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Einen Sarg hinter sich her ziehend, kehrt Harry Bowen aus Oklahoma zurück. Bevor er endgültig ein neues Leben beginnt, will er eine alte Schuld begleichen. Allen Widerständen zum Trotz! Doch dann begegnet er Coralee, der schönen Tochter des Weidetyrannen ...
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Seitenzahl: 161
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Tief gesunken, doch nicht tot
Vorschau
Impressum
Tief gesunken, doch nicht tot
So könnte man die Lebenssituation von Harry Bowen beschreiben, dem Sohn eines begüterten Ranchers aus Wyoming. Harry hat sich mit seiner Familie überworfen und ist in einem Drecksloch irgendwo in Oklahoma versunken. Gerade steuerte er auf einen neuen Tiefpunkt seiner Laufbahn zu, als seine Tante Hazel auftaucht und ein ernstes Wort mit ihm spricht.
Von diesem Augenblick an hält das Leben für Harry eine Wildwasserfahrt bereit. Tausend Meilen sind es bis nach Hause, und die besondere Last, die er mit sich führt, macht diese abwechslungsreiche Reise nicht einfacher.
Am Ziel angekommen, bricht ein regelrechter Mahlstrom aus Problemen über ihn herein. Die Kugeln fliegen über die Wind River Range, doch auch Harrys Liebesleben hält Überraschungen bereit – vorausgesetzt, er übersteht die lebensbedrohlichen Widrigkeiten ...
Camp Last Chance in der Last Chance Gulch, in einer abgelegenen, bergigen Ecke von Oklahoma. Die meisten von denen, die hier gestrandet waren, hatten keine Chance mehr. Harry Bowen gehörte zu ihnen.
Im Moment scherte ihn das wenig. Er tobte sich aus, er war angetrunken und hatte Sex auf der Tanzfläche des »Glittergold Saloons« mit der rothaarigen Schnepfe Lizzy Water. Harry sollte etwas Besonderes zeigen.
Lizzy hatte ihn herausgefordert. Auffordernd ihren Rock gelüpft, unter dem sie nichts trug, und von Harry verlangt, sie im Stehen auf der Tanzfläche zu nehmen. Beim Tanzen. Die Meute hatte gejohlt und gegrölt.
»Ja, mach das Harry, zeig es uns und der roten Schnepfe. Stopf sie!«
Harry, an der Bar stehend, hatte zunächst abgelehnt. Doch sie forderten ihn heraus.
»Feigling.«
»Du bist kein Mann. Du hast Angst zu versagen. Du bist bloß ein Großmaul.«
»Schlappschwanz, er kneift.«
Daraufhin griff ihm Lizzy – mit tiefem Ausschnitt und üppigen Formen – zwischen die Beine in den Schritt.
»Der Wildpferdjäger Harry ist nicht übel. Das weiß ich. Aber das schafft er nicht.«
»Was soll denn schon groß dabei sein?«, fragte ein anderer bulliger Mann, dem sämtliche Laster der Welt ins Narbengesicht geschrieben standen. »Ich mach' das, ich packe dich locker.«
»Wir wollen Harry!«, riefen die anderen.
Der Saloon war an diesen Abend Ende April gut besucht. Ein paar hundert Jahre Zuchthaus versammelten sich hier. Und lose Weiber. Manch einem wäre der Henker mit dem Strick hinterhergaloppiert.
Zum Jux hatte der Saloonwirt ein paar Steckbriefe von illustren Stammgästen an die Wände genagelt. Hierher wagte sich kein Gesetzesvertreter; er wäre mit Blei gefüllt worden.
Der Saloonwirt, Kaschemmen-Wilk, stemmte die haarigen Unterarme auf den Tresen.
»Fünfhundert Dollar, wenn du das machst, Harry. Dafür musst du viele Pferde fangen und zureiten.«
»Du musst es ja locker haben«, meldete sich ein anderer, den sie den Gefederten nannten.
Man hatte ihn in Kansas schon mal geteert und gefedert und aus der Stadt gejagt. Dabei waren ihm auch die Ohren geschlitzt worden, die Markierung für einen Betrüger. Er verbarg sie unter seinem langen, speckigen Haar.
