John Sinclair 2044 - Ian Rolf Hill - E-Book

John Sinclair 2044 E-Book

Ian Rolf Hill

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Beschreibung

Das uralte Wesen schlug die Augen auf.
Es stieß ein dumpfes, gutturales Stöhnen aus. Etwas hatte es aus seinem tiefen Schlaf geweckt.
Das Wesen erhob sich, schritt lautlos durch die Höhle zum Ausgang und trat hinaus in die vom Mondlicht erhellte Nacht. Es hob witternd den kahlen Schädel mit der schuppigen Haut. Die Kreatur öffnete Sinne, wie sie kein lebendes, atmendes Geschöpf auf Erden hatte. Magische Sinne, die darauf geeicht waren, Veränderungen in der Wirklichkeit wahrzunehmen.
Und eine solche Veränderung war geschehen!

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Inhalt

Cover

Impressum

Suche nach Leben

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Néstor Taylor/Bassols

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-5332-7

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Suche nach Leben

von Ian Rolf Hill

Das uralte Wesen schlug die Augen auf.

Finsternis umgab es, schmiegte sich um den hageren Leib und hüllte ihn in sich bewegende Schatten, die ein bizarres Eigenleben führten. Sie formten Figuren und Gestalten absonderlichen Aussehens, nur um kurz darauf ein neues Erscheinungsbild anzunehmen.

Ein dumpfes, gutturales Stöhnen floss aus dem Mund des Wesens, dessen Augen in der Dunkelheit silbern glänzten. Etwas hatte es aus seinem tiefen Schlaf geweckt.

Das Wesen erhob sich, schritt lautlos durch die Höhle zum Ausgang und trat hinaus in die vom Mondlicht erhellte Nacht. Es hob witternd den kahlen Schädel mit der schuppigen Haut, doch es roch nicht die kühle würzige Luft, die den Duft von Laub- und Nadelgehölzen mit sich brachte. Die Kreatur öffnete Sinne, wie sie kein lebendes, atmendes Geschöpf auf Erden hatte. Magische Sinne, die darauf geeicht waren, Veränderungen in der Wirklichkeit wahrzunehmen.

Und eine solche Veränderung war geschehen!

Es war zu einer Überlappung der Dimensionen gekommen. Etwas Altes war in diese Welt eingedrungen – fremd und zugleich sonderbar vertraut – und wenig später wieder aus ihr verschwunden.

Aber es hatte etwas zurückgelassen. Etwas unglaublich Machtvolles.

Das uralte Wesen lächelte und griff mit beiden Händen in die Realität, zog sie mit zweigdürren Fingern auseinander und öffnete einen Spalt, in dem die Dunkelheit des Kosmos zu Hause war.

Der Dämon trat hindurch und von einem Augenblick auf den Nächsten war er verschwunden.

***

Eine andere Welt.

Erfüllt von gespenstischer Lautlosigkeit.

Bevölkert von unzähligen Lebewesen und Geschöpfen unbeschreiblicher Schönheit und Anmut, die ihre Heimat in den Zeugnissen längst vergangener Zeiten gefunden hatten. Zeugnisse, die zu Mahnmalen des Todes geworden waren.

Ashley Simpson schwebte durch diese Welt, als wäre sie in ihr geboren worden. Tatsächlich fühlte sie sich nirgendwo so wohl und geborgen wie hier, unterhalb des Meeresspiegels in der stillen Friedlichkeit des Ozeans. Gewiss, er konnte erbarmungslos und grausam sein und wer die Ruhe mit Freundlichkeit verwechselte, für den gab es oftmals ein böses Erwachen.

So sehr Ashley für das Meer, seine Bewohner und seine Hinterlassenschaften schwärmte, niemals würde sie den Fehler machen, unaufmerksam zu sein. Es könnte schnell der letzte Fehler ihres Lebens werden. Und nicht nur ihres, denn wie immer begleitete sie auch dieses Mal ihr Ehemann Judd, der drei Körperlängen hinter ihr schwamm.

