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Das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Schon knattert der erste Motorwagen durch das texanische Dallas, aber die Ankunft von Neuigkeiten in Texas ist damit lange nicht am Ende. Ein gewiefter Promoter bringt die Idee einer Misswahl in die Stadt. Zusammen mit einem Rodeo und den Feiern zum Unabhängigkeitstag verspricht das einigen Trubel. Sheriff Logan Shire, ein gut aussehender Frauenheld, hat damit alle Hände voll zu tun. Als dann auch noch Gangster und Pistoleros das hektische Gemisch vergrößern, muss der Sheriff zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist.
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Miss Texas
Vorschau
Impressum
MissTexas
Das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Schon knattert der erste Motorwagen durch das texanische Dallas, aber die Ankunft von Neuigkeiten in Texas ist damit lange nicht am Ende. Ein gewiefter Promoter bringt die Idee einer Misswahl in die Stadt. Zusammen mit einem Rodeo und den Feiern zum Unabhängigkeitstag verspricht das einigen Trubel.
Sheriff Logan Shire, ein gut aussehender Frauenheld, hat damit alle Hände voll zu tun. Als dann auch noch Gangster und Pistoleros das hektische Gemisch vergrößern, muss der Sheriff zeigen, aus welchem Holz er geschnitzt ist ...
»Sie wollen ... was?«
»Eine Misswahl durchführen.«
»Was'n das?«, fragte der Deputy am Nebentisch im Office.
Logan Shire – genannt der Schöne Logan, ein Frauenheld ersten Ranges, doch nicht weniger gut als Sheriff von Dallas – hatte einen ungewöhnlichen Besucher vor sich. Als Donnie Dixon und Impresario hatte er sich vorgestellt.
Nun sah er den Deputy an wie einen geistig Minderbemittelten, dem er einfachste Dinge erklären musste. Oder wie der Lehrer den Klassendeppen.
»Das, Mister Deputy, findet im Osten schon regelmäßig statt. Auch in Chicago und anderen Großstädten. Dabei bewerben sich die schönsten und heißesten Girls des Landes, in dem Fall des Bundesstaats, um die Krone der Schönheitskönigin. Es gibt eine Jury. Die Entscheidung trifft jedoch das Publikum. Es wird abgestimmt. Die Siegerin wird zur Schönsten des Bundesstaats erklärt und erhält eine Prämie, ein paar Sondervergünstigungen und Auszeichnungen und kann außerdem an der Wahl zur Miss America teilnehmen.«
»Davon habe ich mal was gehört«, bestätigte der Sheriff. »Ein Spektakel ist das. Bisher hat sich keiner groß dafür interessiert.«
»Das soll jetzt anders werden. Es gibt ...«
In dem Moment knallte es draußen. Schüsse wurden in die Luft geballert.
Eine heisere Stimme schrie: »Shire, du Lackaffe! Ihr habt unseren kleinen Bruder eingesperrt, ihr Halunken. Nur, weil er einen über den Durst getrunken hatte und den Saloongirls an den Busen grabschte. Dafür soll er hundert Dollar bezahlen oder drei Wochen im Jail brummen. Daraus wird nichts. Gebt ihn sofort frei, oder wir kommen rein und holen ihn raus!«
Eine zweite Stimme mischte sich ein: »Lasst es darauf lieber nicht ankommen! Wir sind die Bonners, die haarigen Affen aus dem Panhandle. Jeder von uns ringt einen Longhorn-Stier an den Hörnern nieder, reißt einen Puma in Stücke und nimmt es mit einem ganzen Indianerstamm auf. Wir sind die Größten, die Wildesten, die Besten. Willst du unseren kleinen Bruder nun rausrücken, Shire, du Bastard, oder sollen wir reinkommen?«
Logan seufzte. Er stand ohne Eile auf und bat den Impresario, sich einen Moment zu gedulden.
»Ich habe was zu erledigen.«
Der städtisch und auffällig gekleidete Mann mit dem öligen Haar und dem gezwirbelten Schnurrbart wunderte sich. Dixon trug einen längsgestreiften Anzug, Weste und Plastron-Krawatte. In seinen Schuhen konnte man sich spiegeln.
