1,99 €
Sie nannten ihn Louisiana Colt. Cullum Morphay war ein Mann, der die Geschichte eines Landstrichs veränderte. Skrupellos in der Wahl seiner Mittel. Erbarmungslos jedem gegenüber, der seinen Zielen entgegenstand. Selbst davor, einen Senator zu stürzen und sich selbst an dessen Stelle setzen, schreckte er nicht zurück.
Cullum Morphay war maßlos und griff nach Reichtum, Macht und Ansehen. Lange schien er unbezwingbar, immer war sein Colt der schnellere. Doch als er die Hand nach Madison, der schönsten Frau von ganz Louisiana, ausstreckte, machte er sich in dem redlichen Vormann Greg Walters einen tödlichen Feind ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 152
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Über den Tisch gezogen
Vorschau
Impressum
Überden Tischgezogen
Sie nannten ihn Louisiana Colt. Cullum Morphay war ein Mann, der die Geschichte eines Landstrichs veränderte. Skrupellos in der Wahl seiner Mittel. Erbarmungslos jedem gegenüber, der seinen Zielen entgegenstand. Selbst davor, einen Senator zu stürzen und sich selbst an dessen Stelle setzen, schreckte er nicht zurück.
Cullum Morphay war maßlos und griff nach Reichtum, Macht und Ansehen. Lange schien er unbezwingbar, immer war sein Colt der schnellere. Doch als er die Hand nach Madison, der schönsten Frau von ganz Louisiana, ausstreckte, machte er sich in dem redlichen Vormann Greg Walters einen tödlichen Feind ...
Eine glanzvolle Abendgesellschaft auf der Plantage Seven Oaks in der Nähe von Baton Rouge am Mississippi: Winston C. Hunter war Gastgeber, der älteste und angesehenste Sohn des Familienoberhaupts Lionel Augustus C. Hunter. Der Senior glänzte durch Abwesenheit, und die Lücke, die er hinterließ, ersetzte ihn völlig. Der siebzigjährige Senior war nach dem Tod seiner Frau zu einem Lebemann geworden.
Er hielt sich mehrere Geliebte, er trank und er spielte – meist war er auf Luxusdampfern auf dem Mississippi unterwegs und genoss dort sein Leben. Er hurte, er soff und spielte auf Teufel-komm-raus.
Seiner Familie gefiel das nicht – doch was sollte sie machen? Vor einer Entmündigung schreckten sie zurück und versuchten bisher nur, den alten Lebemann, zu dem er geworden war, einigermaßen im Zaum zu halten.
An diesem Abend vermisste ihn keiner. Zweihundert Gäste aus den besten Familien hatten sich eingefunden. Im Saal des palastartigen Plantagengebäudes tanzten elegant gekleidete Männer und Frauen, die letzteren in tief ausgeschnittenen Abendkleidern und mit genug Schmuck, um halb Louisiana zu kaufen. Die Männer alle im Frack.
Kristalllüster beleuchteten den Saal. Auf der Empore und an den Tischen saßen einige Nichttänzer. An der Bar und im Rauchsalon amüsierten sich die Gäste und schwadronierten.
Die Lafayettes, die Morgans, die Wilkinsons und alles, was Rang und Namen hatte. Die Morgans reden nur mit den Lafayettes und die Lafayettes nur mit Gott persönlich, lautete ein geflügeltes Wort. Eine Kapelle in Livree spielte – achtzehn Mann, ein ganzes Orchester, extra aus New Orleans herbestellt.
Die Musik klang durch die geöffneten Fenster hinaus zu den Sklavenquartieren, wo die schwarzen Baumwollpflücker bescheiden lebten. Die Schwarzen schauten hinüber zum erleuchteten Herrenhaus und waren neidisch.
»So müsste man leben«, sagten sie, die tagaus, tagein auf den Baumwollfeldern schufteten, ihren Schweiß vergossen und der Willkür der Aufseher ausgeliefert waren. »Diese reichen Leute dort haben keine Sorgen.«
Sie irrten sich. Die reichen Hunters hatten welche und sollten gleich noch viel mehr bekommen.
