Fever - Eiskalter Kuss, Band 2 - Olga Bicos - E-Book
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Fever - Eiskalter Kuss, Band 2 E-Book

Olga Bicos

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Beschreibung

Wenn die Leidenschaft dich verbrennt: Der romantische Thriller „Fever – Eiskalter Kuss“ von Olga Bicos jetzt als eBook bei venusbooks. Endlich wieder Hoffnung! Ein Neubeginn scheint für Sydney zum Greifen nahe – bis ihr rachsüchtiger Ex-Mann aus dem Gefängnis entlassen wird. Hat er bereits einen eiskalten Plan geschmiedet, um sie einmal mehr in seine Gewalt zu bringen? Gleichzeitig taucht ein weiterer Schatten aus Sydneys Vergangenheit auf: Der ebenso charmante wie durchtriebene Alec Porter, für den Gefahr wie die Luft zum Atmen ist, bietet ihr seine Hilfe an. Sydney weiß, dass sie ihm nicht trauen darf – doch Stück für Stück verliert sie ihr Herz an ihn … „Olga Bicos hat für sich ein faszinierendes Genre gefunden: den erotischen Spannungsroman. Unübertroffen und unverwechselbar!“ Romantic Times Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Romantic-Thriller „Fever – Eiskalter Kuss“ von Olga Bicos. Lesen ist sexy: venusbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 575

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Über dieses Buch:

Endlich wieder Hoffnung! Ein Neubeginn scheint für Sydney zum Greifen nahe – bis ihr rachsüchtiger Ex-Mann aus dem Gefängnis entlassen wird. Hat er bereits einen eiskalten Plan geschmiedet, um sie einmal mehr in seine Gewalt zu bringen? Gleichzeitig taucht ein weiterer Schatten aus Sydneys Vergangenheit auf: Der ebenso charmante wie durchtriebene Alec Porter, für den Gefahr wie die Luft zum Atmen ist, bietet ihr seine Hilfe an. Sydney weiß, dass sie ihm nicht trauen darf – doch Stück für Stück verliert sie ihr Herz an ihn …

»Olga Bicos hat für sich ein faszinierendes Genre gefunden: den erotischen Spannungsroman. Unübertroffen und unverwechselbar!« Romantic Times

Über die Autorin:

Olga Bicos wurde in Havanna geboren, studierte Jura in Berkley und arbeitete als Firmenanwältin in einem Medienunternehmen in Los Angeles, bevor sie sich ganz der Schriftstellerei zuwandte. Abenteuerlustig und weit gereist, lebt sie heute mit ihrer Familie in Kalifornien. Für ihre gefährlich-charmanten Helden wurde Olga Bicos für den begehrten K.I.S.S. Award der Romantic Times nominiert.

Von Olga Bicos erscheinen bei venusbooks auch die Thriller Fever – Gefährliche Liebe und Passion – Süßes Verlangen sowie der historische Liebesroman Die Liebe des Lords.

***

eBook-Neuausgabe August 2018

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel Verborgene Glut bei Goldmann

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2001 bei Olga Gonzales-Bicos

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel Heat of the Moment bei Zebra Books, Kensington Publishing Corp., New York

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2002 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2018 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Published by Arrangement with Olga Gonzalez-Bicos

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock.com/boxer x

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-95885-633-2

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des venusbooks-Verlags

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Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Fever – Eiskalter Kuss« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.venusbooks.de

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www.instagram.com/venusbooks

Olga Bicos

Fever – Eiskalter Kuss

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Andrea Längst

venusbooks

Für meine Sonne, meinen Mond und meine Sterne: Andrew, Leila und Jonathan.

DANKSAGUNG

Barbara Benedict, Jillian Hunter und Stella Cameron:Ich danke euch, denn ohne euch hätte ich es nie geschafft.

Schließlich gilt mein besonderer Dank Big Kahuna, RJR,und seiner reizenden Frau Lynn.

Crash

1

Alec Porter glaubte an die Existenz einer zweiten Chance. Daran, dass es für einen Mann möglich war, ganz von vorn anzufangen, Fehler zu machen – große Fehler sogar – und trotzdem als Held dastehen zu können. Verdammt, gib Hollywood eine Stunde, dann wird selbst aus Graf Dracula ein Blutkonservenverkäufer.

Er saß festgeschnallt in dem Marchetti-Testflugzeug – die Maschine schoss abwärts wie eine Kugel, die sich widerstandslos der Erdanziehungskraft fügte – und kokettierte damit, dass eine zweite Chance im Moment eine großartige Sache wäre.

Während der Steuerknüppel wie verrückt in seinen Händen rotierte, riss er den Gashebel nach oben. »Vermassel es nicht, Porter! Nicht heute.« Es war über ein Jahr her, dass er dem Tod das letzte Mal ins Auge gesehen hatte. Gemessen an seinem Puls schien er ziemlich aus der Übung zu sein.

Alec rammte den Steuerknüppel in Richtung seines Schoßes, während er versuchte, den Erdboden davon abzuhalten, sich wie wild vor seinen Augen zu drehen. Doch die Marchetti kämpfte hartnäckig gegen jede seiner Bewegungen an und schraubte sich abwärts wie ein Korkenzieher. Richte die Flügel wieder aus, Junge. Lass dich nicht unterkriegen. Der Computer, der auf dem Boden der Maschine festgezurrt war und den er so eingerichtet hatte, dass er das ausgeklügelte Kontrollsystem eines Jets simulierte, flatterte. Ich komme nie im Leben an den Abbruchschalter ran. Er hatte die neue Software auf Herz und Nieren überprüft und sein selbst entwickeltes System unzähligen Testläufen unterzogen. Plötzlich leuchteten überall am Kontrollbord rote Lämpchen auf wie bei einer Parade des 4. Juli. Der Albtraum jedes Testpiloten, der nichts anderes mehr bedeutete, als dass er drauf und dran war, den Löffel abzugeben. Ich muss diesen Abbruchschalter erreichen.

Die Sirene begann zu heulen. Zu spät ... zu spät! Alec legte den Kippschalter um, ohne von der Lightshow vor sich Notiz zu nehmen. Jetzt geht es hart auf hart ... Und ich ziehe das Karnickel aus dem Hut. Er hatte es auch zuvor schon getan, musste sich einfach nur konzentrieren.

Oh ja, eine zweite Chance hätte etwas für sich. Und er wusste genau, wie er sie nutzen würde. Wenn er Glück hatte, würde er es schaffen. Er würde Sydney finden ... und ihr die Wahrheit sagen.

Sydneys Gesicht tauchte vor seinem inneren Auge auf. Alec schob das Bild beiseite und gab sich Mühe, die Flugzeugflügel parallel auszurichten. Konzentrier dich. Bei einem Manöver wie diesem konnte einem die Schwerkraft den Sauerstoff abschnüren und damit alles in die Hose gehen lassen. Bring dieses Ding irgendwie auf die Erde, dann kannst du dir Gedanken über Sydney machen.

Doch das Bild tauchte wieder vor ihm auf, ließ die Erde und den Himmel um ihn herum verschwinden und brachte die Stimme in ihm, die ihm gerade Sei vorsichtig! ins Ohr gebrüllt hatte, zum Verstummen. Nur Sydney blieb übrig, süß und verführerisch – und erinnerte ihn an all seine Sünden.

Er hatte immer gedacht, Syd wäre anders. Irgendwie nicht verletzbar.

Ich bin nicht mehr dieser Mistkerl, Syd. Vertrau mir.

Lächelnd erinnerte er sich daran, wie er sie in jenem Hotel in Buenos Aires beschwatzt hatte, bis sie mit ihm in sein überhitztes Zimmer gegangen war und er sie in sein Bett manövriert hatte. Nur eine kleine Kostprobe! Am nächsten Morgen hatte Syd ihm sofort nach dem Aufwachen eine filmreife Szene gemacht, weil sie es getan hatten. Sie war so wütend gewesen, dass sie einfach auf Nimmerwiedersehen verschwand. Nun, Monate später, hatte Alec sich aufgemacht und war um den halben Erdball gereist, um sie zu finden. Los. Überzeug sie. Ich bin nicht mehr dieser Mistkerl. Genau das war seine Suche nach der zweiten Chance.

Das Blut rauschte in seinen Ohren. Trotzdem tat er alles, um sich zu konzentrieren, und sah, wie die Erde gefährlich näher rückte. Jetzt oder nie ... Schalt die Maschine ab – nimm das gegenüberliegende Seitenruder. Doch als er aus dem Cockpit blickte, hatte er noch immer das Gefühl, in ein Kaleidoskop zu schauen; deshalb fragte er sich, wie, um alles in der Welt, er jemals das richtige Ruder wählen sollte. In dem Augenblick, als Buenos Aires vor seinem inneren Auge auftauchte, wurde Alec Porter klar, dass er gerade dieses Bevor-du-stirbst-läuft-dein-Leben-wie-ein-Film-vor-dir-ab-Erlebnis hatte.

Aus. Er war am Ende.

Bevor es schwarz um ihn wurde, rammte sich der Steuerknüppel in Alecs Magen. »Verdammt«, murmelte er, »das gibt wahrscheinlich Narben.«

Petroula Reck hatte ihre Mutter schon immer als dumm empfunden, die im Alter von fünfundfünfzig bereits vier Schönheitsoperationen hinter sich hatte – eine für jeden Ehemann. Sie hatte eine Menge Geld bei einer psychologischen Telefonberatung gelassen und glaubte an Aliens. Außerdem hatte sie ihre Töchter Aphrodite, Carmela und Petroula genannt.