Er protzte mit Ringen, von denen er mindestens ein Dutzend an seinen Wurstfingern hatte, und wirkte verlebt, gerissen und arrogant. Ein Blender, wie er im Buch stand, schätzte der Sheriff ihn ein. Ein Showman, der es liebte und gewohnt war, im Mittelpunkt zu stehen.
Er hatte einen beachtlichen Bauchumfang, den sein Maßanzug nur wenig kaschierte.
»Was soll das denn bedeuten?«, fragte der Möchtegern-Miss-Wahlen-Veranstalter. »Gibt es Ärger?«
»Nein«, antwortete Logan. »Die scherzen nur.«
Als er zur Tür ging, sagte sein Deputy: »Willst du nicht die Schrotflinte mitnehmen, Logan?«
»Nein.«
»Soll ich hinten rumgehen und dir den Rücken decken?«
Der Sheriff winkte ab. Er trat aus der Tür. Vor dem Office, auf der Plaza in der Mittagssonne, saßen zwei hart aussehende Männer auf ihren Pferden. Sattelwölfe, den Colt tief geschnallt. Männer, die einer Schlägerei oder Schießerei niemals abgeneigt waren. Brasada-Rancher von der knallharten Sorte.
Logan sah sich rasch um. Im Hintergrund, lässig vornüber gelehnt, die Hände aufs Sattelhorn gestützt, sah er Will Brosnan. Einen Revolvermann, der ihm Übles wollte. Brosnan hatte er mal angeschossen – das verzieh der ihm nicht.
Der Kerl lauerte nur auf eine Gelegenheit, es Logan heimzuzahlen. Er war der Meinung, der Sheriff hätte damals nur Glück gehabt. Dabei konnte Brosnan froh sein, dass Logan ihn nur verwundet hatte.
Brosnan war Logans Wissen nach mit den Bonner-Brüdern nicht verbandelt. Er wollte nur die sich bietende Gelegenheit nutzen, Logan Blei zu verpassen.
»Buddies«, sagte Logan zu den beiden Brüdern, »krakeelt hier nicht rum. Euer Bruder hat Ärger gemacht. Dallas ist eine anständige, saubere Stadt. Das war nicht immer so, aber dafür sorge ich, solange ich hier den Stern trage. Entweder ihr verschwindet von der Straße, oder ich loche euch ein. Ihr könnt natürlich auch die hundert Dollar Strafe für euren Bruder bezahlen. Macht das, dann könnt ihr ihn gleich mitnehmen, und ich will vergessen, dass ihr hier rumgeschrien und mich beleidigt habt.«
»Das könnte dir so passen, Sheriff! Einen Dreck werden wir hundert Dollar bezahlen. Rück Ed heraus, oder es setzt was.«
»Was soll es denn setzen?«
Beide Sattelwölfe ritten ohne ein weiteres Wort an, was bewies, wie gefährlich sie waren. Sie redeten nicht, sie handelten. Jeder ritt einen Grullo – ein mausgraues Pferd mit Schattierungen, eine seltene, teure Sorte. Die Bonners waren auch erstklassig bewaffnet und von sich überzeugt.
Ward, der älteste Bruder, ritt direkt auf den Sheriff zu und riss seinen Hengst auf die Hinterbeine. Der Grullo schlug mit den Hufen nach Logan. Abe, der zweite Bruder, schwang bereits das Lasso, als er sein Pferd stoppte.
Die beiden waren davon überzeugt, Logan überrumpeln zu können, sodass er sich entweder entsetzt vor dem bäumenden Pferd duckte oder ins Office flüchtete. In beiden Fällen hätte ihn Abe mit dem Lasso gefangen, mit dem er ein Künstler war.
Will Brosnan klatschte in die Hände.
»Gebt's ihm, Bonners!«, rief er. »Schleift den Hund durch die Straßen von Dallas!«
Dazu hatte Logan keine Lust. Er sprang vor, statt sich zu ducken oder auszuweichen, entging reaktionsschnell den Hufen, packte Wards Pferd am Zügel und riss hart daran. Der Hengst stürzte wiehernd. Logan sprang zur Seite.
