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Der mexikanische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern von Präsident Benito Juárez und Kaiser Maximilian liegt lange zurück. Doch ein düsteres Vermächtnis aus jener Zeit schlummert an einem abgelegenen Ort, den kaum jemand mehr kennt. Jack Norris ist Sheriff von Tucson, Arizona. Eines Tages rettet er einen verletzten Mann vor den Apachen und bringt ihn in seine Stadt. Durch ihn erfährt Tucson von einem legendären Schatz der Juaristas, verborgen in den Ruinen einer verlassenen spanischen Mission. Schon das bloße Gerücht macht nicht nur die Bewohner von Tucson verrückt, sondern es lockt zwielichtige Gestalten an, die bereit sind, für Reichtum über Leichen zu gehen ...
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Seitenzahl: 151
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Blutspur nach Arizona
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Impressum
Blutspur nachArizona
Der mexikanische Bürgerkrieg zwischen den Anhängern von Präsident Benito Juárez und Kaiser Maximilian liegt lange zurück. Doch ein düsteres Vermächtnis aus jener Zeit schlummert an einem abgelegenen Ort, den kaum jemand mehr kennt.
Jack Norris ist Sheriff von Tucson, Arizona. Eines Tages rettet er einen verletzten Mann vor den Apachen und bringt ihn in seine Stadt. Durch ihn erfährt man in Tucson von einem legendären Schatz der Juaristas, verborgen in den Ruinen einer verlassenen spanischen Mission. Schon das bloße Gerücht macht nicht nur die Bewohner von Tucson verrückt, sondern es lockt zwielichtige Gestalten an, die bereit sind, für Reichtum über Leichen zu gehen ...
Im Städtchen Julimes am mexikanischen Conchos River stand der hochgewachsene, hagere Bandolero Rojo Camarena in der Weinlaube vor dem Mann, den er suchte. Jorge Gutierrez, genannt El Fusilado, saß ihm am Tisch gegenüber im Lehnstuhl. Er war nicht viel älter als Camarena, jedoch ein ganz anderer Typ.
Während man Camarena den harten, entschlossenen und gefährlichen Hombre – den Pistolero, mit dem nicht gut Kirschenessen war – auf hundert Meter ansah, wirkte Gutierrez abgeklärt und gemütlich.
Auf dem Tisch vor ihnen standen eine Schale mit Früchten, eine Karaffe mit Landwein und ein Krug Wasser. Die beiden Männer waren allein.
»Erzähl mir, wie das vor fünfzehn Jahren war, als du erschossen wurdest, Tío«, redete Camarena seinen Gastgeber respektvoll an.
Tío oder Onkel war die Anrede für einen älteren Verwandten oder für jemanden, den man respektierte und dem man vertraute.
Gutierrez, mit grauen Schläfen schon, obwohl er noch keine vierzig war, trank einen Schluck mit Wasser vermischten Wein.
Es war ein heißer Tag. Im Westen erhoben sich die Gipfel der Sierra in der hitzeflimmernden Luft. In Julimes, von Weinbergen umgeben, war es zur Mittagszeit still.
»Das habe ich schon oft erzählt«, berichtete Gutierrez. »Wie das damals war und wie ich zu meinem Beinamen El Fusilado, der Erschossene, kam. Ich hatte mich den Juaristas angeschlossen, um die Herrschaft der Franzosen abzuschütteln und ihren Kaiser zu verjagen. Die kaisertreuen Soldaten und die gefürchteten Lanzeros, die französischen Lanzenreiter, kamen in unser Dorf. Wir waren verraten worden. Jeden zehnten Mann sortierten sie aus. Den Padre, unseren Priester, der es mit Juárez hielt, jagten die Lanzeros vor unseren Augen. Alle Dorfbewohner mussten sich versammeln. Der Capitán unserer Feinde hielt uns eine Ansprache in schlechtem Spanisch, so würde es allen Feinden des Kaisers und der rechtmäßigen Regierung ergehen. Er warnte uns. Dann jagten sie den Padre in seiner braunen Kutte über die abgeernteten Maisfelder. Zuerst spielten die Lanzeros mit ihm, jagten ihn, piekten und piesackten ihn, warfen ihn um, doch ohne ihn ernsthaft zu verletzen. Der Capitán der Lanzeros, ein prächtig aussehender Mann mit silbern glänzendem Brustharnisch und einem Federbusch an seinem Helm, sah lächelnd zu. Er nahm eine Prise Schnupftabak. Dann gab er seinen Lanzenreitern einen Wink. Es wurde ernst. Der Padre erhielt Lanzenspitzen ins Fleisch, wie der Stier in der Arena die Banderillas von den Banderilleros. Er ... ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll, bei einem Märtyrer der Revolution und Befreier des Vaterlands, bei einem geweihten Mann.«
»Du meinst, er quiekte wie ein Schwein, als er starb?«, fragte Camarena.
