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Olga Bicos

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Beschreibung

Eine Liebe für die Ewigkeit: Der fesselnde Zeitreiseroman »Jetzt und für immer« von Olga Bicos jetzt als eBook bei dotbooks. Rätselhafte Erinnerungsbruchstücke und schlaflose Nächte quälen die junge Chloe – bis sie eine Hypnosetherapie beginnt, die ihr Leben für immer verändern wird. Während der Hypnose findet Chloe sich plötzlich im London des Jahres 1882 wieder, wo die Abenteuer nur auf sie zu warten scheinen – und ebenso ein geheimnisvoller Fremder, dessen Küsse sich so herrlich echt anfühlen. Als sie nach dem Erwachen einem Mann begegnet, der dem charmanten Fremden wie aus dem Gesicht geschnitten ist, beginnt Chloe allmählich an Schicksal zu glauben. Aber sind ihre Gefühle füreinander stärker als die Grenzen der Zeit? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Das große Romantik-Highlight »Jetzt und für immer« von Erfolgsautorin Olga Bicos wird alle Fans von »Outlander« und Tanja Neise begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 760

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Über dieses Buch:

Rätselhafte Erinnerungsbruchstücke und schlaflose Nächte quälen die junge Chloe – bis sie eine Hypnosetherapie beginnt, die ihr Leben für immer verändern wird. Während der Hypnose findet Chloe sich plötzlich im London des Jahres 1882 wieder, wo die Abenteuer nur auf sie zu warten scheinen – und ebenso ein geheimnisvoller Fremder, dessen Küsse sich so herrlich echt anfühlen. Als sie nach dem Erwachen einem Mann begegnet, der dem charmanten Fremden wie aus dem Gesicht geschnitten ist, beginnt Chloe allmählich an Schicksal zu glauben. Aber sind ihre Gefühle füreinander stärker als die Grenzen der Zeit?

Über die Autorin:

Olga Bicos wurde in Havanna geboren, studierte Jura in Berkley und arbeitete als Firmenanwältin in einem Medienunternehmen in Los Angeles, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Abenteuerlustig und weit gereist, lebt sie heute mit ihrer Familie in Kalifornien. Für ihre gefährlich-charmanten Helden wurde Olga Bicos für den begehrten K.I.S.S. Award der Romantic Times nominiert.

Von Olga Bicos erscheinen bei dotbooks auch die Romane Die Farbe der Kaktusblüte und Die Liebe des Lords sowie die Hot-Romance-Highlights Fever – Zärtlicher Tod, Fever – Eiskalter Kuss und Passion – Süßes Verlangen.

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eBook-Neuausgabe Mai 2018, September 2023

Dieses Buch erschien außerdem 2019 unter dem Titel Die Lady und der Gentleman bei dotbooks.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1996 bei Olga Gonzales-Bicos

Published by Arrangement with Olga Gonzalez-Bicos

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel Wrapped in Wishes bei Zebra Books, Kensington Publishing Corp., New York.

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2000 bei Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Bertelsmann GmbH

Copyright © der Neuausgaben 2018, 2019, 2023 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock.com/Songquuan und Shutterstock.com/Tarzhanova

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-310-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Olga Bicos

Jetzt und für immer

Roman

Aus dem Amerikanischen von Elke Iheukumere

dotbooks.

18. MÄRZ DER ERSTE TAG

Was könnte deutlicher sichtbar sein in der menschlichen Evolution? Bedenke, dass der Mensch, um zu überleben, enorme Taten vollbringt. Vielleicht sogar die, Zeit und Raum zu überwinden; um zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort gegen das Böse zu kämpfen.

The Giving Place, von Rachel Dunn

Kapitel 1

Samstag, 18. März, 4:20 Uhr. Chloe befindet sich in einer tiefen Trance. Hat gut reagiert, als ich rückwärts zählte und sie gebeten habe, sich zu entspannen. Muss daran denken, bei der nächsten Sitzung die gleiche Technik anzuwenden. Ich bin sicher, dies ist die tiefste Hypnose, in die ich je einen Patienten versetzen konnte.

Die Spitze des Filzstiftes kratzte über die Seiten des Notizbuches. Auf der anderen Seite des Zimmers lag Dr. Sarah Carmichaels Patientin rücklings auf der abgewetzten Ledercouch, eine gehäkelte Decke bis unterm Kinn. Die abgebissenen Fingernägel einer Hand krallten sich in die Fransen. Die andere lag entspannt da, mit der geöffneten Handfläche nach oben auf den gehäkelten Quadraten der Decke.

Vor sechs Wochen war Chloe Plum, eine Dozentin für das juristische Grundstudium an der Tulane Universität, zu Sarah gekommen, hier in ihre Wohnung im French Quarter. Auch wenn Sarah Carmichael schon im Ruhestand war, so behandelte sie doch ab und zu noch Patienten wie Chloe, die unter schwerer Schlaflosigkeit litt.

Sarah blätterte die Seiten ihres Notizbuches durch und beobachtete, wie sich die Brust ihrer Patientin gleichmäßig hob und senkte, in einem Rhythmus, der die Tiefe ihrer Trance anzeigte. Sie dachte wieder an Chloes Zweifel wegen der Hypnotherapie. »Um ehrlich zu sein, ich kann mir gar nicht vorstellen, mich selbst dabei zu beobachten, wie ich in die Hypnose eintauche«, hatte Chloe zugegeben. Sie hatte bis zu ihrer sechsten Sitzung mit diesem Versuch gewartet.

Sarah lächelte bei der Erinnerung. Manchmal waren die zögerlichsten Patienten die geeignetsten – als würden sie ihre eigene Verletzlichkeit fühlen und sich vor dem Weg in das Unterbewusstsein fürchten.

Ich werde Chloe jetzt in ihr Haus des Friedens führen, kritzelte Sarah in ihr Notizbuch. Sie setzte sich gerade, stellte beide Beine auf den Boden und strich sich eine Locke ihres mit grauen Strähnen durchsetzten Haars aus dem Gesicht, dann beugte sie sich in ihrem Lehnstuhl vor. Noch einmal schrieb sie ein paar Worte in ihr Notizbuch. Habe das Gefühl ... es werden interessante Dinge passieren.

»Also gut. Dann wollen wir mal!« Erregung erwachte in Sarah – eine heiße, wohl bekannte Energie. Herrje, wie sehr sie den Ruhestand hasste. »Kannst du mich hören, Chloe?«

Ihre Patientin runzelte die Stirn. Chloe hatte ganz besonders feine Züge – eine Stupsnase, leichte Sommersprossen, arglose goldbraune Augen, eingerahmt von einem blonden Pagenschnitt. Sehr hübsch sah sie aus und mindestens zehn Jahre jünger als die fünfunddreißig Jahre, die sie zählte. Ihre zierlichen Formen schienen in den Leggins und dem übergroßen T-Shirt, das sie trug, beinahe puppenhaft zu sein.

»Chloe? Bitte antworte mir. Kannst du mich hören?«, drängte Sarah.

»Ja.« Es kam nur wie ein schläfriges Flüstern heraus.

»Ich werde dich in dein Haus des Friedens führen. Magst du mir beschreiben, wie dieses Haus aussieht? Gibt es Bilder an den Wänden? Ich möchte, dass du dir jede Einzelheit ansiehst ... dass du richtig darin herumwanderst.«

Dies alles gehörte zu der Übung, Chloe an einen friedlichen Ort in ihr selbst zu bringen, wo sie nach den Ursachen ihrer Schlaflosigkeit suchen konnte. Sie war kein leichter Fall. Ihre Schlaflosigkeit hatte nach der Fehlgeburt einer überraschenden – aber sehr ersehnten – Schwangerschaft begonnen. Und wenn auch diese Tatsache selbst schon entsetzlich genug gewesen war, so hatte Chloe nach der Fehlgeburt auch noch erfahren, dass sie nie ein Kind würde zur Welt bringen können – sie litt unter einer angeborenen Missbildung des Uterus. Und damit war ihr Leid noch nicht zu Ende gewesen. Nach nur wenigen Wochen stellte sie fest, dass ihr Verlobter, ebenfalls Dozent in Tulane, eine Affäre hatte mit einer seiner Studentinnen.

Chloe reagierte auf all das, in dem sie den Kummer tief in sich verschloss, ihn dort versteckte, wo er ihr nichts tun konnte. »Ich bin bereit, mein Leben weiterzuleben«, hatte sie Sarah erklärt. »Die Vergangenheit habe ich hinter mir gelassen.« Aber Sarah glaubte, dass Chloes Schlaflosigkeit noch auf etwas ganz anderes wies, und erst kürzlich hatte ein noch erschreckenderer Vorfall Chloe dazu gebracht, Hilfe zu suchen.

In der letzten Nacht hatte Chloe ein Baby weinen gehört. Leises, klagendes Weinen, das von nirgendwoher zu kommen schien.

»Chloe? Dein Haus des Friedens? Bitte beschreibe es mir.«

Auf dem Couchtisch zwischen der Patientin und der Ärztin lag ein blaues, in Folie eingeschlagenes Buch, The Giving Place, leuchtete der Titel in einem Strahl des Sonnenlichtes auf, das durch die Jalousien der Terrassentür fiel. Chloe bewegte sich auf der Couch. Ihr Mund öffnete sich. Sie versuchte zu sprechen. Die Augenlider flatterten im Rhythmus des REM-Schlafes.

