John Sinclair 2130 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2130 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Der Mann nahm einen letzten, tiefen Zug von der Zigarette, bevor er sie fallen ließ und mit seinem Stiefel zerdrückte. Er summte leise vor sich hin und nahm das Fernglas in beide Hände.
An den meisten Orten der Welt wäre es zu dieser späten Stunde längst stockfinster. Hier, in einer der einsamsten Regionen des hohen Nordens, gab es in dieser Jahreszeit keine Nacht. Obwohl die Mitternachtssonne von dichten Wolken verdeckt wurde, spendete sie genügend Licht, um die Umrisse der einsamen Siedlung aus der Dunkelheit zu reißen. Inzwischen hatten sich die Augen des Mannes an den seltsamen, geradezu surrealen Schein gewöhnt.
Er blieb im Schutz der Baracke verborgen - im Gegensatz zu der einsamen Gestalt, die sich die wetterbedingt düsterste Stunde des Tages ausgesucht hatte, um scheinbar unbemerkt die Siedlung betreten zu können ...

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Seitenzahl: 155

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Todesfalle Spitzbergen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: breakermaximus; Kiselev Andrey Valerevich/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8053-8

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Todesfalle Spitzbergen

von Rafael Marques

Der Mann nahm einen letzten, tiefen Zug von der Zigarette, bevor er sie fallen ließ und mit seinem Stiefel zerdrückte. Er summte leise vor sich hin und nahm das Fernglas in beide Hände.

An den meisten Orten der Welt wäre es zu dieser späten Stunde längst stockfinster. Hier, in einer der einsamsten Regionen des hohen Nordens, gab es in dieser Jahreszeit keine Nacht. Obwohl die Mitternachtssonne von dichten Wolken verdeckt wurde, spendete sie genügend Licht, um die Umrisse der einsamen Siedlung aus der Dunkelheit zu reißen. Inzwischen hatten sich die Augen des Mannes an den seltsamen, geradezu surrealen Schein gewöhnt.

Er blieb im Schutz der Baracke verborgen – im Gegensatz zu der einsamen Gestalt, die sich die wetterbedingt düsterste Stunde des Tages ausgesucht hatte, um scheinbar unbemerkt die Siedlung betreten zu können …

Selbst innerhalb des Hauses war es bitterkalt, da half auch der Pelzmantel nicht viel. Doch er war diese Temperaturen gewohnt, außerdem hatte er in seinem Leben schon viel Schlimmeres erlebt.

Der Mann griff in die rechte Jackentasche und zog ein Funkgerät hervor. »Er ist da«, meldete er seine Beobachtung.

»Beobachten und auf weitere Anweisungen warten!«, drang es auch dem kleinen Gerät.

»Verstanden.«

Trotz oder gerade wegen der seltsamen Helligkeit war außer der Silhouette kaum etwas von dem Eindringling zu erkennen. Er glaubte jedoch, blonde Haare wahrzunehmen. Bewaffnet war er mindestens mit einer Maschinenpistole. Zudem baumelte etwas vor seiner Brust, das auf den ersten Blick wie ein Medaillon oder Kreuz aussah.

»Hier draußen hilft dir kein Gott, Towarischtsch«, murmelte der Mann.

Während der Fremde von einem Haus zum nächsten schlich, tat sich in seiner unmittelbaren Umgebung etwas. Eine weitere Gestalt löste sich aus dem Schatten. Bisher hatte sie in der Nähe eines Schutthaufens gekauert. Der Geruch eines lebenden Menschen musste sie angezogen haben. Sie dagegen war längst tot, denn die Gestalt war nichts anderes als ein Untoter.

Obwohl er den Gestank nicht wahrnehmen konnte, begann seine Nase zu jucken, als er an diese Wesen dachte. Sie waren so etwas wie ein notwendiges Übel, aber sie erfüllten auch einen Zweck – beispielswese, wenn es um unliebsame Gäste ging. Bald würde sich zeigen, wie gefährlich der Neuankömmling wirklich war.

