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Janet ist die Vertraute und gelegentliche Geliebte Agnews, des Chefs eines international agierenden Konzerns. Die dritte Person ist Spiro. Je nach seinem Ermessen umwirbt er Janet, umschmeichelt sie, zuweilen mobbt er sie, damit er seinem Auftraggeber Erfolge vorweisen kann - ja, er geht auch so weit, dass er sie mit brisanten Fotos konfrontiert, die ihm von seiner Organisation zur Verfügung gestellt wurden. Er droht, sie ins Netz zu stellen. Dabei dient ihm Janet nur als Schlüsselfigur. Denn nicht sie ist die Zielperson, sondern Agnew, der erfolgreiche Manager. Aber sie ist die einzige Person, die Zugang zu ihm hat. Am Ende seiner Bemühungen muss sich Spiro eingestehen, dass er seit der ersten Kontaktaufnahme in Janet verliebt war. Die Diskrepanz zwischen seinem Auftrag, sie bis zum letzten Tropfen auszusaugen und dann fallenzulassen und seiner Zuneigung zu ihr setzt ungeahnte Kräfte frei, bei ihr wie bei ihm.
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Seitenzahl: 253
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Das von einem der vielen unbekannten Baumeister erbaute kleine Hotel aus der Jahrhundertwende stand mitten in einem verwahrlosten Garten. Ein üppiger Efeumantel umhüllte sanft seine Außenwände, während sich um den Eingang ein stark duftendes Geißblatt hochrankte. Dem Gebäude haftete noch der Abglanz vergangener luxuriöser Tage an, auch wenn das Morbide und leicht Verkommene des Gebäudes offensichtlich bewusst gepflegt wurde. Der hauseigene Gärtner griff nur ein, wenn der Weg dorthin zuzuwachsen drohte oder wenn ein verdorrter Ast in der Nähe des Eingangs abzufallen drohte.
Gerade noch den Eindruck des Abgefuckten und Abgewirtschafteten vermeidend, bot es seinen Gästen ein beliebtes Refugium, in dem sie zurückgezogen und ungestört ihre Geschäfte abwickeln konnten. Auf dem Parkplatz fielen zwei geparkte Bentleys auf, ein originaler 911er, ein BMW-Oldtimer aus den 50er Jahren, aber auch einige Volvos und ein Peugeot neuerer Bauart. In einer Nische der Gebäudefront tauchte der Neonschriftzug ALMEIDA die Eingangstür in ein purpurfarbenes Licht.
Das Gebäude schien auf den ersten Blick unbewohnt, von den Einwohnern verlassen. Aber er verlieh dem Ensemble einen gewissen Charme, den einige Gäste überaus schätzten. Gäste, die es vorzogen, unbeobachtet vor neugierigen Blicken der Behörden, ihre Geschäfte auszuhandeln. Gäste, die zudem viel auf die Verschwiegenheit des Hotelpersonals gaben.
Als Abgrenzung zur Lobby wuchsen eine Reihe grüner Lorbeerbäume, als undurchsichtige Hecke geschnitten. Dahinter öffnete sich ein kleines Besucherparadies, mit bequemen, ausladenden Sesseln, mit den neuesten Wirtschaftszeitungen, die an den Kleiderständern hingen und einer automatischen Kaffeebar - ja, und welch ein glücklicher Anblick für einen Raucher - mit einem Aschenbecher auf jedem Tisch.
An einem der Tische saß Spiro. Er wartete wie so oft auf Janet. Solange er denken kann, hatte sie es zu ihrem Prinzip erhoben, ihren vereinbarten Termin immer weiter auszudehnen. Spiro warten zu lassen, entschädigte sie für viele seiner anzüglichen Annäherungsversuche. Sie mochte es nicht, wenn er aufdringlich wurde und Forderungen stellte, die sie nicht erfüllen konnte. Sie revanchierte sich auf ihre Art, ihn in ihrer barschen Art zu beleidigen, zu beschimpfen, ihn zu demütigen und ihn aussehen zu lassen wie einen dummen Jungen.
Und Spiro nahm es hin. Er übte sich in Geduld. Noch war er nicht so weit, dass er ihren Widerstand in irgendeiner Form schwächen konnte. Er musste auf ihre Spielchen eingehen. Er saß an einem Tisch, rauchte und wartete. Ein Bein über das andere geschlagen, schaute er von seiner Zeitung auf, wenn er das typische, schabende Geräusch der Revolvertür hörte. In der anderen Hand hielt er einen Zigarrenstummel, dessen Asche er zwar am Aschenbecher abgestreift hatte. Aber, schneller als er reagieren konnte, sah er gebannt auf die graue Aschenwalze, die auf ihn zuzurollen begann.
Das angestaubte Inventar, die künstlichen Blumen und die in einen Holztrog eingepflanzten Lorbeerbäume - ja, das war genau das Ambiente, das er so liebte. Hier fühlte er sich wie zuhause. In einer Kammer, deren Schönheit allein durch die geniale Imitation des Echten lag, war er bei seinen Großeltern aufgewachsen. Wenn er daran zurückdachte, wurde ihm bewusst, wie privilegiert er war. Niemand schlug ihn, niemand schimpfte mit ihm, er war glücklicher als seine Kumpels, die ihm von Gewaltexzessen seiner betrunkenen Eltern erzählten. Er wusste, dass es ihm gut ging.