»Nein. Nein, bitte! Lieber Gott«, flüsterte sie.

Sarah legte den Stift beiseite und war sofort auf der Hut. Sie achtete immer streng darauf, ihre Patienten vorsichtig in ihr Unterbewusstsein zu führen. Noch nie hatte es einen unangenehmen Zwischenfall gegeben. Und das Trauma, das sich in ihren Patienten verbarg, erschien nur sehr selten zu früh, das heißt noch ehe der Patient bereit war, sich den Problemen zu stellen, die der tiefe Schlaf ihm offenbarte.

Auf der anderen Seite des Zimmers begann Chloe, den Kopf auf dem Sofakissen hin und her zu werfen. »Sarah?«

»Ich bin hier, Chloe«, versicherte Sarah ihr. Noch nie zuvor hatte ein Patient in einem so klagenden Ton gesprochen. »Denke daran, das ist dein Haus des Friedens. Nichts kann dir dort geschehen. Du bist in Sicherheit.«

Auf der Couch begann Chloe mit den Beinen zu strampeln. Schon bald trat sie mit den Füßen gegen das, was sie als Hindernis empfand; wild schlugen ihre Arme und Beine gegen die Decke, sie kämpfte dagegen an, schob die Hülle beiseite. Als ihre Hände frei waren, griff sie sich an den Hals.

Ein entsetzliches, kehlig klingendes Geräusch – als würde sie ersticken – drang aus ihrem Mund. Sie würgte und rang nach Atem.

Das Notizbuch fiel zu Boden. Sarah sprang von ihrem Stuhl und griff nach der Frau auf der Couch. Mit einem kräftigen Stoß bog Chloe ihren Körper in die Kissen. Sie röchelte wie im Todeskampf.

»Chloe, um Himmels willen! Hör mir zu!« Sarah packte ihre Patientin an den Schultern und versuchte, ihren sich aufbäumenden Körper zu stützen. »Ich zähle bis drei, dann wirst du aufwachen. Du wirst gleich hier sein, auf der Couch. In Sicherheit!«

Ein weiteres Mal bäumte sich Chloes Körper auf, sie hätte Sarah fast von sich gestoßen, die sich mühte, sie festzuhalten. Chloes Finger gingen zu ihrem Hals, als wehrte sie sich gegen eine unsichtbare Umklammerung.

»Eins!« Sarah schmeckte die Furcht wie Galle in ihrem Mund. Dies durfte eigentlich nicht passieren. Noch nie war es in einer Sitzung vorgekommen, dass alles ihrer Kontrolle entglitt. Der reinste Albtraum! »Zwei!«

Kleine Blutstropfen traten aus den Kratzern an Chloes Hals. Ihre Augen waren geschlossen, der Mund stand offen. Sie atmete schwer, keuchend sog sie die Luft ein. Sie kämpfte um jeden Atemzug.

»Drei!«

Chloe sank in die Kissen zurück.

Sie atmete nicht mehr.

»Oh, lieber Gott. Um Himmels willen!« Sarah setzte sich rittlings über Chloes Körper. Sie legte Chloes Kopf zurück und öffnete ihren Mund. Sie atmete zwei Mal schnell in sie hinein und lauschte dann auf ihren Herzschlag oder einen Atemzug von ihr. Kein Lebenszeichen. Als sie nichts vernahm, begann sie mit der Wiederbelebung. Sie presste ihren Mund auf den von Chloe, drückte die gespreizten Hände auf Chloes Brust. »Wach auf! Oh, bitte, lass das nicht geschehen. Wach auf!«

Die Gestalt auf der Couch fuhr kerzengerade hoch. Mit unglaublicher Kraft schob Chloe Sarah auf den Boden, die Häkeldecke flog in einem Wirbel von Farben hinter ihr her. Sarah kroch auf Knien näher und starrte ihre Patientin auf der Couch an.

Chloes Augen waren weit aufgerissen, sie hatten die Farbe von Honig und glänzten. Sie sah Sarah direkt an, ihr Atem ging normal. Perfekt. Sie blinzelte nicht. Ihre Augen blieben starr, gefangen in der Trance.

»Sarah?« Das einzelne Wort klang rau, total erschöpft. Dann wiederholte sie mit neuer Kraft. »Sarah! Ich flehe dich an. Sarah, hilf mir!«

Chloe glaubte, sie würde sterben.

Etwas – jemand – erdrosselte sie. Sie konnte nicht erkennen, wer es war, sah einfach nichts. Aber sie spürte diese Finger, die sich um ihren Hals schlossen. Und sie hätte schwören können, dass sie ein Lachen hörte – ein Mann lachte, während sie um ihren letzten Atemzug rang.

Nein. Nein, bitte! Lieber Gott!

Plötzlich begann sie zu fallen, sie glitt in ein Loch, in ein Nichts. Es war, als wäre der Sitz aus einer Achterbahn unter ihr verschwunden, und sie schwebte in der Leere, eine unendliche Sekunde lang, während ihr Magen sich langsam wieder beruhigte. Ihre Hände waren taub. Sie fühlten sich schwer an und prickelten. Ihr Hals schmerzte. Doch der Würgegriff war verschwunden. Sie konnte wieder atmen.

Chloe versuchte zu sprechen, bekam aber die Augen nicht auf. Sie dachte an Sarah. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war die Couch mit den großen Kissen, wovon aus sie das Buch auf dem Couchtisch anstarrte – eine riesige blaue Wand mit den Worten The Giving Place in leuchtendem Gold. Und dann war alles um sie herum schwarz geworden.

Die Zeit schien stillgestanden zu sein, ehe die Achterbahn aufgehört hatte zu fahren. Zeit, oder der Mangel daran, zählte nicht, nur die Tatsache, dass sie die Finger bewegen konnte. Dass sie wieder Luft bekam.

Chloe öffnete die Augen.

Sie lag auf dem Boden, ihre Wange presste sich gegen staubige Dielenbretter, die nach Schimmel rochen. Ihr Hals schmerzte, es fiel ihr schwer zu atmen. Sie stützte sich auf die Hände und blickte hoch. Genau vor ihrer Nase befand sich eine breite, gewundene Treppe aus glänzendem Eichenholz.

Es war so, als hätte man im Fernsehapparat die Kanäle vertauscht, nur dass hier offensichtlich jemand anders die Kontrolle hatte. In einem Augenblick noch glaubte sie, eine Seifenoper zu betrachten, die sie jeden Tag ansah, und dann, zack! lief eine Wiederholung von Wuthering Heights. So sah dieses Haus aus. Alt. Viktorianisch.

Diese Umgebung kannte sie nicht. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Die Orientierungslosigkeit gab ihr das Gefühl, erneut das Bewusstsein zu verlieren.

»Sarah?«, krächzte sie. Die Wände warfen das Echo zurück. Einsam und klagend.

Sie stand vom Boden auf, unsicher kam sie auf die Beine. Beinahe wäre sie über ihren Rock gestolpert, dann stellte sie plötzlich fest, dass sie ein altmodisches Kleid trug. Ein Kleid? Wie alles in dem Raum sah auch das Kleid aus, als stamme es aus dem neunzehnten Jahrhundert. Und es saß sehr eng. Sie glaubte, dass sie deshalb kaum atmen konnte. Ganz sicher trug sie ein Korsett.

»Sarah!« Panik kroch ihr den Rücken hinauf und drohte, nach ihrem Herzen zu greifen. »Erbarmen! Sarah, hilf mir!«

Und dann klärte sich alles. Das sprichwörtliche Licht ging ihr auf. Sie rang nach Atem und schob die Panik beiseite, als die Situation plötzlich einen Sinn ergab.

Langsam begriff sie, was geschehen und wo sie hingelangt war.

Sie hatte Sarahs Haus des Friedens erreicht.

Der Gedanke, dass sie hypnotisiert werden konnte, wenn sie sich nicht einmal besonders darauf konzentrierte, ließ sie auflachen. Das Geräusch löste sich aus ihrer Brust, kam unbesonnen aus ihrem Mund, wurde von den Wänden zurückgeworfen und floh die Treppe hinauf. Sie war in einer Art Flur, umgeben von dunklen, holzgetäfelten Wänden. Porträts hingen an goldenen Kordeln von der Decke, eine Mode, der man im letzten Jahrhundert üblicherweise frönte.

»Sarah. Ich bin nicht wirklich sicher, wie du das gemacht hast – ich meine, ich kann kaum glauben, dass du dies bewirken konntest.« Sie wandte sich um und durchschritt die Diele. Ihre Stimme klang, als wäre niemand anders hier außer ihr. »Das ist also mein Haus des Friedens«, sagte sie.

Ein leises Zischen hinter ihr ließ sie herumfahren. Sie blickte zu der Gaslampe an der Wand hinter ihr, dann trat sie langsam vor, um sie genauer zu betrachten. Der Glaszylinder, der die Flamme schützte, saß auf dem Rücken einer buckligen Kreatur. Er sah aus wie ein Wasserspeier.