Die Lassoschlinge flog heran. Der Sheriff schlug sie weg, was Abe nicht für möglich gehalten hätte. Logan sprang heran, packte Abe an einem Bein und warf ihn aus dem Sattel. Abe landete hart. Das Pferd lief davon.
Der Sheriff wirbelte herum. Ward Bonners Hengst ging auf ihn los. Der Brasada-Rancher hatte ihn dressiert, auf einen Mann loszugehen. Logan wich hinter den Gehsteigpfosten zurück. Der Grullo kam so nicht an ihn heran.
Abe sprang wieder auf. Ward stand schon. Abe griff nach dem Colt. Noch schneller zog aber der Sheriff.
»Waffe weg, Abe, oder es knallt! Ward, ruf dein Pferd zurück, oder ich muss es erschießen. Es wäre schade um den Hengst.«
Zähneknirschend gehorchte Ward. Er griff gar nicht erst zur Waffe. Abe hatte den Revolver halb aus dem Holster gezogen und ließ ihn wieder hineingleiten.
Er hob die Hände. »Ich ergebe mich!«
Logan hatte die Umgebung im Auge behalten. Er sah, wie Brosnan auf ihn anlegte, und schoss sofort. Der Gunman schrie auf, in die Schulter des Revolverarms getroffen. Er ließ die Waffe fallen und presste die andere Hand auf das Loch in der Schulter.
Der Pulverdampf zerflatterte. Logan hatte die Lage im Griff. Ward pfiff, sein Pferd lief zu ihm. Auch Abe hob die Hände.
»War nur ein Scherz, Sheriff«, behauptete er.
»Darüber kann ich nicht lachen. Ihr seid verhaftet. Du auch, Brosnan. Steig ab, aber so, dass ich deine Hände sehen kann. Du hast noch einen zweiten Revolver. Kommt her, alle drei. Um eure Pferde kümmern sich andere.«
Die drei befolgten seinen Befehl. Schon hatten sich Zuschauer eingefunden, weitere kamen hinzu. Ein paar fingen an zu klatschen, dann spendeten alle Applaus. Logan – den Schönen Logan nannte ihn keiner, wenn er dabei war – hatte wieder mal eine schwierige Lage gemeistert.
Der Sheriff war Ende zwanzig, groß, schwarzhaarig, schlank und drahtig, dabei doch muskulös. Er hatte ein gut geschnittenes Gesicht und ein charmantes Lächeln. Er war ein Frauenschwarm, sauber, adrett, glatt rasiert.
Der Traum jeder Schwiegermutter, wären nicht seine vielen Affären gewesen.
Er benutzte sogar ein herbes Parfüm. Man hätte ihn für einen Schönling und Stutzer halten können. Doch er war knallhart, und wenn es drauf ankam, fackelte er nicht. Das hatte er soeben wieder einmal bewiesen.
✰
Link Absotter, der Deputy, lief aus dem Office, die Shotgun in den Händen. Er brauchte nicht mehr einzugreifen. Der Impresario Donnie Dixon blickte zunächst durch das Fenster. Als er sicher war, dass keine Gefahr mehr drohte, kam er heraus.
»Geht es hier immer so heiß zu, Sheriff?«, fragte er.
»Sie müssten mal herkommen, wenn wirklich was los ist. Link, sperre die drei ein. Für Brosnan hole den Doc. Nimm ihre Personalien auf. Das Protokoll schreibe ich später.«
Logan wandte sich an die Zuschauer. Ein paar applaudierten ihm immer noch. Bewundernde und von Frauen schmachtende Blicke trafen ihn. Logan war überzeugt, dass ein paar Höschen feucht wurden und er neuer Eroberungen sicher sein konnte.
Das war nicht mehr einfach, denn allmählich hatte er die Stadt abgegrast was Frauen betraf. Er war nun einmal ein schöner Mann, zudem hatte er einen Ruf, dem er gerecht werden musste.
»Ihr könnt aufhören zu klatschen!«, rief er. »Die Vorstellung ist beendet, es gibt nichts mehr zu sehen. Geht nach Hause, und wenn ihr nichts zu tun habt, dann tut es nicht hier.«
Er lächelte charmant.
