Je tiefer man gräbt - Mary Ann Fox - E-Book

Je tiefer man gräbt E-Book

Mary Ann Fox

4,5

Beschreibung

Mags Blake, ihres Zeichens Gärtnerin, genießt den Mai in Cornwall. Sie bekommt den Auftrag, am Tag der offenen Tür in Shelter Gardens, einem Landschaftsgarten aus dem 19. Jahrhundert, Besucher herumzuführen. Alles kein Problem – doch dann gräbt Mags, durch die ungewöhnliche Färbung der Blüten neugierig geworden, im Hortensiental des Gartens etwas zu tief und stößt dabei auf menschliche Knochen. Schnell wird klar, dass es sich um die Überreste von Emily Franklin, der Verlobten von Thomas Williams, dem zukünftigen Erben von Shelter Gardens, handelt. Vor acht Jahren ist Emily in der Nacht der Verlobungsfeier zusammen mit der wertvollen Schmucksammlung der Familie spurlos verschwunden... Liebe Leser, in diesem ersten Band der Serie um die Gärtnerin Mags Blake erzähle ich, wie die junge, eigensinnige Frau in ihren ersten Mordfall stolpert. Wie alle ersten Schritte ist auch dieser eher zögernd, vielleicht sogar mit etwas Unbehagen gesetzt. Nach und nach jedoch werden ihre Schritte mutiger. Im vorliegenden Band möchte ich Ihnen Mags Welt vorstellen, ihre Freunde und Vertrauten, ihr Heimatdorf Rosehaven mit seinen Häusern, Straßen und unverwechselbaren Einwohnern und natürlich die Landschaft und die Gärten Cornwalls. Doch wie Mags lernen wird, gibt es wohl kein Paradies ohne Schlange, und am Ende wird sie sich fragen müssen, ob sie doch dem falschen Menschen vertraut hat. Ihre Mary Ann Fox. Auch als Hörbuch Download erhältlich.

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Jennifer31

Gut verbrachte Zeit

Sehr spannend und zum schmunzeln zugleich. Man mag die Personen direkt und möchte einfach mehr von ihnen lesen
00
Evasieber1

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Gut 👍zu lesen. Spannend bis zu Letzt.
00

Beliebtheit




Über Mary Ann Fox

Mary Ann Fox, Jahrgang 1978, verdiente sich ihr erstes Geld in einer Gärtnerei. Der Liebe wegen ging sie nach dem Studium nach England und arbeitete dort als Fremdenführerin, als Deutschlehrerin und dann im Botanischen Garten in Oxford. Sie arbeitet und lebt mittlerweile in Hamburg-Altona.

Informationen zum Buch

Die Tote von Cornwall

In Rosehaven, einem malerischen Dorf inmitten blühender Gärten und versteckter Buchten, macht Mags sich als Gärtnerin selbständig. Sie soll Besucher durch den prachtvollen Garten eines alten Herrenhauses führen, aus dem vor Jahren eine Frau spurlos verschwunden ist. Bei einem der Rundgänge macht Mags eine grausame Entdeckung: Unter den blühenden Hortensien stößt sie auf menschliche Knochen. Als sich herausstellt, dass sie zu der verschwundenen Frau gehören, gerät auch Mags in Lebensgefahr.

Herrenhäuser, Scones und Steilküsten – ein Kriminalroman voll südenglischem Flair

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Mary Ann Fox

Je tiefer man gräbt

Ein Cornwall-Krimi

Inhaltsübersicht

Über Mary Ann Fox

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Impressum

Leseprobe aus: Brenda Novak – Ich töte dich

One for sorrow, two for mirth

Three for a funeral, four for birth

Five for heaven, six for hell

Seven for a secret, never to be told…

Die Morgendämmerung setzte ein, feiner Nebel lag über Shelter Gardens. Eine Elster, die ihr Nest dieses Jahr gut versteckt in das Reetdach der Hütte gebaut hatte, saß auf den Ästen des Walnussbaums. Aufmerksam bewegte sich ihr Kopf von rechts nach links. Geräusche wurden in der feuchten Morgenluft weit getragen.

Schritte. Ein Mensch. Er bewegte sich seltsam, trug etwas über seiner Schulter, stolperte immer wieder auf dem steilen und feuchten Weg.

Der schrille Schrei der Elster zerriss die morgendliche Stille.

Der Mensch erschrak und ließ seine Last fallen. Blondes Haar ergoss sich auf den grünen Rasen.

Er nahm unter Stöhnen seine Last wieder auf die Schulter und ging zum Rand eines Beetes. Vorsichtig entfernte er die Pflanzen und begann zu graben. Er wickelte den schweren Gegenstand, den er trug, in eine schwarze Folie und legte ihn in die Grube.

Die Sonne stieg langsam auf. Auf der Rasenfläche neben dem Weg blinkte etwas. Die Elster flog zu dem glänzenden Gegenstand.

1

»I’m pickin’ up good vibrations, she’s giving me excitations.«

Mags sang lautstark mit, während sie in ihrem Wagen über die schmalen Straßen nach Hause fuhr. Die Sonne schien auf die grünen Wiesen Cornwalls herab, und ab und zu konnte sie einen Blick auf das blaue Meer erhaschen. Heute war ein guter Tag.

