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Die McKenzies sind eine Siedlerfamilie mit bescheidenen Mitteln, aber sie träumen von einer goldenen Zukunft auf dem Land ihrer Sehnsüchte. Ein Mord am Vorabend des Land Runs und eine Familie von Soonern machen ihnen jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Im Zuge dieser spannenden Familiensaga folgen wir den Abenteuern des jungen Kennan McKenzie und erleben aus seiner Perspektive historische Umwälzungen wie den Oklahoma Land Run, den Goldrausch am Klondike weit nördlich in Kanada und die Ölfunde in Oklahoma zur Jahrhundertwende. Gegen die Machenschaften übler Strippenzieher muss Kennan für den Bestand und das Glück seiner Familie kämpfen. Wird es ihm und den Seinen gelingen, einige der übelsten Schurken zur Rechenschaft zu ziehen und mit dem Ölboom des frühen 20. Jahrhunderts endlich die Not hinter sich zu lassen?
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Seitenzahl: 158
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Sie kriegen nie genug
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Impressum
Sie kriegennie genug
Der Oklahoma Land Run führt zum letzten großen Ansturm von Siedlern auf bisheriges Indianergebiet. Eine Menschenmenge versammelt sich an der Grenze des künftigen Oklahoma-Territoriums und wartet auf den Startschuss zu einem Wettrennen, auf dem sich jeder ein Grundstück seiner Wahl abstecken darf, sofern ihm nicht andere zuvorkommen.
Unter denen, die von einer goldenen Zukunft träumen, sind auch die McKenzies, eine Siedlerfamilie mit bescheidenen Mitteln. Südlich von Tulsa soll schon in ein paar Jahren eine blühende Farm ihr Zuhause sein.
Doch ein brutaler Mord am Vorabend des Land Run und eine Meute von Betrügern machen ihnen einen Strich durch die Rechnung. Rose muss den Weg ins Ungewisse mit ihren fünf Kindern allein antreten ...
Am 21. April 1889, dem Vorabend des Oklahoma Land Run, wurde Brian McKenzie wegen einer Lappalie erstochen. Er war ein großer, stattlicher, gut aussehender Mann von nicht einmal dreißig Jahren. Seinen runden Geburtstag nur fünf Tage später erlebte er nicht mehr.
Voller Hoffnung war er mit seiner Frau Rose und den fünf Kindern gekommen, um sich im zur Besiedlung freigegebenen Gebiet im Oklahoma-Territorium ein gutes Stück Land und eine Zukunft zu sichern.
Er wollte farmen und Vieh züchten. Tausende Siedler warteten an der Grenze, von der Armee und von Rangers zurückgehalten, auf den Startschuss am nächsten Tag.
Um Punkt zwölf Uhr mittags sollte ein Kanonenschuss das Signal geben. Dann würden die Siedler, ganze Familien, Einzelne und auch Gruppen, losstürmen, um sich im fraglichen Gebiet ein möglichst gutes Stück Land zu sichern.
Zwei Millionen Morgen, gut achttausend Quadratkilometer, fast die gesamte Osthälfte des Territoriums, wurden frei.
Brian McKenzie war an diesem Abend sehr zufrieden. Die kleineren Kinder schliefen schon, die beiden größeren waren noch wach und sollten beim Wagen und den Pferden bleiben und aufpassen. Drei Jungs und zwei Mädels waren es, im Alter von zwölf bis vier Jahren. Brian war mit achtzehn schon Vater geworden, er und die hübsche und kesse Rose hatten heiraten müssen, wie man es nannte, weil ein Kind unterwegs war.
Sie hatten es nie bereut. Jetzt schmiedeten sie Zukunftspläne, während sie am Feuer saßen und sich an den Händen hielten.
»Das wird wunderbar«, schwärmte Brian.
Rose sah zu ihm auf. Für sie war er ein Idol und ein Abgott, und sie liebte ihn wie am ersten Tag.
