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Nur noch wenige Stunden bis zu dieser gewaltigen Detonation, die ihm, Scheich Abdullah Azmi Walid, wie sich Klaus Nelm, geborener Weynreich seit einiger Zeit nannte, einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern würde. Eine trostlose Kindheit im miefigen Kleinstadtmilieu des Heidestädtchens Lönshausen der neunzehnhundertfünfziger Jahre, in der er und seine Geschwister unter den brutalen Attacken der tyrannischen Mutter und der kriminellen Gleichgültigkeit des kapitulierten Vaters litten, säte die Samenkörner der Minderwertigkeit und Resignation in seine junge Seele. Jenseits des Zorns tobt heute in seinem Inneren ein immer intensiver werdender, quälender Kampf zwischen Opportunismus und Repression; zwischen hoffnungsloser Resignation und unbeherrschbarer Wut, die schließlich in einer furchtbaren Katastrophe endet. Nach dem Eintritt in die islamische Glaubensgemeinschaft verstrickt sich der Mittfünfziger immer tiefer in die manipulativen Machenschaften einiger seiner neuen Glaubensbrüder, die ihm als deutschen Konvertiten die Hauptrolle bei einem blutigen Terroranschlag zugedacht haben. Als er sich Augenblicke vor dem Attentat gegen die Durchführung des mörderischen Vorhabens entscheidet, löst ein Unbekannter das Inferno dennoch aus. Zu den 1782 Opfern gehören auch seine geliebte Tochter Melanie, der Schwiegersohn Markus und der fünfjährige Enkel Benjamin. Als er sich nach dem Attentat wie geplant Richtung Syrien absetzt, überwältigen ihn Zweifel und Schuldgefühle. So beschließt er während einer Zwischenlandung in Istanbul, reinen Tisch zu machen und sich den deutschen Behörden zu stellen. Die mächtigen Hintermänner des islamischen Terrors wollen das allerdings mit allen Mitteln verhindern. Unter dramatischen Umständen entkommt er in der türkischen Metropole den fundamentalistischen Häschern und gelangt schließlich nach Deutschland zurück. In einem aufsehenerregenden Prozess wird er zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, doch schon sehr bald erfährt er, dass die Gotteskrieger weder vergessen, noch verzeihen…
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Seitenzahl: 294
Veröffentlichungsjahr: 2015
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Für Günter Renate Ingeborg Bernd Gabriele
Vorwort
Einführung des Verfassers
Der große Scheich
Ausgerechnet der!
Jetzt du!
Die Verwandlung
Versuch einer Versöhnung
Ein folgenschwerer Irrtum
Ayana – die wunderbare Blume
Von Idioten und Weihnachtsbäumen
Alte Hure, kleine Nutte
Der Lohn der Ungläubigen
Stark wie Georg
Der Wert eines Babys
Arbeiterdenke vs. Managerwissen
Die Falle schnappt zu
An Schwesters Seite
Kletternde Idioten
Tschüss Ohrfeigen!
Der Filmemacher des Teufels
Einberufung mit Bratkartoffeln
Schwule 79 cm
Die Prophezeiung
Das Bekennervideo
Konfirmation mit Benno Ohnesorg
666 Engel
Zweifel
Die späte Umkehr
Schleyer im Möbelwagen
Das Inferno
Disco ´79
Die Umkehr
Airport Control
Im Namen des Volkes
Lebensretter Udo Jürgens
Unter Mannis Schutz
Tötet die Götzendiener
Ein unerwarteter Anruf
Das finale Kopf-Kino
Fatwa, wie der Islam die Ungläubigen ansieht
Buchtipps
Über den Autor
Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt: der Islamismus. Die einen sehen ihn als göttliche Verheißung und das ewige Glück schlechthin. Die Anderen fürchten sich vor Gewalt, vor grausamen Gesetzen, vor Überschwemmung mit einer Religion, die uns wesensfremd ist. Nur wenige sind in der Lage und bereit, aus dem einen wie dem anderen abzuleiten, was der Islam wirklich ist: eine Religion, die wie jede andere auch, Verheißung wie Bestrafung, Liebe wie Repression, Versprechen wie Drohung postuliert. Und dadurch über Jahrtausende hinweg Millionen von Gläubige in ihren Bann gezogen hat.
Die Diskussion über die unterschiedlichen Religionen treffen sich stets in einer einzigen Frage: welche ist die einzig richtige? Solange es Glauben gibt, wird diese Frage nicht beantwortet werden können. Und dennoch entzünden sich an ihr seit Jahrhunderten Streit und Kriege.
Die Auseinandersetzungen werden dort besonders deutlich und schmerzhaft, wo sich unterschiedliche religiöse Vorstellungen mischen, wo Gläubige aus fremden Religionen in die eigene, vertraute Glaubenswelt eindringen. Die Konflikte, die daraus bis hinein in das familiäre Umfeld entstehen, können dramatisch sein.
Der Autor entwickelt ein solches Szenario in diesem Buch. Es ist an Spannung und an Dramatik kaum zu übertreffen, weil es den unmittelbaren Lebensbereich berührt. Seine klare, teils auch drastische Sprache erhöht die Eindrücklichkeit und Lebensnähe.
Es gibt viele Beispiele dafür, dass sich Autoren, die sich dieses Themas annehmen, erheblichen Repressalien ausgesetzt sind. Es ist daher verständlich, wenn sie unter Pseudonym schreiben. Vielleicht wird es eines Tages so sein, dass das Verhältnis zwischen den Religionen so entkrampft ist, dass das nicht mehr nötig ist. Ohne Toleranz von allen Gläubigen wird das jedoch ein (frommer?) Wunsch bleiben. Dieses Buch ist ein Warnruf.
Prof. Dietrich Ratzke
„Warum habt ihr damals den Hitler an die Macht kommen lassen?
Warum habt ihr nicht aufbegehrt, als man begann Mitbürger zu drangsalieren, nur weil sie Juden waren?
