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Aibons Schattenreich
Die Zukunft Aibons lag in seinen Händen.
Wie auch immer er sich entschied, seine Handlungen würden weitreichende Folgen für die Zukunft eines Landes haben, das er selbst als seine Heimat bezeichnete. Viele sahen das mit Sicherheit anders, und er konnte gut nachvollziehen, warum sie ihn für eine weitere Geißel hielten, für einen, der seinem alten Meister in nichts nachstand.
Schließlich war er ein Dämon, eine Höllenkreatur und auch jemand, der großes Leid über viele Wesen dieses Landes gebracht hatte ...
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Seitenzahl: 149
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Aibons Schattenreich
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: camilkuo/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8393-5
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Aibons Schattenreich
von Rafael Marques
Die Zukunft Aibons lag in seinen Händen.
Wie auch immer er sich entschied, seine Handlungen würden weitreichende Folgen für ein Land haben, das er selbst als seine Heimat bezeichnete. Viele sahen das mit Sicherheit anders, und er konnte gut nachvollziehen, warum sie ihn für eine weitere Geißel hielten, für einen, der seinem alten Meister in nichts nachstand. Schließlich war er ein Dämon, eine Höllenkreatur und auch jemand, der großes Leid über viele Wesen dieses Landes gebracht hatte …
Doch selbst er hatte einen Sinn für Loyalität. Nicht nur deshalb war er hin und her gerissen, aber es spielte schon eine gewichtige Rolle. Er stand zwischen zwei Welten, und der Eindruck in ihm, irgendwann zwischen ihnen zermalmt zu werden, verstärkte sich immer mehr.
Daneben gab es noch eine weitere Seite, die er über Jahrhunderte hinweg erfolgreich verdrängt hatte. Er war eine Kreatur der Finsternis und damit auch ein Dämon mit zwei Gesichtern. Das eine war eine Echsenfratze, sein wahres Ich, als das er vor Äonen entstanden war. Zu einer Zeit, als es noch keine Menschen gab und es zu der großen Schlacht zwischen den Heerscharen des Himmels und jenen des aufbegehrenden Luzifer gekommen war. Das andere Gesicht war das eines bärtigen Mannes. Nichts als Schau und Scharade, um sich unter den Menschen frei und unauffällig bewegen zu können.
Über Jahrtausende waren diese Voraussetzungen gleich geblieben. Bis er eines Tages auf eine junge Frau namens Aurelie getroffen war, die in einem Kloster in Frankreich lebte. Sie hatte seine Sicht auf die Dinge verändert, auf sein Leben und auf das, was er war.
Plötzlich war die Maske zu einem Teil seiner selbst geworden, und in ihm hatten sich Gefühle entwickelt, für die er eigentlich niemals geschaffen worden war.
Eines hatte er damals jedoch vergessen: Die Mächte der Finsternis entließen niemals jemanden aus ihren Klauen.
Sie hatten ihm die Ausputzer der Hölle geschickt, eine Gruppe der gefährlichsten Kreaturen der Finsternis, die seine Geliebte töteten und ihn zurück in den Schoß des gefallenen Engels hatten führen sollen.
Daraufhin hatte er der Hölle abgeschworen, erst einem seiner schlimmsten Feinde, der daraufhin zu seinem Verbündeten geworden war, später noch einmal am Grab jener Frau, durch die er ein Anderer geworden war.1)
Böse, wie es die Menschen nannten, blieb er dennoch, obwohl er seiner Aurelie etwas anderes versprochen hatte. Vor einiger Zeit war er an dieses Versprechen erinnert worden.
Seitdem ging Dravotan, dem großen Erben Guywanos, ihr Gesicht nicht mehr aus dem Kopf. Alles in ihm sehnte sich danach, sie aus dem Reich der Toten zurückzuholen und wieder in seine Arme zu schließen. Aber das war nicht möglich, jedenfalls nicht so, wie er es sich vorstellte.
Was blieb, war ein Dämon, der mit sich kämpfte. Es war eine stille Schlacht, die er schon seit einiger Zeit ausfocht. Er war verzweifelt, und er war schon einen Schritt weiter gegangen: Es lag etwa einen Tag zurück, dass er seinen eigentlichen Erzfeind John Sinclair aus einer beinahe tödlichen Falle gerettet hatte. Seitdem war viel geschehen, und trotz seines Einschreitens steuerte Aibon darauf zu, bald sein Ende zu finden.
