzt vielleicht ein bisschen davon erzählen, wie es dort aussieht, wo du herkommst. Die meisten in der Klasse haben ja noch nie woanders als in Veitvet gewohnt. Wie heißt die Gegend, in der du aufgewachsen bist?«
Ich hätte es wissen müssen. Er würde mich nicht in Ruhe lassen. Er war ein freundlicher Mann, das war von weitem zu erkennen, er wollte, dass ich mich wohlfühlte, dass sie mich besser kennenlernten. Ich zog die Schultern hoch.
»Ich meine, es könnte für uns ganz interessant sein. Kommst du von einem Hof?«
»Da gibt’s nichts zu erzählen«, sagte ich laut. Das schwarzhaarige Mädchen kicherte schon wieder.
Levang lächelte, leicht rot im Gesicht. »Das kann nicht sein«, sagte er, »du bist dreizehn, du hast bestimmt schon eine Menge erlebt, wovon wir hier keine Ahnung haben.«
»Da gibt’s nichts zu erzählen, hab ich doch gesagt!«
»Bist du sicher?«, fragte er. Da stand ich auf, nahm meine Tasche vom Haken und ging zur Tür. Jetzt kicherte keiner mehr. Arvid drehte sich um und sah mich an, aber seine Augen verrieten nicht, was er dachte.
»He, he, wo willst du hin?«, fragte Levang und stand ebenfalls auf, er machte ein paar Schritte, als wollte er mir den Weg zur Tür versperren. Meine Brust schnürte sich zusammen. Ich sah über seine Schulter zur Tür, begriff aber, dass ein Versuch sinnlos wäre.
»Ich habe immer meine Hausaufgaben gemacht«, sagte ich, »habe im Unterricht immer aufgepasst. Sie können gern mein Zeugnisheft sehen, wenn Sie wollen, aber Sie haben nicht das Recht, mich nach Sachen zu fragen, die nichts mit der Schule zu tun haben.«
»Aber Audun, ich glaube, du hast mich völlig missverstanden. So war es doch nicht gemeint«, sagte er und versuchte, meinen Blick einzufangen, aber ich sah an seinem Ohr vorbei und gab keine Antwort.
»Okay, darüber reden wir ein andermal. Bitte setz dich wieder an dein Pult.« Ich drehte mich um und ging zwischen den Pulten hindurch, schaute kurz in Arvids Gesicht, bevor ich mich auf meinen Platz setzte, die Tasche zurückhängte und aus dem Fenster starrte.
Der Herbst kommt, und ich trage Zeitungen aus. Gerade ist Jimi Hendrix gestorben, im Radio läuft Hey Joe, und ich habe den Führerschein gemacht. Ich trage eine Lotsenjacke und eine Pepitahose mit Schlag, einen breiten roten Strickgürtel mit einer Schnalle ohne Dorn. Von den Knien abwärts sind glänzende Knöpfe an den Hosenbeinen angebracht. Das ist ganz neu, und man würde mich beachten, wenn mich jemand sähe. Aber es sind nicht viele wach, nur in einzelnen Fenstern brennt Licht, und als ich von den Blocks hinauf zum Botenbüro im Einkaufszentrum gehe, ist es Viertel nach fünf. Die Rasenflächen vor den Reihenhäusern schimmern silbern und kalt, und es ist noch nicht richtig hell. Außerdem habe ich mir nach mehreren Jahren mit langen Haaren eine gemäßigte Mod-Frisur zugelegt, und ich bin nicht sicher, ob das ankommt, darum ist das Halbdunkel angenehm.
Ich bin müde, habe noch nicht alle Hausaufgaben gemacht und das luftige Gefühl im Bauch, dass in der Schule etwas schiefläuft. Was ich mache, mache ich gut genug. Was ich höre, verstehe ich, präge es mir ein, ich bin verdammt noch mal nicht dumm, aber es kommt mir vor, als wäre die restliche Klasse auf einem Trip, von dem ich keine Ahnung habe, als gäbe es einen heimlichen Bund zwischen Lehrern und Schülern, dem ich nicht angehöre. Sie wissen etwas, was ich nicht weiß, und das war schon immer so.