Mags hatte sich erlaubt, die Kassette vorzuspulen. Eigentlich versuchte sie meistens, genau dies zu vermeiden. Es gab in ihrem klapprigen VW-Transporter zwar ein uraltes Kassettendeck, aber in diesem steckte seit Jahren das gleiche Band fest. Jim, der Vorbesitzer, war ein in die Jahre gekommener Surfer, der sich in Mags’ kleinem Heimatdorf Rosehaven zur Ruhe gesetzt hatte. Er schwor Stein und Bein, dass eben in dieser Kassette die Magie stecke, die den Transporter noch fahren ließ.

Mr. Smith, Rosehavens Mechaniker, widersprach nach einem ersten Blick auf den Motor und die verrostete Karosserie nicht. Es komme tatsächlich einem Wunder gleich, dass so etwas noch fahren könne.

Mags brauchte einen Transporter für ihren neugegründeten Gartenservice, und dieser hier kostete nicht viel Geld. Sie mochte seine grüne Farbe, und manchmal mochte sie auch an Magie glauben. Daher taufte sie ihn liebevoll Puckpuck, schrieb mit hellgrüner Farbe auf seine Seitentüren Evergreen Garden Service und ihre Telefonnummer und fuhr los. Meistens ging es gut.

Und so hörte sie nun schon seit zwei Jahren dasselbe Band, ein Mixtape von Jim mit den Liedern seiner Jugend. Es gab Schlimmeres.

Um das Band nicht auszuleiern und so womöglich Puckpuck sein magisches Herz zu nehmen, spulte Mags äußerst selten zu einem bestimmten Lied vor. Aber heute war so ein Tag.

Sie hatte die letzten Wochen hart gearbeitet, um den Garten eines alten Cottage in ein kleines Paradies zu verwandeln. Das Cottage hatte jahrelang leergestanden, der Garten war verwildert. Dann hatte sich ein Londoner Paar in das Häuschen verliebt, es gekauft und für viel Geld sanieren lassen. Leider hatten die Bauarbeiter wenig Rücksicht auf den Garten und seine Pflanzen genommen, so dass sich Mags bei ihrem ersten Besuch ein trauriger Anblick geboten hatte. Das Paar wollte nicht nur ein für Cornwall typisches Cottage, sondern auch den dazugehörigen Garten. Adam Wilkins, der Bauunternehmer, hatte ihnen Mags empfohlen, wofür diese sich schon mit einem wunderschönen Rosenbusch bedankt hatte. Ein Stück harte Arbeit lag hinter ihr, aber heute war das Paar aus London gekommen, und als Mags in die leuchtenden Augen geblickt hatte, wusste sie, dass es gut geworden war. Richtig gut. Mags hatte die verwilderte Hecke retten können und Teile der alten Steinmauer unter Bergen von Efeu und Brombeerranken hervorgeholt. Sie hatte die Obstbäume beschnitten und die alten Bäume am Fuß mit Kletterrosen bepflanzt. Neue Stauden füllten die Lücken in den Beeten, und da, wo der Garten einfach noch Zeit brauchte, um seine Wunden selbst zu heilen, hatte Mags mit großen Pflanztöpfen zumindest für diesen Sommer für Farbe gesorgt. Hummeln und Bienen summten von Blüte zu Blüte.

Das Rasenstück leuchtete jetzt, Mitte Mai, in sattem Grün. Die alten, schmiedeeisernen Gartenmöbel strahlten in einem frischen weißen Anstrich. Cornwalls Sonne hatte es an diesem Tag gut mit Mags gemeint und alles in perfektes Licht getaucht. Die Frau hatte mit Begeisterung nach dem Strohhut gegriffen, den Mags ihr als Geschenk mitgebracht hatte, und der Mann hatte lächelnd das kleine Gartenmesser mit seinem schlichten Holzgriff in die Hand genommen. Mags wusste, sie hatte sie an der Angel.

Doch ihr Gartengeschäft konnte nicht allein von solchen Aufträgen leben, dafür waren sie zu selten, und viele Hausbesitzer beauftragten lieber große Firmen, Gartenarchitekten und Landschaftsgärtner mit dem kompletten Entwurf und der Umsetzung ihres Gartentraums. Sie hingegen war ein kleines Unternehmen und hatte nur ab und zu Hilfe von Schülern aus Rosehaven, die sich ihr Taschengeld aufbessern wollten. Sie konnte sich keine Angestellten leisten, noch nicht. So ein Auftrag wie dieser war eher eine Seltenheit. Was Mags brauchte, um sich ein regelmäßiges Einkommen zu sichern, waren Aufträge, die fertigen Gärten weiterzupflegen. Die meisten Feriengäste waren nur für kurze Zeit und einige Wochenenden in ihren Häusern, und dann wollten sie nicht selbst in der Erde wühlen. Oder sie probierten es für einige Monate aus und stellten dann fest, dass Gartenarbeit Knochenarbeit war. Vielleicht mochten einige es auch, mit einer Gartenschere in der Hand durch ihren Garten zu wandeln und hier und da eine verblühte Rose abzuschneiden oder einige Kräuter zu ernten. Die, die auch die Knochenarbeit liebten, waren ziemlich schnell keine Feriengäste mehr, sondern verfielen ganz und gar dem Land. Bei den anderen kam Mags ins Spiel.