»Haus des Friedens, wie?« Eine Gänsehaut überzog ihre Arme, bis hinauf zu ihrem Hals. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück. »Erinnere mich daran, dass ich mir beim nächsten Mal einen besseren Innenarchitekten aussuche.«

Ihr Blick folgte einer Reihe ähnlicher Lampen, entlang des langen Flurs. Die Wasserspeier hingen auf beiden Seiten der Wände wie Wachposten. Die Türrahmen hatte jemand aus Nussbaum geschnitzt. Kreaturen mit Pferdefüßen und knurrende Greife belebten die Materie. Die Wände waren tapeziert mit einer Tapete, die einen Wald aus Dschungelgewächsen zeigte. Die gewundenen, alles verschlingenden Muster wiederholten sich in dem Teppich.

Das Ganze mündete wieder in der holzgetäfelten Diele. Hier sah alles ein wenig besser aus. Unter einem vergoldeten Spiegel stand ein kleiner Tisch, den hinteren Teil der Eingangshalle bedeckten viele Meter Vorhänge mit Plattstichstickerei. Der muffige Geruch des Alters hing in der Luft, als hätte sie ein Museum nach der Öffnungszeit betreten. Sie blickte in den ovalen Spiegel.

In dem flackernden Licht der Lampen sah sie eine Frau, die ein elegantes marineblaues Kleid trug, das sich an ihre Hüften schmiegte und dann in reichen Falten zu Boden fiel. Es war mit goldenen Kordeln besetzt und kunstvoll gefältelt. Ihr Haar bildete einen kunstvollen Turm auf dem Kopf, seitlich hingen einzelne Locken auf die Schultern.

Die Frau war Chloe.

Eine ganze Minute lang vergaß sie zu atmen. Sie stand wie gebannt vor dem Anblick ihres Spiegelbildes, eingehüllt in den schwachen Schein des Gaslichtes. In dem Spiegel wirkte sie beinahe wie ein Gemälde. Äußerst königlich, das Produkt einer romantischen, längst vergangenen Ära. Sie hätte der Gegenstand eines Porträts von van Dyck oder Gainsborough sein können.

Chloe neigte nicht dazu, sich etwas vorzumachen. In den juristischen Kursen, die sie in Tulane hielt, beklagten sich die Studenten über ihren offensichtlichen Mangel an Einfallsreichtum, wenn sie ihnen die langweiligen wissenschaftlichen Aufgaben erteilte, die die Grundlage eines juristischen Studiums bildeten. Sie versuchte sich vorzustellen, wie sie auf Sarahs Couch lag. Sie war wirklich dort; zusammen mit Sarah, die mit Hose und Polohemd bekleidet war und ruhig in ihrem Lehnstuhl saß und sich Notizen machte. Das ist doch nur Fantasie! Teil der Erfahrung der Hypnose.

Dennoch befand sie sich in einer beunruhigenden Realität. Ihrer Umgebung fehlte das Verschwommene einer Erinnerung, das Gefühl, eingehüllt zu sein, das sie verspürt hatte, als Sarah leise zählte und ihr riet, sich zu entspannen.

»Es scheint alles so wirklich zu sein«, flüsterte sie. Wenn sie einen Schritt vortrat und etwas anfasste ...

Ihre Finger pressten sich gegen das kalte Glas des Spiegels. Wo sie ihn berührte, spiegelte sich ihre Hand auf der Oberfläche.

»Das ist furchtbar eigenartig.«

Ein Hauch kalter Luft umwehte sie. Die kleinen Härchen in ihrem Nacken sträubten sich, als würde jemand sie beobachten. Chloe wirbelte herum.

Der Flur hinter ihr war leer. Das schwache Gelb der Gaslichter flackerte und brachte Bewegung in die Schatten. Nur die Porträts an der Wand starrten sie an. Dieses halbe Dutzend blasser Gesichter mit ihren aristokratischen Nasen sahen beinahe selbstgefällig aus, sicher deswegen, weil sie die einzigen Anwesenden waren.

Zum ersten Mal wurde ihr klar, dass sie Sarahs Stimme nicht mehr hörte.

»Sarah? Sarah!« Sie sagte sich, dass sie die Ruhe bewahren musste. Sie durfte nicht in Panik geraten. Panik war nicht gut. Sie machte ein paar Schritte nach vorn. »Komm schon, Sarah. Lass mich hier nicht so allein. Immerhin bezahle ich dir gutes Geld dafür.«

Keine Antwort.

Chloe stieß den Atem aus und versuchte, ihre Angst in den Griff zu bekommen. »Na schön! Ich befinde mich in einer Trance – was ich noch nie zuvor war ... vielleicht ist das nun einmal so. Und ich vertraue Sarah.« Sie dachte wieder an all die Gründe, warum sie Dr. Carmichael überhaupt ausgewählt hatte. »Sie wurde mir wärmstens empfohlen: als einfühlsam und optimistisch – garantiert würde sie sich nicht in diesem ganzen unsinnigen Freud'schen Zeug festfahren. Soweit ich weiß, ist das alles Teil der dunklen Reise ins Ich«, sagte sie und wiederholte Sarahs Worte.

Sie trat auf die lebensgroßen Porträts zu. »Seit zwei Jahren lebe ich jetzt in New Orleans. Ich habe all die alten Häuser besucht und liebe Antiquitäten.« Sicher ergab es einen Sinn, dass ihr Haus des Friedens aus dem letzten Jahrhundert stammte.

»Aber die Wasserspeier müssen weg«, spaßte sie. Es war, als würde man im Dunkeln pfeifen.

Und dann hörte sie es. Ein leises Murmeln, beinahe so, als käme es aus ihrem Kopf. Sie wandte sich um und betrachtete den Flur hinter sich, ihr Herz klopfte so laut wie bei den letzten Metern eines Marathonlaufs. Das Flüstern wurde lauter, es schien in der Luft um sie herum zu schweben, nah und dann wieder weiter weg.

Sie schüttelte den Kopf. »Hey, Sarah! Wenn das das Haus des Friedens sein soll, ist ein wenig Schlaflosigkeit dagegen ja harmlos. Ich meine, ich möchte mich nicht beklagen, aber dieser Ort hier ist unheimlich.«

Worte, beinahe verlockend verworren, kamen über den dunklen Flur auf sie zugeschwebt und verloren sich dann im Zischen der Gaslampen. Wie das Anschwellen der Gezeiten erschienen die Stimmen wieder, gefolgt von einem trillernden, musikalischen Lachen.

»Oookay! Ich verstehe. Es ist ein Test.« Sie holte ein paar Mal tief Luft, um ruhig zu bleiben. Es hatte keinen Zweck, durchzudrehen. »Ich gehe durch diese kleine geheimnisvolle Welt im Inneren meines Kopfes und – puff – wird mir klar, wie glücklich ich bin. Wie glücklich mein Leben in Wirklichkeit verläuft. Nein. Noch besser. Ich stellte mich meinen Dämonen!«

Sie presste die Hände gegen den Stoff ihres Kleides und lachte. »Erinnere mich daran, dass ich das in Zukunft sein lasse, wenn ich wieder aufgewacht bin!«

Das Geräusch von Stimmen schien aus einem Zimmer des Flurs weiter hinten zu kommen. Einen Augenblick lang lauschte sie nur, versuchte, die Worte zu verstehen. Es klang wie das leise Gemurmel von Liebenden, ständig unterbrochen von dem gleichen, neckenden weiblichen Lachen.

»Also gut«, sagte sie sich und weigerte sich, der Angst nachzugeben. Immerhin war sie bis hierher gekommen. »Ich werde gehen und diese Leute kennen lernen. Sie übermitteln mir einige wundervolle Weisheiten, wie Buddha oder der Dalai Lama. Ich wache auf, spreche mit Sarah darüber, dann gehe ich nach Hause und koche der Mannschaft das beste Essen, das sie je in ihrem Leben gekriegt haben«, sagte sie und dachte dabei an ihre Schwester, ihre Nichte und ihren Neffen. »Vielleicht gönne ich uns diese großartige Flasche Wein von der Whitehall Lane, die ich bis jetzt aufgehoben habe. Es gibt keine schlaflosen Nächte mehr, und auch keinen maßlosen Bammel vor dem Leben, vor der Zukunft.«

Aber sie wollte dieses Zimmer gar nicht betreten.

»Komm schon, Feigling«, ermahnte sie sich und ging langsam den Flur hinunter, dabei raschelte die Schleppe ihres Kleides bei jedem Schritt.

Das Gemurmel wurde lauter, dennoch war es noch immer unverständlich. Sie schlich weiter den Flur hinunter und versuchte, die angsteinflößenden koboldartigen Kreaturen unter den Lampen zu ignorieren. Aber sogar die Tapete erschien ihr unheimlich. Dunkelgrüne Dschungelranken waren ineinander verschlungen und bildeten dunkle Nischen. Chloe erwartete in jedem Augenblick, dass hinter einem der Blätter die Augen eines Raubtieres aufleuchteten.

Als sie die Tür erreicht hatte, hinter der die Stimmen erklangen, blieb sie stehen. Sie streckte die Hand aus und presste sie gegen das Holz. Es fühlte sich warm an. Ungewöhnlich warm. Die Luft im Flur war kalt.

»Aber sie ist gut und solide«, sagte sie und nahm die Hand wieder von der Tür.

Sie glaubte, die Stimme eines Mannes flüstern zu hören. »Molly«, verstand sie in dem Gemurmel. Das Kichern einer Frau folgte, alles sehr gedämpft. Es bräuchte sie nicht so zu beunruhigen. Und dennoch, vielleicht war es das Licht und die eigenartige Umgebung, die ihr eine Gänsehaut verursachten.

