Jean-Paul Sartre. Literatur des Existenzialismus - Silja Maehl - E-Book

Jean-Paul Sartre. Literatur des Existenzialismus E-Book

Silja Maehl

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Beschreibung

„Die Hölle, das sind die anderen“ – wie bei kaum einem anderen Autor ist die schriftstellerische Tätigkeit Jean-Paul Sartres unlösbar mit seiner Philosophie verknüpft, wie sich in seinen literarischen Werken deutlich zeigt. Dieses Buch stellt in einem einführenden Beitrag Sartres Verständnis von Kunst und Literatur vor. Darüber hinaus ziehen die Autoren Verbindungslinien zwischen der Philosophie des Existenzialismus sowie Sartres Erstlingsroman „Der Ekel“ und dem Drama „Geschlossene Gesellschaft“. Aus dem Inhalt: Zur Theorie des imaginären Kunstwerks; Sartres Theorie der Intersubjektivität; Unbehagen, Scham und Ekel in „Das Sein und das Nichts“ und „Der Ekel“; Elemente des Existenzialismus in „Geschlossene Gesellschaft“

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Seitenzahl: 173

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Impressum:

Copyright © 2013 ScienceFactory

Ein Imprint der GRIN Verlags GmbH

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Coverbild: pixabay.com

Jean-Paul Sartre

Silja Maehl (2003): Das Phänomen Kunst - Untersuchung zur Theorie des imaginären Kunstwerks bei Jean-Paul Sartre

Einleitung

Phänomenologie und Kunst

Das semiotische und materialistische Kunstverständnis

Sartres Kunstverständnis

Kritische Auseinandersetzung mit Sartre

Fazit

BIBLIOGRAPHIE

Paul Parszyk (2013): Unbehagen, Scham und Ekel in Sartres Theorie der Intersubjektivität. "Das Sein und das Nichts" und "Der Ekel"

Einleitung

Intersubjektivität als Phänomen bei Sartre

Ekel

Schlussteil

Claudia Kollschen (2003): Jean-Paul Sartre: "Der Andere" und weitere Elemente des Existenzialismus im Drama "Huis Clos"

Einleitung

Hauptteil

Rahmen

Personen

Elemente des Sartre'schen Existenzialismus in „Huis clos“

Bedeutung des zentralen Satzes „Die Hölle, das sind die andern.“

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Ralf Beckendorf (2005): Über: Die Hölle, das sind die Anderen! Sartres Existenzialismus in "Geschlossene Gesellschaft"

Einleitung

Jean-Paul Sartre

Für-Andere-Sein, Sartres Existenzialismus

„Die Hölle, das sind die Andern“; Fazit

Quellenverzeichnis

Einzelpublikationen

Silja Maehl (2003): Das Phänomen Kunst - Untersuchung zur Theorie des imaginären Kunstwerks bei Jean-Paul Sartre

Einleitung

Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht das Kunstverständnis Jean-Paul Sartres. Hier möchte ich vor allem die Position Sartres vom Kunstwerk als imaginärem Phänomen untersuchen. Trotz der großen Vielfalt seiner Themen – Phänomenologie, Ontologie, Existenzphilosophie, Politik, Psychologie uvm. – haben seine philosophischen Werke, Essays, Reden, Dramen und Romane explizit oder implizit immer wieder die Kunst zum Gegenstand. Eine Ästhetik in einem systematischen Sinne hat er allerdings nicht verfasst. Daher ist es schwierig, ihn auf eine Theorie festzulegen, da er manchmal Jahre später Gedanken in einen neuen, aktuellen Zusammenhang gestellt hat. Dennoch gibt es Konstanten, die ich herausstellen möchte.

Ich beginne damit, den Gedanken Lambert Wiesings zu erklären, dass zwischen Phänomenologie und Kunst eine innere Verwandtschaft bestehe. Dabei geht es mir nicht um eine Analyse der Theorien Wiesings. Ich möchte seine Gedanken im Laufe meiner Arbeit dahingehend nutzen, vom Verhältnis von Kunst und Phänomenologie zum Kunst-Verständnis des Phänomenologen und Existenzphilosophen Sartre überzuleiten. Denn Sartres ästhetische Theorie ist eine phänomenologische.