Harry, ein großer schlanker langhaariger Mann in Wildlederkleidung, hörte sich das Gegröle an. Lizzy zerrte an ihm herum. Die anderen stachelten ihn weiter an.
Kaschemmen-Wilk schob ihm die Brandyflasche zu.
»Da, trink einen Schluck als Mutmacher.«
Scarface Bill bot sich weiter an und drängte sich vor.
»Ich mach das, ich kann das, das ist eine meiner leichtesten Übungen!« Er leckte sich über die Lippen. »Auf die Rote Lizzy bin ich schon lange scharf.«
»Dich würde ich nicht mal nehmen, wenn du mit Gold gepudert wärst und die Taschen voller Dollars hättest!«, wies das Saloonflittchen ihn ab. »Harry, was ist? Traust du deiner Männlichkeit nicht?«
Sie fasste ihn wieder an. Mit Scarface Bill hatte sie sich tatsächlich nie eingelassen, obwohl sie nicht wählerisch war. Er sah auch erschreckend aus – pockennarbig, zudem war ihm mit einer Flaschenscherbe mal durchs Gesicht gefahren worden. Mit der Hygiene hatte er es obendrein nicht, und böse Zungen behaupteten, man würde ihn riechen, bevor man ihn sah.
Er war ein Totschläger und Halunke.
Harry trank von dem Brandy, ein übles Gesöff. Es schüttelte ihn.
Warum nicht, dachte er, fünfhundert Dollar sind nicht zu verachten. Wer bin ich denn, die Show abzulehnen? Ich bin genauso abgewrackt und am Ende wie alle hier.
»Okay.« Er knallte die Flasche auf den Tresen. »Ich mach's. Lizzy, jetzt kannst du was erleben.«
Die Meute johlte noch mehr und machte obszöne Bemerkungen. Harry schnallte den Revolvergurt ab, an dem auch ein großes Messer hing, und zog seine Hose aus. Lizzy riss ihre Bluse auf.
»Da!«
Sie zeigte die strotzenden Brüste. Die Zuschauermeute tobte. Im Saloon ging es hoch her. Der Besitzer war zufrieden; er wollte seinen Gästen immer wieder mal was Besonderes bieten. Je schmutziger, desto besser.
Der Pianist hämmerte in die Tasten. Die Tanzfläche wurde geräumt. Lizzy ging in die Knie und nahm Harrys bestes Stück in den Mund. Sie reizte ihn, bis er hammerhart wurde, von drastischen Kommentaren angefeuert.
Dann stand sie auf, hob ihren Rock und sprang hoch, während Harry sie unter den Achseln packte. Sie umschlang ihn mit den Schenkeln, klammerte sich an ihm fest.
Harry bewegte den Unterleib und suchte. Lizzy fasste mit einer Hand zu, bog das Becken zurück und dirigierte ihn dorthin, wo sie ihn haben wollte. Sie stieß einen lauten Schrei aus.
Harry glitt in sie hinein. Lizzy schlug den Rock über die Taille hoch und zeigte alles. Die Zuschauer klatschten, glotzten, verdrehten den Hals und überzeugten sich, dass Harry tatsächlich mit seinem Lustspeer in ihrer Grotte steckte.
Lizzy hüpfte ein paar Mal auf und nieder. Harry hielt sie, er war ein starker Mann. Er musste sich auf das konzentrieren, was er tat. Nachdenken konnte er dabei nicht.
»Tanzen, tanzen!«, johlten die Gaffer und paar Gafferinnen. »Mack, hau in die Tasten! Willem, hol dein Horn! Wir wollen den Deguello hören.«
Begeistert stimmte die Meute zu. Abschaum war das, das Übelste vom Üblen. Und Harry, ein Sohn aus gutem Haus, machte dabei mit.
Er tanzte, bewegte sich mit Lizzy, mit der er im Stehen Verkehr hatte, während sie zum Takt der Musik tanzten. Andere Saloongäste packten bei den Girls zu, fummelten, gingen jedoch nicht bis zum Letzten.
Kaschemmen-Wilk war es zufrieden. So liebte er es. Abend war es, und es stand noch allerhand an. Er würde auf seine Kosten kommen.