Sie biss sich auf die Lippe. Dann griff sie nach dem Türknauf. Ihre Finger berührten das verzierte Email. »Ich bin nicht sicher, wie die Regeln lauten bei dieser Hypnose, aber jetzt geht es los.«

Sie umfasste den Knauf fester. Drehte ihn.

Ein durchdringendes Jammern zerriss die Stille. Eine Frau schrie. Das Geräusch presste Chloe das Herz zusammen, sie riss die Hand zurück.

Die Tür flog auf. Etwas Schwarzes und Großes warf sich auf sie und riss sie zu Boden. Sie lag bewegungslos unter einem großen Körper und konnte nichts sehen.

Jetzt wusste sie nicht mehr, wer schrie, Chloe oder die Stimme dieser schrecklichen Frau. Aber sie konnte sich nicht bewegen, konnte nicht denken. Das Geschrei hüllte sie ein, schrecklich und beängstigend.

Die Last eines menschlichen Körpers drückte sie nach wie vor zu Boden. Starr vor Angst gelang es ihr trotzdem, Luft zu holen und langsam die Augen zu öffnen.

Sie hatte den flüchtigen Eindruck eines Mannes, wie ein Polaroid-Foto entwickelte sich seine Gestalt vor ihren Augen. Dunkles, gewelltes Haar hing ihm bis zu den Schultern. Er besaß eine kräftige Nase, ein Grübchen in seinem Kinn und volle Lippen, ein kantiges Gesicht, das die Schatten noch betonten. Sie schaute in ein paar dunkle Augen, die sowohl intelligent als auch gefährlich blickten.

»Guter Gott«, flüsterte der Mann, der sie festhielt. Seine Augen wurden ganz groß. »Was tun Sie denn hier!«

In einer schnellen, fließenden Bewegung umfing er sie und rollte mit ihr weg von der Tür. Ihre Körper schmiegten sich aneinander wie Liebende, schoben sich über den Teppich im Flur. Als sie anhielten, sprang er auf. Er blickte hinter sich zu der Tür, es war eine verstohlene Bewegung. Dann bückte er sich, legte seine Hand um ihr Handgelenk und zog sie auf die Beine.

Es war über einen Meter achtzig groß, überwältigend und ganz schwarz gekleidet. Mit einer Hand fuhr er sich schnell durchs Haar, sah sich suchend um. Die andere Hand legte er auf ihre Schulter. Es schien eine beinahe schützende Geste zu sein.

Ein weiteres unheimliches Jammern ertönte, diesmal noch näher.

»So viel verrückte Einfälle«, sagte er, und seine Stimme hatte einen deutlich britischen Akzent, während seine Rechte sich noch einmal um ihr Handgelenk schloss. Im gleichen Augenblick, als er nach ihr griff, hob er eine schwarze lederne Tasche vom Boden. Sie sah aus wie ein Arztkoffer. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten sich verdammt fern halten.«

Noch einen Blick warf er zurück zu dem Zimmer, in dem die unmenschlichen Schreie immer lauter wurden. Dann wandte er sich an sie direkt, seine dunklen Augen waren nicht mehr geweitet vor Überraschung, jetzt hatten sie sich entschlossen zusammengezogen.

»Nun, wir haben also keine andere Wahl.« Mit einer heftigen Bewegung zerrte er sie den Flur hinunter, beinahe hätte er ihr die Schulter ausgekugelt, als sie hinter ihm her stolperte. »Am besten Sie kommen mit!«

Kapitel 2

Sie dachte an Alice im Wunderland, die durch den Spiegel fiel. So etwas Verrücktes hatte sie bisher noch nie erlebt.

Nicht einmal meine Träume waren so eigenartig, dachte sie und stolperte hinter dem Mann her, der in einer Aufmachung steckte wie Heathcliff. Ihre eigene Kleidung machte es ihr unmöglich, mit ihm Schritt zu halten ohne zu schwanken. Aber sie war davon überzeugt, dass eine wilde Frau sie verfolgte – deshalb tat sie ihr Möglichstes, sich seinem Tempo anzupassen.

»Sarah? Sarah, hol mich hier raaaaaus!«

Chloe rannte weiter, sie wankte durch den Flur, als wäre sie die Letzte in einer ganzen Kette von Menschen, die das Peitschenspiel veranstalteten. Der Mann vor ihr hielt ihr Handgelenk noch immer umfasst. »Ich werde mich nie, nie wieder hypnotisieren lassen!«

Die Schreie hinter ihr hatten sich in ein klagendes Jammern verwandelt, das Echo tönte durch den langen Flur und holte sie ein, Woge um Woge. Chloe konnte nichts anderes tun, als dem Mann zu folgen. Sie war viel zu orientierungslos und verängstigt, um selber zu denken. Aber als ihr Führer zur Treppe lief und nicht zum Ausgang, wehrte sie sich.

»Wo gehen Sie hin?« Sie weigerte sich, die erste Stufe zu nehmen. »Das ist nicht der Weg nach draußen.«

Sehnsüchtig sah sie zur Haustür und klammerte sich an das Geländer, als er sie unbarmherzig weiter die Treppe hinaufzog. Das Jammern in dem Flur war zu einem Schluchzen geworden, unterbrochen von klagenden Schmerzensschreien. Auch wenn Chloe keine Ahnung hatte, was vor sich ging, so wusste sie doch, dass es besser wäre, das Haus zu verlassen – anstatt die im Schatten liegende Treppe zu erklimmen, die noch tiefer in diesen Albtraum führen würde.

Der Mann beabsichtigte allerdings etwas anderes. Er packte sie an den Schultern, drehte sie zu sich herum, damit sie ihn ansehen musste, und nicht die Tür und ihren Fluchtweg.

»Ich habe keine Zeit für all das!« Seine Augen hatten sich verdunkelt. Die Pupillen waren ungewöhnlich weit, als hätte er lange Zeit in der Finsternis verbracht. Sie fand, dass er aufgeregt aussah und sehr entschlossen. »Sie werden jetzt mit mir kommen oder ich überlasse Sie sich selbst.«

Wieder ertönte ein durchdringender Schrei, er wurde erstickt von einem Schluchzen und lenkte seine Wachsamkeit von ihr ab. Sein Blick richtete sich auf einen Punkt im Flur. Er fluchte leise. Noch schneller führte er sie die Stufen empor, nicht gerade sanft stieß er sie dabei vor sich her.

»Himmel, ich möchte aufwachen! Lass mich aufwachen!« Chloe schwankte über einen weiteren Teppich, ihre Gedanken waren angefüllt mit Bildern von Chaos und Mord. Hypnose oder nicht – nur Böses konnte solche Schreie hervorrufen, die noch immer von unten zu ihnen drangen. Es war ihr letzter Gedanke, ehe der Mann ihren Arm ergriff und sie in eines der Zimmer zog.

Dort fiel sie zu Boden und erwartete das Schlimmste. Sie stellte sich eine verrückte Frau vor, die den schwachen Schutz der Tür durchbrach, die sie gerade hinter sich geschlossen hatten. Und dann kam ihr noch ein ganz anderer Gedanke. Was wäre, wenn die Schreie nicht von einem Monster kamen, sondern von einem Opfer? Sie warf dem Mann einen schnellen Blick zu.

Was wäre, wenn gerade ein Mörder sie eingefangen hatte? »Bitte, Sarah! Ich habe genug«, rief sie, so laut sie konnte, während der Angreifer sich die Jacke auszog. »Lass mich aufwachen. Sofort!«

Doch anstatt sich auf sie zu stürzen, warf der Mann seine Jacke auf den nächsten Stuhl. Er trug eine Weste und begann, die Ärmel seines Hemdes aufzukrempeln; dabei schenkte er Chloe, die noch immer zusammengerollt auf dem Boden lag, keinerlei Beachtung. Jetzt erst merkte sie, dass sie sich in einer Art Wohnzimmer befanden. In dem gedämpften Licht der Gaslampen konnte sie die Umrisse einer Art Ausrüstung erkennen,

Der Mann stand hinter etwas, das auf einem Stativ thronte. Es schien eine altmodische Kamera zu sein. Er sah durch die Linse, richtete sie auf die Tür und stellte die Kamera mit den Knöpfen an der Seite ein.

»Das Haus sollte verdammt leer sein«, murmelte er ärgerlich. »Ich habe diesen dummen Hühnern erklärt, dass ich nicht für die Sicherheit von irgendjemandem außer mir selbst garantieren kann.« Er warf Chloe einen Blick zu. »Sie, meine Liebe, sind eine äußerste Plage.«

Es war der längste, zusammenhängende Satz, den er bis jetzt gesprochen hatte, dennoch erkannte Chloe, dass sie nur seine halbe Aufmerksamkeit besaß. Er war vertieft in seine Kamera, drehte sie mal in diese, mal in jene Richtung, während er das Instrument justierte. Aber seine Worte genügten, um sie feststellen zu lassen, dass er in der Tat mit britischem Akzent sprach, der einen an Privatschulen und Shakespeare denken ließ.

Chloe setzte sich am Boden auf, sie hatte nur Augen für diesen Mann und seine Ausrüstung. Ihre Schwester war Biologin – ihr Schwager ein bekannter Astrophysiker. Oft genug hatte sie sie in ihren Labors in Tulane besucht, um einen Wissenschaftler bei der Arbeit erkennen zu können.