Warum habt ihr da mitgemacht?“
Das waren einige der provokanten Fragen, die ich als junger Mann meinem Vater stellte und auf die ich von ihm nie eine Antwort erhielt. Heute bin ich selbst Vater und Großvater und weiß natürlich, dass weder meine Eltern nationalsozialistische Fundamentalisten1-, noch die Masse der Deutschen radikale2 Nazis waren. Die Allermeisten passten sich allerdings sehr schnell an die neuen, totalitären Regeln an und nicht wenige versuchten in dieser Zeit ihr bisheriges, kleinbürgerliches Leben im Privaten weiter aufrecht zu erhalten. Bei Nazi-Aktionen gegen Juden und Regimekritiker sah man dann eben weg und redete sich entschuldigend ein, dass ja nicht alle Nazis „so“ seien. Es gäbe ja schließlich auch welche, die anders – nicht so radikal – die irgendwie menschlicher wären. Viele sahen damals solange weg, bis die Nazi-Verbrecher schließlich fest im Sattel saßen, sechs Millionen Juden ins Gas schickten und die Welt in einen mörderischen Krieg stürzten.
Und heute? Was passiert heute?
Heute werden wir (ob wir wollen oder nicht) mit einem weltweit zunehmend militant3 auftretendem Islam konfrontiert. Es mag dem einen oder anderen nicht gefallen, doch Tatsache ist, dass zwar nicht jeder Muslim ein Terrorist ist, aber leider zurzeit fast jeder Terrorist ein Muslim ist. Demnach gibt es sie also, die friedlichen Muslime. Ja, es gibt sie und sie leben insbesondere in unseren westlichen Ländern. Sie sind allerdings nicht friedlich, weil sie streng nach dem Koran leben, sondern eher, weil sie es nicht tun! Tatsächlich ist heute der größte Teil der in den 1960er und 1970er Jahren zugewanderten Muslime durch die westliche Lebensweise und ihre Werte so weit integriert, dass der Koran häufig entweder gar nicht gelesen- oder zumindest nur teilweise befolgt wird. Bei diesen durchaus friedfertigen und zivilisierten Muslimen beobachtet man oft einen, von ihrer Heiligen Schrift losgelösten, spirituellen „Privat-Islam“, der sich mit unseren Gesetzen und unserer Kultur im allgemeinen gut verträgt, mit dem Koran allerdings nur noch sehr wenig zu tun hat.
Mit diesen Muslimen wollen unsere Politiker reden. Sie holt man in die Parteien und Organisationen. Ihnen gibt man Posten als Integrationsbeauftragte, Polizisten und Lehrer. Mit ihnen (so glaubt man) kann die Integration der Muslime in unsere Gesellschaft gelingen.
Die Argumentation dieser scheinbar integrationswilligen Muslime, dass der Koran doch nicht nur gewalttätig-, sondern auch friedlich interpretiert werden könne, beweist eigentlich nur, dass sie ihn nicht kennen – nicht verstanden haben, oder ganz einfach Taqiyya 4 machen.
Fest steht jedenfalls, dass die Hauptaussagen und Kernforderungen des Koran grundsätzlich nicht interpretiert werden dürfen. Durch Selbsterklärung, sowie auch nach herrschender islamtheologischer Lehre, gilt der Koran als das originalgetreu zuletzt gesprochene Wort Allahs5. Sein Wort verbietet sich selbst jede Form der Interpretation und/oder Änderung. So sind die koranischen Aufforderungen an „die wahren Gläubigen“ zur Gewaltanwendung jedenfalls genauso gemeint, wie Mohammed sie seinerzeit ausgerufen- und auch selbst praktiziert haben soll.
Mit diesem Buch greife ich keinen Glauben an und beleidige keine Religion, aber ich kritisiere sie. In meinem Roman geht es mir auch nicht darum, mit dem Finger auf eine bestimmte Gruppe von Menschen zu zeigen oder irgendwelche Personen zu beleidigen. Es geht mir darum aufzuzeigen, was eine so restriktive und menschenverachtende Religion, wie der Islam, auch in unserer Gesellschaft mit dem Einzelnen machen kann. Ich glaube, dass die sich hinter dem Begriff „Toleranz“ versteckenden Beschwichtiger und Abwiegler mindestens genauso gefährlich sind, wie die militanten Scharfmacher auf beiden Seiten.
Benjamin Paul Iddings
Hinweis zu den Fußnoten
Um dem Leser lästiges Blättern zu ersparen, habe ich notwendige Erklärungen und Hinweise nicht als Endnoten am Ende des Romans zusammengefasst, sondern als Fußnote auf der entsprechenden Seite vermerkt. Sie sind nicht „oberlehrerhaft“ gemeint, sondern sollen evtl. benötigte Infos sofort verfügbar machen.
Alle nicht gesondert mit Quellen-Angaben versehenen Fußnoten entstammen der Internet-Enzyklopädie Wikipedia.
4 Taqiyya ist im Islam die Erlaubnis, bei Zwang rituelle Pflichten zu missachten und den eigenen Glauben zu verheimlichen. Taqiyya erlaubt auch offensiv zu lügen, um dem „Ungläubigen“ zu verschleiern, welche wahre Bedeutung in Dingen, Riten und Zielen liegt, die seiner Unterwerfung dienen. Taqiyya ist ein Kampfmittel, das sich gegen den Feind – den „Ungläubigen“ im „Haus des Krieges“ (dar al-harb) richtet – vgl. hierzu Suren 3, Vers 28 und Sure 16, Vers 106.
