14,99 €
Jean-Léon Gérôme (1824-1904) war ein französischer Bildhauer und Historienmaler des akademischen klassischen Realismus.Er zählt zu den größten Vertretern dieses Genres. SeinWerk zeichnet sich durch einenausgeprägten Sinn für Melodramatik und Erotik aus, aber er liebte auch Orientalismus, und mythische Themen. Er war ein erbitterter Kämpfer gegen den Impressionismus.Viele seiner Gemälde wurden von seinen Reisen nach Italien, Ägypten und der Türkei beeinflusst und sein Ruhm hat bei Weitemdie Grenzen überschritten. Gérôme wurde einer der berühmtesten Künstler des 19. Jahrhunderts.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 144
Veröffentlichungsjahr: 2018
Autor:
Charles Moreau-Vauthier
Layout:
Baseline Co. Ltd
Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam
© Parkstone Press International, New York, USA
© Confidential Concepts, worldwide, USA
© Image-Barwww.image-bar.com
Weltweit alle Rechte vorbehalten.
Soweit nicht anders vermerkt, gehört das Copyright der Arbeiten den jeweiligen Fotografen, den betreffenden Künstlern selbst oder ihren Rechtsnachfolgern. Trotz intensiver Nachforschungen war es aber nicht in jedem Fall möglich, die Eigentumsrechte festzustellen. Gegebenenfalls bitten wir um Benachrichtigung.
ISBN: 978-1-68325-453-9
Charles Moreau-Vauthier
Inhalt
Vorwort
Jugend und Ausbildung
Reisen und Historienmalerei
Künstlerische Reifezeit
Biografie
Abbildungsverzeichnis
Selbstbildnis, 1886. Öl auf Leinwand, 32,7 x 26 cm. Aberdeen Art Gallery & Museums, Aberdeen.
Jean-Léon Gérôme führte ein ebenso rastloses wie bewegtes Leben, seine Stimme war mächtig wie ein Flügelhorn. Zehn Tage vor seinem Tod am 10. Januar 1904 besuchten ihn Schüler, um ihm ein frohes neues Jahr zu wünschen, und staunten angesichts der Fülle und Vielfalt seiner orientalischen Gemälde. „Ich habe so viele Entwürfe im Schrank“, behauptete der Meister, „dass ich noch fünfundzwanzig Jahre daran arbeiten könnte.“ Gérôme war zu diesem Zeitpunkt neunundsiebzig Jahre alt.
Er sagte diese Worte mit einer so durchdringenden Stimme, mit einem Wesen so voller Tatendrang, mit einem so energischen Ausdruck auf seinem jung gebliebenen Gesicht, als seien sie eine Herausforderung an den Tod selbst. Traf man ihn in der Öffentlichkeit, bei offiziellen Anlässen, so nahmen einen seine Lebhaftigkeit und sein vornehmes Wesen unmittelbar für ihn ein. Ein Mann, geboren, um zu faszinieren. Er gemahnte an jene stolzen Spanier, die lange seine Heimat, die Franche-Comté, beherrscht hatten.
Es ist wohl seinem konservativen Weltbild zuzuschreiben, dass der Meister – als Stammgast in Compiègne und den Tuilerien, der mit seinem kantigen, energischen Gesicht an ein fröhliches Abbild Napoleon Bonapartes erinnerte – sich den Umwälzungen des Zweiten Kaiserreichs, der Epoche seines Heranreifens und seiner größten Erfolge, bereitwillig fügte.
Mehr noch als an den abenteuerlustigen Hernán Cortés oder an den brillanten Charles de Morny hat Gérôme mich immer an die Künstler der Renaissance erinnert. An die Goldschmiede, die zu Malern und dann zu Bildhauern wurden; an die Künstler des 15. Jahrhunderts, geschickt, erfinderisch und hochmütig, verliebt in schöne Formen, reiche Stoffe, wilde Tiere und das Leben in all seinen malerischen Ausprägungen.