Der Mann blieb stehen, obwohl er den lebenden Toten weder gesehen noch gehört haben konnte. Er nahm den Gegenstand, den er um den Hals trug, in die Hand und betrachtete ihn kurz. Gleichzeitig schlurfte der Zombie langsam auf ihn zu.

Der Blonde drehte sich um, sah die verweste Gestalt und ließ sie einfach kommen. Als sie ihn erreichte, drückte er ihr etwas gegen das Gesicht. Im Kopf der Horrorgestalt blitzte etwas auf, woraufhin sie einfach umkippte und reglos liegen blieb.

Der heimliche Beobachter hob wieder das Funkgerät in die Hand. »Er hat einen der Untoten getötet«, meldete er seinem Vorgesetzten. »Er hat ihm irgendetwas ins Gesicht gedrückt.«

»Hat er keine Waffe?«

»Doch, eine MPi, aber damit hat er den Zombie nicht getötet.«

»Alles klar. Halte die Position. Sergei wird sich um ihn kümmern. Sollte er sich wehren, schieß! Wie abgesprochen …«

»Verstanden.«

Er zögerte keine Sekunde, öffnete so leise wie möglich das Fenster und hob sein AK-74 an. Als Scharfschütze war es kein Problem, die Zielperson auch aus dieser Entfernung mit einem gezielten Schuss zu töten – oder außer Gefecht zu setzen, wie es eigentlich geplant war. Im Notfall war es ihm egal, nur lebend nutzte er ihnen sicher mehr als tot. Vorerst zumindest.

Der Blonde bemerkte nicht, wie sich aus einem Erdloch eine zweite Gestalt löste. Sergei wusste genau, wie er sich im offenen Feld tarnen musste. Immer wieder duckte er sich, um nicht zu früh entdeckt zu werden. Der Mann schien wirklich ahnungslos zu sein. Selbst, als Sergei direkt hinter ihm auftauchte, reagierte er nicht.

Erst als er den heißen Atem in seinem Nacken spüren musste, wirbelte er herum. Obwohl Sergei für seine kurz angesetzten, beinharten Schläge bekannt war, gelang es dem Fremden, dem Treffer mit einer blitzschnellen Bewegung auszuweichen. Seine Handkante wirbelte durch die Luft und traf Sergei am Hals. Gurgelnd torkelte er zurück, während der Blonde nach seiner Waffe griff.

Da schaltete sich der stille Beobachter ein. Er richtete das AK-74 auf sein Ziel und drückte ohne zu zögern ab. Die Kugel traf nicht den Mann, sondern seine Waffe. Das Geschoss sorgte dafür, dass ihm die MPi aus der Hand geprellt wurde.

Der Blonde wirbelte überrascht herum. Genau das war sein Fehler. Sergei hatte sich wieder gefangen und schlug erneut zu. Wieder gelang es dem Blonden, seinen Kopf im letzten Augenblick zur Seite zu drehen. So traf ihn die Handkante nicht am Hals, sondern an der Schläfe. Der Effekt war derselbe. Wie ein gefällter Baum sackte der Kerl zu Boden und blieb reglos liegen.

Sergei schüttelte sich kurz, ging neben dem Ohnmächtigen in die Knie und begann, seine Taschen zu durchwühlen. Als er etwas fand, funkte er sofort den Beobachter an. »Ich habe hier einen Ausweis«, erklärte er. Seine Stimme klang kratzig. Offenbar hatte ihn der Blonde hart erwischt.

»Mit Namen?«

»Ja. Ein Oberinspektor von Scotland Yard. John Sinclair.«

»Na, gut geschlafen?«

Suko streckte sich und machte einige Dehnübungen, bevor er sich zu seiner Freundin an den Tisch setzte. Shao grinste ihn an und nahm einen weiteren Löffel von ihrem Müsli.

»Wie soll man nach einer solchen Massage nicht gut geschlafen haben?«, entgegnete er.