Nach zwei Jahren in dem Geschäft hatte sie gelernt, wie man Kunden an sich band – und nun hatte sie einen weiteren regelmäßigen, gutbezahlten Auftrag an Land gezogen. Wenn es so weiterging, wäre sie vielleicht bald auch die Schulden los, die ihr ihr verstorbener Mann hinterlassen hatte. Arthur war in Amerika, wo sie gelebt hatten, bei einem Autounfall verunglückt. Erst nach und nach hatte Mags herausgefunden, wie dramatisch Arthurs finanzielle Lage gewesen war, hatte sich eingestanden, dass Arthur sie nicht nur in ihrer Ehe betrogen, sondern sie auch tief in seine riskanten Geschäfte mit hineingezogen hatte. Auf zu vielen Papieren stand auch ihr Name – und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion war sie nach Cornwall zurückgekehrt und hatte das Haus ihrer Eltern verkaufen müssen.

»Schluss!«, sagte Mags laut zu sich selbst. »Nicht heute, nicht schon wieder!«

Sie drehte die Musik lauter und kurbelte das Fenster so weit herunter, dass ihr der Fahrtwind in den Augen brannte. Keine düsteren Gedanken mehr, nicht heute.

Sie würde Miss Clara, ihre Vermieterin und Freundin, zur Feier des Tages in den Pub einladen. Es war Montag, sicherlich hatte Mrs. Kelvin, die Wirtin, am Morgen frischen Fisch direkt von Alberts Kutter gekauft – und bei dem Gedanken an frittierten Fisch und die dick geschnittenen, hausgemachten Chips, die es im Golden Budgie gab, knurrte Mags’ Magen laut.

Albert war der letzte Fischer, den Rosehaven noch hatte, und auch er konnte nur überleben, weil er im Sommer neben der Fischerei Touristen auf seinem Boot für Angelausflüge über den Helford River fuhr. Wenn er, mittlerweile sicherlich siebzig Jahre alt, eines Tages nicht mehr hinausfahren würde, hätte Rosehaven ein weiteres Stück seiner Geschichte verloren.

Um auch diesen bedrückenden Gedanken wieder aus ihrem Kopf zu verscheuchen, drehte Mags die Musik noch lauter. Die Aussicht auf Fish and Chips und ein großes Glas Bier, Sonne am Himmel und einen dicken Auftrag in der Tasche verbesserte ihre Laune wieder. Heute war wirklich kein Tag, um Trübsal zu blasen.

Sicherlich hatte Miss Clara wieder neuen Dorfklatsch für Mags – auch wenn die resolute alte Dame niemals von sich selbst behauptet hätte, Klatsch zu verbreiten. Aber als ehemalige Postmeisterin von Rosehaven kannte sie nun mal jeden, und als Vorsitzende der Landfrauenvereinigung Rosehaven, des Planungskomitees für das bekannte Herbstfestival des Dorfes und als Ehrenmitglied des Rosehaven Gartenvereines war sie meist im Mittelpunkt des Geschehens und sah es als ihre Pflicht, über die Ereignisse in ihrem Heimatdorf informiert zu sein. Mags liebte es insgeheim, wenn sie ihr von all den kleinen Verfehlungen der Dorfbewohner erzählte – auch, wenn das stetige Drängen, sich selbst mehr in die Dorfgemeinschaft einzubringen, etwas anstrengend war.

Mags war noch nicht so weit, und außerdem wusste sie, dass ein Großteil des Dorfes sie mit gemischten Gefühlen beobachtete. In deren Augen war sie die Tochter des bewunderten und respektierten Maximilian Blake, die mit dem erstbesten reichen Kerl einfach so fortgegangen war und ihren Vater einsam zurückgelassen hatte. Und die dann, als sie wiederkam, nichts Besseres zu tun hatte, als ihr Elternhaus an wohlhabende Londoner zu verkaufen. Nur Miss Clara wusste, dass Mags keine andere Wahl gehabt hatte, als zu verkaufen – und Mags wusste, dass sie es nur zu gerne erzählt hätte, um den Gerüchten und schiefen Blicken ein Ende zu bereiten. Aber Mags hatte ihr das Versprechen abgenommen, zu schweigen. Cornwall war manchmal verdammt klein – und Arthurs Familie wusste doch nicht …

Diesmal hieb sie aus Frust über sich selbst mit der flachen Hand auf das Armaturenbrett, und die Musik verstummte kurz. Mags hielt den Atem an, bis das Band weiterlief.

Sie konnte es einfach nicht lassen, in ihren eigenen Wunden herumzustochern.