Vor dem Eingang stehen die anderen und warten, ich bin der letzte, aber Zeitungen sind noch keine zu sehen. Konrad ist da und Frau Johansen und die ganze Familie Vilden, die beiden Kinder gähnen und lehnen sich an den Rücken ihres Vaters. Sie leben davon, tragen zu viert Zeitungen aus, morgens und nachmittags, tagein, tagaus. Das älteste Kind, ein Mädchen, ist vierzehn, der Junge ist zwölf. Sie sehen aus, als kämen sie direkt aus dem Wald, fast erwartet man Tannennadeln in ihren Haaren, aber sie wohnen in einer Wohnung im Rådyrveien, genau wie wir anderen in Veitvet auch. Die Mutter ist so hässlich und kantig, dass man sie einfach gernhaben muss, und der Vater, groß und abwesend, grüßt höflich nach rechts und links und sagt nie etwas, blickt nur lächelnd über unsere Köpfe hinweg in die Ferne, was er dort sieht, wissen wir nicht. Hochebenen und Tannenwälder, denke ich stets. Das Mädchen ist so hübsch, dass man ihr kaum ins Gesicht schauen kann.
»Hallo Audun«, sagt der Junge, der Tommy heißt.
»Hallo Tommy, scharfe Jacke«, wir unterhalten uns ganz gern, er leiht sich alte Indianerbücher von mir aus, wir sind gute Kumpels. Er sieht immer erkältet aus, hat einen roten Fleck unter der Nase und eine gelbgestreifte Jacke mit Teddyfutter, und er lächelt zufrieden, obwohl er die Jacke schon die ganze Woche anhat und ich jeden Morgen scharfe Jacke gesagt habe. Mit der Schwester unterhalte ich mich nicht, ihre Augen sind so groß und braun, dass ich nach mehreren Jahren des gemeinsamen Zeitungsaustragens immer noch nicht weiß, wie sie heißt. Aber sie beäugt meine Hose.
Wir warten zusammen, den dritten Tag hintereinander kommen die Zeitungen zu spät. Konrads Moped steht auf dem Ständer und knattert, wenn es irgend geht, stellt er den Motor nicht ab, er verbraucht wahnsinnig viel Benzin. Er hat schon eine Mütze auf, eine graue Pudelmütze ohne Quaste, die er so tief herunterzieht, dass die Ohren abstehen wie bei den behinderten Kindern, die man manchmal in der Stadt sieht, wo man sich fragt, warum man sie unbedingt so anziehen muss. Er trägt Fingerhandschuhe mit abgeschnittenen Spitzen, und seine Finger sind von alter Druckerschwärze ganz schwarz. Er ist fünfzig und wohnt mit seiner Schwester im obersten Reihenhaus beim Frauengefängnis, und keiner kann eine Zeitung so geschickt unter der Türklinke plazieren wie er. Es ist eine fließende Bewegung, mit einer Hand zieht er die Zeitung aus der Satteltasche, faltet sie in der Luft zusammen, und die dicke Aftenposten sitzt wie ein Holzstock unter der Klinke und fällt nicht herunter. Es sieht so leicht aus, aber ich habe es selbst versucht und kriege es nicht hin.
Wir hören den Wagen, bevor wir ihn sehen, es ist neben Konrads Moped das einzige Geräusch, und er kommt mit Vollgas den kleinen Anstieg vom Veitvetveien herauf, fährt vor das Einkaufszentrum und hält direkt vor unseren Wägelchen. Der Fahrer steigt aus, zieht rasch die Seitentüren nach hinten und beginnt, die schweren Zeitungspacken auszuladen. Er lässt sie auf den Asphalt fallen und stöhnt jedes Mal laut auf, wenn sie mit einem satten und kompakten Laut auf den Boden plumpsen, der, das denke ich immer, eine Verbindung hat zu dem, was in der Zeitung steht.