Carla Reck gefielen die Namen wegen ihrer ursprünglichen Bedeutung: Aphrodite für Schönheit, Carmela für Liebreiz und Petroula, was so viel wie »Fels« bedeutet, für Stärke. Dad war mit ihrer Wahl so weit einverstanden gewesen. Warum auch nicht? Es gab schließlich keinen Russell Reck jr., der in seine Fußstapfen hätte treten können. Also sah er sich nicht genötigt, Einwände dagegen zu erheben oder sich vorzustellen, was für ein Gefühl es für seine Tochter wäre, vor einer kichernden Klasse »Petroula« stammeln zu müssen.

Stirnrunzelnd krallte sie ihre Hände um die Unterlagen aus der Rechtsabteilung, während sie durch die heiligen Hallen des Kunstzentrums für Kinder wandelte. Das war damals – und heute war heute. Daddy ist inzwischen ein völlig anderer Mann. Verzeih es ihm, und vergiss es dann einfach.

Carla hatte gewollt, dass ihre Töchter sich als etwas Besonderes fühlten. Sie hatte gedacht, ihre Namen würden zur Bildung ihres Charakters beitragen – und sie hatte Recht gehabt, zumindest in Petroulas Fall.

Rocky, wie sie inzwischen genannt wurde, trug am liebsten enge Kostüme oder kurze Röcke. Ihr blondes Haar reichte ihr bis zur Taille, und sie hatte Beine bis zum Hals. Es gab eine Menge Menschen, die sie fasziniert anstarrten, wenn sie vorüberging ... Männer und Frauen. Genau das war der Punkt. Blanker Neid.

Einige Leute sahen ihr nach, als sie auf ihren Prada-Absätzen den Gang entlangklapperte und sich fragte, mit welchem öden Verliererjob ihre Stiefmutter als Nächstes daherkommen würde. Wow, wow. Doch Rocky hatte keine Wahl. Auf Daddys Anweisung hin war sie hier aufgetaucht, um bei Sydney gut Wetter zu machen: Sydney, ihre Stiefmutter, die direkt der Hölle entsprungen zu sein schien, was ihr allerdings nicht im Geringsten bewusst war.

Und genau wegen dieser Mata-Hari-Taktik seiner wesentlich jüngeren Ex-Frau saß ihr Vater inzwischen im Gefängnis. An einem Abend, der dramaturgisch gesehen aus einem Grisham-Roman hätte stammen können, hatte Sydney ihre Pflichten als Angetraute in den Wind geschossen, sich die Privatpapiere ihres Vaters unter den Nagel gerissen und dem FBI einen dezenten Hinweis gegeben. Ihre Lügen im Zeugenstand hatten ihr gemeinsames Leben mit ihrem Vater in eine Arena der Kautionsverhandlungen und der Durchsuchungsbefehle verwandelt und dafür gesorgt, dass Rocky ihren Vater künftig nur noch über ein Telefon durch eine Plexiglasscheibe sprechen konnte.

»Machst du Witze? Du kannst doch nicht im Ernst wollen, dass ich für Sydneys hauseigenen Rechtsberater arbeite. Sie hat dich hier reingebracht, hat praktisch die Tür zugeschlagen und den Schlüssel weggeworfen ...«

»Wenn mir etwas zustößt ... wenn ich hier nicht rauskomme, Baby, wer kümmert sich dann um dich?«

»Um mich? Ich bin dreiundzwanzig Jahre ...«

»Rocky, Liebes! Du hast gerade mit dem Jurastudium begonnen. Wenn ich meine Strafe tatsächlich absitzen muss, ist alles weg. Jeder Cent.«

»Sie hat es ...«

»Genau aus diesem Grund wird sie dir helfen. Welche Fehler Sydney auch immer haben mag, im Grunde ist sie kein schlechter Mensch. Sie hat euch Mädchen immer geliebt. Aber was deine Mutter betrifft, Rocky, wissen wir beide ...«

Aphrodite, Carmela, Petroula. Was für eine Närrin!

Um ihrem Vater einen Gefallen zu tun, hatte Rocky angefangen, im Kunstzentrum für Kinder zu arbeiten, das ihre Stiefmutter und deren Liebhaber, Jackson Bosse – ein cleverer junger Typ, der für seine breiten Schultern ebenso bekannt war wie für sein dickes Bankkonto – ins Leben gerufen hatten. Zu der Zeit, als von Jack die Suchmaschine für das Internet entwickelt wurde, hatte beim Namen Yahoo! noch alle Welt an einen Schoko-Shake gedacht. Es war allein Daddy gewesen, um dessentwillen Rocky zugestimmt hatte, Sydney bei den Baugenehmigungen und Bauleitungsgesetzen für ihre kindgerechte Galerie zu helfen.

Sie hat euch Mädchen immer geliebt, egal, wie du das siehst.

Ja, klar. Deshalb hatte Rocky sich auch darauf eingelassen, Sydneys Handlanger zu spielen. Und Sydney wiederum beobachtete sie mit Argusaugen und wartete nur darauf, dass sie einen Fehler machte.

Unmittelbar vor ihr stand eine Gruppe Schulkinder, die regelrecht an den Lippen ihres Museumsführers hingen. Rocky lächelte, als sie kurz die Hand zum Gruß hob. Erstklässler, dachte sie. Wie Madison, Aphrodites Jüngste.

Die Kinder standen um ein Gemälde in Erdfarben herum, auf dem die Zwillingsgötter aus dem Popul Vuh, dem Buch des Rates der Quiché-Mayas, dargestellt waren. Das Bild stammte von Carlos Terres, einem berühmten mexikanischen Maler und Bildhauer – Rockys Lieblingskünstler. In wilden Pinselstrichen erzählte Torres die Geschichte der Muttergöttin, die sich entschlossen hatte, ihrem Vater zu trotzen – und die Konsequenzen tragen musste: Verbannung.

Manchmal fühlte sich Rocky fast so wie die Frau auf dem Gemälde. Gefangen zwischen den Wünschen ihres Vaters und ihren eigenen Vorstellungen.

Auf dem Weg von der Galerie zu den Büroräumen machte sie einen kleinen Umweg, um den grässlichen Wachmann am Haupteingang zu meiden, obwohl dieser sich zu ihr umwandte und ihr zuwinkte. Rocky wich seinem Blick aus. Verrückter Typ! Sie bemühte sich, ihre Aufmerksamkeit auf das Treffen zu richten, das vor ihr lag. Schon den ganzen Sommer arbeitete sie für ihre Stiefmutter; trotzdem hatte sie sich immer noch nicht in die Rolle des engagierten Protegés eingefügt. Sydney verschlimmerte die Dinge dann noch, indem sie so tat, als würde sie sich tatsächlich für Rocky interessieren. Als könnten sie, nach allem, was passiert war, tatsächlich Freundinnen sein.

Was Rocky betraf, interessierte es sie nicht die Bohne, wie Sydney sie behandelte. Ihre Stiefmutter hatte immerhin dafür gesorgt, dass ihre Familie ihren Daddy los war, und sich unbekümmert darangemacht, ihn total zu ruinieren. Die Scheidung allein fand Sydney nicht genug – nein, sie musste gleich jeden Beweis für Russell Recks Existenz auf diesem Planeten auslöschen. Und nun sollte Rocky ihre Wut einfach vergessen und ihr gegenüber zärtliche Tochtergefühle entwickeln? Die hilfreiche Tochter einer Frau spielen, die gar nicht so viel älter war als sie selbst? Niemals ...

So unglaublich es schien, doch die Verhaftung ihres Vaters hatte zumindest ein Gutes. Zum ersten Mal hatte er von Rocky Notiz genommen. Bis zu diesem Zeitpunkt sah es so aus, als hätte er nach der Scheidung von seiner vorigen Frau, ihrer Mutter, nicht ein einziges Mal über die Vergangenheit nachgedacht. Ihre Schwestern Aphrodite und Carmela ehelichten reiche, selbstsüchtige Männer und waren damit in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten. Aber nicht Rocky. Sie hatte keinen Sinn darin gesehen, sich zu einer dieser Damen der Gesellschaft zu entwickeln. Im vergangenen Jahr trat sie deshalb ihr Jurastudium an. Zumindest am Anfang war sie so verrückt gewesen zu glauben, dass sie ihm dadurch helfen könnte. In diesem Herbst würde sie mit ihrem zweiten Studienjahr beginnen, und inzwischen standen sie und Dad sich sehr nahe – eine Tatsache, die sie wahrscheinlich Sydney zu verdanken hatte.

Und genau aus diesem Grund sollte sie nicht wie eine Idiotin vor Sydneys Tür stehen, während der Kerl, der am Empfang die Telefonate entgegennahm, sie anstarrte. Sie sah, dass er frech in ihre Richtung grinste, und zwang sich zu einem angedeuteten Lächeln. Wie es eben so geht, dachte sie. Er war auch einer der Pseudokünstler ihrer Stiefmutter. Sydney, die kleine Miss Ich-rette-die-Welt-mit-der-Kunst! Für Rocky sah er jedenfalls aus, als hätte er gerade erst angefangen, sich zu rasieren.