Wenige Minuten später setzte Mags den Blinker und bog nach rechts in einen kleinen Feldweg ab. Dort parkte sie so weit an der Seite wie möglich, so dass die Äste der Weißdornhecke durch das offene Fenster fast ihr Gesicht streiften. Sie wühlte in dem vollgestopften Handschuhfach, bis sie mit einem leisen, triumphierenden Schnauben eine Tüte mit weißen Schokodrops, ihrer Lieblingssüßigkeit, fand. Dann kletterte sie über den Beifahrersitz hinaus.

Der Duft der blühenden Weißdornhecke, die salzige Meerluft und der Blick auf die weißen Segel der Yachten, die auf dem Helford River trieben, verdrängten endgültig alle schlechten Gedanken.

Mags liebte diesen ruhigen Ort, auf den kein Schild hinwies und der in keinem der Reiseführer erwähnt wurde. Sie bückte sich, um unter dem Absperrband hindurch vorsichtig näher an den Rand zu treten. Im März hatte es einige Tage lang stark geregnet, und das Wasser hatte neue Spalten und Gräben in die zerfurchte Oberfläche gespült. Als das Kribbeln in ihrem Bauch stark genug wurde, setzte Mags sich vorsichtig auf den Boden und ließ ihren Blick über das Meer und den breiten Fluss schweifen.

Links konnte sie einige Dächer erkennen, der Großteil von Rosehaven war jedoch von den Klippen verborgen.

Sie brauchte das Dorf nicht vor sich zu sehen, um jede seiner Straßen und die Häuser vor ihrem inneren Auge aufrufen zu können. Immer, wenn sie in Amerika Heimweh gehabt hatte, wenn sie wieder einmal schlaflos alleine in dem großen Haus gesessen hatte, weil Arthur nicht nach Hause gekommen war, hatte sie die Augen geschlossen und war in Gedanken durch das Dorf spaziert. Meist hatten diese Wanderungen oben an der Hauptstraße begonnen. Dort lag auch die Bushaltestelle, an der Mags seit ihrem ersten Schultag bis hin zu ihrem Abschluss jeden Morgen eingestiegen und jeden Nachmittag wieder ausgestiegen war. Die Grundschule lag in Garras, wenige Kilometer entfernt, zur weiterführenden Schule war sie dann nach Helston gefahren. Wie viel Zeit sie wohl in dem alten Schulbus verbracht hatte? Mit den anderen Kindern spielend, vor sich hin träumend oder einen Sommer lang Händchen haltend mit Timothy Potts. Wie alt waren sie gewesen? Dreizehn, vielleicht vierzehn Jahre? Sie hatten Händchen gehalten und sich einmal verschämt hinter der Bushaltestelle geküsst. Und dann war er mit seiner Familie weggezogen – was er wohl heute machte?

Auf jeden Fall fing sie mit ihrem Rundgang an der Hauptstraße an, wo das kleine Ortsschild Rosehavens stand. Weiter ging es auf dem Kopfsteinpflaster ziemlich steil bergab die Main Street entlang in den Ort. Auf der rechten Seite lag ein großer Parkplatz. Man brauchte eine Anwohnergenehmigung, um durch die engen Gassen des Ortes fahren zu dürfen, und die Touristen mussten ihre Autos auf dem Parkplatz abstellen. Aber auch viele Dorfbewohner parkten dort, vor allem, wenn im Herbst und im Frühjahr das Hochwasser bei Flut in den kleinen Hafen und die Gassen gedrückt wurde.

Weiter ging es nach Rosehaven hinein. Kleine Häuser, die sich an den Hang schmiegten und deren Gärten sich oft auf unterschiedlichen Terrassen anordneten. Im Sommer wuchsen an jeder Mauer Stockrosen in leuchtenden Farben, und die Luft war immer erfüllt mit dem Gesumme der Hummeln.

Auf halber Höhe zum Hafen machte die Straße noch einmal einen Bogen, und in der Kurve hatte Mrs. Millers Lebensmittelladen seinen Platz. In Mags’ Kindheit war der Laden die einzige Möglichkeit gewesen, sein Taschengeld in Zeitschriften und Süßigkeiten umzusetzen. Heute gab es unten am Hafen noch einen Souvenir- und Geschenkeladen, und Mrs. Whyms hatte letztes Jahr neben ihrem Bed&Breakfast sogar einen kleinen Buchladen eröffnet.

Doch für Mags zählte nur das alte Rosehaven mit dem kleinen Laden und den Plastikgläsern mit Weingummi und Bonbons hinter der Theke, aus denen man sich für wenige Pennys eine gutsortierte Mischung zusammenstellen konnte.

Mit der Tüte in der Hand ging es dann weiter in Richtung Hafen. Wollte Mags als Kind nach Hause gehen, wäre sie an der nächsten Kreuzung links abgebogen in die Maple Street. Nach wenigen Metern hätte sie das von ihrem Vater in hellem Rot angemalte Gartentor erreicht. Wäre sie allerdings nach rechts abgebogen, hätte sie Rosehavens Kirche erreicht.

Dahinter stand das Pfarrhaus, damals noch verlassen und mit seinem verwilderten Garten ein perfekter Ort für Kinder. Den Garten hatte sie geliebt und zusammen mit ihren Freunden auf einer der massiven Buchen ein Baumhaus gebaut, von dem aus sie jeden Eindringling hatten sehen können. Ein geheimer Ort, frei von Erwachsenen.