Niemand kümmerte sich um ihn. Die, die es hätten tun können, waren auf Arbeit oder zugedröhnt. Zum Glück gingen sie ihm nicht auf die Nerven. Die einzigen Grenzen, die er akzeptierte, waren die der Straße. Dort herrschten Regeln, die er sofort respektierte. Spiro war ein Meister darin, alle Facetten des Täuschens und Betrügens schnell zu begreifen. Er war auch talentiert genug, sie gleich in der Praxis umzusetzen.
Viel zu früh fing er wie seine Kumpels mit dem Rauchen an, wie er auch viele anderen Rituale übernahm, die seine Idole in der Gang kultiviert hatten. Sein Großvater sah über alles hinweg. Er unterschrieb unbesehen die Zeugnisse seines Enkels, wobei ihn die vielen Vierer genügten. Sie waren ausreichend, wie Spiro ihm vorlas.
An ihn musste er in letzter Zeit oft denken. An ihn orientierte er sich. Wartete er auf Janet, schweiften seine Gedanken oft in die Zeit zurück, als alles noch überschaubar war und so einfach erschien. Spiro ahnte, dass es mit Janet diesmal anders verlaufen würde. Sie war eindeutig ein härterer Brocken. Aber eines Tages würde er auch sie von der Qualität der Organisation überzeugen - ja, er war zuversichtlich, dass es ihm hier in seiner vertrauten Umgebung gelingen würde, sie umzustimmen. Schließlich war sie nicht die erste, die er wie ein Pferdeflüsterer für sich einnehmen würde. Sollte sie aber weiterhin ihre Spielchen mit ihm treiben und ihre weibliche Willkür auskosten wollen - ja, dann stünden ihm auch noch andere Mittel zur Verfügung.
Er erinnerte sich, dass er den ersten Kontakt mit ihr vor etwa vier Wochen auf einer Parkbank in der Innenstadt angebahnt hatte. Es war rein zufällig, dass sie sich auf seine Parkbank gesetzt hatte und um Feuer bat. Er begann mit ihr ein belangloses Gespräch, beobachtete mit ihr die gelbroten Blätter, die jetzt im Herbst von den Bäumen fielen. Der Wind wirbelte sie auf und formte kreisrunde Inseln um ihre Füße, ließ sie wieder auseinanderstieben und häufte anderswo kleine Hügel auf.
Seine Art, mit jungen Menschen umzugehen, sich in direkter Ansprache nach ihrem Befinden zu erkundigen, nach ihrem Arbeitsfeld, ihnen zuzuhören und allmählich für sich zu gewinnen, gelang ihm immer wieder. Er wunderte sich selbst darüber, wie gut es immer klappte. Wie leicht es ihm fiel, das Vertrauen eines fremden Menschen zu gewinnen. Es gab aber auch Augenblicke, in denen bei ihm Zweifel aufkamen. Zweifel, die er sonst während seiner Arbeit nie zuließ. Diesmal war aber alles anders. Er ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Es war das erste Mal, dass ihm das widerfuhr. Er ahnte, dass es das Ende seines erfolgreichen Berufslebens sein könnte.
Nie hatte er sich bisher Gedanken darüber gemacht, welche Folgen das Anbaggern von unwissenden, unschuldigen Personen auslösen könnte. Diesmal hatte ihn Janet während der langen Wartezeit mürbe gemacht. Er würde ihr Vertrauen am Ende seiner Bemühungen missbrauchen. Er würde sie für die Interessen der Organisation ausbeuten. Gedanken wie diese waren ihm bisher fremd gewesen.
Dass ihre fortlaufende Aggressivität ihm gegenüber nur vorgeschoben war und sich im Laufe ihrer Begegnungen allmählich legen würde, davon war er überzeugt. Noch lehnte sie sich gegen ihn auf. Aber sie spürte bereits, dass er ein unerschöpfliches Reservoir zu besitzen schien, sie mit entlarvendem Beweismaterial in die Enge zu treiben. Er beobachtete ihren Gemütszustand, ihre sich steigernde Nervosität, die mit dem allmählichen Abbau ihrer Selbstsicherheit einherging. Er wusste von ihrer schleichend schwächer werdenden Willenskraft, auf die sie bisher zählen konnte. Ihr Widerstand würde sukzessive gänzlich erlahmen.
Welche Mittel er dabei anwendete, lag ganz in seinem Ermessen. Großzügige finanzielle Mittel standen ihm zur Verfügung. In Anbetracht ihrer chronischen Geldknappheit würde er ihr eines Tages ein Angebot unterbreiten, das sie nicht ablehnen könnte. Einer seiner Zweifel ließ sich aber nach wie vor nicht ausräumen – ja, sie war für ihn manchmal nicht zu durchschauen. Ihre Reaktionen ließen sich nicht vorausberechnen, oft konnte er sie nicht nachvollziehen. Sie waren einer Willkür unterworfen, die nur sie zu begreifen schien.