»Mack, spiel einen flotten Reel!«, rief er dem Pianisten mit den schiefen Schultern zu. »Harry, lass Lizzy hüpfen. Mach ja nicht schlapp, Junge!«
Nach dem Reel sollte der Deguello an die Reihe kommen. Das war nun keine Melodie für einen solchen Zweck und ein solches Umfeld. Sie wurde übel missbraucht.
Harry bewegte sich und strengte sich an. Der Schweiß brach ihm aus. Doch er ließ nicht nach, zum Gaudium der Zuschauer, die mit Bemerkungen nicht sparten.
Willem stand schon mit seinem Horn bereit und grinste von Ohr zu Ohr.
Da erklang eine Frauenstimme: »Ihr Schweine! Was machst du da, Harry?«
Zunächst achtete niemand auf die Ruferin. Doch dann krachte ein Schuss, in die Decke gefeuert. Schlagartig wurde es ruhig.
Die Männer und paar Girls wichen zur Seite. Man sah eine kleine, grauhaarige Frau im langen Kattunrock da stehen. Sie hielt den rauchenden Colt in der Hand. Den hatte sie einem Mann neben ihr aus dem Holster gezogen.
Das Piano verstummte.
»Harry!«, sagte die grauhaarige Lady streng.
Harry Bowen, gerade noch ausgelassen, schwitzend und tobend, entfesselt und bar aller Hemmungen, wurde leichenblass.
»Tante Hazel!«, stieß er hervor. »Das kann doch nicht wahr sein. Wo kommst du denn her?«
»Von draußen«, sagte sie. »Harry, du solltest dich schämen. Benimm dich, lass die Frau los und zieh deine Hose an. Komm mit mir. Ich bin hier, um dich heimzuholen. Man braucht dich in Wyoming auf der Wildwasser-Ranch.«
✰
Harry bekam, was niemand für möglich gehalten hätte, einen knallroten Kopf. Er hob Lizzy ein wenig an und setzte sie auf der Tanzfläche ab. Dann bedeckte er mit den Händen sein Gemächt, ging eilig zu dem Stuhl, über dem seine Hose und sein Revolvergurt hingen, und legte beides an.
Die grauhaarige alte Lady betrachtete ihn streng, die Hände in die Seiten gestemmt.
»Tsk, tsk, tsk«, machte sie. »Harry, du solltest dich schämen. Was ist bloß aus dir geworden? Deine Mutter würde sich im Grab umdrehen, wenn sie sehen würde, was du hier ableistest.« Sie wandte sich an die Zuschauer. »Ihr alle solltet euch schämen. Sie ganz besonders, junge Frau.« Damit meinte sie die Rote Lizzy. Diese hatte den Rock fallen lassen, die Brüste noch unbedeckt. »Wie können Sie es auf offener Bühne und vor Zuschauern treiben? Was ist das hier für ein verkommenes Nest?«
Kaschemmen-Wilk mischte sich ein. Ihm missfiel, was hier geschah.
»Augenblick mal, Lady. Wer sind Sie denn überhaupt, und was wollen Sie hier? Sie stören. Das ist mein Lokal. Ich habe Sie nicht gerufen. Scheren Sie sich fort, aber schnell, oder ich werde sehr ungemütlich. Werft sie raus, Jungs. Eine Moralapostelin können wir hier nicht gebrauchen. Wo sind wir denn hier?«
»In einem verkommenen Drecknest!«, antwortete ihm die alte Lady. »Harry, komm her!«
Der Wildpferdjäger trottete zu ihr. Er schnallte den Revolvergurt fest.
»Ja, Tante Hazel?«
Zack, hatte er eine weg. Die grauhaarige kleine Frau knallte dem anderthalb Köpfe größeren und viel jüngeren Mann eine, die nicht von schlechten Eltern war. Er rieb sich die Wange, auf der sich alle fünf Finger abzeichneten. Und schaute betroffen drein.
»Die hast du verdient, Harry. Du kommst mit nach Hause.«
Die Situation war absurd. Einer fing an zu lachen. Bald lachten alle im Saloon, krümmten sich, schlugen sich auf die Schenkel. Auch Kaschemmen-Wilk hinter dem Tresen grölte. Hazel wurde der Colt weggenommen, den sie an sich gebracht hatte.