Langsam kehrte sie auf die Füße, trat näher an eines der komischen Geräte. Sie sagte sich, dass dies so eine Art Fantasie war, die aus ihrer Trance herrührte. Vor einer Kiste mit Zifferblättern und Messinstrumenten blieb sie stehen.

»Rühren Sie das nicht an!« Der Befehl ertönte bellend, obwohl er die Augen nicht von seiner Kamera ließ. »Rühren Sie überhaupt nichts an.«

Chloe sah dem Mann zu, als er zwischen den eigenartigen Vorrichtungen hin und her lief, hier etwas verdrehte, dort etwas anders einstellte. Aus den Augenwinkeln, um ihn nicht zu stören, betrachtete sie einen bizarren Phonographen mit einer Kurbel und einem Trompetenhorn. Daneben klickte und summte eine hölzerne Kiste – die beinahe so aussah, als würde sie vom Tisch tanzen durch ihre inneren Bewegungen. Ein anderes Gerät glühte wie eine Lampe und gab ein grünliches, phosphoreszierendes Licht von sich.

Sie hatte keine Ahnung, was hier vor sich ging; doch kam sie sich ein wenig dumm vor, in einer Ecke zu hocken, während dieser Arbeitstiger durch den Raum wirbelte. Außerdem, ob er nun wirklich war oder nicht, entdeckte sie weit und breit niemanden anders, der ihr Antworten würde geben können.

»Was ist das für ein entsetzliches Geräusch?« Noch immer hörte man die verzweifelten Schreie von unten.

Er blickte durch den Sucher eines Gerätes, das eine weitere Kamera sein mochte, sie war auf ein kleines Sofa vor dem Kamin gerichtet. »Also wirklich! Sie wissen doch sicher längst von dem Geist?«

»Es gibt keine Geister«, sagte sie und trat einen Schritt vor; dabei hoffte sie inständig, dass sie Recht hatte und der unheimliche Lärm aus dem Erdgeschoss nichts mit etwas Übernatürlichem zu tun hatte. »Ich glaube nicht an Geister«, fügte sie ein wenig zögernder hinzu. Oder an Hypnose. Oder an irgendwelche anderen ...

Der Mann hielt inne und wandte sich zu ihr um. Ein besonders strahlendes Lächeln erhellte sein Gesicht und ließ ihn hübsch und jünger aussehen.

»Sie glauben nicht an Geister? Nun, dann sollte Sie dies hier interessieren.«

Er öffnete eine Taschenuhr und legte sie auf den kleinen runden Tisch neben sich. »Wenn meine Berechnungen stimmen, dann werden Sie gleich die Bekanntschaft einer gewissen Lady Elizabeth Barkley machen, die jetzt bereits seit, oh ... seit ungefähr achtzig Jahren tot ist.« Nun widmete er sich wieder seinem Vorhaben, öffnete die schwarze Tasche und suchte darin herum. Sie hörte das Klirren von Metall. »Wenn ich mich recht erinnere, ist sie eine Vorfahrin von Ihnen. Hier.«

Er warf ihr etwas zu. Aus einem Reflex heraus fing sie es auf und starrte auf einen Zylinder aus Metall mit einem Schraubdeckel.

»Machen Sie sich nützlich. Wenn Sie irgendwelches Ektoplasma sehen, nehmen Sie eine Probe davon. Ich habe die Hände voll zu tun mit diesem Gerät.« Dann wandte er sich wieder der Kamera zu. »Ektoplasma ist alles, was aussieht, als gehörte es nicht hierher. Manchmal fühlt es sich auch ein wenig glibberig an.« Chloe erhielt einen prüfenden Blick von ihm. »Sie werden doch wohl nicht etwas so Dummes tun, wie ohnmächtig zu werden, oder?«

»Ohnmächtig? Sehe ich etwa so aus, als wäre ich schon einmal in Ohnmacht gefallen ...«

»Großartig!« Wieder lächelte er, neckend und doch so strahlend, dass es Chloe traf wie eine Kugel zwischen die Augen. »Ich dachte, allein die Tatsache, dass Sie sich hierher begeben haben, zeigt, dass Sie eine gefestigte Persönlichkeit sind. Übrigens, ich habe die Absicht, Sie für dieses kleine Abenteuer hier einzuspannen, Miss Franklin. Ich habe Ihren Tanten gesagt, sie sollten ein Auge auf Sie haben.«

Zwei Dinge wurden ihr sofort klar. Was auch immer in dieser Hypnose vor sich ging, der Mann glaubte, Chloe zu kennen. Und für wen auch immer er sie hielt, irrte er sich doch gewaltig. Sie kannte niemanden mit dem Namen Franklin. Und sie hatte drei Onkel – aber keine einzige Tante.

Der Mann hielt die Hand hoch und verlangte Ruhe, noch ehe sie ihm eine Frage stellen konnte. Er drehte die Flamme der Wandlampe kleiner und stellte sich hinter sein Gerät. Der Raum versank in Schatten und in dem Grün des eigenartig phosphoreszierenden Lichts. Die Schreie kamen näher. Immer näher.

Die Tür begann zu klappern, sie bebte, als würde sie aus den Angeln gehoben. Chloe wich ein wenig zurück. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie auf irgendeinem Jahrmarkt. Kommt und seht das Spukhaus! Türen beben und klappern, anscheinend ganz von selbst! Dies hier war so sehr in Aktion wie eine Kaffeemaschine.

Und dann begann sich die Tür zu dehnen, vor ihren Augen wurde sie größer.

Sie bog sich nach innen, das Holz ächzte und schien so dehnbar wie Wachs zu sein. Eine unglaubliche Kraft drängte sich in das Zimmer, drückte sich gegen die solide Tür und veränderte ihre Struktur.

»Du liebe Zeit«, sagte sie.

Die Luft in dem Raum wurde eiskalt, die Temperatur war um mindestens fünfzehn Grad gefallen. Die Tür schimmerte, das Holz und die Verkleidung verschwammen und wurden undeutlich. Eine Gestalt, lang und blass, schien in die Oberfläche eingebettet zu sein.

Langsam entwickelte sich diese Gestalt zu einer Person. Einer Frau.

Das geisterhafte Bild verfestigte sich, schälte sich aus dem Holz und ergab eine vollständige Erscheinung – einen Geist.

Der Geist schwebte auf Chloe zu, die Frauengestalt trug Kleider, die noch viel älter aussahen als die von Chloe. Sie war sehr zierlich, ihr Gesicht so schön wie das einer Puppe. Die Spitze und die Rüschen ihres Kleides umwehten sie, sie hoben und senkten sich, als bliese ein sanfter Wind hindurch. Chloe konnte jede Einzelheit ihres herzförmigen Gesichtes erkennen, das feine Muster der belgischen Spitze ihres Kleides und ihren verzweifelten Gesichtsausdruck. Und dennoch schien sie irgendwie durchsichtig.

Das geisterhafte Antlitz rahmten Locken ein, wie das Kleid wehten sie hin und her und widersetzten sich den Gesetzen der Schwerkraft. Aber ihre Substanz verschwand an dem mit einem Bogenrand versehenen Saum ihres Kleides, es gab keine Füße, auf denen sie sich vorwärts bewegen konnte. Sie schwebte einfach, sah verloren und ziellos aus, während sie in der Mitte des Wohnzimmers ein Chor von Gewimmer umgab.

Chloe stand wie angewurzelt da. Diese Erscheinung besaß etwas unendlich Trauriges, etwas Tiefes und Beunruhigendes. Die Bedeutung rührte Chloe an, legte sich auf ihr Gemüt. Die blasse Lady und ihre schimmernden Tränen ließen jeden Gedanken daran verschwinden, wie eigenartig die Situation, dieses Haus und dieser Mann waren. Chloe vergaß Sarah und die Hypnose. Der Geist machte sie zu einem Teil dieses Augenblicks.

Beinahe als wäre es von Anfang an geplant gewesen, kam der Geist näher, schwebte vorüber an dem Mann und seinen Geräten, achtete nicht auf das Klicken und Surren. Ihr Gewand wehte um sie herum, nur ein Hauch von Weiß in der Luft, als sie weiterschwebte und direkt vor Chloe anhielt.

»Nicht bewegen«, vernahm sie die drängende Stimme des Mannes. Er war hinter den Geist getreten. In seiner Hand hielt er so etwas wie eine Stange. Eine Reihe metallischer Klicklaute kamen aus diesem Gerät, als er es wie einen Geigerzähler über den Geist hielt.

»Was will sie?« Chloe sah, wie der Geist näher rückte. Der Schmerz, der so deutlich auf dem Gesicht dieser jungen Frau erkennbar war, schien sich in Chloe widerzuspiegeln, er rührte etwas tief in ihrem Inneren an.

»Ich bin nicht sicher.« Der Mann warf einen Blick auf die Anzeige des Mechanismus in seiner Hand. »Aber ich glaube nicht, dass sie gefährlich ist.«

»Gefährlich? Was meinen Sie mit gefährlich?«

Er antwortete nicht, seine ganze Aufmerksamkeit galt der Apparatur. »Echt unglaublich! Zum ersten Mal hat sie sich zu einer vollständigen körperlichen Erscheinung geformt. Man hat mir erzählt, dass der Spuk sich nur in einer Reihe von Klopfen und Schreien zeigt. Spirituelle Schauspielereien. Aber nicht so etwas!«

Die Besucherin sah, wie der wunderschöne Geist nur wenige Meter vor ihr schwebte, die Locken und die Spitze ihres Kleides wehten in der Luft, als befände sie sich unter Wasser. Aber dann hob sie eine Hand und streckte sie Chloe entgegen, der Gesichtsausdruck der Frau wurde noch flehender als bisher.