Die Anzahl der Tauchgänge, die sie gemeinsam in den letzten zehn Jahren unternommen hatten, ging in die Tausende. Man konnte also mit Fug und Recht behaupten, dass sie ein eingespieltes Team waren, in dem sich der eine auf den anderen verlassen konnte. Die Kommunikation zwischen ihnen beschränkte sich selbst an Land häufig auf die knappe Zeichensprache der Taucher. Die Simpsons verstanden sich auch ohne viele Worte und führten ein ausgesprochen harmonisches Eheleben.

Wurden sie darauf angesprochen, pflegten sie sich gegenseitig anzusehen, zuzuzwinkern und zu erwidern, das läge daran, dass sie die meiste Zeit schweigend unter Wasser verbrachten. Hier gab es wenig Raum für Streitigkeiten und Probleme, die in der Tiefe ohnehin meilenweit entfernt schienen. Selbst ihre Liebe hatte hier unten ihren Anfang genommen. Natürlich hatten sie sich nicht unter Wasser kennengelernt, doch ohne ihrer beider Leidenschaft fürs Tauchen, wären sie sich vermutlich nie begegnet.

Ihre gemeinsame Geschichte begann fast wie in einem kitschigen Liebesfilm, nur mit vertauschten Rollen, aber danach fragte heutzutage ja sowieso niemand mehr. Sie die erfahrene Tauchlehrerin, er der gelehrige Schüler. Judd verdiente sein Geld als Investment-Manager bei einer angesehenen Bank in New York, und nicht gerade wenig. Umso mehr suchte er in seiner Freizeit einen Ausgleich zu der nüchternen Welt der Zahlen und Bilanzen, sowie dem hektischen Leben im Big Apple.

Diesen Ausgleich fand er im Wasser und in den Armen von Ashley Billings.

Nur drei Monate später läuteten die Hochzeitsglocken, und Judd gab seinen Job bei der Bank auf und zog zu seiner Frau nach Florida, wo sie ab sofort gemeinsam Einheimischen wie Touristen das Tauchen beibrachten.

Das Hobby zum Beruf machen, das war ihr Traum, den sie sich zusammen erfüllt hatten. Und während sie Tag für Tag ihre Kenntnisse und Fertigkeiten an Menschen beiderlei Geschlechts und fast aller Altersgruppen weitergaben, suchten sie für sich bereits nach neuen Herausforderungen.

Die fanden sie im Wracktauchen.

Überall auf der Welt hatten sie ihre Erfahrungen gesammelt. Von Sable Island vor der Küste von Neuschottland, über die False Bay an der Spitze Südafrikas bis zum berüchtigten Kap Hoorn. Mittlerweile genossen sie einen hervorragenden, wenn nicht schon legendären Ruf in der Szene und es war nicht das erste Mal, dass es sie hierher auf den Friedhof des Atlantiks an die Outer Banks vor die Küste von Cape Hatteras verschlug.

Immerhin lag er – global betrachtet – nur einen Katzensprung von den heimischen Gewässern Floridas entfernt. Wer sich überdies auf das Tauchen in Wracks spezialisierte und die größten Schiffsfriedhöfe der Welt erkunden wollte, der wusste in der Regel, worauf er sich einließ. Nicht selten lagen diese Gebiete in rauen Gegenden mit tückischen Untiefen und hinterhältigen Strömungen.

Und nur wenige Gewässer an der Ostküste der USA waren so heimtückisch wie jene vor der dünnen Halbinsel vor der Küste von North Carolina. Angeblich waren hier in den letzten fünfhundert Jahren mehr als eintausend Schiffe gesunken, andere Quellen verdoppelten diese Zahl sogar. Doch welche auch immer stimmen mochte, es waren mehr als genug für ein einziges Menschenleben.

Heute drangen sie tief ins Herz des Monitor National Marine Sanctuary vor, jenes Schutzgebiet, das nach der USS Monitor benannt worden war, dem ersten Panzerschiff der US-amerikanischen Marine, das 1862 vor Cape Hatteras gesunken war. Und eben jenes Kriegsschiff war das Ziel der beiden Wracktaucher.

Ashley streckte den rechten Arm vor und bewegte die flache Hand mit aneinandergelegten Fingern sachte vor und zurück. »Langsam«, bedeutete dies und sie wusste, dass Judd der Anweisung Folge leistete, ohne dass sie sich extra umzusehen brauchte. Jetzt kam es darauf an, vorsichtig in gemäßigtem Tempo weiter zu schwimmen.