Als Sohn eines Goldschmieds ließ Gérôme diese Lebensart wieder aufleben. Und falls er einmal über die Einfachheit seines vulgären Jahrhunderts urteilte, dann immer in unbewusster Sehnsucht nach einem vergangenen Zeitalter.
Es wäre jedoch falsch, anzunehmen, er hätte sich verloren gefühlt unter seinen Zeitgenossen. Im Gegenteil: Sein so wacher Geist begriff die wesentlich historische Kunst des 19. Jahrhunderts mit großem Scharfblick. Auf den Spuren seines Meisters Delaroche praktizierte Gérôme seine Kunst als Chronist und gewissenhafter Reisender. Sein Talent stellte er in den Dienst einer neuen Auffassung von der Studie des alltäglichen Lebens, er brach mit der würdevollen Feierlichkeit eines David und aller romantischen Fantasterei und setzte an ihre Stelle das Anliegen der Exaktheit und der Wahrheit.
Mit sechzig Jahren, in einem Alter, in dem andere sich in den Ruhestand zurückziehen, begann er eine neue Karriere und erweckte eine vergessene Kunstform zu neuem Leben – die polychrome Bildhauerei. Dieser Schaffensdrang, der ihn sein Leben lang begleitete, war ein eigentümliches Schauspiel, bei dem ein höchst ungeduldiges Temperament von einem sehr methodischen Geist bezwungen wurde. In seiner Arbeit, seinem Privatleben, seinen Beziehungen zeigte sich stets diese Doppelnatur des Meisters. Man darf sich gewiss sein, dass Gérôme nicht eine Minute seines langen Lebens in Saumseligkeit verbrachte.
Arbeiten! Das war der Sinn seines Lebens und sein Glück. In aller Ehrlichkeit arbeiten, mit der Leidenschaft, seinen Gedanken und Visionen ungetrübt Ausdruck zu verleihen.
Sein Schwiegersohn Guillaume Breton erzählte mir von den Mahlzeiten in seinem Haus in Bougival, als der Meister aus seinem Atelier mit der Miene eines überreizten Reisenden in den Saal gestürmt kam, sich setzte und alle zu sich rief. Dann verlangte er, alle Gänge gleichzeitig serviert zu bekommen, und drängte die Dienerschaft zur Eile, um anschließend zu essen und zu trinken, ohne auch nur Luft zu holen. Im Laufschritt verschwand er danach wieder ins Atelier. Gerade so, als erwarteten Palette und Leinwand ihn zu einer verabredeten Zeit und reisten ohne ihn ab, käme er zu spät zum Rendezvous.
Kurz vor seinem Tod war dieser Schaffenseifer noch immer derselbe. Ich wollte mir immer die Erinnerung daran bewahren, wie er einmal seinen Studenten zurief: „Lasst uns alle Schüler sein!“ Er blieb Schüler bis zur letzten Stunde seines Lebens, in seinem Fleiß, seiner jugendlichen Frische, seinem Elan, seinem Lebens- und Wissensdrang, seinem Forschergeist und seiner Wahrheitsliebe. Über seinem Bett hing ein Gemälde, das eine Allegorie der Wahrheit zeigte, und als man ihn schlussendlich bewegungslos fand, der Körper kalt und starr, da war sein Gesicht ebenjenem Bild zugewandt und der Arm zum ehrfurchtsvollen Abschiedsgruß erhoben.
Ansicht von Paestum, Skizze, 1847. Öl auf Leinwand, 18,5 x 27 cm. Privatsammlung.
Interieur einer Moschee, 1890-1899. Öl auf Leinwand, 59,4 x 89,9 cm. Memorial Art Gallery of the University of Rochester, Rochester (New York).
