John Sinclair 2135 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2135 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Aus den Tiefen des Hades

Das schrille Klingeln riss Randall Pearce aus dem Schlaf.
Er fluchte. Mehr über sich selbst, weil er über seinem Schreibtisch eingeschlafen war. Er stöhnte und stemmte sich hoch.
Wieder klingelte es.
Erst langsam wurde ihm bewusst, dass jemand die Türglocke betätigt hatte. Sein Blick fiel auf die Armbanduhr, die neben dem Stapeln Papiere lag, den er bearbeitet hatte.
Es war bereits eine Minute vor Mitternacht ...

2. Teil eines Zweiteilers

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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Aus den Tiefen des Hades

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Aceross Lord/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8174-0

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Aus den Tiefen des Hades

von Rafael Marques

Das schrille Klingeln riss ihn aus dem Schlaf.

Randall Pearce fluchte. Mehr über sich selbst, weil er über seinem Schreibtisch eingeschlafen war. Wieder mal, schrieb er in sein geistiges Notizbuch. Du wirst alt, Randy.

Er stöhnte und stemmte sich hoch. Auf der Tischplatte lagen die Semesterarbeiten seiner Studenten. Drei Stapel für drei verschiedene Stufen. Eigentlich hatte er gerade erst mit dem Überprüfen angefangen, als er von der Müdigkeit übermannt worden war. Obwohl er langsam auf die 70 zusteuerte, arbeitete er weiterhin, als wäre er noch 30 Jahre jünger. Immer öfter musste er dafür Tribut zollen, was dazu führte, dass er hin und wieder unkontrolliert einschlief.

Wieder klingelte es.

Erst langsam wurde ihm bewusst, dass jemand die Türglocke betätigt hatte. Sein Blick fiel auf die Armbanduhr, die neben den Papierstapeln lag. Es war bereits eine Minute vor Mitternacht …

Wer, zum Henker, klingelte um diese Uhrzeit an der Tür? Einer seiner Studenten, der sich einen Scherz erlaubte? Kandidaten wüsste er dafür genug, nur kannte so gut wie niemand seine Adresse. Randall lebte sehr zurückgezogen in seiner viktorianischen Villa am Stadtrand von London, die ihm so ein herrliches Rückzugsgebiet zu dem Trubel des University College bot.

Als es zum dritten Mal klingelte, fluchte er. »Ist ja gut, verdammt.«

Er war verschlafen, aber er war nicht dumm. Niemand, der bei normalem Verstand war, dachte daran, ihn um Mitternacht zu besuchen. Seine Gedanken blieben bei einem Einbrecher hängen. Er hatte schon von Fällen gehört, in denen besonders alte Menschen auf diese Weise aus dem Bett gelockt worden waren, um sie dann zu überfallen.

»Ich bin noch nicht alt, ihr Dreckskerle«, murmelte er und zog eine der Schreibtischschubladen auf.

Der silberne Colt hatte einmal seinem Großvater gehört, der von sich behauptete, den Wilden Westen noch erlebt zu haben. Randall musste bei dem Gedanken daran lächeln. Er griff nach der Waffe und stand auf.

Leicht schwankend verließ er sein Arbeitszimmer und schlich durch den Flur. Das Licht schaltete er absichtlich nicht an. Derjenige, der vor der Tür wartete, sollte keine Ahnung davon haben, dass er bereits in der Nähe war.

Draußen tobte ein Gewitter. Unaufhörlich prasselte der Regen gegen die Scheiben und ließ sie erzittern. Hin und wieder zuckte ein Blitz durch die düsteren Wolkenberge und riss die gewaltigen Gebilde aus der Finsternis, die sich am Himmel auftürmten.

Randall wandte sich von dem Fenster ab und näherte sich der Tür. Durch einen Spion war es ihm möglich, einen Blick auf die kleine Treppe zu werfen, die zu seiner Wohnungstür hinaufführte.

Augenblicklich zuckte er zurück. Etwa einen Meter von der Tür entfernt stand eine düstere Gestalt. Da sie eine Kapuze über ihren Kopf gezogen hatte, konnte er ihr Gesicht nicht erkennen. Mit beiden Händen hielt sie ein in Plastik eingepacktes Paket fest.

Randall Pearce schüttelte den Kopf und presste sich mit dem Rücken neben die Tür. Dabei entsicherte er den Colt. Wenn das ein Postbote war, war er ein Erstsemester. Um diese Zeit lieferte niemand ein Paket an. Also konnte es sich tatsächlich nur um eine Falle handeln.