5 vgl. hierzu z.B. Sure 75, Vers 17ff
„Siehe, Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihr Gut für das Paradies erkauft. Sie sollen kämpfen in Allahs Weg und töten und getötet werden.“
Der Mann, der den Korantext aus der Sure 9 auf dem Display seines iPhones wieder und wieder las, saß gedankenversunken auf dem seitlichen Treppenaufgang einer mobilen Freilichtbühne und nickte nach einer Weile zustimmend. Er lächelte zufrieden. Heute Abend würde es hier in der Innenstadt des kleinen Heidestädchens Lönshausen beim Public Viewing des Fußball-Länderspiels Deutschland gegen England eine gewaltige Explosion geben. Einen Riesen-Bums, der ihm, Scheich Abdullah Azmi Walid, wie sich Klaus Nelm, geborener Weynreich seit einiger Zeit nannte, einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern würde. Kein Zweifel – heute würden auf einen Schlag sehr, sehr viele der Ungläubigen getötet werden. Dieser Allah würde seine Freude daran haben, denn die Aktion hatte sicherlich das Format des berühmten 11. Septembers – ja, vielleicht gelang es ihm ja sogar, die Sache mit den Twin Towers heute Abend in den Schatten zu stellen. Dabei würde der bekannte, große Lönshausener Triumphbogen – ein Siegessymbol der Christen aus vergangenen Zeiten zu Ehren der örtlichen Teilnehmer an den Kreuzzügen – ebenso von Allahs Erdboden getilgt. Schließlich hatte doch der Bundespräsident neulich in einer festlichen Ansprache gesagt, dass der Islam in Deutschland angekommen sei und „dazu“ gehöre. So schien es ihm tatsächlich höchste Zeit zu sein, dass solche Stacheln im Herzen der deutschen Muslime, wie zum Beispiel ein christlicher Triumphbogen, endgültig entfernt würden.
Gleiches galt für das alte Stadttor. Der wuchtige, turmartige Bau stand in den Überresten der alten, historischen Lönshausener Stadtmauer, die die Fußgängerzone des Innenstadtbereiches im Süden begrenzte. Durch dieses Tor waren damals die undisziplinierten Horden des ersten Kreuzzuges in Richtung Heiliges Land gezogen6. Mit ihm verband Scheich Abdullah allerdings auch eine sehr persönliche, eine private Erinnerung aus der Zeit, in der er sich noch Klaus Weynreich nannte. Im Torbogen dieses Bauwerkes hatte er Irene, seine spätere Ehefrau, das erste Mal leidenschaftlich geküsst. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, doch es war müßig, jetzt noch darüber nachzudenken. Schließlich war alles vorbereitet. Das Stadttor würde definitiv in wenigen Stunden zusammen mit dem Triumphbogen von einigen hundert Litern hochexplosiver Flüssigkeit einfach weggepustet werden. Und zwar mit einem wirklich gewaltigen Bums! Er würde die Lönshausener Innenstadt in etwas verwandeln, gegen das Dantes Inferno wie ein kindlicher Abenteuerspielplatz wirken würde.
Die örtlichen Behörden rechneten mit an die zehntausend Menschen, die hier auf die sogenannte Fan-Meile zwischen Rathausplatz und Stadttor kommen würden. Angesichts der bevorstehenden Neuwahl des Oberbürgermeisters, hatten sich für die erste Halbzeit auch Doktor Lothar Neumüller, Kandidat der CDU und sein Chef, der niedersächsische Ministerpräsident Benjamin Gordon angekündigt. Die beiden wollten die Gelegenheit nutzen und Volksnähe zeigen. Es war geplant, dass sie in der Halbzeitpause ein paar Worte an die Menschen richten würden.
Auch diese beiden Kuffār7 würde Abdullah in wenigen Stunden, zusammen mit ihrem Triumphbogen, dem Stadttor, hunderten dieser ungläubigen Bastarde und seinen eigenen, sentimentalen Erinnerungen in die Hölle befördern. Abdullah zuckte merklich zusammen, als ihm das „Allahu akbar“ entfuhr und er befürchten musste, dass es irgendjemand mitbekommen haben könnte.
Seit zwei Jahren lieferte seine Firma ‚Soundrevolution‘ nun schon zu solchen, oder ähnlichen Anlässen die mobilen Bühnen, die riesigen Videoscreens und die dazugehörige Veranstaltungstechnik. Die Hauptbühne stand dieses Mal direkt auf dem Lessingplatz, vor dem Triumphbogen. Rechts daneben hatte Klaus die hundertfünfzig Quadratmeter große VIP-Lounge aufbauen lassen. Unmittelbar hinter der Bühne hatten seine Leute eine der drei riesigen Videowände aufgestellt. Eine weitere befand sich hier am alten Stadttor, neben der etwas kleineren Bühne und der dritte Screen stand ungefähr in der Mitte, zwischen Triumphbogen und Stadttor, in unmittelbarer Nähe der Stadtkirche. Was niemand ahnte: Die Rohre aller Traversen, an denen die Videoscreens befestigt wurden, aber auch die, bei Bühnen und VIP-Lounge, waren mit diesem wirklich hochexplosivem Flüssigsprengstoff gefüllt. Zusätzlich hatte er zwei kleinere Versorgungs- und Lagerraumzelte aufbauen lassen; eins direkt am Fuß des Triumphbogens und eins an der linken Außenmauer des alten Stadttores. In beiden Zelten lagerten mehrere große Metall-Bierfässer, die allerdings keinen Gerstensaft enthielten, sondern als hocheffektive Hohlladungen präpariert waren. Sie waren so an den Gebäudewänden aufgestapelt, dass sie als sogenannte Schneidladung wirken mussten und ausreichen würden, die Statik der Bauwerke entscheidend zu schwächen, um sie zum Einsturz zu bringen. Alles war so vorbereitet, dass durch einen einzigen Handyanruf das gesamte Inferno ausgelöst werden konnte.
