JENSEITS DER HOFFNUNG - Ivan Ertlov - E-Book

JENSEITS DER HOFFNUNG E-Book

Ivan Ertlov

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Beschreibung

London, 1854: Der Krieg tobt, aber der Adel tanzt! Während Tausende Luftschiffe verfeindeter Nationen verbissen um die Vorherrschaft am Himmel über Europa ringen, vergnügt sich die feine Gesellschaft Londons am Tanzparkett rauschender Ballnächte. Gin, Champagner und Cognac fließen in Strömen; es wird getanzt und gebalzt, sei es für den Heiratsmarkt oder die widerwillig gebilligten Begierden französischer Gäste. Junge Damen taktieren auf der Jagd nach einer standesgemäßen Verlobung und je höher ihr gesellschaftliches Ansehen, desto besser ihre Karten. Eine denkbar ungünstige Ausgangssituation für Shiara Kirwashi. Nicht nur ist sie als uneheliche Tochter von Lord Lockerby, als Bastardin des Flaggenoffiziers, kaum mehr wert als eine Kammerdienerin, nein, das indische Blut ihrer Mutter verleiht ihr jenen exotischen Reiz, der sie in den Augen britischer Männer zwar begehrenswert, aber nicht heiratswürdig macht. All dies kümmert sie herzlich wenig – denn sie hat sich in den Kopf gesetzt, die erste Luftoffizierin Ihrer Majestät zu werden. Aber selbst als der Feind über die Hauptstadt hereinbricht und Pulverdampf den Himmel über London verfinstert, ahnt die junge Kadettin nicht, welches Grauen noch auf sie wartet …

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Ivan Ertlov

Jenseits der Hoffnung

AndroSF 162

Ivan Ertlov

JENSEITS DER HOFFNUNG

AndroSF 162

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: August 2023

p.machinery Michael Haitel

Titelbild & Illustrationen: Detlef Klewer

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat & Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 317 8

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 787 9

Ich erkenne die Darug als erste Völker und traditionelle Bewahrer des Landes an, auf dem ich lebe und arbeite. Ich erweise ihren Ältesten – den Vergangenen, den Heutigen und den Künftigen – meinen Respekt, meine Dankbarkeit und meine Anerkennung.

Geschichtsstunde

15. August 1827:

Der Kölner Schmiedemeister und Erfinder Hans Kreissler stellt eine neuartige Dampfmaschine vor. Basierend auf von ihm ausgetüftelten Legierungen und der Schweizer Entwicklung des Kohlestaub-Verdichters ermöglicht der Kreissler-Kessel deutlich leichtere und gleichzeitig leistungsstärkere Dampfmaschinen. Lizenzen werden vergeben, Kreisslers Erfindung geht in wenigen Monaten um die Welt. Die industrielle Revolution beschleunigt sich.

8. März 1831:

Captain Lord Lockerby steuert die mit einem Kreissler-Kessel nachgerüstete Fregatte Unicorn von London nach Bombay, wo er das Amt eines Militärattachés und Verbindungsoffiziers zu den Maharadschas übernimmt. Er lässt seine Gattin Lady Elenor Lockerby in der britischen Heimat zurück, offiziell, um seine Ländereien zu verwalten.

1. Jänner 1834:

Der Deutsche Zollverein wird gegründet. Das Königreich Preußen übernimmt durch eine geschickt in das Vertragswerk eingebrachte Formalität die Vorherrschaft und wird zur dominierenden Macht Kontinentaleuropas. Das Deutsche Reich wird ausgerufen. Die Habsburger schließen als Gegengewicht den sogenannten Alpenpakt mit den italienischen Adelshäusern.

9. Februar 1835:

Lord Lockerby trifft Arusha Kirwashi, die Tochter des Maharadschas von Aurangabad.

5. Juni 1836:

Shiara Kirwashi, die Tochter von Lord Lockerby und Arusha Kirwashi, wird in Aurangabad (britische Kronkolonie Indien) geboren. Die britische Gesellschaft erfährt nichts davon, der Skandal bleibt unter Verschluss.