Ihr Motorboot mit der winzigen Kabine dümpelte eine Seemeile hinter und zirka zwanzig Yards über ihnen auf den kabbeligen Wellen des Atlantiks. Sie waren östlich des als National Historic Landmark gekennzeichneten Schutzgebiets vor Anker gegangen und die nächsten anderthalb Stunden waren sie ungestört.

Ein Schatten neben ihr veranlasste Ashley, den Kopf zu drehen. Es war Judd der fragend die Hand hin und her drehte: »Schneller?«

Ashley antwortete mit einer winkenden Handbewegung: »Nein.«

Und sie hatte gute Gründe, denn die Strömungen hier unten konnten tückisch sein. Ein paar Mal hatte sie bereits bemerkt, wie sie an den Extremitäten und den Schwimmflossen gezerrt hatten, und gerade vor und über den Wracks konnten sie eine regelrechte Sogwirkung entwickeln. Außerdem genoss sie es, langsam über den Schiffsfriedhof zu schweben.

Unter ihnen erstreckten sich schon die ersten Ruinen gesunkener Kähne der unterschiedlichsten Epochen. Algen, Korallen, Muscheln und Meeresschnecken hatten im Laufe der Zeit eine dicke Patina auf Reling, Rumpf und Deckaufbauten gebildet. Die scheibenfreien Bullaugen und Fenster starrten ihnen wie leere Augenhöhlen entgegen. Helle Schemen huschten dazwischen entlang und versteckten sich rasch, als sie die Neuankömmlinge bemerkten. Fische, der verschiedensten Größen, Formen und Farben flitzten zwischen den versunkenen Relikten hindurch.

Womit der Mensch einst die Welt eroberte, war hier in der Tiefe zur Heimat unzähliger Tier- und Pflanzenarten geworden. Ashley entdeckte mehrere Langusten, die sich am Meeresgrund inmitten der Wracks entlangbewegten.

Eine Berührung an ihrem Arm, ließ sie aufblicken. Judd deutete nach rechts und zeigte auf einen torpedoförmigen Körper, der gemächlich durch das Wasser schwebte. Majestätisch und kraftvoll: ein Hai. Ein Schwarzhai, erkannte Ashley mit geübtem Blick. Er maß von der konisch zulaufenden Nase bis zur Schwanzspitze drei Yards und gehörte damit zu den stattlicheren Vertretern seiner Art.

Ashley spürte, wie sich ihr Puls beschleunigte. Einerseits aus Freude, andererseits aus Respekt. Sie würde den Kameraden im Auge behalten. Wenn er ihnen zu dicht auf die Pelle rückte, mussten sie gegebenenfalls ausweichen. Allerdings sah er nicht so aus, als wäre er auf Krawall gebürstet.

Das änderte sich schlagartig, als er an ihnen vorbeizog und über das Wrack der Monitor hinwegglitt. Urplötzlich begann sein Körper zu zucken, er senkte die Brustflossen und krümmte die Wirbelsäule.

Im nächsten Moment machte er kehrt und verschwand blitzschnell in den Weiten des Ozeans. Sein schnelles Verschwinden glich nicht nur einer Flucht, es war auch eine.

Ashley schluckte, stoppte und breitete die Arme aus, hoffte, dass Judd das Signal verstand und entsprechend handelte. Aber der hatte längst begriffen. Manchmal vergaß sie, dass er genauso viel Erfahrung im Wracktauchen hatte wie sie. Doch sie konnte es einfach nicht lassen, ihn weiterhin zu bemuttern.

Judd kannte die Körpersprache der Haie ebenso gut, und es gab nicht viel, was einen so großen Schwarzhai in Aufregung versetzen konnte. Ein Schwarm Orcas beispielsweise, oder auch ein Tigerhai auf der Pirsch, möglicherweise sogar ein Großer Weißer.