Wiesing stellt sich die Frage, warum sich die Phänomenologie mit der Kunst – vor allem mit der avantgardistischen – so schwer tut. Hier möchte ich kurz die semiotische und die materialistische Position vorstellen. Im Hauptteil meiner Arbeit geht es mir um die Position Sartres, der sich von diesen beiden Ansätzen abgrenzt. Diese Gegenüberstellung ist nützlich, um zu zeigen, dass Sartre der Kunst eine Funktion sui generis geben will, die bei den eben genannten Positionen für ihn nicht gegeben ist.

Anschließend lege ich Sartres Bedingungen für den Kunststatus eines Werkes dar – seien es ein Roman oder ein Bild. Im Vordergrund meiner Untersuchungen steht dabei sein Essay „Was ist Literatur?“, aber ich behalte seine weiteren Publikationen zum Thema Literatur, Malerei und damit Kunst im Allgemeinen dabei im Blick. Was ist Kunst für Sartre? Welche Rolle spielt bei ihm der Künstler? Welche der Rezipient? Welche ausschließliche Funktion hat das Phänomen Kunst bei ihm?

Schließlich werde ich einige kritische Anmerkungen zu Sartre machen und hier auf mögliche Auswege im Werke seines Kollegen und philosophischen Gesprächspartners Maurice Merleau-Ponty verweisen.

Phänomenologie und Kunst

In „Phänomene im Bild“ stellt Lambert Wiesing zunächst die These auf, dass Phänomenologie und Kunst methodisch verwandt seien. Das erläutert er im Zuge seiner Diskussion des phänomenologischen Bildbegriffs. Seine zweite These ist die, dass Bilder sowohl in den Neuen Medien als auch in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine grundlegende gemeinsame Funktion haben: als Verstärker der Imagination. Dass sich letzteres als eine Funktion der Kunst im Allgemeinen in der Philosophie Jean-Paul Sartres wiederfindet, möchte ich im Laufe meiner Arbeit zeigen. Die Imagination spielt in der Ästhetik Sartres sogar die entscheidende Rolle. Hierauf komme ich jedoch später zu sprechen.

Die Phänomenologie ist nach Wiesing im Wesentlichen aus drei Gründen dazu geeignet, dem Sinn und Zweck von Kunst näher zu kommen:

Zuerst einmal habe Phänomenologie eine Strukturaffinität mit der Kunst – nämlich die Imaginarität[1]. Der phänomenologischen Theorie liege als einer Philosophie der Korrelation – der Wechselwirkung zwischen Bewusstsein und Gegenständen und damit der reflektierten Wahrnehmung –‚ eine ähnliche Methode wie der Bildbetrachtung zugrunde. Der Bildbetrachter stilisiere, imaginiere und synthetisiere ebenso, wie es der Phänomenologe von alltäglichen Bewusstseinsakten auch annimmt. „Phänomen“ übersetzt man am besten mit „Erscheinung“. Ein Phänomen ist in der Phänomenologie das „Bild“, das sich ein Subjekt von einem Objekt macht so wie es ihm erscheint. Oder wie Martin Suhr es ausdrückt: „Das Phänomen ist die Einheit von erkennendem Bewußtsein und erkanntem Objekt“[2]. Man kann zwar nicht davon ausgehen, dass auch Vorstellungen, bildhaft sind (so als ob wir im Kopf quasi einen Katalog von Bildern hätten). Reflektierte Wahrnehmung, also das Denken, und das Bildbetrachten haben aber laut Wiesing ähnliche „stilistische Strukturen“ und damit nicht unbedingt den gleichen Inhalt, aber eine gleiche Form. Das sagt schon der Volksmund, wenn man üblicherweise sagt: „Von dieser Angelegenheit muss ich mir erst ein Bild machen“. Beide seien also aktive Gestaltungen, bei denen Dinge wie in einem Bild zusammengefasst, in den Mittelpunkt oder Hintergrund gerückt und Übergänge konstruiert würden.[3]

Wie sinnliche Wahrnehmung, Denken und Bildbetrachtung, also Imagination, zusammenhängen, haben Philosophen unterschiedlich aufgefasst. Während die Vertreter der phänomenologischen Philosophie Edmund Husserl und Jean-Paul Sartre auf je eigene Weise eher das gegensätzliche – aber trotzdem im Zusammenhang stehende – Verhältnis von Wahrnehmung und Imagination interessiert, betont Maurice Merleau-Ponty hingegen besonders die Ähnlichkeit von Wahrnehmungsbildern im Alltag und Imagination bzw. Darstellungsbildern in der Kunst. Für Husserl und Sartre stehen sich das Denken und das Bildbetrachten nahe, für Merleau-Ponty ist das auch schon bei der Wahrnehmung der Fall.

