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Mit einem infernalischen Krachen zersplitterte die Tür und flog wuchtig nach innen. Nur Sekundenbruchteile später stürmten mehrere bewaffnete Männer in das Haus. Sie trugen Maschinengewehre, Sturmhauben, Helme und kugelsichere Westen. Laute Befehle schreiend huschten sie durch die Dunkelheit und suchten mit den Laserzielgeräten ihrer Waffen nach einem Gegner.
Es gab ein Ziel, doch das fanden sie erst in dem ausladenden, luxuriösen Wohnzimmer. Mit ihren Waffen konnten sie hier nichts mehr ausrichten, denn der Mann, der an einem Strick von der Decke baumelte, war tot. Er trug keinen Faden am Leib, dafür war sein Körper von oben bis unten mit tiefen Schnittwunden übersät.
Entweder man hatte ihn brutal gefoltert, oder seinem Mörder machte es einfach Spaß, Menschen zu quälen. Ich, John Sinclair, ging von Letzterem aus, denn ich kannte den Mörder bereits: Es war der Vampir Iovan Raduc!
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Seitenzahl: 153
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Das Todesspiel
Briefe aus der Gruft
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Kiselev Andrey Valerevich/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9289-0
„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.
www.john-sinclair.de
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Das Todesspiel
von Rafael Marques
Mit einem infernalischen Krachen zersplitterte die Tür und flog wuchtig nach innen. Nur Sekundenbruchteile später stürmten mehrere bewaffnete Männer in das Haus. Sie trugen Maschinengewehre, Sturmhauben, Helme und kugelsichere Westen. Laute Befehle schreiend huschten sie durch die Dunkelheit und suchten mit den Laserzielgeräten ihrer Waffen nach einem Gegner.
Es gab ein Ziel, doch das fanden sie erst in dem ausladenden, luxuriösen Wohnzimmer. Mit ihren Waffen konnten sie hier nichts mehr ausrichten, denn der Mann, der an einem Strick von der Decke baumelte, war tot. Er trug keinen Faden am Leib, dafür war sein Körper von oben bis unten mit tiefen Schnittwunden übersät.
Entweder man hatte ihn brutal gefoltert, oder seinem Mörder machte es einfach Spaß, Menschen zu quälen. Ich, John Sinclair, ging von Letzterem aus, denn ich kannte den Mörder bereits: Es war der Vampir Iovan Raduc!
Er war ein Gespenst, ein Monster, ein Unsterblicher. Ein Blutsauger, dem es nicht nur bereits zweimal gelungen war, uns zu entkommen, sondern der auch in der Lage war, seine eigene Vernichtung zu überleben – einfach, indem jemand etwas von seinem Blut trank.
Angefangen hatte alles vor mehr als zwei Jahren in London, wo Raduc Jahrzehnte nach seiner letzten Vernichtung durch unseren alten Freund Frantisek Marek wieder aufgetaucht war. Seinen Versuch, über seinen Helfer Hobbs auf dem Gelände einer stillgelegten Logistikfirma eine kleine Vampirarmee heranzuzüchten, konnte mein Partner Suko vereiteln. Kurze Zeit später hatte er mich in dem Hochhaus, in dem wir lebten, in eine Falle locken und töten wollen. Mehr zufällig war ich damals dem Tod entgangen, woraufhin der Blutsauger geflohen und spurlos verschwunden war.1)
In den vergangenen zwei Jahren blieb er jedoch nicht untätig. Mit Hilfe seiner alten Kontakte und einer Gruppe Söldner gelang es ihm, eine Spedition in der schottischen Hafenstadt Ayr zu übernehmen und von dort aus Waffen, Sprengstoff und Vampire per Schiff nach Rumänien zu schmuggeln.
Davon, dass eine ehemalige rumänische Geheimagentin sich mit falschem Namen in seine Firma eingeschlichen und versuchte hatte, den Mörder ihres Großvaters ausfindig zu machen, ahnte er offenbar nichts.
So war es Nadia Camescu gelungen, in den inneren Zirkel seiner Helfer vorzudringen. Ein lebensgefährliches Unterfangen, was Suko und ich beinahe am eigenen Leibe erfahren hätten.
Gleich mehrfach war es Raduc gelungen, uns in perfide Fallen zu locken und dabei seine eigenen Spuren stets, so gut es ging, zu verwischen. Denn der Vampir war nicht nur quasi unsterblich, er hatte auch zahlreiche Gesichter, wodurch es beinahe unmöglich war, ihm auf die Spur zu kommen.