Winston C. Hunter, der Gastgeber, ein schlanker, frühzeitig ergrauter Mann, tanzte mit seiner ältesten Tochter, der schönen Chloe. Sie war schwarzhaarig und gertenschlank. Ihre Frisur war modisch mit gedrehten Locken. Ihr glockenförmiges Abendkleid hatte so viel gekostet, dass man davon alle Sklaven auf der Plantage ein Jahr lang hätte ernähren können.
Ihr Vater, der Gastgeber, war Senator und Kongressabgeordneter, was zu der Zeit, 1859, möglich war. Er vertrat Louisiana im Senat und im Kongress zugleich und war ein entschiedener Vertreter der Sklaverei und des Feudalsystems der Baumwollbarone in den Südstaaten.
»Die Sklavenhaltung ist gottgegeben«, war seine Rede. »Niemals werden wir uns dem Diktat der verrückten Nordstaatler beugen, die eine Abschaffung des altbewährten Systems verlangen. Dieser lange und ungelenke Lulatsch Lincoln, der verkrachte Rechtsanwalt aus Illinois, wird die bevorstehende Präsidentschaftswahl nicht gewinnen. Dafür bürgt mein Einfluss in Washington und im Kongress von Louisiana.«
Davon war er fest überzeugt. Die schöne Chloe tanzte federleicht. In den Armen ihres Vaters schwebte sie förmlich dahin. Ihre Juwelen glitzerten, und ihr Glanz drang in die letzte Ecke des Saals.
Die beiden – Vater und Tochter – gaben ein so perfektes Paar ab, dass man ihnen die Tanzfläche überließ. Die Zuschauer bildeten einen Kreis, schauten bewundernd und spendeten verhalten Beifall, um die Musik nicht zu stören.
Endlich endete die Quadrille. Der Senator und seine Tochter blieben stehen, er hielt sie an der Hand.
Chloe knickste. Sie lächelte strahlend. Von den Zuschauern rührte niemand eine Hand.
Da klatschte ein Einzelner, was noch unpassender war. Dreimal nacheinander schlug er in die Hände.
»Sehr schön. Gar nicht übel. Jetzt ist genug getanzt, Senator. Wir müssen reden.«
Winston C. Hunter runzelte die Stirn. Die Stimme kannte er nicht. Er sah hin und entdeckte in der ersten Reihe der Zuschauer einen derb gekleideten Mann, einen wüsten Typen mit zwei tiefgeschnallten Revolvern. Der Mann hatte ein rotes Tuch um den Hals und hochschaftige Lederstiefel an.
Ein Bowiemesser trug er auch noch am Gürtel. Er war groß, kräftig und unrasiert. Rothaarig und mit grünen Augen.
Der Senator starrte ihn an.
»Wer sind Sie denn?«, fragte er mit dem leicht französischen Akzent, den er pflegte. »Haben Sie eine Einladung?«
Der Unrasierte klatschte auf seinen Revolvergriff.
»Das ist meine Einladung, Sir. Außerdem habe ich hier einen Freibrief und jederzeit Zutritt. Mir gehört nämlich diese Plantage.«
»Was? Sind Sie irre? Wer hat Sie denn überhaupt hereingelassen?«
»So ein livrierter Fatzke wollte mich aufhalten. Den schlug ich kurzerhand nieder.«
»Was? Etwa Pierre? Den Majordomus?«
»Nennt man die Fatzken so? Also, ich bin jetzt hier und der Herr dieses Hauses.«
»Ein Irrer«, stöhnte Hunter. Er begriff, dass dieser Mann nicht ungefährlich war, wenn man bedachte, wie er aussah und auftrat. »Was wollen Sie denn, um aller Welt willen und in Gottes Namen?«
»Mit Gott hat das nichts zu tun. Mein Name ist Cullum Morphay. Ihr Vater überschrieb mir diese Plantage. Jetzt bin ich hier, um sie zu übernehmen. Außerdem will ich die Hand Ihrer Tochter Chloe. Und nicht nur die Hand.«
Der Mann lachte heiser.