Seien es nun das Denken oder bereits die Wahrnehmung – diese Bewusstseinsakte sind dem des Bildbetrachtens ähnlich. Sie unterscheiden sich nur darin, dass wir uns bei der sinnlichen Wahrnehmung bewusst sind, dass die Gegenstände, die wir sehen, hören, fühlen in Raum und Zeit verankert sind, während wir die imaginären Vorstellungsbilder beim Betrachten eines Bildes, Lesen eines Buches oder beim Nachdenken als ausschließlich in unserem Bewusstsein existierend erkennen. Wir imaginieren auch bei der Wahrnehmung. Oder nehmen vor lauter Präsens eines bestimmten Gegenstandes andere daneben nicht wahr. Schauen wir beispielsweise von vorne auf einen Holztisch, stellen wir uns implizit die Rückseite, die nicht in unserem Sichtfeld liegt, dazu vor. Ein Tischler wird ihn viel präziser wahrnehmen und Einzelheiten, wie die Struktur des Holzes sehen, während ein Schulkind ihn vielleicht nur als Unterlage für seine Hefte ansieht.

Bewusstseinsakte von der sinnlichen Wahrnehmung bis zur Vorstellung haben damit neben der erwähnten Eigenschaft der Imaginarität Wiesing zufolge noch einen weiteren Aspekt gemeinsam: die Synthetizität[4]. Auf die Imagination folgt also die Interpretation. Das Bewusstsein habe eine dynamische Struktur, eine Atmosphäre und werde vom Wahrnehmungs-Kontext beeinflusst. Die Nähe der Phänomenologie zur Gestaltpsychologie möchte ich hier nur erwähnen, aber nicht näher diskutieren. „Auch sie [die Gestalttheorie] hat zu der Einsicht geführt, daß vorbegriffliche Konstantenbildung auf ästhetischen Formprinzipien beruht, in denen das Sinnliche und Sinnhafte eine unzertrennliche Einheit bilden.“[5]

Auch in der Philosophie Henri Bergsons findet sich ein solch vereinigender Bildbegriff~ „Der zentrale Begriff der[..] die Kluft zwischen den Vorstellungen und den Gegenständen zu überbrücken helfen soll, ist der Begriff des Bildes.“[6] Bergson will zwischen den Gegensätzen des Idealismus und des Realismus vermitteln, wie es auch die Absicht Merleau-Pontys und Sartres ist. Sartre versucht dies besonders in seiner Konstruktion des Kunstwerks als imaginärem Objekt, was ich später noch aufgreifen werde. Für Bergson hat die Wahrnehmung eine bildliche Struktur und eine verknüpfende Funktion zwischen Außenwelt und Bewusstsein. Sie ist synthetisierend und schöpferisch: „In diesem Prozeß [der Wahrnehmung] ist das Bild eine schöpferische und praktische Auseinandersetzung unserer Sinne und Vorstellungen mit der Welt der Dinge.“[7]

Der dritte Grund, warum die Phänomenologie Wiesing zufolge der Kunst nahe steht, ist der, dass beiden das Merkmal einer Intentionalität zugrunde liegt: „das Denken in Begriffen als auch das Betrachten eines Bildes ist ein intentionaler Akt. Wer denkt, denkt an etwas; wer ein Bild betrachtet, richtet seinen Blick auf einen dargestellten Gegenstand.“[8] Bewusstsein sei also immer Bewusstsein-von-etwas. Die Verwandtschaft von Denken und Bildbetrachtung dürfe sich allerdings nicht auf das Merkmal der Intentionalität beschränken, denn jedem Bewusstseinsakt liege ja eine Intention zugrunde. So auch dem Lesen oder dem Studieren von Vögeln beispielsweise. Nur verbunden mit dem Merkmal der Imaginarität und dem der Synthetizität sei die These des Verwandtschaftsverhältnisses gerechtfertigt. „Das Denken und das Bildbewußtsein vermeinen ihr intentionales Objekt gleichermaßen als einen imaginären Gegenstand.“[9] Diese Definition lässt sich – denke ich – auf das Betrachten, Hören, Lesen von Kunstwerken im Allgemeinen übertragen.