Wie alt er wirklich war und wo seine Kräfte herrührten, wussten wir nicht. Suko, den Raduc beinahe mitsamt einer Lagerhalle in die Luft gesprengt hätte, hatte mir von einem skelettierten Ritter berichtet, der zweimal erschienen war, um den Vampir zu retten. Möglicherweise handelte es sich bei ihm um einen der vier Horror-Reiter, den Leibwächtern der Erzdämonen Astaroth, Eurynome, Bael und Amducias. Aber das war bisher reine Spekulation.
»Wir sind zu spät gekommen«, resümierte Suko beim Anblick des Toten.
Der Mann, der wie ein Stück Vieh von der Decke baumelte, hieß Dorian Sorianu. Er war ein berüchtigter Waffenhändler, dem der britische Geheimdienst nie etwas nachweisen konnte.
Vor knapp drei Stunden war ein anonymer, schriftlicher Hinweis in unserem Büro in London eingegangen, in dem es hieß, dass Iovan Raduc von Sorianu Waffen und Sprengstoff gekauft hatte. Hier, in einer Villa nahe der schottischen Großstadt Edinburgh, sollten wir ihn finden. Und das war uns auch gelungen, nur auf eine andere Weise als geplant.
Ich ging fest davon aus, dass dieser Hinweis von Nadia Camescu stammte. Dass wir jetzt hier standen, brachte sie sicher noch mehr in Gefahr, schließlich riskierte sie ihr Leben, wenn sie Raduc verriet.
Allerdings benötigte ich nicht einmal einen Leichenbeschauer, um zu sehen, dass Sorianu nicht erst seit ein paar Stunden tot war, sondern wohl schon einige Tage so dort hing. Ein widerlicher Geruch erfüllte die gesamte Villa. Der Leichnam wurde bereits von unzähligen Fliegen umschwirrt.
»Raduc wird seine Spuren frühzeitig verwischt haben«, erwiderte ich.
»Wobei sich die Frage stellt, woher er jetzt seine Waffen beziehen will.«
»Vielleicht hat er schon genug. Außerdem hat er sich selbst die Möglichkeit genommen, über seine Firma neue Sendungen zu verschicken.«
Ich wiegte den Kopf. »Ich weiß nicht so recht, immerhin konnte der rumänische Geheimdienst zwei Lieferungen noch abfangen.«
»Ich gehe einfach davon aus, dass er eine ganze Menge an Waren in Sicherheit gebracht hat, bevor er die Halle in die Luft gesprengt hat.«
Wahrscheinlich hatte Suko recht. Ich erinnerte mich dunkel daran, von Nadia gehört zu haben, dass der Vampir etwas Großes plante. Außerdem war Raduc ein Spieler, der uns immer wieder an der Nase herumführte. Vielleicht stammte der anonyme Hinweis ja nicht einmal von Nadia, sondern von ihm selbst, um uns zu zeigen, dass er uns immer einen Schritt voraus war. Dass der SRI die beiden Sendungen, die noch per Schiff nach Rumänien unterwegs gewesen waren, beschlagnahmt und die in den Kisten gefundenen Vampire verbrannt hatte, würde ihn kaum von seinem Plan abhalten.
Ein weiterer dunkel gekleideter, bewaffneter Mann, der im Gegensatz zu seinen Kollegen keine Sturmhaube trug, trat zu uns heran. Er war etwa fünfzig Jahre alt und fiel vor allem durch seine aschgraue, militärische Kurzhaarfrisur und das kantige Gesicht mit den hervorstechenden Wangenknochen auf.
Commander William Burns war Leiter der achtköpfigen Einsatztruppe, die nicht etwa der Polizei von Edinburgh unterstellt war, sondern dem Security Service, auch MI5 oder Inlandsgeheimdienst genannt.
Burns’ Leute waren eigens zu dem Zweck abgestellt worden, die Gefahr, die von Iovan Raduc ausging, einzudämmen. Dazu verfügten sie sogar über geweihte Silberkugeln als Munition, allerdings wurde diese nicht von Father Ignatius hergestellt. Woher sie sie bezogen, war mir bisher schleierhaft geblieben.
»Das Haus und die Umgebung sind gesichert«, teilte uns der Commander mit. »Keine Spuren von Waffen, Sprengstoff oder Vampiren. Nur diese Leiche eben. Ein Gerichtsmediziner des MI5 ist bereits auf dem Weg hierher.«
»Der wird wohl auch nicht viel mehr feststellen können, als dass Sorianu schon seit einigen Tagen tot ist«, sagte ich etwas resigniert.