Als sie Sydneys »Herein« hörte, betrat sie das Büro und unterdrückte ihren Unmut, der beim Anblick des strahlenden Lächelns ihrer Stiefmutter in ihr aufkeimte. Sydney sah, wie immer, hellwach und ausgeruht aus. Sie kannte keine schlaflosen Nächte. Nun, da Dad hinter Schloss und Riegel saß, war das Leben für sie das reinste Zuckerlecken. Die rothaarige Sydney bot ein umwerfendes Bild in ihrem Hosenanzug von der angesagtesten Farbe der Saison: einem hellen, wässrigen Blauton. Elegant, aber nicht zu aufgedonnert. Sydney, das Model für einen Cover-Girl-Werbespot!

Sie hatte gerade ein Meeting mit ihrem Partner Jackson Bosse, dem Nachfolgemann in ihrem Leben seit der Scheidung. Mit seinen Anzügen von Hugo Boss, der Gen-X-Sonnenbrille mit den coolen, gelb getönten Gläsern und dem blonden, Gelfrisierten Haar passte er perfekt zu Sydney. Er warf ihr ein Lächeln zu, dessen Strahlen er zweifellos dem Einsatz eines Lasergeräts zu verdanken hatte.

Vielleicht ist er ja schwul, dachte Rocky, obwohl sie sich ein wenig gemein dabei fühlte. Sie konnte sich die beiden durchaus im Bett vorstellen. Willst du oben liegen, Liebling? Willst du, dass ich deine Brüste drücke? Links oder rechts, Schätzchen? Alles nur mit vorheriger Erlaubnis – wie im Büro.

Vielleicht schliefen sie aber auch gar nicht miteinander? Warten auf den großen Tag! Bei diesem Gedanken lächelte sie zufrieden. Wie Schneewittchen und ihr Prinz! Hundertprozentige Reinheit, märchenhaft!

Die beiden hatten sich über einen Satz Entwürfe auf dem Schreibtisch gebeugt und nahmen keinerlei Notiz von Rocky. Typisch. Und ärgerlich.

Rocky ließ ihre Unterlagen auf die Entwürfe fallen. »Die Rechtsabteilung braucht sie«, sagte sie.

Sydney hob nicht einmal den Kopf, sondern nahm die Blätter einfach in die Hände, ordnete sie und widmete sich wieder ihren Skizzen. »Danke«, kam es freundlich von ihr.

Und sie klang, als meinte sie es auch so, was das Ganze noch schlimmer machte.

Rocky kreuzte ihre Arme, verzog missmutig das Gesicht und nahm eine Haltung ein, die ihren Ärger über die Verschwendung ihrer Zeit ausdrücken sollte. Aber natürlich ging ihre Stiefmutter nicht darauf ein, sondern überflog die Blätter dann nur, allerdings mit Lichtgeschwindigkeit.

»Die Rechtsabteilung hat es immer eilig«, bemerkte sie und unterschrieb am Ende jeder Seite, bevor sie umblätterte.

»Ja. Neuerdings hat es jeder eilig. Vielleicht sollten wir uns alle Aktien von Pharmafirmen kaufen, die Medikamente gegen Magengeschwüre herstellen.«

Rocky hasste es, wenn sie mit ihrer Stiefmutter zu plaudern begann. Als hätte sie irgendetwas mit Sydney zu besprechen. Und noch mehr hasste sie ihre lahme Redeweise. Als hätte man ihr im Studium nicht beigebracht, sorgsam mit Worten umzugehen. Sie warf einen Blick zu Jack hinüber, dem Traummann von einem Meter achtzig Größe und so gut aussehend, dass Gentlemen's Quarterly ihn wahrscheinlich mit Handkuss genommen und auf das Titelbild gesetzt hätte.

Er erwiderte ihren Blick und grinste.

Rocky wandte ihre Augen ab. Dieser Job nervt. Sie stand vor dem Beginn ihres zweiten Jahres an der renommierten Berkeley School of Law, und dann musste sie ihren Sommer ausgerechnet mit Königin Stiefmutter und ihrem Kammerdiener verbringen.

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte und ließ die drei erschrocken zusammenzucken. Rocky und Jack hoben die Köpfe und schauten Sydney erwartungsvoll an.

Doch die rührte sich nicht, sondern starrte nur auf den Apparat, bis die Stille schier unerträglich zu werden schien. Als Jack Sydneys gefrorene Miene musterte, runzelte er die Stirn.

Sie sieht aus, als hätte sie Angst, dachte Rocky, die das wirklich erstaunte ...

Instinktiv griff Rocky nach dem Hörer. Immerhin war ihre Stiefmutter – im eigentlichen Sinne – nicht ihre Vorgesetzte. »Sydneys Psycho Pizza! Die Spezialität des Tages ist eine deliziöse Mischung aus Sardellen und Marshmallows. Zwei zum Preis von einer«, sprach sie in den Hörer.

Die Stimme am anderen Ende der Leitung ließ ein Lächeln über ihr Gesicht huschen, obwohl Jacksons Zurechtweisung unmissverständlich in seinen babyblauen Augen stand.

»Sydney Reck? Ja, natürlich. Sie sitzt direkt neben mir.« Rocky fixierte Sydney eisern, um auf diese Weise Jacksons tadelndem Blick zu entgehen, und hielt den Hörer von sich. »Es ist für Sie, Mrs. Reck.«

Ihre Stiefmutter erwachte aus ihrem Koma und nahm den Hörer der breit lächelnden Rocky ab. In letzter Zeit hatte Sydney niemand mehr Mrs. Reck genannt. Tatsache war, dass Sydney noch an dem Tag, als sie die Scheidung einreichte, wieder ihren alten Namen Shanks angenommen hatte.

Sydney entfernte ihren Ohrclip, bevor sie den Hörer hochhob. »Hallo, hier spricht Sydney.«

Rocky bekam die Worte des Anrufers nicht mit, doch sie wurde unmittelbar Zeugin ihrer Wirkung. Sydney schoss auf ihrem Stuhl vor, als wäre ihr Körper von einem elektrischen Schlag getroffen worden.

»Natürlich«, sagte sie, während sie die unterste Schublade ihres Schreibtisches öffnete und ihre Kate-Spader-Tasche hervorholte. Den Hörer zwischen Ohr und Schulter geklemmt, kramte sie darin herum und zog ihre Wagenschüssel heraus. Rocky beobachtete, wie ihr die Schlüssel entglitten und mit einem leisen Klirren auf dem Teppich landeten – Sydneys Hand zitterte, als sie danach griff und sie aufhob.

»Ich verstehe ... bin in fünfzehn Minuten da.«

Sydney hatte sich bereits halb erhoben, als sie auflegte. »Alec«, sagte sie, ohne Jack oder Rocky anzusehen. »Er hatte einen Unfall ... liegt im Hoag Hospital.«

Eine Nanosekunde später war sie verschwunden, während Jack ihrer Staubwolke nachsah.

Der Typ bewegte sich nicht einmal. Er stand wie vom Donner gerührt da und starrte durch seine gelben Brillengläser auf die Tür. Der Ausdruck auf seinem Gesicht ... Mannomann. Rocky hasste es, so viel Schmerz sehen zu müssen.

Sie verkniff sich die Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag – Eines ist klar, Junge. Du bist es nicht, den sie will.

»Wow, das war ja ein Ding«, tat sie unschuldig. »Hoffentlich alles halb so schlimm!«

Jack wandte sich um. Offenbar war ihm in dieser Sekunde klar geworden, dass er wie ein Idiot dastand, während seine Verlobte an das Bett eines anderen Mannes eilte. Geschäftig wühlte er in dem Papierkram auf dem Schreibtisch.

»Ich bringe die Unterlagen in die Rechtsabteilung zurück.« Seine Stimme klang gepresst. »Warum gehst du nicht Mittag essen?«

»Klar«, sagte sie wie aus der Pistole geschossen und verließ gemeinsam mit ihm das Büro.

Als sie den Korridor betraten, streifte sie ihn zufällig und sah, wie er einen hastigen Schritt zurück machte, als hätte er sich verbrannt.

Oh, ja. Schwul. Sehr schwul.

»Bis dann.« Rocky winkte ihm kurz zu, während er an ihr vorbeihastete.

Dad hatte gebeten, sie solle für Sydney da sein. Die Dinge wieder ins Lot bringen. Er bedauerte, was zwischen ihnen vorgefallen war – er hatte so lange keine Notiz von Sydney genommen, bis sie an dem Punkt angelangt war, wo sie die schrecklichen Dinge über ihn glaubte ... ihr Vater sei ein Mörder und ein Betrüger.

Aber Rocky kannte die andere Seite dieser Frau. Eine, die gerade Jack Bosse einen ordentlichen Schlag ins Gesicht verpasst hatte.

Ihre Stiefmutter zeigte nie irgendeine Gefühlsregung, außer wenn es um ihre geliebten Museumskinder ging. Und um Alec. Alec Porter, der ihr das Herz gebrochen hatte.

»Ich kann deinen Schmerz nachfühlen«, sagte sie zu Jacks Rücken.

Summend ging Rocky Reck durch die Halle. Es stimmte, was die Leute behaupteten: Das Leid hat gerne Gesellschaft.