Sie wollte sich zum Beispiel nicht eingestehen, dass sie sich auf der Verliererstraße befand. Dass sie beim Pokern mit ihren Kumpels immer den Kürzeren zog. Dass ihre Spielschulden inzwischen astronomische Ausmaße erreicht hatten. Spiro wusste von ihrer Spielsucht, der sie zuweilen erlag, die sie sich nicht eingestehen wollte und die sie immer weiter in seine Arme trieb. Er musste nur warten.
Eines Tages würde sie zu ihm kommen und zuhören wollen, welche Vorschläge er ihr zu machen hatte. Darauf wartete er mit einer Engelsgeduld, die ihn aber allmählich zu verlassen drohte. Auch wenn er inzwischen seine dritte Zigarre angezündet hatte und der Aschenbecher immer noch nicht vom Barkeeper geleert wurde.
Janet konnte nicht wissen, dass sie von Spiro umworben wurde, weil sie die Freundin Agnews war. Nicht sie war das Ziel seiner Bemühungen, sondern er. Die Organisation war an Agnew interessiert, den Geschäftsführer, den Manager, der Quelle einer unbegrenzten Ideenvielfalt. Nicht an Janet. Trotzdem besaß sie den Schlüssel zu ihm. Als seine Vertraute, seine rechte Hand, seine Geliebte besaß sie den uneingeschränkten Zutritt zu allen Aktivitäten des Unternehmens.
Schon vor zwei Jahren hatte die Organisation durch einen Unternehmensberater Kontakt mit ihm aufgenommen. Von Abwerbung war bei den ersten Gesprächen zwar nicht die Rede. Aber bereits im Anfangsstadium hatte Agnew jeden Versuch in dieser Richtung abgeschmettert. Sicher waren sie nicht die Ersten, die sich ihm unter einem scheinheiligen Vorwand genähert hatten. Damals war Spiro noch nicht mit im Boot. Vielleicht hätte er ein größeres Feingefühl gezeigt und den Faden nicht gänzlich abreißen lassen. Geld interessierte ihn nicht, ließ Agnew den Emissären mitteilen. Mit solchen Dingen gäbe er sich nicht ab.
Eine Persönlichkeit in einer bereits herausragenden Position wie Agnew, so Spiro während einer Besprechung, wäre nicht an Geld interesseiert. Davon hatte er bereits so viel angesammelt, dass er sich im Grunde damit schon heute zur Ruhe setzen könnte. Nur mit der Übertragung eines komplexen Aufgabengebiets wäre er zu verführen, dozierte Spiro weiter, ein Unternehmen zum Beispiel zu übernehmen, das vor der Insolvenz stünde – ja, eine Sanierung wäre ein Anreiz für ihn. Macht und Einfluss zählte für ihn. Noch mehr Macht und noch mehr Einfluss wären zwei Komponenten, die ihn veranlassen könnten, über ein Angebot überhaupt einmal nachzudenken. Und wenn ein Typ wie er zusätzlich noch eine Neigung für das schönere Geschlecht besaß – ja, hier wäre der einzige Schwachpunkt, an dem sie arbeiten könnten.
Er arbeitete hart daran, Janets Vertrauen zu gewinnen, erklärte Spiro. Aber wie sie sich bisher zeigte, schien sie ein harter Brocken zu sein. Er beabsichtigte, sie als Türöffner einzusetzen, erklärte Spiro weiter. Als Freundin Agnews wüchse ihr eine Wichtigkeit zu, die sie gottseidank bis jetzt noch nicht erkannt hätte. Sie hätte den Generalschlüssel in ihrer Hand. Und mit diesen Worten endete Spiro.
Er beobachtete Janet, wie sie sich in schlangenhafter Art durch die Revolvertür zwängte und an der Rezeption die Glocke anschlug. Er überlegte, was an ihr so Besonderes war, dass er kurzzeitig sein inneres Gleichgewicht verlor, als er sie vor der Rezeption stehen sah. Noch nie hatte sie ihn länger als eine halbe Stunde warten lassen. Aus Wut schrie er den Barkeeper an, dass er endlich den Saustall auf seinem Tisch aufräumen solle. Seine Nachtschicht hätte noch nicht begonnen, bekam er zur Antwort. im Übrigen lasse er sich nicht gern treiben, worüber Spiro noch erboster reagieren wollte, als ihm der rettende Gedanke kam, mit einem zwanzig Euroschein in seine Richtung zu wedeln.
Er war auch sofort zur Stelle. Ein Schmiermittel, das immer zu funktionieren schien, dachte er. Oft genug hatte er es eingesetzt. Mit einem Besen in der Hand und einem neuen Aschenbecher näherte er sich Spiro, der sich umdrehte und ihm den Schein in seinen geöffneten Mund stopfen wollte, als im gleichen Augenblick dicht neben ihm die langen Beine einer korrekt gekleideten jungen Frau vorüber staksten.