Schlank, beweglich, lebhaft, von militärischer Erscheinung und heiterem Gemüt, mit bebender Stimme und dem Akzent seiner Heimat Franche-Comté – so soll Gérôme in diesen Erzählungen erscheinen. Jedes Mal, wenn eine Unterhaltung wiedergegeben wird, muss man sich, um den besonderen Reiz zu verstehen, den sonoren und scharfen Klang seiner Worte und seine Physiognomie vorstellen; die weit geöffneten Augen, die gehobenen Brauen, die ausdrucksvoll in Richtung seines Gesprächspartners erhobene Hand.
Schreibt man seine Worte nieder, verlieren sie an Gehalt: Die Musik und die Mimik fehlen. Man musste ihn sehen und hören. Seine Schüler und Freunde wussten darum. Wie viele von ihnen konnten seine Worte nicht wiederholen, ohne ungewollt seine Gestik und Intonation zu imitieren. In seinen Gesprächen streifte er Themen oft nur, sprang ohne Überleitung von einem Gedanken zum nächsten. Hatte er über einen Gegenstand genug in Erfahrung gebracht, wechselte er mit einer kurzen Nachfrage urplötzlich zu einem anderen Thema. Wer ihn nicht kannte, der stutzte nicht selten im ersten Moment.
An jene, die ihm sympathisch waren, wandte er sich mit ruhigem, gefasstem und freundlichem Ton; hegte er gegen jemanden jedoch Abscheu, hielt er nichts zurück. Diese gelegentlich entfesselte Wut überraschte viele in jenen Zeiten der übertriebenen Zurückhaltung. Seine Launen waren berüchtigt, zeugten aber am Ende immer mehr von Heiterkeit als von echter Böswilligkeit.
Er liebte es, Witze zu machen. Nichts war ihm angenehmer, als wenn man ihm die neuesten Witze erzählte, manchmal unschuldige, die in den Ateliers umgingen. Er lachte herzlich und erzählte sie überall herum. Sein Ruf als guter Erzähler war sein ganzer Stolz.
Seine Begrüßung blieb immer bescheiden und im Einklang mit seinem von Grund auf angenehmen Wesen, seiner hohen Stellung zum Trotz. Klopfte man an seine Tür, konnte man sicher sein, mit ausgestreckten Armen empfangen zu werden. Wir alle bemerkten im Übrigen die Feinsinnigkeit und Sensibilität, die sein grobes Auftreten oft überdeckte. Gérôme verdrängte die Traurigkeit, die schwach und hilflos macht: „An so etwas darf man nicht denken!“ Selbst in der Malerei lehnte er zu traurige Sujets ab: „Solche Dinge malt man nicht.“
Er ging sparsam mit seinen Gemütsbewegungen um. Und er respektierte das Gefühl, die Emotion. Er besaß jene höchste Blüte des stolzen Herzens: die Neigung zur schamvollen Rührung.
Hahnenkampf, 1846. Öl auf Leinwand, 143 x 204 cm. Musée d’Orsay, Paris.
Kopf einer Italienierin, 1843. Öl auf Stoff, 44,5 x 36 cm. The Cleveland Museum of Art, Cleveland (Ohio).