Es hatte monatelang gedauert, bis er die erforderliche Menge Wasserstoffperoxid unauffällig, bei Industriereinigungsfirmen in ganz Europa, zusammengekauft hatte. Die Lieferungen gingen immer an unterschiedliche Adressen – mal direkt zur Firma, mal zu ihm nach Hause, mal zu Andy, einem deutschen Konvertiten8, der die Aktion angeregt hatte. Klaus holte die Fässer und Kanister dann immer tagsüber, wenn es am wenigsten auffiel, mit einem Lieferwagen ab und brachte die brisanten Ladungen zu seinem Firmengelände. Dort lagerte er die Chemikalien nach und nach in einem alten, ungenutzten Heizölkeller ein. Um ganz sicher zu sein, dass ihm tatsächlich niemand hinterher schnüffelte, wartete er nach jeder Lieferung mindestens acht Wochen ab, in denen er ganz normal seinen Geschäften nachging. Da ihm auch nach Anlieferung der letzten Kanister in dieser Sicherheits-Wartezeit niemand verdächtige Fragen stellte und ihm auch sonst nichts Ungewöhnliches auffiel, machte er sich schließlich an die Arbeit. Aus den unterschiedlichen chemischen Ingredienzien in seinem Heizungskeller stellte Klaus einen absolut tödlichen Sprengstoff-Cocktail her. Diese Arbeiten zogen sich über mehrere Wochen hin, denn natürlich erledigte er seine mörderischen Vorbereitungen immer erst nach Arbeitsende, wenn die Mitarbeiter bereits Feierabend gemacht hatten. Zuerst wurde immer der täglich anfallende, übliche Verwaltungskram weggearbeitet. Anschließend machte er, wie jeden Tag, eine Außenrunde über das Firmengelände, bei der er den Verschluss aller Türen und des Haupttores überprüfte. Danach konnte er ziemlich sicher sein, dass sich niemand mehr auf dem Firmengelände aufhielt, der ihn zufällig bei seinem todbringenden Bombenbau überraschen könnte. Nach diesen Kontrollgängen begab er sich in der Regel zurück ins Bürogebäude und verschloss die Eingangstür von innen. Bevor er dann für die nächsten Stunden im besagten Heizungskeller verschwand, schaltete er noch das Licht in seinem Büro an. Hinter den zugezogenen Vorhängen des erleuchteten Fensters vermuteten zufällig vorbeikommende Passanten meist einen fleißigen Unternehmer, der noch bis spät in die Nacht hinein arbeitete.
So dauerte es fast sechs Wochen, bis endlich alle Hohlräume in den extra neu angeschafften Gerüststangen und Traversen mit dem tödlichen Cocktail befüllt und mit einem sehr aufwendigen, aber dafür auch sehr zuverlässigen Zündmechanismus präpariert waren. Als die Arbeiter dann gestern früh erstmals das neue Equipment verluden, um es hier in der Stadt aufzubauen, hatten sie sich bei ihm beschwert. Wie er denn bloß solch einen Mist anschaffen könne, der so viel schwerer war als das die alte Ausrüstung. Das Gelumpe, wie sie es nannten, sei sein Geld nicht wert. Er beendete ihre Diskussion mit der Bemerkung:
„Es reicht, Leute! Die Sachen entsprechen den neuesten Sicherheitsbestimmungen, für die ich nicht verantwortlich bin. Dass sie schwerer sind, bildet ihr euch doch nur ein, weil ihr noch nicht richtig wach seid. Aber vielleicht hat sie ja auch jemand mit irgendwas befüllt, um euch zu ärgern, was? Ich denke, wenn ihr nachts nicht so viel rumbumsen würdet, hättet ihr morgens auch genügend Kraft für die Arbeit, ihr alten Weicheier!“
Diese derbe Sprache verstanden die Männer. Solche Sprüche kannten sie von ihm und ganz bewusst hatte er, auch nach seiner Konvertierung zum Islam, an diesem rauen, aber herzlichen Umgangston mit ihnen nichts verändert. Auch hatte er weder sein Äußeres, noch Verhalten und Sprache den gängigen Umgangsformen und Vorgaben des Islam angepasst. So wusste, außer seinen muslimischen Glaubensbrüdern, niemand etwas von seiner Verwandlung zum Mudschahid9. Und seine Arbeiter – Männer die ihm vertrauten und sich bisher immer auf ihn verlassen konnten – diese Männer wirkten heute unwissentlich an den Vorbereitungen zu ihrer eigenen Vernichtung mit. Seltsamerweise amüsierte sich Klaus darüber und irgendwie freute er sich sogar auf diesen Abend. Er würde die Explosionen während der Halbzeitpause des Länderspiels Deutschland gegen England auslösen. Ja, er würde etwas tun! Nicht nur zu Hause rumsitzen und gelegentlich freitags in die Moschee gehen. Dazu stand doch auch irgendwas im heiligen Koran. Klaus scrollte in seinem Taschen-PC die Seiten weiter. Ah, da war es ja! Vers 97:
„Und nicht sind diejenigen Gläubigen, welche daheim ohne Bedrängnis sitzen, gleich denen, die in Allahs Weg streiten mit Gut und Blut. Allah hat die, welche mit Gut und Blut streiten, im Rang über die, welche daheim sitzen, erhöht. Allen hat Allah das Gute versprochen; aber den Eifernden hat er vor den daheim Sitzenden hohen Lohn verheißen.“
Na also! Wenn er kein Eiferer war, wer dann? Früher hatte er bei solchen Veranstaltungen noch gern selbst mitgefeiert. Man sah dort immer viele Frauen und Mädchen, die sich sehr offenherzig zeigten. Besonders im Sommer, wenn es warm war und die Feuerwehr Wasser zur Abkühlung in die Menschenmassen spritzte, klebten die nassen T-Shirts an ihren Körpern. Bei denen, die keinen BH trugen, konnte man dann die Nippel deutlich sehen. Das war schon cool. Wenn dann noch dazu ein Tor für Deutschland fiel, dass man solch ein Mädchen im allgemeinen Torjubel umarmen und an sich drücken konnte, um ihre Brüste auf dem eigenen Körper zu spüren – das war meistens das allerbeste am gesamten Fußballspiel.
