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Bei der Goldsuche in Montana, lange jedoch vor dem Ausbruch des späteren dortigen Goldrausches, begegnen sich zwei Männer, Mitch Roscoe und Todd Ramsay. Beide sind charakterlich aus völlig unterschiedlichem Holz geschnitzt - Mitch ist ein treusorgender Ehemann, Todd ein übler Schläger und Hurenbock. Doch weil er ihm mehrfach das Leben rettet, hält Mitch unverbrüchlich zu ihm - bis er etwas über Todd herausfindet, was er nicht verzeihen kann.
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Seitenzahl: 162
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Blutige Rache
Vorschau
Impressum
BlutigeRache
Bei der Goldsuche in Montana, lange jedoch vor dem Ausbruch des späteren dortigen Goldrausches, begegnen sich zwei Männer, Mitch Roscoe und Todd Ramsay. Beide sind charakterlich aus völlig unterschiedlichem Holz geschnitzt – Mitch ist ein treusorgender Ehemann, Todd ein übler Schläger und Hurenbock. Doch weil er ihm mehrfach das Leben rettet, hält Mitch unverbrüchlich zu ihm – bis er etwas über Todd herausfindet, was er nicht verzeihen kann ...
Der Paiute sprang direkt aus der Sonne. Mitch Roscoe sah den aus dem grellen Licht heranfliegenden Schatten. Es ging blitzschnell. Der junge Goldgräber duckte sich im Sattel zur Seite. Trotzdem erwischte ihn der halbnackte, muskulöse Indianer mit dem Unterarm am Hals. Mitch stürzte von seinem Pferd, das sich wiehernd aufbäumte, auf den schmalen Weg durch die Schlucht.
Er hatte Schwierigkeiten, Luft zu bekommen, rollte sich jedoch instinktiv ab und lag röchelnd am Boden. Doch auch der Jungkrieger hatte Schwierigkeiten. Er war hart gelandet, was kein Wunder war.
Von einem Felsen war er gehechtet, aus drei Metern Höhe. Ein tollkühner Sprung, wie ihn nur ein todesmutiger, durchtrainierter Mann bewältigen konnte. Eine artistische, tollkühne Leistung.
Der Krieger war ein paar Augenblicke benommen. Dann rappelte er sich auf, sprang federnd hoch und stürzte sich mit einem wilden Schrei auf den Weißen.
Man hörte die Rufe weiterer hinzueilender Indianer. Sie hatten in der Schlucht gelauert. Sie hätten Mitch todsicher erwischt und ihm keine Chance gelassen. Der Jungkrieger hatte es ihnen vereitelt. Er war zu voreilig gewesen, wollte den Ruhm für sich allein einheimsen.
Mitch kam hoch, ein großer, schlanker Mann Anfang zwanzig. Er griff nach dem schweren Colt. Aber der war weg, im Sturz aus dem Holster gerutscht.
Mitch blieb keine Zeit, um danach zu suchen. Er trat dem Paiute mit aller Wucht in den Bauch und bremste ihn so. Mitchs Pferd lief mit pendelnden Steigbügeln davon. Die Packtaschen mit Gold hingen zu beiden Seiten am Sattel. Die Paiutes hielten das Tier nicht auf.
Mitch und der Jungkrieger kämpften. Mitch hielt ihm beide Hände fest, damit er nicht das Messer in den Bauch bekam oder der Paiute ihm den Schädel mit dem Tomahawk spaltete. Sie rangen miteinander.
Der Paiute versuchte, Mitch die Nase abzubeißen. Mitch riss den Kopf hoch und versetzte dem Gegner einen harten Kopfstoß. Er knallte ihm die Stirn auf das Nasenbein und brach es. Der Paiute klammerte sich an ihn und brachte ihn zu Fall.
Sie kämpften wild und entschlossen. Mitch hatte immer noch mit dem Atmen Probleme. Doch er konnte nicht warten, bis er sich erholte. Bis dahin war er tot.
Er hörte die Stimmen weiterer heraneilender Indianer. Panik stieg in ihm auf. Er musste sich beeilen. Er bot seine ganze Kraft auf, Luftmangel hin oder her, wälzte sich herum und kam auf dem Paiute zu liegen. Der entwand sich ihm jedoch wie ein Aal.