Man ließ ihn allein. Niemand sonst wusste, was in ihm vorging. Anderenfalls hätte man ihn längst – allein schon für seine Gedanken – vernichtet. Seinesgleichen kannten in solchen Fällen keine Gnade.
Ihm gegenüber hing ein einsamer, in Gold gerahmter Spiegel an der Wand. Die grau und beschlagen wirkende Fläche geriet langsam in Wallung. Dravotan wusste, was das bedeutete. Jemand versuchte, Kontakt zu ihm aufzunehmen.
Die graue Masse, die sich als Dunstschwaden entpuppte, schob sich zur Seite und schuf so Platz für eine Kreatur, die der Aibon-Magier Dravotan nur zu gut kannte. Selbst unter den dämonischen Heerscharen der dunklen Seite des Druidenparadieses war der sich in einer Metallrüstung verbergende Vampir Rog gefürchtet.
Man sagte ihm nach, das Blut einer zu mächtigen Gestalt getrunken und deshalb seinen normalen Körper verloren zu haben. Selbst Dravotan kannte von dem Blutsauger nur das, was in der aufgeklappten Öffnung des Visiers zu erkennen war. Seine kalkweißen Augäpfel mit ihren dunklen Pupillen schwammen in einer fast schwarzen Masse, von der hin und wieder einige Tropfen auf die Rüstung herabfielen. Der Gestank, den der Vampir verströmte, war bestialisch. Deshalb war er froh, ihm nicht persönlich gegenüberstehen zu müssen.
Trotz oder gerade wegen seiner bizarren Erscheinung war Rog ein wichtiger Baustein in dem Plan, ganz Aibon zu erobern. Selbst jetzt, nachdem es tatsächlich gelungen war, die schlafende Armee zu erwecken, wollte Dravotans Meister nicht auf seine Dienste verzichten.
»Was ist passiert, Rog?«, fragte der Magier, wobei er sich langsam aufrichtete.
»Die Truppen des Roten Ryan haben die Grenze überschritten. Sie sind bereits auf dem Weg, genau dorthin, wo wir sie haben wollen.«
»Gut. Ist Namek auch unter ihnen?«
»Natürlich. Ohne ihn wüssten wir das gar nicht. Soll ich die zweite Phase einleiten?«
Dravotan zögerte, ließ sich seine Zweifel aber nicht anmerken. Er wusste, dass, wenn er Rog freie Hand gab, es kein Zurück mehr geben würde. In jedem Fall läutete er damit das Ende des Roten Ryan ein. Zumindest, wenn alles nach Plan lief. Sollte er versuchen, die Ausführung des Plans zu verzögern, würde er sich damit nur verdächtig machen. Noch hielt er einige Trümpfe in der Hand, nur benötigte er dafür die passende Gelegenheit.
»Ja«, antwortete er schließlich nur.
Rog nickte ihm zu. »Dann soll es so sein.«
Der Vampir zog sich zurück, woraufhin die Dunstschwaden wieder die Spiegelfläche bedeckten. Dravotan war wieder allein, doch jetzt wusste er, dass er nicht mehr lange grübeln durfte. Er musste eine Entscheidung treffen, jetzt und hier.
Du kennst die Antwort doch schon, flüsterte ihm seine innere Stimme zu.
Ja, er kannte sie, und er würde dementsprechend handeln. So schnell er konnte verließ er den Saal seiner unsichtbaren Festung.
☆
»Weißt du was, John?«
»Nein, was denn?«
»Ich fühle mich beschissen.«
Ich atmete tief durch, nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Suko sprach im Prinzip genau das aus, was ich auch dachte. Selten zuvor war es mir so vorgekommen, als säßen wir in einer Sackgasse, aus der es keinen Ausweg gab. Wir waren dazu verdammt, nichts zu tun, während sich in einer anderen Welt die Hölle auftat.
Etwas mehr als vierundzwanzig Stunden lag es zurück, dass uns eine mysteriöse Entführungsserie in den nahe des Örtchens Lllanfamlingh gelegenen Wald geführt hatte. Der Förster Amos Willis, dessen Frau ebenfalls zu den Opfern eines gehörnten Monsters zählte, das in Häuser eindrang und Frauen wie Männer einfach mit sich nahm, war es gewesen, der uns den Weg zu einer versteckt gelegenen Höhle wies – oder uns vielmehr dorthin lockte. Ebenso wie sein Hund stand er unter dem Einfluss des Landes Aibon, das kurz darauf eine Horde Monster ausgespuckt hatte, die uns im Auftrag Luzifers töten sollten.