Während es ein viertes Mal klingelte, ging Randall all seine Möglichkeiten durch. Er konnte einfach nichts tun, nur abwarten, die Polizei rufen oder die Sache selbst klären. Sein Atem ging schwer. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Er verfluchte sich selbst dafür, dass er in den letzten Jahren an Gewicht zugelegt hatte. Sein Herz hatte früher nicht so schnell und heftig geschlagen.

Trotz oder gerade wegen seiner Schwäche entschied er sich für die dritte Möglichkeit.

»Wer ist da?«, rief er dem unheimlichen Fremden zu. Er wusste, dass man ihn durch die Tür hindurch gut hören konnte.

»Ein Paket für Sie, Professor Doktor Pearce«, erklang die emotionslose Stimme des Fremden.

»Etwas spät für einen Paketdienst, oder?«

»Ich bin kein Paketdienstleister, sondern ein Privatmann. Jemand hat mich gebeten, Ihnen dieses Paket zu liefern.«

»Und wer?«

»Doktor Danielle Hawkins.«

Dr. Randall Pearce zuckte unwillkürlich zusammen. Mit der Nennung dieses Namens hatte der Fremde bei ihm einen Nerv getroffen. Danielle war für ihn wie eine Tochter. Zunächst war sie nur eine Studentin aus einfachem Hause gewesen. Nach einigen Wochen schon hatte er ihr Talent für die Archäologie und Philologie entdeckt und wo es nur ging gefördert. Schließlich hatte sie ihren Abschluss als Beste ihres Jahrgangs gemacht und später sogar eine perfekte Doktorarbeit abgeliefert.

Mehrere Jahre hatten sie eng zusammengearbeitet, bis Danielle eine Familie gegründet hatte und nach Glasgow gezogen war. Vor einem Jahr hatte er davon erfahren, dass ihre Tochter Cathlyn bei einem schrecklichen Autounfall ums Leben gekommen war. Daraufhin hatte sie sich vollkommen aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ihr letztes Lebenszeichen, war tatsächlich ihre kurze Begegnung bei Cathlyns Beerdigung gewesen.

»Sie kennen Doktor Hawkins?«, fragte Randall nach langem Zögern.

»Wir sind Kollegen – und Freunde. Sie vertraut mir wie kaum einem anderen. Und sie hat mir auch gesagt, wie misstrauisch Sie Fremden gegenüber sind. Deshalb werde ich das Paket jetzt einfach vor Ihrer Tür ablegen und wieder gehen. Sie können selbst entscheiden, ob Sie es öffnen oder nicht. Sie sollten nur wissen, dass es für Doktor Hawkins sehr wichtig wäre, wenn Sie sich die Stücke einmal ansehen.«

Kurz nachdem die Worte des Fremden verklungen waren, hörte Randall, wie sich seine Schritte langsam entfernten. Als er erneut einen Blick durch den Türspion warf, war von ihm schon nichts mehr zu sehen.

Der Name seiner Ziehtochter beruhigte ihn zumindest einigermaßen. Er legte den Colt auf der kleinen Kommode neben der Tür ab und drehte den Knauf herum. Direkt vor der Tür lag tatsächlich das Paket. Durch den Plastiküberzug war es glücklicherweise vor dem Regen geschützt, der dank des Windes bis in sein Gesicht peitschte.

Er fluchte, zog das Paket zu sich herein und schlug die Tür hinter sich zu. Während er wieder zurück in sein Arbeitszimmer ging, das vor alten Schriftstücken und Steintafeln geradezu überquoll, zog er den Plastiküberzug ab. Einen Adressaufkleber fand er nicht, was die Aussage des Boten bestätigte.

Danielle lebte sehr zurückgezogen, so viel wusste er zumindest. Bei der Beerdigung hatte sie ihm gegenüber angedeutet, sich für eine Weile – vielleicht auch für immer – nach Griechenland zurückzuziehen. Seitdem herrschte zwischen ihnen Funkstille.

Randall nahm sich ein Teppichmesser und schnitt die Pappschachtel auseinander. Neben einem Briefkuvert enthielt das Paket einige zusammengefaltete Schriftstücke sowie zwei in Zeitungspapier eingewickelte Bruchstücke eines Spiegels. Schon auf den ersten Blick sah er, dass sich auf der glatten Oberfläche eine Art Schriftzug abzeichnete.