»Nein, das ist ein Spaß! Kommt diese alte Schnepfe hierher und stört unseren Spaß. Als ob sie hier was zu sagen hätte!«
»Setzt sie verkehrt herum auf ein Pferd oder auf einen Esel. Bindet ihr die Hände fest und jagt sie fort!«
»Nein, gießt ihr Schnaps in den Hals. Dann wird sie umgänglicher sein. Vielleicht strippt sie sogar für alle.«
»Das wäre ein Spaß! Und Harry macht weiter und verdient sich die fünfhundert Dollar. Wie sieht es aus, Harry?«
Der Wildpferdjäger biss die Zähne zusammen, dass der Zahnschmelz knirschte.
»Nein«, stieß er hervor. »Lasst sie in Ruhe! Hört sofort auf zu lachen!«
Das Gelächter und Gegröle verebbte. Alle hörten gespannt, was Harry, den sie als einen der ihren betrachteten, zu der Lady sagte.
»Tante Hazel, das kann nicht dein Ernst sein! Du weißt, dass ich mit meiner Familie gebrochen habe. Ich wurde verstoßen. Davongejagt, enterbt. Es gab einen Streit. Ich will nie wieder nach Hause. Ich schwor, die Wildwasser-Ranch nie mehr zu betreten. Ich bin nicht mehr Cord Bowens Sohn. Meine Geschwister kenne ich nicht mehr, genauso wenig wie sie mich. Mir ist ganz Wyoming verleidet. Dorthin will ich nie mehr zurück.«
Die Lady sagte: »Harry, benimm dich wie ein Mann und nicht wie ein trotziger kleiner Junge. Du musst heimkehren, denn die Ranch steht auf dem Spiel. Dein Vater ist tot, deine Schwester wird bedrängt. Dein Bruder wurde ein haltloser Krüppel, der seine Ohnmacht im Schnaps ersäuft. Deine Mutter ist ja schon lange tot.«
»Was geht mich das an? Mit den Bowens verbindet mich nichts mehr. Soll die Wildwasser doch zum Teufel gehen. Wenn du hergekommen bist, um mir ins Gewissen zu reden und mich zurückzuholen, hast du den Weg umsonst gemacht, Tante Hazel. Dann kannst du gleich wieder umkehren.«
Die grauhaarige alte Frau entgegnete mit Würde: »Ich bin tausend Meilen gereist, Harry, um mit dir zu reden. Immerhin bedeute ich dir noch etwas, wie ich daraus schließe, dass du mich Tante nennst und verhinderst, dass diese Leute über mich lachen. Rede mit mir, höre mir zu. Ich bin deine Amme und dein Kindermädchen gewesen. Später, als deine Mutter viel zu früh starb, zog ich dich groß. Ich weiß, dass du einen guten Kern hast. Besinne dich, Harry Bowen! Kehr um auf dem Weg, auf dem du gehst, auf der schiefen Ebene, die ins Verderben führt! Oder hast du deine Hände schon mit Mord und Raub beschmutzt? Bist du ein Bandit und Verbrecher geworden?«
»Nein, Tante Hazel.«
»Dann ist es noch nicht zu spät. Kehre um! Geh mit mir, weg von hier.«
Harry stand vor ihr. Seine Wange war rot von der Ohrfeige, man sah den Abdruck der Finger. Die alte Lady schrieb eine kräftige Handschrift.
Harry schüttelte den Kopf.
»Nein, Tante Hazel. Niemals und um keinen Preis tue ich das. Zwischen mir und der Wildwasser-Ranch ist das Band zerrissen. Ich habe keine Familie mehr. Den Tod meines Vaters und das Unglück meines Bruders bedaure ich, doch es geht mich nichts an. Nicht mehr.«
»Harry ...«
»Nein.«
Da trat Scarface Bill vor, stieß die alte Lady zur Seite und höhnte: »Weg mit der alten Schnepfe. Was ist mit dir, Wild Horse Harry? Da steht er und fängt gleich zu flennen an! Stehst du nicht mehr deinen Mann? Dann mache ich weiter mit der Roten Lizzy und verdiene mir die fünfhundert Dollar. Dann zeige ich euch mal, was ein richtiger Mann ist.«
Harry streckte ihn mit einem einzigen krachenden Kinnhaken nieder. Er stieg über den Bewusstlosen weg und fasste Hazel am Arm.
