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Nach dem Tod ihres Vaters hat der Rancher Bill Tucson die kleine Hope Bryers bei sich aufgenommen und großgezogen. Unter seinen Fittichen wuchs sie zu einer Frau heran, die mit Gewehr und Revolver ebenso gut umzugehen verstand wie mit den Fäusten. Aus Dankbarkeit blieb sie auf der Ranch und sorgte für den Mann, der ihr zum zweiten Vater geworden war. Doch dann wurde Bill Tucson ermordet, und Hope konnte nur noch an eines denken: Rache!
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Seitenzahl: 147
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Auf Hope Bryers ist Verlass
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Impressum
Auf Hope Bryers ist Verlass
Nach dem Tod ihres Vaters hat der Rancher Bill Tucson die kleine Hope Bryers bei sich aufgenommen und großgezogen. Unter seinen Fittichen wuchs sie zu einer Frau heran, die mit Gewehr und Revolver ebenso gut umzugehen verstand wie mit den Fäusten. Aus Dankbarkeit blieb sie auf der Ranch und sorgte für den Mann, der ihr zum zweiten Vater geworden war. Doch dann wurde Bill Tucson ermordet, und Hope konnte nur noch an eines denken: Rache!
»Schmeckt es Ihnen, Mister Tucson?«
Bill Tucson legte die Gabel zur Seite, schluckte den Happen Rührei herunter und nahm einen Schluck von dem kräftigen schwarzen Kaffee, bevor er Martha antwortete. Die Frage gehörte zum allmorgendlichen Ritual zwischen dem Rancher und seiner langjährigen Köchin, und sie stellte sie so zuverlässig, wie abends die Sonne unterging.
»Die Eier mit Speck waren ausgezeichnet und der Kaffee exakt so, wie ich ihn mag«, erwiderte er routinemäßig, worauf ein strahlendes Lächeln auf ihrem rundlichen Gesicht erschien. Alles wie an jedem Morgen.
Wie lange arbeitete Martha jetzt für ihn? Zwei Jahrzehnte waren es mindestens, überlegte er. Sie war bereits da gewesen, als er die damals dreizehnjährige Hope Bryers bei sich aufgenommen hatte, und das wiederum lag sechzehn Jahre zurück. Nur wenige Wochen später hatte Martha mit Kündigung gedroht, wovon Tucson sie mit einiger Mühe hatte abbringen können. Er hatte mit Hope ein paar ernste Worte gewechselt und ihr das Versprechen abgerungen, Martha keine Widerworte mehr zu geben. Danach hatte sich das Verhältnis zwischen dem vorwitzigen Mädchen und der gestandenen Frau schlagartig verbessert.
Bei der Erinnerung musste er schmunzeln.
Hopes Vater Randy hatte als Cowboy für ihn gearbeitet. Ihre Mutter war an einem Fieber gestorben, als sie acht Jahre alt war, und so hatte Randy ihre Erziehung übernommen. Oder zumindest das, was er darunter verstand. Bald hatte er damit begonnen, seiner Tochter das Schießen beizubringen, wofür sie sich als erstaunlich talentiert erwies.
Auch sonst war sie alles andere als ein gewöhnliches kleines Mädchen gewesen. Sie trug Hosen und Hemden statt Kleider und ging keiner Prügelei aus dem Weg, was darin gipfelte, dass sie einem viel größeren und stärkeren Jungen ein blaues Auge verpasste und das Nasenbein brach.
Wie Randy ihm einmal erzählt hatte, schlugen Hopes Lehrer angesichts ihrer Eskapaden regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen. Doch er hatte nicht verzweifelt oder verärgert geklungen. Im Gegenteil, aufrichtiger Vaterstolz hatte in seinen Worten mitgeschwungen.
Randy war ein guter Arbeiter gewesen, und Tucson hatte schnell Gefallen an seiner wilden Tochter gefunden. Nachdem Randy im betrunkenen Zustand bei einer von ihm provozierten Schießerei ums Leben gekommen war, nahm der Rancher Hope kurzerhand bei sich auf. Sie verlor keine Zeit und wickelte ihn um den Finger, und ein Vierteljahr später erlaubte er ihr sogar, nicht mehr zur Schule zu gehen – einfach, weil er ihr nichts abschlagen konnte.
Die Zeit nutzte sie, um an ihren Schießkünsten zu feilen. Eines Tages, da war sie achtzehn gewesen, bot sie ihm an, als Leibwächterin für ihn zu arbeiten. Ein Angebot, das er gerne annahm. Ein erfolgreicher Geschäftsmann hatte immer Neider und Feinde, und zumindest in ihrer Gegend hatten sich Hopes besondere Fähigkeiten längst herumgesprochen. Niemand, der bei Verstand war, wollte sich mit ihr anlegen.