Ich nehme meine zwei Packen und hieve sie auf das Wägelchen, trenne das Band auf und sehe nach, ob neue Abonnenten dazugekommen sind. Das ist der Fall, zwei Stück. Ich trage sie in mein Buch ein und ziehe mit dem Wägelchen los Richtung Grevlingveien. Die anderen verschwinden in ihre Richtung, Konrad den Trondhjemsveien hinauf, Frau Johansen zum Beverveien, wo ich wohne, und Familie Vilden hinunter zu den Blocks im Rådyrveien. Tommy trägt einen dicken Packen Zeitungen auf dem Arm, er war so dumm, das Band zuerst loszumachen, jetzt verrutschen die Zeitungen, und der ganze Mist droht auf den Boden zu fallen. Seine Schwester kommt dazu, bückt sich und hilft ihm, es macht Spaß, ihnen zuzusehen, von ihnen geht ein Sog aus, dabei habe ich auch Geschwister. Einen Bruder und eine Schwester. Das heißt, ich hatte einen Bruder. Letztes Jahr fuhr er mit einem Volvo Amazon, der ihm nicht gehörte, geradewegs in die Glomma und ertrank. Es geschah zig Kilometer von dem Ort entfernt, an dem wir wohnten, bevor wir nach Veitvet zogen. Es war ein Amazon mit allem Drum und Dran: Fuchsschwanz an der Antenne, GT-Lenkrad und Teddybezug auf den Vordersitzen.
Das Mädchen, das dabei war, hat überlebt. Sie hat geweint und behauptet, sie hätten nichts genommen. Das glaube ich nicht. Egil war im Herbst davor fünfzehn geworden und hatte selbstverständlich keinen Führerschein. Nach unserem Umzug, als er alt genug war, um allein loszuziehen, fuhr er so oft wie möglich in unser Dorf. Ich tat das nicht. Ich fahre nur hin, wenn ich muss.
Meine Schwester zog zur selben Zeit zu Hause aus. Sie ist vier Jahre älter als ich, und natürlich musste auch sie dorthin zurück. Sie wohnt zusammen mit einem Typ in Kløfta. Er ist Gebrauchtwagenhändler und verdient Geld. Ich bin sicher, dass er sie schlägt, aber ich habe es nie gesehen, und Kari sagt nichts. Sollte ich ihn einmal dabei erwischen, prügele ich ihn windelweich. Das ist kein Problem. Ich trainiere seit Jahren, von dem Zeitungsgeld habe ich mir eine Bank und Gewichte gekauft.
Das sage ich auch zu meiner Mutter:
»Ich prügle ihn windelweich«, sage ich. Und sie hört mir zu und zitiert den Schweden Lars Ekborg aus dem Radio. Er macht so eine Quasselsendung, in der es um das Elend der Welt geht und die mit den Worten endet: Hart durchgreifen müsste man!
»Willst du, dass wir so leben?«, fragt sie und lacht. Man kann leicht seine Witze darüber machen, das ist schon klar, aber ich weiß, was ich weiß.
Ich erinnere mich, wie Egil und ich in unserem alten Haus in der Stube auf dem Boden spielten. Dort stand ein großer Schrank, unter den wir gerne krochen. Mein Opa, der in einem Sägewerk im Nachbardorf arbeitete, hatte ihn aus dunklem Holz gemacht und mit Glastüren versehen. Der Schrank war schön, das größte Stück, das er je gemacht hat, aber das Ding muss ihn seiner Schöpferkraft beraubt haben, denn danach hat er kein Möbelstück mehr gebaut.
Da kam mein Vater ins Zimmer. Es war spätabends, wir sollten längst im Bett sein. Er lehnte sich an den Türrahmen und sah uns mit einem albernen Lächeln an.
»Gibt es hier ein paar liebe Kinder?«, lallte er. Er wirkte betrunken. Ich hatte ihn schon oft betrunken gesehen und wusste, was das hieß.
»Na klar«, sagte Egil und kroch unter dem Schrank hervor, wo er sich versteckt hatte. Er war damals ein richtiger Naseweis, der zu allem ja sagte, wenn er glaubte, es gäbe was zu holen. Ich blieb auf dem Boden sitzen und sah, wie mein Vater bleischwer am Türrahmen lehnte. Ich traute ihm nicht.
Er stieß sich vom Türrahmen ab und wankte über den Teppich auf uns zu.
