Jack Slade 861 - Jack Slade - E-Book

Jack Slade 861 E-Book

Jack Slade

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Beschreibung

Nat Dolans Bruder wurde in Abilene wegen Raubmords gehenkt. Der Zahnarzt, der gut mit dem Revolver umgehen kann, kommt mit seiner schönen jungen Frau nach Abilene, um die Wahrheit herauszufinden. Er sticht in ein Wespennest tödlicher Bleihummeln. Sheila Harris, genannt die Hexe von Abilene, zieht alle in ihren Bann. Sie ist verderblich für jeden Mann, der in ihren Bannkreis gerät. Und sie verfügt über besondere Kräfte und Fähigkeiten. Zu spät erkennt der Revolver-Zahnarzt die Wahrheit.

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Seitenzahl: 154

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Inhalt

Cover

Impressum

Sheila, die Raubkatze

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Vicente/S.I.-Europe

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6950-2

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Sheila, die Raubkatze

Aus der Schwingtür des »Crazy Horse Saloons«, einer verrufenen Kaschemme im Ostteil von Abilene, torkelte ein langhaariger Wild Bill. Er hatte einen bis zur Kinnlade herabgezogenen Oberlippenbart und trug fransenbesetzte Lederkleidung.

»Ich bin Zack Averdeen!«, schrie er so laut wie er konnte. »Der schnellste und beste Schütze im Westen. Selbst Gott kann mich mit dem Colt nicht schlagen. – Yeah, yippie-e-yeah, ich bin der Größte, Gefährlichste! Ich bin ein Revolvergott.«

Er schaute sich um, schoss in die Luft und ballerte dann ein paar Löcher in ein Ladenschild. Passanten flüchteten in Hauseingänge oder Einfahrten. Im Nu war die Straße leer.

Der großmäulige Gunslinger lachte.

»Ja, verkriecht euch, ihr Ratten! Oder ich bringe euch alle um. – Kommt, Freunde!«, rief er seine Zechkumpane. »Wir wollen in einen anderen Saloon gehen als dieses Loch, in dem Pumaspucke und Büffelpisse als Whisky verkauft werden. – Oder wir gehen ins Bordell. – Folgt Averdeen, dem Revolvergott.«

Da kam ein backenbärtiger weißhaariger Mann im schwarzen Anzug um die Ecke. Er war groß und breitschultrig, sein Haar wehte im Sommerwind wie Distelflaum. Er trug einen Predigerkragen. Mit langen Schritten, ohne zu zögern ging er auf dem Schreihals zu.

Der blinzelte ihn an, den rauchenden Colt in der Faust. Der zweite Revolver steckte in der Halfter am Gürtel. Auf der Straße stockte der Verkehr. Ein paar Reiter hielten in gebührendem Abstand, ein hoch mit Heu beladener Leiterwagen mit einem groben Ackergaul davor ebenfalls.

Auch ein Buggy mit einem Mann und einer schönen jungen Frau auf dem Bock hatte angehalten.

»Wer bist du denn?«, grölte Averdeen den Weißhaarigen an. »Ein gottverdammter Prediger oder was oder wie? – Mein Revolver ist meine Religion, ich predige Pulver und Blei.«

Der Weißhaarige hatte Averdeen fast erreicht.

»Kennst du mich nicht?«, rief er. »In meiner Kirche habe ich dich freilich noch nie gesehen. Man nennt mich den Father Thunderword.« Padre Donnerwort hieß das. »Ich predige im Namen des Herrn, den du lästerst.«

Der Weißhaarige hatte eine sehr lautstarke Stimme. Sein Beiname kam nicht von ungefähr. Averdeen lachte ihn aus.

»Ich bin der Revolvergott!«, grölte er und richtete den rauchenden Colt auf den Bauch des Predigers. »Ich erkenne keinen anderen Gott neben mir an.«

Der Weißhaarige stand knapp vor ihm. Er entriss ihm die Waffe, warf sie weit weg und versetzte dem Schreihals einen derben Kinnhaken, dass er sich auf den Boden setzte. Da saß er erst mal.