Das war nicht gelungen, vor allem dank der Hilfe des Aibon-Magiers Dravotan, der uns neuerdings öfter zur Seite stand. Nachdem er uns den Weg in das Paradies der Druiden gewiesen hatte, hatte das Unheil seinen Lauf genommen. Wir waren auf eine Gruppe Banshees getroffen, die mit uns nach einer Felsenburg suchen wollten, in der ihre Urahnin Valena seit Äonen vom dem Rest Aibons getrennt worden war. Die gesamte Burg stand ebenso wie die Banshees selbst unter dem Schutz des Sehers und mehrerer Engel, Seraphim, die er ihr als Leibwächter zur Verfügung gestellt hatte.
Dank meines Kreuzes war es uns gelungen, den Weg in die Festung und dort auch Valena zu finden. Sie sollte uns mitteilen, was es mit dem ‚Reich der Schatten’ auf sich hatte, das ausgerechnet unsere alte Freundin Miriam di Carlo in furchtbaren Visionen heimsuchte.
Über einen kurzen, geistigen Kontakt hatte ich von ihr erfahren, dass sie im Sterben lag und gesehen hatte, dass Aibon von einem schwarzen Loch beziehungsweise eben diesem Schattenreich zerstört werden sollte.
Kurz bevor mir Valena erzählen konnte, welche Bedeutung dieser Begriff hatte, war jemand erschienen, von dem ich sicher gewesen war, er wäre für immer vernichtet: Guywano. Dem grausamen Druidenfürsten war es gelungen, Valena, die Banshees und auch die Engel zu vernichten. Beinahe wären wir auch gestorben, wenn nicht das Kreuz und Guywanos Magie uns gemeinsam zurück in unsere Welt geschleudert hätten.2)
Es war eine Niederlage auf der ganzen Linie gewesen, an der wir lange zu knabbern haben würden. Mich ließ auch der Gedanke an Miriam nicht los. Die Anführerin der Banshees hatte mir erklärt, dass sie bald sterben würde, und ich war nicht in der Lage gewesen, etwas dagegen zu unternehmen – im Gegenteil, ich war mit den Banshees zu der Felsenburg geritten, statt für sie da zu sein. Obwohl das genau Miriams Wunsch gewesen war, fühlte ich mich dabei mehr als schlecht.
Hinzu kam, dass wir jetzt anscheinend nicht nur mit Luzifer rechnen mussten, der dabei war, die Macht in Aibon zu übernehmen, sondern zusätzlich mit Guywano. Ich konnte einfach nicht fassen, dass der uralte Dämon tatsächlich noch lebte und jetzt seine Rückkehr erfahren hatte.
Einerseits war es nachvollziehbar, dass einer wie er nicht einfach vernichtet werden konnte, indem man ihn verbrannte, trotzdem kam mir seine Rückkehr zu plötzlich vor. Zumal ich nicht glauben konnte, dass sich der Rote Ryan so getäuscht hatte. Aber es war nun einmal eine Tatsache, dass er wieder da war, und irgendwie mussten wir uns damit abfinden.
Unsere Versuche, nach Aibon zurückzukehren, waren schon daran gescheitert, dass die Höhle mit dem magischen Tor komplett eingestürzt war. Ich hatte noch versucht, mit meinem Kreuz etwas Restmagie aufzuspüren. Natürlich ohne Erfolg. So war uns nichts weiter geblieben, als den Abtransport der Entführungsopfer zu organisieren und die traumatisierten Angehörigen zu informieren. Dass diese von dem Monster in Zombies verwandelt worden waren und versucht hatten, uns zu töten, verschwieg ich ihnen natürlich.
So war ein ganzer Tag vergangen, ohne irgendeine neue Spur. Wir saßen in der kleinen Bar unserer Hotels und wirkten, als wären wir schon geschlagen. Doch so leicht wollte ich nicht aufgeben.