Dann war allerdings Vorsicht geboten. Die Filme, in denen diese Tiere als gewissenlose Mordmaschinen dargestellt wurden, waren übertriebener Nonsens, das wusste Ashley. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass ein übel gelaunter, ausgewachsener Weißer Hai verheerende Wunden reißen konnte, selbst wenn er nur mal testen wollte, ob das seltsame Flossentier essbar war oder nicht.

Ashley hielt den Atem an und beobachtete das Spiel aus Licht und Schatten, das das Gerippe der Monitor aussehen ließ, als wäre es auf eigentümliche Weise am Leben.

Waren das dort etwa Tentakel, die sich über die Deckaufbauten wanden?

Ashleys Augen hinter der Taucherbrille wurden groß. Sie wusste, dass sich in den Wracks, abgesehen von Fischen, allerlei Kreaturen der Tiefe verbargen. Angefangen von Hummern und Krebsen, über Muränen und Schlangen, bis hin zu Kraken und Oktopussen.

Und dieser Schatten sah verdächtig nach einem solchen Oktopoden aus. Aber selbst der gefürchtete Humboldt-Kalmar wurde nicht derart riesig. Angeblich gab es solche Giganten in der Tiefsee, wo sie sich epische Kämpfe mit Pottwalen lieferten.

Hatte sich möglicherweise ein solches Exemplar hierher verirrt?

Doch wenn dem so gewesen wäre, hätte sie längst den Verursacher des Schattens sehen müssen. Stattdessen huschten lediglich die schwarzen Konturen über das Wrack der Monitor und – sie veränderten sich!

Ashley zuckte zurück, als die Tentakelschatten an den Spitzen auseinanderklafften und wie die Mäuler zahlloser Muränen nach ihr und Judd schnappten. Der Panik nahe bewegte sie den Kopf hin und her, suchte verzweifelt die Tiere, die diese Schatten warfen – werfen mussten.

Sie schrie auf, was sich hier unten als schriller Ton, begleitet von einem Strom Luftblasen, die kerzengerade gen Oberfläche trudelten, niederschlug. Sie fuhr herum und schlug zugleich hektisch mit den Schwimmflossen, um Distanz zwischen sich und den vermeintlichen Angreifer zu bringen.

Aber es war nur Judd, dessen weit aufgerissene Augen, sie hinter der Taucherbrille ängstlich anstarrten. Eilig deutete er nach oben. Aufsteigen, wollte er ihr damit sagen und wartete ihre Antwort gar nicht erst ab. Seine Augen weiteten sich noch mehr, als sähe er nun das, was Ashley bis eben so vehement gesucht hatte. Er packte ihren Oberarm und zerrte sie einfach mit sich. Er musste nicht viel Kraft aufwenden, Ashley folgte nur allzu bereitwillig dem Zug, sog dabei panisch die komprimierte Luft in ihre Lungen, verschluckte sich und spie das Mundstück kurzerhand aus.

Sie fühlte, wie kleine Gefäße in der Nase zerplatzten.

In einem Wirbel aus Luftblasen und Blut schossen die beiden Taucher an die Oberfläche.

Und so sahen sie nicht mehr, was unter ihnen aus dem Wrack der Monitor heraustrat.

***

Die Überraschung währte nur kurz, als das uralte Wesen unterhalb des Meeresspiegels materialisierte. Es brauchte nicht zu atmen und daher auch nicht die Luft anzuhalten, geschweige denn sich um den höheren Druck zu scheren, der es schlagartig umgab.

Der Dämon war der Ausstrahlung des Artefaktes gefolgt wie einem magischen Leitstrahl. Eine lange Suche erübrigte sich daher. Trotzdem galt es, schnell zu sein, schließlich wusste er nicht, wer außerdem von dem Erscheinen des Objektes Kenntnis hatte. Seine Feinde waren zahlreich, und nicht nur die würden triumphieren, besäßen sie erst das, was ihn hergeführt hatte.

Doch er hatte es erschaffen. Seine Verbindung zu dem Artefakt war einzigartig, und er war tatsächlich als Erster hier. Die silbrig glänzenden Augen funkelten, als sich die zweigdürren Finger um das gleichermaßen faszinierende wie unscheinbare Objekt schlossen, das wie hingeworfen zwischen den Trümmern eines alten Schiffes ruhte.