»Das war ja nicht das Ende des Abends.«

»Trotzdem. Ich könnte mit zehn Werwölfen jonglieren.«

Shao sah ihn mitleidig an. »Beschrei es nicht, sonst muss ich dich noch an deine Worte erinnern.«

»Das wäre was. Was hast du heute so vor?«

»Ich wollte ein paar Kräuter und Gewürze in Soho kaufen gehen. Da hat ein neuer Laden aufgemacht. Mal sehen, ob die Sachen dort wirklich so frisch sind, wie sie behaupten. Und du?«

Suko nahm einen Schluck Tee, den Shao ihm bereitgestellt hatte. »Bis jetzt noch nichts«, antwortete er. »Natürlich abgesehen davon, zur Arbeit zu fahren. Im Moment liegt zum Glück kein neuer Fall an. Und selbst mit der Schreibarbeit sind wir gerade so weit, dass uns wohl nur ein Gang zu Luigi bleibt, um die Zeit zumindest etwas totzuschlagen.«

»Ihr Ärmsten.«

»Ja, ja, wir haben schon ein hartes Leben«, sagte er grinsend und lehnte sich zurück.

Der Rest des Morgens verlief in der alltäglichen Routine. Nach dem Essen wusch Suko sich, machte noch einige Dehnungsübungen und zog sich schließlich an. Mit Dämonenpeitsche, Stab des Buddha und Beretta ausgerüstet verabschiedete er sich von seiner Lebensgefährtin und trat in den Flur.

Johns Wohnung lag direkt gegenüber. Wie so häufig war es Suko, der als Erster für die Fahrt bereit war. Der Herr Geisterjäger stand wohl immer noch unter der Dusche oder saß an seinem etwas rudimentären Frühstückstisch.

Der Inspektor klopfte an der Tür. »Aufwachen, Partner«, rief er dabei.

Eine Reaktion blieb aus. Suko versuchte es noch einmal, diesmal etwas lauter und energischer. Wieder regte sich nichts. Schließlich wählte er die Nummer seines Freundes, nur um festzustellen, dass niemand abhob. Auf seinem Handy gab es noch nicht einmal ein Freizeichen.

Langsam begann er, sich Gedanken zu machen. Es konnte durchaus sein, dass John mitten in der Nacht zu einem Fall gerufen worden war und ihn nicht wecken wollte. Dann hatte er sicher eine Nachricht für ihn hinterlassen.

Glücklicherweise besaß er einen Zweitschlüssel für die Wohnung des Geisterjägers. Abgeschlossen war die Tür zumindest. Suko zog sie auf und sah sich etwas um. Von John fehlte jede Spur. Das Wohnzimmer war leer, ebenso das Bett. Auch das Kreuz, die Beretta und Johns Klamotten waren verschwunden. Offenbar war er wirklich über Nacht aufgebrochen, nur eine Nachricht fand Suko nicht.

Blieb nur noch ein Anruf im Büro. Glendas Nummer war ebenfalls im Kurzwahlspeicher seines Smartphones. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann nahm ihre Sekretärin das Gespräch an.

»Guten Morgen, Suko«, begrüßte sie ihn. Suko konnte sich ihr süffisantes Lächeln bildhaft vorstellen. »Auch ausgeschlafen? Ist John schon wach?«

»Das wollte ich dich gerade fragen.«

»Wie meinst du das?«

»Er ist nicht in seiner Wohnung.«

Für einige Sekunden herrschte am anderen Ende der Leitung betretenes Schweigen. Offenbar war Glenda genauso überrascht wie er, dass John die Nacht nicht in seiner Wohnung verbracht hatte.

»Auf das Risiko, etwas zickig zu klingen: Es gäbe noch genügend andere Möglichkeiten, wo John übernachtet haben könnte«, sagte Glenda. In ihrer Stimme schwang ebenfalls ein Hauch Sorge mit.

»Möglich. Ich werde mal ein bisschen herumtelefonieren. Frag mal bei Sir James nach, ob John über Nacht irgendwelche Ermittlungen aufgenommen hat.«

»Mach ich. Bis gleich dann.«

Suko beendete das Gespräch und wiegte das Smartphone gedankenverloren in der Hand. Klar, John konnte durchaus jemanden besucht und dort die Nacht verbracht haben, aber sein Bauchgefühl sagte ihm, dass mehr dahinter steckte.