»Ich dulde nicht, dass der Namen des Allmächtigen gelästert und in den Schmutz gezogen wird«, sagte er barsch. » Wie kannst du es wagen dich als Revolvergott zu bezeichnen? Geh in dich, bekehre dich.«

Averdeen spuckte einen Zahn aus. Als er sich über den Mund wischte wurde die Hand blutig. Da sprang der Wild Bill auf, zog die zweite Waffe und legte auf den Prediger an, der furchtlos dastand.

»Dich knalle ich ab wie einen räudigen Hund!«, schrie der Gunslinger. Er war jäh ernüchtert und voller Zorn und Hass auf den Mann, der ihn geschlagen hatte. »Du Hundesohn, du dreckiger alter Bastard! Fahr zur Hölle.«

»Wo ich nach meinem Tod hinkomme hast du nicht zu bestimmen, Bursche«, sagte der Prediger völlig furchtlos. »Ich trage keine Waffe.«

Er hatte kein Gürtelhalfter. Als er das Jackett auseinanderschlug sah man, dass er keine Schulterhalfter trug.

»Ich bin bereit vor meinen Schöpfer zu treten wenn meine Stunde gekommen ist«, deklamierte der Prediger. »Wenn du mich erschießt ist es Mord.«

Aus dem Saloon, über die Schwingtür, schauten welche von Averdeens Freunden. Keiner griff ein.

Auf der Straße, aus einer Einfahrt, rief jemand nach dem Sheriff. Doch weder er noch der Marshal der wilden Treibherdenstadt waren in der Nähe.

»Das ist mir egal ob du bewaffnet bist oder nicht, Prediger«, schrie Averdeen. »Dann hättest du dich bewaffnen sollen bevor du mich schlägst. Mich schlägt keiner ungestraft. Du hast mir einen Zahn ausgeschlagen – dafür bringe ich dich um.«

Er zielte mit dem gestreckten Arm.

»Halt!«, rief da eine Stimme.

Averdeen stutzte. Statt auf den Prediger abzudrücken schaute er auf den hinzukommenden Mann. Es war der, der auf dem Buggy neben der schönen Frau gesessen hatte. Jung war er, mit markantem Gesicht, braungebrannt, sehnig. Er war gut und teuer gekleidet, mit Gehrock und Spielerschleife. Auf dem Kopf trug er einen weißen Pflanzerhut.

Der dünn ausrasierte Oberlippenbart passte zu seinem noblen Outfit. Er sah aus wie ein Spieler.

»Was willst du denn?«, fragte Averdeen. »Was mischst du dich ein? Willst du auch eine Unze Blei? – Schnall den Revolvergurt ab, du Hundesohn! – Wird’s bald? Oder ich fülle dich mit Blei.«

Der Gutgekleidete gehorchte, als Averdeen auf ihn zielte. Der Gunslinger grinste ihn an. Der Gutgekleidete stand nahe bei ihm, waffenlos, wie es schien.

»Tanz, du Lackaffe!«, verlangte der angetrunkene wütende Revolverheld. »Los, ich schieße auf deine Zehen! Hüpf, oder du wirst sie los!«

»Ich warne dich«, sagte der Gutgekleidete. »Tu es nicht. Leg deine Waffe weg. Ich sage es nicht noch einmal.«

Averdeen lachte ihn aus.

»Du hast dich in das Spiel eingekauft, Gambler, jetzt spiele! Nach meinen Regeln.« Als der Prediger den Mund aufmachte um etwas zu sagen fuhr Averdeen ihn an: »Halts Maul, zu dir komme ich gleich! Für dich hebe ich eine Kugel auf.«

Noch immer zeigten sich kein Marshal und kein Sheriff. Niemand wagte es einzugreifen. Averdeen war unberechenbar wenn er getrunken hatte.

»Tanz!«, sagte er zu dem Gutgekleideten.

Das war das Letze, was er in seinem Leben sagte. Noch ehe er abdrückte zauberte sein Gegenüber einen Derringer aus dem Ärmel und schoss ihn in die Stirn. Averdeen fiel, er drückte noch ab, schoss aber nur in den Boden. Der Mann mit dem Derringer hob seinen Waffengurt auf, aus schwarzem mattglänzendem Leder war er, mit einem dunkel lackierten Smith & Wesson Revolver, Kaliber 44, in der Halfter.