»Seht her«, sagte er, griff in die Brusttasche und zog ein paar Geldscheine heraus, »hier ist ein Groschen für zwei liebe Buben.« Etwas wacklig beugte er sich vor und drückte uns mit einem breiten Grinsen je einen blauen Fünf-Kronen-Schein in die Hand.
»O danke, danke«, rief Egil und rannte durch das Zimmer, hüpfte in die Luft, »vielen Dank, Papa, du bist ganz lieb!«, rief er. Ich spürte den steifen, knisternden Geldschein in der Hand. Fünf Kronen waren viel Geld für mich. Zu dem, was ich bisher gespart hatte, fehlte jetzt nicht mehr viel, dann reichte es für den lackierten Bogen im Sportgeschäft am Bahnhof.
Ich betrachtete meinen Vater, der mitten im Zimmer stand, die Hände in den Hüften, den Kopf schiefgelegt, er sah jetzt nicht mehr so betrunken aus, er folgte uns mit wachsamen Augen, und diese Augen hatten einen Glanz, der mir nicht gefiel. Plötzlich begann er laut zu lachen, er lachte und lachte, und mit einem Mal wurde sein Gesicht ganz hart, er kam auf uns zu, riss uns die Geldscheine aus den Händen und sagte:
»Genug gelacht für heute!« Ohne zu wanken, drehte er sich um, steckte die Geldscheine zurück in die Brusttasche und ging gerade wie eine Fahnenstange zur Küche. »Ab ins Bett mit euch, es ist spät«, sagte er.
Zuerst blieb mein Bruder mit offenem Mund im Zimmer stehen, dann fing er an zu heulen wie ein Baby. »Huh!«, heulte er, »huh!« Die Tränen kullerten aus seinen Augen, und ich ging schnell auf ihn zu und schubste ihn.
»Du Trottel«, sagte ich und schubste ihn noch einmal ziemlich fest, »du verdammter Trottel, halt den Mund!«, zischte ich und ging an ihm vorbei die Treppe hinauf ins obere Stockwerk, um mich schlafen zu legen.
»Ich habe dir doch nichts getan!«, rief er hinter mir her.
Das war das letzte Jahr, in dem ich Wata war, Davy Crocketts Creek-Freund. Sobald ich allein war, wurde ich zu Wata. Ich war zwölf und ging die knarrenden Stufen hinauf ins obere Stockwerk, das für mich unsere kleine Blockhütte war, und jetzt hasste ich sie, sie war so eng, ich bekam darin keine Luft.
Im Zimmer angekommen, stellte ich mich ans Fenster und sah hinüber zu dem dunklen Waldrand, wo ich jetzt am liebsten wäre. Dort führten Pfade in den Wald, die ich besser kannte als das Haus, in dem ich wohnte. An diesem Abend schien der Mond groß und gelb, und ich betrachtete ihn, wie Wata es getan hätte, und dann legte ich mich, ohne die Zähne zu putzen, ins Bett und hoffte, Egil würde erst kommen, nachdem ich eingeschlafen war. Ich kniff die Augen zu und dachte an den lackierten Bogen, den ich mir niemals würde leisten können.
»Scheiße!«, sagte ich laut in die Dunkelheit. »Verfluchter weißer Mann!« Aber es half nicht viel, und ich wusste, dass Watas Zeit bald vorbei war, er konnte mich nicht mehr lange begleiten. Ich sah, wie er durch die Nacht huschte, rasch und leise glitt er zwischen den Bäumen hindurch, auf dem Weg zurück in die Bücher, der braune Körper und die drei weißen Federn waren im Mondlicht deutlich zu sehen.