»Das gilt nicht für die Ladys. Meine Damen, es war mir ein Vergnügen. Wir sehen uns auf dem Tanzboden.«
Unverheiratete und auch verheiratete Frauen lächelten ihm zu und schenkten ihm verheißungsvolle Blicke. Er war der begehrteste Junggeselle in Dallas und dem ganzen County. Manche wollten auch nur ein Abenteuer oder sich bei ihren Freundinnen brüsten, mit dem gutaussehenden Sheriff geschlafen zu haben.
Es lief schon ein regelrechter Wettbewerb in der Stadt. Die Männer nahmen das Logan übel – jedenfalls die meisten. Manche – das haute ihn um – hatten ihm jedoch schon gesagt, sie könnten verstehen, dass ihre Frauen oder Freundinnen bei ihm schwach wurden.
Link Absotter führte die drei Festgenommenen ab. Die Zuschauer und Zuschauerinnen zerstreuten sich.
Drei Freundinnen entfernten sich auf der Straße vom Schauplatz des Geschehens.
»Das ist ein Mann«, sagte die eine, Rhonda Miller, eine Bäckerstochter, zu ihren Freundinnen. »Bei dem könnte ich schwach werden.«
»Warst du noch nicht mit ihm im Bett?«, fragte eine ihrer beiden Begleiterinnen.
»Nein.«
»Dann hast du was versäumt.«
»Erzähl mal.«
Die junge Schöne berichtete. Auch die andere hatte schon mal mit dem schmucken Sheriff geschlafen. Rhonda war nun geknickt und eingeschnappt. Sie war etwas drall, aber durchaus hübsch.
»Ja, bin ich denn hässlicher als ihr? Was habt ihr denn, was ich nicht habe? Warum hat er es bei mir noch nicht versucht? Mache ich was verkehrt?«
Die beiden anderen trösteten sie.
»Mach dir nichts daraus, Rhonda. Wenn wieder eine Tanzveranstaltung ist, drücke dich eng an ihn, wenn er dich auffordert.« Der Sheriff war ein begehrter und eifriger Tänzer. Kein stahlharter Einzelgänger, der nur knurrig und einsilbig mit Frauen redete. »Reibe dich mit dem Becken an ihm, du weißt schon, wo.«
»Hm. Das könnte ich machen. Aber ich bin verlobt. Was wird Roy, mein Verlobter, denn dazu sagen?«
»Was Roy nicht weiß, macht Roy nicht heiß. Willst du nun mit dem Sheriff schlafen oder nicht?«
»Ich möchte schon. Aber ich weiß nicht ... Einerseits ja, andererseits nein. Oder doch ...?«
»Du wirst dich schon entscheiden müssen, Rhonda. Du kannst ihn natürlich auch angraben und heiß machen und dann abblitzen lassen. Wenn dir das gelingt. Er ist ein zu schöner Mann. Der bestaussehende Mann von ganz Texas.«
Schnatternd gingen sie weiter. Rhonda wurmte es, bisher noch nicht im Fokus der Aufmerksamkeit und des Charmes des Sheriffs gestanden zu haben. Auch die intimen Details, die ihr die Freundinnen berichteten, hätten sie interessiert.
Sie hatte zwar schon mal mit ihrem Freund geschlafen, doch das hatte ihr nicht sonderlich imponiert. Sie war gespannt auf den Sheriff. Bei der nächsten Gelegenheit wollte sie ihre Reize und ihre Anziehungskraft an ihm erproben. Eine Chance würde sich bieten, und wenn nicht, dann plante sie, eine zu schaffen.
Der Westen bestand nicht nur aus harten Männern und Rindertreiben, Cowboys und Pferden und züchtigen hochgeschlossenen Pionierfrauen mit einem Stall voll Kinder.
Mittlerweile saßen die drei Verhafteten im Jail. Will Brosnan wurde vom Doc in der Zelle verarztet. Anschließend ging der Doktor nach vorn ins Büro, wo sich Logan wieder mit dem Impresario Dixon und seinem glatzköpfigen, etwas beleibten Deputy im Office aufhielt. Das Jail befand sich in einem Anbau der Dienststelle.
Dallas war eine Stadt mit öffentlichen Gebäuden und Einrichtungen. Man schrieb das Jahr 1891. Die primitiven Anfangszeiten waren vorbei, außer in abgelegenen Gegenden.