»Man nennt mich Louisiana Colt. In den Senat will ich auch und dort Macht und Einfluss erlangen.«
Ein paar Gäste lachten, Männer und Frauen. Sie verstummten schnell; sie waren eh nicht die Mehrzahl. Fast alle kannten den Namen Cullum Morphay oder auch Louisiana Colt. Er war ein berüchtigter Tunichtgut und Bandit, und er hatte eine Bande von üblen Schurken um sich gesammelt.
Allesamt Halsabschneider und Revolvermänner und Killer.
Louisiana Colt winkte einladend mit dem schweren Sechsschüsser.
»Können wir in Ihr Arbeitszimmer gehen und das Geschäftliche besprechen, Senator? Bitte nach Ihnen.«
Die Musik war verstummt. Die livrierten Musikanten saßen mit ihren Instrumenten auf der erhöhten Bühne und sahen zu. Die Zuschauer waren fassungslos und entsetzt, weil jemand einen derartigen Auftritt im Haus des Senators wagte.
Durch ihren Rang, Namen und Reichtum hatten sie sich sicher gefühlt. So etwas wie das, was sie sahen, war noch nie vorgekommen.
Es war völlig ruhig im Saal. Die illustre Gesellschaft stand wie gebannt da.
Da meldete sich Chloe zu Wort.
»Wie ist dieser Mann hereingekommen? Du musst ihn hinausweisen, Vater.«
Morphay lachte ihr ins Gesicht.
»Wer sollte denn dazu imstande sein, mich hinauszuwerfen?«
Er pfiff schrill, ohne die Finger zu gebrauchen. Schon drängten sich ein halbes Dutzend Männer von seiner Art vor. Raue Gesellen, alle schwer bewaffnet. Sie grinsten hämisch und schauten gefährlich drein. Bisher hatten sie sich in der Menge verborgen.
Morphay hatte noch mehr Männer mitgebracht. Diese blockierten Ein- und Ausgänge. Von den Gästen trug keiner sichtbar eine Waffe. Der eine oder andere Mann trug vielleicht aus schierer Gewohnheit einen Derringer versteckt am Leib.
Vielleicht auch eine Handvoll der Frauen. Oder ein Stilett. Doch was war das gegen die Feuerkraft und Brutalität dieser Bande?
Zumal Morphays Bande eine straffe Führung hatte und genau wusste, was sie wollte.
Der Senator räusperte sich. Er bemühte sich, sein Gesicht zu wahren.
»Werft sie hinaus!«, rief er den schwarzen Kellnern und anderen männlichen Dienstboten zu. »Weist ihnen die Tür! Hetzt die Hunde auf sie, wenn sie nicht freiwillig gehen.«
Zögernd rotteten sich die Kellner und anderen in den weißen Jacketts zusammen. Der Oberkellner, ein grauhaariger Schwarzer von distinguiertem Aussehen, wagte es, Morphay anzusprechen.
»Sir, verlassen Sie bitte dieses Haus. Sie sind hier nicht erwünscht.«
Morphays Unterführer, Fats Camargue – das war nicht sein richtiger Name – fletschte die Zähne, zog eine grimmige Grimasse und trat auf den Oberkellner zu. Der zuckte zusammen – »Huch!« – und wich zurück.
Camargue lachte. »Sieh dir mal diese Helden an!«, sagte er zu seinem Boss. »Wenn du sie scharf anblickst, scheißen Sie sich in die Hose.«
Morphay winkte abermals mit dem Revolverlauf.
»Senator.« Sein Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. Hunter sah sich hilfesuchend um. Dann ging er vor Morphay und zweien seiner Männer voraus zu der großen mit einem Laufteppich belegten Freitreppe ins Obergeschoss. Morphay und die beiden Männer folgten ihm.
Der Senator steuerte einen langen Gang entlang und öffnete die Tür zur Bibliothek. Es war ein großer Raum, holzgetäfelt, mit mehreren Regalreihen voller wertvoller dicker Bücher.