»Das hast du gesagt. Ja, er schrie in seiner Not, als sie ihn aufspießten und er starb. Dann kamen ich und achtzehn andere auf dem Dorfplatz vor das Erschießungskommando. Sie stellten uns an die Mauer, immer sechs Mann. Ich gehörte zur letzten Gruppe – diesmal waren wir sieben. Neben mir und vor mir lagen die Leichen der anderen, die von den Soldados bereits erschossen worden waren. Sie lagen in verrenkter Haltung, wie sie gefallen waren. Die weißgekalkte Mauer hinter mir war mit Blut bespritzt. Wir standen in einer Reihe.«
Er schwieg kurz. Camarena drängte ihn, weiterzusprechen.
»Die Dorfbewohner sahen alle zu, auch die Kinder, denn Mexiko ist ein hartes und grausames Land, in dem sich auch Kinder schon früh an die raue Realität gewöhnen müssen. Neben mir stand ein früherer Nachbar, ein dicker Mann namens Sancho. Seine Knie zitterten, als er das Hinrichtungskommando sah. Ich stützte ihn und redete ihm zu: ›Nimm dich zusammen, Sancho. Es ist doch noch gar nichts passiert.‹ Er schlotterte jedoch weiter. Seine Zähne klapperten wie Kastagnetten. ›Heilige Mutter Gottes‹, stammelte er immer wieder. ›Heilige Mutter Gottes.‹«
Gutierrez schloss kurz die Augen. Die Erinnerungen waren nicht leicht.
»›Die hilft dir jetzt auch nicht‹, sagte ich ihm. ›Stirb wie ein Mann. Einmal muss jeder sterben. Das ist gewiss für jeden, der aus dem Schoß seiner Mutter kam. Am Leben ist nicht viel dran. Es ist Mühe und Plage.‹ Die Lanzeros, eine Elitetruppe, und die mexikanischen Soldados der Kaiserlichen hatten alle reichlich getrunken, besonders die vom Erschießungskommando. Es waren immer dieselben – zehn Mann, die dazu abkommandiert waren. Sie schütteten den Wein nur so in sich hinein. Dann war es wieder so weit. ›Steht aufrecht, ihr Hunde!‹, befahl der Teniente und hob seinen Säbel. ›Jetzt ist es so weit. Legt an.‹«
Camarena wurde ungeduldig. Die Geschichte dauerte ihm eindeutig zu lange. Doch Gutierrez ließ nichts aus.