Miss Plum blieb ganz still stehen, gebannt von den verletzten Gefühlen im Gesicht der Frau. Sie wollte etwas von Chloe. Sie wollte verstanden werden, aber in welcher Hinsicht? Der geisterhafte Ausdruck presste Chloe das Herz zusammen. Niemand hatte sie je auf solch eine Weise um Hilfe gebeten, niemand hatte sie je so erwartungsvoll angesehen ... als wisse sie alle Antworten.

Der Geist schien etwas sagen zu wollen. Er versuchte, zu sprechen.

»Ach, du meine Güte«, flüsterte der Mann, und ließ sein Instrument sinken.

Für Chloe war das Eigenartigste an der ganzen Sache ihr Mangel an Furcht. Sie konnte durch diesen Geist hindurchsehen, und dennoch war ihr noch nie etwas so wirklich erschienen wie diese Erscheinung, die sie so inbrünstig anschaute.

»Was ist?«, fragte Chloe. »Was willst du?«

Tränen traten in Lady Barkleys Augen, als die geisterhafte Gestalt den Blick senkte und auf ihre Arme starrte. Sie hielt sie verschränkt, als hielte sie ein Kind an ihrer Brust.

In der Ferne begann ein Baby zu weinen.

Chloe fühlte sich wie gelähmt. Das Weinen wurde lauter, deutlicher. Ein Baby weinte! Das Klagen ging weiter und weiter, es dröhnte in Chloes Kopf und kam ihr sofort bekannt vor – sie brachte es in Zusammenhang mit den langen leeren Nächten, in denen sie nicht schlafen konnte. Gerade vor einigen Stunden hatte sie das Baby schon gehört ...

In diesem Augenblick zog sich der Geist zurück, schwebte weg von Chloe und benahm sich so, als würde irgendeine Kraft sie zu dem Sofa und dem Kamin ziehen.

»Nein, komm zurück. Nicht ...«

Doch Lady Barkley entzog sich ihr, die Erscheinung schrumpfte ein wenig. Das Weinen des Babys war schrecklich laut geworden, und Chloe wollte, dass es aufhörte – sie wollte das Kind trösten, das sie nicht sehen konnte. Der durchsichtige Körper des Geistes zog sich auf das Sofa neben dem Kamin zurück. Mit einem letzten Blick bedachte der Geist Chloe; dann sah er weg, er schien sie abzuweisen und richtete seine Aufmerksamkeit auf den kalten Kamin.

In einem eigenartigen Ritual öffnete die blasse Lady die Arme und legte die Hände auf das kleine Sofa, mit den Handflächen nach oben. Eine dunkle Flüssigkeit, wie Blut, begann aus ihren Handgelenken zu fließen, und zwar auf den Gobelinstoff des Sofas.

»Nein ... nein!«

Kräftige Hände legten sich auf Chloes Schultern und hielten sie an ihrem Platz ... sie erlaubten ihr nicht, sich zu bewegen oder sich der Erscheinung zu nähern, die offensichtlich auf dem Sofa starb.

»Lady Barkley hat sich selbst umgebracht, indem sie ihre Pulsadern aufschnitt, als ihr Ehemann ihren Geliebten erschoss. Ihr Geist erlebt den Tod noch einmal. Das Stelldichein unten, das Entsetzen, ihren Geliebten getötet zu sehen, der Selbstmord danach ... Es gibt nichts, was Sie tun können, um ihr zu helfen. Sie ist seit beinahe achtzig Jahren tot.«

Das Blut floss weiter, ein schwarzer Schatten überzog den Stoff des Sofas. Die Gestalt des Geistes schwand mitten in dem Weinen des Babys, sie flackerte wie die Flamme einer Kerze. Die Energie, die ihr Substanz gab, schien zu schwinden.

Der Geist verflüchtigte sich.

Chloe starrte auf das leere Sofa. Sie fühlte sich eigenartig durcheinander, als wäre ihr gerade etwas sehr Wichtiges genommen worden. Als wären die Gefühle des Schmerzes und der Verzweiflung, die in der Luft lagen, Chloes Gefühle – ihr Verlust und nicht der des Geistes.

»Jetzt ist sie weg«, äußerte der Mann hinter ihr, seine Stimme klang eigenartig sanft. »Es ist vorüber. Sie wird heute Nacht nicht zurückkommen.«

»Das Baby hat auch aufgehört zu weinen.« Chloes Stimme zitterte ein wenig. Genau wie ihre Hände.

Der Mann gab ihre Schultern frei, seine Arme sanken herunter. Er sah beinahe verlegen aus. Chloe schob sich an ihm vorbei, wandte sich von dem Sofa und den Ereignissen ab.

»Es ist verrückt.« Sie zwang sich, einige Male tief Luft zu holen – rief sich ins Gedächtnis, dass all dies nur Halluzinationen waren. Wie ein Traum – ohne jede Wirklichkeit! Aber sie musste der Sache auf den Grund gehen, selbst wenn alles nur eine Illusion war.

Chloe wandte sich an den Geisterjäger. Es schien beinahe komisch, dass sie erst jetzt genauer bemerkte, wie gut er aussah. Als dürfe einem so etwas während eines geistigen Zusammenbruches eigentlich gar nicht auffallen.

»Was ist hier los?«, erkundigte sie sich energisch.

»Das weiß ich selbst nicht so ganz sicher.« Er starrte auf die Couch. »Aber die Gerüchte rund um Lady Barkley behaupten, dass sie ein Kind erwartete, als sie sich das Leben nahm. Das Kind ihres Geliebten. Vielleicht war das, was wir gesehen haben, ihr Bedauern.«

Er wandte sich an Chloe. Seine Augen zogen sich nachdenklich zusammen, als sähe er sie zum ersten Mal. Als würde er sie abschätzen.

»So etwas habe ich noch nie erlebt«, sagte er jetzt. »So, wie sie versucht hat, mit Ihnen in Verbindung zu treten. Ich muss darüber nachdenken ... will mir überlegen, was das zu bedeuten hat. In der Zwischenzeit, hier!«

Der Mann streckte die Hand aus nach dem metallenen Kanister, den er ihr gegeben hatte und nahm ihn ihr vorsichtig ab. Dann trug er ihn zu dem Sofa und untersuchte sorgfältig die Kissen, schöpfte etwas in den Behälter. Chloe trat näher, um zu sehen, was es war. Ein entsetzlich durchdringender Geruch lag in der Luft. Der Mann sammelte eine gallertartige Substanz ein, die auf dem Sofa lag.

»Ektoplasma«, flüsterte sie, als sie begriff, was das sein musste. »Wer, zum Teufel, sind Sie?«

Er richtete sich auf, seine Augenbrauen waren hochgezogen. Es beunruhigte sie, die vollständige Aufmerksamkeit des Mannes auf sich gerichtet zu sehen. Dieser Mensch schien alles zu durchschauen, wenn er sie nur ansah.

»Aber wir sind einander doch bereits vorgestellt worden. Ich bin Harrison Conners. Ihre Tanten haben mich angeheuert, dieses Phänomen zu untersuchen. Sicher erinnern Sie sich! An mein Institut für die Erforschung psychischer Phänomene.« Diese Augen musterten sie eindringlich, betrachteten sie ganz genau. Verwirrt. »Geht es Ihnen gut, Miss Franklin?«

»Nein.« Chloe schüttelte den Kopf und fragte sich, ob Sarahs Heilmethode nicht schlimmer war als die Krankheit. Sie litt also unter ein wenig Schlaflosigkeit? Musste Pillen nehmen, um einzuschlafen? Na großartig.

Was, zum Teufel, war das Institut für die Erforschung psychischer Phänomene? Wer, um alles in der Welt, war Miss Franklin?

»Nein. Nein, es geht mir nicht gut.« Sie starrte auf die Ansammlung von Instrumenten, die über das viktorianische Wohnzimmer verstreut standen. »Ich bin gerade in eine Szene aus Ghostbusters geplatzt. Irgend so eine tote Frau, die vor achtzig Jahren Selbstmord begangen hat, bittet mich um Hilfe, und ich schaffe es nicht, aufzuwachen.« Sie lachte. Es klang ein wenig hysterisch. »Nein, Mr. Ghostbuster, es geht mir absolut nicht gut.«

Er sah sie an, als erwarte er, dass ihr Kopf sich auf ihrem Hals zu drehen begänne. Es würde nicht mehr lange dauern, dann nähme er eines seiner Instrumente zur Hand und stellte ihre elektrische Ladung fest. Sie schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück, als er hinwiederum auf sie zukam; ihre Bewegungen waren fast Tanzschritte. Anschließend versuchte er, sie zu beruhigen.

Eine elektrische Ladung brachte die Luft zwischen ihnen zum Knistern. Sie zeigte sich bogenförmig wie ein Blitz zwischen ihnen, als ihre Hände auseinander fuhren. Chloe rieb sich die Finger – es war ein Gefühl, als hätte sie gerade in eine Steckdose gefasst.

Der Ghostbuster hob die eigenen Finger und untersuchte sie. Ihre Blicke trafen sich.