»Ich auch, Suko, das kannst du mir glauben«, bestätigte ich meinen Partner. »Aber es muss weitergehen. Irgendwie.«
»Willst du etwa noch mal zu der eingestürzten Höhle?«
»Nein. Ich habe eine andere Idee, nur müssen wir dafür ein Stückchen reisen – nach Südfrankreich.«
Suko blickte von seinem Tee auf, den er in den letzten Minuten traurig angestarrt hatte. »Die Templer?«, fragte er überrascht, bevor sich die Erkenntnis in seinem Gesicht widerspiegelte. »Natürlich, du willst den Knochensessel benutzen.«
»So habe ich es mir zumindest gedacht. Nur leider wissen wir ja beide, dass er oft nicht genau das tut, was man von ihm will. Es könnte auch sein, dass dort überhaupt nichts passiert. Wir müssen es einfach auf den Versuch ankommen lassen.«
Der Knochensessel stand seit vielen Jahren bei unseren Templerfreunden in Alet-les-Bains in Südfrankreich, wo einst Abbé Bloch, der Vorgänger ihres heutigen Anführers Godwin de Salier, mit einigen Getreuen eine Bastion gegen das Böse aufgebaut hatte. Geschützt von den Klostermauern lagerten dort auch weitere wichtige Gegenstände, wie etwa der Würfel des Heils oder die Bibel des Baphomet.
Vor vielen hundert Jahren war der Knochensessel aus den Gebeinen des letzten Templerführers des Mittelalters, Jacques de Molay, gefertigt worden, der wie viele seiner Getreuen auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden war. Angefüllt mit Magie war er dazu in der Lage, diejenigen, die sich auf ihn setzten, nach Aibon, Avalon oder in völlig andere Welten zu bringen. Setzte sich hingegen ein unwürdiger auf ihn, erwachte das Skelett zum Leben und tötete den Frevler.
Ich konnte mich noch gut daran erinnern, wie ich den Sessel bei einer Auktion in New York ersteigert hatte – dank der freundlichen finanziellen Mithilfe von Bill Conolly. Die Erinnerung brachte mich zumindest kurzzeitig auf andere Gedanken, wenngleich mir dabei einfiel, dass es schon damals zu einem mysteriösen Todesfall gekommen war.
»Sollen wir dann heute noch abreisen?«, fragte Suko. »Eigentlich hält uns ja nichts mehr hier.«
»Ich glaube, das hat heute keinen Sinn mehr. Wir schlafen noch eine Nacht darüber und fahren morgen durch bis nach Frankreich. Dank des Eurotunnel-Shuttles kommen wir zum Glück auch mit dem Audi nach Alet-les-Bains.«
»Und du kannst noch deinen Rausch ausschlafen«, warf mein Partner ein und wies dabei auf die vor mir stehende Bierflasche.
»Das ist höchstens ein Räuschlein. Außerdem hätte ich dir natürlich gnädigerweise das Steuer überlassen.«
»Wie gütig von dir.«
»So bin ich eben.«
Wir ließen uns noch die Getränke auf die Gesamtrechnung schreiben und machten uns auf den Weg zu unseren Zimmern, die ein Stockwerk höher lagen. In dem langen Gang verabschiedeten wir uns. Dass ich wirklich hundemüde war, bemerkte ich erst, als die Tür hinter mir ins Schloss fiel. Der Tag hatte mich wirklich geschlaucht, nicht allein wegen der Frustration, nichts erreicht zu haben, sondern auch aufgrund der unter die Haut gehenden Gespräche mit den Angehörigen der Toten. Die entführten Frauen und Männer boten einen fürchterlichen Anblick, von ihrem Schicksal ganz zu schweigen. Ich hoffte nur, dass die Leute ihre Verluste irgendwann verkrafteten. Diese Dinge waren leider die Kehrseite jedes Falles, selbst wenn wir ihn erfolgreich lösen konnten.
Ich nahm eine kurze Dusche, wusch mich und schlüpfte wieder in die Hose, bevor ich mich auf das Bett sinken ließ. Den Bumerang und die Beretta legte ich auf dem Nachttisch ab, das Kreuz blieb dagegen auf meiner Brust. Ich wollte einfach auf Nummer sicher gehen, da ein Angriff der Mächte der Finsternis zu jeder Zeit erfolgen konnte.
Kaum dass ich unter der Decke lag, fielen mir schon die Augen zu. Ich dachte noch einmal an Aibon, Guywano und Miriam di Carlo, dann wurde es schwarz um mich …
☆
Die Schreie der Sterbenden und Schwerverletzten vereinigten sich zu einem schauerlichen Chor, einem Klagelied, dass sich wie eine tonnenschwere Decke über das von zuckenden und starren Leibern übersäte Schlachtfeld legte.
Elfen, Trollen, Zwerge, Untote, Ghouls, Gorlons und zahlreiche andere Wesen waren unter jenen, die den Tribut für das schier endlose Gemetzel zahlen mussten, das bis vor Kurzem hier stattgefunden hatte.