Zunächst einmal kümmerte er sich um den Brief. Er öffnete das Kuvert, faltete die handgeschriebene Botschaft auseinander, setzte seine Lesebrille auf und begann zu lesen:

Lieber Randall,

es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesprochen haben, und es tut mir unendlich leid, dass ich den Kontakt zu dir abgebrochen habe. Ich weiß, wie viel ich dir bedeute, und du weißt, dass es noch immer auf Gegenseitigkeit beruht. Aber es ging nicht anders, ich musste Abstand gewinnen und Ruhe finden. Dank Joe bin ich inzwischen wieder in der Lage, meiner Berufung nachzugehen.

Wenn du diesen Brief liest, hat dir Nico das Paket übergeben. Die Münzen, die du auf den Abbildungen sehen wirst, habe ich ebenso wie die Spiegelscherben in einer Höhle auf einer unbewohnten Felseninsel der südlichen Kykladen entdeckt. Wenn du dich an meine einzige Schwäche erinnern solltest, wirst du auch wissen, welche Schriftsprache sich auf den Fundstücken abzeichnet. Ich habe zwar eine Übersetzung angefertigt, aber da ich weiß, dass du der weltgrößte Experte auf diesem Gebiet bist, bitte ich dich inständig, unabhängig von mir die Texte noch einmal zu übersetzen.

Versuche nicht, mit mir in Kontakt zu treten. Ich werde wieder auf dich zukommen.

Vielen Dank, mein Freund!

Danielle

Dr. Randall Pearce konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Weltgrößter Experte«, murmelte er. »Alte Schleimerin. Ich verspreche dir, ich werde mein Bestes geben …«

Eigentlich hatte er angekündigt, sich die nächsten Wochen ganz um die Korrektur der Prüfungen zu kümmern und deshalb dem University College fernzubleiben, doch aufgrund von Danielles Bitte zog er diese Aussage schnell wieder zurück. Den ganzen folgenden Tag über quartierte er sich in der philologischen Abteilung seines eigenen Instituts ein, um schnellstmöglich zu einem Ergebnis zu kommen.

Dass sich das Gewitter seitdem nicht zurückgezogen hatte, war ihm egal. Er beachtete kaum, dass die Dunkelheit bereits wieder ihre Schatten über den altehrwürdigen Ziegelsteinbau warf, die alten Ahornbäume sich im Wind bogen und kleine Hagelkörner gegen die Fenster schlugen.

Er hatte nur Augen für Danielles Funde. Mit jeder Stunde, in der er sich länger mit ihnen beschäftigte, begann er mehr zu ahnen, wie wertvoll diese Artefakte waren. Natürlich hatte er sich sofort an Danielles einzige Schwäche, wenn man diese denn als solche bezeichnen wollte, das Mykenische Griechisch erinnert.

Die älteste in Schriftstücken nachweisbare Sprache Griechenlands, die bereits vor knapp 3600 Jahren entstanden war, stellte für jeden Philologen einen Albtraum dar, da sie aufgrund von Ungenauigkeiten in der Klangfolge und der auf den ersten Blick wirr erscheinenden Orthografie häufig nur ungenau übersetzt werden konnte.

Dr. Randall Pearce gehörte wirklich zu den weltweit anerkannten Experten auf diesem Gebiet. Trotzdem stellte es immer wieder aufs Neue eine Herausforderung dar, die uralten Schriftsätze zu übersetzen. Er benötigte all seine Aufzeichnungen sowie Beispielübersetzungen der zahlreichen Tontafeln, die die letzten Zeugnisse dieser im allgemeinen Gebrauch längst verloren gegangenen Sprache darstellten.

Dass sein Hemd schweißgetränkt und sein Mund trocken wie selten waren, interessierte ihn nicht. Er war so vertieft in seine Arbeit, dass er alles um sich herum vergaß. In diesen Momenten fühlte er sich wieder wie der kleine Student, der auf seine erste Auslandsexpedition geschickt wurde.

Das lag gefühlt mehrere Jahrhunderte zurück, und es war seitdem viel geschehen. Hin und wieder genoss er es jedoch, wieder dieser unbedarfte Junge zu sein.