Nach seiner Konvertierung zum Islam war das allerdings anders geworden. Als Muslim hatte er diese Leute als Ungläubige10 zu betrachten. Sie waren Feinde des Islam und somit automatisch auch seine Feinde. Die neuen Glaubensbrüder hatten ihm immer und immer wieder eingeschärft, dass die Ungläubigen in unzähligen Koranversen als ‚die abscheulichsten Wesen in Allahs Schöpfung‘ dargestellt werden. So nahm er diese Menschen heute tatsächlich mit anderen Augen wahr, denn der Koran entwürdigte-, dämonisierte- und terrorisierte diese Leute nicht nur, sondern er bedrohte diese von Allah in die Irre geleiteten eindeutig mit dem Tode. So hatte dieses durch und durch sittenlose und verdorbene Gesindel denn auch nichts anderes als den Tod verdient. Sie wollten von Allah und seiner Religion, dem Islam nichts wissen und beschäftigten sich ausschließlich mit sich selbst: Feiern, saufen, vögeln! Besonders diese unzüchtigen Weiber waren doch oft nur selbstverliebte Huren, die es meistens am vorgeschriebenen Respekt gegenüber den Männern fehlen ließen. In der Vergangenheit war Klaus selbst oft genug von einigen dieser Ungläubigen herablassend und respektlos behandelt worden. Nicht selten hatten sie ihn seine kleinbürgerliche Herkunft spüren lassen. Immer wieder machten sie ihm klar, dass er nicht zu ihnen gehörte. Er hatte nicht studiert – er konnte sich nicht so gewählt ausdrücken – er kam aus einer einfachen Arbeiterfamilie… Doch heute war der Tag der Rache gekommen. Allahs Rache! Schon morgen früh würde er nach Damaskus fliegen, um sich dort als Held feiern zu lassen. Millionen muslemischer Brüder in aller Welt würden in Zukunft seinen Namen auswendig wissen: Mudschahid Scheich Abdullah Azmi Walid! Sie würden ihn fortan als einen ihrer größten Glaubenskrieger verehren. Und falls er bei der Aktion tatsächlich – wie auch immer – ums Leben kommen sollte, so hoffte er, dass tatsächlich etwas dran war, an dem Versprechen mit dem Paradies der Muslime. Wenn wirklich alles stimmte, was sie ihm so erzählt hatten, wäre es dort ja durchaus nicht übel. Wie, um sich selbst noch einmal zu vergewissern, kramte er in der Innentasche seiner Jacke nach einem Zettel, auf dem er sich neulich eine Passage aus der Predigt eines Imams11 aus Gaza notiert hatte. Da war er ja schon! Klaus las:
„Oh, Brüder im Glauben, wir empfinden keinen Verlust. Der Märtyrer, wenn er Allah – gepriesen und erhaben ist er – trifft, erreicht Vergebung mit dem ersten Tropfen Blut. Er wird errettet von den Qualen des Grabes und sieht seinen Platz im Paradies. Er wird vom großen Schrecken - dem Jüngsten Gericht - errettet. Er erhält zweiundsiebzig schwarzäugige Frauen, siebzig seiner Familie kommen durch ihn in den Himmel, er wird gekrönt mit der Krone des Ruhmes, dessen Edelstein besser als die ganze Welt ist und besser als all das, was darinnen ist.“12
Na bitte! Das klang doch ganz gut. Und weit über eine Milliarde Muslims konnten sich doch unmöglich einfach irren. Es war für ihn schlecht vorstellbar, dass so viele Menschen kollektiv einem Hirngespinst hinterher rennen sollten. Nein, nein – sein Vorhaben war ganz offensichtlich vom Heiligen Koran abgedeckt und obwohl er innerlich heftige Zweifel hegte, dass es irgendeinen Gott geben könnte, der seine Jünger für Mord und Totschlag, in einem imaginären Paradies mit Vögeln und Saufen belohnt, versuchte er sich mit dem bizarren Gedanken zu beruhigen, dass er das Richtige tat und dass sein Lohn bei Allah dafür groß sein würde.
6 Der erste Kreuzzug war ein christlicher Kriegszug zur Rückeroberung Palästinas, das unter islamische Herrschaft geraten war, zu dem Papst Urban II. im Jahre 1095 aufrief. Er begann im darauf folgenden Jahr und endete 1099 mit der Einnahme Jerusalems durch ein Kreuzritterheer.
7Kufr (arabisch „Unglaube“) bezeichnet im Islam die Ablehnung des Glaubens an Allah, die Leugnung der Prophetie Mohammeds und des Koran als Gottes Offenbarung. Ein solcher „Ungläubiger“ ist ein Kāfir (Plural: kuffār und kāfirūn). Folglich werden auch die Anhänger anderer monotheistischer Religionen – Juden und Christen – als kāfir/kuffār bezeichnet.
9Mudschahid („derjenige, der Heiligen Kampf betreibt“, pl. Mudschaheddin) ist von „Dschihad“ abgeleitet und bezeichnet allgemein jemanden, der sich um die Verbreitung oder Verteidigung des Islam bemüht.
10Ungläubige - Der Islam betrachtet sich als „überlegene Religion“ und befielt den Muslimen, den Ungläubigen gegenüber „herablassend und hart“ zu sein. Lies dazu die „Fatwa“ (Islamische Rechtsauskunft), wie der Islam die Ungläubigen ansieht (siehe Seite 312).
11Imam ist ein arabischer Begriff mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen. Im Koran hat er die Bedeutung von „Vorsteher, Vorbild, Richtschnur, Anführer“. In der klassisch-islamischen Staatstheorie bezeichnet er das religiös-politische Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft in Nachfolge des Propheten Mohammad. Daneben wird auch der Vorbeter beim Ritualgebet Imam genannt. Schließlich wird der Begriff als Ehrentitel für herausragende muslimische Gelehrte und Persönlichkeiten verwendet.
