John Sinclair 2126 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2126 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

McBrides Rache

Kathy lachte. "Was soll das werden? Wo führst du mich noch überall hin?"
"Warte es ab. Vertrau mir, es wird dir gefallen."
"Okay."
Die Fünfzehnjährige hatte daran noch so ihre Zweifel, aber schließlich siegte ihre Abenteuerlust. Sie mochte Donnie, der gerne den Kleingangster spielte, aber in Wahrheit sehr sensibel war. Und sie war froh, wieder jemanden zu haben, mit dem sie reden und Zeit verbringen konnte. Die letzten Monate, vor allem der Umzug nach Perth, waren hart für sie gewesen. Sie hatte ihr gesamtes soziales Umfeld zurücklassen müssen. Wieder mal.
Kathy streifte die Erinnerung daran ab und folgte Donnie durch die düstere Gasse. Dunstschwaden quollen aus den Gullydeckeln hervor und gaben der regenfeuchten Straße eine unheimliche Aura ...

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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

McBrides Rache

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Néstor Taylor/Bassols

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7956-3

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

McBrides Rache

von Rafael Marques

Kathy lachte. »Was soll das werden? Wo führst du mich noch überall hin?«

»Warte es ab. Vertrau mir, es wird dir gefallen.«

»Okay.«

Die Fünfzehnjährige hatte daran noch so ihre Zweifel, aber schließlich siegte ihre Abenteuerlust. Sie mochte Donnie, der gerne den Kleingangster spielte, aber in Wahrheit sehr sensibel war. Und sie war froh, wieder jemanden zu haben, mit dem sie reden und Zeit verbringen konnte. Die letzten Monate, vor allem der Umzug nach Perth, waren hart für sie gewesen. Sie hatte ihr gesamtes soziales Umfeld zurücklassen müssen. Wieder mal.

Kathy streifte die Erinnerung daran ab und folgte Donnie durch die düstere Gasse. Dunstschwaden quollen aus den Gullydeckeln hervor und gaben der regenfeuchten Straße eine unheimliche Aura …

Ein wenig fror sie sogar. Sie zog den Reißverschluss ihrer kurzen Lederjacke zu, band sich den bunten Schal noch enger um den Hals und vergrub die Hände in den Taschen.

»Können wir nicht wieder zu den anderen ins Ballardine zurück?«, fragte sie.

Das Ballardine war ein Café am Rande von Northbridge, in dem sich zahlreiche Jugendliche trafen. Besonders solche, die auf der Straße lebten oder weg von zu Hause wollten. Gerade dort fühlte Kathy sich verstanden, obwohl sie nicht wie die meisten anderen von zu Hause floh, um Schlägen, Misshandlungen oder einfach nur der Armut zu entkommen.

»Hast du etwa Angst?«, fragte Donnie und grinste. Seine stechenden Augen gaben dabei ein Funkeln ab, dass ihr irgendwie nicht gefiel.

»Quatsch. Aber diese Gegend ist nicht unbedingt die beste.«

»Das ist die andere Seite von Northbridge. Hinter den ganzen Clubs und Bars existiert noch eine zweite Welt. Meine Welt. Du wolltest doch schon immer wissen, wo ich wohne. Jetzt zeige ich es dir. Komm mit!«

Kathy atmete tief durch. »Na gut. Weil du es bist.«

»Siehst du, geht doch.«

Sie war sich zwar immer noch unsicher, blieb jedoch hinter Donnie. Auch, als er eine Metalltür aufriss und in der Dunkelheit verschwand. Kathy fasste nach seiner Hand und ließ sich von ihm durch einen schmalen Gang ziehen, bis sie tatsächlich so etwas wie eine Wohnung erreichten. Sie bestand aus einigen verrosteten Kleiderständern, an denen zu Kathys Überraschung vor allem Frauenkleider hingen.

Die Mitte des Raumes bildete eine schäbige Matratze, auf die mehrere angeschaltete Taschenlampen gerichtet waren. Sie waren auch die einzige Lichtquelle, denn der Mondschein drang nicht einmal ansatzweise bis in dieses Loch vor.