Sein Körper war glitschig und eingefettet. Er kam hoch, hatte aber das Messer bei dem Ringkampf verloren. Geduckt näherte er sich Mitch und wechselte den Tomahawk von einer Hand in die andere und zurück.
»Ha!«, schrie er.
Dann sprang er vor. Mitch wich aus, stellte ihm ein Bein und sprang ihm auf den Rücken. Mit dem Tomahawk kam der Krieger nicht an ihn heran. Mitch legte ihm den Unterarm über die Kehle, packte mit der Linken das rechte Handgelenk des Gegners und setzte einen mörderischen Griff an. Er drückte mit aller Kraft zu und biss die Zähne zusammen.
Der Paiute bäumte sich in Todesangst auf. Er konnte den Weißen nicht abschütteln, der wie ein tödlicher Reiter halb auf ihm lag, halb saß. Mitch ruckte und brach dem Paiute das Genick. Es knackte, als ob ein morscher Ast brechen würde.
In den nächsten Sekunden mussten die Stammesbrüder des Toten eintreffen. Mitchs Blick irrte umher – er suchte den Colt. Mit dem Tomahawk gegen mehrere Gegner zu kämpfen, war sinnlos. Mitch war damit nicht geübt – Holzhacken konnte er mit dem Kriegsbeil, viel mehr aber nicht.
Und selbst wenn er geübter damit gewesen wäre, es hätte nichts gebracht. Das Messer nutzte ihm auch nichts. Zudem sah er es nicht.
Dann erblickte er seinen Colt auf dem steinigen, unebenen Boden. Er stürmte hin, bekam inzwischen wieder Luft. Genau in dem Moment, als fünf Paiutes in der schmalen Schlucht vor ihm erschienen, riss er den Hartford Dragoon hoch.
Ein Angreifer war mit einer Glatt-Büchse bewaffnet. Nicht die allerbeste Waffe, doch auf die kurze Distanz ausreichend. Die vier anderen hatten Pfeil und Bogen. Mitch feuerte. Er stützte den schweren Revolver auf dem linken Unterarm ab.
Zuerst legte er den Indianer mit der Glatt-Büchse um. Dann traf er zwei weitere Angreifer. Doch schon zischten die Pfeile heran.
Mitch wurde an der Hüfte getroffen. Er zuckte zusammen, als sich der Pfeil wie ein glühender Dorn in sein Fleisch bohrte und den Knochen streifte.
Ein weiterer Pfeil schrammte ihm links über den Hals. Einer zischte ihm haarscharf am Ohr vorbei. Die Paiutes wollten ihn mit ihren Pfeilen spicken.
Drei hatte er erschossen. Als er auf den Nächsten anlegte und abdrückte, blockierte die Trommel des Sechsschüssers. Pulverrückstände und Partikel blockierten sie. Das kam bei den Perkussionsrevolvern vor. In diesem Fall war es beinahe tödlich.
Mitch starrte auf die tödlichen Pfeilspitzen. Die beiden bemalten Paiutes starrten ihn an. Sie merkten sofort, dass der Weiße nicht mehr schießen konnte, und grinsten triumphierend und höhnisch mit ihren bemalten Gesichtern.
Sie ließen sich Zeit mit dem Töten. Wscht, machte es, und ein Pfeil zischte heran und durchbohrte Mitchs rechte Schulter. Mit verzweifelter Anstrengung verbiss er sich den Schmerz. Er schlug den achtkantigen Revolverlauf auf den linken Unterarm, was ihn in der Schulter höllisch schmerzte. Als würde ein glühender Nagel hindurchgetrieben.
Damit hoffte er, die Trommel zu lockern. Vergebens, denn sie drehte sich nicht weiter. Aus, dachte Mitch. Er wusste, dass er nichts mehr ausrichten konnte. Der Pfeil in der rechten Schulter schmerzte ihn immer mehr, lähmte seinen Arm und die Seite.
Der nutzlose Revolver entfiel ihm. Wankend und blutend, zwei Pfeile im Körper stand er da. Noch hielt er sich aufrecht.
Macht es schnell, dachte er. Tötet mich schnell. Die beiden Paiutes dachten nicht daran. Vier ihrer Stammesbrüder hatte er niedergestreckt, der Weiße. Sie waren entweder schon tot oder würden es in Kürze sein. Dafür sollte er qualvoll sterben.
