Es waren einmal zwei
Holzhauer: der eine hieß Nishikaze, dieser war ein älterer Mann,
während der andere Teramichi hieß und noch ein Jüngling war. Beide
wohnten im gleichen Dorfe und gingen jeden Tag zusammen in den Wald
um Holz zu schlagen. Um in den Wald zu gelangen, mußten sie einen
großen Fluß passieren, über den eine Fähre eingerichtet war. Als
sie eines Tages spät mit ihrer Arbeit fertig waren, wurden sie von
einem furchtbaren Schneesturm überrascht; sie eilten zur Fähre,
mußten aber zu ihrem großen Schrecken sehen, daß der Fährmann
soeben übergesetzt war und sich auf der anderen Seite des reißenden
Flusses befand, von der er des rasenden Sturmes wegen vorläufig
nicht zurück konnte. Da die Beiden im Freien das Ende des Sturmes
nicht abwarten konnten, beschlossen sie in das nahebei befindliche
Haus des Fährmanns zu gehen und dort dessen Rückkehr abzuwarten.
Gesagt, getan! Im Hause angekommen, warfen sie sich zur Erde,
nachdem sie Tür und Fenster wohl verwahrt hatten und lauschten dem
Tosen des Sturmes. Der Ältere, ermüdet von des Tages Last und
Arbeit, war bald in Schlaf verfallen; aber der Jüngere konnte kein
Auge schließen, denn das Heulen, Brausen, Rauschen und Krachen war
unheimlich und das Häuschen erzitterte in allen Fugen.
Plötzlich gab es einen
fürchterlichen Schlag, als wollte der Sturm das Haus zertrümmern,
die Tür sprang auf und ein eisiger Wind mit einer riesigen
Schneewolke drang herein. Entsetzt starrte Teramichi auf die Wolke,
denn diese bewegte sich auf und ab und nahm endlich menschliche
Gestalt an, die Gestalt einer Frau in weißem Gewande und wandte
sich zu der Stelle, wo Nishikaze schlief; dort beugte sie sich zu
dem Schläfer nieder, ihrem Munde entströmte ein weißer Nebel, der
sich auf das Gesicht des Mannes ausbreitete, dann richtete sie sich
auf und kam auf Teramichi zu, der, unfähig ein Glied zu rühren, die
Augen angstvoll weit geöffnet hielt. Dicht vor ihm angekommen
neigte sie sich nahe auf sein Gesicht und sah ihn ein Weilchen
ruhig an; dann sprach sie leise, ihre Stimme war wie ein Hauch und
ihr Gesicht nahm freundlichere Züge an: „Deinen Kameraden habe ich
getötet, wie alles, das in mein Bereich kommt. Auch du solltest
sein Los teilen, doch bist du noch kein Mann und hast noch nicht
gelebt. Drum sei verschont! Doch diese Schonung wird dir nur so
lange Zeit, als du schweigen kannst. Kommt auch nur ein Wort von
dem über deine Lippen, was du hier erlebtest, — sei es zu wem es
wolle, nicht Vater, nicht Mutter, nicht Weib noch Kind, niemand,
hörst du, niemand darf erfahren, was hier geschah, — so treffe ich
dich, wo es auch sei! Denke daran!“
Nach diesen Worten schwebte sie
langsam empor und verschwand durch die Tür.
Jetzt wich der Bann von dem
jungen Manne, er sprang auf, eilte zur Tür und verschloß sie fest.
Dann wandte er sich zu seinem Kameraden und rief ihn an; doch
dieser rührte sich nicht, er war steif und starr, er war tot, sein
Gesicht verklärte ein glückliches Lächeln. Endlich ließ der Sturm
nach und der Morgen brach an und der Fä
hrmann, der nun
zurückkehrte, fand beide Männer in seinem Häuschen und hielt sie
für tot, für erfroren; doch als er sie aufhob, tat Teramichi einen
tiefen Seufzer, schlug die Augen auf und kam bald wieder zu sich,
während Nishikaze tot blieb und begraben wurde.
Der junge Mann aber ging wieder
seinem Berufe nach und wanderte tagtäglich in den Wald, erzählte
niemand sein Abenteuer, das er mit der Schneefrau, denn eine solche
war es, wie ihm zur Gewißheit wurde, hatte. So gingen zwei Jahre
dahin.
Als er eines Abends nach
vollbrachtem Tagewerk wieder heimwärts wanderte, begegnete ihm ein
junges hübsches Mädchen, das ihm so gefiel, daß er sich in ein
Gespräch einließ. Das Mädchen erzählte ihm, daß es Waise sei und zu
entfernt wohnenden Verwandten wandern wolle, wo es hoffe
aufgenommen zu werden.