Damals erschien ihr der Garten wie eine geheime Insel, wie Nimmerland, und eines ihrer Lieblingsspiele war es, als Peter Pan mit seinen verlorenen Jungs durch die Büsche zu toben im Kampf gegen Captain Hook und seine Bande.

Folgte man der gewundenen Straße weiter bergab, erreichte man den Hafen. Er war nicht groß, damals hatten vielleicht noch eine Handvoll Berufsfischer ihre Boote dort liegen und viele Anwohner ein kleineres Ruderboot zum Angeln. Auch die ersten schickeren Segelboote waren im Sommer zu sehen.

Die alten Fischerhäuser schmiegten sich vor dem Hafen eng aneinander, als würden sie sich, vom Alter etwas krumm und schief, gegenseitig stützen. Heute waren die meisten von ihnen bunt gestrichen, gehörten reichen Sommergästen oder wurden über die Gemeinde an gutzahlende Gäste vermietet. Zwischen den Häusern lag das Pub Golden Budgie, geheimnisvoller Treffpunkt der Erwachsenen. Ihr Vater hatte sie dorthin genau zweimal im Jahr mitgenommen. Einmal, wenn die großen Ferien begannen, und das andere Mal an seinem eigenen Geburtstag. Sie erinnerte sich gut an ihre Aufregung, an den dunklen Gastraum, den Wirt mit seiner Schürze über dem dicken Bauch, an die polierten Zapfhähne.

Folgte man der Hafenmauer, wurde die Straße immer schmaler, das Pflaster ging zunächst in Schotter über, dann in Sand und Gras. Der schmale Wanderweg führte entlang der westlichen Seite des Helford River bis hin nach Gweek.

Wandte man sich am Hafen nach links, dann stieß man auf den Küstenwanderweg, der zwischen Klippen und Buchten in einem stetigen Auf und Ab einmal um die Südspitze Cornwalls herum führte. Mags hatte ihn in einem Frühjahr zusammen mit ihrem Vater bewandert – und trug die schönen Erinnerungen daran tief in ihrem Herzen.

Sie dachte an Arthur, der wie sie in Cornwall aufgewachsen war, aber nie eine Verbindung zu der Landschaft aufgebaut hatte, der Wandern für Zeitverschwendung hielt und lieber in einem Cabrio mit offenem Verdeck fuhr. Am Anfang hatte sie genau das gewollt, neben ihm im Auto sitzen, sich frei fühlen, die Welt zu Füßen. Heute wusste sie, dass sie auf ihr Herz hätte hören, lieber die Klippen hätte entlangwandern sollen.

Wie sehr sie selbst das Land liebte, war ihr erst klargeworden, als sie in Amerika gewesen war. Das Heimweh hatte sie fast umgebracht, sie war in ihrem Kopf immer und immer wieder den Weg durch das Dorf gelaufen, nur um sich gegen die von allen Seiten auf sie einstürzende Einsamkeit zu wappnen.

Vor Mags flogen Uferschwalben ihre abenteuerlichen Manöver und fingen Insekten in der Luft. Die Vögel kehrten jedes Jahr wieder an ihre alten Nistplätze zurück, gruben ihre Höhlen tief in das weiche Kalkgestein der Klippen. Und wenn die Jungvögel groß genug waren, kletterten sie an den Rand der Höhle und flogen einfach los.

Mags war sich sicher, dass sie das nur konnten, weil sie nicht darüber nachdachten, dass sie fallen könnten.

Seufzend stand sie auf und ging zurück zu ihrem Bus.

2

Als sie Puckpuck vorsichtig in die von zwei niedrigen Steinmauern gesäumte Auffahrt zum Cottage lenkte, sah Mags, dass Miss Claras in die Jahre gekommener roter Mini nicht neben dem Haus stand.

Sie stellte ihren Transporter ab, griff sich den alten Bastkorb, der ihr als mobiles Büro, Handtasche und Werkzeugkoffer diente, und überlegte, bei welcher ihrer vielen sozialen Aktionen Miss Clara wohl sein könnte. Wahrscheinlich bei einer Veranstaltung des Gartenvereins, denn an diesem ersten Juniwochenende war in ganz Cornwall Tag des offenen Gartens, und auch Rosehaven würde stolz seine Tore öffnen.

Mags umrundete auf dem schmalen kiesbedeckten Weg das Cottage und atmete tief ein. Miss Clara hatte ihren Rosengarten über Jahrzehnte hinweg zur Perfektion gebracht, jetzt blühten die ersten Rosen, und Bienen summten neben dicken Hummeln um die Wette. Sie duckte sich unter einem Bogen mit weißen Kletterrosen, die den wunderschönen Namen Schneewittchen trugen, hindurch und stand dann vor ihrem eigenen Zuhause. Jahrelang war die kleine Scheune mit ihrer Fassade aus gesammelten alten Holzfenstern als Gewächshaus genutzt worden, bis Miss Clara sich nach langen Überlegungen ein modernes Gewächshaus auf die andere Seite des Grundstückes bauen ließ. Mags kannte die Scheune aus der Zeit, als ihr Vater dort, mit Miss Clara über die Anzuchttische gebeugt, gestanden und mit ihr über alte Rosensorten diskutiert hatte.