»Ein Soldat vom Erschießungskommando rief, er müsse dringend sein Wasser lassen. Es würde ihn zu sehr drücken. Der Teniente fluchte. Dann befahl er: ›Dann geh um die Ecke, du Schwein, wenn du denn gar nicht abwarten kannst. Aber beeil dich, Cabrón.‹ Drei Mann vom Erschießungskommando gingen um die Ecke. Auch das ist menschlich. Sie hatten, wie erwähnt, alle getrunken. Das Gesicht des Tenientes war hochrot, auch andere Gesichter. Nur der Capitán der Lanzeros wirkte so kühl wie ein Eisklotz. Ich meine heute noch, dieser Franzose müsse Eiswasser in den Adern gehabt haben. Er war grausam. Er ließ den Padre von seinen Lanzenreitern aufspießen und die Leiche dann an die Kirchentür nageln. Wir standen also. Mein Nachbar, der dicke Sancho, musste sich auf den Hosenboden setzen. Seine Beine trugen ihn nicht mehr. Man soll Toten nichts Übles nachreden, doch ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, er sei tapfer gestorben. Seine Hose war nass geworden, und er stank. Er jammerte kaum verständlich ...«
»Das will ich gar nicht wissen«, unterbrach Camarena die Schilderung seines Gastgebers. »Komm endlich auf den Punkt! Wie war es, als du erschossen wurdest?«
»Davon wollte ich gerade reden, Rojo. Du bist ungeduldig. Also, die drei, die sich erleichtert hatten, kamen wieder und nahmen ihre Gewehre. Der Teniente befahl, und sie legten an und zielten. Ich wurde getroffen, doch nur an der Schulter, ein glatter Durchschuss. Die Koordination beim Erschießungspeloton ließ zu wünschen übrig. Die anderen lagen alle um mich herum. Ein paar hatten ›Es lebe Juárez, es lebe die Revolution!‹ geschrien. Ich auch, obwohl ich eine trockene Kehle hatte und nur krächzen konnte. Bis auf den dicken Sancho, den sie im Sitzen erschossen hatten, waren sie alle mehr oder weniger tapfer gestorben.«
Gutierrez trank einen Schluck Wein.
»Ich stand noch, und der Teniente ohrfeigte den schlechten Schützen, der mich nur verwundet hatte, und beschimpfte ihn. Dann befahl er dem Peloton, zehn Mann, wieder zu laden und auf mich anzulegen. Ich sah in die Mündungen von zehn Gewehren und wusste, ich würde sterben. Dann kam der Befehl – die Gewehre krachten und spuckten Feuer. Ich wurde mehrfach getroffen, hörte noch, wie die Frauen unter den Zuschauern schrien, und dachte: Das war's.«
Erneut musste er eine Pause einlegen. Seine Miene blieb emotionslos.
»Dann lag ich, und ich sah noch immer die Sonne, den blauen Himmel. Hörte Geräusche. Das bärtige, hochrote Gesicht des Tenientes erschien über mir, und ich hörte ihn zu dem Lanzero-Capitán sagen: ›Es ist nicht zu glauben. Der Bastard lebt.‹ Was der Capitán erwiderte, bekam ich nicht mit, ich war schwer verwundet, mehrfach angeschossen. Doch der Teniente hob den Revolver, um mir den Gnadenschuss in den Kopf zu geben, wie bei allen, die noch Lebenszeichen zeigten. Dann weiß ich nichts mehr. Doch als ich drei Tage später wieder zu mir kam, lag ich in einem Bett und hatte schreckliche Schmerzen. Das Weitere ist mir nur erzählt worden.«
Gutierrez war sichtlich von seiner Hinrichtung gezeichnet, auch nach Jahren noch. Auf der linken Seite war sein Schädel eingedrückt. Ein Teil der Schädeldecke fehlte, dort hatte er eine Silberplatte.