Besonders die Trooping Fairies waren schwer getroffen worden. Manche der Elfenkrieger waren förmlich zerfetzt worden, andere lagen deformiert zwischen den von Pilzen und Pusteln überzogenen Leibern riesiger Trolle, die ebenfalls nicht mehr lebten. Es war ein schrecklicher, unter die Haut gehender Anblick. Der Sensenmann hielt reiche Ernte auf diesem Totenfeld.
Ich, der Sohn des Lichts, wandelte zwischen den Toten und Sterbenden hindurch, ohne etwas tun zu können. Niemand war mehr in der Lage, den Verletzten zu helfen. Manchen fehlten ganze Körperteile, andere waren von magischen Attacken so stark verbrannt, dass kaum noch zu erkennen war, wer oder was sie überhaupt waren. Der Anblick schockte und blockierte mich, während ich den Gestank von Tod und Verwesung mit jedem Atemzug tiefer in mich eindringen ließ. Er fesselte mein Herz und ließ mich selbst zu einer gefühllosen Maschine werden.
Tote, wohin das Auge reichte. Ich kam mir vor wie im Krieg, als einziger Überlebender einer gewaltigen Schlacht, die über beide Seiten nichts als Leid gebracht hatte. Und Krieg herrschte hier tatsächlich. Leider zeigte er hier die schrecklichste all seiner Fratzen.
Wo bin ich?
Diese Frage durchzuckte mich wie ein Blitzschlag. Insgeheim wusste ich, dass das nicht real war. Das konnte und durfte einfach nicht sein. Ich kannte die berittenen Geschöpfe, die so zahlreich zwischen den anderen Toten lagen. Es waren die Trooping Fairies, die jetzt restlos ausgerottet zu sein schienen. Lediglich von dem Roten Ryan war nichts zu sehen, wie schon bei meiner letzten Reise nach Aibon.
Bist du sicher, dass das ein Traum ist?
Eigentlich war ich sofort davon überzeugt, wirklich nur einen Albtraum zu durchwandern. Das änderte sich, als ich über die Leiber der Toten und Verletzten hinwegblickte. Nur wenige Dutzend Meter entfernt tat sich eine kaum zu beschreibende Finsternis auf. Außer ihr war nichts zu sehen, und dennoch schien es mir, als würde in ihrem Inneren ein Trichter entstehen, der mich langsam in die Unendlichkeit hineinzog.
Ich wehrte mich dagegen, und noch gelang es mir, dem Sog zu widerstehen. Ich wusste, dass die Schwärze nichts anderes als dieses Schattenreich sein konnte, vom dem sowohl Miriam di Carlo als auch Valena gesprochen hatten.
Die Urmutter der Banshees war kurz davor gewesen, mir das Geheimnis dieser Schattenwelt mitzuteilen, bevor Guywano aufgetaucht war. So war mir immer noch nicht ansatzweise klar, mit was ich es zu tun hatte. Einmal abgesehen davon, dass meine Vermutung, es mit dem Spuk zu tun zu haben, widerlegt worden war.
Plötzlich erzitterte die Erde. Ich fuhr erschrocken herum. Mitten zwischen den Leibern der Toten wühlten sich vier Kreaturen empor, die mich um ein Vielfaches überragten. Es waren nackte Trolle, deren Haut mit Moosen, Pflanzen, Pilzen, Pusteln und Eiterpickeln übersät waren. Die wulstigen, aufgequollenen Gesichter kamen wir wie Fratzen aus einem Horrorfilm vor. Ihre spitzen Stiftzähne passten zu diesem Eindruck.
Ich kannte diese Wesen, zumindest eines von ihnen, denn sie gehörten zu der schlafenden Armee, die Luzifer schon so lange zu erwecken versuchte. Einst hatten sie zu seinen mächtigsten Engeln gehört, bevor sie sich in Aibon in Trolle verwandelt hatten.
Sie waren auch überhaupt der Grund, warum der Höllenherrscher sich eigentlich nicht in die Belange Aibons einmischen durfte. Schließlich waren sie vom Seher persönlich vor dem Tod gerettet worden, der Luzifer daraufhin den Schwur abgenommen hatte, niemals nach dem Paradies der Druiden zu greifen. Viel später hatte Guywano die einstigen Engel in einen magischen Schlaf versetzt, da sie sich gegen ihn aufgelehnt hatten.