12 Auszug aus der Predigt Sheich Isma'il Aal Ghadwan, die er in der Sheik 'Ijlin Moschee in Gaza hielt (Quelle: Fernsehübertragung der palästinensischen Autonomiebehörde am 17.8.2001)
Als Klaus 1953 im niedersächsischen Heidestädtchen Lönshausen geboren wurde, war er das vierte Kind seiner Eltern, die 1945 vor den anrückenden Russen aus Striegau geflohen waren. Sein älterer Bruder Georg war damals bereits acht Jahre alt und die beiden Schwestern Elisabeth und Editha waren fünf und drei.
Das erste Mal seit dem verlorenen Krieg reiste mit Konrad Adenauer in diesen Tagen ein deutscher Bundeskanzler zum ehemaligen Kriegsgegner in die USA. Der Bundestag verabschiedete damals das deutschisraelische Widergutmachungsabkommen – als ob man die Ermordung von mindestens sechs Millionen Juden jemals wieder gut machen könnte. Außerdem erhoben sich zu dieser Zeit die Menschen im benachbarten Arbeiter- und Bauernstaat DDR, wie sich die sowjetisch besetzte Zone seit 1949 nannte. Ihr Aufbegehren wurde allerdings sehr schnell und brutal durch die Panzer ihrer sowjetischen Freunde plattgewalzt. Als dann bereits zwei Monate später der Genosse Stalin seinen ersten erfolgreichen Wasserstoffbombentest durchführte, sprachen in Lönshausen viele davon, dass es erneut Krieg geben würde.
In dieser unruhigen und gespannten Atmosphäre lebten die Weynreichs als sechsköpfige Flüchtlingsfamilie in einer finsteren und feuchten Kellerwohnung auf dem Bauhof von Vater Karls Chef. Die meisten Einheimischen mochten die zugewanderten Vertriebenen aus dem Osten nicht besonders, denn es war nach dem Krieg nicht leicht gewesen, für sie in Lönshausen zusätzlichen Wohnraum zu schaffen. Infolge der Kriegseinwirkungen waren damals immerhin 243 Wohnhäuser total zerstört und 94 schwer beschädigt worden.
Bereits im Oktober 1945 hatte man der Stadtverwaltung mitgeteilt, dass sie mit der Aufnahme von etwa 1800 Flüchtlingen und Vertriebenen zu rechnen habe. Karl war dann im November 1945 mit seiner hochschwangeren Frau und 325 weiteren Personen im ersten Flüchtlingstreck am Lönshausener Bahnhof eingetroffen und hatte recht schnell über einen Bekannten Arbeit als LKW-Fahrer gefunden. Zu dieser Zeit befanden sich bereits 532 Evakuierte in Lönshausen. Das waren Menschen, die in den großen Städten Westdeutschlands durch Bombenangriffe ihre Wohnung verloren- und nun in Lönshausen Unterkunft gesucht- und gefunden hatten. Hinzu waren im Laufe des Sommers die sogenannten B-Soldaten gekommen, die infolge der Besetzung ihrer Heimat durch Russen und Polen nicht nach Hause zurückkehren konnten. Im Februar 1946 zählte man in Lönshausen noch immer 265 von ihnen, überwiegend tüchtige Menschen, die meist bei den Landwirten in der Umgebung untergekommen waren.
So schlug sich Karl in diesen Jahren mehr schlecht als recht durch und versuchte in der folgenden Zeit für seine Familie eine Zukunftsperspektive zu schaffen. Eigentlich hatte das Leben den armen Kerl so richtig beschissen:
Es hieß, dass seine Familie vor dem Krieg in der schlesischen Kleinstadt Striegau hoch angesehen war. Der Großvater, den Klaus nur aus Erzählungen kannte, war einst als beamteter Justizsekretär ein angesehener Mann und gehörte zur gehobenen Gesellschaftsschicht der Stadt. Als damals, am 13. Februar 1945, die Rote Armee Striegau eroberte, kam es nach Beendigung der Kampfhandlungen zu zahlreichen Plünderungen und Gewaltakten gegen die Bevölkerung, in deren Verlauf auch der Großvater erschossen wurde. Walter war sein Name gewesen; Opa Walter. Es hieß, dass er eine starke Persönlichkeit war, der die Weichen für eine solide Zukunft seiner fünf Jungs rechtzeitig gestellt hatte. Nicht nur, dass er im Laufe der Jahre für jeden von ihnen ein Haus in Striegau erworben hatte, nein, er hatte auch für alle fünf die Ausbildung geplant und vorbereitet: Der Älteste sollte als Arzt erfolgreich sein, einer als Lehrer, der Dritte als Konditormeister, der Vierte als Rechtsanwalt und Karl, Klaus Vater, der sollte in Striegau einen Autohandel mit Werkstatt aufbauen. Opa Walter glaubte damals ziemlich fest an eine große Zukunft des Automobils und deshalb schickte er Sohn Karl in eine Kfz-Mechaniker-Lehre. Diese Pläne wurden durch den Krieg jedoch einigermaßen durcheinander gebracht. Seine Jungs mussten nämlich allesamt in die Großdeutsche Armee eintreten. Sie sollten dort einem Wahnsinnigen bei der Eroberung von Lebensraum im Osten für die deutschen Herrenmenschen zur Hand gehen. Karl wurde als „Kfz-Fritze“ in der Nazi-Armee Schirrmeister und schaffte es tatsächlich, den Krieg zu überleben. Der Traum von einer Karriere als Kfz-Unternehmer in Striegau war allerdings spätestens 1945 zerplatzt, denn als Flüchtling, mit einer Vergangenheit als Berufssoldat in der Naziarmee, konnte man in der neuen Bundesrepublik nicht unbedingt punkten.
Klaus Vater Karl selbst war, buchstäblich im allerletzten Moment, auf dem kleinen Dampfschiff ‚Pickhuben‘ der Hamburger Reederei Gehrckens in den Westen entkommen und schlug sich in den Harz durch. Die Familie hatte vereinbart, dass man sich in Blankenburg treffen wollte, um dann gemeinsam zu sehen, wie es weitergehen würde. Dort wurden Karl und seine schwangere Frau dann einem Flüchtlingstreck zugeteilt, der die Menschen per Bahn in eine Kleinstadt namens Lönshausen brachte, die nur wenige Kilometer südwestlich der Hansestadt Hamburg lag. Während der alliierten Operation Gomorrha13 hatte es auch in Lönshausen zahlreiche Bombentreffer gegeben und viele Häuser wurden vernichtet, oder brannten aus.