Zudem genoss Tucson ihre Gegenwart. Nicht, dass er jemals daran gedacht hätte, sich ihr sexuell zu nähern. Das wäre ihm nie in den Sinn gekommen. Schließlich war sie für ihn wie seine eigene Tochter. Es war nur so, dass er sich in ihrer Anwesenheit rundum wohl und vor allem sicher fühlte.
»Wann kommt Hope zurück?«, fragte Martha, als hätte sie seine Gedanken gelesen.
Tucson überlegte. »In zwei Tagen, denke ich. Morgen endet der Wettkampf, und ich glaube nicht, dass sie mehr Zeit in Littleton verbringen wird als nötig.«
Littleton lag einen Tagesritt entfernt und war für seine Schießwettbewerbe weit über die Grenzen des Staats hinaus bekannt. Jedes Jahr trafen dort Dutzende Teilnehmer aus allen Teilen des Landes zusammen, um miteinander ihre Treffsicherheit zu messen. Dem Gewinner winkte ein stattliches Preisgeld in Höhe von zweitausendfünfhundert Dollar.
Hope hatte lange darüber nachgegrübelt, ob sie dieses Jahr zum ersten Mal teilnehmen sollte. Ihr Ehrgeiz hatte sie gekitzelt, andererseits war ihr bewusst, dass sie als Frau eine Menge Aufmerksamkeit auf sich ziehen würde, und das lag ihr nicht besonders. Tucson hatte keine Gelegenheit ausgelassen, sie zu ermuntern, und so war sie schließlich nach Littleton aufgebrochen.
Auf ihren Bericht war er sehr gespannt. Und natürlich darauf, ob sie gewonnen hatte, was er ihr ohne weiteres zutraute.
»Erwarten Sie Besuch, Mister Tucson?« Martha war ans Fenster getreten. »Gerade kommen vier Männer durchs Tor geritten.«
Tucson runzelte die Stirn. Wer mochte das sein? Sein Terminkalender heute war leer, was selten genug vorkam, und er hatte vorgehabt, es ein wenig gemächlicher als gewöhnlich angehen zu lassen. Die vergangenen Tage waren randvoll mit Arbeit gewesen. Was auch der Grund dafür war, warum er Hope nicht hatte begleiten können.
Er stand auf und ging zum Fenster. Die Reiter näherten sich dem Haupthaus, in dem sie sich befanden. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte er ihre Gesichter zu erkennen. Keiner von denen kam ihm auch nur annähernd bekannt vor.
In seinem Nacken verspürte er einen kühlen Hauch, als hätte ihn eine kalte Hand berührt.
Sie waren etwa vierzig Yards entfernt, als ihnen einer seiner Männer mit erhobenem Gewehr entgegentrat. Es handelte sich um Bart Melville, seinen tüchtigen Vorarbeiter, unter dessen strengem Blick selbst der faulste Cowboy ranklotzte, als gäbe es kein Morgen.
Bart rief den Reitern etwas zu, worauf sie ihre Pferde zügelten.
Tucsons Herz übersprang einen Schlag.
Einer der Männer hatte blitzschnell seinen Revolver gezogen und feuerte aus nächster Nähe auf Bart, der sofort zu Boden ging. Im Fallen gab er seinerseits einen Schuss ab, doch die Kugel zischte harmlos in den blauen Morgenhimmel. Er blieb auf dem Rücken liegen und rührte sich nicht mehr.
»Verflucht noch mal!«, entfuhr es Tucson. »Martha, geh nach oben und versteck dich. Sofort!«
Mit zwei Sätzen war Martha an der Treppe und eilte die Stufen hinauf. Tucson hastete ins Wohnzimmer, öffnete den Waffenschrank und nahm die Winchester heraus. Das Gewehr war stets geladen und feuerbereit.
Draußen donnerten weitere Schüsse, in die sich entsetzte Schreie mischten.
Mit dem Schießeisen in der Hand stürzte er zur Tür. Diese Mistkerle würden ihr blaues Wunder erleben! Niemand griff ungestraft Bill Tucsons Ranch an und tötete seinen Vorarbeiter. Eine innere Stimme mahnte ihn, dass er den Hinterausgang nehmen sollte, statt sich blindlings frontal ins Kampfgetümmel zu stürzen, doch sein rasender Zorn ließ ihn jede Vorsicht vergessen.