Die frühen Jahre
Jean-Léon Gérômes Großvater sollte gerade die Priesterweihe erhalten, als die Revolution ausbrach. Da er sich nun gezwungen sah, aus der Kirche auszutreten, heiratete er stattdessen. Sein Sohn, der Uhrmacher und Goldschmied von Vesoul, war Léon Gérômes Vater. Dass seine Geburt unter so unvorhersehbaren und außergewöhnlichen Umständen zustande kam, gefiel dem Meister. Aber wenn die Geschichte seines Großvaters ihn auch etwas über die Ironie und den Gang des Lebens lehrte, so hat Gérôme doch weder seinen zögerlichen Charakter geerbt noch das Feuer einer mystischen Seele: „Es ist nicht so, dass ich es nicht versucht hätte. Aber es hat ganz einfach nicht sein sollen.“
Der junge Léon war von schlanker, sogar zierlicher Gestalt, aber voller Energie, offenbar bereits ein kleiner Arbeiter, ungeduldig, endlich ans Werk zu gehen. Von mit Kritzeleien überzogenen Heften und Zukunftsträumereien des jungen Gérôme wird man hier nicht lesen. Der Schüler besaß bereits einen strengen Charakter und den klaren, pragmatischen Geist, der ihn auch später auszeichnete. Als er am Collège mit dem Können eines Jungen zeichnete, der zwischen den Stiften und Werkzeugen eines Goldschmieds aufgewachsen war, wuchs allmählich der Wunsch in ihm, später einmal Maler zu werden. Der Beruf des Künstlers war ein angenehmer, für den er in seiner Person sowohl das nötige Interesse als auch die Veranlagung entdeckte. Aber in Vesoul, weit entfernt von Paris, in einem provinziellen Umfeld und in einer Zeit, in der die Medien es noch nicht ohne Weiteres vermochten, Berühmtheiten zu schaffen, hatte die Kunst keinerlei Prestige, ganz im Gegenteil. Gérôme genügte ein Blick auf das Leben seines Zeichenlehrers, um zu erkennen, dass die Malerei nicht zwangsläufig zu Ruhm führt. Siebzig Jahre später sagte Gérôme:
Ich hatte keine Ahnung vom Leben eines Künstlers. Ich dachte, es sei ein Beruf wie jeder andere, recht interessant, aber auch nicht mehr. Ich wusste gar nichts. Und dann musste ich sehr hart arbeiten, besonders in Rhetorik und Philosophie, um mit sechzehn Jahren mein Abitur zu bestehen. Darum zeichnete ich nur ein wenig, sehr wenig, um genau zu sein.
Der Kunstlehrer am Collège hieß Cariage:
M. Cariage war mein erster Lehrer und ich bin ihm sehr dankbar für die guten Ratschläge, die er mir gegeben hat, als ich beinahe noch ein Kind war. Unter seiner Anleitung habe ich die relativen Proportionen der Dinge verstanden; ich habe gelernt, zu arrangieren, und habe für diese schwierige Aufgabe meine ganze Willensstärke gebraucht. Er war sehr anspruchsvoll und verlangte allerhöchste Präzision in unserem Schaffen. Außerdem habe ich mir diese wunderbare Angewohnheit beibehalten, ein Werk nicht eher gehen zu lassen, bevor ich es nicht in aller Aufrichtigkeit beendet habe, auch wenn das heißt, Gemälde zwei- oder dreimal von vorne zu beginnen, die bereits fertig schienen.
Cariage verstarb im Jahr 1875, im Alter von siebenundsiebzig Jahren, und erlebte Gérômes Erfolg noch mit. Jedes Jahr bis zu seinem Tode erhielt er Besuch von seinem ehemaligen Schüler, wenn jener nach Coulevon kam, um seinem alten Lehrmeister die Ehre zu erweisen.