»Was ist denn das für ein Scheiß?«, fragte der eine von Morphays Männern. »Ist das vielleicht ein Arbeitszimmer?«
»Hier tagt der Familienrat und werden intime und wichtige Angelegenheiten besprochen«, sagte Hunter. »Das Tagesgeschäft wie die Verwaltung der Plantage, die Pflanzung und den Verkauf der Baumwolle betreut mein Verwalter. Er hat ein eigenes Büro dafür in einem Nebengebäude. Aber davon haben Leute wie Sie keine Ahnung.«
Der Dünkel bekam ihm schlecht.
Der hagere Guslinger in speckigen Hosen, ein echtes Galgenvogelgesicht, der zuvor wegen der Bücher gefragt hatte, spuckte eine Ladung Kautabaksaft auf die wertvollen Folianten.
Der Senator erschrak. Ein solcher Umgang mit bibliophilen Kostbarkeiten war ihm fremd.
»Ich muss doch sehr bitten!«, monierte er.
Der Hagere stieß ihm derb vor die Brust.
»Blas dich hier nicht auf, du alter Laffe. Sonst erlebst du was. Meinst du vielleicht, du bist was Besseres, weil du mit einem goldenen Stock im Hintern geboren wurdest? Ich bin Todd Tennessee, Tennessee aus Kentucky, damit man es sich leichter merken kann. Ich habe schon mehr Menschen umgebracht, als du ahnst. Vor einem Senator schrecke ich nicht zurück.« Er ergriff Hunters gepflegte und manikürte Hand. »Du hast schöne Ringe. Schenkst du sie mir?«
Hilfesuchend sah der grauhaarige Senator Cullum Morphay an.
»Mr. Morphay, pfeifen Sie ihn zurück. Was soll das? Ich denke, wir wollen verhandeln.«
»Todd stimmt dich gleich richtig ein«, antwortete Morphay. »Damit du weißt, wo es langgeht. Gib ihm die Ringe – sonst schneidet er dir die Finger ab und nimmt sie sich selbst.«
Tennessee zog ein scharfes Messer. Er hielt die Hand des Senators eisern fest. Der bekam große Angst.
»Nein, tu mir nichts! Lass das sein. Du bekommst die Ringe.« Er zog sie sich von den schmalen Aristokratenfingern. Zwei wertvolle Brillantringe, von denen einer am kleinen Finger getragen wurde. Nur den Siegelring durfte er behalten.
Der Hagere kassierte die beiden Ringe ein. Morphay nahm ihm einen Brillantring ab, betrachtete diesen, freute sich am Funkeln des Brillanten, hauchte ihn an, polierte ihn an der Weste und steckte ihn sich an einen Finger.
Der Ring war zu eng. Morphay bekam ihn gerade mal über das erste Fingerglied. Er steckte ihn in die Tasche.
»Den behalte ich. Lässt sich gut verkaufen, ist eine Menge wert. Vielleicht schenke ich ihn auch einer Frau – der schönen Chloe zum Beispiel. Die Weiber wollen hart rangenommen werden, besonders diese verwöhnten Südstaatenpflanzen. Chloe ist keine Ausnahme. Senator, wo ist hier die Sitzecke? Oder tagt der Familienrat der Hunters im Stehen?«
»Nein.«
Der Senator führte die drei zwischen den Buchregalen hindurch zum Marmorkamin mit der Büste von George Washington auf dem Sims. Er und Morphay setzten sich. Tennessee und der andere Mann, ein vierschrötiger Kerl mit einer Säbelnarbe im Gesicht, blieben stehen.
✰
Tennessee spielte mit dem Brillantring für den kleinen Finger.
»Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft«, sagte er. »Zieh ihm den Zahn, dass er hier noch was zu sagen hat, Cullum.«
»Das bestimmst nicht du. Halt dein freches und vorlautes Maul, oder ich stopfe es dir.«
Der Gescholtene verstummte sofort und zog den Kopf ein. Morphay war für seine Härte und Brutalität bekannt. Er setzte sich vor dem kalten Kamin dem Senator gegenüber und schlug die langen Beine übereinander.
Seine beiden Gefolgsleute hielten den Mund. Morphay zog das Papier aus der Tasche, mit dem er schon vorher im Ballsaal herumgefuchtelt hatte. Er legte es auf den Tisch.