Als Mags wieder nach Rosehaven gekommen war und Miss Clara in einem schwachen Moment vom drohenden Verkauf ihres Elternhauses erzählt hatte, hatte sie ihr den Schuppen als Wohnhaus angeboten. Der Schuppen hatte einen Stromanschluss und einen wuchtigen Bollerofen, der den großen Raum auch im Winter warm hielt. Mags hatte sich eine Schlafempore mit einer Leiter in den hinteren Teil gebaut und mit Hilfe eines Boilers und einigen alten Schränken eine kleine Küchenzeile improvisiert. In einem kleinen Anbau waren eine Dusche und eine Toilette angeschlossen.

Es gab einen wackeligen Esstisch, und die alten Pflanztische hatte Mags etwas erhöht, um sie als Schreibtisch zu nutzen. Miss Clara hatte von ihrem Dachboden einige geknüpfte Teppiche, dunkle Holzstühle und sogar einen schweren Ohrensessel aus Leder beigesteuert.

Mags hatte aus dem Haus ihrer Eltern nur wenig mitgenommen. Viele der Möbel waren verkauft worden, und nur die wichtigsten Erinnerungsstücke und vor allem die Aquarelle ihres Vaters hatte Mags auf Miss Claras Dachboden verstaut. In ihrem Häuschen wollte sie sie nicht um sich haben. Nur die in grünes Leder gebundenen Gartenbücher ihres Vaters füllten zwei schwere Regalbretter neben dem dicken Lesesessel.

In Gartenbüchern hielten Gärtner sorgfältig fest, was sie wo gepflanzt hatten, was gedieh und was sie wieder entfernen mussten. Sie enthielten Notizen über das Wetter und die besten Pflanzzeiten, über neue Entdeckungen und die besten Methoden gegen Schnecken – heute führte kaum noch jemand welche.

Mags selbst hatte die Tradition ihres Vaters übernommen und schrieb jeden Abend in ihre eigenen Bücher, so wie andere Menschen vielleicht ein Tagebuch führten. Sie war keine so gute Zeichnerin wie ihr Vater, der in seinen Büchern viele mit Bleistift skizzierte Gärten und leuchtende Aquarelle eingelegt hatte, aber sie übte sich darin. Bei einigen der größeren Projekte griff sie auf Fotos zurück, was vielleicht weniger romantisch, aber um einiges detaillierter war als ihre Zeichnungen. Die Gartenbücher ihres Vaters waren für sie ein Schatz, den sie hütete wie ihren Augapfel.

Auf der ausgetretenen Steinstufe vor der Tür stand ein Tablett aus Holz, das mit einem rotkarierten Handtuch bedeckt war. Mags versuchte, sich ihren Korb auf die Hüfte zu klemmen und mit der freien Hand das Tablett anzuheben, als das laute Schrillen ihres Telefons sie zusammenzucken ließ und der Korb zu Boden fiel.

Fluchend kramte Mags ihren Schlüssel aus dem Wust von Dingen hervor, schloss die Tür auf, und als sie vorsichtig über das Tablett hinweggestiegen war und in ihrem Zuhause stand, hörte das Klingeln auf.

»Verdammt!«

Sie hatte schon wieder vergessen, ihren Anrufbeantworter anzuschalten.

Schulterzuckend hob sie das Tablett hoch und sah unter dem Rand des Tuches einen Teller mit goldgelben Scones und frischen Erdbeeren hervorblitzen. Miss Clara hatte gebacken und wie immer auch an sie gedacht.

Mags fand immer wieder Köstlichkeiten auf der Stufe ihres Hauses vor, die sie schon das ein oder andere Mal vor einem Abend mit knurrendem Magen gerettet hatten. Eigentlich konnte Mags kochen, aber sie schaffte es einfach zu oft, etwas auf dem Herd anbrennen zu lassen. Da der kleine Laden von Mrs. Miller nur bis fünf Uhr geöffnet hatte, blieb ihr Kühlschrank oft leer. Mags verabscheute die langen, in weißes Neonlicht getauchten Gänge des Supermarktes, den es in der nächsten Stadt gab, wo man ständig mit Musik und Werbung beschallt wurde. Das hatte sie in Amerika am meisten gehasst: Die Supermärkte und die Tatsache, dass man überallhin mit dem Auto fuhr. Sie hatte das Dorfleben so sehr vermisst und Arthur bekniet, etwas weiter in den Westen an die Küste zu ziehen, wo die Häuser Gärten hatten, wo es kleine Läden und vor allem das Meer gab, aber Arthur hatte nur gelacht und sie seine kleine Landpomeranze genannt. Zu der Zeit ahnte sie schon, dass er sie betrog. Doch wahrhaben wollte sie es nicht. Sie hatte weiterhin an ihn und ihre Liebe glauben wollen, hatte die Augen vor der Realität verschlossen. Bis es zu spät gewesen war.

Mit einem Knall stellte sie das Tablett auf die schmale Küchenarbeitsfläche und griff nach einem der Scones.