»Du wirst sehen: In ein paar Jahren haben wir südlich von Tulsa eine blühende Farm und züchten dazu noch Vieh. Fleischige Hereford-Rinder, die etwas auf die Waage bringen, keine dürren, klapprigen Muskelbündel wie die texanischen Longhorns. An denen sind die weitausladenden Hörner das Beeindruckendste. Als Fleischlieferanten kannst du sie vergessen. Das war mal, dass sie in Dodge, Abilene und Wichita gutes Geld brachten. Dazu mussten sie erst mal einen weiten Weg getrieben werden. Heutzutage ist alles anders.«
»Was du alles weißt, Brian. Ich habe einen schönen und klugen Mann bekommen.«
Der Neusiedler mit dem dunkelblonden Bart strahlte.
»Und ich eine bildhübsche, fleißige und intelligente Frau.«
»Ich bin nicht so klug wie du, Brian. Du übertreibst.«
»Nein, Darling. Du hast deine Pflichten, ich die meinen. Ich könnte mir keine bessere Mutter für meine Kinder und bessere Lebensgefährtin vorstellen.«
Rose errötete. Sie war dunkelhaarig, gut gebaut und ein ganzes Stück kleiner als ihr Mann. Die Geburt von fünf Kindern hatte ihrer Schönheit keinen Abbruch getan.
»Das sagst du nur so daher.«
»Nein, das ist mein voller Ernst. Komm, wir wollen uns im Lager umsehen.«
Er wandte sich an den zwölfjährigen Kennan, einen dunkelhaarigen, ernst wirkenden Jungen. Er war weitgehend nach seiner Mutter geraten.
»Du passt auf die anderen auf, Ken. Du hast die Verantwortung, während wir weg sind.«
»Wo wollt ihr denn hin?«
»Uns mal umsehen. Das ist ein riesiges Camp, Pferde und Wagen aller Art und Menschen. Kutschen und alles Mögliche. Wagen mit landwirtschaftlichen Geräten und Saatgut. Das wird morgen ein Gerangel und ein Gerenne geben! Dabei ist genug Land für alle da – aber sie werden rennen wie vom Teufel gejagt.«
Brian McKenzie war aufgestanden. Er strich dem ältesten Sohn, der mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester am Feuer saß, über das widerspenstige dunkle Haar.
»Ich bin schon mal drüben gewesen und habe uns ein gutes Stück Land ausgesucht, Ken.«
»Kenan. Ich will Kennan genannt werden. Darauf lege ich Wert.«
»Kennan, entschuldige. Das ist fünfzig Meilen von hier, am Arkansas. Ein schönes, fruchtbares Tal. Dahin fahren wir. Es liegt abseits der üblichen Wege. Dort werden wir glücklich sein.«
Rose schaute ihn an.
»Warum hast du die Parzelle nicht gleich abgesteckt, Brian? Und bist dort geblieben? Wir hätten nachkommen können. Andere sind doch auch schon früher über die Grenze, haben sich heimlich hinübergeschlichen, halten sich bedeckt und versteckt. Bis andere kommen, nach dem Startschuss, sind sie schon da und haben ihr Land abgesteckt.«
»Frau, was redest du da!«
»Das ist wie die Geschichte vom Hasen und vom Igel«, sagte die Frau. »Der Hase rennt, und der Igel hat sich schon eingenistet.«
»Durch Lug und Trug!«, wetterte der junge Farmer und Rancher aus Arkansas, der aus beengten Verhältnissen geflüchtet war. »Ich weiß, dass es solche Betrüger gibt – Sooner werden sie genannt. Das ist eine Schweinerei, was sie machen. Die Armee patrouilliert, und auch die Marshals sind unterwegs. Doch sie können nur einen Bruchteil erwischen. Es ist einfach zu viel, die Aufgabe ist zu gewaltig. Hier summt es wie in einem Bienenschwarm, ein riesiges Lager, kilometerweit hingestreckt, lauter Siedler diesseits der Grenze des Landes, das erst ab morgen Mittag zur Besiedlung freisteht. Das sollen die Soldaten und die vom Gesetz bestellten Kräfte, oft Aushilfskräfte, unter Kontrolle halten. Das können sie nicht.«
»Was geschieht denn mit denen, die früher hinüber sind und zurückgebracht werden, Daddy?«, fragte die zehnjährige Allie.