2

Schon vor langer Zeit hatte Sydney Shanks gelernt, niemals den Schutzschild ganz herunterzulassen. Doch hier kommt die Lebenslektion Nummer eins: Just in dem Augenblick, in dem du denkst, du hättest die Dinge einigermaßen im Griff und alle Puzzleteile lägen vor dir, um sie zusammenzusetzen – zu heiraten, sich niederzulassen und eine Familie zu gründen –, platzt Alec Porter wieder in dein Leben.

Zack. Die Teile purzeln alle durcheinander, und das Bild, das dir vorschwebte, ergibt plötzlich keinen Sinn mehr. – Sie war mit Vollgas ins Krankenhaus gefahren in der Hoffnung, dass noch genug von Alec existierte, um ihm ordentlich die Meinung zu sagen.

Die Stimme am Telefon hatte nach Sydney Reck gefragt; deshalb wusste sie, woher der Wind wehte. Es gab nur einen Menschen, der dafür sorgte, dass sie die Vergangenheit nicht vergaß. Einen Mann, der ihren Pulsschlag derart beschleunigte ... und bei dem es häufig um Leben oder Tod ging.

Sie hatte der Krankenschwester durchgegeben, sie wäre in fünfzehn Minuten da. Tatsächlich schaffte sie es in zehn Minuten.

Sein Gesicht auf dem Kissen war erschütternd weiß. Er hatte abgenommen, was seine ohnehin schon unglaublichen Züge noch markanter erscheinen ließ. Er sah so gut aus, dass er ohne weiteres als Schauspieler durchgegangen wäre ... vielleicht war er ja früher mal einer gewesen. Alec hatte nie viel von seiner Vergangenheit erzählt.

Sie nahm an, dass er zu viel gearbeitet hatte. Seltsam, dass ihr das zuvor nie aufgefallen war. Doch es gab immer alle Hände voll zu tun mit dem Museum ... und mit Jack. Sie hatte sichergehen wollen, dass sie so wenig wie möglich Gedanken an Alec verschwendete. Sie hatte ihre Puzzleteile im Auge behalten müssen – die Finanzierung des Museums mit einem minimalen Budget, ihre Zukunftspläne mit einem Mann, der sie so sehr liebte, dass er eine Familie mit ihr gründen wollte. Deshalb weigerte sie sich ganz einfach, in Alecs Augen zu schauen und darin zu versinken, indem sie Lektion Nummer eins vergaß.

Als sie ihn nun zurückhaltend betrachtete, machte er ihr beinahe ein wenig Angst. Er sah überhaupt nicht mehr wie Alec aus, hatte auf einmal etwas Verletzliches an sich. Die Stiche an seiner Stirn, die eingefallenen Wangen. Jetzt war noch eine Narbe hinzugekommen.

»Oh, Alec«, flüsterte sie.

Alec Porter schaffte es im Gegensatz zu allen anderen Männern, dass sie sich wie ein Teenager fühlte. Ein hoffnungsloses Opfer ihrer Hormone. Diesem Mistkerl gelang es mühelos, dass die Frauen plötzlich wieder an das Märchen vom Prinzen auf dem Schimmel glaubten. Aber sie wusste, dass man ein wildes Tier nicht zu einem zahmen Gatten domestizieren konnte. Das alles hatte sie schon einmal durchgemacht. Mit Russell.

Was sie natürlich nicht davon abhielt, sehnsuchtsvoll mit dem Kaffeebecher in der Hand auf ihn hinabzusehen, bebend vom Koffein und vor Sorge. Einige Male schien er aufzuwachen, und er öffnete kurz die Augen, bevor er in den nächsten Traum hinüberglitt. Fünf Stunden nach seiner Operation wandte er ihr schließlich stöhnend den Kopf zu.

»Hey!« Sie beugte sich ein Stück vor, während sie darauf achtete, dass sie den intravenösen Zugang auf seinem Handrücken nicht berührte, als sie nach seinen Fingern griff. »Wie fühlst du dich?«

Er schloss die Augen wieder. Sein Gesicht war leichenblass, der in Marmor gemeißelte David. »Als hätte mich jemand durch den Fleischwolf gedreht und mich anschließend zu einem Happy Meal weiterverarbeitet.« Sein typisches langsames, unwiderstehliches Grinsen erschien, dem seine aufgeplatzte Lippe kaum Abbruch tat.

»Hast du dich mit mir vergnügt, Sydney?«

»Mindestens fünfmal.«

»Verdammt.« Er wandte sich ab und sah zur Decke. »Ich wusste doch, dass ich träume – denn ich habe sieben gezählt.«

»Vielleicht habe ich es falsch im Gedächtnis.«

»Das ist der Beweis dafür, dass du lügst. Unsere Treffen würdest du nie vergessen.« Er hob seine Hand und massierte sich die Schläfen mit Daumen und Zeigefinger. »Also, wie groß ist der Schaden?«

»Ein paar gebrochene Rippen und ein gebrochenes Schlüsselbein. Roger sagte, du hättest verdammt großes Glück gehabt bei dem Absturz. Oh, übrigens haben sie ein Stück der Armatur aus deiner Schulter geholt. Nur ein kleiner Eingriff, erklärten sie. Aber es gibt eine hübsche Narbe ...«

»Ich meine das Flugzeug. Wie groß ist der Schaden an der Marchetti?«

Während der letzten sechs Monate hatte Alec, Testpilot und Computergenie, ein neues Softwareprogramm für die Flugindustrie entwickelt, das die gesamte Branche revolutionieren und ihn »auf dem Konto des Lebens« wieder in die schwarzen Zahlen bringen würde. Seine Worte. Er hatte seinen letzten Cent in dieses Flugzeug gesteckt. Jetzt war die Marchetti nur noch ein Haufen Schrott.

Ein Kollege, der ihn während der Testflüge beobachtete, hatte den bewusstlosen Alec aus dem schwelenden Wrack gezerrt. Es war ihm gelungen, ihn in Sicherheit zu bringen, bevor der Benzintank wie in einem Schwarzenegger-Streifen in Flammen aufgegangen war. Der Kollege hatte Sydney alles berichtet, bevor er das Krankenhaus verließ. Alec hatte alles verloren.

»Du bist noch mal davongekommen, Alec. Das ist das Wichtigste.«

Alec fluchte leise. »Manche Leute haben Glück!«

Was bei Alec alles andere als zutraf.

»Immerhin«, sagte sie munter, wiewohl sie sich seine Enttäuschung vorstellen konnte, »bist du nicht wie Gloria Estefan ...«

»Lass mich allein, Syd. Ich will mich in meinem Schmerze suhlen!«

»Wahrscheinlich schafft sie es, mit all dem Titan in ihrem Rücken, den Metalldetektor am Flughafen zum Abschalten zu bringen. Und sie ist lediglich in einem Bus verunglückt.«

»Hör auf! Du machst mich fertig, Sydney. Ehrlich, wenn es nicht so verdammt wehtun würde beim Atmen, würde ich lachen.«

»Wenigstens lächelst du schon«, sagte sie. »Das ist ein gutes Zeichen. Alles kommt wieder in Ordnung.«

»Oh ja, in jeder nur erdenklichen Weise. Nachdem meine Gläubiger auf ihre Kosten gekommen sind, werde ich wohl meinen Kollegen darum bitten, dass ich abends die Hangars sauber machen darf. Er ist ein echter Prachtkerl. Verdammt, sicher bin ich in der Lage, die Million Dollar, die ich mir für die Marchetti und die Ausrüstung geliehen habe, in ... sagen wir ... meinem nächsten Leben zurückzuzahlen.«

Trotzdem lächelte er. Typisch für Alec, selbst in einer derartigen Misere den Kopf über Wasser zu halten.

»Was?«, fragte sie, völlig fasziniert von seinem veränderten Aussehen.

»Ich habe dir Sorgen bereitet«, sagte er mit seinem jungenhaften Charme. »Du bist hierher gerast.« Sein Finger beschrieb Kreise auf ihrem Handrücken, die sie nicht mehr gesehen hatte, seit vor einem Jahr die Tür zwischen ihnen zuschlug. »Oh ja, ich halte dich wirklich in Atem.«

»Nun, dazu war nur ein e kleine Operation nötig ...«

»Wenn ich das gewusst hätte!«

Ihr war nicht aufgefallen, wie fest sie seine Hand gehalten hatte, die sorgfältig mit Kissen so gelagert worden war, dass die Verletzungen an der Schulter und dem Schlüsselbein geschont wurden. Vielleicht war es der Schock darüber, zu sehen, dass er lebte ... oder dass sein verführerisches altes Selbst bereits wieder funktionierte. Sie sah ihn argwöhnisch an und tat einen Schritt zurück.

Alec verstand die Botschaft und seufzte. »Weiß Dumpfbacke, dass du hier bist?«

»Wenn du Jack damit meinst, ja, natürlich!«

»Klar, der zukünftige Klotz am Bein weiß natürlich alles.« Wieder dieses Grinsen. »Ich wette, er ist zutiefst besorgt.«

»Worüber? Dass ich in ein Krankenhausbett springe, deine Bettpfanne beiseite schiebe und mich mit dir vergnüge? Überschätz dich nicht, Alec. Du siehst miserabel aus.«

»Nicht mal ein Anflug von Mitgefühl?« Als sie ihm einen kurzen Blick zuwarf, fuhr er fort: »Wow! Hast du deinen Sinn für Humor gleichzeitig mit deinem guten Geschmack verloren, seit du mit Dumpfbacke liiert bist?«

»Und ich fand dich früher lustig! Sein Name ist Jack, erinnerst du dich daran? Der Mann, den ich heiraten werde.«

»Ist das immer noch aktuell?« Er lächelte. »Ich meine, es könnte ein großer Fehler sein, verstehst du?« Dieses Mal griff Alec nach ihrer Hand und umschloss sie. »Vielleicht gibt es ja ein paar Möglichkeiten, über die du noch nicht richtig nachgedacht hast.«

Alec besaß die Gabe, mit seinem Gesicht eine Menge Dinge auszudrücken, wenn er wollte. In diesem Moment sagte seine Miene klar und deutlich: Verlass mich nicht, Syd. Nicht jetzt, wo ich am Boden zerstört bin.