»Eine Wahnsinnsgeschichte«, meinte Rojo Camarena beeindruckt. »Seitdem nennt man dich El Fusilado, den Erschossenen. Von einem Erschießungspeloton hingerichtet.«
»So ist es. Ich wurde gesundgepflegt, ich hatte ungeheures Glück. Auch weil ein Arzt, der es mit den Juaristas hielt, in unser Dorf kam und meine Kopfwunde versorgte. Er hat mir die Silberplatte eingefügt, wofür ich ihm sehr zu Dank verpflichtet bin. Nicht jeder hätte Silber für einen armen Peon hergegeben, doch für den Doc war es eine Herausforderung und eine Sache seines Ehrgeizes. Das ist jetzt fünfzehn Jahre her. Ich kann recht gut leben – jetzt hier in Julimes. Ich bin ein bekannter Mann. Öfter kommen Leute, um meine Geschichte zu hören. Meine Schwiegertochter macht auf dem Markt gute Geschäfte. Nahrungsmittel von El Fusilado, dem Erschossenen, sogar Bohnen und Eier, sollen Glück bringen und zu einem langen Leben verhelfen. Wenn ich meine Geschichte erzählt habe, bekomme ich üblicherweise etwas dafür. Es gibt jeder das, was er hat oder geben möchte.«
»Ich bin kein knausriger Mann«, sagte der Besucher und warf eine Handvoll Goldpesos auf den Tisch. »Doch dafür erwarte ich, dass du mir noch etwas erzählst. Ich hörte, bevor du erschossen wurdest, also bevor das Erschießungskommando kam, hättest du zu einer Sondereinheit der Rebellen gehört. Mir geht es um einen Einsatz, den ihr in Arizona hattet – bei Adobe Springs westlich von Tucson, bei der alten Spaniermission in der Apachenwüste.«
»Davon weißt du?«, fragte Gutierrez. »Ich dachte, das wäre ein Geheimnis. Ich habe nie davon gesprochen.«
»Das hast du auch nicht. Aufzeichnungen wurden in der Satteltasche eines toten Mannes in der Wüste gefunden. Auch eine Liste derer, die an dem Unternehmen teilnahmen – jeder Krieg und jede Revolution kosten Geld. Zur Unterstützung von Juárez und seiner Revolution hatten reiche Mexikaner und auch amerikanische Unterstützer gesammelt – Goldmünzen, Diamanten und Schmuck. Für eine halbe Million oder gar eine Million Dollar. Diesen Schatz holte eine Sondereinheit, zu der du als junger Mann gehörtest.«
Gutierrez schwieg.
»Ihr seid in eine Falle der Apachen geraten«, fuhr Camarena fort. »Bei der alten Mission von Adobe Springs verstecktet ihr euch. Es gab keinen Ausweg. Irgendwo dort habt ihr den Schatz versteckt. Wenn ihn nicht die Apachen genommen haben – was ich nicht glaube, denn das müsste ich wissen –, muss er noch da sein. Keiner hat ihn seither gesucht. Nur zwei Männer sind damals entkommen, du und noch jemand, der dann in der Wüste verdurstete.«
»Das kann nur Anselmo Adobar gewesen sein. Er kritzelte immer in seinem Tagebuch. Ich dachte nicht, dass ich davon noch einmal etwas höre. Ich entkam im Schutz der Nacht; dass Adobar noch davongekommen ist, wusste ich nicht. Ich rettete nur das nackte Leben. Dann, zurück in Mexiko, wagte ich nicht, noch meinen Auftraggebern unter die Augen zu treten, weil die Mission mit dem Gold für Juárez gescheitert war. Ich fürchtete, man würde mich verdächtigen, etwas unterschlagen zu haben.«
»Das hast du gewiss nicht. Du bist ein ehrlicher Mann. Ich will aber wissen, wo dieser Schatz versteckt ist«, sagte Camarena. »Bei der Mission oder in der Gegend. Ich kann nicht die ganze Gegend umgraben. Du weißt es.«
»Was willst du mit den Goldmünzen, Diamanten und diesem Schmuck tun? Mit all den Wertgegenständen?«
»Du kannst einen Teil davon haben, El Fusilado, mein Freund.«
»Das will ich nicht. Ich habe mein Leben und genieße einen bescheidenen Wohlstand. Das ist mehr als genug für einen, der mehrfach erschossen wurde. Wollte ich mehr, hieße es, das Schicksal herauszufordern.«