Sie hatte kastanienbraunes Haar und ein fein geschnittenes Gesicht. Man sah jetzt schon, dass sie einmal eine Schönheit werden würde. Rose hatte ihre Kinder gut angezogen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, und hielt sie ordentlich.
»Sie müssen bis zum offiziellen Startschuss hierbleiben«, antwortete Brian. »Dann können sie wieder mit los.«
»Mehr nicht? Werden sie nicht von der Landnahme ausgeschlossen, Dad? Oder bestraft?«
»Nein, nur verwarnt. Man hat bis zum Start auch noch ein besonderes Auge auf sie. So weit es möglich ist.«
»Aber das ist doch dumm, Dad. Dann können sie es ja gerade wieder versuchen. Oder jemand anderes aus ihrer Familie oder ein Freund machen es. Dann sind alle die Dummen, die sich ans Gesetz und die Regeln halten. Die Schlauen, die Sooner, gehen schon früher über die Grenze. Das ...«
»Was wolltest du sagen? Sprich es ruhig aus, Allie.«
»Dann ... dann ...«
»Druckse nicht herum, sprich es aus.«
»Dann hättest du dich auch schon in dem Tal festsetzen sollen. Und es für dich ... für uns beanspruchen sollen. Wenn doch sowieso nichts passiert, falls du überhaupt erwischt wirst.«
Allie war schlau für ihr Alter. Sie kriegte Dinge mit, die man ihr nicht zugetraut hätte.
»Das will ich nicht gehört haben!«, sagte ihr Vater streng. »Wir sind keine Betrüger und keine Landdiebe. Denn wer gegen das Gesetz verstößt und das Land früher besetzt, als es gestattet ist, der stiehlt es. Der nimmt es anderen weg und lässt ihnen keine Chance. Das ist unfair, verwerflich und unmoralisch. Du musst noch viel lernen, Tochter.«
Allie blickte zu Boden. Sie stand da im Feuerschein und scharrte mit der Schuhspitze im Gras. Den Argumenten ihres Vaters stimmte sie nicht zu, doch sie sagte nichts mehr dazu.
»Hör auf deinen Vater, Allie«, sagte die Mutter. »Wir sind redliche, ehrliche Leute und achten das Gesetz. Jetzt lasst uns gehen. Ihr beide bleibt hier beim Wagen und den Pferden und passt auf.«
Ein Muli war auch noch dabei. Das erwähnte Rose nicht. Hand in Hand mit ihrem hochgewachsenen Gatten ging sie weg.
»Wir sind bald wieder zurück!«, rief sie ihren Kindern zu. Die drei Kleineren lagen im und unter dem Wagen, gut zugedeckt, denn die Aprilnacht war kühl. »Falls es doch etwas länger dauert, legt euch schon mal hin. Ihr braucht keine Angst zu haben. Wir sind mitten im Lager. Überall um uns her sind Menschen. Es droht keine Gefahr, ihr seid hier in Sicherheit. Wir sind alle in Sicherheit.«
✰
Brian McKenzie und seine Frau, in die er nach wie vor sehr verliebt war, bummelten durch das riesige, sich an der Grenze entlangstreckende Lager. Feuer brannten, Laternen leuchteten, eine ausgelassene, knisternde Stimmung herrschte. Es galt, ein neues Land zu erobern, einen ganzen Landstrich, den Indianern abgezwackt, wollte der Präsident den Siedlern geben.
Ein halbes Territorium. Für all die Menschen, die angereist waren, mit Sack und Pack, Pferd und Wagen, oder auch nur mit geringer Ausrüstung: ein paar Pflöcke, um sie in den Boden zu schlagen und ihre Heimstätte zu begrenzen, vielleicht noch ein Spaten, ein Colt, um die Ansprüche notfalls zu verteidigen. Einigen reichte das.
Andere wiederum hielten ganze Packwagen mit Baumaterial und Hausrat im Hintergrund, die nachkommen sollten, wenn sie ihre Parzelle bezogen hatten. Stellenweise spielte Musik, wurde getanzt, gelacht und gesungen.