Aber das war typisch für Alec. In der einen Minute denkst du, du bist in Sicherheit, und, rumms, lässt du den Schutzschild doch herunter.

Abrupt zog sie ihre Hand zurück und sprang auf.

»Nein, nein, nein.« Sie wich zur Seite aus, als wollte sie einen Abstand zwischen sich und der Falle schaffen, in die er sie soeben lockte. Sie stieß mit dem Rücken an die Konsole hinter ihr und hob abwehrend die Hände. »Ich werde es nicht dulden, dass du alles kaputtmachst. Schon einmal war ich mit einem Größenwahnsinnigen verheiratet, der jetzt auf seinen Mordprozess wartet ... das nur zu deiner Erinnerung. Ich habe meine Lektion gelernt, Alec, und es hat mich viel Mühe gekostet, mein Leben wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mir gefällt etwas Normales besser.«

»Vielleicht bitte ich ja nur um ein wenig Zeit. Ich meine, wenn du diesen Kerl wirklich liebst, weshalb dann die Eile?«

Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben das doch alles schon einmal durchgekaut. Ich bin nicht diejenige, die Nein gesagt hat.«

»Syd, als ich dort oben war und drauf und dran, mit der Landschaft eins zu werden, hatte ich diese ... diese Vision. Meine ganze Vergangenheit lief vor meinen Augen ab, und ich musste an Buenos Aires denken. Daran, wie gut es mir tat, in deiner Nähe zu sein.«

Einen Augenblick lang stockte ihr der Atem. Dass er das noch immer mit ihr machen konnte. »Meine Erinnerung unterscheidet sich in dramatischer Weise von deiner!«

Sydney wusste noch, dass sie zu viel Tequila getrunken hatte, während Alec, der niemals Alkohol trank, stocknüchtern geblieben war. In ihrer Erinnerung schwamm da ein Geständnis von ewiger Liebe herum, während sie in seine Arme gesunken war und eine unglaubliche Nacht mit ihm erlebt hatte ... nur, um aufzuwachen und einen merkwürdig schweigsamen, vollständig bekleideten Alec außerhalb des Bettes vorzufinden. Selbst als sie gegen ihren Kater ankämpfte, hatte sie sich noch immer an ihre Hoffnungen auf ihre immer währende Liebe und die –peinlicherweise – vorgeschlagene Heirat geklammert. Fünf Minuten später ließ sie sich telefonisch einen Flug für eine Person reservieren.

»Gib der Sache eine Chance«, sagte er schmeichelnd. »Gib mir eine Chance.«

»Okay!« Mit über der Brust gekreuzten Armen setzte sie sich. Tief durchatmen, Mädchen. Kontrolle bewahren. »Tun wir doch einmal so als ob. Dir gefällt dieses Spielchen, nicht wahr? Angenommen, du liebtest mich tatsächlich. Von ganzem Herzen. Im Angesicht des Todes hast du das Licht gesehen und, halleluja, weißt plötzlich, dass ich diejenige bin, die du willst. Also legen wir das Datum fest, in Ordnung. Denn das ist es, was ich will. Heirat, Kinder, das ganze Programm. Meine biologische Uhr sagt mir nämlich: jetzt oder nie. Und glücklicherweise habe ich den Mann meiner Träume gefunden. Was denkst du, hm? Wie wäre es mit Dezember? Viel Grünzeug, die Brautjungfern tragen rote Kleider – du wirst bloß deshalb nicht blass, da du es ohnehin noch bist von der Operation.«

»Du willst tatsächlich Hochzeitsglocken, Syd? Vielleicht, weil es das letzte Mal schon so gut funktioniert hat, wie?«

Sie lächelte. Natürlich musste das Gespräch genau an dieser Stelle enden. »Aha, jetzt habe ich meine Antwort ...«

»Allmächtiger, ich hoffe nicht.« Er seufzte und ließ seinen Kopf wieder auf das Kissen sinken. »Warum muss es immer so zwischen uns sein? Warum ständig gezogene Waffen?«

»Weil wir beide kein unbeschriebenes Blatt mehr sind, Alec, weil wir eine Geschichte haben. Die Art von Geschichte, die du nicht vergessen kannst.«

Nichts konnte das Auf und Ab löschen, das sie beide in der Vergangenheit durchgemacht hatten. Alec war in ihrem Leben aufgetaucht wie ein Orakel, ein lebendes Rätsel, und es auch in vielerlei Hinsicht für sie geblieben. Manchmal erschien er ihr wie ein Superheld und ein Schurke in einer Person, der sie vor dem Ungeheuer rettete, das sie geheiratet hatte; doch gleichzeitig tauchte die Frage auf, ob er seine Rolle als Mistkerl nicht ebenso perfekt beherrschte.

Nur an einem Punkt war er überraschend deutlich gewesen. Niemals hatten sie einen längeren Zeitraum gemeinsam verbracht.

»Ich denke, wenn es darum geht, so zu tun als ob, bin ich nicht so gut wie du.«

»Oh ja! So tun als ob.« Er schnitt eine Grimasse, während er sich mühsam aus seinen Kissen aufrichtete. »Ich habe dich nur gebeten, den König der Dummköpfe für mich zu verlassen, weil ich nichts Besseres zu tun habe, als mich zum Narren zu machen. Okay, vergiss es! Mit mir gibt es nur Ärger, und du willst damit nichts zu tun haben. Ich hab es verstanden, schließlich ist Englisch meine Muttersprache.« Er fuhr sich mit den Händen übers Gesicht und holte tief Luft. »Themenwechsel. Geschenke. Ich habe dir nämlich eines mitgebracht. Mein Kollege hat es für mich in die oberste Schublade dort drüben gelegt.«

Ernsthaft ging sie mit sich zu Rate, ob sie auf seine Bemerkung etwas erwidern sollte – mit mir gibt es nichts als Ärger –; doch dann stand sie auf, trat an die Schublade und durchsuchte sie, während ihr wieder einfiel, wie perfekt es ihm stets gelang, sie zu manipulieren.

Vor achtzehn Monaten war sie, auf der Suche nach für Museen geeigneten Kunstwerken, nach Südamerika gereist und hatte damit ihre Blitzkarriere gestartet, die sie bis dahin wegen Russells Unternehmungen zurückstellen musste. Sie hatte Alec als ihren Bodyguard engagiert und sich geschworen, sich gegen seinen Charme zu wappnen.

Es könnte sich als Vorteil für Sie herausstellen, Alec. Mit einer Frau zusammen zu sein, die Sie nicht im Geringsten attraktiv findet. Vielleicht trägt es dazu bei, Ihren Charakter zu formen. Das waren ihre Worte gewesen, als sie ihm den Job angeboten hatte.

Und Alec war in Südamerika an ihrer Seite umhergereist auf der Suche nach Schätzen wie ein umwerfend aussehender Indiana Jones. Immer voller Leben. Wie ein Kettenblitz ..e bis man aufwachte und das Ende feststellte: Garne over.

Ich finde Sie nicht im Geringsten attraktiv, Alec. Und diese Worte hatte sie sogar geglaubt, als sie sie aussprach.

In der Schublade fand sie sein Geschenk, das in rote Seide eingeschlagen war. Sie schob den Stoff beiseite, und es fiel ein kleines Stück Jade, kleiner als ein Silberdollar, in ihre Handfläche. Sie sah ihn überrascht an. »Alec«, flüsterte sie, »es ist wunderschön.«

Sie hielt das Steinfragment mit den routinierten Bewegungen eines Kenners gegen das Licht. Definitiv von den Mayas, dachte sie. Vielleicht aus der klassischen Periode.

Das schimmernde Jadegrün war stets eine bevorzugte Farbe der Mayas gewesen – die Farbe von Maisblättern, der Pflanze des Lebens. Dieses spezielle Stück hatte irgendein Meister mit viel Liebe zum Detail geformt; es stellte die beiden heldenhaften Zwillingsgötter aus dem Popul Vuh dar, dem heiligen Buch der Mayas. Als Motiv war ihr Aufstieg in die Unterwelt von Xibalba eingeritzt, wo sie zu Sonne und Mond wurden, während die »Vierhundert Krieger« des Südens – ehemalige Götter, die ermordet wurden – die Sterne um sie herum darstellten.

Vollkommen verzaubert drehte sie das Fragment in ihrer Hand hin und her, wie immer bei einer neuen Entdeckung. War es Teil eines größeren Stücks, fragte sie sich. Vielleicht einer Halskette? Sie spürte, wie ihre Neugierde erwachte, der Wunsch, mehr darüber herauszufinden.

Sie blieb neben seinem Bett stehen und hielt das Fragment gegen das trübe Licht der Lampe über ihnen. »Es ist unglaublich, Alec, meiner Ansicht nach das Beste, das du jemals gefunden hast.«

»Hmm«, sagte er zurückhaltend.