Sie schlug die Richtung zum Fahrstuhl neben der Rezeption ein, während Spiro sie aufmerksam mit seinen Blicken verfolgte. Im gleichen Rhythmus ihrer Schritte hörte er den Stakkato-ähnlichen Klang ihrer Highheels, wie er sich mehrfach an den Wänden überlappte und erst verstummte, als sie vor dem Fahrstuhl stand und auf den Pfeil nach oben drückte.
Bekleidet war sie mit enganliegendem feinem Tuch von stahlblauer Farbe (Aviation Blue). Ein junger Mann folgte ihr. Auch er schien der gleichen Airline anzugehören und umfasste besitzergreifend ihre Taille, als sich die Fahrstuhltür vor ihnen öffnete.
Gerade wollte sich Spiro die Beine vertreten und hievte sich mühsam aus dem Sessel, als er sah, wie Janet mit kurzen schnellen Schritten auf ihn zukam. Sie trug, wie immer bei ihren Treffen, ihr kleines Schwarzes, hauteng an ihren Körper geschmiegt. Es betonte ihre schlanke Figur - ja, es akzentuierte sie, ohne die Andeutung einer einzigen Naht, als wäre es ihre zweite Haut.
Die Farbe ihrer Lackschuhe, so rot. Sie erinnerte ihn an das Kleid seiner kleinen Schwester damals. Er sah sie vor sich, mit kurzen Puffärmeln und weißem Lackgürtel um ihre Taille. Der Saum ihres Kleides stellte sich glockenartig nach außen und wippte bei jedem ihrer kleinen Schritte. Er erinnerte sich, wie sie es hasste, als sie es einmal aus dem Schrank nahm und den Schimmelbelag entdeckte, der sich im Laufe des Winters darauf gebildet hatte. Nie mehr würde sie es wieder anziehen, lamentierte sie. Sie ließ erst wieder mit sich reden, als ihre Mutter endlich auf ihre Allüren einging und es schwarz färbte.
Und seit dieser Zeit trug sie Schwarz, auch heute noch. Schwarz wie das Outfit Janets. Schwarz schien die Modefarbe der Künstler, der Modemacher, der Designer jeder Sparte zu sein. Die Farbe gehörte seitdem zu seiner Schwester wie ihr schwarzes Haar, ihre schwarz konturierten Lippen und ihre schwarz lackierten Fingernägel. Auch Janet, mit der er sie oft verglich und deren Silhouette er im Gegenlicht auf sich zukommen sah, trug bei jedem Treffen mit Spiro diese Farbe, die eigentlich keine Farbe war oder die Summe aller Farben.
Insgeheim bedauerte er, dass ihre atemberaubende Erscheinung nicht ihm zugedacht war. Auftritte dieser Art beeindruckten ihn, ob er sich dagegen sträubte oder nicht. Er sah sie gern an. Und einen Augenblick lang vergaß er, dass sie ihn über das übliche Maß hinaus hatte warten lassen. In der Mitte ihres Kleides verlief eine dichte Reihe schwarz glänzender Knöpfe, die wie eine Perlenschnur von ihrem geschlossenen Kragen bis hinunter zu ihrem Saum reichte.
Wie kultiviert und distanziert sie sich gab! Wie sehr sie dadurch ihre natürliche Eleganz überhöhte! In ihrer rechten Hand hielt sie einen Doku-Koffer. Seine abgestoßenen Ecken und die zahlreichen Kratzer und Scharten - ja, war das etwa der neue Shabby-Look? fragte er sich.
Sie gab sich souverän, ihm überlegen. Sie schaute auf ihn herab, als wäre er eine nichtswürdige Kreatur. Auf ihn, Spiro Hackman, der von der Organisation auf sie angesetzt worden war und der nun immer tiefer in seinen Sessel sank. In ihren Augen war er ein Nobody. Wenn sie seine Andeutungen richtig verstanden hatte, wollte er etwas gegen ihre Spielschulden unternehmen. Aber sie glaubte ihm nicht. Ein Mann wie Spiro machte nichts umsonst. Hinterher würde er ihr die Quittung servieren.
Instinktiv ahnte sie, dass er von ihr eine Gegenleistung erwartete. Aber sie wusste, dass sie auf ihrer Seite nichts zu bieten hatte als sich selbst. Und dazu war sie nicht bereit. Endlich hatte er sich aus seiner bequemen Lage hochgehievt und sich aufgerichtet. Es gehörte zu ihrem Spiel, erinnerte er sich, ihn wie einen dummen Jungen zu behandeln. Es erhöhte ihre Bedeutung. Auch andere Frauen beherrschten diese Strategie - ja, sie inszenierten sie, als müssten sie beweisen, wie unabhängig sie sind. Aber im Grunde wusste er, dass er am Ende des Tages bekommen würde, was er wollte.
Womit, fragte er sich wieder, beeindruckte sie ihn? Mit ihrer körperlichen Größe? Mit ihrer kerzengeraden Haltung? War es ihr sicheres Auftreten? Er nahm einen Zug aus seiner Zigarre und versuchte, sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden. Nachdenklich ließ er seine Augen genüsslich an ihrem schwarzen Kleid entlang wandern, als wollte er ihre einzelnen Knöpfe zählen.