Sie richteten ihre Pfeile auf ihn. Fliehen konnte er nicht, Gegenwehr konnte er keine mehr leisten.
Ein Paiute sagte in gebrochenem, akzentuiertem Englisch: »Ich jagen dich Pfeil in Bauch. Große Qual. Dann wir dich lebend skalpieren.«
Er spannte die Bogensehne. Zielte auf Mitchs Leibesmitte. Mitch biss die Zähne zusammen und wappnete sich für den Schmerz. Tief in die Gedärme würde der Pfeil dringen. Weitere würden folgen, sodass er nicht auf der Stelle starb. Dann würde er den eigenen blutigen Skalp in den Händen seiner Mörder sehen.
Was für ein Tod! Dafür war er den weiten Weg aus dem New-Mexico-Territorium nach Montana gekommen. Er blickte auf die Pfeilspitze.
Sekunden gerannen zur Ewigkeit. Mitch ahnte die Schmerzen im Voraus. Er gab keinen Laut von sich. Um sein Leben betteln wollte er nicht. Die Blöße würde er sich nicht geben, und es wäre zwecklos gewesen.
Er stand da. Blutend und mit Schmerzen, die sich steigern würden.
Da ertönte ein Schrei.
»Hey, Paiutes!«
Die beiden stutzten, erschraken. Der Pfeil wurde nicht abgeschossen. Die Krieger drehten sich um. Ein weißer Mann stand hinter ihnen in der Schlucht. Er war hinter einem Felsen hervorgetreten, hatte sich angepirscht.
Er hielt einen Revolver in der Hand. Groß war er und breitschultrig, schwarze Locken quollen unter seinem Hut hervor. Er hatte ein breitflächiges Gesicht und war kräftig gebaut.
Die Paiutes kamen nicht mehr dazu, ihre Pfeile auf ihn abzuschießen. Er schoss sie nieder. Die Schüsse hallten in den Bergen wieder. Ein Paiute stieß noch seinen Todesschrei aus. Dann lag er reglos da wie die anderen.
Mit rauchendem Colt kam der Fremde mit der gefleckten Kalbfellweste auf Mitch Roscoe zu. Auf dessen Gesicht perlte der Schweiß, obwohl es in der Schlucht eher kühl war. Mitchs Bein gab nach. Er setzt sich auf den Boden und konnte einen Schmerzensschrei wegen der dadurch verursachten Schmerzen nicht unterdrücken.
Sein Retter beugte sich über ihn.
»Geht's noch?«
»Es muss. Du hast mir das Leben gerettet. Ich bin Mitch Roscoe aus Tucson in New Mexico.«
So hieß dieses Territorium.
»Ich weiß, wo Tucson liegt«, antwortete der Fremde trocken. »Todd Ramsay aus Pennsylvania. Man nennt mich Hardboiled, den Hartgesottenen.«
»Du bist im letzten Moment gekommen.«
Der andere nickte. »Ich hörte den Lärm und die Schüsse. Verdammte Indianer! Uns Goldsucher mögen sie nicht. Warum eigentlich? Viel ist noch gar nicht gefunden worden. Keine große Bonanza.«
Mitch verzichtete auf die Bemerkung, dass sich das ändern könnte. Er war bei der Goldsuche erfolgreich gewesen. Ihm war nicht nach einer Unterhaltung zumute.
»Hilf mir! Bring mich hier weg. Die Pfeile müssen raus. Hoffentlich sind sie nicht vergiftet. Hast du mein Pferd gesehen?«
»Ja. Es ist an mir vorbeigelaufen.«
»Die Satteltaschen sind voller Gold. Damit wollte ich weg aus Montana. Ich werde dich reich dafür belohnen, Todd Ramsay, dass du mir das Leben gerettet hast.«
»Das tat ich nicht für Geld und Gold. In diesem Land helfen weiße Männer einander. Die Satteltaschen sind voller Gold, sagtest du?«
»So ist es.«
»Dann haben wir ein Problem. Dein Gaul ist in den Abgrund gestürzte. Er liegt zweihundert Meter tiefer mit zerschmetterten Knochen im reißenden Gebirgsbach.«
Mitch stöhnte und verzog das Gesicht.
»Das ist nicht mein Glückstag heute. Pass auf, Todd, der Paiute hinter dir bewegt sich noch.«
Der große Mann drehte sich um. Ein Schuss krachte.