Er steckte den Derringer weg und schnallte den Revolvergurt um.

»Das war es«, sagte er zu dem Prediger. »Ich sehe nicht zu wie ein waffenloser Mann ermordet wird, der zudem noch im Recht ist. – Dieser Größenwahnsinnige ist entschieden zu weit gegangen. – Ich bin kein frommer Mann, doch sich als Revolvergott zu bezeichnen ist Blasphemie. Das verstehe ich, dass du dich aufregtest, Prediger. Trotzdem war es eine unbesonnene Dummheit waffenlos diesen Mann zu schlagen. – Wenn ich nicht gewesen wäre wärst du jetzt tot.«

»Aber ich lebe noch«, entgegnete der Prediger. »Der Herr hielt seine schützende Hand über mich. Wir sind alle in Gottes Hand.«

»Frömmigkeit schützt nicht vor einer Revolverkugel«, sagte der gutaussehende, gutgekleidete Mann. »Schalte lieber nächstes Mal deinen Verstand ein bevor du wieder so etwas tust, Prediger.«

»Bist du ein Christ?«, fragte der Prediger. »Welcher Kirche oder Religionsgemeinschaft gehörst du an?«

»Ich bin Atheist«, antwortete ihm sein Retter. »Ich glaube an das Gute im Menschen, auch wenn es bei vielen schwach oder völlig verschüttet ist. An Fairness und an Gerechtigkeit. Dass es besser ist mutig zu sein als feige. Die Wahrheit zu sagen als zu lügen. Dass ich andere nicht unnötig durch Worte und Taten verletze. Und keinem etwas zufüge, was ich nicht selbst zugefügt haben möchte. Ich wehre mich jedoch meiner Haut und trete wenn nötig für andere ein.«

»Das ist mehr als die meisten fromm Tuenden von sich sagen können. Ich danke dir, mein Freund. – Wie ist dein Name?«

Bevor der andere ihn nennen konnte traten drei Männer aus dem »Crazy Horse Saloon«. Freunde des erschossenen Schreihalses Averdeen. Rabauken und Revolverhelden wie er. Der eine war ein Mexikaner in mexikanischer Kleidung, er war stämmig und trug zwei Revolver. Ein anderer war lang und dürr. Der Dritte im Bund, auch er ein Galgenvogel mit der entsprechenden Visage, war fahlblond, mittelgroß und sehr jung.

Sie waren alle bewaffnet – Revolvermänner, das sah man auf den ersten Blick.

»Du hast unseren Freund erschossen«, sagte der Mexikaner. »Jetzt nimm es mit uns auf, du Hund!«

Die Drei zogen gleichzeitig. Father Thunderword wich zur Seite, weg aus der Schussbahn. Er war überzeugt, dass sein Retter, dem er sein Leben verdankte, gleich sterben würde.

Doch der zog traumhaft schnell. Drei Schüsse peitschten, verschmolzen miteinander. Die drei Gunner fielen. Nur einer kam noch zum Schuss, doch er schoss vorbei. Dann war es vorbei. Pulverdampf zog durch die Luft.

Die Zuschauer konnten es kaum fassen. Ein Großer der Revolvergilde war am Werk gewesen, hatte seine Kunst gezeigt. Eine tödliche Kunst. Langsam wagten sich die Menschen wieder auf die Straße. Der Gutgekleidete behielt den Revolver schussbereit während er nachlud.

»Denen kannst du nicht mehr die Beichte abnehmen«, sagte er zu dem Prediger. »Sie reden nicht mehr.«

Im donnernden Galopp sprengte der Marshal herbei. Abilene war eine wilde, schwierige Stadt. Hier hatten sich schon mehrere Marshals die Zähne ausgebissen. Zwei davon lagen auf dem Boothill.

Abe Donovan, zurzeit Marshal von Abilene, hatte zwei Deputies. Er war ein großer, stämmiger, schnauzbärtiger Mann. Vom Sattel aus fragte er was geschehen sei.