»Was soll das, Donnie?«, fragte Kathy entgeistert. »Hier wohnst du doch nicht wirklich, oder? Willst du mir erzählen, dass es dein geheimes Hobby ist, Frauenkleider zu tragen.«

Diesmal war es Donnie, der tief durchatmete und betroffen zu Boden blickte. »Okay, ich gebe es zu. Du hast mich durchschaut. Das ist nicht meine Wohnung. Nicht mehr. In Wahrheit wohne ich nicht einmal auf der Straße. Aber hin und wieder komme ich doch hierher. Ich nenne diesen Ort meine Vorhölle.«

Etwas griff nach Kathys Herzen und schnürte ihr förmlich die Kehle zu. Sie wusste plötzlich, dass nichts war, wie sie gedacht hatte. Donnie war nicht nur ein Möchtegern-Kleinganove, er war wirklich gefährlich.

»Was soll das bedeuten?«

Donnie streckte seinen Arm aus und ließ die Klinge eines Springmessers aus seiner Faust hervorfahren. »Ich arbeite für zwei mächtige Männer, musst du wissen«, erklärte er. »Sie bezahlen mich sehr gut dafür, dass ich ihnen neue Ware verschaffe. Aber zunächst einmal muss ich sie auf ihren neuen Lebenszweck vorbereiten.«

»Ich …«, begann Kathy, als sie unvermittelt ein Schlag gegen die Wange traf. Sie schrie auf, verlor die Übersicht und wurde nach hinten geschleudert, sodass sie durch den Raum taumelte und auf der Matratze landete. Die stank erbärmlich, aber das war für Kathy gerade das geringste Problem.

Mit tränenverschleiertem Blick sah sie, wie Donnie sein Shirt auszog und grinsend auf sie zukam. Sie wusste genau, was er vorhatte. Und genauso wusste sie, dass sie sich nicht kampflos ergeben würde.

Die Gestalt hechtete durch verlassene Straßen, sprang über Dächer hinweg und zwängte sich durch schmalste Gassen. Sie hatte übermenschliche Kräfte und Sinne, die die jedes Tieres bei Weitem übertrafen. Und doch hatte sie es nicht kommen sehen, dass ihre Tochter nicht nach Hause zurückkehren würde.

Der Schatten – denn nicht mehr war er für die, die ihn sahen – musste sie finden, so schnell wie möglich. Er hatte viel zu lange gezögert, weil er sich nicht in ihr Privatleben einmischen wollte. Nicht noch mehr als sonst schon. Er hatte ihr so viele Freiheiten gewährt, und jetzt zahlte er den Preis dafür.

Das Wesen nahm die Aura seiner Tochter wahr. Sie war schwach, kaum wahrnehmbar, und doch wusste es, dass es ihr immer näher kam. Sie musste ganz in der Nähe sein, doch es sah sie einfach nicht.

In der Gasse türmte sich der Unrat. Ratten fielen über die überquellenden Mülltonnen her. Die Häuserwände waren mit Graffiti übersät. Trotzdem lebten hier Menschen. Wahrscheinlich Obdachlose, die nur einen Ort zum Schlafen suchten. Wenn sie das Wesen sahen, würden sie glauben, nur schlecht geträumt zu haben.

Plötzlich sah die Gestalt sie. Ihre Glieder versteiften augenblicklich. Es war, als lägen tonnenschwere Bleigewichte auf ihren Armen und Beinen. Sie war kaum noch in der Lage, sich vorwärts zu bewegen.

Das Wesen, das kurz davor war, wieder zu einem Menschen zu werden, sah sie direkt vor sich. Leblos lag sie auf dem Asphalt, den starren Blick in Richtung Himmel gerichtet. Ihr Lieblingsschal war um ihren Hals gebunden, jedoch so, wie sie es niemals selbst getan hätte. Es roch und spürte, was man ihr bis zu ihrem qualvollen Tod angetan hatte. Mühsam kroch es auf sie zu, rückte ihr den Schal zurecht und sah dabei, was noch alles mit ihr geschehen war. Dann schloss es ihr die Augen. Tränen rannen über seine Wangen, und die Mutation aus Mensch und Tier begann sogar zu schluchzen.