Als Erstes rief er bei den Conollys an. Sheila klang sofort sorgenvoll, allerdings wusste sie auch nicht mehr als er. Ihr Mann hielt sich zurzeit in Irland auf, wo er einigen angeblichen Zwergensichtungen auf den Grund ging – ohne John. Und bei Johnny lag wohl im Moment auch nichts an.

Auch die nächsten Anrufe erwiesen sich als Fehlschläge. Purdy war schon bei der Arbeit, Tanner allein im Büro. Selbst Jane Collins, Chris Ainsworth und sogar Maxine Wells wählte er an – ohne Erfolg. John hatte sich bei keinem von ihnen gemeldet.

Blieben nur noch ihre Freunde im Ausland, aber dass John ohne eine Nachricht zu hinterlassen nach Frankreich, in die Staaten oder sogar nach Indien gereist war, erschien ihm mehr als unwahrscheinlich.

Gerade als er kurz davor war, doch noch einige Anrufe zu tätigen, meldete sich Glenda wieder. »Sir James weiß auch von nichts«, zerschlug sie mit ihren ersten Worten Sukos letzte Hoffnung. »Hast du etwas erreicht?«

»Nein, nichts. Keiner hat etwas von ihm gehört. Allerdings hat er seine Waffen mitgenommen, also muss irgendetwas angelegen haben. Nur verstehe ich nicht, warum er uns nicht wenigstens eine Nachricht hinterlassen hat.«

»Vielleicht hat man ihm keine Zeit dafür gelassen. Das wäre schließlich nicht das erste Mal …«

Suko gab Glenda gedanklich recht. Manchmal gab ihnen die andere Seite wirklich keine Zeit, irgendeine Nachricht zu hinterlassen. Zudem konnte John von einer magischen Kraft in eine andere Dimension oder Zeit gezogen worden sein. Da musste er nur an Myxin, den kleinen Magier aus Atlantis, denken. Wenn er John um Hilfe gebeten hatte, konnte er ihn durchaus nach Atlantis oder zu den Flammenden Steinen gebracht haben. Schließlich hatten sie gerade erst bei ihrem letzten Fall wieder mit den Atlantern zu tun gehabt, und womöglich war in dieser Hinsicht noch irgendwas geschehen. Doch wenn dem so war, gab es für den Inspektor keine Möglichkeit, mit John Kontakt aufzunehmen.

»Okay, möglich, dass es so gewesen ist«, antwortete Suko. »Ich werde jetzt erst mal ins Büro fahren, dann sehen wir weiter.«

»Gut, bis gleich.«

Suko beendete das Gespräch, steckte das Handy weg und atmete tief durch. So sehr er sich auch umsah, er fand nicht den geringsten Hinweis darauf, was mit John geschehen war. Mit einem mehr als schlechten Gefühl verließ er die Wohnung und machte sich auf den Weg in die Tiefgarage.

Als der Inspektor ins Büro trat, kam ihm sofort Glenda Perkins entgegen. Ihre Miene war sicher mindestens genauso sorgenvoll wie seine. Selbst der Tee, den sie ihm zur Begrüßung reichte, konnte seine Laune keinen Deut aufhellen. Er fühlte sich so absolut hilflos, gerade nachdem John und er sich schon so oft gegenseitig aus der Patsche geholfen hatten.

»Wer weiß, ob nicht wirklich alles ganz harmlos ist …«, murmelte Glenda und blickte zur Seite.

»Möglich«, erwiderte Suko. »Aber mein Bauchgefühl sagt mir etwas anderes.«

»Meines auch.«

Das Klingeln des Telefons ließ sowohl die Sekretärin als auch ihn zusammenzucken. Glenda verlor keine Zeit und griff sofort nach dem Hörer. »John?«, rief sie, doch ihr Lächeln gefror sofort. »Ja, wir sind gleich da, Sir.«

»Sir James will uns sprechen«, beantwortete sie Sukos fragenden Blick.