»Höchst interessant!« Er lächelte. »Erlauben Sie mir einen Augenblick, meine Ausrüstung zu verstauen, Miss Franklin. Ich glaube, es ist Zeit, dass ich Sie nach Hause bringe.«

Kapitel 3

Dieses Zuhause entpuppte sich als kleines Terrassenhaus in einem Vorort außerhalb von London. Clapham, glaubte sie sich zu erinnern, hatte Conners dem Fahrer der Droschke gesagt.

Es handelte sich um das Jahr 1882.

Auf der Kutschfahrt dorthin hatte sich herausgestellt, dass der Mann mit der Leidenschaft für Geister ein Professor der Ägyptologie war, aus Cambridge beurlaubt. Er nannte Chloe Constance Franklin, den Schützling von zwei jungfräulichen Tanten, Seraphina und Augusta Baxter. In ihre fähigen Hände würde er sie abliefern.

Chloe hatte auf dem Nachhauseweg mit der Mietdroschke geschwiegen, sich aber gefragt, wie sie wohl reagieren sollte. Dies war eine Hypnose und keine Wirklichkeit. Therapie. Sollte sie die Sache klarstellen? Es tut mir so Leid, Professor. Aber Sie irren sich gewaltig. Mein Name ist Chloe. Chloe Plum. Aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Oder sollte sie einfach mitspielen? Oh, diese Tanten. Natürlich! Wie dumm von mir, das liebe alte Tantchen Sera und Tantchen Augie zu vergessen!

Am Ende lehnte sie sich in die gepolsterten Kissen zurück, die nach kaltem Tabakrauch rochen und bemühte sich, nicht gegen die Kisten mit der Ausrüstung zu stoßen, die sich auf dem Boden der Kutsche stapelten. Sie sagte nichts, entschlossen, abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln würden. Aber sie sehnte sich nach den geflüsterten Worten, ich werde bis drei zählen, und du wirst aufwachen –während ihre Gedanken sich noch immer mit dem Bild des Geistes beschäftigten ...

Erst nach Mitternacht erreichten sie ihr Ziel: das Terrassenhaus, das die Baxters gemietet hatten – eine Zuflucht vor ihrem Stadthaus in London, in dem es spukte. Es war eines in einer Reihe von mehrstöckigen Stuckhäusern, die an einer Avenue standen, alle zum Verwechseln ähnlich. Chloe wurde von einem gereizten Diener im Nachthemd und Zipfelmütze mit Troddel eingelassen – den es noch mehr verdross, als die beiden Baxter-Damen in ihren Nachtgewändern, die offensichtlich gerade aus ihren Betten gestiegen waren, ihm befahlen, Tee zu kochen. Chloe wurde in einen Queen-Anne-Sessel gesetzt, in einem Wohnzimmer, das mit viktorianischem Krimskrams vollgestopft war. Der gute Professor lief auf dem Teppich mit dem Blumenmuster auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und die Stirn gerunzelt, während er sprach.

»Und sehen Sie, Miss Baxter, obwohl ich mir zuerst Sorgen machte, weil Ihre Nichte meine Instruktionen missachtet hatte, so habe ich herausgefunden, dass sie mir in der Tat sehr hilfreich sein könnte. Sie scheint ein gewisses Einfühlungsvermögen zu besitzen. Der Geist ist nur in ihrer Gegenwart erschienen. Sie könnte mir helfen bei meiner Aufgabe, die psychischen Phänomene zu studieren, die in Ihrem Stadthaus vor sich gehen.«

Harrison Conners setzte sich auf das Sofa gegenüber von Chloe und ihren Tanten. Der Dampf aus der Porzellantasse, die auf dem winzigen Tisch neben ihm stand, erhob sich wie spektrale Gliedmaßen, er schwebte in der Luft, um dann unter das Grübchen in seinem Kinn zu schlüpfen. Die Kombination aus seiner schwarzen Kleidung, dem stoppeligen Bart und den blutunterlaufenen Augen ließ ihn im Licht der Lampen wie einen Fanatiker aussehen. Ja, wirklich. In seinen Augen lag ein alarmierendes Leuchten, welches dem Betrachter verriet, dass er große Leidenschaft entwickelte für Dinge im Dunkel der Nacht.

Auf der anderen Seite eines niedrigen, mit Einlegearbeiten verzierten Tisches kuschelten die beiden Tanten sich aneinander und lauschten jedem seiner Worte. Eine der Damen war groß und schlank; bei ihrem Anblick in dem schweren Morgenmantel und der mit Rüschen besetzten Morgenhaube dachte man an einen hoheitlichen Vogel, der sich sein Gefieder putzte. Die andere Tante konnte man eher mit einem Rundgefäß vergleichen. Ihre Figur, die einem Flaschenkürbis glich, wurde von Locken in einem erstaunlichen, rotbraunen Ton gekrönt. Sie trug einen seidenen Umhang, bestickt mit goldenen chinesischen Drachen sowie einen Hut, der aussah wie die Hüte, die gewisse Traditionalisten trugen.

Das Alter der beiden Damen würde man etwa auf Mitte bis Ende sechzig schätzen. Ihre glänzenden Knopfaugen, ein Paar blau, das andere braun, richteten sich auf Conners wie der begeisterte Blick von Kindern auf ein Lagerfeuer. Die größere der beiden unterschied sich von der anderen, indem sie eine runde Brille mit einem Metallgestell trug, die auf dem Ende einer Adlernase saß ...

Und dadurch, dass sie Sarah Carmichael, Chloes Therapeutin, erstaunlich ähnlich sah.

Seraphina Baxters Ähnlichkeit mit einer älteren Version von Sarah war nicht weniger bizarr als all die anderen Dinge, die in dieser Nacht geschahen. Chloe fand, dass alles in einer eigenartigen Weise einen Sinn ergab. Die Inkarnation von Sarah bestätigte, dass die Ereignisse dieses Abends sehr wohl ein Produkt von Chloes Vorstellungskraft waren. Was konnte offensichtlicher sein? Ihre Therapeutin erschien ihr in der Verkleidung einer mütterlichen Tante.

Sie nahm an, dass der Hintergrund des Lebens im neunzehnten Jahrhundert aus einer versteckten Schublade ihrer Erinnerung gekommen war. Vor etlichen Jahren hatte sie sich leidenschaftlich für die Brontë-Schwestern und George Eliot interessiert, ebenso wie für andere britische Autoren dieser Zeit. Sie dachte an das Experiment, bei dem Ärzte die verschiedenen Teile des Gehirns elektrisch stimulierten und die Patienten sich genaue Einzelheiten aus der Erinnerung ins Gedächtnis riefen. Das Gehirn war ein erstaunliches Instrument.

Das Symbol eines Geistes, der den Verlust eines Kindes beklagte, lag klar auf der Hand, wenn man ihre Vergangenheit bedachte. Und es war so sublim wie ein Großraum-Laster, der einen einspurigen Highway entlangdonnerte.

Neben Seraphina umfasste das liebe alte Tantchen Nummer zwei – Augusta Baxter – ihre Teetasse mit ihren beringten Fingern. Ihr etwas fülliges, recht angenehm aussehendes Gesicht hatte sie Professor Harrison Conners zugewandt, dem außergewöhnlichen Ghostbuster.

»Die Klopfgeräusche, die fliegenden Objekte und die Schreie, von denen Sie berichtet haben«, zählte Conners an den Fingern ab, »waren in der Tat vorhanden, ehe Miss Franklin mich mit ihrer Anwesenheit beehrte. Aber in all den Jahren, seit ich diese psychischen Dinge untersuche, habe ich noch nie eine so außergewöhnliche Erscheinung eines vollständigen Körpers erlebt.«

»Stell dir das vor«, flüsterte Seraphina.

»Wir haben nur ab und zu ein paar hüpfende Lichter gesehen«, fügte Augusta hinzu.

»Und wir hatten keine Ahnung, dass es Lady Barkley war.«

»Obwohl wir das eigentlich vermuten hätten können. Sie hat ein so schlimmes Ende genommen.«

»Ich schreibe Miss Franklin den vollen Verdienst für diese Erscheinung zu.« Conners lächelte Chloe an, als wäre es ein ungeheures Talent, Magnet für Geister zu sein. »In der Tat glaube ich, dass der Geist Ihrer Vorfahrin versucht hat, direkt mit Ihrer Nichte in Verbindung zu treten. Falls Sie es erlauben, würde ich gern Miss Franklin in meine Untersuchungen einbeziehen. Hat sie schon zuvor eine Begabung als Medium gezeigt?«

»Oh, ja, das hat sie, Professor«, beeilte sich das Ebenbild von Sarah zu versichern. Sie streckte die Hand aus und tätschelte Chloe mit ihrer fleckigen, von Adern überzogenen Hand, so stolz wie eine Glucke. »Sie wären erstaunt über die eigenartigen Vorfälle, die passieren, wenn unsere liebe Constance in der Nähe ist.«

Unsere eigenartige kleine Constance, dachte Chloe bei sich.

»Ich will damit nicht sagen, dass wir hier Geistersitzungen veranstalten, mit Klopfen oder Tischerücken – aber Constance besitzt eine gewisse Anziehungskraft für ... dramatische Geschehnisse«, meinte Seraphina.