Betrachte man die von Wiesing genannten Gründe zusammenfassend, so geht er also davon aus, dass Bild-Bewusstsein immer Bewusstsein-von-etwas ist, d. h. das reflektierende Subjekt denkt intentional, und gleichzeitig stilisierend bzw. interpretierend. Damit übernimmt er Gedanken der Phänomenologie. Denken – und bei Merleau-Ponty oder Bergson auch die Wahrnehmung – ist ihr zufolge subjektiv eingefärbt. Bestes Beispiel hierfür ist die Kunst, sie drückt genau diese Subjektivität aus. Und jeder künstlerische Ausdruck, sei er sprachlich oder bildlich, ist zugleich eine Interpretation der Welt und ihres Sinns. Auch in der Phänomenologie gibt es kein Sein an sich, sondern nur Gegebenheitsweisen. Meines Philosophie und vor allem Phänomenologie vollzieht Weltinterpretation auf theoretischer Ebene und die Kunst vollzieht sie auf der angewandten, praktischen. Das ist die Formel, auf die sich das Verwandtschafts-Verhältnis von Kunst und Phänomenologie bringen lässt.

Sartre, wie auch Merleau-Ponty und andere, haben die Phänomenologie in die rechtmäßige Nähe zur Kunst gebracht. Sartre wendet sich dabei sowohl gegen das semiotische als auch gegen das materialistische Kunstverständnis. Abgekürzt kann man ersteres unter „etwas ist für-etwas präsent“ subsumieren, letzteres schlicht unter „etwas“. Diese beiden stelle ich nun kurz vor.

Das semiotische und materialistische Kunstverständnis

Lambert Wiesing stellt in seinem Text das semiotische und das materialistische Sartres Kunstverständnis gegenüber, was plausibel ist, da Sartre sich selber von beiden absetzt. Wiesing erklärt, dass die Phänomenologie sich den Zugang zur modernen, avantgardistischen Kunst versperrt, wenn sie sich ausschließlich auf die Materialität von Kunstwerken konzentriert, wie es beispielsweise Heidegger in seinem Aufsatz „Der Ursprung des Kunstwerkes“ tut.[10] Sie neige nämlich durch die Konzentration auf die konkreten Phänomene, wie Husserl es fordere, zur materialistischen Position. Wiesing referiert dann eine von Nelson Goodman vertretene Position. Goodman sagt, dass die traditionelle philosophische Ästhetik im 20. Jahrhundert ihre Berechtigung verloren habe, da sie die Antwort auf die Frage nach dem Kunststatus im Gegenstand selber suche. Das sei absurd angesichts von sogenannten Ready-Mades, die Alltagsgegenstände als Kunst stilisieren – wie das Urinoir von Marcel Duchamp oder die gestapelten Brillo-Kartons von Andy Warhol.

Nelson Goodman vertritt in seinem Buch „Weisen der Welterzeugung“ die semiotische, bzw. zeichentheoretische Position. Goodman erklärt, dass jedes darstellende Werk ein Symbol sei. Er wendet sich damit gegen die Puristen, für die reine Kunst ohne jeglichen Symbolcharakter ist und nur für sich selber stehe. Für sie ist der Kunststatus im Werk begründet. Damit haben sie eine in diesem Fall ähnliche Ansicht wie Heidegger. So würde aber laut Goodman der Inhalt und die Aussage auch avantgardistischer Kunst vernachlässigt werden. Er will dem materialistischen Dilemma der werkimmanenten Analyse entkommen und wandelt die Frage ‘Was ist Kunst?‘ in ‘Wann ist Kunst?‘ um. Der Kunststatus ist für ihn ein funktionalistischer und von symboltheoretischen Bedingungen abhängig.