»Hat er dir wehgetan, Tante Hazel?«
»Nein, Junge. Ich bin nicht aus Marzipan.«
»Lass uns hier weggehen, Tante Hazel. Du kannst bei mir in der Hütte übernachten. Morgen früh bringe ich dich nach Tulsa. Von dort reist du wieder heim. Tausend Meilen, mit der Postkutsche, zu Pferd, mit der Eisenbahn. Tausend Meilen von hier nach Wyoming. Deine Treue zur Ranch und zu den Bowens ehrt dich. Doch es nützt nichts. Ich kehre nicht mehr dorthin zurück. Ich bin der verlorene, verstoßene Sohn – kein Bowen mehr, ich trage nur noch den Namen. Komm, Tante Hazel, lass uns gehen.«
Als sie den Saloon verließen, rief der Wirt ihnen hinterher: »Was ist mit den fünfhundert Dollar, Harry? Willst du sie dir nicht verdienen? Kannst du auf fünfhundert Dollar verzichten?«
»Friss sie«, sagte Harry ihm über die Schulter zurück. »Steck sie dir sonst wohin.«
Als er schon in der Tür war mit der alten Lady, hörte er noch jemanden sagen, der Scarface Bill untersucht hatte: »Er hat ihm den Kiefer gebrochen. Mit einem einzigen Schlag haute er dem Narbengesicht den Unterkiefer ein – und zwei Zähne aus. Teufel, das war ein Schlag!«
Dann waren sie draußen. Harry brachte Hazel zu seiner Unterkunft. Er ließ sich nicht von ihr umstimmen.
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Im Morgengrauen waren Harry und seine alte Amme aus seiner Kinderzeit schon wieder auf den Beinen. Sie hatten sich in der Nacht noch unterhalten, doch Harry blieb bei seiner Ablehnung.
Sie tauschten Kindheitserinnerungen aus. Er erzählte ihr einiges, was er jetzt trieb und was er getrieben hatte, seit er vor fünf Jahren im Streit und im Zorn von der Wildwasser-Ranch in der Nähe von Lander in Wyoming wegging. Dabei erwähnte er nicht alles.
Doch er erzählte, dass er im Großen und Ganzen auf der richtigen Seite des Gesetzes geblieben war. Ihr Eindruck von ihm, nach dem, wie sie ihn im »Glittergold Saloon« ertappt hatte, war schlecht genug.
Er versuchte auch gar nicht, das wegzureden.
»Ich bin ein wilder und aus der Bahn geratener Mann«, sagte er in der Nacht, ehe sie zu Bett gingen. »Und leichtsinnig. Mein Leben bedeutet mir nicht viel.«
»Weil du kein Ziel hast«, sagte ihm seine alte Amme, die schon im Bett lag. »Nichts, für das es sich lohnt zu leben.«
Sie sagte ihm nicht, dass er das ändern sollte, dass es schade wäre, wenn er so dahinlebte, sich treiben ließ. Wie sein Vater ums Leben kam, hatte sie ihm erzählt. Cord Bowen war einer Kugel aus dem Hinterhalt zum Opfer gefallen.
Wer sie abgefeuert hatte, wusste man nicht. Harry hatte keine Vermutungen hören wollen. Auch sonst lehnte er es ab, viel über die derzeitigen Zustände auf der Ranch zu erfahren.
»Das geht mich nichts mehr an. Das liegt hinter mir. Sollen sie sehen, wie sie zurechtkommen. Vater jagte mich fort, mein großer Bruder stand dabei und lachte – er stimmte ihm zu. Shania war nicht da. Sie war auch noch zu jung, um Partei zu ergreifen.«
So hieß die jüngere Schwester, die inzwischen achtzehn war. Harry hatte sie als ein langzopfiges, mageres Mädchen in Erinnerung. Sie hatte oft albern gelacht und ihm Streiche gespielt. Manchmal hatte sie ihn an den Rand des Wahnsinns gebracht, wenn sie ihm flache breitköpfige Nägel auf seinen Stuhl legte, einmal seinen Sattelgurt anschnitt, sodass er voll in den Dreck segelte.