»Woher hast du es?«

»Komm schon, Syd. Du kennst die Regeln.«

Es war ein Spiel zwischen ihnen. Er brachte ihr die einzelnen Stücke, und ihre Aufgabe bestand darin, deren Echtheit zu bestätigen – herauszufinden, wie ein bestimmter Gegenstand in Alecs Hände gelangt war und ob er es behalten durfte oder nicht. Die rechtliche Seite pflegte er locker zu nehmen.

»Es ist ein Geschenk, keine Bombe«, verteidigte er sich, als er ihr Gesicht sah.

Sydney schlug das schmale Fragment wieder in den Stoff ein und schob es in ihre Handtasche. »Ich gebe dir Bescheid, wie gehabt.«

Er packte sie am Arm, um sie in seiner Nähe zu behalten. »Was ist los? Was geht hier gerade ab?«

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihre Gefühle für ihn schienen so kompliziert zu sein. Wie gerne würde sie glauben, dass Alec sich wirklich ändern konnte – das einzige Problem war, dass er offenbar die Meinung hegte, in ihrem Leben beliebig ein und aus gehen zu können.

Sie hörte, wie hinter ihnen die Tür geöffnet wurde. Dankbar für die Unterbrechung wandte Sydney sich um.

Doch der Mann, der im Türrahmen stand, entzog ihr vollkommen den Boden unter den Füßen. Sicher, sie war müde, hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan. Trotzdem erklärte das nicht die Vision, die da vor ihr stand. Nicht einmal ein Blinzeln konnte sie vertreiben.

Er trug sein Haar ziemlich lang, sodass es gerade eben seine Schultern berührte. Es war schwarz, und an den Schläfen zeigten sich ein paar graue Strähnen. Ihrer Schätzung nach musste er um die vierzig sein und hatte die vertrauten braunen Augen und attraktive Züge.

Er sah wie die ältere Ausgabe des Mannes aus, der vor ihr im Krankenhausbett lag. Vielleicht noch schmaler, ohne die kräftige Statur von jemandem, der fünfzehn Jahre lang in den Diensten der Armee gestanden hatte. Außerdem lag etwas Sanftes in seinem Gesicht. Der Mann im Türrahmen musste nicht sein Leben lang wachsam über die Schulter spähen.

»Es tut mir Leid, ich ... ich komme später wieder.« Zögernd hob er die Hand. »Ich habe mich nicht an der Schwesternstation angemeldet.« Er lachte, und es klang genau wie Alecs Lachen. »Ich hatte Angst, sie würden mich rauswerfen.«

Etwas selbstbewusster trat er nun einen Schritt ins Zimmer. Sydney sah auf Alec hinab. Wider Erwarten musterte er den Fremden argwöhnisch.

Sydney machte Platz, als der Mann an ihr vorbeiging. Er blieb am Bettrand stehen und streckte die Hand aus, was Alec jedoch in seiner typisch ungehobelten Art ignorierte.

»Wer, zum Teufel, sind Sie?«, fragte er.

»Mein Name ist Travis. Travis Bentley.« Er sah sich suchend um, bis sein Blick auf einen Stuhl fiel. Unbestreitbar konnte er ihn gebrauchen. Sydney fiel auf, dass seine Hände zitterten.

»Du kennst mich nicht, aber ich dachte ... nun, ich habe gehofft, dass sich das bald ändern würde. Es ist nur ... als ich von dem Unfall gehört habe, bin ich so schnell wie möglich hergekommen. Ich habe nicht nachgedacht. Und, na ja, hier bin ich also. Entschuldigung, ich fange an zu faseln.« Er warf einen Blick zu Sydney hinüber und glättete sein Haar mit den Fingern ... eine Geste, die sie schon unzählige Male bei Alec gesehen hatte. »Es war wie ein Zwang.«

Diese Ähnlichkeit. Sein Gesicht, sein Lachen ... die Augen, die kein Recht auf einen Platz in einem Gesicht außer in dem von Alec hatten.

Sydney wusste, dass Alec adoptiert worden war. Sein Leben hatte etwas von einem Dickens-Roman an sich. Er wuchs in Pflegeheimen auf und landete schließlich in einer staatlichen Erziehungsanstalt, der letzten Zufluchtsstätte für die Ungewollten. Sie war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass aufgrund seiner traumatischen Kindheit die Vorstellung von Heim und Herd in Alec sofortige Fluchtgedanken auslöste. Sie wusste, dass sein Vater ihn misshandelt hatte und dass die Geschwister, die ihn adoptiert hatten, die Einzigen gewesen waren, bei denen für ihn so etwas wie eine familiäre Bindung aufkam. Doch inzwischen bestand auch dieser Kontakt nicht mehr.

Jetzt starrte sie die beiden Männer vor sich verblüfft an. Oh, Himmel! In dem Szenario lag so viel Spannung, dass sie fürchtete, es würde jeden Augenblick explodieren.

»Ein paar Dinge haben wir nun mal gemeinsam«, sagte Alecs Doppelgänger, während er sich vorbeugte und mit den Ellbogen auf den Knien abstützte – eine typische Alec-Geste. »Ich weiß, dass ich so ähnlich aussehe wie du.« Wieder dieses Lachen. »Denn du siehst so ähnlich aus wie ich! Als würde man in einen Spiegel schauen.« Er senkte die Stimme. »Bentley. Erzähl mir nicht, dass dir dieser Name nichts sagt.«

Doch Alec antwortete nicht, sondern betrachtete ihn weiterhin völlig gleichgültig, ohne irgendeine Reaktion.

»Daisey Bentley?«, fragte er. »Ales, ich glaube ... nein, ich weiß, dass du es dir denken kannst. Daisey Bentley war deine Mutter. Ich hätte nicht wie ein Idiot hierher rasen, stattdessen lieber vorher anrufen sollen. Aber ich hatte Angst ... Angst, dass es zu spät sein könnte.«

Der Mann wandte seinen Blick ab, als müsste er sich wieder sammeln. »Alec, ich bin dein Bruder«, fasste er schließlich zusammen.

3

Wenn Alec eines mit Bestimmtheit wusste, dann war es das, dass er keinen Bruder hatte.

Er war adoptiert worden, richtig. Aber nicht im herkömmlichen Sinne, sondern erst mit vierzehn Jahren. Es war der einzige Glücksfall in seinem bisherigen Leben, als ein wahrer Held ihn unter seine Fittiche nahm und ihn zu einem Teil von etwas ganz Besonderem machte, einer Familie. Der gute alte Conor. Nur leider sorgte Alec dafür, dass er diesen Schritt im Nachhinein zutiefst bereute. Ebenso wie Alec konnte auch er nicht akzeptieren, wenn ihm etwas Gutes im Leben widerfuhr. Er musste es ruinieren.

Doch die frühen Jahre – die Jahre vor den Pflegeheimen und der Erziehungsanstalt sowie vor Conor – hatte er mit Ed und Daisey verbracht, dem Partypärchen, seinen völlig haltlosen Eltern. Sie hatten sich am Ende mit Drogen ums Leben gebracht – doch erst, nachdem sie Alec in die Welt gesetzt hatten.

»Ich habe keinen verdammten Bruder«, sagte er zu dem Kerl. Gleichzeitig blickte er allerdings in sein eigenes Gesicht, das zu einem anderen Mann gehörte. »Ja, ich weiß.« Der Kerl schob seinen Stuhl näher heran. »Es ist ein Schock.« Er zückte seine Brieftasche, eine dieser sportlichen aus Nylon und Velcro – perfekt passend zu der Sportjacke, die Alec nicht für viel Geld anziehen würde.

Der Kerl überreichte ihm eine Visitenkarte mit sämtlichen relevanten Informationen. Travis Bentley. Journalist für besondere Aufgaben.

Alec starrte auf die Karte, während er diesen Typen seine Geschichte erzählen ließ: von ihrer Großmutter, die Mitglied einer Sekte gewesen war und Bentley großzog, nachdem sie Daisey mit ihren ewigen Gebeten aus dem Haus getrieben hatte; Oma hörte nie wieder von ihrer missratenen Tochter.

Aus Achtung vor seiner Großmutter hatte Travis gewartet, bis sie im vergangenen Jahr gestorben war, bevor er einen erfolglosen Privatdetektiv mit der Suche nach seinen wirklichen Eltern, sprich Daisey und Ed, beauftragte – zu spät für Ed und Daisey, die ihr Nirwana schon vor langer Zeit am Ende einer Nadel gefunden hatten. Ed war schlicht und einfach an einem schlechten Trip gestorben, während Daisey den härteren Weg gehen musste, nämlich über AIDS.

Der Typ stand auf. »Ich weiß, es ist hart. Und, ehrlich gesagt, wollte ich vorhin auch nicht die Fassung vor dir verlieren. Ich fürchte, ich habe in letzter Zeit ein bisschen zu wenig Schlaf bekommen.« Dieses Lächeln. Es war geradezu beängstigend. Als würde ein Film von ihm selbst in schauderhaften Klamotten ablaufen. »Ruf mich doch einfach an, wenn du so weit bist!« Er ging zur Tür. »Es ist wichtig für uns beide, denke ich«, fügte er hinzu, als könnte er den Raum nicht verlassen, ohne ein paar letzte Worte gesprochen zu haben.