Der junge Zeichner übte sich mit Geschick an Kopien von Gravüren und Stichen, die Cariage von ihm verlangte, bis ihm sein Vater aus Paris eines Tages Farben und eine Leinwand von Decamps mitbrachte. Gérôme war vierzehn Jahre alt. Er versuchte sich an der Kopie eines Gemäldes, das einen Affendompteur mit Hunden zeigte. Sein erstes Gemälde wurde auch sein erster Erfolg. Es wurde darüber diskutiert, ihn nach Paris zur Lehre zu schicken. Ein Freund von Delaroche, der in Vesoul lebte, wollte dem Kind eine Empfehlung aussprechen. Aber Gérômes Vater, ein bedächtiger und praktisch veranlagter Mann, war dagegen: „Bettelarm wie ein Maler!“, sagte er immer wieder. Wenn Gérôme sich dieses Ausspruches erinnerte, nickte er mit dem Kopf. „So sagte man damals und so wird man auch in Zukunft sagen, ihr werdet sehen!“
Trotz der ihm angeborenen Selbstgewissheit und seiner gelungenen Karriere scheint es, als sei ihm dieser väterliche Ausspruch immer in den Ohren geblieben. Er war ständig besorgt, um sich, um seine Familie, um seine Schüler, um seine Freunde; die Armut drohte allenthalben. Wenn ein junger Mann ihm seinen Wunsch offenbarte, Maler zu werden, sorgte er sich um dessen Zukunft und fragte ihn nach seinem Elternhaus: „Ihr Vater, ist er vermögend? Kann er Sie lange unterstützen? Und mit lange meine ich wirklich lange, vielleicht sogar für immer?“
Idylle, Unschuld oder Daphnis und Chloe, 1852. Öl auf Leinwand, 212 x 156 cm. Musée Massey, Tarbes.
Die Jungfrau mit dem Jesuskind und dem Johannesknaben, 1848. Öl auf Leinwand, 108 x 74,6 cm. Privatsammlung.
Die Republik, 1848. Öl auf Leinwand, oberer Teil abgerundet, 292 x 193 cm. Mairie Les Lilas, Les Lilas.
Er sagte oft, mit tiefernster Stimme und erhobenen Armen:
Die jungen Leute stellen sich meist vor, dies sei eine angenehme Arbeit, die man in seinen Mußestunden erledigt, wenn man die Inspiration dazu verspürt. Die Inspiration kommt niemals unter diesen Umständen zum Maler! Unser Beruf ist vielleicht der schwerste, den ich kenne. Selbst mit Talent kann man kaum davon leben, noch weniger als Bildhauer. Jeder andere Beruf ist angenehmer, wenn man sich sicher sein kann, dass man leben kann. Ein paar wenige Künstler schaffen es, aber die anderen, all die anderen? Sie erwartet das Elend. Ich wundere mich manchmal, dass es noch Überlebende unter ihnen gibt!
Wann immer in seinem Atelier der École des beaux-arts ein Schüler nicht das nötige Talent bewies, stellte er ihm die schlimmste aller Fragen: „Mein Freund, was macht Ihr Vater beruflich?“ Wenn der arme Malschüler diesen Wink, dem Beispiel des Vaters zu folgen, nicht verstand, hörte man ihn unaufhörlich mit sonorer, mürrischer Stimme Sätze sagen wie: „So geht das nicht! ... Wir sind auf einem schlechten Weg ... und er führt in eine Sackgasse! Da kommen wir nicht wieder heraus! ... Wir sind verloren! …“ Nach einer Pause schaute er dem jungen Mann in sein verwirrtes Gesicht und sagte abschließend: „Sie werden den Beruf wechseln müssen.“
Nach bestandenem Abitur zog Gérôme mit sechzehn Jahren, fast noch ein Kind, nach Paris, in seiner Tasche ein Empfehlungsschreiben für Delaroche. Sein Vater hatte am Ende nachgeben müssen und ihn ziehen lassen, jedoch nicht, ohne noch eine Warnung auszusprechen, die davon zeugte, wie wenig er vom Künstlerdasein verstand: „Ich gebe dir ein Jahr Zeit“, sagte er. „Falls es gut läuft, darfst du weitermachen. Falls nicht, wirst du über Alternativen nachdenken müssen.“
Gérômes Ehefrau schrieb einst:
Er erzählte mir oft von seiner Abreise von zuhause, vom Verlassen des väterlichen Haushalts. Seine Großeltern waren unheimlich besorgt um ihn und missbilligten regelrecht, dass ihr Enkel den Weg des Künstlers einschlug! Sie hielten ihn für hoffnungslos verloren.