Direkt vor ihm, im Licht der beiden Schreibtischlampen, lagen die Spiegelscherben. Ihn faszinierte nicht allein die Schrift. Er konnte es nicht sagen, was es war, aber etwas ging von ihnen aus, das ihn in gewisser, physisch nicht wahrnehmbarer Weise in den Bann schlug. Er tat es mit seiner Besessenheit ab, was seine Arbeit anging.

Tatsache war jedoch, dass er noch nie in seinem Leben einen so gut erhaltenen, antiken Spiegel zu Gesicht bekommen hatte. Wenn man davon ausging, dass die Fundstücke echt waren, mussten die fünfzehn Zentimeter langen Scherben etwa dreitausend Jahre alt sein, möglicherweise auch ein paar Jahrhunderte jünger.

Wann das Altgriechisch das Mykenische Griechisch tatsächlich vollständig abgelöst hatte, war selbst bei Wissenschaftlern umstritten. Er kannte Spiegel, die circa 1300 v. Chr. In Ägypten oder 200 n. Chr. im Römischen Reich hergestellt worden waren, doch diese hatten allesamt die normalen Spuren des Alters. Metall rostete, und da die meisten Spiegel vor Christi Geburt aus Metall gefertigt wurden, machte der Zahn der Zeit auch vor ihnen nicht Halt.

Nicht so bei diesen Scherben. Sie wirkten, als wären sie erst vor wenigen Stunden geschmiedet worden. Die Oberfläche war glatt, schwarz und geradezu porentief rein. Womöglich waren sie über all die Jahre in einem sauerstofffreien Raum konserviert worden. Trotzdem stellte für ihn der Zustand der Artefakte ein Rätsel dar.

Randall lehnte sich in seinen ausgeleierten Schreibtischstuhl zurück und seufzte. Endlich war es ihm gelungen, alle noch lesbaren Texte zu übersetzen. Er lächelte, weil ihm die Arbeit das Gefühl gab, noch längst nicht zum alten Eisen zu gehören.

Der komplizierteste Teil war der Text auf den Spiegeln gewesen. Er fragte sich immer noch, wie es den alten Griechen möglich gewesen sein konnte, die Schrift in die Spiegelfläche regelrecht einzufräsen, und das so klein, dass man für manche Zeichen schon eine Lupe benötigte.

Trotzdem hatte er es geschafft. Die Texte lagen direkt vor ihm. Leise las er sie sich noch einmal vor. »Verdammt sein soll dieses Wesen«, stand auf der ersten Scherbe, »… in den Tiefen des Hades …«, auf der anderen.

Hades – dieser Begriff allein war der letzte Beweis dafür, dass die Beschriftung auf dem Spiegel von Griechen angefertigt worden war. In ihrer Mythologie war dieser Ort die Unterwelt, in die die Seelen der Toten über den Fluss Acheron gelangten, um dort bis zur Unendlichkeit dahinzusiechen. Bewacht wurde das Tor zum Hades von dem göttergleichen Ungeheuer Zerberus.

Offenbar diente der Spiegel als Grabmal für eine Person, die für alle Ewigkeit in die Unterwelt verbannt werden sollte. Eine ähnliche Funktion war auch den drei goldenen Münzen zuzuweisen, die Danielle in ihrem Brief nur kurz erwähnt hatte. Tatsächlich hatte sie sie selbst nicht mitgeschickt und ihm stattdessen mehrere äußerst detailreiche Skizzen übersandt. Auf ihnen stand nur ein einziges Wort geschrieben: Hades.

Randall wünschte sich nichts mehr, als auf der Stelle sein Institut, London und die ganzen britischen Inseln hinter sich zu lassen und zu der Ausgrabungsstätte zu fliegen, in der Danielle diese Artefakte gefunden hatte. Allein die Vorstellung, noch mehr Funde dieser Art zu machen, erzeugte bei ihm eine Gänsehaut. Derart gut erhaltene Grabbeigaben aus dieser Epoche waren ihm nie zuvor untergekommen. Seine ehemalige Schülerin war auf etwas gestoßen, das für die Menschheit von unschätzbarem Wert sein konnte.

»Mein Gott, Danielle …«, flüsterte er. »Du hast nichts verlernt. Ich …«

Dr. Randall Pearce verstummte. Für einen kurzen Moment hatte er den Eindruck gehabt, etwas gehört zu haben. Seit seine Assistentin Nina vor zwei Stunden nach Hause gegangen war, hatte er das gesamte Institut für sich allein. Nicht einmal der Reinigungsdienst sollte heute noch erscheinen.