Brian und Rose kamen an einem Mann vorüber, der im Schein einer Laterne vor einem Handwagen saß und mühsam im knappen Licht in der Bibel las. Er war dunkel gekleidet und trug den weißen Hemdkragen eines Predigers. Er war noch sehr jung; flaumartig wuchs ihm der spärliche Bart.
»Gott zum Gruß, Prediger«, sagte Brian. »Wollen auch Sie in das neue Gelobte Land? Sich eine Parzelle abstecken, um dort eine Kirche zu bauen?«
»Keine Parzelle, mir genügt mein Karren, den ich mit meinen gesunden und kräftigen Händen schiebe. Es wird sich ein Platz für meine Kirche finden. Der Allmächtige wird mich leiten. Ich komme nach Oklahoma, in das neue Territorium, um dort das Wort des Herrn zu verkünden. Die Menschen bringen ihre Sünden und ihre Gier und Ungerechtigkeit in das neue Land mit.«
»Wie ist Ihr Name, und welcher Kirche gehören Sie an?«
»Father Deacon nennt man mich. Ich vertrete die Kirche der Gerechtigkeit auf Erden.«
»Davon habe ich noch nie etwas gehört.«
»Man wird davon hören. Ich bin der Gerechte von Oklahoma. Andere werden mir folgen. Mit Pech und Schwefel werden wir die Ungerechtigkeit und das Böse ausrotten.«
»Tun Sie das, Father«, sagte Brian, und Rose zog ihn weg.
»Ein seltsamer Heiliger ist das«, sagte sie, als sie außer Hörweite waren. »Vater Diakon nennt er sich. Was für ein Name ist das? Es sollte mich nicht wundern, wenn er der bisher einzige Anhänger seiner Kirche ist.«
»Was geht uns das an? Lass ihn doch predigen. Dies ist ein freies Land. Das soll nicht unsere Sorge sein.«
»Ja, es hat jeder dasselbe Recht, zu hungern und zu frieren, der Millionär wie der Bettler.«
Sie kamen an einen beleuchteten Platz, den man frei geräumt hatte. Zahlreiche Menschen kamen zusammen und feierten, tanzten und tranken. Eine Stimmung herrschte wie bei einem Volksfest.
Es gab ein paar Imbissstände mit Ausschank. Glühwein und Whiskey wurden kredenzt. Rose hielt Brian an.
»Oh, bitte, lass uns doch tanzen! Wir haben ewig lange nicht mehr zusammen getanzt.«
»Ich bin müde, Rose. Ich bin seit heute früh auf den Beinen und war gestern den ganzen Tag unterwegs. Mir ist nicht danach.«
»Bitte, Brian, bitte. Tu es mir zuliebe.«
»Na gut.«
Brian drängte sich durch die Menge und zog seine hübsche Frau hinter sich her. Auf der Tanzfläche mischten sie sich unter die anderen Paare. Sie drehten sich, vollführten die Tanzschritte. Brian war zunächst etwas ungelenk, doch er fand sich rasch wieder in das Tanzvergnügen hinein.
Seine Frau tanzte so leicht wie eine Feder. Er fasste sie um die Taille. Sie strahlte ihn an und lachte.
Ein paar Fideln und eine Harmonika spielten. Von einem Wagen mit aufgeklapptem hinterem Bord erklang ein mechanisches Orchestrion. Alle waren fröhlich und ausgelassen.
»Morgen geht es nach Oklahoma«, seufzte Rose ins Ohr ihres Gatten, der sich zu ihr hinunterbeugte. »Auf unser Stück Land – unser Paradies.«
Brian lachte sie an. Er war glücklich wie selten zuvor in seinem Leben – jung, stark und frei.
Da rempelte ihn ein vierschrötiger Bursche an. Der Typ trug eine Lederweste mit Conchos daran und einen Revolver an der Seite. Er packte Brian am Arm. Eine starke Alkoholfahne schlug Brian ins Gesicht, als der Kerl ihn anrüpelte.