Dann hatte sie ihm eine Klapperschlangenhaut ins Bett gelegt. Klapperschlangen häuteten sich regelmäßig. Harry hatte bei der schlechten Beleuchtung die Haut für eine Schlange gehalten, zumal sie ausgestopft war, und darauf geschossen.
Die Schüsse weckten das ganze Haus. Ein andermal hatte sie ihm Hagebuttenkerne ins Bett gelegt. Diese Körner juckten scheußlich.
Seine kleine Schwester war noch nicht mal davon zurückgeschreckt, beim Roundup-Lager auf der Bergweide die Stricke des Donnerbalkens anzusäbeln. Harry, damals neunzehn Jahre alt, wäre fast in die Grube mit den Fäkalien gefallen. Daraufhin hatte er seiner Schwester kräftig den Hintern versohlt und von seinem Vater einen üblen Anschiss erhalten.
»Du darfst das Mädel nicht schlagen.«
»Das ist kein Kind und kein Mädel, das ist ein kleiner Teufel in Menschengestalt!«
»Sie ist deine kleine Schwester. Du musst auf sie aufpassen. Ihre Mutter starb an den Blattern, als sie drei Jahre alt war. Du musst sie beschützen.«
»Ha! Man muss die Umwelt vor ihr beschützen. Sie ist rotzfrech, ein verzogenes Gör. Du müsstest sie härter anpacken, Pa.«
»Wie denn? Es ist schlimm genug, dass sie als Dreijährige ihre Mutter verlor. Hazel kann sie ihr nicht ersetzen.«
»Es war für uns alle schlimm, als Ma starb.«
In dem Punkt wurden sie sich nicht einig. Als Harry die Ranch verließ, erübrigte sich das.
Hazel hustete im Schlaf und weckte Harry damit auf. Sie hustete lange und arg.
»Ich bin nicht mehr gesund«, sagte sie. »Ich habe es auf der Brust.«
»Und trotzdem hast du die lange, beschwerliche Reise von Wyoming hierher unternommen. Wie hast du das überhaupt gepackt?«
»Ich bin eben ein zähes altes Luder.«
Am Morgen, als sie aufstanden, bestand Hazel Powers darauf, das Frühstück zuzubereiten. Außerdem rügte sie die mangelnde Ordnung und Sauberkeit in Harrys Unterkunft.
»Du lebst im Dreck, Harry. An deiner Kleidung fehlen Knöpfe. Deine Hose ist durchgewetzt, an den Stiefeln sind die Absätze schief gelaufen. Deine Haare sind zu lang und ungepflegt.«
Harry verdrehte die Augen, schwieg aber. Als sie den Haferbrei löffelten, beschwerte sich Hazel, dass Gewürze in der Kochecke fehlten.
»Und dein Bett, Harry, igitt! Wann hast du zum letzten Mal die Bettwäsche gewechselt?«
Harry hatte auf dem Boden geschlafen, auf einer Decke, und seiner alten Amme das Bett überlassen.
»Das war ... hm, vorletzte Woche.«
»Lüg mich nicht an. Das ist viel länger her. Eine Schande ist das. Männer sind Schweine, das sage ich immer. Ohne uns Frauen würden sie in ihrem Dreck ersticken und verkommen.«
»Ja, Tante Hazel. Ich sattle jetzt die Pferde. Du kannst doch reiten? Oder soll ich dir einen Buggy besorgen?«
»Papperlapapp, Harry. Ich bin auf einer Ranch aufgewachsen und habe dort gelebt. Was glaubst du, wie ich nach Last Chance gekommen bin? Hier fährt doch keine Kutsche her, in dieses abgeschiedene Nest.«
Harry ging und holte die Pferde. Als er in die Hütte zurückkam, fand er Hazel beim Saubermachen vor. Sie putzte und wischte Staub. Dabei sparte sie nicht mit Bemerkungen und rümpfte die Nase.
Als sie sogar seinen Nachttopf ausscheuern wollte, verwehrte ihr Harry das. Den hätte er nur in eiskalten Wintern in Gebrauch.
»Das spielt überhaupt keine Rolle. Das Ding stinkt zum Himmel. Das kann man nicht so lassen.«