»Ich muss Brosnan in mein Krankenhaus mitnehmen, Logan«, sagte der Doc und unterbrach das Gespräch damit. »Du hast ihm die Schulter zerschossen. Er wird seinen Revolverarm nie mehr gebrauchen können. Wenn er Pech hat, muss ich ihn amputieren. Oder er wird steif bleiben.«
»Dann muss er sich andere Jobs suchen, als seinen Revolver zu vermieten«, sagte der Deputy. »Zeit wird es ja. Vielleicht schlägt er jetzt einen anderen Weg ein. Er hat einen üblen Ruf als Revolverheld bis hinüber nach Mexiko. Früher oder später hätte er am Galgen geendet – oder wäre erschossen worden.«
»So wird es wohl sein. Kann ich ihn mitnehmen?«, fragte der Doc.
»Link bringt ihn später zu dir, Doc. Kann er die Schmerzen aushalten? Ist er transportfähig?«
»Beides ja. Ich habe ihm was gegen die Schmerzen gegeben. Er dämmert vor sich hin.«
»Dann wird Link ihn zu Ihnen bringen, Doc, wenn wir mit dem Gespräch hier fertig sind.«
Doc Tranter nickte und verließ das Office mit seiner schwarzen Arzttasche unter dem Arm. Er blickte über die Plaza hinweg, wo an diesem Tag ein Markt stattfand. Farmer aus der Umgebung hatten ihre Stände aufgebaut. Viehzüchter boten ihre Rinder in den Corrals am Bahnhof den Aufkäufern an.
Dallas verfügte längst über einen Eisenbahnanschluss. Die Zeiten, in denen man die Texas-Rinder den langen und mühevollen Weg nach Kansas hatte treiben müssen, in die Treibherdenstädte Dodge, Wichita und Abilene, lagen fast zwanzig Jahre zurück.
Die Oldtimer schwärmten noch von den alten Zeiten, in denen alles viel wilder, gefährlicher und natürlich interessanter und besser gewesen wäre als heutzutage. Als das Leben aufregender, die Männer kerniger und die Frauen leidenschaftlicher gewesen seien.
Auch hieß es, dass die heutige Jugend verweichlicht war, die Welt sich verändert hatte und in den Abgrund trieb. Schon fand man in den Städten des Ostens elektrische Beleuchtung und Röhrenkanalisation, auch Pferdebahnen und anderes – wo sollte das denn noch hinführen?
Das Grammophon war von Emil Berliner erfunden worden und hatte seinen Siegeszug angetreten. Überall hörte man die plärrenden Dinger ihre Musik spielen. Sie lösten Edisons Phonographen ab. Dieser Edison machte sich mausig, erfand ständig Neues und häufte Patente an.
Queen Victoria trug schon 53 Jahre lang die Krone des Vereinigten Königreichs. Benjamin Harrison war der 23. Präsident der USA und mühte sich ab, die Kartelle und Monopole zu zerschlagen.
Er balgte sich besonders mit John D. Rockefeller und dessen Standard Oil Trust. Die Indianer spielten keine Rolle mehr – Sitting Bull war längst tot, die Geistertanz-Bewegung, ohnehin ohne Aussicht, im Dezember letzten Jahres von der Armee mit ihren modernen Hotchkiss-Maschinengewehren am Wounded Knee zusammengeschossen und blutig beendet worden.
In Dallas gab es mehrere hundert Telefone, eines davon befand sich im Büro des Sheriffs. Der Staatshaushalt überschritt erstmals die Milliardengrenze.
Auch ein seltsames Gefährt verkehrte in den Straßen von Dallas – eine aus Deutschland importierte Benzinkutsche, ein Motorwagen. Das Ding gehörte einem Akademiker namens Elmer Bennett, allgemein der verrückte Doc genannt. Er war kein Arzt, sondern Ägyptologe, ein Fach, das in Texas kein Mensch verstand. Doc Bennett war steinreich und verschroben. Mit seiner Karre machte er die Pferde scheu. Niemand sonst in Dallas teilte seine Ansicht, dass derlei Fahrzeuge sich jemals durchsetzen würden.