Endlich, zu seiner Erleichterung, nahm sie Platz. Sie befand sich nun auf gleicher Augenhöhe mit ihm. Kleinigkeiten wie diese hielt er für ausschlaggebend, ob ein Deal erfolgreich war oder platzte. Sie waren fast genauso wichtig wie in der Liebe - ja, daran musste er denken, als sich Janet mit durchgedrücktem Rücken vor ihm aufbaute. Allein dadurch rückten ihre überraschend kleinen nach vorn stehenden spitzen Brüste in sein Blickfeld.
Er wollte sich nicht irritieren lassen und huschte mit seinen Augen scheu und flüchtig darüber hinweg. Auch über ihre Nippel, die sich deutlich unter dem enganliegenden Kleid abzeichnenden. Was hier zwischen ihnen ablief, war aber kein Spiel. Er wollte die Angelegenheit möglichst professionell abwickeln.
Dabei verfolgte er ein altbewährtes Handelsprinzip. Ware gegen Geld. Das war am ehrlichsten und funktionierte immer. Von dieser Regel wollte er nicht abweichen. In ihrem Fall bedeutete das den Austausch von Informationen über die Handelsbeziehungen eines weltweit agierenden Konzerns gegen Geld. So einfach. Und wenn sie sich weigerte und absolut nichts damit zu tun haben wollte, war er von der Organisation ermächtigt worden, ihr die Daumenschrauben anzuziehen. Ein Begriff aus dem Mittelalter zwar, aber er besaß bis heute eine bestechende Wirksamkeit. Die Daumenschrauben, die Spiro in diesem Fall anziehen wollte, bestanden aus einer Bilderserie, die Janet mit Agnew, ihrem Chef und Liebhaber, in einer verfänglichen Situation zeigte.
Die Organisation unterhielt einen kleinen Stab von Fotografen, die ihr ausgespähtes Opfer auf Schritt und Tritt verfolgten und ihr Tun und Lassen mit ihrem Bildmaterial belegten. Sie sammelten Beweise, vorwiegend Beweise ihres Fehlverhaltens. Das Team dokumentierte akribisch genau ihren gewohnten Tagesablauf, auch ihr Verhalten während der Nacht. Die Auswertung des Beweismaterials lag in den Händen ihrer übergeordneten Stellen.
Spiro Hackman verfügte uneingeschränkt über dieses Material, wann immer er darauf zurückgreifen wollte. Er besaß zahlreiche entlarvende Fotos. Er versuchte nicht wirklich, ihre Betroffenheit zu überspielen, wenn er die Fotos vor ihr auf den Tisch legte. Er rechnete sich gewisse Vorteile aus, wenn er ihre innere Spannung aufrechterhielt. In dieser Stimmungslage gelang es ihm oft, Zugeständnisse seiner Opfer zu erhalten, die er sonst nur mit Mühen erpressen konnte. Er übte sich in Geduld. Er steckte ihre Beleidigungen ein, als würden sie ihn nicht berühren. Dabei war es nur gequirlter Mist, den sie über ihn ausschüttete.
Es würde noch ein bis zwei Monate dauern, nach seiner Erfahrung, bis er ihren Stolz auf ein vernünftiges Maß heruntergebrochen hätte. Am Ende ihrer Reise würde sie Stück für Stück klein beigeben. Er kannte das. Er musste nur eine unendliche Geduld aufbringen. Aber je älter er wurde, um so schwerer fiel es ihm. Auch seine bisherige scheinbar unendliche Aufnahmebereitschaft ihrer Beleidigungen, Beschimpfungen und ihr verächtliches Lachen, wenn sie sich über den alten Mann, also ihn, lustig machte, ließ nach. Wenn sie sich, meist ohne Gruß, von ihm verabschiedete, fühlte er sich alt.
Hatte sie sich überhaupt einmal Gedanken darüber gemacht, mit wem sie es zu tun hatte? War ihr inzwischen bewusst geworden, dass er nur als ein kleines Zahnrad innerhalb eines absolut verlässlichen Netzwerks operierte? Sie konnte nicht wissen, dass er sogar mit Staatsbediensteten verkehrte - ja, mit Dienern des Staates, die er unter Vertrag hatte. Sie konnte nicht wissen, dass Entscheidungsträger in hohen Positionen für ihn zu arbeiten. Warum, fragte er sich, sollte er ihr erzählen, wie es um ihn stand? Sie würde nicht verstehen, warum er sich damit brüstete. Und, so viel könnte er mit Sicherheit sagen, sie wäre dadurch nicht ein bisschen beeindruckt.
Warum sollte er ihr auch sagen, dass er sich unter anderem auch im so genannten Milieu bewegte - ja, sich dort gar wie zuhause fühlte? Aber sie interessierte sich nicht dafür. Er hieß in der Organisation Spiro Hackmann. Ob er so hieß, wusste er nach all den Jahren selbst nicht mehr. Der ursprüngliche Geburtsname war ihm abhandengekommen, als er Mitglied der Organisation wurde und alle persönlichen Unterlagen abliefern musste.