»Oh, Sie müssen sie mitnehmen. Sie würde eine wertvolle Hilfe für Sie sein.« Augusta schenkte ihr einen vagen Blick aus kurzsichtigen Augen, die Schatten tanzten über ihr rundliches Gesicht. Sie blinzelte Chloe verschwörerisch zu und sah sowohl eigenartig als auch liebenswert aus in ihrem orientalischen Gewand samt Hut. »Wirklich, ich weiß gar nicht, warum wir nicht gleich daran gedacht haben, meine Liebe.«

»Sicherlich hat Constance gewusst, was sie damit bezweckte, als sie darauf bestand, heute Abend Ihrer Nachtwache beizuwohnen. Wir haben einen Fehler gemacht, als wir sie davon abhalten wollten.«

Die Ladys betrachteten Chloe voller liebendem Besitzerstolz – als hätte soeben jemand festgestellt, dass ihr kostbarstes Gut über alle Maßen talentiert sei. Für Chloe wogen diese zärtlichen Blicke schwer, denn sie schienen so real zu sein. Zwei mütterliche Tanten. Ein charismatischer Professor. Ein Hintergrund wie aus einem Roman von Dickens.

Wirklich genug, sich zu fragen ...

Einen flüchtigen Augenblick lang gab Chloe ihren Ängsten nach. Konnte sie irgendwie durch die Zeit gereist und in das Leben der unschuldigen Constance Franklin eingedrungen sein, konnte sie den Geist dieser Frau mit ihrem eigenen Wesen ersetzt haben? Und wie das Mädchen in dem Märchen, die roten Schuhe anzog, würde Chloe gefangen werden und sich endlos in dieser Trance bewegen – niemals mehr Ruhe oder Erlösung finden?

»Dann sind Sie also einverstanden, dass Miss Franklin meiner nächsten Nachtwache beiwohnt?«

»Aber unbedingt ...«

»Natürlich, Professor ...«, flöteten beide Damen wie aus einem Mund.

Chloe vergrub das Kinn in ihrer Hand und schob die nagenden Zweifel beiseite. Ich befinde mich in Trance, sagte sie sich – ich versuche, die Geheimnisse meines Unterbewusstseins zu entdecken. So etwas wie eine Zeitreise gibt es nicht. So etwas wie eine Zeitreise gibt es nicht. Wie ein Rosenkranzgebet wiederholte sie diese Worte. Binnen kurzer Zeit würde sie aus dem ganzen Unsinn wieder aufwachen.

Nach allem, was sie wusste, konnte dieser Verlauf ganz normal sein, soweit es ihre Kenntnisse einer Hypnose betraf. Sollten die Leutchen sie doch ruhig Constance Franklin nennen – oder auch noch anders. Wenn sie wieder auf Sarahs Couch aufwachte, würde sie nur ein weiterer Patient sein mit einem Traum, der einer Erklärung bedurfte.

Sie blickte zu Conners auf, dem beunruhigendsten Teil dieses Trips. Das Licht der Lampen warf Schatten auf seine Wangen und auf das Grübchen in seinem Kinn, ließ ihn nun wieder älter aussehen als seine neunundzwanzig Jahre. Er hatte einen Mund, den man einfach ansehen musste, mit vollen Lippen, üppig – als würde eine Leuchtreklame aus Neon darüber aufblitzen, das heißt äußerst küssenswert.

Einen Augenblick lang dachte sie an Steven. An den Mann, mit dem sie verlobt gewesen war. Der Mann, der ihr das Herz gebrochen und es als Scherbenhaufen von einer Million winziger Teile zurückgelassen hatte.

Vielleicht ist es ja das, was sich hinter dieser Fantasie verbirgt, dachte sie. Ein großer, gut aussehender Fremder, der sie vor der Vergangenheit rettete. Vielleicht sagte ihr ihr Unterbewusstsein, dass sie lange genug um die zerbrochene Beziehung getrauert hatte. Zeit, um mit seinen Ängsten aufzuräumen.

»Ich sollte anfangen, wieder auszugehen«, dachte sie bei sich.

»Wie bitte?« Erneut richteten sich die dunklen Augen auf sie, die Augenbrauen waren fragend hochgezogen.

»Sie wollen, dass ich Sie auf einer weiteren Geisterjagd begleite«, sagte sie stattdessen und entschied sich, das Spiel mitzuspielen, weil sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Die Sitzung bei Sarah pflegte sich über fünfundvierzig Minuten zu erstrecken. »Nun, wenn es so sein soll, dann bin ich damit einverstanden.«

Conners lächelte, ein Lächeln, bei dem sich einer seiner Mundwinkel auf eine Art und Weise hochzog, die so sexy war, dass Chloe ein Schauder über den Rücken lief. Sie runzelte die Stirn, der Gedanke, dass ein Hirngespinst sie so aus der Fassung bringen konnte, gefiel ihr gar nicht.

Harrison Conners stand auf und rückte den Hut auf seinen dunklen Locken gerade. Das etwas zu lange Haar stand eigentlich im Widerspruch zu seiner eleganten Kleidung. Aber vielleicht war er ja so sehr mit seiner Forschung beschäftigt, dass er ganz einfach vergessen hatte, zum Frisör zu gehen. Diese Möglichkeit passte zu der geistesabwesenden Art dieses Mannes. Der Professor war viel zu sehr mit seinen surrenden Apparaten beschäftigt, um sich Gedanken wegen kaputter Socken oder Haarschnitte zu machen.

»Ich werde Ihnen morgen meine Anweisungen zukommen lassen«, sagte Conners, der jetzt wieder all seine Aufmerksamkeit auf Chloe richtete.

Er nahm ihre Hand wie ein Galan, und abermals traf sie das vollkommen unerwartet. Seine Augen glänzten, und er sah Chloe an, als hätte er einen versteckten Schatz entdeckt. Sein Benehmen hatte sich merklich geändert, seit dem Verlassen des Spukhauses. Der Mann, der sie angefahren und behauptet hatte, dass sie eine Störung für ihn bedeutete, existierte nicht mehr.

»Ich sollte mich bei Ihnen bedanken«, versicherte er ihr. »Noch nie zuvor bin ich so nahe dran gewesen, Miss Franklin.«

Es war eigenartig, die Erregung in seinen Augen zu sehen. Dieses Gefühl machte ihn so wirklich. Als er sich vor ihr verbeugte und dann zurücktrat, um sich noch einmal zu bedanken, fand Chloe, er sähe aus wie ein Individuum, das auf den Nobelpreis aus ist. Oder auf eine Rettung.

Conners verließ das Wohnzimmer hinter dem Diener. Der Butler, der ihm mit einer einzelnen Kerze den Weg beleuchtete, schob den Troddel seiner Nachtmütze aus dem Gesicht und brummte etwas von einer besseren Stellung in Bloomsbury. Chloe zwang sich, unbeteiligt auszusehen; sie betrachtete den Raum im Schein der Lampen. Kostbare Vorhänge, die auch einem Theater zur Zierde gereicht hätten, hingen vor den Fenstern. Ein Kandelaber breitete seine silbernen Arme auf einem Tisch aus. Als sie die viktorianische Üppigkeit in sich aufnahm, wurde ihr das Herz schwer. Sie war in ein Korsett eingezwängt und in Lagen um Lagen von Kleidung gehüllt, einschließlich einer Turnüre. Und sie fühlte sich weit weg von der Couch in Sarahs Praxis.

»Noch etwas Tee, Liebes?«

Es war Tante Seraphina, die sie angesprochen hatte, das Ebenbild von Sarah. Sie bedachte Chloe mit einem mitfühlenden Blick aus ihren blauen Augen, als glaubte sie, Chloe brauche Trost. Letztere lächelte. Es gab ihr ein Gefühl, nicht ganz so einsam zu sein, wenn sie Sarahs Gesicht sah, das – wenn auch mindestens zehn Jahre älter – so viel Mitgefühl ausstrahlte.

»Unsere unerschrockene kleine Seele«, flüsterte Augusta, als sie Chloes Tasse nachfüllte.

»Wie findest du Professor Conners, Liebes?«, fragte Seraphina und rührte einen Klumpen Zucker in Chloes Tee, während Augusta ein wenig Sahne hineingab.

»Er ist ein recht gut aussehender Mann, nicht wahr?«, ergänzte Augusta.

»Hältst du ihn nicht für etwas zu jung?«

»Er ist ein Gelehrter und ein Gentleman. Warum sollte da sein Alter eine Rolle spielen?«

Chloe starrte von einer Tante zur anderen, der Anflug einer bizarren Idee nahm Formen an. »Wollt ihr beide mich etwa verkuppeln?«

Die Ladys schielten einander zu. Eine schuldbewusste Röte stieg von Augustas Hals auf und bedeckte ihre Wangen, einen Augenblick lang passte ihr flammender Teint zu ihrem Haar. Seraphina schob die Brille höher auf ihre Nase. Keine von beiden sah Chloe an.

Augusta war plötzlich äußerst beschäftigt mit ihrem Löffel, mit dem sie ihren Tee umrührte. »Wirklich, ich habe keine Ahnung, warum du uns vorwerfen solltest ...«

»Aber er ist ziemlich schneidig«, unterbrach Seraphina sie und schürzte nachdenklich die Lippen.

»Und gebildet«, fügte Augusta hinzu.

»Außerdem weit gereist auf seiner Suche nach ägyptischen Antiquitäten.«

»Man hat sogar in der Times