Tommy hat die Kontrolle über seine Zeitungen wiedererlangt, seine Schwester umarmt ihn, die gelben Streifen seiner Jacke schimmern, und dann verschwinden sie um die Ecke. Ich nehme zwanzig Zeitungen aus dem Wägelchen, klemme sie unter den Arm und arbeite mich durch die ersten Reihenhäuser im Grevlingveien. Das hier mag ich. Meine Ruhe haben, spüren, wie die Morgenluft über mein Gesicht streicht, jeden Schritt spüren, jede Bewegung in Armen und Beinen, alles ganz still, und ich muss an nichts denken. Die Route geht sich von ganz allein, die Klinken blitzen in einer Reihe, und ich füttere sie mit Zeitungen. Noch nie habe ich jemanden vergessen, noch nie jemandem, der nicht Abonnent ist, eine Zeitung zugeteilt, und ich kenne alle Türschilder so gut, dass ich gar nicht mehr weiß, was auf ihnen draufsteht, nur noch, wie sie aussehen: die Form der Buchstaben, die Farbe des Schildes und wo an der Tür es sitzt. Ich kann mir jedes Haus vorstellen, es vor mir sehen, die Tür herausgreifen und dann das Schild lesen, jederzeit und überall, im Schlaf, in der Schule, in den Ferien, alles sitzt im Körper, und das ist mir sehr recht.
Unten an dem roten Telefonhäuschen überquere ich den Veitvetsvingen, inspiziere kurz das Gitter im Boden, um zu sehen, ob dort ein paar Münzen liegen, eine Angewohnheit, die ich nicht ablegen kann, und normalerweise finde ich auch zwei, drei Kronen. Aber ich werde rot und hoffe, dass niemand hinter den Vorhängen steht und mich sieht.
An der Straße stehen nur Reihenhäuser, und vor ein paar Jahren dachte ich, hier würde man schöner wohnen als in den Blocks, bis ich herausfand, dass die Blocks lediglich zwei Reihenhäuser übereinander waren und drinnen völlig identisch aussahen. Ganz unten links steht ein Achtfamilienhaus, im zweitletzten Haus wohnt Arvid. Es ist das einzige Reihenhaus mit Balkons, und früher fürchtete Arvid, das könnte ihn zu einem Oberschichtknaben machen, weil wir niemanden kannten, der in einem Haus mit Balkon wohnte. Aber ich war der Meinung, ein Balkon von dreieinhalb Quadratmetern mache einen nicht gleich zur Oberschicht, schon gar nicht, wenn man wusste, dass sein Vater in der Bürstenfabrik Jordan in der Wechselschicht arbeitete. Das hörte Arvid gern, nicht ums Verrecken wollte er ein Kind der Oberschicht sein, und in dem Punkt sind wir exakt einer Meinung.
Ich betrete den Plattenweg und gehe um Arvids Haus herum. Vier Familien beziehen hier die Aftenposten. Sein Vater gehört nicht dazu, aber wenn ich an ihrer Wohnung vorbeikomme, stelle ich mich ans Küchenfenster und schaue hinein. Dort ist es dunkel, dann ist er wohl noch nicht von der Nachtschicht zurück. Vor dem Ende des Hauses kehre ich zur Straße zurück, drehe mich um und schaue hinauf zu Arvids Fenster im ersten Stock, hebe einen kleinen Stein vom Boden auf und werfe ihn an die Scheibe. Es scheppert deutlich, und Arvid ist sofort da. Ich kenne niemanden, der so einen leichten Schlaf hat, er hat immer ein Ohr gespitzt und ist in der Schule oft müde. Sein dunkler Schopf schaut heraus, und ich rolle eine Zeitung ganz fest zusammen und werfe sie leicht schräg wie einen Bumerang, sie flattert durch die Luft und macht eine perfekte Kurve, und Arvid fängt sie auf, bevor sie den rechten Fensterrahmen trifft. Das haben wir schon oft so gemacht.
»Das Neueste aus Vietnam«, sage ich.
»Sie bombardieren anscheinend wieder Hanoi.« Er gähnt und fährt sich durch die Haare, die kräftig und stark gelockt sind.
»Das ist wohl so«, sage ich. Arvid gehört einer FNL-Gruppe in der Schule an. Zeitweise redet er von nichts anderem. Ich bin passives Mitglied, habe zu viele andere Sachen, an die ich denken muss.
»Ich lese sie später«, sagt er, »ich habe noch was zu erledigen. Ich muss los.«
»Jetzt? Was denn?«
»Das siehst du, wenn es soweit ist.«
»Wir sehen uns in der Schule«, sage ich, und er reckt hinter der Scheibe die geballte Faust zum Gruß. Ich gehe zum Wägelchen, dann drehe ich mich abrupt auf dem Absatz um, aber er ist verschwunden, und ich packe den Griff und gehe weiter den Veitvetsvingen entlang zurück zum Grevlingveien.