»Hat er gesagt, ob er jetzt mehr weiß?«

»Nein, nur dass wir uns dringend unterhalten müssten.«

»Das hört sich nicht gut an.«

Nach einem kurzen Marsch durch den Flur erreichten sie das Büro des Chefs ihrer kleinen Abteilung. Wie immer saß Sir James Powell hinter seinem schweren Schreibtisch und hielt dabei ein Glas kohlensäurefreies Wasser in der Hand. Er nickte ihnen stumm zu, stellte das Glas ab und rückte seine Brille zurecht. »Es hat sich eine Spur zu John ergeben.«

Wieder zuckte Glenda zusammen, während sich Sukos Nackenhaare aufstellten. »Ist er okay?«, fragte er sofort.

Sir James atmete tief durch. Es war ihm anzusehen, wie nah ihm Johns Verschwinden ging. »Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich so gut wie keine Informationen habe. Wie Sie wissen, habe ich enge Kontakte zu zahlreichen in- und ausländischen Geheimdiensten. Nachdem Sie, Suko, mich über Johns Verschwinden informiert haben, habe ich sofort bei verschiedenen Diensten angefragt. Natürlich meist erfolglos, wenngleich man mir versprach, sich gegebenenfalls bei mir zu melden. Und tatsächlich habe ich gerade einen Rückruf erhalten. Es handelt sich dabei um einen Geheimdienst, der anders als der MI6 offiziell gar nicht existiert. Er beschäftigt sich mit politisch hochbrisanten Themen und Vorgängen, die niemals das Licht der Öffentlichkeit erblicken dürfen, da sie sonst dem Ansehen des Vereinigten Königreichs schaden könnten.«

»Ist das nicht bei den meisten Geheimdiensten so?«, hakte Suko nach.

»Das schon, nur beschäftigt sich dieser Dienst mit Aufträgen, die aus dem Rahmen fallen. Was das genau bedeutet, kann ich allerdings auch nicht sagen. Ich habe nicht einmal direkt erfahren, dass John im Auftrag dieser Organisation agiert. Allein die Tatsache, dass man mir jemanden schicken will, der sich mit meiner Anfrage beschäftigt, ist schon Antwort genug. Ich gehe davon aus, dass John in einer Nacht-und-Nebel-Aktion engagiert und womöglich schon außer Landes geschafft wurde. Außer Landes deshalb, weil dieser Geheimdienst vor allem, wenn auch nicht ausnahmslos, in Staaten des ehemaligen Ostblocks agiert.«

»Also ein Relikt aus Sowjetzeiten?«

»Bis vor einigen Jahren konnte man das so sehen, aber seit die Spannungen mit Russland wieder zugenommen haben, scheint dieser Geheimdienst immer gefragter zu werden. Nun, wie dem auch sei, man versprach mir, uns jemanden zu schicken, der uns über den Sachverhalt aufklären soll.«

Glenda schüttelte energisch den Kopf. »Wieder mal typisch. Es geht natürlich nicht, dass man uns vorher darüber aufklärt.«

Ihr Chef nickte. »Darüber rege ich mich auch schon seit Jahren auf. Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir wegen einer solchen Geschichte Probleme bekommen. Meist wird von diesen Organisationen auf Geheimhaltungsklauseln verwiesen. Sie sehen sich selbst über dem Gesetz stehend. Sogar ich kann da oft nicht viel machen. Wir können nur abwarten, bis etwas geschieht.«

Obwohl sich Suko als geduldiger Mensch bezeichnete, konnte und wollte er in diesem Fall nicht einfach abwarten. Gut, John wusste auf sich aufzupassen, nur wer sagte ihnen, dass dieser Geheimdienst ihn nicht auf irgendein Himmelfahrtskommando geschickt hatte? Ganz davon abgesehen, dass sie im Laufe der Jahre zahlreichen dieser Organisationen auf die Füße getreten waren und einige Agenten einfach auf die Idee gekommen sein konnten, sich an ihm zu rächen.

Es gab Dutzende Möglichkeiten, nur einen Ansatz, wie er selbst etwas erreichen konnte, fand er nicht. So blieb ihm nichts anderes, als stumm den Kopf zu schütteln.