Mit einem Ruck öffnete er die Tür – und starrte in das Gesicht eines bärtigen Mannes, der offensichtlich vorgehabt hatte, sich mit einem wuchtigen Tritt Einlass zu verschaffen. Er stand auf einem Bein, das andere hatte er angehoben. Sein Fuß schwebte einige Zoll über dem Boden.
Tucson riss das Gewehr hoch und wusste im selben Moment, dass er zu langsam war. Sein Gegenüber hatte sich von der Überraschung erholt und richtete den Revolver auf ihn. Das letzte Mal, dass Tucson in das schwarze Loch einer Mündung geblickt hatte, lag über ein Jahr zurück. Damals war ihm der Kopfgeldjäger Ben Morane zu Hilfe gekommen.* Doch Morane war weit weg, sofern er noch lebte.
Ein dumpfer Knall, ein wuchtiger Schlag gegen seine Brust. Tucson taumelte rückwärts ins Wohnzimmer. Auf seinem bis eben makellosen weißen Hemd prangte ein roter Fleck, der rasch größer wurde. Das Gewehr entglitt seinen kraftlos gewordenen Fingern und landete mit einem metallischen Klappern auf dem Dielenboden. Nur mit Mühe hielt er sich aufrecht. Die Muskeln in seinen Beinen schienen ihren Platz zugunsten einer Portion von Marthas Rührei geräumt zu haben.
Seltsamerweise fühlte er keinen Schmerz. Dennoch entrang sich ein leises Stöhnen seiner Kehle, als er den Kopf hob. Der Schütze war ihm nachgekommen und grinste ihn höhnisch an, wobei er gelbliche Zähne entblößte. Langsam hob er die Waffe. Tucson war klar, dass er mit der Kugel in seinem Körper keine Überlebenschance hatte. Schon spürte er den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Doch der Dreckskerl wollte sichergehen und zielte auf seine Stirn.
»Elender ...«, presste Tucson hervor, dann peitschte der Schuss.
✰
»Als nächstes an der Reihe ist die Überraschung unseres diesjährigen Wettbewerbs. Applaus für Hope Bryers, Leute!«
Tosender Beifall begleitete Hope auf ihrem Weg. Einige Zuschauer brachen vor Begeisterung in Jubel aus, was ihr ein amüsiertes Lächeln entlockte. Nur zu gut erinnerte sie sich an die skeptischen Blicke und das Tuscheln, nachdem sie sich im Saloon von Littleton in die Teilnehmerliste eingetragen und die fünf Dollar Gebühr auf den Tisch gelegt hatte. Inzwischen hatte sich jegliche Skepsis verflüchtigt, und wenn über sie getuschelt wurde, war deutlich der Respekt für ihre bisherige Leistung herauszuhören.
Der Schießwettbewerb wurde auf einem eigens dafür angelegten großen Platz vor den Toren der Stadt ausgetragen. Mindestens fünfhundert Menschen hatten sich auf der vollbesetzten Tribüne eingefunden. An kleinen Buden wurden Snacks und Bier angeboten, wovon die Leute in den Pausen reichlich Gebrauch machten.
Am heutigen Finaltag herrschte eine ausgelassene Stimmung; jeder Treffer wurde frenetisch gefeiert, jeder Fehlschuss mit Lachen und Buhen quittiert. Seit dem Morgen schien die Sonne vom beinahe wolkenlosen Himmel herab, und es war angenehm warm und nahezu windstill. Die Bedingungen hätten kaum besser sein können.
Hope genoss jede Minute und bereute es längst, dass sie sich nicht schon früher zu einer Teilnahme durchgerungen hatte.
Die Schützen standen mit dem Rücken zum Publikum, da die Veranstalter keinen Unfall durch eine verirrte Kugel riskieren wollten. Mit jeder Runde waren die Aufgaben schwieriger geworden, und immer mehr von ihnen waren ausgeschieden.
Am Anfang war es einfach gewesen. Auf einem mobilen Zaun hatte man leere Flaschen aufgestellt. Ein Treffer beim ersten Versuch war für den Schützen notwendig, um in die nächste Runde zu kommen. Ein Kinderspiel für jeden, der mit seiner Waffe umgehen konnte, wie Hope fand. Dennoch hatten sich bereits bei dieser Disziplin einige ihrer Konkurrenten verabschieden müssen.
Schon anspruchsvoller war es, die Glaskugeln zu erwischen, die in die Luft geworfen und zerschossen werden mussten, bevor sie im Gras landeten. Auch diese sowie alle weiteren Herausforderungen hatte Hope mit Bravour gemeistert.