12. September 1837:

Jungfernfahrt des ersten Starrluftschiffes Amélie. Gebaut von Friedrich Jerôme Wilhelm Karl Graf von Zeppelin, finanziert von seinem Schwiegervater und benannt nach seiner Gattin. Die Amélie schafft den Flug von Genf nach Berlin in zwanzig Stunden und zwölf Minuten. Sie erweckt damit das Interesse des Militärs in allen europäischen Staaten.

5. April 1839:

Stapellauf der Brandenburg und der Hohenzollern, der ersten militärischen Luftschiffe der Menschheitsgeschichte. Der Volksmund verwendet für die neuen Erscheinungen am Himmel jedoch das Wort Zeppeline, benannt nach ihrem Erfinder.

1. März 1840:

Die Royal Air Navy wird als britische Luftstreitmacht per Dekret Ihrer Majestät Königin Victoria aus der Taufe gehoben und von Westminster bestätigt.

3. Juli 1842:

Arusha Kirwashi stirbt bei einem monsunverursachten Erdrutsch in der Nähe von Cherrapunji (britische Kronkolonie Indien). Ihre mitreisende Tochter Shiara bleibt wie durch ein Wunder unverletzt.

4. Dezember 1842:

Lord Lockerby trifft in London ein. Seine ihn begleitende außereheliche Tochter ist ein Skandal in der britischen Gesellschaft, verhindert aber nicht seine Beförderung zum Commodore und stellvertretenden Oberkommandanten der Luftstreitkräfte im Frühjahr 1843.

5. November 1848:

Auch der Blutige Sonntag genannt. Nach zahlreichen Übergriffen französischer Revolutionäre auf deutsche Ortschaften im Grenzgebiet entsendet der Deutsche Bund eine Luftstreitkraft nach Frankreich, die Befestigungsanlagen und Städte bombardiert. Erst kurz vor Paris treffen sie auf Widerstand in Form französischer Kriegsmontgolfieren, die fliegenden Kanonentürme, und ziehen sich ohne größere Verluste zurück.

12. Dezember 1849:

Napoleon III. wird zum Kaiser von Frankreich gekrönt.

September 1851:

Der sogenannte preußische Befreiungsschlag. Eine Reihe von Luftschlägen und schnellen Bodenoffensiven zwingt die Habsburger Monarchie und das Königreich Sardinien-Piemont in die Knie. Sowohl der junge Kaiser Franz Joseph als auch Viktor Emanuell II., nun König des vereinigten Italiens, unterwerfen ihre Reiche dem Deutschen Bund und der preußischen Führung.

21. Dezember 1852:

Nach einem Streit um die Preisaufschläge für Kolonialgüter erklärt der Deutsche Bund Großbritannien den Krieg, die Weihnachtsoffensive beginnt. Preußische und österreichische Luftschiffe dringen in britischen Luftraum ein und bombardieren die Küstenforts als Vorbereitung für eine mögliche Invasion im Frühjahr.

12. Februar 1853:

Auf geheimes Drängen des schwedischen Königshauses erklärt Frankreich wiederum Deutschland den Krieg und eröffnet eine zweite Front, die eine Invasion Großbritanniens vorläufig unmöglich macht. Der Konflikt breitet sich über den Erdball aus, tobt an Land, auf hoher See und erstmals auch in der Luft. Kolonien in aller Welt werden Opfer von Überfällen und Attacken der jeweils feindlichen Mächte.

16. Juni 1853:

Notgedrungen erlässt Königin Victoria das »Militärische Toleranzpatent«, eine heftig umstrittene Deklaration mit dem Wortlaut: »Wer willens und fähig ist, das Land zu verteidigen, dem darf dies nicht verwehrt werden, ungeachtet der Herkunft, der Religion und des Geschlechts.« Westminster erklärt, dass dies für alle Teilstreitkräfte und sämtliche Positionen innerhalb des Militärs gilt.