»Und Sie vermuten Raduc als seinen Mörder?«
»Ihn oder Dragan Sarbu, seine rechte Hand.«
Burns nickte. »Laut unseren Informationen hält er sich seit drei Wochen nicht mehr in Rumänien auf. Wir stehen in direktem Kontakt mit dem SRI. Die rumänischen Kollegen glauben, dass Sarbu mindestens ein Dutzend Söldner für Raduc angeheuert hat, meist ebenfalls ehemalige Mitarbeiter der geheimen Bukarester Eliteeinheit, der er damals angehörte.«
Ich sagte nichts, nickte nur zurück und trat an dem Commander vorbei. Wieder fragte ich mich, ob wir Raduc wirklich auf der Spur waren oder eher er auf unserer. Für mich war er nicht irgendein Vampir, nicht nur, weil er Suko und mir schon zweimal entkommen konnte. Da existierte noch diese Verbindung zu Frantisek Marek, dem Pfähler, einem meiner besten Freunde, dem ich vor Jahren seinen eigenen Eichenpflock in die Brust gerammt hatte, um ihn vom Vampirdasein zu erlösen.
Raduc war der Meinung, etwas von ihm würde noch an mir haften, und sah mich deshalb als sein Nachfolger an. Ich dachte da ähnlich, wenn auch auf andere Weise. Irgendwie war ich tatsächlich Mareks Erbe, und genau deshalb trug ich diesmal auch seinen Pfahl und das Vampirpendel bei mir.
Meine Gedanken schweiften ab, zurück zu Nadia Camescu. Wir hatten uns lange in ihrer Wohnung unterhalten, nachdem ich von ihr vor zwei von Raduc ausgesandten Killern gerettet worden war. Sie war auf der Suche nach dem Mörder ihres Großvaters und spielte, um dieses Ziel zu erreichen, wortwörtlich mit dem Feuer. Nach Raducs erneutem Verschwinden hatte ich nur noch eine kurze Botschaft von ihr gefunden – bis zu der anonymen Nachricht eben.
Diese Botschaft war es auch, die mich auf eine Idee brachte. Nadia hatte mir unter der Matratze ihres Bettes ein Foto ihres Großvaters und darauf eine kurze, handgeschriebene Nachricht zurückgelassen. Sonst nichts. Keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse, unter der ich sie erreichen konnte, wahrscheinlich weil sie fürchtete, rund um die Uhr von Raduc überwacht zu werden.
Obwohl Sorianu schon einige Tage tot war, waren wir von Nadia an diesen Ort bestellt worden. Ich ging inzwischen fest davon aus, dass sie über die Ermordung des Waffenhändlers zumindest informiert worden war. Oder hoffte ich, dass es nicht mehr war, was sie mit seinem Tod verband? Inzwischen war ich mir in vielerlei Hinsicht nicht mehr so sicher, woran ich bei ihr war. Jedenfalls musste sie etwas damit bezweckt haben, uns zu dem Toten zu führen. Unter Umständen über eine versteckte Botschaft?
Ich blickte Suko nicht einmal an, als ich an ihm vorbeitrat, den Toten umrundete und mich genau dort postierte, von wo aus wir den Raum betreten hatten. Die Leiche baumelte über blankem Parkettboden, und auch sonst war die Einrichtung eher karg. Ein wahrscheinlich künstlicher Busch wuchs aus einem reich verzierten Blumentopf, während eine dünne Gardine kaum das Mondlicht abhalten konnte, das durch das Fenster auf Sorianus Beine fiel. Dann gab es da noch ein abstraktes Gemälde an der Wand und ein kleines Schränkchen, auf dem ein gerahmtes Bild stand.
Ich trat näher heran und betrachtete das Foto etwas genauer. Es zeigte das Gesicht einer etwa siebzig Jahre alten Frau mit schwarzgrauen Haaren und etwas müde dreinblickenden Augen. In dieser Umgebung wirkte es irgendwie deplatziert. Ich drehte den Rahmen herum, doch eine geheime Botschaft entdeckte ich nicht. Schließlich zog ich das Foto aus dem Rahmen hervor und warf einen Blick auf die Rückseite.
Plötzlich musste ich lächeln. Eine Botschaft war es nicht, die Nadia mir hinterlassen hatte, dafür eine Telefonnummer. Ich ging fest davon aus, dass es die ihres Handys war. Insgeheim musste ich allerdings auch damit rechnen, Iovan Raduc anzurufen, der hier ein weiteres Spiel mit mir spielte.
Ich wählte die Nummer. Es tutete einige Male, bis das Gespräch angenommen wurde. Eine verzerrt klingende Frauenstimme ertönte, die etwas mir völlig Unverständliches rief.