Jetzt waren sie nur noch zu zweit. Ihr letzter verbliebener Gegner hieß Vernon Blackwell und war der dünnste Mann, dem sie je begegnet war. Sein Gesichtsausdruck hatte etwas Verkniffenes. Sein Kinn ähnelte einem in die Länge gezogenen Dreieck, und irritierenderweise dünstete er einen starken Geruch nach Fisch aus. In seinem schwarzen Anzug erinnerte er Hope an einen Totengräber. Er hatte die Angewohnheit, sich alle paar Minuten mit dem Handrücken die Stirn zu reiben.
Bei dieser letzten Disziplin musste aus zehn Yards Entfernung eine aufrechtstehende Münze von einem knapp anderthalb Yard hohen Holzpfosten heruntergeschossen werden. Verfehlte eine Finalist und gelang dem anderen anschließend ein Treffer, war der Sieg entschieden.
Blackwells erste Kugel hatte ihr Ziel gefunden. Während Hope auf die mit einer kleinen Fahne markierte Schussposition zuging, machte er keine Anstalten, selbige zu räumen. Schon stieg ihr der Fischgeruch in die Nase. Heute schien er intensiver zu sein als die Tage zuvor.
Vor ihm blieb sie stehen. Der Applaus der Menge erstarb. Noch immer rührte sich Blackwell nicht. Aus seinen kalten Augen starrte er sie durchdringend an. Die dünnen Lippen hatte er so fest aufeinandergepresst, dass sie einen Strich bildeten.
Hatte er vor, sie nervös zu machen? Hope wusste, dass Blackwell sie nicht leiden konnte. Ganz im Gegensatz zu den ausgeschiedenen Schützen. Keinem von ihnen hatte es etwas ausgemacht, gegen eine Lady verloren zu haben. Im Gegenteil, gestern Abend im Saloon war sie umschwärmt worden wie das Licht von einem Schwarm Motten, und sie hatte so manchen Drink spendiert bekommen.
Blackwell hätte ihr vermutlich nicht mal ein Glas abgestandenes Wasser ausgegeben. Wie ihr zugetragen worden war, hatte er versucht, Hope vom Wettbewerb ausschließen zu lassen. Mit keiner anderen Begründung, als dass sie eine Frau war und seiner Meinung nach nicht auf den Schießplatz gehörte. Die Veranstalter hatten ihm die kalte Schulter gezeigt.
»Was ist los mit Ihnen, Blackwell?«, fragte sie. »Hat Ihnen jemand die Schuhe an den Boden genagelt, oder sind Sie gelähmt vor Angst?«
Ein überraschter und zugleich empörter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. »Wovor sollte ich Angst haben?«, knurrte er.
»Davor, dass ich Ihnen heute den Arsch versohle.«
Er zuckte zusammen, als hätte sie ihn geschlagen.
»Sie halten sich wohl für Annie Oakley, was?«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Nein, denn ich bin besser«, erwiderte sie betont gelassen, weil sie ahnte, dass ihn das wütend machen würde. Fraglos legte er es darauf an, sie mit seiner kleinen Show zu verunsichern. Hope beschloss, das als Kompliment zu sehen, bedeutete es doch nur, dass er tatsächlich fürchtete, gegen sie zu verlieren.
Sein Kiefer begann zu mahlen. Er hob die Hand und rieb sich die Stirn. Inzwischen war es totenstill geworden. Hope konnte die Blicke der Zuschauer beinahe körperlich im Rücken spüren. Sicher fragten sie sich, was da vorne los war.
»Elende Schlampe!«, zischte er so leise, dass nur sie es hören konnte. »Weiber gehören ins Bett und in die Küche, nicht hierher.«
Sie setzte das freundlichste Lächeln auf, das sie zustande brachte.
»Ich schlage vor, Sie verpissen sich, Blackwell, bevor ich mit Ihren kleinen Eiern etwas anstelle, was Sie nie vergessen werden.«
Seine Augen weiteten sich. »Wie können Sie es ...?«
»He, Mister Blackwell, Miss Bryers!«
Sein Kopf flog herum. Neben dem Pfosten mit der Münze stand Jeremy Duncin, einer der Kampfrichter, und schaute fragend in ihre Richtung.
»Wir sollten langsam anfangen. Ihre Unterhaltung können Sie später fortsetzen, meinen Sie nicht?«
Blackwell warf Hope einen düsteren Blick zu, drehte sich auf dem Absatz um und stapfte davon.
Hope atmete tief durch, verbannte den dürren Widerling aus ihren Gedanken, hob das Gewehr und lud durch. Fest presste sie den Kolben an ihre Schulter, schloss ein Auge und visierte mit dem anderen das Ziel an. Die Münze war schon nicht besonders groß, wenn man sie in der Hand hielt. Aus dieser Entfernung kam sie ihr winzig klein vor.