1. Eine rauschende Ballnacht

 

 

 

London, 18. Mai 1854

 

Tausende Facetten perfekt geschliffener Kristalle in gediegenen, goldbeschichteten Kronleuchtern, schickten Millionen huschende, funkelnde Lichterengel auf die Gesellschaft unter ihnen, die sich berauscht von edlem Champagner und kunstvoll vorgetragener Musik im Kreis bewegte. Ganz London tanzte hier – nun, zumindest alles in London, was Rang und Namen hatte, vor allem aber aus altem und neuem Adel stammte. Die Grundpfeiler der Gesellschaft, die erste und zweite Reihe der treuen Untertanen ihrer Königin, blaues Blut, vom einfachen Volk gefürchtet, verehrt und beneidet.

Shiara gehörte nicht zu ihnen, was ihr immer wieder schmerzhaft bewusst gemacht wurde – durch unauffällige Blicke, eine missgünstig, beinahe verärgert gerunzelte Stirn, ein schnelles Wegdrehen oder schlicht die Tatsache, dass sie niemand zum Tanze bat. Nichts davon geschah offensichtlich, vielleicht nicht einmal absichtlich – oh, kein Mann von Adel, keine edle Dame oder gut erzogene Debütantin würde es wagen, die Tochter von Lord Lockerby zu beleidigen.

Die uneheliche Tochter von Lord Lockerby, zumindest glauben dies alle hier. Vergiss niemals deinen wahren Rang – du bist für sie alle nur ein Bastard von vielen.

Für sie alle? Nein, das war eine Übertreibung. Es gab sie sehr wohl, die gelegentlichen Verehrer und mutigen Vorsprecher, bei ihrem Vater und seiner Gemahlin um einen Tee mit der jungen dunkelhäutigen Dame des Hauses bittend. Manche aus niederem Adel, andere aus dem gemeinen Volke, aber diese dann verdiente Offiziere oder die Söhne wohlhabender Händler – allesamt das, was man zumindest im Niederadel eine akzeptable Partie nannte. Die meisten gewiefte Taktiker, kühl darauf kalkulierend, dass ihr Vater sie über kurz oder lang legitimieren lassen würde, sie die einmalige Gelegenheit hatten, die bald offizielle Tochter eines Luftflaggoffiziers und vor allem Lords Ihrer Majestät zum Preis einer namenlosen Landpomeranze, einer vierten Tochter eines Barons von Irgendwo, zu freien.

Andere schienen von ihrem guten Aussehen – oh, da machte sie sich keine Illusionen, sie war in der Tat ein Blickfang, auch wenn sie es in vielen Alltagssituationen lieber verbarg, als zur Schau stellte – und vor allem von ihrer Exotik fasziniert. Ihre Haut, in einem gleichmäßigen, sanften Braunton gehalten, spiegelte nicht nur die Verlockung des indischen Subkontinents wider, nein, sie bildete auch einen auffälligen Kontrast zu dem Kleid, das sie gerade am Leibe trug. Ein Traum aus weißer und gelber Seide, mit Stickereien und Perlenapplikationen, einem perfekt angepassten Unterkleid, dessen Miederschnürung ihr auch ohne Hilfsmittel ansehnliches Dekolleté noch mehr zur Geltung brachte. Mindestens ebenso nobel wie die Kleider der Grafen- und Herzogtöchter, die sich hier im Kreise drehten – und ebenso teuer. Sie wusste, dass jedes Einzelne davon mehr kostete, als die meisten Bewohner Londons in einem Jahr verdienten, und sie wusste, dass ihr genau dieser Gedanke nicht gefiel.