Als das Paar nahe dem Dorfe war,
in dem Teramichi wohnte, sprach dieser zu dem Mädchen:
„Es ist jetzt Abend und kalt und
die Wege sind unsicher; komm mit in meine armselige Hütte und nimm
teil an dem bescheidenen Mahle, das meine Mutter bereitet hat! Ruhe
dich dann aus und so du willst, kannst du morgen früh deine
Wanderung fortsetzen!“
Das Mädchen, das sich „Juki“
nannte, nahm dies Anerbieten an und begleitete den jungen Mann in
sein Haus, wo die Mutter ihm eine freundliche Aufnahme bereitete.
Als es sich ausgeruht hatte und am andern Morgen sich wieder auf
den Weg machen wollte, bat die Mutter, es möge doch noch einige
Tage bleiben und wenn es niemand in der Welt habe, der es erwarte,
so möge es bleiben, so lang es wolle und ihr etwas zur Hand gehen,
da sie selbst schon alt sei und sich schon längst eine Stütze im
Hause gewünscht habe. Da auch Teramichi, der zu dem Mädchen in
heißer Liebe entbrannt war, sich den Bitten seiner Mutter anschloß,
so schlug es ein und blieb im Hause.
Wie es nun so geht, wenn ein Mann
einem Mädchen mit reiner Liebe zugetan, daß das Mädchen schließlich
auch Liebe empfindet, so war es auch hier und es dauerte nicht
lange Zeit, so hatten sich beide ihre Liebe erklärt und Teramichi
und Juki wurden ein Paar.
Juki war stets eine brave Frau
und verehrte ihre Schwiegermutter in kindlicher Liebe bis diese
starb; dann widmete sie sich nur ihrem Manne und ihren Kindern, von
denen sie im Laufe der Jahre ihrem Gatten zehn geschenkt hatte. Die
Kinder blühten und gediehen und wuchsen heran; keine Krankheit,
kein Unglück störte den Frieden und das Glück dieser Ehe, die
jedermann als die beste im ganzen Lande pries.
Als ganz besonderes Wunder aber
wurde erwähnt, daß Juki immer jung aussah, immer blühend und in
voller Kraft war und man keinerlei Spuren des Alterns bei ihr
wahrnehmen konnte. So vergingen die Jahre, als eines Abends im
Winter, als das Paar im traulichen Zwiegespräch beisammensaß,
wieder einmal ein furchtbarer Schneesturm losbrach. Der Mann
erschauerte, indem er seines Erlebnisses in der Hütte des
Fährmannes gedachte und sinnend betrachtete er seine Frau, die ihm
schöner als je erschien und plötzlich glaubte er in ihrem Gesicht
eine Ähnlichkeit mit der Schneefrau zu entdecken, die ihm damals
vor vielen Jahren das Leben schenkte. Diese Ähnlichkeit trat immer
deutlicher hervor, so daß er den Ausruf nicht zurückhalten konnte:
„Nein, du bist schöner!“
Juki wurde aufmerksam und fragte,
was diese Worte bedeuten sollten; ohne zu zögern, halb im Traum,
erzählte er ihr nun sein Abenteuer, das er mit der Schneefrau hatte
und schloß seine Erzählung mit den Worten: „Sie war schön, aber
geisterhaft schön; du aber bist menschlich, natürlich schön!“
Da erhob sich Juki und erschreckt
sah der Mann, wie sie größer und größer wurde, wie ihr Gesicht sich
verklärte, die Kleidung sich in lichtes Weiß verwandelte und sie
endlich so vor ihm stand, wie damals die Schneefrau. Er stürzte zu
Boden, streckte die Arme aus und rief: „Ja du bist es doch,
verzeih, verzeih!“
Sie aber schüttelte das Haupt und
herrschte ihn an:
„Ja ich bin es! Konntest du den
Mund nicht halten, nachdem du solange geschwiegen hast? Ich könnte
dich jetzt töten; ein Hauch aus meinem Munde würde deine Glieder
erstarren lassen, das wäre die gerechte Strafe, daß du nicht nur
dein, sondern auch mein Glück zerstört hast! Denn sieh!“ — hier
nahm ihre Stimme einen milden Klang an — „als ich dich damals in
jener Hütte als blühenden hübschen Jüngling so hilflos vor mir sah,
da tatest du mir leid, aber nicht nur leid; ich fühlte den Wunsch
in mir, auch einmal Menschenglück zu genießen, anstatt stets zu
zerstören. Ja, ich liebte dich und nahte mich dir in menschlicher
Gestalt, ich genoß an deiner Seite Jahre ungetrübten Glücks. Jetzt
hast du es selbst zerstört und ich muß zurück in mein kaltes Reich
und du? — Ich gedenke des Glücks, das ich genossen und der armen
dort ruhenden Kinder, denen ich neben der Mutter nicht auch den
Vater rauben will. Mögest du drum leben; bleibe den Kindern ein
guter Vater und suche dadurch dein heutiges Unrecht zu
sühnen!“
Damit drückte sie ihm einen Kuß
auf die Stirne, der, obgleich eiskalt, wie Feuer brannte; die Tür
sprang auf, ein wirbelnder Schneeschauer durchtobte das Haus und
entführte Juki-onna, den Mann einsam zurücklassend.