»Jetzt nicht mehr.«
✰
Todd Ramsay untersuchte Mitch Roscoe. Er sah bedenklich drein. Als er den Pfeil in Mitchs Hüfte berührte, stöhnte dieser vor Schmerzen. Er war ein harter Mann; ein anderer hätte laut geschrien.
Ramsay zog an dem Pfeil. Jetzt brüllte Mitch doch. Er schwitzte jetzt noch mehr. Sein Gesicht war leichenblass und wirkte unter dem Schweiß wie ausgewrungen.
»Willst du mich umbringen?«, brüllte er, als Ramsay ihn losließ und er die zusammengebissenen Zähne auseinandernehmen konnte. »Bist du wahnsinnig, du verdammter Hundesohn?«
Ramsay nahm es dem Verletzten mit diesen Schmerzen nicht übel.
»Nein, Amigo. Beides nicht. Den Pfeil in der Schulter kann ich dir rausholen. Den anderen nicht. Das muss ein Chirurg tun, ein Doc, und der muss gut sein. Kein Metzger. Sonst gehst du dabei drauf.«
Mitch stöhnte. »Der Pfeil muss aber raus, oder ich sterbe an einer Blutvergiftung.«
Ramsay kauerte neben dem Mann am Boden. Mitchs Hemd und Jacke waren an der rechten Schulter blutgetränkt. Genauso an der linken Hüfte. Er wusste, dass er übel dran war. Hatte Ramsay seinen Tod nur hinausgeschoben, als er ihn rettete?
»Dann hol mir den Pfeil in der Schulter raus.«
»Dazu muss ich ihn durchstoßen, damit die Spitze auf der anderen Seite austritt.«
»Dann mach. Mach zu. Worauf wartest du?«
»O-kay. Gedulde dich einen Moment. Den anderen Pfeil breche ich ab. Und dann bringe ich dich nach Butte. Das wird ein höllischer Ritt, mein Freund. Du wirst dir wünschen, niemals geboren worden zu sein.«
»Was geht dich meine Geburt an? Tu, was du kannst. Ich ... ich bitte dich darum. Ich weiß, ich kann es nicht von dir verlangen. Es können noch weitere Injuns in der Gegend sein. Mein Gold ist weg.«
»Sorge dich nicht um dein Gold, sorge dich um dein Leben. Gold kannst du wieder finden. Ich gebe dir ein Stück Holz zum Draufbeißen. Und einen Quart Whiskey aus der Flasche in meiner Satteltasche.«
»Ich will nicht trinken, ich will überleben.«
Ramsay traf seine Vorbereitungen. Als Mitch sich zu sehr aufbäumte und gegen ihn arbeitete – er konnte nicht anders, der Schmerz war zu stark –, schlug er ihn k.o. Als Mitch wieder zu sich kam, war der Pfeil draußen. Die Tränen liefen dem dunkelblonden Mann mit dem Stoppelbart und dem hageren Falkengesicht aus den Augen.
Ramsay verband ihn.
»Die Wunden haben stark geblutet«, sagte er. »Der Pfeil war nicht vergiftet.« Das wusste er nicht genau, doch er hielt es für besser, Mitch keine Zweifel mitzuteilen. »Ausbrennen muss ich sie nicht.«
Wenn es ein vergifteter Pfeil war, hätte das Ausbrennen auch nichts mehr geholfen.
»Jetzt zum nächsten Akt.«
Mitch biss wieder auf das Holz, in das seine Zähne sich schon tief eingegraben hatten, bis es knackend zerbrach. Ramsay hatte den Pfeilschaft in seiner Hüfte mit dem Messer eingekerbt und brach ihn ab.
»So, der Rest bleibt drin. Ich hole mein Pferd.«
Er ging weg. Mitch saß da, mit dem Rücken an einen Felsen gelehnt. Die fünf toten Paiutes leisteten ihm Gesellschaft. Fliegen umsummten sie bereits. Am Himmel flogen Raben, ließen sich jedoch noch nicht nieder. Mitch versuchte, seinen Colt nachzuladen. Das schaffte er nicht.
Seine Hände zitterten, und er war zu schwach. So ließ er es sein. Durch den Blutverlust und die Schmerzen befand er sich in einem deliranten Zustand. Das schöne Gesicht seiner Verlobten tauchte in der Fantasie vor ihm auf.