»Ein hübsches Mädchen, ja, ja …«, drang es zwischen einer der Tonnen in seiner Nähe hervor. »Mit so einem Scheusal wie dir wäre sie in tausend Jahren nicht ausgegangen.«

Die Augen der Gestalt fixierten den Fremden, der eingeklemmt zwischen den Tonnen hockte. Er war etwa fünfzig Jahre alt, der zottelige Bart und die dicken Augenringe machten ihn jedoch deutlich älter. Die fast leere Whiskeyflasche in seiner linken Hand zeugte davon, dass er kaum noch Herr seiner Sinne war.

»Meine alten Freunde haben sich sehr viel Mühe gegeben, sie hier für dich abzulegen«, rief der Obdachlose und lachte. »Haben wohl nicht gedacht, dass der alte Larry sie dabei beobachten würde. Aber falsch gedacht. He, he.«

»Was weißt du darüber?«

»Das sage ich dir gerne, wenn du mir eine neue Flasche besorgst.«

Die Gestalt dachte gar nicht daran. Mit brachialer Gewalt riss sie den Obdachlosen aus seinen Versteck, richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und ließ den ›alten‹ Larry gut einen halben Meter über dem Boden baumeln. »Sag mir, was du weißt«, wiederholte die Kreatur.

»Schon gut, schon gut«, beschwichtigte Larry und sagte dem Wesen schließlich was es wissen wollte.

Jedes Wort, das es hörte, machte es nur noch wütender. Irgendwann konnte das Wesen die alkoholgeschwängerten Worte des Obdachlosen einfach nicht mehr ertragen. Es drehte durch, brüllte auf und tat etwas, von dem es sich gewünscht hatte, es niemals tun zu können …

Ein Tag später

Ich blickte in das Gesicht einer Toten.

In meinem Leben als Kämpfer gegen die Mächte der Finsternis wurde ich tagtäglich mit dem Tod konfrontiert. Dämonen hatten keinen Respekt vor Menschenleben, weshalb meine Fälle oft mit einem Leichenfund begannen. Dennoch wurden mir die Toten nie gleichgültig. Die wenigsten von ihnen hatten es verdient, zu sterben, und das meist auch auf eine grausame Art und Weise.

Nur selten wurde ich dabei mit Leichen konfrontiert, deren Gesichter ich kannte, so wie in diesem Fall. Die Tote war noch jung, sicher nicht einmal sechzehn Jahre alt. Ihre Haut war mit Eiskristallen überzogen und wirkte, als wäre sie aus Porzellan. Die Augen waren geschlossen, sodass sie wirkte, als würde sie nur schlafen.

Ich hatte gewusst, was mich erwartete, noch bevor Sergeant Liz Stanton die Lade aufgezogen hatte. Schon vor meiner Ankunft in Perth war ich von einem Mann informiert worden, den ich eigentlich als unsympathisch und abweisend kennengelernt hatte: Neal Jorgensen, dem Mordermittler aus Sydney, der mich beim Kampf gegen eine mörderische Sekte tatkräftig unterstützt hatte.1)

Dem ehemaligen Mordermittler, sollte man wohl besser sagen, denn Jorgensen war nach dem eigentlichen Ende der damaligen Ermittlungen suspendiert worden. Man hatte ihm, trotz meiner und Sir James’ tatkräftiger Unterstützung, seine Geschichte nicht abgenommen. Für Beamte, die noch nie mit Dämonen konfrontiert worden waren, klang es sicher auch abwegig, dass einer der reichsten Männer Australiens – ein gewisser Ronald Belgin – eine Geheimsekte aufgebaut und die Tochter eines Werwolfs namens Darren McBride entführt hatte, um sich von diesem den Wolfskeim einpflanzen zu lassen.

Inzwischen hatte Jorgensen selbst seinen Dienst quittiert und arbeitete als Privatdetektiv, wobei er immer für mich die Augen in Australien offenhielt. Etwas, mit dem ich bei unserer ersten Begegnung niemals gerechnet hätte.