Ihr rechter Zeigefinger berührte das kalte Metall des Abzugs.
Schoss sie daneben, war sie raus. Das durfte schon deshalb nicht passieren, weil sie es dem aufgeblasenen Wichtigtuer zeigen wollte. Zu sehen, wie er vor Wut fast erstickte und sich mit seinem dämlichen Handrücken die Stirn wund rieb, würde ihr ein wahres Fest sein.
Sie drückte ab. Das Gewehr ruckte in ihren Händen.
Die Münze war verschwunden.
Treffer!
Die Menge begann zu applaudieren. Vereinzelt hörte Hope, wie ihr Name gerufen wurde. Zufrieden kehrte sie in die Wartezone vor der Tribüne zurück. An Blackwell verschwendete sie keinen Blick.
Eine Viertelstunde später waren sie in der vierten Runde angelangt. Blackwell war an der Reihe. Sein Gesicht war noch verkniffener als sonst, und Hope glaubte, ein leichtes Zittern seiner rechten Hand zu bemerken. Nach dem vergeblichen Versuch, sie aus der Ruhe zu bringen, schien er nun selbst nervös zu werden. Er hatte kein zweites Mal den Platz an der Fahne blockiert.
»Sie haben da was an der Stirn«, flüsterte sie ihm zu, als sie aneinander vorbeigingen. Dabei setzte sie einen so erstaunten Blick auf, als wäre ihm ein Horn gewachsen. Nachdem sie die Wartezone erreicht hatte, drehte sie sich um und sah Blackwell an der Fahne stehen. Wie wild rieb er seine Stirn. Nur mit Mühe gelang es ihr, nicht laut loszulachen.
Ein Raunen ging durchs Publikum. Endlich ließ er von seiner Stirn ab, hob das Gewehr und legte an. Es wurde so still, dass man eine Fliege hätte summen hören können. Jeder schien den Atem anzuhalten.
Er würde danebenschießen. Hope hätte nicht sagen können, woher sie das wusste, aber sie wusste es.
Blackwell drückte ab. Der Schuss zerriss die Stille.
Die Münze stand nach wie vor auf dem Pfosten.
Hope biss sich auf die Lippen. Ihr nächster Versuch konnte den Wettbewerb entscheiden.
Wie durch einen Tunnel ging sie auf die Fahne zu, die Augen starr auf die Münze gerichtet. Sie blendete alles um sich herum aus, auch Blackwell, der mit puterrotem Gesicht an ihr vorbeimarschierte. In diesem Augenblick war sie vollkommen eins mit sich selbst.
Alles geschah ganz automatisch. Sie blieb stehen, legte an, feuerte – und traf.
Hopes Anspannung entlud sich in einem gellenden Schrei. Sie riss die Arme hoch und rannte Richtung Tribüne. Beiläufig bemerkte sie, wie Blackwell an ihr vorbeihastete, als wollte er sich aus der Nähe überzeugen, dass die Münze nicht mehr auf ihrem Platz stand. Tosender Jubel brandete auf, lauter als je zuvor. Niemanden hielt es auf seinem Sitz.
Mit ausgebreiteten Armen blieb Hope vor der Tribüne stehen und genoss die Begeisterung, die ihr entgegenbrandete. Bill Tucson würde mächtig stolz auf sie sein. Darüber freute sie sich am meisten.
»Vorsicht, Lady!«, rief ihr jemand aus einer der vorderen Reihen zu.
Hope wirbelte herum. Blackwell kam auf sie zugestürmt. Seine Augen hatte er weit aufgerissen. In der Hand hielt er ein Messer.
Sie ließ das Gewehr fallen, warf sich zur Seite und spürte den Luftzug, als die Klinge an ihr vorbeizischte und sich in die schulterhohe Holzwand bohrte, die die Tribüne nach vorn begrenzte. Mit einem röhrenden Laut riss Blackwell das Messer heraus und wollte den nächsten Angriff starten.
Ihre Faust schoss vor und traf seine Nase. Es knackte vernehmlich, als der Knochen unter ihren Fingern brach. Blackwell schrie auf vor Schmerz. Blut strömte ihm aus den Nasenlöchern. Er wich zurück, schien für einen Moment die Orientierung verloren zu haben.
Das nutzte Hope aus. Sie sprang ihm nach und versetzte ihm einen wuchtigen Tritt zwischen die Beine. Wie vom Blitz getroffen klappte er zusammen und ließ das Messer fallen. Mit ihrer Stiefelspitze beförderte sie es außer Reichweite. Dann griff sie nach der Winchester und richtete die Mündung auf den Mann, der sich am Boden krümmte.