Es wird heller, aber nicht viel, denn es ist Oktober, und die ersten kommen auf dem Weg zur Arbeit die Straße herunter zur U-Bahn. Ich grüße, und einer wirft einen Blick auf meine Haare und ein anderer auf meine Hose und ist ärgerlich, weil ich spät dran bin, aber ich ziehe die Schultern hoch und sage, es ist nicht meine Schuld, und in dem Moment rutschen mehrere Zeitungen herunter. Der Mann rollt mit den Augen, und ich fluche vor mich hin.
Der alte Abrahamsen kommt heraus auf die Treppe und knallt zornig die Tür hinter sich zu. Das macht er jeden Tag, hat es immer getan, solange ich mich erinnern kann. Er arbeitet im Hafen und hat seinen Bergans-Rucksack auf. Früher wohnte er in Vika und hatte einen kurzen Weg zur Arbeit, er brauchte bloß durch das Tor zu gehen, am Westbahnhof vorbei, schon war er da, aber sie haben Vika abgerissen, und jetzt muss er jeden Morgen in die Stadt fahren, und obwohl es fünfzehn Jahre her ist, seit er umziehen musste, ist er immer noch stocksauer. Die U-Bahn ist ihm zu neumodisch, darum geht er den Trondhjemsveien hinauf und nimmt den 30er-Bus, wie er es seit 1955 getan hat.
»Hallo«, sage ich, »keine Sekunde zu früh, lesen Sie die Zeitung im Bus«, und daraufhin grinst er und sagt:
»Ja, weißt du, eigentlich bin ich ja gegen diese Zeitung, aber man muss sich doch auf dem Laufenden halten.«
Das weiß ich, er ist eigentlich Sozialist, aber er ist so geizig, dass er die beiden Zeitungen Aftenposten und Arbeiderbladet gewogen und festgestellt hat, dass er bei Aftenpostenfür sein Geld die meisten Kilos kriegt. Er klemmt sich die Zeitung unter den Arm und ist plötzlich viel freundlicher, verschwindet die Straße hinunter, den Rucksack auf dem Rücken.
Ich bin jetzt richtig spät dran, lege einen Zahn zu und grüße die Leute nicht mehr. Die Straße wird schmaler, die letzten Reihenhäuser an diesem Ende liegen am Rand einer Senke, in der der Dongebekken oder Condom Creek fließt, und auf der anderen Seite ziehen sich die Felder hinauf zum Frauengefängnis auf dem Gipfel. Es steht schwer und dunkel vor dem Grorud-Tal, und der Morgen kommt langsam in einem Streifen von Furuset herüber, und auf dem Hof brennt nur eine einzige Lampe. Es wirkt kalt, das Licht, mir selbst wird kalt, denn der Gedanke an so viele Frauen, die hinter diesen Mauern eingesperrt sind, wiegt schwer, und ich frage mich, woran sie beim Aufwachen denken, worüber sie beim Essen sprechen, was sie denken, wenn sie am Abend zu Bett gehen. Ich sehe Filme mit Menschen in Ketten und weiß, dass das nicht mehr stimmt, aber was sehen sie, wenn sie aus dem Fenster schauen?
Frau Karlsen steht auf der Treppe, als ich vor dem allerletzten Haus um die Ecke biege. Sie lächelt, und mir wird klar, dass sie auf mich wartet. Das tut sie oft. In der Hand hält sie einen Briefumschlag, und als ich ihr die Zeitung gebe, steckt sie den Umschlag in die Tasche meiner Lotsenjacke und sagt:
»Ich war ja verreist, als du Geburtstag hattest, aber besser spät als nie. Herzlichen Glückwunsch nachträglich.«
Ich weiß nicht, dass sie verreist war, aber sie hat herausgefunden, wann ich Geburtstag habe, hat es sich gemerkt, und jetzt hat sie mir etwas geschenkt. Das ist schwierig. Nur meine Mutter schenkt mir etwas zum Geburtstag, und