Doch nicht er, sondern seine Kollegin Liz Stanton hatte diesmal den Stein ins Rollen gebracht. Ursprünglich hatte sie Jorgensen nur aus irgendeiner alten Verbundenheit um Unterstützung in einem Mordfall gebeten, doch der Privatermittler hatte die Tote sofort wiedererkannt.

Und jetzt sah ich in ihr starres Gesicht. Ich hatte die Kleine nur ein einziges Mal gesehen, damals, im Keller eines abbruchreifen Hauses, in das der Milliardär und Sektierer Ronald Belgin Darren McBride gebracht hatte, um ihn zu zwingen, ihn zum Werwolf zu machen. Damals ließ ich McBride mit seiner Tochter entkommen, weil ich erfahren hatte, dass er anscheinend die Bestie in sich kontrollieren konnte.

Jetzt sah ich seine Tochter wieder – denn die Tote war niemand anderes als Kathy McBride!

Sie wirkte so friedlich, während sie starr auf der Bahre lag. Noch immer schien es mir, als würde sie schlafen. Doch sie würde nie wieder erwachen. Die Druckstellen an ihrem Hals wiesen sofort darauf hin, wieso.

»Wurde sie erwürgt?«, fragte ich, ohne mich umzudrehen.

»Nicht ganz«, antwortete Liz Stanton. Sie war etwas jünger als Jorgensen. Mit ihren langen, blonden Haaren, die weit über ihr Gesicht fielen, kaschierte sie gekonnt die Fältchen, die sich langsam in ihre Haut gruben.

Dennoch war sie eine schöne Frau. Hin und wieder beschlich mich das Gefühl, dass es zwischen Neal Jorgensen und ihr eine gewisse, unausgesprochene Spannung gab.

»Man hat sie gewürgt, das stimmt«, fuhr sie fort. »Aber dadurch ist sie nicht gestorben. Auch nicht durch die Vergewaltigung, die laut Leichenbeschauer ebenfalls ante mortem geschah. Jemand hat ihr einen sogenannten Goldenen Schuss verpasst. Ein Cocktail aus Kokain, Heroin und Crystal Meth. Trotzdem hat sie noch einige Zeit gelebt, bis sie an ihrem eigenen Erbrochenen erstickt ist. Der Täter hat sie in der Gasse abgelegt und ihr sogar noch ein Tuch um den Hals gelegt, um die Würgemale zu kaschieren, die erst bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung zutage traten.«

Ich schluckte hart. Was hatte Kathy McBride nur alles durchmachen müssen? So ein grausames Schicksal wünschte ich niemandem, schon gar nicht einem jungen Mädchen. Wer immer ihr Mörder auch war, ich wollte ihn auf keinen Fall davonkommen lassen. Und sicher nicht nur ich. Wenn ihr Vater erfuhr, was mit ihr geschehen war …

»Gibt es Hinweise auf den Täter?«

»Wir haben Fingerabdrücke von ihrem Hals genommen, aber die sind wohl unbrauchbar. Bei dem Abstrich fand sich zwar eine DNA-Spur, aber sie war nicht im System gespeichert. Der einzige wirkliche Hinweis ist der Drogencocktail, den man ihr gespritzt hat. Wahrscheinlich, um sie der Polizei als einen weiteren toten Junkie zu verkaufen. Was auch fast funktioniert hätte. Jedenfalls wurde für ihren letzten Schuss sehr hochwertiges Kokain verwendet, was schon ziemlich auffällig ist. Wir haben in Perth seit Längerem mit einer Welle der Drogenkriminalität zu kämpfen. Es würde mich nicht wundern, wenn der Täter aus diesem Milieu stammt.«

»Haben Sie jemand Bestimmten in Verdacht?«

»Nein, leider nicht. Allerdings gibt es trotzdem einen gewissen Hinweis auf den Täterkreis.«

»Was für ein Hinweis?«

»Den zweiten Toten.«

Ich nickte. Jorgensen hatte mich bereits darüber informiert, dass es nicht nur einen, sondern bereits zwei mysteriöse Todesfälle gab, mit denen ich mich befassen würde.