Für Goodman und andere Zeichentheoretiker bzw. Sprachanalytiker müssen Kunstwerke nicht ausschließlich verweisende Symbole sein, also für abwesende Dinge und Sachverhalte stehen (Status der Denotation). Dennoch seien sie niemals frei von Bezügen. Auch ein abstraktes Gemälde sei ein Zeichen und zwar eines, das auf sich selber als eine Sichtweise verweise (Exemplifikation).

Wiesing erklärt wiederum, dass es aus zeichentheoretischer Sicht keiner speziellen Kunstphilosophie bedürfe, sondern nur einer Zeichentheorie, die den Aspekt der Kunst in ihr normatives System miteinbaue. Goodmans Position der Kunst als Zeichenfunktion ist für ihn problematisch: „Das, was so frei von Normativität sein soll, ist eine Norm, wie sie deutlicher nicht sein kann.“[11]

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die traditionelle Phänomenologie mit Heidegger und Husserl die Kunst als einen Forschungsgegenstand betrachtet - wie Wiesing es ausdrückt und sie dadurch in ihrer Sonderstellung abwertet.[12] Husserl beispielsweise macht ein Bild zu einem „Scheinobjekt“, das es als Resultat eines Widerstreits zwischen dem materiellen Bildträger und dem vorgestellten Bildobjekt zu erforschen gilt.

Nelson Goodman und die Symboltheorie sprechen so der Kunst eine Sonderfunktion ab und rauben ihr jegliche Autonomie. Für Sartre hingegen darf der Symbolcharakter von Kunstwerken gar kein Kriterium für den Kunststatus sein, wie er immer wieder betont. Die Konzentration auf das materielle Werke ist für ihn ebenfalls ungenügend, da Kunst an Produzent und Rezipient gebunden ist und damit in hohem Maße ein Bewusstseinsvorgang. Pinselstriche oder Leinwand seien real, aber nicht das Kunstwerk als ein ästhetischer Wert.[13] Er versucht einen Zwischenweg zwischen Materialismus und Idealismus zu gehen. Für ihn erfüllt die Kunst eine Funktion sui generis und leistet damit etwas was nur sie kann.

Sartres Kunstverständnis

Als Jean-Paul Sartre an seinem Essay „Was ist Literatur?“ schrieb, hatte Frankreich die Erfahrung des Krieges gegen den Faschismus und der deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg gemacht. Viele französische Schriftsteller und Intellektuelle –einschließlich Sartre – politisierten sich in dem Sinne, dass sie sich vornehmlich für sozialistische und kommunistische Ideale einsetzten. Das Bewusstsein dieses Umbruchs auch in der Literatur und der Problematik des L’art-pour-l‘art-Prinzips sind Grundlage dieses umfangreichen Essays von 1947. Letztendlich ist es jedoch als Antwort auf eine Polemik entstanden. Man hatte Sartre vorgeworfen, er wolle mit seiner Forderung nach dem Engagement der Literatur diese in den Dienst politischer Zwecke stellen und zur (kommunistischen) Tendenzliteratur machen. Daraufhin sah er sich gezwungen, seine Vorstellung von Literatur ausführlich zu erläutern:

„Und da die Kritiker mich im Namen der Literatur verurteilen, ohne jemals zu sagen, was sie darunter verstehen, ist es die beste Antwort, die Kunst des Schreibens ohne Vorurteile zu untersuchen. Was ist schreiben? Warum schreibt man? Für wen? Tatsächlich scheint sich das niemand je gefragt zu haben.“[14]

In „Was ist Literatur?“ finden sich wesentliche Gedanken Sartres zur Kunst. Es ist nicht allein die Literatur, die Sartre hier thematisiert, obwohl der Titel und die Kapitelüberschriften es zu beweisen scheinen. Es sind ebenso seine Vorstellungen von Kunst und von der Funktion eines Kunstwerks im Allgemeinen. Die Prosa nimmt unter den Künsten bei ihm eine Sonderstellung ein. Sartres Literaturverständnis detaillierter zu erläutern, ist hier nicht möglich und daher thematisiere ich die Literatur wie auch die Malerei, um Sartres genre-übergreifende Gedanken darzustellen.