Er erfuhr es. Verblüfft schaute er den gutgekleideten Sieger der beiden Kämpfe an. Dessen Begleiterin, die schöne Frau auf dem Buggy, hielt sich zurück. Zuschauer versammelten sich auf der Straße. Eine Menschenmenge lief auf, Einheimische und Cowboys – in Abilene war die Hölle los. Tausende Rinder warteten in den Verladecorrals, weitere Herden rückten heran.

Die Treibmannschaften hauten am Ende des Trails mächtig auf die Pauke. In Abilene wurde die Nacht zum Tag. Der Marshal und seine Deputies hatten alle Hände voll zu tun. Die Saloons und Etablissements in der Stadt, Bordelle und Spielhöllen und auch die regulären Geschäfte, hatten Hochsaison.

Vom Frühjahr bis in den Spätherbst trafen die Herden aus Texas und von sonst woher ein. Danach verfiel Abilene in eine Art Winterschlaf, bis es im neuen Jahr wieder losging.

»Wie heißen Sie?«, fragte der Marshal den Fremden.

»Nat Turner.«

»Und was führt Sie nach Abilene, Mr. Turner?«

»Ich will meinem Gewerbe nachgehen.«

»Als Spieler, das sehe ich. Als ob wir nicht schon genug Kartenhaie in Abilene hätten.«

»Keineswegs, Sir. Ich spiele ab und zu zu meinem Vergnügen. Mein Hauptberuf ist es nicht. Ich will eine Zahnarztpraxis eröffnen.«

»Sie wollen – was?«

»Sie haben richtig gehört, Marshal. Ich bin ein Dentist, Zahnarzt und Kieferchirurg. In Abilene hat man sicher Bedarf an meiner Kunst. – Ich darf mich rühmen ein sehr guter Zahnarzt zu sein. Ich habe in Boston Zahnheilkunde studiert, an der zahntechnischen Fakultät von der Universität dort. Sie ist die angesehenste des Landes. Nachdem ich drei Jahre als Assistenzzahnarzt im Osten gearbeitet hatte bin ich nach Texas zurückgekehrt, wo ich herstamme. – Aber ich denke, in Abilene hat ein Zahnarzt bessere Aussichten als in Austin, wo ich zuletzt war.«

Dem Marshal klaffte der Mund auf. Er schloss ihn wieder. Die Zuschauer, die mitgehört hatten, staunten genauso. Wie ein Lauffeuer würde es sich in Abilene verbreiten, dass ein Zahnarzt in die Stadt gekommen war, der zudem noch äußerst fix mit dem Schießeisen umgehen konnte.

Der Marshal schluckte.

»Sie haben grade vier Männer erschossen, Doc. – Sie sind tatsächlich Zahnarzt?«

»Das sagte ich schon. Was ist so verwunderlich daran? Doc Holliday ist auch Zahnarzt.«

»Ja, aber der praktiziert nicht mehr seitdem er die Laufbahn als Spieler und Revolverheld einschlug. Er ist lungenkrank und hustet sich in Colorado zu Tode, hört man. – Eifern Sie ihm nach, Mr. – Doc Turner?«

»Meine Lunge ist gesund. Auch sonst habe ich keine Holliday’schen Ambitionen. Sein Lebenswandel ist seine Sache. Meiner ist anders. – Das auf dem Buggy dort ist meine liebe Frau Esther. Sie assistiert mir bei meinen Zahnbehandlungen.«

»Das ist ja sehr schön.« Der Marshal hatte sich von seiner Verblüffung erholt. »Dann herzlich willkommen in Abilene, Doc Turner. Einen guten Zahnarzt können wir hier gebrauchen. Es gibt zwar schon einen, den alten Ames, auch der Kieferbrecher genannt. Mehr will ich dazu nicht sagen.«

»Zu Doc Ames geht einer erst wenn ihn die Zahnschmerzen verrückt machen«, rief ein Zuhörer in der Menge. »Wann eröffnen Sie denn Ihre Praxis, Doc Derringer?«

»Wie hast du mich genannt?«

»Doc Derringer. Nichts für ungut. Ich habe gesehen, wie sie das Großmaul mit dem Derringer erledigten. Das ist mir der Name herausgerutscht.«

»Ich heiße Turner, Nathaniel Edward Turner, graduierter Doktor der Zahnmedizin. Meine Praxis eröffne ich sowie ich geeignete Räumlichkeiten finde, die bezahlbar sind.«

»Da können wir helfen!«, riefen andere.