Dann, nur wenige Wochen vor Kriegsende, zerstörte ein weiterer Luftangriff den Südflügel- und einen beträchtlichen Teil der Gleisanlagen des örtlichen Bahnhofs. Dabei wurde auch ein auf einem Abstellgleis stehender Güterzug getroffen, der voller KZ-Häftlinge war. Man hatte sie aus den Lagern im Osten vor den heranrückenden Russen ins Reich verlegt und wollte sie eigentlich nach Bergen Belsen14 bringen, um sie dort zu ermorden. Viele von ihnen konnten sich damals aus dem zerstörten Zug befreien und flüchteten im Durcheinander des brennenden Bahnhofsgebäudes in die umliegenden Gärten und in den nahen Stadtwald. Mehr als hundert Lönshausener NSDAP-Parteigenossen beteiligten sich daraufhin an der mehrere Tage dauernden Menschenjagd, bei der die meisten der verängstigten und völlig ausgemergelten Flüchtlinge umgebracht wurden.
Kurz nach Kriegsende lebten ungefähr vierzigtausend Menschen in der von Flüchtlingen völlig überfüllten Stadt, durch die sich der kleine Fluss Oehre schlängelte. Auch Vaters Bruder Paul und dessen Mutter, Oma Kläre, hatten sich inzwischen hier niedergelassen. Klaus lächelte. Dort, in Lönshausen, in jener Kellerwohnung wurde er 1953 geboren und dort, in Lönshausen, lernte er als Neunzehnjähriger auch seine große Liebe Irene kennen.
Als er dann mit einundzwanzig endlich volljährig wurde, heirateten die beiden und im Laufe der Jahre gebar ihm Irene drei Kinder – zwei Mädchen und einen Jungen. Er bemühte sich wirklich, seiner Frau ein besserer Ehemann zu sein, als es sein Vater für die Mutter war. Auch wollte er den Kindern ein liebevollerer Vater sein, als er den eigenen erlebt hatte. Einige Jahre gelang ihm das ganz gut, als dann allerdings seine kleine Firma in den wirtschaftlichen Konkurs ging und in der Folge das hart erarbeitete Eigenheim zwangsversteigert wurde, lief sein Leben irgendwie aus dem Ruder. Klaus fühlte er sich auf der ganzen Linie als Versager. Irene und er verließen Lönshausen – nur weg von den vielen kleinen Gehässigkeiten, dem Getuschel und Getratsche, der Häme und Schadenfreude. Weder seine Frau, noch er selbst wollten das damals weiter ertragen und auch für die Kinder war diese Zeit bestimmt kein Zuckerschlecken. Er schämte sich so sehr. Das Arbeiterkind Klaus Weynreich hatte Unternehmer gespielt und war ziemlich unsanft auf die Schnauze gefallen. Das hatten sie ja alle schon lange vorher gewusst und letztendlich musste es ja so kommen: Ausgerechnet Klaus, der Junge von diesem Habenichts Karl Weynreich. Ausgerechnet der!
So lebten sie die ersten Jahre nach der Pleite in Hannover, in einem dieser sogenannten sozialen Brennpunkte: Sozialwohnung, dreizehnter Stock, vier Zimmer, Schimmel an den Wänden, ein Fahrstuhl der entweder vollgekotzt- oder außer Betrieb war – immerhin gab es einen Balkon. Abgerundet wurde das Gesamtbild durch besoffene Nachbarn, Nutten die ihren Geschäften nachgingen, Arbeitslose, die den ganzen Tag vor dem Hauseingang herumhingen und ein Bier nach dem anderen in sich hineinschütteten, Jugendgangs, denen nichts und niemand heilig war und Polizisten die immer wieder irgendwelche Ehestreitigkeiten schlichten mussten. Für Klaus und Irene war es nicht einfach, ihre Kleinen in solch einem Umfeld aufwachsen zu sehen und sie wollten unbedingt wieder auf die Beine kommen – unbedingt! So waren die beiden denn auch eine der Ersten, die 1999, als die neue Insolvenzordnung in Kraft trat, ein Verbraucherinsolvenzverfahren beantragten. Durch dieses Verfahren wurde ihnen nach Ablauf von sechs Jahren eine sogenannte Restschuldbefreiung in Aussicht gestellt. Das bedeutete, dass sie die Chance für einen schuldenfreien Neuanfang erhalten würden.
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Einige Jahre später, die Kinder waren inzwischen alle über zwanzig und standen auf eigenen Füßen, hatte Klaus Arbeit bei einer Firma für Event und Veranstaltungstechnik gefunden. Sein Chef, ein gläubiger Christ, hatte ihn trotz Insolvenz und Lohnpfändung eingestellt. Sehr schnell erkannte dieser den Ehrgeiz des neuen Mitarbeiters und machte ihn schon bald zum Vorarbeiter. Das Betriebsklima war ausgesprochen angenehm und Klaus fühlte sich dort sehr wohl. Gelegentlich, wenn es zu Hause mal wieder aus irgendeinem Grund einen finanziellen Engpass gab, war es sogar vorgekommen, dass er einen unbeschrifteten Briefumschlag auf seinem Schreibtisch fand, in dem ein Geldschein nebst einer kleinen Karte mit einem Bibelvers steckten…
Was war das für eine Freude, als dann im Frühjahr 2005 das Insolvenzverfahren abgeschlossen- und seine Schufa-Auskunft zwei Jahre später endlich wieder sauber war. Er hatte darauf mit seiner Irene eine Flasche Sekt geleert und sie liebten sich an diesem Abend so leidenschaftlich, wie lange nicht mehr. Klaus lag hinterher noch lange wach in seinem Bett und dachte nach: Vielleicht gab es ja tatsächlich diesen Gott, von dem sein Chef so überzeugt war? Vielleicht passte der ja wirklich auf ihn auf und würde alles zum Guten wenden? Jetzt, wo die Lohnpfändungen endlich wegfielen und er sein volles Gehalt ausgezahlt bekommen würde, könnte er mit Irene ganz neu durchstarten. Bereits wenige Tage später hatten die beiden mit der Suche nach einer neuen Wohnung begonnen und schon kurz darauf zogen sie in ein deutlich besseres Viertel der Landeshauptstadt um. Nun konnten sie sich ab und zu auch wieder mal etwas außer der Reihe leisten und planten sogar eine Urlaubsreise nach Norwegen.