Janet betrachtete sein Gesicht. Ihre Blicke folgten der markanten Falte zwischen seinen Augenbrauen über der fleischigen Nase, mit der bläulichen Einkerbung in der Mitte. Dann wanderten ihre Blicke hinunter zu seinem Kinn, mit der tiefen Narbe, die er mit einem grauen Bärtchen zu vertuschen suchte. Seine Haut war teigig und aufgeschwemmt. Sie machte einen ungepflegten Eindruck auf sie, als hätte er sich in den vergangenen Jahren vernachlässigt und ein wenig verkommen lassen. In den Augenhöhlen ruhten Augen, die jeden Augenblick herauszuspringen drohten. Als litte er unter Basedow. Seine Augenlider zuckten nervös, wenn er sie schließen wollte - ja, manchmal quoll auch Tränenflüssigkeit heraus, die er mit seinem Handrücken im Gesicht verteilte.
Hastig griff Spiro nach der glühenden Zigarette, die vor ihm im Aschenbecher lag, und hielt sie unter den Tisch, wodurch er hoffte, dass ihm der Rauch nicht mehr in die Augen stieg. An seinem Ärmel hing noch ein Teil der Trockenblumen, die er mit einer seiner fahrigen Bewegungen aus der Tischdekoration gerissen hatte, als er ein paar Aschenreste von der Glasplatte wischen wollte. Auch die leere Kupfervase, in der sie gesteckt hatten, rollte in Zeitlupe auf die Tischkante zu und niemand, auch Janet nicht, machte Anstalten, sie in ihrem Schlingerkurs aufzuhalten. Mit einem hohlen, metallischen Klang fiel sie auf den Teppichboden und rollte unter den Nachbartisch.
Das Verhalten Spiros und der daraus resultierende Zwischenfall schienen Janet weniger zu überraschen. Als rechte Hand Agnews hatte sie Erfahrungen sammeln können mit Männern, die ihre geringe Körpergröße durch ähnlich skurrile Einfälle zu kompensieren suchten. War es, dass sie aus Versehen durch eine unkontrollierte Handbewegung ein Wasserglas auf dem Tisch umstießen, oder war es, dass sie durch ein nervöses Blättern in einem Aktenordner ihn mitsamt den aus ihrer Verankerung gelösten Blättern auf den Boden fallen ließen. Wie cool sollte das denn sein?
Hier wie dort nahm sie keine Notiz davon. Sie rief dann jemanden aus dem Nebenzimmer, der wieder Ordnung schaffte. Auch hier im Hotel Almeida wandte sie sich ostentativ von Spiro ab und blickte gelangweilt aus dem Fenster. Sie beobachtete die vorbeiziehenden Wolken, weiter hinten zog ein Wetter auf.
Als sie sich wieder zu ihm wandte, sah sie ihn nur noch verschwommen vor sich. Halbsitzend und halbliegend ruhte er in seinem Sessel. Unverständliche Worte warf sie ihm zu, die sie zwischen ihren halb geschlossen Lippen herauspresste. An den Nachbartischen verstummten die Gespräche. Eine beängstigende Stille breitete sich aus, als sie sie nahezu explosionsartig mit ihrer klaren, lauten Stimme in tausend Stücke riss.
Nein, Spiro, ich will es nicht, schrie sie. Und im gleichen Augenblick hielt sie erschrocken die Hand vor ihren Mund. Verstohlen schaute sie zu den Gästen an den Nachbartischen, deren Blicke verlegen auf den Teppich gerichtet waren, als würden sie dort etwas suchen. Sie griff nach ihrem Dokumentenkoffer und verließ das Hotel.
Auf dem Parkplatz hinter dem Hotel fand sie ihren Wagen wieder. Langsam reihte sie sich in den laufenden Verkehr und ließ sich ziellos treiben. Durch das geöffnete Fenster hörte sie das gleichmäßige Klatschen der Reifenprofile auf dem Kopfsteinpflaster. Sie hatte die Außenbezirke der Stadt erreicht und geistesabwesend die Scheinwerfer eingeschaltet. Die Dämmerung setzte ein. Um die Straßenlampen hing ein gelber Hof, der sich im feuchten Asphalt spiegelte. An beiden Seiten der Straße leuchteten gespenstisch graue Häuserfassaden aus der Jahrhundertwende auf. Sie fuhr durch einen Stadtteil, der ihr völlig fremd war.
Von Weitem fiel ihr ein beleuchteter Hausgiebel auf, den sie ansteuerte. In schwungvoller Neonschrift strahlte ihr dort der Schriftzug ‚Picadilly‘ entgegen. An beiden Seiten des Eingangs stand ein kugelförmig getrimmter Lorbeerbaum. Sie hatte die Absicht, dort nach dem Weg zurück ins Zentrum zu fragen. Auch wollte sie sich noch einmal zurückerinnern, was vorhin im Hotel Almeida abgelaufen war - wie sie Spiro Hackman entkommen war und wie sie sich aus der Schlinge retten könnte, die er ihr umgelegt hatte. Ihre Nerven wollte sie mit einem Gin Tonic beruhigen. Ihre Gedanken ließen sich nicht einordnen, auch nicht nach einem zweiten Drink und nicht nach einem dritten. Als sie die Richtung einschlug, die ihr der Barkeeper vorgeschlagen hatte, befand sie sich wieder in einer Gegend, die ihr fremd war. Hatte sie der Barkeeper nicht verstanden?