Nat Turner hatte den Eindruck, dass in Abilene tatsächlich ein großer Bedarf nach einem guten Dentisten bestand. Damit lag er richtig. Der Zahnbrecher Doc Ames hatte sein Handwerk im Bürgerkrieg gelernt, bei der Armee, wo man nicht zimperlich war. Studiert hatte er nie. Anderweitig hatte er sich vervollkommnet. Doch er war eher ein Quacksalber und ein Bader – er behandelte auch Hühneraugen, Furunkel und dergleichen.

Als ein Ass in seinem Fach konnte man ihn nicht bezeichnen. Es kam schon mal vor, dass er den falschen Zahn zog, wobei er sich immer herausredete. In zwei Fällen hatte er Cowboys als er einen Backenzahn entfernte den Kiefer gebrochen.

Vom Ansehen her kam er gleich nach dem Abdecker und dem Henker. Doch bei schlimmsten Zahnschmerzen blieb keine Wahl als sich ihm anzuvertrauen.

Father Thunderword empfahl sich dem Zahnarzt. Er wisse geeignete Räume für dessen Praxis, sagte er. Turner ging zum Buggy, wo seine Frau ihn erwartete. Sie war erleichtert, dass er heil und gesund vor ihr stand. Ihre Augen leuchteten.

»Ein Zahnarzt«, hörte man in der Menge.

Und: »Hat man Worte?«

»Das ist Doc Derringer.«

Den Namen, aus Zufall entstanden oder einem Zuschauer des Gunfights in den Mund gelegt worden war, hatte Nat Turner weg. Von da an war er in Abilene Doc Derringer, der Dentist. Da biss die Maus keinen Faden dran ab.

Diese Nacht, seine erste in Abilene, verbrachte Nat mit seiner schönen jungen Frau im »Drover’s Hotel«. Es war das erste Haus in Abilene. Hier stiegen die Viehaufkäufer der großen Gesellschaften und die Rinderbarone ab, wenn sie selbst nach Abilene kamen. Da es nahe am Bahnhof lag, wünschten die Turners sich bald, lieber in ein bescheideneres Haus am Stadtrand gegangen zu sein.

Das »Drover’s Hotel« war eine feste Institution in Abilene seit Joseph McCoy hier vor ein paar Jahren, 1867, im Verbund mit der Union Pacific und später der Kansas Pacific Railway, die Verladestationen mit dem dazugehörigen Büro und einer Bank eingerichtet hatten. Die Saloons, Bordelle und Spielhöllen waren von selbst gekommen, dafür hatte McCoy nicht zu sorgen brauchen.

Mittlerweile Mitte Vierzig war der innovative, dynamische Unternehmer der führende Mann in Abilene. Er hatte mit seinen Geschäften vollauf zu tun und mischte sich in das Treiben in Abilene, das man als seine Stadt bezeichnen konnte, nicht oder nur indirekt ein. Seine Maxime war es, sich ums Geschäft zu kümmern und seine Energie nicht mit anderen Dingen zu verschwenden.

Abilene war führend und die Königin der Prärie. In Dodge und anderswo war man noch im Anfangs- oder Planungsstadium, was die Gründung einer Cattle Town betraf.

Am Verladebahnhof herrschte in der Hauptsaison 24 Stunden am Tag Betrieb, wobei er in der Nacht abflaute. Zigtausend Rinder wurden verladen. Die Corrals am Bahnhof waren voll, vor der Stadt lagerten Herden und drängten sich. Jetzt im späteren Sommer wurden die Futter- und Weideplätze knapp.

Aus den Verladecorrals und von den Laufstegen in die Viehwaggons drang das Gebrüll der Longhorns. Es ratterte und dröhnte von den Verladestationen. Ab und zu pfiff eine Lok.