WAS IST UND WAS KANN DIE KUNST?

Ich möchte die allgemeinen Bedingungen darlegen, unter denen für Sartre ein Kunstwerk Kunst ist. Wichtig für den Kunststatus bei Sartre ist zunächst die Tatsache, dass Kunstwerke nur in Wechselbeziehung zum Künstler und Rezipienten existieren. Eine Autonomievorstellung des Kunstprodukts, wie es sie beispielsweise in der Romantik bei Friedrich W.J. Schelling gegeben hat, wo sich Freiheit und Natur im Kunstwerk zu einer „endlichen Darstellung des Unendlichen“ verbinden, interessiert Sartre nicht. In „Was ist Literatur?“ entwickelt Sartre zwei grundlegende Bedingungen für den Kunststatus. In den Kapiteln „Was ist schreiben?“ und „Warum schreiben?“ finden sich auch die Gründe, warum man Sartres ästhetische Theorie als eine phänomenologische bezeichnen kann.

In „Was ist schreiben?“ bezeichnet er zunächst ein Kunstwerk als ein imaginäres Objekt. Die erste Bedingung für den Kunststatus ist also, dass ein Werk etwas-als-etwas präsentieren muss und nicht ausschließlich für-etwas, d. h. als Zeichen, stehen darf. Das Kunstwerk hat nach Sartre keinen Zweck, sondern ist einer.[15] So sei beispielsweise ein Gemälde reine Präsentation: „Jenen gelben Riß am Himmel über Golgatha hat Tintoretto nicht gewählt, um die Angst zu bedeuten noch um sie hervorzurufen; er ist Angst und gelber Himmel zugleich[..] eine Ding gewordene Angst“.[16] Dem Künstler geht es also anders gesagt um die Präsentation von Imagination, also einer Vorstellung. Dem Betrachter muss etwas anschaulich werden. Es entstehe in seinem Bewusstsein ein Sinngebilde, das abhängig sei von den Absichten, die der Künstler hineingelegt hat, von der Imaginationsfähigkeit des Betrachters und vom Kontext des Betrachtens. Der Kontext sei insofern wichtig, als dass der Betrachter nicht immer mit gleicher Intensität und unter gleichen Voraussetzungen betrachte. Der Betrachter nimmt also die imaginären Gegenstände eines Kunstwerkes so wie der Künstler sie an ihn heranträgt auf, nimmt sie gleichzeitig mit seiner ganzen Welterfahrung wahr und vereinnahmt sie für sich als etwas Neues. Im Folgenden daher wird Sartres Kunstverständnis in Abgrenzung zum materialistischen und semiotischen als ein dynamisches oder synthetisierendes bezeichnet.

Zweitens ist es für ihn eine Sonderform des Imaginären, da in ihm offenbar wird, wie und wann etwas-als-etwas präsent wird, d. h. wie die Subjektivität des Künstlers das etwas-als-etwas auf die je eigene Weise präsentiert und genau dann wenn der Betrachter die betrachtende Haltung einnimmt. Zu Letzterem heißt es in „Das Imaginäre“: „So muß das Gemälde als ein materielles Ding verstanden werden, das von Zeit zu Zeit (jedesmal, wenn der Betrachter die vorstellende Haltung einnimmt) von einem Irrealen heimgesucht wird [...j“.[17] Kunst ist also über die Funktion der Präsentation von Imagination hinaus eine indirekte Kommunikation zwischen Produzent und Rezipient. Um das näher zu erläutern, ist es nötig, nachfolgend auf die Rolle des Künstlers und die des Rezipienten näher einzugehen.

Zunächst kann man jedoch schlussfolgern, dass für Sartre die Kunst etwas ganz eigenes kann und eine Funktion sui generis erfüllt. Im Zusammenspiel von Künstler und Betrachter entsteht ein imaginäres Sinngebilde, das mit nicht-begrifflichen Mitteln ein Bewusstsein von der Welt schafft. Durch die Darstellung in Wort, Material oder Ton werden Botschaften über die Welt vermittelt. Botschaft ist hier aber nicht zeichentheoretisch zu verstehen, sondern „die Botschaft ist letztlich eine Gegenstand gewordene Seele.“[18]Die Botschaft ist das Werk. Imagination ist bei Sartre das, was die Kunst ausmacht und Kunst dient meines Erachtens hier als Verstärker der Imagination. Lambert Wiesings zweite, eingangs erwähnte These vom Bild als Imaginationsverstärker erscheint konstruktiv und plausibel und wird daher im Folgenden auf das gesamte Kunstverständnis von Sartre übertragen.