»Da, lies.«
Hunter nahm das Schriftstück. Es war ein Schuldschein, vielmehr eine Übertragungsurkunde. Der Senator erkannte entsetzt die verschnörkelte Schrift seines Vaters. Das Dokument war mit Wachs gesiegelt.
Das Familienwappen der Hunters war in das Wachs gedrückt.
»Das sieht echt aus«, sagte der Senator. Dann fiel ihm ein, dass er sich damit selbst ins Hintertreffen brachte. »Sie werden gestatten, dass ich das Dokument überprüfen lasse.«
Als er es wegstecken wollte, schnappte es der Revolverheld ihm blitzschnell aus der Hand.
»Halt, Freundchen, so haben wir nicht gewettet. Das Dokument bleibt bei mir.«
»Aber ich muss es doch dem Bezirksrichter zeigen!«
»Wann?«
»Morgen.«
»Da komme ich mit. Wir suchen gemeinsam den Richter auf. Mal sehen, was er zu sagen hat.«
Winston C. Hunter überkam ein sehr ungutes Gefühl. Cullum Morphay schien seiner Sache sehr sicher zu sein. Das hier war kein billiger Bluff. Es war auch keine Posse oder Scharade. Er meinte es todernst und hatte es tatsächlich auf die Plantage abgesehen.
»Okay«, sprach der Senator. »Ich fahre um Punkt zehn mit dem Buggy los. Sehen Sie zu, dass Sie pünktlich sind.«
»Ich bin immer pünktlich. So pünktlich wie der Teufel selbst, wenn er die arme Seele holt.«
»Wie kam es denn, dass mein Vater dieses Dokument ausfertigte?«
Hunter gab anscheinend erheblich nach, indem er eingestand, das Schriftstück könnte von seinem Vater gefertigt sein.
»Well«, Morphay stand auf, »der alte Herr hatte einiges getrunken, und er litt an Lebensüberdruss. Ihm passte alles nicht mehr. Sein Leben, der Besitz, der ihn belastete, all der Trubel und Trouble. Wir spielten – er schüttete mir sein Herz aus. Von einer Familie, die ihn nur aussaugte, forderte und belastete, die ihn immer nur ausgenutzt hätte, ihm niemals für das gedankt hätte, was er leistete. Wie er viele Jahre lang geschuftet und sich aufgerieben und aufgeopfert hätte für die Seinen – damit seine Söhne und Töchter es gut hätten. Die Söhne Karriere machen konnten, die beiden Töchtern gute Partien erhielten. Dass er selbst noch für die Verwandtschaft seiner Frau immer ein offenes Ohr und eine offene Börse hätte. Dass ihm das keiner gedankt hätte und er immer nur ausgenutzt worden sei. Aber das sagte ich schon.«
Senator Hunter lag die zynische Bemerkung auf der Zunge, ihm würden gleich die Tränen kommen. Er dachte auch an den Pocket Colt in der Schreibtischschublade. Aber er traute sich nicht, sie zu öffnen und danach zu greifen.
»Aha«, sagte er nur, »und deshalb hat er Ihnen den gesamten Besitz hier mit sämtlichem lebendem und totem Inventar überschrieben?«
»Nein, den habe ich mir redlich am Spieltisch verdient. Der alte Hunter setzte auf Teufel komm raus – und verlor. Dann fertigte er dieses Dokument aus, nachdem ich ihm eine letzte Chance gegeben hatte.«
»Wo war das? Wann? Auf welchem Schiff?«
Da sein Vater sich in der letzten Zeit fast ausschließlich auf den luxuriösen Salonschiffen, riesigen Schaufelraddampfern mit mehreren Decks – geradezu schwimmende Hotels – aufgehalten hatte, ging der Senator davon aus, es wäre auf einem Schiff gewesen.