Die Reise dauerte zwei Tage und eine Nacht mit der Postkutsche. Der kleine Léon kam übermüdet aber glücklich im Posthof in der Rue Montmartre an. Von dieser Szene können wir uns dank des Gemäldes von Boilly (Musée du Louvre) bestens ein Bild machen. Er ging die Rue Neuve Saint-Martin hinunter zu jenem Betreuer, bei dem er das erste Jahr seines Aufenthalts in der Hauptstadt verbrachte. „Mir ging es dort sehr schlecht; ich hatte eine Dienstbotenkammer direkt unter dem Dach.“
Aber die schiere Freude über das Eintreten in das Atelier Delaroche machte all das wett: „Jeden Morgen rannte ich, nein, flog ich zur Arbeit!“
Als Gérôme dort studierte, befand sich das Atelier in der Rue Mazarine. Das lärmende Treiben der jungen Maler amüsierte den Jungen aus der Provinz sehr. Sein natürlicher Frohmut blühte in dieser jungen und ausgelassenen Umgebung auf. Er lachte aus vollem Herzen, sicherlich noch immer das Lachen eines Kindes, denn er erinnerte sich, dass die Älteren sich darüber mokierten, wie seltsam es doch klinge.
Dennoch hatte Gérôme nicht die üblichen Schikanen zu ertragen. Sein Freund Jean Aubert, den Gérôme im Atelier Delaroche kennenlernte, erzählte einmal, dass er sich bereits damals mit Leichtigkeit zu behaupten wusste. Sein Elan und seine Energie verliehen ihm jene sonderbare Autorität, die ihm sein ganzes Leben lang erlaubte, seinen Willen durchzusetzen, wo und wie er es wollte. Außerdem hatte er seinen Kameraden den Titel des Abiturienten voraus. Zu dieser Zeit sah man nicht oft Abiturienten in den Ateliers der Meister.
Im Vergleich zu dem Elend, in dem einige seiner Kameraden lebten, schien Gérôme, dank der Unterstützung seiner Familie, ein echtes Sonntagskind. „Du hast vielleicht ein Glück“, sagte ihm eines Tages ein Kamerad. Aber Gérôme wusste, dass es an ihm lag, dass dies auch so bliebe. Er war darauf angewiesen, dass sich dieses Glück auch über die ihm gesetzte Gnadenfrist von einem Jahr hinaus erstreckte. Um die Bedenken des Vaters auszuräumen und somit sicherzustellen, dass er seinen Traum weiterverfolgen konnte, arbeitete er mit Inbrunst und Hartnäckigkeit. Zusätzlich besuchte er Kurse an der École des beaux-arts, jedoch ohne wirkliche Begeisterung, nur der Verpflichtung folgend, seinem Vater zu gehorchen und sich Auszeichnungen von offizieller Seite zu verdienen.
Zwei italienische Bäuerinnen und ein Kind, 1849. Öl auf Leinwand, 88,3 x 67,9 cm. Musée d’Orsay, Paris.
Das Zeitalter des Augustus, 1855. Öl auf Leinwand, 700 x 1000 cm. Musée de Picardie, Amiens.
Er langweilte sich in der Schule. „Ich habe immer gerne gearbeitet, solange ich mich nicht wie in einem Gefängnis fühlte. Es ermüdete mich, nichts sagen zu dürfen.“ Die Sitzungen im Atelier Delaroche waren mehr nach seinem Geschmack. Das Treiben und Geschwätz seiner Kameraden, darunter Jean Aubert, Damery, Picou, Gobert, Hamon, Alfred Arago, der später Inspecteur des beaux-arts wurde, Hébert, Landelle, Jalabert, Yvon und Chani, amüsierten ihn.
Sein Leben lang konnte Gérôme das Alleinsein nicht ertragen und die strikt vorgeschriebene Stille während des Unterrichts an der École machte ihn traurig und einsam. „Ich habe die ausgelassene Seite des Lebens immer gemocht“, sagte er oft.