Sie wusste nicht weiter. Niemandem konnte sie sich anvertrauen. Agnew befand sich in einer anderen Welt. Gerade ihn konnte sie nicht damit behelligen. Eine riesige Menschenmenge - ja, eine anonyme Menschenmenge wäre das Richtige für sie, in deren Mitte sie sich verlieren könnte. Eine Disco vielleicht - ja, eine Disco, mitten unter lauten und fröhlichen Menschen. Irgendwo untertauchen und sich namenlos unter ihnen bewegen. Sich von ihnen treiben lassen und nicht an den nächsten Tag denken müssen.
Im aufsteigenden Abendnebel erkannte sie den türkisferbenen Widerschein eines Motel-Namens, der über einem Flachdach zu schweben schien. Sich dorthin zurückziehen und allein sein. Sich über ihre gegenwärtige Lage klar werden - das waren ihre ersten Gedanken. Sie wählte die erstbeste Ausfahrt und steuerte auf den Parkplatz des Motels zu. Sie mietete ein Appartement. Ohne sich im Zimmer wie üblich umzusehen, warf sie sich aufs Bett. Als sie später unter der Dusche stand, fiel ihr ein, dass sie zuhause anrufen müsste. Zuhause nannte sie ihre gemeinsame Wohnung mit Jill und Hannah. Sie wollte sie bitten, einige Dinge für sie zu erledigen und in ihrer Firma anzurufen.
Noch nie in ihrem Leben war sie von einem Typen wie Spiro derart in die Enge getrieben worden. Schachzug um Schachzug hatte er sie mattgesetzt. Ihr Selbstwertgefühl hatte dadurch sehr gelitten. Aber sie wusste auch, dass sie sich selbst in seinen klug gelegten Fallstricken verheddert hatte. Ohne ein Quäntchen Misstrauen war sie in seine ausgebreiteten Arme gesegelt, als wäre sie noch ein unbedarftes Backfischmädchen. Wie konnte sie das mit sich geschehen lassen? Er war Profi. Immerhin hatte er das mehrmals erwähnt. Und sie? Naiv und blind und ohne gesunden Menschenverstand.
Ausgestreckt auf ihrem Bett starrte sie auf ihren nackten Körper, wie er die Luft einsog und wieder ausstieß. Wie sich ihr Brustkorb hob und wieder senkte. Sie schaute auf ihn, als wäre er eine Karkasse ohne Federkleid, die sich ausdehnte wie ein Blasebalg und dann wieder in sich zusammenfiel. Sie schloss ihre Augenlider und fiel in einen leichten Dämmerschlaf.
Als sie nach kurzer Zeit ihre Augen wieder öffnete, wusste sie nicht mehr, wo sie war. Im Spiegel des Badezimmers starrte ihr ein fremdes Gesicht entgegen, als sie sich aufrichtete. Es nickte ihr zu. Die Augen waren weit geöffnet. Dann beobachtete sie, wie sich in ihnen Tränenflüssigkeit sammelte, wie sie in Tropfen über ihre Wimpern rollte. Sie verharrte in ihrer halb aufgerichteten Stellung - sie fürchtete, dass es immer so weiterginge - ihre Tränen würden fließen und fließen und nie wieder aufhören zu fließen. Schließlich gab sie sich einen Ruck und stand auf.
Irgendwo in der Ferne hörte sie eine Turmuhr schlagen. Ein Glockenschlag nach dem anderen zählte die Stunden der Mitternacht. Sie bestellte ein Taxi. Kaum hatte sie sich umgezogen, als es draußen vor der Tür auch schon hupte. Sie stieg ein. Hinter einer Illustrierten, die sie auf dem Rücksitz gefunden hatte, suchte sie sich vor den Blicken des Fahrers zu schützen. Er musterte sie neugierig und beobachtete sie von Zeit zu Zeit im Rückspiegel. Wahllos ließ sie sich durch die Straßen fahren, wechselte willkürlich die Richtung, bis der Fahrer ihr das ‚Arabella‘ vorschlug - ein verschwiegener Nachtclub mit einer kleinen Bar nebenan. Dachte er wirklich, dass sie nach so etwas Ausschau hielt? fragte sie sich. Glaubte er, dass sie Anschluss suchte?
Die Eingangstür war nur schwach beleuchtet. In klassischen Antiqua-Versalien stand über ihr der Name ARABELLA, eingemeißelt in eine rötlich gemaserte Sandsteinplatte. An beiden Seiten des Eingangs strahlten ihr zwei entblößte Nixen entgegen, kunstvoll aus rosafarbenen Neonröhren geformt. Eine von ihnen hielt eine Fruchtschale über ihrem Kopf, die andere zielte mit Pfeil und Bogen auf die Eingangstür.