»Auf der River Belle, kurz hinter Natchez. Ich muss sagen, der alte Herr hat sich mit großer Geste verabschiedet. Vor vier Wochen war das.«
»Und da kommen Sie erst jetzt?«
»Ich hatte vorher noch was zu erledigen. Der Zeitpunkt heute erschien mir geeignet, da Sie den großen Ball geben und als dessen Höhepunkt zu fortgeschrittener Stunde die Verlobung ihrer Tochter Chloe mit Montague Blake III, dem Spross einer reichen und angesehenen Pflanzerfamilie, bekannt geben wollten. So, da bin ich nun. Die Verlobung fällt ins Wasser.«
Montague Blake hatte sich zurückgehalten, als Cullum Morphay mit seiner Bande auftrat. Senator Hunter hätte von ihm etwas mehr erwartet.
»Wo ist mein Vater jetzt?«, fragte der Senator.
Der Senior hatte sich nach dem Tod seiner Gattin vor schon einer ganzen Weile von der Familie abgeseilt. Sein ältester Sohn, der Senator, führte seitdem die Familiengeschäfte. Er hatte noch zwei Brüder und eine Schwester, die alle in guten Positionen saßen.
Geld hatte zu Geld geheiratet, Macht und Einfluss hatten sich mit ihresgleichen zusammengetan.
Morphay antwortete auf seine Frage: »Bei den Fischen und in den Mägen der Alligatoren. Der Senior trank, nachdem er alles an mich verloren hatte, ein Glas Champagner. Das leere Glas warf er in den dunklen Fluss und sprang hinterher. >Ich kann nichts mitnehmen<, rief er, >und meine undankbare Familie soll es nicht haben! So scheidet Lionel Augustus Cyprian Hunter von dieser Welt, für die er zu gut war.< Mit diesen Worten schwang er sich über die Reling. Wir konnten ihn nicht zurückhalten.«
»Wir?«
»Ich und drei meiner Männer – Fats Camargue, Todd Tennessee und Jim Ordonez hier. Eine Such- und Rettungsaktion verlief erfolglos, obwohl die River Belle sofort stoppte und der Kapitän Ruderboote aussetzte. Wir wissen nicht einmal, ob dein Vater ins Schaufelrad geriet und zermalmt wurde, oder ob er ertrank.«
»Vier Wochen? Unglaublich. Das hätte sofort mitgeteilt werden müssen. Mein Vater war ein Mann von Bedeutung.«
»Ich sagte dem Kapitän, ich würde die Nachricht persönlich überbringen – und meine Ansprüche auf Seven Oaks geltend machen. Ich habe eine besondere Art, Menschen zu überzeugen.«
Er klopfte auf den Griff des rechten Revolvers.
»Sonst noch Fragen, Senator?«
»Gibt es Zeugen für das, was Sie sagen?«
»Drei meiner Männer. Fats, Jim und Todd.«
»Willst du uns etwa Lügner nennen, Senator?«, fragte der vierschrötige Jim Ordonez, ein Halbmexikaner, drohend.
»Nein, nein! Aber ihr werdet verstehen, dass ich das nachprüfen muss. Seven Oaks ist ein Herrensitz und eine der größten Plantagen der Südstaaten.«
»So etwas habe ich mir immer gewünscht«, sagte Morphay träumerisch. »Und jetzt kehren wir zu den Gästen zurück, Senator. Auch wir wollen uns auf dem Ball amüsieren, mit schönen Frauen tanzen, gut essen und trinken. Das verstehen Sie doch?«
Der Senator unterdrückte ein Zähneknirschen. Er wusste, dass er vor dieser bewaffneten Bande nachgeben musste. Es war eine Blamage. Doch damit musste er leben – in seinem Innersten, ohne äußerlich eine Miene zu verziehen, schwor er den Banditen Rache.
»Seien Sie meine Gäste«, erklärte er förmlich. »Kehren wir in den Festsaal zurück.«
Dort war die Stimmung verdorben. Ein Teil der Gäste hatte sich schon zurückgezogen oder reiste sogar ab, obwohl sie auf Seven Oaks hatten übernachten wollen. Die Kapelle spielte schwunglos, die wenigen Paare auf der Tanzfläche wirkten geschockt und desinteressiert. Auch von den Banditen tanzten einige, zerrten vielmehr Frauen auf die Tanzfläche und dort hin und her, trampelten ihnen auf die Füße, tatschten sie an.