Das Wesen richtete sich auf und schloss für einen Moment die Augen, als es die Kraft fühlte, die von dem kugelförmigen Gebilde ausging. Ein Lächeln umspielte die schmalen Lippen. Es blendete sekundenlang alles in seiner Umgebung aus, behielt lediglich die magischen Fühler ausgefahren, um das Nahen einer Gefahr rechtzeitig zu erkennen.

Das Gewusel der irdischen Kreaturen um es herum, interessierte den Dämon dagegen nicht.

Er gab sich ganz und gar seinem unverhohlenen Triumph hin.

Er hätte es wahrlich nicht für möglich gehalten, ihn noch einmal wiederzufinden.

Einst vom Schwarzen Tod geraubt, war er Jahrtausende über verschollen gewesen. Hätte der Superdämon noch existiert, hätte das Wesen ihn einfach gefragt und sich die Antwort nötigenfalls mit Gewalt geholt. Doch mit seiner Vernichtung war auch die letzte Spur erloschen, zumal das Wesen selbst lange Zeit eingekerkert gewesen war, nur um kurz nach der Befreiung in erneute Abhängigkeit zu geraten.

Das war vorbei! Endgültig. Der Dämon war nicht nur frei, sondern auch wieder im Besitz jenes Objektes, das Leben schenkte. Was für ein Leben, das lag im Ermessen des Benutzers, wie so oft, wenn es um das Wirken von Magie ging, zählten die Absichten desjenigen, der sie entfesselte.

Das Wesen überlegte und wollte bereits den Riss in der Wirklichkeit entstehen lassen, um zurück in die Höhle zu treten, als es innehielt. Vielleicht sollte es erst überprüfen, ob das Artefakt nicht im Laufe der Jahrtausende gelitten hatte?

Wer wusste, was alles geschehen war und ob es nicht im Besitz des Schwarzen Tods Schaden genommen hatte? Dem Superdämon, der nichts anderes kannte als Tod und Zerstörung, war so ziemlich alles zuzutrauen, auch wenn er es gewesen war, der ihm einst ein Geschenk gemacht hatte. Ein Geschenk, das sich später als Heimat und Kerker gleichermaßen erwiesen hatte.

Das Wesen lächelte und konzentrierte sich, fokussierte die magischen Sinne auf die Umgebung, während es aus dem Schiffswrack heraustrat. Es hörte das disharmonische, kreischende Blubbern, mit dem zwei Menschen viel zu schnell an die Oberfläche schossen.

Der Dämon konnte sich denken, was sie so in Panik versetzt hatte, dazu musste er nur einen Blick auf seinen Schatten werfen, der wie immer ein wunderschönes Eigenleben führte und das zeigte, was seine Schaffenskraft im Geiste ersann.

Nun, es war an der Zeit, den Gedanken Taten folgen zu lassen.

Das Wesen hob die grauweiß schimmernde Kugel und trat an die schräg abfallende Bordwand. Nichts rührte sich in unmittelbarer Nähe, sämtliche Kreaturen hatten vor ihm Reißaus genommen, instinktiv die Bosheit gespürt, die von ihm ausging, trotz des Artefakts in seiner Klaue.

Es senkte das Haupt und tastete mit seinen magischen Fühlern den Grund des Meeres ab – und wurde fündig. Trotz seiner Befreiung war er noch an die Regeln gebunden, die ihm auferlegten, keine eigenen Geschöpfe des Schreckens zu erschaffen. Er durfte lediglich die Lücken füllen, die durch natürliche Selektion entstanden waren, sei es nun durch das Wirken höherer Mächte oder schlicht und ergreifend durch Menschenhand.

Nun, dem uralten Wesen sollte es recht sein. Es gab genug Schöpfungen, die im Laufe der Jahrmillionen auf der Erde gewandelt und wieder verschwunden waren. Die Überreste eines solchen lagen hier, unweit des Dämons unter dem Meeresboden.