13Operation Gomorrha war der militärische Codename für eine Serie von Luftangriffen, die vom Bomber Command der Royal Air Force und der Eighth Air Force der USAAF im Zweiten Weltkrieg vom 25. Juli bis 3. August 1943 auf Hamburg ausgeführt wurden. Es waren die bis dahin schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges. Befohlen wurden diese Angriffe von Luftmarschall Arthur Harris, dem Oberbefehlshaber des Britischen Bomber Command, rechtlich basierend auf der Area Bombing Directive, 14. Feb. 1942 - Ziel des „moral bombing“.
14 Das Konzentrationslager Bergen-Belsen war ein nationalsozialistisches deutsches KZ im Ortsteil Belsen der Gemeinde Bergen im Kreis Celle (heute Niedersachsen).
In den folgenden Monaten entwickelte sich alles sehr gut. Während sich sein Chef auf den Besuch des bevorstehenden Evangelischen Kirchentages in Köln vorbereitete, setzte der Bundestag, trotz heftigen Widerstands der Gewerkschaften, die Rente mit 67 durch und beschloss die Entsendung deutscher Tornado-Kampfflugzeuge nach Afghanistan. In den Nachrichten berichteten sie daraufhin über im Internet aufgetauchte Terrorwarnungen der „al-Qaida“15, die Klaus allerdings nicht wirklich ernstnehmen wollte. Bisher hatte es in Deutschland keine nennenswerten Anschläge von Muslimen gegeben und die Behörden wiegten die Bevölkerung in Sicherheit.
„Die Szene werde genauestens beobachtet“, hieß es in den behördlichen Verlautbarungen. Seit den 1990er Jahren versuchte man dann allerdings von offizieller Seite den langsam sichtbar werdenden Konflikt zwischen dem Islam und der freiheitlichen Werteordnung der westlichen Welt unter Kontrolle zu halten, indem man begann von „Islamismus“, „Islamischem Fundamentalismus“ und von „Politischem Islam“16 zu sprechen. So wollte man dem einfachen Bürger suggerieren, dass der „eigentliche Islam“ ja friedliebend und gut sei. Heute wusste Klaus, dass das eine verhängnisvolle Lüge war17, die für sein Leben katastrophale Folgen haben würde.
Es war genau in dieser Zeit, dass er in der Firma immer häufiger mit einem der Kollegen ins Gespräch kam. Friedrich Neumann war Deutscher wie er, doch Friedrich war anders. Besonders, was die aktuelle politische Lage anging, schien er sehr interessiert und bestens informiert zu sein. Über die Auseinandersetzung der Palästinenser mit Israel, den Krieg in Afghanistan und im Irak zum Beispiel, sowie über die Absichten Amerikas und Europas: Er hatte zu all diesen Themen eine ganz andere Meinung als die meisten, die Klaus sonst so kannte. Für ihn waren die Anhänger von al-Qaida keine Terroristen, sondern Freiheitskämpfer und Glaubenskrieger!
Von ihm bekam Klaus dann auch irgendwann mal eine DVD mit einem Dokumentarfilm18, der eindeutig bewies, dass die Amerikaner die Twin Towers in New York am 11. September 2001 selbst zerstörten, um so einen Grund zu bekommen, in Afghanistan und im Irak einzumarschieren. Dort, so resümierte der Film, gehe es ausschließlich darum, die Ölinteressen des Westens mit Gewalt durchzusetzen. Klaus entschloss sich damals, diese Botschaft in Zukunft als Wahrheit zu betrachten und begann, dem Gesehenen Glauben zu schenken. Hatte er doch schon immer vermutet, dass den Amis nicht zu trauen ist…
Tage später, als die beiden wieder einmal zusammenarbeiteten, brachte Friedrich das Gespräch auf die drei großen Weltreligionen: Gott habe sich zuerst die Juden auserwählt, als die aber seinen Ansprüchen nicht gerecht wurden, habe er sie verworfen und sich den Christen zugewandt. Doch auch die hätten es irgendwann ‚versaut‘ und so schickte Gott – der im arabischen übrigens Allah genannt werde19 – dann schließlich eine neue Botschaft, nämlich den Koran, sozusagen als allerletzte Chance für die Menschen. Als Kontaktperson wählte Allah den Propheten Mohamed aus, der den Menschen Allahs Willen zu überbringen hatte.
Klaus war erneut vom offensichtlich sehr fundierten Wissen seines Kollegen tief beeindruckt.
„ Wenn du das so erzählst, dann passt da irgendwie alles logisch zusammen. Alles ist irgendwie einfach, nachvollziehbar und verständlich“, sagte er bewundernd.
„Genau deshalb bin ich auch Muslim geworden. Hab´s nur keinem erzählt“, sagte der Kollege und fuhr fort:
„Mein islamischer Name ist Hakim Halil. Hakim bedeutet ‚Weiser‘ und Halil ‚enger Freund‘. Solltest du aber wirklich für dich behalten. Geht ja auch keinen etwas an.“
Hakim alias Friedrich steckte ihm an diesem Tag, zum Feierabend, wortlos eine kleine Hochglanzbroschüre mit dem Titel „Warum wurden wir erschaffen“ zu. Es war eine sogenannte Aufklärungsschrift über den Islam.