Ein Summen, das aus dem Telefon ihres Chefs drang, sagte ihnen, dass jemand an der Tür geklingelt hatte. Sir James nahm den Hörer ab. »Ja, bitte?«, fragte er, bevor er leicht die Lippen verzog. »Kommen Sie rein. Meine Sekretärin wird Sie in mein Büro bringen.«

Glenda sprang sofort auf. »Bin schon unterwegs.«

Suko erhob sich ebenfalls. Er wollte nicht einfach sitzend auf den Agenten warten, der dafür verantwortlich war, dass sein Freund spurlos verschwunden war. Er hörte zwei Personen reden. Offensichtlich hatte man ihnen einen weiblichen Agenten geschickt.

Die Frau, die in Sir James’ Büro trat, machte auf ihn einen kühlen, abgeklärten Eindruck. Die etwa dreißig Jahre alte Agentin trug ihr dunkelblondes Haar schulterlang und leicht gekräuselt. Die randlose Brille, die hervorstechenden Wangenknochen und das eisige Schimmern in ihren Augen gaben ihr eine unnahbare Aura.

Sie reichte Sir James die Hand. »Samantha Goldstein«, stellte sie sich mit einem schmalen Lächeln vor. »Wir hatten bereits telefoniert. Ich sah es als notwendig an, Sie persönlich über den Stand der Dinge zu informieren.«

Sehr zuvorkommend, dachte sich Suko, behielt den Kommentar allerdings für sich.

Stattdessen antwortete Sir James: »Sir James Powell. Ich hoffe, Sie reden nicht zu lange um den heißen Brei herum.«

Die Agentin, deren Name sicher so falsch war wie ihr Lächeln, wirkte von den direkten Worten des Superintendent kurz irritiert, setzte sich und schlug die Beine übereinander. Auch Suko ließ sich nieder, ebenso wie Glenda.

»Was ich Ihnen sage, unterliegt der höchsten Geheimhaltungsstufe, das schon mal vorweg«, erklärte Goldstein.

Sir James nickte. »Das dachte ich mir bereits. Also, bitte.«

Falls die Agentin erwartet hatte, dass Suko und Glenda nun aus dem Raum gebeten werden würden, sah sie sich getäuscht. Schließlich gab sie nach. »Es geht um das Verschwinden mehrerer unserer Agenten. Oberinspektor John Sinclair sollte für uns klären, was mit ihnen geschehen ist.«

»Sollte?«, hakte Suko sofort nach. Sein Magen zog sich bereits zusammen.

Die Agentin ging nicht sofort auf seine Frage ein. »Einsatzort ist die ehemalige russische Kohlefördersiedlung Grumant auf Spitzbergen. Wir haben mehrfach Agenten dorthin geschickt, um nach dem Rechten zu sehen, doch jeder von ihnen verschwand auf mysteriöse Weise. Einer konnte uns zumindest, kurz bevor die Verbindung zu ihm abbrach, einen Hinweis geben.«

»Was für ein Hinweis?«, fragte Sir James.

Samantha Goldstein atmete tief durch. »Er sagte, er würde von lebenden Toten verfolgt.«

Suko atmete tief durch. Langsam verstand er, wieso diese Geheimorganisation ausgerechnet auf John gekommen war. Eine ehemalige russische Kohlebausiedlung, Zombies – das schrie förmlich nach den Erben Rasputins. Dass diese auch international agierten, hatten John und er schon mehrmals erleben müssen. Es konnte durchaus sein, dass sie auch auf Spitzbergen ihre Finger im Spiel hatten. Allerdings stellte sich die Frage, warum sie ausgerechnet dorthin seine Fühler ausstrecken mussten, obwohl in Russland selbst schon genügend Untote zur Verfügung standen.

Nur langsam bemerkte er, wie seine Gedanken viel zu weit von dem eigentlichen Thema abkamen. Wahrscheinlich lag das an den Sorgen, die er sich um seinen besten Freund machte. Noch gab es nicht einen Hinweis darauf, dass sie es wirklich mit den Erben Rasputins zu tun hatten.