Er hob die freie Hand und tauchte die Spitzen der dürren Finger in das glänzende Artefakt. Fäden zogen sich in die Länge, als er sie herauszog, schlingerten in den Strömungen wie winzige zitternde Würmer. Die strichdünnen Lippen bewegten sich, murmelten lautlose Beschwörungsformeln. Die Hand, an deren Fingerspitzen sich die weißen Fäden zusammenkräuselten, ballte sich zur Faust. Nur um im nächsten Moment wieder geöffnet zu werden.

Die Fäden spritzten von den Kuppen zum Grund des Meeres, schossen wie an der Schnur gezogen hinab und schlugen so heftig ein, dass Sand und kleine Steine emporstoben.

Der Dämon lächelte – und schuf neues Leben.

***

Das Geschöpf erwachte.

Jahrmillionen hatten seine Gebeine unterhalb des Meeresbodens geruht, waren zerfallen, teilweise versteinert und vergessen worden.

Bis heute.

Etwas – jemand – war gekommen und hauchte ihm neues Leben ein. Knochen fügten sich zusammen, fanden im Schlick und Gestein zueinander. Dort, wo etwas fehlte, im Laufe der Zeit verrottet war, wucherte das Gebein, bildete sich frisches Gewebe. Binnen weniger Augenblicke formte sich scheinbar aus dem Nichts heraus ein Leib, bestehend aus grauem Fleisch und schwarzem Blut, angefüllt mit Bosheit und Magie.

Das Geschöpf öffnete die Augen, die in dem gewaltigen Schädel herumrollten und doch nicht mehr als Schwärze wahrnahmen. Der Druck von Wasser und Erde presste den Körper zusammen, drohte den neu entstandenen Leib zu zerquetschen.

Bevor es dazu kam, ging ein Zittern durch den meterlangen Korpus. Das Geschöpf krümmte und schüttelte sich. Eine riesige Schwanzflosse fuhr aus dem Grund, schlug um sich und wirbelte Sand und Gestein auf.

Dann hob sich der massige Schädel aus dem Boden, an dessen Schnauze Geröll herabrieselte. Das Geschöpf warf den Kopf hin und her, befreite sich von dem, was es all die Jahrmillionen umgeben hatte, öffnete den gigantischen Schlund mit den spitzen Zähnen und – sah seine Beute an der Oberfläche zappeln.

Gierig erhob sich die Kreatur aus seinem nassen Grab, strebte empor, öffnete und schloss dabei das scheunentorgroße Maul, als befände sich die Beute bereits darin.

Oh, es war ja so hungrig.

***

Ashleys Kopf durchbrach die Wasseroberfläche.

Sie schnappte nach Luft, drohte zu hyperventilieren, als ein scharfer Schmerz hinter dem Brustbein dafür sorgte, dass sich die Atemmuskulatur schlagartig verkrampfte.

Chokes, zuckte es durch ihren Verstand, der nahe einer Panik war. Der Begriff bezeichnete ein Symptom der Taucherkrankheit infolge mangelnder Dekompression. Brennender Schmerz hinter dem Sternum während des Atmens, das rein reflektorisch erfolgte und zur Sauerstoffarmut führte. Möglicherweise sogar zum Schock. All das ging ihr durch den Sinn, als vor ihr der Kopf von Judd aus den kabbeligen Wellen schoss.

Er riss sich das Mundstück ab und keuchte, derweil das Blut aus seiner Nase über Lippen und Kinn ins Wasser tropfte. Seine Augen waren vor Angst immer noch geweitet, und er tat das, was Ashley so gern getan hätte, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre: Er schrie!

»Scheiße«, krächzte er mit schriller Stimme. »W …wir müssen zum Boot.«

Ohne auf den Zustand seiner Frau zu achten, ergriff er ihre Schulter, wollte sie einfach hinter sich herziehen. Ashley würgte, schlug mit den Armen um sich und wehrte ihren Ehemann ab, wollte selbst schwimmen. Dabei fragte sich ein Teil ihres Verstandes, was er da unten, kurz vor ihrem panischen Auftauchen, gesehen hatte, das ihn derart in Angst und Schrecken versetzt hatte.

Hektisch sah sie sich um, doch sie konnte nichts erkennen. Keine dreieckige Rückenflosse.

»Komm … endlich«, rief Judd, wobei er zwischen den beiden Worten nach Luft schnappte.