Schwarze Haare, tiefblaue Augen. Ein kirschroter, volllippiger Mund. Eine Figur, die zum Träumen einlud.
Della, dachte Mitch. Ich habe es für dich getan. Ich wollte dir etwas bieten. Mit Morgan Holloway konkurrieren, der reich ist und um dich warb. Du entschiedest dich für mich, einen kleinen Drei-Kühe-Rancher. Doch ich wollte mehr für dich.
Du hast mir Treue geschworen. Mehr als ein Jahr habe ich dich nicht gesehen. Ob ich dich jemals wiedersehe? Mit leeren Händen will ich nicht kommen. Fünfzig Pfund Gold liegen im Abgrund. Die Ausbeute vieler Monate härtester Schufterei. Ich werde sie mir zurückholen.
»Erst einmal musst du am Leben bleiben und gesund werden«, sagte Ramsay.
Er war zurückgekehrt und führte sein Pferd, einen Grullo – mausgraues American Quarter Horse – am Zügel nach. Mitch hatte laut gesprochen.
»Ich bringe dich nach Butte.«
Mitch sah ihn dankbar an. Ramsay gab ihm einen Schluck Whiskey zu trinken. Es half nichts gegen die Schmerzen. Dann half er ihm hoch und in den Sattel. Mitch stöhnte und knirschte vor Schmerzen mit den Zähnen.
Er trug den rechten Arm in der Schlinge, die Ramsay ihm angelegt hatte. Aus einem Strick war sie. Seinen Colt hatte Ramsay nachgeladen und ihm ins Holster gesteckt. Pulverhorn und Kugelbeutel mit allem Zubehör hingen an Mitchs Gürtel.
»Hast du kein Pferd für dich?«, fragte er den großen schwergewichtigen Mann. »Hatten die Paiutes keine Mustangs?«
»Hier in der Nähe nicht. Nicht, dass ich wüsste. Ich kann nicht tagelang suchen.«
»Dann willst du zu Fuß gehen? Es sind viele Meilen nach Butte, bergauf und bergab.«
»Ich kann versuchen zu fliegen«, sagte Ramsay trocken. »Spar dir deinen Atem, Mitch. Du wirst ihn noch heftig brauchen.«
»Es sind achtzig Meilen bis Butte.«
»Eher mehr. Zwei Tage, dann sind wir dort.«
»Das schaffst du nie in zwei Tagen. Niemals und nimmer.«
»Ich schon. Bleib du nur im Sattel.«
Vor Mitchs Augen verschwamm für ein paar Augenblicke alles. Achtzig Meilen, das waren 128 Kilometer. Quer durch die Berge. Das war mehr als ein Gewaltmarsch, selbst für einen Mann, der ein ausdauernder, zäher Läufer war und keinen Verwundeten im Schlepptau hatte.
Mitch wollte die Hoffnung bewahren. Er betete, was er lange schon nicht mehr getan hatte. In Todesnot und Gefahr waren Gott, Jesus und die Heiligen immer sehr gefragt. Später vergaß man sie wieder.
Ramsay marschierte los. Die fünf toten Indianer blieben zurück. Sie hatten Zeit, bis ihre Stammesbrüder sie fanden und begruben. Oder auch nicht.
Als sie den Abgrund erreichten, in den Mitchs Pferd gestürzt war, blickten sie in die schwindelerregende Tiefe hinunter. Dort lag das Pferd auf einer Felsplatte. Das Wasser floss schäumend um diesen Felsen. Es erreichte das tote Pferd nicht.
»Wenn man mehrere Lassos aneinanderknüpft und an der Wand hinabklettert, kann man das Pferd erreichen«, sagte Mitch unter Schmerzen. »Es sind fünfzig Pfund Gold in den Satteltaschen. Ich wollte weg aus Montana, ich habe die Schnauze voll von diesem elenden, kargen Land. Ich will heim zu meiner Verlobten. Sie wartet auf mich. Sie hat es mir fest versprochen.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, sagte Ramsay. Er hatte von der Treue der Frauen seine eigene Meinung. »Ich kann jetzt nicht runtersteigen. Ich habe nur ein Lasso, und runterklettern und mir den Hals brechen werde ich nicht. Wir können uns auch nicht aufhalten. Das Gold holen wir später.«
»Wenn es dann noch da ist.«
»Wer soll denn in den gefährlichen Abgrund steigen, für ein totes Pferd? Am Fluss unten kommt keiner lang.«
Es war mehr ein flacher, schäumender Gebirgsbach. Mitch widersprach nicht. Er äußerte sich nicht mehr zu dem Gold, für das er so sehr geschuftet und Strapazen, Gefahren und Not auf sich genommen hatte. Der lange Marsch begann. Ramsay marschierte bis spät in die Nacht. Er band Mitch mit dem Lasso auf dem Pferd fest.