»He, Langer, ich will ablösen. Ich tanze jetzt mit der Frau.«
»Das ist meine Frau«, sagte Brian und schüttelte die Hand ab. »Du bist betrunken. Sie will nicht mit dir tanzen.«
»Das soll sie mir selbst sagen.«
Rose schüttelte den Kopf. Der vierschrötige Rüpel missfiel ihr. Es lösten zwar Paare ab, doch das musste nicht sein, und sie wollte es nicht.
Der Vierschrötige baute sich auf.
»Was soll das heißen? Ich bin Jack Okeechobee, auch Puma Jack genannt. Siehst du die Kette aus Pumakrallen und Zähnen an meinem Hals? Das ist mein Markenzeichen und zeigt, was für ein Kerl ich bin.«
»Zisch ab!«, fuhr ihn Brian an. Ihm wurde es zu bunt. »Belästige uns nicht. Es hat dich keiner gerufen.«
»Oho, so redest du nicht mit mir!«
Puma Jack legte die Hand auf den Griff seines Smith & Wesson. Brian war schneller. Er schlug ihm die Hand weg, ergriff den Revolver und warf ihn zur Seite.
»Verschwinde! Betrinke dich weiter, jage Pumas oder was immer du findest. Uns lässt du in Ruhe. Von dir will keiner was.«
»Aber ich von euch!«
Brian hatte den Grad von Puma Jacks Trunkenheit überschätzt. Oder dieser war jäh ernüchtert. Blitzschnell zog er ein Messer aus dem Stiefelschaft und stieß es Brian bis zum Heft in die Brust.
Der Neusiedler brach zusammen. Puma Jack hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Rose schlug die Hände vor den Mund und war entsetzt.
Dann schrie sie gellend auf. »Mörder! Du hast meinen Mann erstochen!«
Sie stürzte sich auf Puma Jack und schlug ohne Erfolg auf ihn ein. Sie schlug wie eine Windmühle, blind und wie von Sinnen. Die Musik verstummte mit schrillem Misston. Die fröhliche Stimmung war jäh dahin, und die Tanzenden hielten inne.
Nicht alle hatten gesehen, was vorging.
Es wurde gerufen: »Ein Mord! Ein Mord!«
Eine Welle der Empörung lief durch die Umgebung. Puma Jack stieß Rose derb vor die Brust, dass sie hinfiel. Immerhin stach er nicht zu.
Dass sie eine Frau war, hielt ihn zurück. Zudem war er jäh ernüchtert von dem, was er getan hatte. Gern hätte er es rückgängig gemacht – doch das ging nicht.
Ein Tumult entstand. Puma Jack wurde das Messer entrissen. Derbe, kräftige Fäuste packten ihn. Man schrie nach einem Strick.
»Hängt ihn auf, diesen Mörder! Er hat den Mann dieser Frau erstochen, weil sie nicht mit ihm tanzen wollte.«
Rasch war die Lynchwut entfesselt. Im Nu stellten die Siedler eine Wagendeichsel auf. Ein Strick wurde durch die Öse an ihrem Ende gezogen. Ein Mann knüpfte die Schlinge, während die Meute nach Tod und Vergeltung schrie.
Puma Jack sträubte sich vergebens mit Händen und Füßen.
»Das habe ich nicht gewollt! Ich habe es nicht gewollt.«
Ein bärtiger Siedler schlug ihm die Faust ins Gesicht und brach ihm die Nase.
»Aber getan hast du es«, sagte er und rief den anderen zu: »Zieht das Schwein hoch!«
Puma Jack konnte kein letztes Wort mehr sprechen. Er zuckte und zappelte am Strick und tanzte einen grotesken Tanz. Dann erschlaffte er. Es tropfte von seiner Hose, denn seine Blase hatte versagt.
Schweigen kehrte ein. Die Umstehenden starrten zu dem Gehenkten. Er hatte seine Tat mit dem Leben bezahlt.
Rose McKenzie stand in der ersten Reihe der Zuschauer. Sie sah zu dem Mörder ihres Mannes hoch und empfand keine Genugtuung. Er war durch Grenzerjustiz gerichtet worden, doch das brachte ihren Mann, den Vater ihrer Kinder, nicht zurück.
In ihr war alles kalt und tot, wie abgestorben. Sie setzte sich neben ihren toten Mann ins Gras, bettete zärtlich seinen Kopf in ihren Schoß und drückte ihn an sich.