Selbst die kühnsten Visionäre schreckten vor dem Gedanken zurück, dass derlei stinkende, knatternde Metalldinger jemals die edlen Pferde und schönen und gewohnten Kutschen ablösen würden. Mit den Eisenbahnen hatte man sich abgefunden. Die Züge fuhren auf Schienen und dienten dem Massenverkehr, sie erschlossen den Kontinent.
Doch solch stinkende Blechkisten auf den Straßen für einzelne oder zwei oder drei Personen – niemals und nie und nimmer und mehrfach Nein.
Sheriff Shire hatte Bennett schon mehrfach verwarnen müssen, weil er Menschen und Pferde erschreckte und den Verkehr auf den Straßen durcheinanderbrachte. Es war eine verrückte Zeit – manch einer erkannte die Welt nicht wieder und fragte sich, wo dieser Fortschritt noch hinführen sollte. Und was das neue Jahrhundert, das in neun Jahren begann, bringen würde.
Nichts Gutes, murmelten die alten Männer.
Jetzt war also Donnie Dixon da, Impresario – wie er sich künstlerisch angehaucht nannte – und Promoter von der Ostküste, und wollte im Rahmen des in anderthalb Monaten stattfindenden großen Rodeos zum Nationalfeiertag, dem Independence Day, die erste Misswahl in Texas durchführen.
Logan und sein Deputy waren skeptisch. Absotter, der Deputy, war genauso hässlich, wie Logan Shire gut aussah. Der Deputy wirkte feist, hatte ein schwammiges Gesicht, obwohl er erst Anfang dreißig war, eine Glatze und verschlagen wirkende Augen. Dazu kamen noch große Hauerzähne mit einer Zahnlücke in der Mitte. Er war jedoch eine Seele von Mensch und absolut treu und zuverlässig.
Dixon hakte die Daumen in die Ausschnitte seiner Weste und schwadronierte drauflos.
»Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Dazu gehören auch Misswahlen. Die schönsten Töchter von Texas haben ein Anrecht darauf, sich dem Publikum präsentieren zu dürfen. Die Schönste davon soll die Krone tragen, die der Miss Texas. Sie soll bei Veranstaltungen repräsentieren und über die Grenzen von Texas hinaus bekannt werden und auftreten.«
»Hatten wir bisher nicht, brauchen wir nicht«, brummte Deputy Absotter, ein Junggeselle, der als solcher schon in die Jahre kam. »Wo sollen denn die Misses auftreten und gewählt werden können? Beim Rodeo in der Arena?«
»Nein, in einer geeigneten Halle. Von mir aus auch unter freiem Himmel, auf einer Bühne jedenfalls. Es wird Eintritt genommen. Die Wahl findet an zwei Abenden statt, an denen die Bewerberinnen jeweils auftreten. Sie präsentieren sich im Kleid und im Badeanzug.«
»Öffentlich?«
»Natürlich, was sonst?«
Die Badeanzüge waren hochgeschlossen und ließen allenfalls mal die Waden frei. Es gab jedoch Ausnahmen.
»Am ersten Abend werden die Bewerberinnen dem Publikum vorgestellt, im Abendkleid, und müssen ein paar Fragen beantworten. Name, Geburtsdatum, Herkunft. Auch Fragen zum Allgemeinwissen werden gestellt, schließlich wollen wir keine ungebildete oder gar dumme Miss Texas. Die Moderation übernehme ich persönlich und führe auch durch das Programm. Dafür sind anderthalb bis zwei Stunden vorgesehen. Die Misses müssen Fragen auf dem Gebiet der Allgemeinbildung beantworten – wer war der erste Präsident der USA, wann fand die Schlacht um den Alamo statt und dergleichen.« Er holte Luft. »Nichts, was sonderlich schwierig wäre. Am zweiten Abend flanieren die Misses über den Laufsteg. Dann stellen sich alle zwölf auf der Bühne auf – dazu wählen wir knappe und eng anliegende Dresses.« Dixon zwinkerte.
»Wieso denn zwölf?«, fragte der Sheriff. »Es werden sich sicher mehr Bewerberinnen melden. Wie wollen Sie auf zwölf kommen, Mr. Dixon?«