Er duftete nach Butter und Kindheit und war noch warm, als Mags hineinbiss. Schlechte Gedanken und Scones passten einfach nicht zusammen.

Schon besser gelaunt, trat sie nach draußen, um ihren Korb zu holen und dessen über die Steine verteilten Inhalt einzusammeln, als das Telefon erneut klingelte.

Diesmal war sie schnell genug.

»Evergreen Garden Service, Mags Blake. Was kann ich für Sie tun?«

»Maggie? Thomas Williams hier. Von The Shelter – erinnerst du dich noch?«

Und ob Mags sich erinnerte. Sie erwischte sich dabei, wie ihre freie Hand nach ihrem geflochtenen Zopf tastete, der schon seit Jahren nicht mehr da war. In jenem Sommer war sie fünfzehn Jahre alt gewesen. Ihr Vater war von Thomas’ Vater, George Williams, dem Besitzer der traumhaften Gartenanlage Shelter Gardens, beauftragt worden, Pläne der ursprünglichen Bepflanzung zu erstellen. Der Garten selbst war um 1840 angelegt worden, zog sich vom Haus aus durch ein breites Tal bis hinunter zum Helford River. Begrünt mit einer Vielzahl von Pflanzen, die die Expeditionen aus Übersee nach England gebracht hatten, war er ein Prunkstück gewesen. Leider hatte ein Vorfahre der Familie Williams Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts beschlossen, den Garten umzugestalten, ihn zu modernisieren – und damit einen großen Teil der ursprünglichen Anlage zerstört. Die Kriege und die finanziellen Verluste der Familie Williams in den Nachkriegsjahren hatten ihr Übriges dazu getan, den Garten fast völlig untergehen zu lassen. George Williams hatte dann das Familienvermögen wieder aufgestockt und den Plan gefasst, den Garten nach und nach wiederherzustellen. Es gab nur wenige Unterlagen, aber es gab Mags’ Vater. Der streifte wochenlang durch den Garten, wühlte sich durch die wenigen erhaltenen Gartenbücher und Schriftstücke und zeichnete dann ein Bild davon, wie Shelter Gardens ausgesehen haben musste. Mags war in diesem Sommer an seiner Seite gewesen, der letzte Sommer, in dem die beiden noch ein friedliches Verhältnis zueinander hatten. Thomas war damals als junger Mann mit achtzehn Jahren in den Semesterferien zu Besuch bei seinen Eltern gewesen, und Mags hatte ihn angehimmelt.

»Oh, ja, natürlich. Shelter Gardens. Das ist eine kleine Ewigkeit her.«

Mags merkte, dass ihr Gesicht glühte.

»Ja, ist es. Ich habe das Gefühl, dass ich gerade mit einem jungen Mädchen mit rotbraunem Zopf, einer ausgebeulten Jeanslatzhose und roten Chucks spreche.«

Mags blickte an sich hinunter auf eine ausgebeulte Latzhose und ein Paar verschlissener Chucks.

Sie seufzte. Aus ihr würde niemals eine elegante Frau werden. Sie wettete, dass es in Thomas’ Leben eine Menge davon gab.

»Nun, wir sind wahrscheinlich beide älter geworden, oder?«

Hoffentlich war das nicht zu kühl gewesen. Vielleicht hatte die Familie Williams ja einen Auftrag für sie. Zum Glück lachte Thomas nur.

»Ja, das hoffe ich doch. Ich war damals in einer Phase, in der ich mich sehr erwachsen und reif gefühlt habe und immer mit irgendeinem wichtig aussehenden Buch unter dem Arm durch den Garten gestreift bin. Ich war schrecklich. Und so überzeugt von mir …«

»Oh. So genau erinnere ich mich nicht mehr.«

Und ob Mags sich erinnerte. Sie hatte Thomas angehimmelt, gerade weil er mit irgendeinem wichtig aussehenden Buch auf den Bänken gesessen und dabei ziemlich gut ausgesehen hatte.

»Also gut. Maggie, warum ich anrufe: Am Sonntag öffnet Shelter Gardens traditionell seine Tore für Besucher. Im letzten Jahr hatten wir schon mit der Menge an Neugierigen zu kämpfen, und jetzt hat sich gerade einer der Gärtner krankgemeldet – uns fehlt einfach noch jemand, der die Gruppen durch den Garten führen kann. Du kennst den Garten doch, und ich dachte, vielleicht …?«

Mags merkte, wie sie bei dem Gedanken an den phantastischen Garten von einem Ohr zum anderen grinste. Natürlich wollte sie! Sie biss sich schnell auf die Innenseite der Wange, um ihrer Stimme einen professionelleren Ton zu geben, auch wenn sie dabei fröhlich auf und ab hüpfte.

»Ja, ja klar. Das mache ich gerne. Ich erinnere mich noch gut an den Garten, und ich habe noch die alten Gartenbücher meines Vaters. Er hat eine Menge über Shelter Gardens gesammelt. Es wäre mir eine Freude, euch zu helfen.«

Mags hörte, wie Thomas am anderen Ende der Leitung erleichtert aufatmete.