»Damit du nicht runterfällst.«
»Das werde ich nicht.«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst.«
Weiter ging es. Erst spät in der Nacht rastete Ramsay. Mitch war ohnmächtig, als er ihn losband und aus dem Sattel hob.
»So viel zu ›ich falle nicht runter‹.«
Ramsay entzündete ein rauchloses kleines Feuer. Er hörte die Stimmen der nachtaktiven Tiere in den Bergen. Wölfe heulten im Chor. Der große Mann lauschte und versuchte zu erkennen, ob es vierbeinige oder zweibeinige Wölfe waren. Er war sich nicht sicher. Indianer ahmten öfter Tierstimmen nach, um anderen Kriegern Signale zu geben.
Allerdings heulen sie nicht im Chor, sagte sich Ramsay. Er aß von seinem Proviant. Mitch flößte er Wasser ein. Zum Essen konnte er ihn nicht bewegen.
In der Nähe plätscherte ein Bach. Dort konnte Ramsay die Wasserflasche auffüllen. Es kratzte ihn nicht im Geringsten, dass er zwei Indianer erschossen hatte. Es war in Notwehr geschehen, um einem anderen weißen Mann das Leben zu retten.
Am Morgen ging es weiter. Mitch war bei Bewusstsein und klar im Kopf, hatte jedoch eingefallene Wangen und ein schmerzzerquältes Gesicht. Er fragte Ramsay nicht, weshalb der das alles für ihn tat.
Sondern sagte: »Dafür werde ich dir ewig dankbar sein.«
»Tu das. Wenn wir in Butte sind und du überlebst.«
»Und wenn nicht?«
»Dann bist du tot. Und ich bin in den Arsch gekniffen.«
Ramsay war kein vornehmer Mann. Er brachte Mitch dazu, ein paar Bissen zu essen. Er half ihm bei seiner Notdurft. Er wischte ihm sogar den Hintern ab. Viel kam nicht an Stuhlgang.
Dann zog er ihm wieder die Hose hoch und hievte ihn aufs Pferd.
»Du stöhnst ja zum Gotterbarmen.«
»Soll ich Choräle singen?«
Ein Kaninchen hoppelte in der Nähe zwischen den Latschenbüschen. Ramsay bückte sich langsam und vorsichtig, nahm einen der Steine, die er um die Feuerstelle herum gelegt hatte, zielte und warf. Er traf das Kaninchen tödlich und freute sich.
»Das wird unser Abendessen«, sagte er.
»Mittagessen nicht?«
»Wir legen erst in der Nacht eine längere Rast ein. Am Nachmittag haben wir keine Zeit.«
»Ich weiß nicht, wie ich dir das jemals vergelten soll.«
»Indem du am Leben bleibst. Wenn du stirbst, bin ich ernsthaft sauer auf dich.«
Weiter ging es. Der Marsch dauerte. Die Sonne brannte, wenn sie hinter den Wolken hervortrat. Auch sonst war es heiß. Ramsay lief der Schweiß herunter. Doch stetig marschierte er.
»Du kannst hinter mir aufsitzen«, stöhnte Mitch.
»Ich bin ein schwerer Mann. Beide schafft uns der Grullo nicht.«
Ramsay hatte Mitchs Verbände gewechselt, seine Wunden gereinigt und frisch verbunden. Das Verbandszeug reichte gerade noch aus. Das benutzte hatte Ramsay gewaschen und ließ es, ans Sattelhorn gehängt, trocknen.
Ein in der Wildnis lebender Goldsucher oder Trapper musste sich auf vieles verstehen. Sonst überlebte er nicht. Die Berge von Montana waren keine zivilisierte Gegend mit Geschäften und Ärzten an jeder Straßenecke.