Etwa eine Minute saß er einfach nur da und lauschte, ohne dass er auch nur einen leisen Laut wahrnahm. Schließlich seufzte er und wandte sich wieder den Spiegelscherben zu.

Ein dumpfer Schlag ließ ihn zusammenzucken. Diesmal wusste er, dass er sich das Geräusch nicht eingebildet hatte. Natürlich hatten alte Gemäuer wie das Institutsgebäude gewissermaßen ihr Eigenleben. Es knarrte und ächzte vor sich hin, was besonders auffiel, wenn man alleine war. Trotzdem war Randall sich sicher, dass das Geräusch einen anderen Ursprung hatte.

»Hallo?«, rief er in den Raum hinein. Im Nachhinein kam er sich lächerlich vor, es überhaupt versucht zu haben. Natürlich meldete sich niemand.

Abgesehen von der Schreibtischlampe war es im Institut stockdunkel. Er befand sich in einem Seitenbereich des Gebäudes, der nur von ihm, seiner Assistentin und einigen seiner hochrangigen Kollegen betreten werden durfte. Direkt nebenan waren zahlreiche Exponate in einer kleinen Halle aufgestellt, wertvolle Schriftstücke aus verschiedenen Epochen, die den Studenten als eine Art Museum dienten.

Die Tür zu seinem Büro stand halb offen. Er wollte es nicht einfach auf sich beruhen lassen, stand auf und näherte sich dem dunklen Spalt. Auf der anderen Seite der Wand befand sich ein Schalter, auf den sich seine Finger legten.

Augenblicklich wurde das kleine Museum hell erleuchtet. »Nein«, presste Randall hervor, als er die dunkel gekleidete, maskierte Gestalt entdeckte, die mitten zwischen den Exponaten stand.

»Was soll das?«, fuhr Randall den Eindringling an.

Der Maskierte sagte nichts. Ein normaler Einbrecher war er jedenfalls nicht. Er trug weder eine Waffe bei sich, noch etwas, um seine Beute zu transportieren.

Tausend Gedanken zugleich schossen durch seinen Kopf. Plötzlich stürmte der Maskierte auf ihn zu. Randall Pearce handelte instinktiv, rammte die Tür ins Schloss und drehte den Schlüssel herum. Dann lief er auf den Schreibtischstuhl zu, über dem seine Jacke hing – und damit auch sein Handy.

Mit einem fürchterlichen Krachen wurde die Tür aus den Angeln gehoben. Randall wirbelte herum. Der Fremde hatte sie mit einem einzigen Tritt zerschmettert. Noch ehe er reagieren konnte, war der Maskierte bei ihm.

Unvermittelt wühlte sich eine stahlharte Faust in seine Magengrube. Randall sackte zu Boden, doch noch bevor er auf den Fliesen aufschlagen konnte, legten sich die Finger des Eindringlings um seine Kehle und zogen ihn in die Höhe. Der rechte Handschuh platzte einfach auseinander und schuf Platz für die übergroße, braun geschuppte Klaue eines Monsters.

Randall wollte schreien. Der Maskierte sorgte dafür, dass jeder Ton in seiner Kehle stecken blieb. Die Klauenfinger schossen vor, wühlten sich in seine linke Schulter und trieben ihn bis an die gegenüberliegende Wand. Stöhnend sackte er im Griff des Fremden zusammen.

»Sag mir alles, was du weißt«, zischte der Mann in sein Ohr.

»Ich … ich … weiß überhaupt nicht, was …«, stammelte er.

Augenblicklich wühlte sich die Klaue noch tiefer in die Schulter. Warmes Blut benetzte seine linke Brustseite. Die Schmerzen waren nur schwer zu ertragen, und sie steigerten sich noch, als eine zweite Klauenhand über seine Kehle strich und kleine Wunden in die Haut riss.

»Verarsch mich nicht, alter Mann«, erklang erneut die Stimme. »Ich weiß, an was du gearbeitet hast. Du hast die Spiegelscherben noch auf dem Tisch liegen, ebenso wie Abbildungen der Münzen. Also weißt du inzwischen wohl, was auf ihnen steht. Charons Erbe ist im Moment allerdings unwichtig. Ich will von dir nur eines wissen: Wo hält sich Danielle Hawkins auf?«