»Maggie, das ist perfekt. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste selbst Besucher durch den Garten führen. Bei der ersten Frage wäre dann allen klargeworden, dass der junge Williams nicht den blassesten Schimmer von dem Garten hat, den er erben wird. Du bist meine Rettung. Wir beginnen am Sonntag um sieben mit einem Frühstück für alle Helfer, dann lernst du auch die anderen Gärtner kennen und bekommst den Ablaufplan. Wenn du noch mehr Informationen brauchst, sag Bescheid.«

»Ich bin am Sonntag da. Und, Thomas?«

»Ja?«

»Sag bitte Mags zu mir.«

Nur ihr Vater hatte sie Maggie genannt.

»Gut, Mags, dann bis Sonntag. Ich freue mich, dich zu sehen.«

Sie legte auf und griff grinsend zu einem zweiten Scone. Thomas Williams also. Wenn sie ihre Sache gut machte, würde sie vielleicht in Zukunft öfter in Shelter Gardens arbeiten können. Und die Familie hatte viele Freunde mit großen Gärten und dem nötigen Kleingeld. Ohne weiter an ihre vor der Tür verstreuten Sachen zu denken, zog Mags aus dem Regal neben dem Fenster die zwei dicken, in grünes Leder gebundenen Bücher hervor. Nach einigem Blättern hatte sie gefunden, was sie suchte. Die Skizzen und Notizen ihres Vaters zu Shelter Gardens. Ohne den Blick von der feinen Schrift abzuwenden, legte sie das Buch auf ihren Küchentisch und ließ sich auf einen der Stühle sinken. Sie würde eine verdammt gute Führung abliefern.

3

Mags parkte ihren Wagen, der heute Morgen wider Erwarten ohne größere Probleme angesprungen war, auf dem Weg, der am Zaun von Shelter Gardens entlangführte. Es war früh am Morgen, die Straßen noch leer und die Luft feucht und kühl. Sie hatte gestern beschlossen, sich den Garten doch vorher anzusehen – und vor ihrem ersten Termin blieb noch Zeit, sich hineinzuschleichen.

Mags hatte keine Lust, sich offiziell beim Haupthaus zu melden. Sicherlich würde sie dann entweder von einem der Gärtner oder von einem Mitglied der Familie Williams selbst durch den Garten geführt werden, aber sie wollte bei ihrem ersten Besuch ganz für sich sein.

Allein der große Eisenzaun, der den oberen Teil des Gartens in westliche und östliche Richtung umschloss, musste ein Vermögen gekostet haben.

Mags hatte es bereits als Kind geliebt, sich in die Vergangenheit zurückzuversetzen. Sie hatte ihren Vater dabei beobachtet, wie er durch die Gärten schritt, und sich dabei vorgestellt, wie der Garten vor zweihundert oder zweihundertfünfzig Jahren ausgesehen haben musste, wie eine ganze Schar von Gärtnern sorgfältig jedes Blatt und jede Blüte umsorgt und wie der Hausherr eine exotische Pflanze nach der anderen von seinen Besuchen aus London mitgebracht hatte. Oft hatten weder er noch seine Gärtner genau gewusst, um welche Pflanzen es sich handelte, wie man sie pflegte und wie groß sie einmal werden würden. Einen Garten anzulegen, Setzlinge von Bäumen zu pflanzen, mit dem Wissen, dass es Jahrzehnte dauern würde, sie in ihrer fertigen Form zu sehen – kaum jemand tat so etwas heute noch. Viele Kunden wollten fertige Gärten, die Bäume wurden für riesige Summen aus den Baumschulen von Deutschland nach Cornwall geliefert und dort eingepflanzt.

In Gärten wie Shelter Gardens hatten Gärtner über Jahrzehnte zugeschaut, wie Bäume wuchsen, hatten mit Geduld herausgefunden, was die exotischsten aller Pflanzen brauchten. Es waren Chusam-Palmen, riesige Bambusstauden, Gunnera Manicata, Sumpfpflanzen mit Blättern groß wie Regenschirme, Aronstäbe, australische Baumfarne und so vieles mehr gewachsen. Shelter Gardens hatte Ananasbeete neben englischen Gemüsegärten gehabt, doch leider waren davon keine Spuren mehr zu sehen. Der Vorfahre der Williams, dessen Name wahrscheinlich besser nicht laut in den Räumen des Herrenhauses ausgesprochen wurde, hatte Rasen und niedrige Hecken gewollt, und war wie ein Berserker über den Garten hergefallen. Nur nach und nach hatte George Williams es zusammen mit Mags’ Vater geschafft, die Wunden wieder zu schließen.

Wie gerne würde sie an einem so großen Projekt mitarbeiten. Aber ohne Studium, ohne irgendwelche Zertifikate auf dickem Papier, ohne die Kontakte ihres Vaters hinter sich, war das nur ein Traum. Sie kniff sich fest in ihren Oberschenkel. »Schluss!« Wenn sie so weitermachte, würde sie irgendwann schlechtgelaunt und verbittert enden.

Mags folgte dem Zaun nicht in Richtung Herrenhaus, sondern in die entgegengesetzte Richtung auf der Suche nach einer Lücke.