Was leistet die Kunst bei Sartre genau? Von entscheidender Bedeutung ist zunächst die Tatsache, dass für Sartre Kunstwerke – auch literarische Werke der Weltliteratur – die Weh nicht verändern können. In „Was kann Literatur?“ betont er einmal mehr, dass sie keinen praktischen Nutzen haben und „noch kein Buch den Tod eines Kindes verhindert hat.“ Trotzdem schrieb Sartre weiterhin philosophische, literarische und politische Texte, was er in seiner Autobiographie „Die Wörter“ so begründet: „Trotzdem schreibe ich Bücher und werde ich Bücher schreiben; das ist nötig; das ist trotz allem nützlich. Die Kultur vermag nichts und niemanden zu retten [..j Aber sie ist ein Erzeugnis des Menschen, worin er sich projiziert und wiedererkennt, allein dieser kritische Spiegel gibt ihm sein eigenes Bild.“[19] Den Vergleich des Spiegels benutzt Sartre häufiger im Hinblick auf die Literatur. Gemeint ist damit nicht die bloß nachahmende Spiegelfunktion der Kunst wie sie Platon beschreibt. Sartre räumt der Literatur eine wichtige Rolle zur kritischen Selbstreflexion und damit zur Selbstwerdung ein. Sie ist also ein „Ort“, wo der Mensch sich selber auf eine Art und Weise reflektieren kann, die ihm weder die alltägliche Wahrnehmung, noch die direkte Kommunikation mit anderen ermöglicht.

In „Was ist Literatur“ beschreibt Sartre ebenfalls die Funktion der Selbstreflexion und Selbstschöpfung: „Eines der Hauptmotive des künstlerischen Schaffens ist gewiß das Bedürfnis, uns gegenüber der Welt wesentlich zu fühlen.“[20] Der Künstler spürt die Macht oder die Freiheit sich die Welt durch Gestaltung anzueignen. Die menschliche Existenz wirkt „enthüllend“, d. h. dass es durch ihn Sein gibt: „[..] wir sind es, die jenen Baum mit jenem Stück Himmel in Beziehung bringen[..]“. Der Mensch enthüllt die Dinge durch seine Wahrnehmung.

Hier ist der Zusammenhang zwischen dem phänomenologischen Grundsatz der Intentionalität – Bewußtsein ist immer Bewußtsein-von-etwas – und der auf die Welt gerichteten Existenz des von Sartre beschriebenen Menschen. Der Mensch nimmt nicht nur intentional wahr – enthüllt also – und hat damit eine natürliche, intentionale Einstellung zur Welt, sondern auch sein Schaffen hatten diesen gerichteten Charakter. Der Mensch ist bei Sartre ohnehin ein schaffendes Wesen, dass aus seiner Existenz erst seine Essenz entwickeln muss, wie in seinem philosophischen Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“ beschrieben. Das Bindeglied zwischen Mensch und Welt ist die Freiheit, die die Kluft zwischen beidem aber nicht gänzlich überbrücken kann. Das Moment der Freiheit erhält bei Sartre immer wieder größte Bedeutung, worauf ich hier aber nicht näher eingehe. Kunst ist Ausdruck von Freiheit, die Freiheit manifestiert sich auch in der Intentionalität und die Intentionalität prägt das künstlerische Schaffen: „Denn genau das ist das Endziel der Kunst: diese Welt vereinnahmen, indem man sie so vorführt, wie sie ist, aber als wenn sie ihre Quelle in der menschlichen Freiheit hätte.“[21] Die Kunst kommt als Ausdruck von Freiheit einer Einheit zwischen Mensch und Welt schon sehr nahe, wenn nicht sogar am nächsten.

Durch die Äquivalenz der phänomenologischen Intentionalität – Bewußtsein-von-etwas – mit Sartres Schaffensbegriff – etwas-als-etwas-präsentieren –