Liz Stanton ging einen Schritt zur Seite und zog eine weitere Lade auf. Dabei zögerte sie jedoch. »Die zweite Leiche bietet einen furchtbaren Anblick, das können Sie mir glauben. Wollen Sie sie trotzdem sehen?«

»Ich muss«, erwiderte ich.

Die Ermittlerin zuckte mit den Schultern, zog die Lade noch weiter auf und schlug die Decke zur Seite. Neal Jorgensen begann sofort zu husten und drehte sich zur Seite, und auch ich hatte Mühe, meinen rebellierenden Magen unter Kontrolle zu bringen.

Was da vor mir in der Lade lag, hatte mit einem Menschen kaum noch etwas gemein. Das Gesicht des Mannes war kaum mehr als ein blutiger Klumpen, und sein Oberkörper sah nicht besser aus. Zudem fehlte ihm die linke Hand. Jemand hatte an ihm wirklich all seine Wut ausgelassen. Ich ahnte bereits, um wen es sich dabei handelte, sprach es aber noch nicht aus.

»Das war Larry Miles«, erwähnte Liz Stanton ein weiteres Mal den Namen des Toten, ohne ihm auch nur einen Blick zuzuwerfen. »Ein kleiner Rauschgiftdealer, saß auch deswegen schon im Gefängnis. Zumindest war er das in seinen besten Zeiten, inzwischen wurde er eher als Junkie und Herumtreiber bekannt. Seine Leiche wurde nur etwa fünfzig Meter vom Fundort Kathy McBrides gefunden – allerdings erst einen Tag später. Der Leichenbeschauer meinte, dass Miles möglicherweise vor seinem Tod gefoltert worden war, konnte das angesichts der Schwere der Verletzungen aber nicht mit Bestimmtheit sagen. Seiner Meinung nach ist er einem wilden Tier zum Opfer gefallen, zumindest deuten darauf auch die blutigen Pfotenabdrücke am Tatort hin. Von der Größe her könnten sie aber keinem normalen Tier gehört haben.«

Ich sagte nichts. Stattdessen wechselte ich mit Neal Jorgensen einen kurzen Blick. Der ehemalige Detective Inspector war kein erfahrener Ermittler im Kampf gegen die Mächte der Finsternis, aber er wusste inzwischen, zu was ein Werwolf fähig war. Es war offensichtlich, was geschehen war – Darren McBride hatte bereits damit begonnen, Rache für den Tod seiner Tochter zu üben. Oder wollte man mich nur auf eine falsche Fährte locken?

Noch stand ich ganz am Anfang, aber ich ahnte, dass sehr bald weitere Leichen auftauchen würden …

Dave O’Shay nahm einen letzten, tiefen Zug von der Zigarette, bevor er sie in das dunkle Wasser des Rous Head Harbor schnippte. Für den Anblick des Vollmonds, der zum Teil von dunklen Wolkenbergen verdeckt wurde, hatte er nichts übrig. Ebenso wenig wie für die Möwen, die krächzend ihre Kreise über das Hafengelände zogen.

Die SIG Sauer, die in einem Halfter unter seiner Lederjacke steckte, war ebenfalls nur Beiwerk. Was sein Partner und er in dieser Nacht planten, war zwar illegal, aber nicht wirklich risikoreich.

Kenny Wong und er waren Dealer und der Mann, mit dem sie bald ins Geschäft kommen würden, ein alter Bekannter. Jack Sampson war so etwas wie ihr Kontaktmann zu den Hafenarbeitern. Er war eigentlich kein richtiger Krimineller, sondern nur ein Süchtiger, der sich verzweifelt etwas dazuzuverdienen versuchte. Nur Dave und Kenny gehörten tatsächlich zum Netzwerk.

Dave zog den Reißverschluss der Jacke zu und sah zu seinem Partner herüber. Kenny, etwa dreißig Jahre alt und damit nur knapp jünger als er selbst, nickte und hob die schwarze Sporttasche auf.