Zudem war es schwül. Das geöffnete Fenster im mittleren Geschoss den hässlichen dreigeschossigen Hotelkastens brachte keine Kühlung. Esther saß vor dem über der Kommode befindlichen Spiegel und bürstete wie jeden Abend ihr langes mit dem Brennstab gelocktes braunes Haar. Nat saß auf dem Bett und schaute ihr zu.

Ihr Haar knisterte, von den Bürstenstrichen elektrisch aufgeladen. Sie trug nur ein hauchdünnes Negligé. Der große dunkelhaarige Mann spürte die von ihr ausgehende Verlockung. Es verlangte ihn nach ihr – er war wild nach seiner schönen jungen Frau. Selbst wenn sie mit einem Kartoffelsack bekleidet aufgetreten wäre. hätte er sie sexy gefunden.

Seit ihrer Hochzeit war kein Tag vergangen, an dem sie nicht miteinander Sex gehabt hatten. Wenn Esthers Menstruation den vaginalen Verkehr verbot, auf andere Weise. Esther wusste wohl, welche Wirkung sie auf ihren Mann hatte. Auch sie verlangte nach ihm.

»Du schaust mich schon wieder so an«, sagte sie. »Hast du nichts anderes im Kopf?«

»Im Kopf ja, in der Hose nein. Wie lange bist du noch mit deinen Haaren beschäftigt?«

»Bis ich fertig bin. Du musst dich noch ein wenig gedulden. Kannst du das?«

»Es fällt mir schwer.«

Esther lachte tief aus der Kehle. Es gefiel ihr, wie ihr Mann sie begehrte. Sie war begeistert von ihm, er war ihre große Liebe und sie die seine. Kinder hatten sie bisher keine, sie waren noch nicht lange verheiratet. Nat stammte aus Texas, Esther aus New Orleans, wo sie sich kennengelernt hatten.

Auf einer Gesellschaft war das gewesen. Nat hatte an einem Zahnärztekongress teilgenommen. Esther entstammte der Südstaatenaristokratie. Sie waren beide gebildet. Esthers vermögende Eltern, der Krieg hatte sie nicht ruiniert, hatten Nat eine Praxis in New Orleans oder Atlanta einrichten wollen.

Doch ihn zog es in den Westen, und er wollte auf eigenen Füßen stehen. Zudem war er ebenfalls nicht unvermögend – seinen Eltern gehörte in Texas eine große Ranch. Von dort wurde Vieh nach Kansas getrieben, ein gutes Geschäft, das vor einigen Wochen zu einer Katastrophe geführt hatte, die erdrutschartige Ausmaße annahm.

Deshalb war Nat nach Abilene gekommen, um die Familienehre zu retten und die Unschuld seines jüngeren Bruders Brick zu beweisen. Der war vor ein paar Wochen in Abilene wegen Raubmords gehängt worden. Nat hieß in Wirklichkeit mit Nachnamen Dolan – Zahnarzt war er tatsächlich, und zwar ein guter.

Die Rinderzucht hatte ihn nie gereizt. Das hatte seinen Vater sehr enttäuscht, doch er hatte sich damit abgefunden – abfinden müssen. Nat sah es als seine Berufung an ein erstklassiger Dentist zu werden. Wegen der Familienehre und weil er herausfinden wollte, wie es mit seinem Bruder in Abilene zugegangen war kam er unter anderem Namen in die Cattle Town.

Von der Vergnügungsmeile hörte man fernes Gejohle betrunkener ausgelassener Cowboys und Schüsse. Esther hielt mit dem Haarbürsten inne

»Findet da eine Schießerei statt?«, fragte sie

»Ich glaube eher, dass ein paar Cowboys über die Stränge schlagen und den Mond mit einer Zielscheibe verwechseln«, antwortete Nat. »Ein Gunfight am Tag ist auch für Abilene genug.«

»Woher willst du das wissen?« Esther fuhr mit dem Haarbürsten fort. »Du hast vier Männer erschossen. – Was bist du nur für ein Mensch?«