Nicht sie selbst hatte es schneidern lassen, nicht ihr Vater hatte das Geld in die Hand genommen, um sie derart herauszuputzen – nein, es war Lady Elenor Lockerby, seine hochwohlgeborene Gattin gewesen, die ihre Leibschneiderin angewiesen hatte, den Bastard ihres Gemahls für die Ballsaison würdig einzukleiden. Die halbe Oberschicht Londons zerriss sich das Maul darüber, wie großzügig, ja beinahe mütterlich die Lady den illegitimen Nachwuchs ihres Mannes behandelte, mit welch offenen Armen sie den Mischling empfangen hatte, den der Lord von seinen Abenteuern in Indien mit nach Hause gebracht hatte. Böse Zungen führten dies auf die Tatsache zurück, dass sie selbst ihrem Mann noch kein Kind geboren hatte, vielleicht sogar unfruchtbar war. Wohlwollendere Stimmen einigten sich beim Nachmittagstee schlicht darauf, dass Lady Lockerby einfach eine herzensgute Frau war, mit ebenso viel Großzügigkeit wie Scharfsinn gesegnet.

Nun, in diesem Punkt hatten sie recht. Tante Elenor, wie sie von Shiara in der Verschwiegenheit ihres Anwesens genannt wurde, weit weg von neugierigen und niederträchtigen Lästermäulern, war in der Tat nicht nur gebildet und weise, scharfsinnig und vorausschauend – sondern auch eine großzügige, warmherzige Frau, die alles daransetzte, das verlorene Kind Indiens in der Ferne glücklich zu machen.

Aber sie kann deine Mutter nicht ersetzen. Niemals.

Nein, das konnte sie tatsächlich nicht, aber sie hatte sich redlich bemüht, das kleine braune Mädchen, von dem langen Überflug ermüdet und von tiefer Trauer gezeichnet in London angekommen, zu trösten. Ihr ein neues, liebevolles Heim zu geben – in dem das Zusammenleben aber weitaus komplexer war, als es Außenstehende ahnten.

Beinahe so komplex, wie sich jenes Geschehen im Ballsaal unter Shiara gestaltete, das sie von der Balustrade aus mit wachsender Faszination mitverfolgte. Ein Tanz mit jedem, das war die Pflicht, zwei Tänze mit dem gleichen Partner schon auffällig und alles, was darüber hinausging, bewegte sich in jene Kür hinein, an deren Ende ein formaler Heiratsantrag stehen konnte – nach Monaten von Besuchen, Gesprächen unter der strengen Aufsicht einer Chaperone, und natürlich weiteren Tänzen.

Hochgeschobene Mieder bewegten sich, wogten auf und ab, drehten sich um junge, athletische Männerkörper in herausgeputzten, ordensgeschmückten Galauniformen ebenso wie um die feisteren, in maßgeschneiderten Zwirn gekleidete Rümpfe jener Herren mittleren und gesetzteren Alters, die wieder auf dem Markt waren. Großteils Witwer, vereinzelt auch Adelige, die mit fingierten Vorwürfen, kalter Grausamkeit oder durch skandalöse Vorgänge ihre Frauen anderweitig losgeworden waren. Ein Mal der Warnung für all jene Mädchen, denen sie sich näherten, aber nicht abschreckend genug für jene, die ihre dritte oder vierte Saison tanzten, ohne unter die Haube zu kommen.

Oder deren Verlobter im Krieg gefallen war.

Ja, auch das kam vor – eigentlich immer öfter, wenn sie so darüber nachdachte. Natürlich trugen die Heerscharen an einfachen Soldaten die Last der meisten Todesopfer in diesem grandiosen europäischen Ringen, aber immer mehr Führungsoffiziere erfüllten ihre letzte Pflicht für die Königin – ein Zeichen, dass es für Britannia nicht zum Besten stand. Und dennoch tanzten sie durch die Nacht.

»Eigentlich komplett unangemessen, also der Ball selbst. Die Saison beginnt erst im Herbst, Debütantinnen, die nicht voriges Jahr eingeführt wurden, können gar nicht teilnehmen, und ich frage mich ernsthaft, warum die Krone Spektakel wie diese duldet. Kannst du mir das erklären?«