Das Treffen fand unterhalb der gigantischen Entladekräne statt, an denen normalerweise rund um die Uhr Container von den Decks der mächtigen Frachter auf die Lagerflächen von Fremantle City verbracht wurden. Nicht in diesem Fall, denn dieser Bereich des Hafens stand seit einigen Monaten leer. Die Logistikfirma hatte Konkurs angemeldet, aber es war nur noch eine Frage von Wochen, bis eine andere ihren Platz einnahm.

Kenny und er kannten sich zwischen den Lagerbauten und leeren Containern bestens aus. Beide hatten sie früher selbst hier gearbeitet, bevor sie zu der Erkenntnis gekommen waren, dass es weit lukrativere Jobs gab als den des Hafenarbeiters. Man musste nur sein Gewissen ablegen und ein gesundes Maß an Kaltschnäuzigkeit mitbringen.

Wie so oft kratzte sich Dave am Hinterkopf. Er wurde diesen Tick einfach nicht los. Wieder zündete er sich eine Zigarette an.

Als Kenny und er den vereinbarten Treffpunkt – einen Container, der von den Arbeitern als Kantine genutzt worden war, erreichten – fehlte von ihrem Geschäftspartner jede Spur.

»Wo steckt Jack?«, zischte Kenny und sah sich nervös um.

»Nur die Ruhe. Es ist noch eine Minute.«

»Sonst war er immer schon zehn Minuten früher da.«

»Er ist vielleicht nicht mehr so nervös wie bei den ersten Malen.«

Kenny schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir nicht.«

Dave seufzte. »Jetzt krieg dich mal wieder ein«, fuhr er den Hongkong-Chinesen an. »Du tust ja so, als wäre das dein erster Deal. Er wird schon auftauchen.«

»Vielleicht haben ihn die Bullen erwischt, und jetzt sind sie hinter uns her.«

»Das ist doch Quatsch. Warum sollten die uns dann zappeln lassen? Du kannst ja abhauen, wenn du willst. Ich bleibe hier. Aber erwarte nicht, dass ich unsere Provision dann noch mit dir teile.«

Kenny sah ihn lange an, bevor er den Kopf schüttelte. »Vergiss es.«

»Dachte ich mir.«

Zwei weitere Minuten verstrichen, in denen nichts geschah, außer dass Kenny mehrmals nervös am Griff seines Revolvers herumnestelte. Schließlich erklangen leise Schritte, bis sich endlich ein Schatten aus der Finsternis zwischen den Containern löste.

»Na endlich«, kommentierte Kenny Jack Sampsons Ankunft. »Hast du dich verlaufen?«

Der Hafenarbeiter fuhr sich nervös über die Dienstkleidung. »Mein Chef hat mich nicht gehen lassen, tut mir leid. Eigentlich war ich für Überstunden eingeteilt, aber ich habe ihm erzählt, meine Frau wäre sehr krank und …«

»Schon gut«, unterbrach ihn Dave. »Wir wollen nicht deine Lebensgeschichte hören. Hauptsache, du bist da. Hast du das Geld?«

»Ja, ich … da ist auch so eine Sache, über die ich mit euch reden wollte. Vielleicht … könnten wir ja am Preis noch etwas schrauben, hm …?«

»Ist nicht drin.«

»Aber …«

»Muss ich dich daran erinnern, mit wem du es hier zu tun hast, Jack? Sei froh, dass ich dir für deine Frechheit nicht einen Finger abschneide. Noch mal so eine Nummer, und ich lasse dich bluten. Das ist kein Kinderspiel hier. Der Preis ist nicht verhandelbar. Entweder du gibst uns die Kohle, oder das war unser letztes gemeinsames Geschäft.«

Jack Sampson zuckte angesichts der mehr als deutlichen Drohung zusammen. Man sah ihm an, dass es ihm nicht nur ums Geld ging. Selbst im Angesichts des schwachen Mondscheins war der Schweiß auf seinem Gesicht gut zu erkennen. Der Hafenarbeiter litt eindeutig unter Entzugserscheinungen.