Alec hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Stirnrunzelnd betrachtete er die Visitenkarte.

Noch eine Minute zuvor hatte er Sydney seine ewige Liebe geschworen und mit beiden Händen nach dieser zweiten Chance gegriffen. Nun sah sie ihn an, als würde sie Mitleid für ihn empfinden.

Er zerknüllte die Karte und warf sie in Richtung des Papierkorbs. Obwohl er seine gesunde Hand benutzte, schoss der Schmerz der Bewegung durch seinen Körper und ließ Schweißperlen auf seine Stirn treten. Die Karte landete zuerst auf dem Rand des Papierkorbs, bevor sie hineinfiel. Drei Punkte, und die Menge tobt.

»Hältst du das für eine gute Idee?«, fragte sie.

»Die beste, die ich heute hatte.«

»Bist du es nicht langsam leid, Alec? Ewig wegzulaufen?«

»Erzähl mir was Neues. Das letzte Mal warst du es doch, die einen Abgang hingelegt hat. Bühnenseite, links!« Gerade begann etwas in ihm zu brodeln. »Verschwinde, Syd. Du hast es selbst gesagt: Du willst nicht so tun als ob!«

Statt zu widersprechen, ging Sydney zu dem Papierkorb hinüber, holte die zerknüllte Karte heraus und steckte sie ein.

»Nur für den Fall der Fälle«, sagte sie, als sie wieder auf ihn zutrat.

Sie küsste ihn auf die Stirn. Es war einige Zeit her, seit sie ihn das letzte Mal auf diese Weise berührt hatte ... vor einem Jahr, als sie ihn verließ, um sich ein neues Leben aufzubauen. Und zwar ohne ihn, wie sich herausgestellt hatte, und in den Armen eines anderen Mannes.

Dieser Kuss ... er fühlte sich so gut an ... und gleichzeitig grauenhaft.

An der Tür wandte sie sich noch einmal um. »Ich komme wieder und bringe dir ein paar Sachen«, sagte sie.

Sydney besaß einen Schlüssel zu seinem Apartment, den er ihr überreicht hatte, als sei er der Schlüssel zu seinem Herzen, als sie sich das erste Mal in Los Angeles befand. Komm zu mir zurück ... Er war einige Nächte lang wach gewesen, in denen er zu hören geglaubt hatte, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte. Aber das traf nie ein.

Ihm war klar, dass sie vorhatte, sich um ihn zu kümmern. Schon vor langer Zeit hatte er Syd einige seiner traurigen Geheimnisse anvertraut. Er kannte sie und wusste, dass sie versuchen würde, die Dinge wieder ins Lot zu bringen. Doch der gute alte Jack Bosse, diese Dumpfbacke, brauchte sich keine Sorgen zu machen. Nicht mehr.

Er hatte die Marchetti ruiniert. Und irgendein Arschloch behauptete auf einmal, er sei sein Bruder ... aber dieser Travis war bestimmt ein ganz normaler Kerl, der einen Job hatte, wahrscheinlich Frau und Kinder. Bei ihm war einfach alles normal, der sich nicht so wie das Schwein Alec verhielt – unfähig, eine Beziehung mit der Frau aufrechtzuerhalten, die er liebte. Und zwar nicht nur aus den offenkundigen Gründen, die Sydney so schmerzhaft hatte erfahren müssen. Hingabe? Familie?

Alec hegte noch ein Geheimnis. Ein großes, übles Geheimnis, das Sydney nie herausfinden würde. Darum betete er regelmäßig.

Er drückte den Rufknopf für die Krankenschwester. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie reagierte.

»Ich brauche ein paar Medikamente«, bellte er in die Sprechanlage. Die Schwester, die schließlich kam, erklärte ihm, warum sie seinen Wunsch nicht erfüllen konnte, während sie den Zeitplan auf ihrem weißen Klemmbrett überprüfte.

»Hier verrecke ich ja, verdammt noch mal«, schnauzte er sie an. »Rufen Sie den Doktor und lassen Sie sich von ihm die Erlaubnis geben. Besorgen Sie mir etwas, zum Kuckuck!«

Eine Stunde später spürte er, dass sein Bett vollkommen nass geschwitzt war. Noch nie in seinem Leben hatte er einen derart intensiven Wunsch verspürt, sich zu übergeben. Als er es schließlich schaffte, die Tablette hinunterzuschlucken, die sie ihm gebracht hatte, legte er sich in die Kissen und driftete weg.

Seine letzten Gedanken drehten sich um zweite Chancen. Irgendjemand hatte ihm die seine gestohlen. Dieser Typ war geradewegs in sein Krankenzimmer spaziert und hatte ihm eröffnet, dass sie bereits verspielt seien. Tut mir Leid, Kumpel. Verschwinde. Denn für Alec Porter gab es wohl doch keine zweite Chance.

Sydney würde kein Mitleid für Alec empfinden. Warum sollte sie so naiv sein?

Sei kein Idiot, sagte sie sich und rammte den Schlüssel ins Schloss. Der Mann war wie einer der Hasen aus der Batterie-Werbung. Schlag im Wörterbuch unter Überlebender nach, dann weißt du, wessen Gesicht dir entgegengrinst.

Ein Jahr zuvor hatte er es sich in seinen elenden Schädel gesetzt, sie in sich verliebt zu machen, und, verdammt noch mal, er hatte keine Ruhe gegeben, bis er sie so weit hatte. Tatsächlich war Sydney wie Wachs in Alecs Händen. Falls sie noch mehr Beweise brauchte, musste sie nur die vergangenen fünf Monate vor ihrem geistigen Auge Revue passieren lassen. Gerade wenn sie es endlich wieder schaffte, bis drei zu zählen und mit den Fingern zu schnippen, um ihr Leben ohne ihn führen zu können – wer tauchte dann vor ihrer Tür auf und sorgte erneut für Turbulenzen?

Oh nein! Sie würde nicht für Alec Porter leiden.

Während sie in seinem unwahrscheinlich sauberen Apartment umherging, versuchte sie, die traurigen Stellen nicht zur Kenntnis zu nehmen, an denen der Kleinkram fehlte, der ein normales Zuhause gemütlich machte. Und sie versuchte, nicht über die Tatsache nachzudenken, dass er an keinem Ort lange genug gelebt hatte, um liebe Dinge anzusammeln. Abgesehen von ein paar Spielzeugen von den McDonald's Happy Meals, die auf dem Fensterbrett standen, waren Bücher das Einzige, was Alec in seiner Gegenwart zu dulden schien. Reihenweise Bände, größtenteils Sachbücher, neben seiner endlosen Ansammlung von Computersoftware und aufwändigem technischem Zeug.

Sie ließ ihre Handtasche auf die Couch fallen und strich sich das Haar aus dem Gesicht, während sie sich fragte, wo sie anfangen sollte. Das Schlafzimmer. Vielleicht findet sich ja etwas Passendes für ihn, das er im Krankenhaus tragen kann. Der Raum war so kalt, dass er problemlos als Kühlhaus für Fleischwaren hätte dienen können.

Zehn Minuten später kramte sie noch immer in seinem Kleiderschrank herum. Momentan musste sie sich ausschließlich auf die Aufgabe konzentrieren, die vor ihr lag, sagte sie sich. Finde einen Bademantel, bring ihn zu Alec in die Klinik ...

Sie hielt inne. »Einen Bademantel?«

Lautes und kristallklares Gelächter stieg aus ihrer Kehle. »Ein Bademantel!« Sydney versuchte sich vorzustellen, in welchem Universum Alec Porter jemals einen Bademantel tragen würde.

Doch sie riss sich zusammen und wühlte sich durch seine T-Shirt-Sammlung, die Exemplare mit durchaus interessanten Botschaften enthielt, wie »Piloten lieben ihren Joystick«. Sie griff nach einem Paar Hosen mit Gummizug und setzte ihre Suche fort. Kurze Zeit später entdeckte sie Socken und Unterwäsche, die sie neben die Hose auf das Bett legte. Die dritte Schublade von unten enthielt Fotografien.

Sydney setzte sich auf den Boden und lehnte sich an das Bett, während sie seinen verborgenen Schatz unter die Lupe nahm. Er hatte ihn unter einem Stapel T-Shirts versteckt, als ob er sich dessen schämte. Die Fotos waren richtig abgenutzt, weil er sie vermutlich häufig in der Hand hielt und betrachtete.

Sie ließ ihre Finger über eine der Kanten gleiten. »Oh, Alec!«

Auf dem ersten Foto war eine Landschaft zu sehen. Ein Strand. Ein Markt. Berge, die dichter Urwald bedeckte. Sämtliche Fotos waren perfekt aufgenommen. Ihr wurde klar, dass es sich um ausländische Orte handelte, an die Alec sich erinnerte. Sie runzelte die Stirn, da sie ihn niemals für sentimental gehalten hätte.

Plötzlich lag ein Bild von ihr selbst in ihrer Hand. Darauf trug sie eine kurze Hose, und ihr rotes Haar war zu Zöpfen geflochten, was sie lächerlich jung aussehen ließ. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie sie für Alec posiert hatte, als er vor dem Sonnentempel in Palenque die Kamera betätigte. Palenque, eine Maya-Ruine in Yukatan, war infolge der Hieroglypheninschriften auf einem Steinsarkophag berühmt geworden. Auch an jenem magischen Tag, einem von vielen, die sie zusammen verbrachten, hatten sie nach präkolumbianischen Fundstücken gesucht.