»Das kann man so sehen, Tío Jorge. Es ehrt dich, dass du so denkst. Doch wäre es nicht eine Sünde, den Schatz verrotten zu lassen, für immer verloren? Bestimmt habt ihr ihn gut versteckt.«
»Ja, sicher.«
»Ich finde, er sollte einem guten Zweck dienen. Die Armut des mexikanischen Volkes lindern. Mexiko ist wieder eine Republik, Juárez ist tot, er erlag einem Herzinfarkt. Ein anderer ist Präsident. Die Franzosen haben hier keinen Einfluss mehr. Doch es gibt große soziale Probleme und immer noch viel Ungerechtigkeit und Not.«
»Das weiß ich. Doch warum sollte ich gerade dir vertrauen, dass du den Schatz nicht für dich behalten willst? Ich weiß um die Gier der Menschen, was sie aus ihnen macht und wozu sie bereit sind. Damals, als ich nach der gescheiterten Mission zurückkehrte, suchte ich mein Dorf auf, um die Meinen zu sehen. Dann kamen die Lanzeros und die Soldaten. Ich geriet vor das Erschießungskommando. Als ich wieder genesen war, war die Revolution vorbei, war Kaiser Maximilian erschossen worden und war Juárez Präsident. In all den Wirren des Umsturzes wurde ich vergessen. Keiner fragte nach mir und was damals war, bis du heute kamst. Die Vergangenheit hat mich eingeholt.«
»Das Land bedarf weiterer Reformen«, sagte Camarena. »Juárez' Nachfolger ist zu schwach. Porfirio Díaz ist der kommende Mann. Er kann das Kapital gebrauchen. Ich handle in seinem Auftrag. Hier ist sein Ermächtigungsschreiben.«
Der unrasierte, rothaarige Mann holte ein Dokument unter seinem Hemd hervor. Er breitete es aus.
Gutierrez schaute darauf.
»Ich kann nicht lesen«, sagte er. »Ich hole meine Schwiegertochter. – Esmeralda!«, rief er. Dann wandte er sich wieder seinem Besucher zu. »Von Díaz habe ich Gutes gehört. Ich muss meine Meinung über dich revidieren. Du bist Rojo Camarena, den man einen Banditen und Mörder nennt. Doch wenn dir Díaz vertraut, der ehrenwert ist, wie es Juárez war, dann kann ich dir vertrauen. Dann bist du ein Mann von Ehre.«
»Der Gerechte wird oft verleumdet«, sagte Camarena.
Die Schwiegertochter erschien, eine junge Frau Anfang zwanzig. Sie war etwas füllig und hatte ein durchschnittlich hübsches Gesicht. Sie nahm das Dokument und las.
»Hier steht: Seine Exzellenz José de la Cruz Porfirio Díaz Mori bestätigt, dass dieser Mann, Liam Patrick Eusebio ›Rojo‹ Anastacio Camarena in seinem Auftrag handelt. Und dass man ihn mit allen Mitteln unterstützen soll. Das sind das Siegel und die Unterschrift von Porfirio Díaz, der sich um die Präsidentschaft bewirbt und gute Aussichten hat, sie zu gewinnen. Er genießt beim Volk einen guten Ruf, nicht so wie der jetzige Präsident.«
»Es ist gut, Esmeralda, du kannst gehen.«
Als die junge Frau weg war, hörte man im Adobehaus ein kleines Kind schreien. Gutierrez wandte sich wieder an seinen Besucher.
Er war jetzt viel freundlicher. Vorher hatte er ihn empfangen, weil er Angst vor ihm hatte.
»Dir sage ich alles.«
Er redete.
Als er fertig war, fragte ihn Camarena, der Sohn eines irischen Vaters und einer mexikanischen Mutter: »Ich kann nicht verstehen, dass dich dieser Schatz immer kalt ließ. Erkläre mir das, Tío Jorge.«
»Das will ich. Als du kamst, hielt ich dich für einen Banditen und Mörder. Doch wenn dir Díaz vertraut, der für das Volk ist, kannst du kein schlechter Mensch sein. Entschuldige, dass ich schlecht von dir dachte.«
»Schon verziehen, Tío Jorge. Also, weshalb?«
»Wenn du erst einmal erschossen wurdest – ich sogar mehrmals –, dann siehst du manches anders. So viel Gold bringt kein Glück.«
Nur Gold oder hauptsächlich Gold war es nicht, doch das Synonym bezeichnete den Schatz.