Janet zog an einem Hanfseil und hörte eine Vielzahl melodisch abgestimmter Glöckchen. Ein schmaler Spalt durch den schweren bordeauxfarbigen Samtvorhang erlaubte ihr, in das verrauchte Innere zu schauen. Einige der Gäste klatschten, als sie eintrat. Aber der Beifall galt einer grazilen Tänzerin auf der Bühne, die ihren Körper um eine Chromstange schlängelte. Ihre Partnerin im Hintergrund begann zur gleichen Zeit an ihrer spärlichen Kleidung zu nesteln und einzelne Teile ihres Dessous ins Publikum zu werfen.
Das waren also die sexy Dessous, dachte Janet, von denen sie in der Werbung so oft gehört hatte, sexy Dessous für heiße Stunden – hieß der Slogan, unter dem sie sich bisher nichts vorstellen konnte. Sie fragte sich immer, ob Agnew auf so etwas stehen würde. Wenn sie beide Sex hatten, redeten sie nicht viel. Insofern lief alles so effizient ab wie in ihrer Arbeit. Der Sex zwischen ihnen kannte keine spielerischen Elemente.
Der Zeitpunkt ihrer geheimen Treffen wurde von Agnews Sekretärin bestimmt, die seinen Kalender führte. Schon seit Längerem wollte Janet damit aufhören. Sie mochte das nicht. Auf Abruf ein Lustgefühl vorzutäuschen, ging ihr sowas gegen die Hutschnur, dass sie endlich den Mut aufbringen wollte, Schluss zu machen. Zumal sie davon ausging, dass eine Nachfolgerin sofort ihre Stelle einnehmen würde. Er konnte offensichtlich nicht allein existieren. Er brauchte immer ein williges Ohr, das bereit war, geduldig seine Geschichten aus der Firma anzuhören, nachdem sie ihren obligatorischen Sex hinter sich gebracht hatten.
Die Kellnerin führte sie durch die Tischreihen. Janet folgte ihrem schwarzen Body, der aus einem getrennten Ober- und Unterteil bestand. Beide waren durch kaum sichtbare Fäden miteinander verbunden, ließen aber den Bereich des Bauchnabels frei. Bei jedem ihrer weit ausholenden Schritte zogen sich die Fäden im Wechsel zusammen und entfalteten sich wieder, als wollten sie die rauchgeschwängerte Luft einatmen und wieder ausatmen. An ihren Beinen trug sie weiße Netzstrümpfe, an denen sich vom Knöchel aufwärts rote und grüne LED-Girlanden hochschlängelten.
Janet setzte sich an einen Tisch und bestellte wie immer einen kleinen Weißen und einen Espresso. Als ihr die Kellnerin wieder den Rücken zuwandte, wanderten ihre Blicke wieder zurück auf ihren schwarzen Espresso, der vor ihr stand und in dem sich ihr Gesicht spiegelte. Sie fragte sich, was sie hier wollte. Einen klaren Gedanken konnte sie hier nicht fassen.
Spiro hatte sie mit einem Stoß bedrohlicher Fotos im Handumdrehen zur Verräterin an Agnew und an ihrer Firma gemacht. Sich zu wehren, erwies sich in den Augen Spiros als völlig sinnlos, wenn nicht gar als lächerlich. Er musste ihr nur weiteres Fotomaterial unter die Nase halten, um sie davon zu überzeugen, dass belastendes Material reichlich vorhanden war. Janet war von ihm ausersehen worden - das erklärte er ihr in einem Anflug von Vertraulichkeit - ihm den Zugang zu Agnew zu erleichtern.
Er hatte sie und ihre Arbeitskolleginnen eine Zeit lang observieren lassen und sich eindeutig für sie entschieden. Einfach, weil sie als Einzige erpressbar war. Janet wunderte sich über seine plötzlich aufkommende Ehrlichkeit. Ihr Verhältnis zu Agnew, versuchte er ihr zu erklären, machte sie zur vielversprechenden Schlüsselfigur. Nicht sie war Spiros Zielperson, wie sie ursprünglich angenommen hatte, sondern Agnew, der für die Organisation viel wichtiger war.
Sie rief wieder ein Taxi und ließ sich in die Nähe des Stadtzentrums fahren. Während sie einer Touristengruppe folgte, erinnerte sie sich, mit welcher Raffinesse Spiro bei ihr vorgegangen war. Er wollte bei ihrem letzten Treffen Infos über die Geschäftsbeziehungen ihres Konzerns von ihr haben. Sein Wunsch schien ihr geradezu banal zu sein. Vielleicht sollte sie als Informantin nur getestet werden.
Gedanken wie diese ließ sie aber wieder fallen, nachdem Spiro ihr weitere Fotos zeigte, die irgendein Spanner von ihr und Agnew geschossen hatte. Es waren ausgerechnet Aufnahmen von einem Nacktbadestrand, mit ihr und Agnew im Vordergrund. Nach einer Pause, in der weder sie noch Spiro einen Kommentar abgaben, legte er eine Schippe drauf und ging zur Sache. Er verlangte von ihr Geschäftsunterlagen, die sie von ihrem Rechner ziehen sollte.