Brian, dachte sie, oh, Brian. Warum habe ich unbedingt tanzen wollen?
✰
Als Soldaten und zwei Marshals an den Ort des Geschehens kamen, wollte es keiner gewesen sein, der Puma Jack aufgehängt hatte. Die Männer zuckten nur mit den Achseln, und die Frauen wussten angeblich nicht, wer die Lynchpartie veranstaltet hatte.
»Ist es denn schade um diesen Schurken?«, fragte eine Frau.
Rose wurde gefragt. Sie erhob sich von ihrem toten Mann und straffte sich.
»Ich weiß, wer ihn gepackt und gehängt hat«, sagte sie. »Aber ich sage es nicht. Lieber lasse ich mich in Stücke schneiden.«
Ein Marshal redete: »Ich verstehe Ihren Kummer und Ihre Gefühle, Mrs. McKenzie. Wegen einer Nichtigkeit, einer Lappalie hat der, der da hängt, Ihren Mann erstochen. Trotzdem war es Lynchjustiz, ihn an der Wagendeichsel aufzuknüpfen, und Lynchjustiz ist verboten. Man hätte ihn dem Gesetz übergeben müssen.«
»Wo war denn das Gesetz, als mein Mann erstochen wurde? Was wollt ihr jetzt tun? Die Grenze sperren, den Land Run morgen absagen? Den Zutritt zum Oklahoma Territorium verwehren?«
Die beiden Marshals sahen sich an. Es waren harte und tatkräftige, fähige Männer. Keine Zauderer.
»Die Landnahme findet statt«, sagte der eine. Er deutete auf den Gehenkten. »Holt ihn herunter. Bringt ihn zu seiner Sippschaft – die soll sich um ihn kümmern. Wir haben anderes zu tun. Haltet Frieden, Leute. Nicht, dass noch was passiert. Ihr wollt doch morgen um zwölf Uhr gesund und munter losfegen und euch euer Land sichern.«
Die Zuhörer nickten und murmelten. Der Tumult war vorbei, ihre Wut verflogen. Sie zerstreuten sich.
Vier Siedler packten Puma Jack, nachdem er heruntergeholt worden war, an Armen und Beinen und trugen ihn in Begleitung eines Marshals und zweier Soldaten zu seinen Leuten. Einer der Siedler wusste, man man die Familie fand.
»Das ist Gesocks und Gesindel«, sagte dieser Siedler. »Armes Oklahoma, wenn sie sich dort ansiedeln.«
»Es gehen nicht nur brave und redliche Leute über die Grenze«, bemerkte ein anderer. »Wer kommt, ist da, und wer sich ein Stück Land sichert, der hat es. Die meisten indessen sind anständige Leute.«
Der bei der verwaisten Tanzfläche zurückgebliebene Marshal redete behutsam mit Rose. Sie hatte sich wieder zu ihrem toten Mann ins Gras gesetzt und drückte ihn an sich. Sie achtete nicht darauf, dass sie ihr Kleid mit Blut befleckte.
»Können wir etwas für Sie tun, Mrs. McKenzie?«, fragte der Marshal. »Wie soll es jetzt weitergehen bei Ihnen? Haben Sie Kinder, Söhne? Ist einer davon alt genug, um mit Ihnen über die Grenze zu gehen und Land in Besitz zu nehmen? Könnt ihr siedeln und Land bestellen?«
Rose erwachte aus ihrer Trauer. Sie stand auf.
»Es wird gehen müssen. Ja, wir, die McKenzies, nehmen weiter am Land Run teil. Mein Mann war schon mal drüben und hat sich ein Stück ausgesucht. Dort wollen wir hin – ich mit meinen Kindern. Und mit Brians Leiche. Er soll auf dem neuen Stück Land begraben werden.«
»Wie alt sind Ihre Kinder denn, Mrs. McKenzie?«, fragte der Marshal.
Rose sagte es ihm.
»Was? Zwölf Jahre alt ist der Älteste erst? Das jüngste Kind vier. Wie wollen Sie das denn schaffen – allein als Frau mit fünf Kindern?«