»Du hast jedoch recht, Rojo Camarena, der Schatz gehört dem mexikanischen Volk. Ich habe kein Recht, es ihm vorzuenthalten. Es sollte nicht nutzlos in dem Versteck auf alten Missionen verborgen bleiben. Gib es Díaz und seiner Partei. Es soll einem guten Zweck dienen. Es lebe Mexiko.«
Camarena sah ihm an, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Er stand auf.
»Das mexikanische Volk dankt dir«, sagte er zynisch. »Und ich in seinem Namen.«
Er verzog keine Miene.
»El Fusilado, ein ganzes Erschießungskommando hat dich mit mehreren Versuchen nicht umbringen können. Auch nicht der Gnadenschuss aus nächster Nähe. Auf dich hat man mehrfach geschossen, nicht nur an dem Tag. Dich kann keine Kugel töten.«
»So wird es wohl sein.«
Mit einer blitzschnellen Bewegung packte Camarena ihn an der Kehle, schnürte ihm die Luft ab und zog sein krummes Messer. Sein Gesicht mit den buschigen roten Brauen und den grünen Augen verzerrte sich zu einer Grimasse der Grausamkeit.
»Dich kann keine Kugel töten, Cabrón«, sagte er. »Doch wenn ich dir die Kehle durchschneide, dann tut es das wohl. Adios, El Fusilado, und vielen Dank für dein erschlichenes Vertrauen und die Information über das Schatzversteck.«
Er deutete mit der Mörderklinge auf das Dokument.
»Das ist eine Fälschung. Ich spucke auf Porfirio Díaz, er bedeutet mir nichts. Er würde mich nicht mal mit dem Hintern ansehen und jederzeit hinrichten lassen. Stirb, alter Mann.«
Camarena schnitt seinem Opfer die Kehle durch. Blut spritzte. Er durchtrennte Luftröhre und Halsschlagader. So etwas tat er nicht zum ersten Mal. Das blutige Messer wischte er an dem Tischtuch ab, nahm eine Weintraube in die Hand und biss ein paar Beeren davon ab.
Er spuckte sie aus.
»Saure Trauben von einem armseligen Peon, der einen Millionenschatz liegen ließ, um zu verrotten. Ich kann ihn besser gebrauchen. Adios, El Fusilado. Heute verschont dich der Tod nicht.«
Er ließ die Traube achtlos fallen.
Der Mörder knüllte das blutbespritzte, gefälschte Dokument zusammen und steckte es ein. Er reinigte sich notdürftig von den Blutspritzern. El Fusilado lag verröchelnd am Boden.
Rojo Camarena verließ die schattige Laube. Insekten summten, als er davonritt und unangefochten die Stadt verließ, auf dem Weg nach Norden, nach Arizona.
Es gab viele Schatzgeschichten im Südwesten der USA und auch in Mexiko. Von dieser hatte Camarena auf Umwegen gehört, und er war ihr nachgegangen. Sie stimmte, davon war er überzeugt, im Gegensatz zu vielen anderen.
Er war schon ein gutes Stück weg, als hinter ihm in Julimes Klageschreie erschallten. Die Goldpesos, die er El Fusilado nach dem Erzählen seiner Hinrichtungsgeschichte auf den Tisch geworfen hatte, hatte er liegen lassen.
Sie sollten für ein anständiges Begräbnis reichen. Camarena wollte nicht kleinlich sein.
✰
Jack Norris erwachte an diesem Sommermorgen im Bett neben seiner Geliebten Jennifer Oakes im Obergeschoss des »Alameda Saloons« in Old Tucson. Die brünette Jenny presste sich im Schlaf an ihn. Ihr strammer Hintern drückte gegen seine Morgenlatte. Er freute sich, ein Mann und jung und gesund und potent zu sein – und weil die Frauen es ihm leicht machten und er ein gutaussehender, stattlicher Mann war.