Damals stießen sie auf das wunderschöne Hotel, das tief im Dschungel lag. Mit seinen kleinen, individuell eingerichteten Bungalows und dem Lagunen-Pool war es ein Paradies für Hochzeitspärchen. Doch in der Nebensaison, im dampfenden heißen Tropensommer, bewohnten sie es praktisch allein.

Sie hatte vor der Glasschiebetür ihres Zimmers gewartet und Alec beim Rauchen auf der Veranda zugesehen. Er stand ohne sein T-Shirt barfuß in Jeans da. Adonis im Mondlicht! Während sie dem Orchester aus Insekten und Fröschen lauschte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als zu ihm hinauszugehen ... obwohl sie wusste, dass sie es nicht tun sollte. Eine Woche später, zurück in Buenos Aires, hatte sie dann nicht mehr gezögert.

Sydney schob ihre Erinnerung beiseite und betrachtete das nächste Foto. In der Mitte des Bildes saß im Vordergrund ein kleiner Junge, der mit zwei Babys auf dem Schoß strahlend in die Kamera lächelte. Ihre Gesichter waren über und über mit Kuchen und Eiskrem verschmiert, und die beiden Kleinen schwenkten ihre Löffel wie Waffen. Auf der Rückseite stand in einer Frauenhandschrift »Der i. Geburtstag der Zwillinge«.

Geenas Kinder, dachte sie. Der Nachwuchs von Alecs Adoptivfamilie.

Sie fragte sich, ob die Fotos seine verlorene Vergangenheit darstellten. Hatte er die Bilder in seiner Schublade versteckt in der Annahme, dass auf diese Weise die einzigen Menschen, die er jemals geliebt hatte, zu seinem Hab und Gut gehörten?

Das letzte Bild zeigte einen wesentlich jüngeren Alec, der seine Arme um ein Mädchen und einen Mann gelegt hatte. Alle drei trugen Pilotenoveralls. Geena und Conor, die Geschwister, die ihn adoptiert hatten.

Sydney wusste, dass Conor der große Held in Alecs Leben gewesen war. Ein Mann, dem er es unbedingt gleichtun wollte ... nur, um ihn am Ende zu verraten. Schrecklich. In seiner typischen Art war Alec nicht weiter ins Detail gegangen, sondern hatte lediglich gesagt, dass er Conors Maßnahme verdiente. Es war trotzdem schwer gewesen, die Strafe zu akzeptieren: Verbannung aus dem Clan.

Sie bezweifelte nicht, dass Alec sein Exil verdiente. Oh, er konnte all das sein, was er von sich behauptete: Computergenie, Friedensstifter, Testpilot und Geheimagent. Aber da war auch noch eine andere Seite in ihm, eine dunkle.

Rasch sah sie sich die restlichen Bilder an. Genau genommen tauchte Alec nicht in ihrem Leben als Ritter in schimmernder Rüstung auf, bereit, sie aus ihrer Misere an der Seite des kriminellen Ehemanns Russell Reck zu befreien. In seiner typischen Art hatte er sich mit einer List eingeschlichen.

Sydney erinnerte sich sehr deutlich an diesen Tag. Sie war in einem schrecklichen Zustand gewesen und hatte das Ende ihrer Illusion von der Ehe betrauert. – Da klingelte es an der Tür, und trotz der Wimperntusche, die schwarze Rinnsale über ihr Gesicht zog, öffnete sie. Sie hatte gehofft, es sei einer von Russells Kumpanen und sie könnte ihn in Verlegenheit bringen: Russell – der Schöpfer einer verzweifelten Ehefrau. Stattdessen stand Alec vor der Tür. Er trug eine Uniform mit einer Namensplakette samt Foto und zog rasch Formulare in dreifacher Ausfertigung hervor – eine Verkleidung, die er für seine Pläne benötigte.

Ich bin von Ihrer Sicherheitsfirma, Mrs Reck. Sie haben wegen einer Störung in dem neuen System angerufen.

Ein Trick, um in Russells Haus zu gelangen!

Stirnrunzelnd legte Sydney die Fotografien vorsichtig in die Schublade zurück. Es waren unglückliche Zeiten gewesen, für sie beide. Deshalb nahm sie Alec auch, wie er war, voll und ganz. Sie hatte selbst zu viele Fehler gemacht, um ihn zu verurteilen.

Alecs Schlafzimmer führte auf einen Balkon. Sydney öffnete die Glasschiebetür und trat in die Sonne des Spätvormittags hinaus. Unter ihr sah sie Urlauber, die sich an dem langen Sandstrand aalten, und Surfer, die in Neoprenanzügen auf den Wellen schaukelten. Sie lächelte. Typisch Alec, dass er eine so unmögliche und gleichzeitig so schöne Bleibe gefunden hatte.

Sie schloss die Augen und spürte, wie die Sonnenstrahlen ihr Gesicht wärmten. Oh ja, sie glaubte an zweite Chancen. Und egal, was Alec auf dem Gewissen hatte, am Ende war er ihr behilflich gewesen, Russell hinter Schloss und Riegel zu bringen. Dafür schuldete sie ihm Loyalität.

Plötzlich wurde sie vom Klingeln des Telefons auf dem Nachttisch im Schlafzimmer aus ihren Gedanken gerissen. Sie wandte sich um und starrte durch die Glastür ins Innere der Wohnung. Einen Augenblick lang verschwand der klare blaue Himmel. Sie vergaß zu atmen und musste wieder an den Telefonanruf in ihrem Büro denken und daran, wie sie darauf reagiert hatte. Genau wie heute Morgen, als das Krankenhaus anrief ...

Zwei Abende zuvor hatte ihr Rechtsanwalt sie angerufen. Wegen Russell. Sydney, ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten.

Seit diesem Zeitpunkt wartete sie auf seinen Rückruf und fuhr jedes Mal zusammen, wenn der Apparat läutete.

Eilig beruhigte sie sich damit, dass außer Alec niemand von ihrem Hiersein wusste. Dennoch hämmerte ihr Puls wie verrückt, als sie die Schiebetür hinter sich schloss. Eine Minute später hörte sie, wie sich der Anrufbeantworter einschaltete. Dann erklang Alecs Stimme. »Syd, nimm ab! Ich weiß, dass du da bist.«

Erleichtert machte sie die Augen zu.

»Syd?«

Sie lief zum Bett hinüber und nahm den Hörer ab. »Ja, Alec. Ich bin hier.«

»Mein unglaubliches Abstraktionsvermögen funktioniert wieder auf Hochtouren. Habe ich dir jemals erzählt, dass ich einen außerordentlich hohen IQ besitze?«

»Könnte sein, dass du es irgendwann einmal erwähntest.«

»Ich rufe nur kurz an, um dich daran zu erinnern, dass du bei Steve's Schnellrestaurant vorbeifährst und mir das Pastrami-Sandwich mitbringst, das – zu deiner Information – längst überfällig ist.«

»Acht Stunden nach deiner Operation, und du willst ein Pastrami-Sandwich? Was ist mit Wackelpudding und klaren Flüssigkeiten?«

»Sieht so aus, als würden sie sich mit diesem Zeug von mir fern halten, nachdem sie gesehen haben, wie ich es über dem Typen, der es mir verabreichen wollte, ausgekippt habe. Hey, glaubst du, Wackelpudding hinterlässt Flecken?«

»Also soll ich kommen und riskieren, dass du wieder schlechte Laune kriegst?«, fragte sie, während sie ihn lächelnd an die Szene in der Klinik erinnerte.

»Ja. Und bring das Pastrami mit. Stell dir vor, Sydney, endlich jemand, den du bemuttern kannst!«

Am anderen Ende der Leitung trat Stille ein. Dann folgte ein Seufzer.

»Ich bin kurz vom Thema abgeschweift, Baby. Bitte komm zu mir zurück.«

Die Art, wie er es sagte, konnte vieles bedeuten.

4

Jackson Bosse wusste zu erreichen, was er wollte. Definitiv war er mit ausreichend Verstand gesegnet. Er fürchtete sich nicht vor harter Arbeit und hatte keine Schwierigkeiten, seine Ziele im Visier zu behalten. Konzentrier dich auf den Ball. Eine Technik, die ihn bis zu diesem Zeitpunkt zu einem echten Sieger im Leben gemacht hatte.

Während seines ersten Jahres in Stanford klappte es mit seiner ersten Million, und zwar noch bevor er offiziell in einer Bar einen Drink bestellen durfte. Er hatte Zzip.com ins Leben gerufen, eine der ersten umfassenden Suchmaschinen für das Internet. Danach war es ein Leichtes gewesen, seine Fähigkeiten und seine Zeit wieder der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen.

Jawohl, er war daran gewöhnt, hart zu arbeiten, einen Plan zu haben und den auch einzuhalten.

Doch neuerdings kam es immer häufiger vor, dass er an seinem verdammten Schreibtisch saß und vor sich hin starrte ... wartend.

Er ließ seinen Federhalter fallen und griff nach dem Telefon, bevor er sich abrupt auf dem Stuhl umdrehte und diesmal die Wand hinter sich anstarrte ... nicht anrufen! Sie nicht kontrollieren!

»Diese Genugtuung verschaffe ich Porter nicht.« Seine Worte klangen wie ein Schwur, als er sie laut aussprach.