Automatisch fragte ich mich, ob es sich dabei um Nadia Camescu handelte. Ich gab weiterhin keinen Ton von mir, ging aber aus dem Raum, um nicht von irgendwelchen Unterhaltungen gestört zu werden. Dabei hörte ich das Krächzen von Vögeln, wahrscheinlich Möwen, welches aus dem Smartphone drang.
»Hafen«, verstand ich plötzlich ein sehr leise gesprochenes Wort. »Heute Nacht. Sorianu.«
Wieder hörte ich unverständliche Rufe, wobei mir langsam klar wurde, dass jemand rumänisch sprach. Kurz darauf war das Gespräch beendet. Ich ließ das Smartphone sinken und blickte zu meinem Partner zurück, der sofort auf mich zugelaufen kam.
»Was ist?«
Ich hob die Schultern. »Ich weiß es nicht genau. Vielleicht war es eine Botschaft von Nadia, nur habe ich fast nichts verstanden. Hafen, heute Nacht und Sorianu. Mehr nicht.«
»Wenn Dorian Sorianu nicht vor unseren Augen von der Decke baumeln würde, hätte ich vermutet, dass Raduc sich mit ihm heute Nacht an einem Hafen treffen will. Oder Nadia sich mit uns. Aber warum hat sie dann Sorianu erwähnt?«
»Das ist die Frage aller Fragen.«
Ich ließ gedanklich noch einmal alles Revue passieren, was Sir James Powell in der Kürze der Zeit über Dorian Sorianu in Erfahrung gebracht hatte. Er war 43 Jahre alt, ledig und offiziell ein rumänischer Geschäftsmann, der Anteile an verschiedenen Firmen besaß. Der MI5 verdächtigte ihn, wie schon seinen Vater vor ihm, seit mehr als zehn Jahren Waffen, Munition und sogar Sprengstoff aus Beständen des ehemaligen Ostblocks auf die britischen Inseln zu schaffen und von dort aus an den Meistbietenden zu verkaufen – unter anderem an Interessenten aus Mexiko, Südostasien und verschiedenen afrikanischen Staaten. Seinen Leuten und ihm gelang es dabei stets, ihre Spuren zu verwischen, auch durch mehrere Morde. Unter anderem waren zwei MI5-Agenten, denen es gelungen war, sich in seine Organisation einzuschleusen, spurlos verschwunden. Normalerweise umgab er sich mit mehreren Leibwächtern, doch von ihnen fehlte offenbar ebenfalls jede Spur.
»Welche Verbindung hätte Sorianu zum Hafen? Und zu welchem Hafen?«
Burns, der unsere Unterhaltung offenbar mitverfolgt hatte, trat an uns heran. »Ich kann Ihnen auch nichts Genaues sagen, meine Herren. Ich weiß nur, dass Sorianu zahlreiche kleinere und größere Unternehmen besitzt, um die Gewinne aus seinen Waffengeschäften zu waschen. Meine Vorgesetzten sagten, dass, seit die Gefahr bekannt ist, die von Iovan Raduc ausgeht, Sorianu bereits in das Visier der Ermittlungen geraten ist. Mehr kann ich Ihnen aber leider nicht sagen.«
»Können oder wollen Sie nicht?«, hielt ich dagegen. »Der MI5 wusste also vor uns, dass Sorianu mit Raduc kooperieren könnte. Ihnen ist doch klar, dass Nadia Camescu ihr Leben riskiert hat, um ums diese Information zukommen zu lassen.«
Burns verzog keine Miene. »Ich weiß nur, was man mir mitteilt. Meine Männer und ich sind eine Eingreiftruppe, keine Nachrichtendienstler.«
Ich schüttelte verärgert den Kopf und starrte auf die Nachtlichter von Edinburgh hinaus, woraufhin sich der Commander wieder zurückzog. Wie oft waren wir in all den Jahren schon mit den verschiedenen Geheimdiensten aneinandergeraten, weil man uns konsequent Informationen vorenthielt? Immer wieder wollte eine dieser Organisationen unsere Hilfe haben, ließen uns dann aber auflaufen. Das stank zum Himmel, doch was sollten wir dagegen tun?
»Der MI5 wird uns bestimmt nichts verraten, wenn wir Burns bitten, mit seinen Vorgesetzten in Kontakt zu treten«, flüsterte Suko mir zu. »Aber Sir James …«
Ich sah zu ihm herüber und lächelte. »Natürlich, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?«
»Weil ich auch noch was zu tun bekommen muss?«
Ich lachte kurz, hob das Smartphone wieder an und wählte die Nummer meines Chefs. Es war zwar später Abend, doch ich ging davon aus, dass er angesichts dessen, dass wir gemeinsam mit dem MI5 im Einsatz waren, das Büro noch nicht verlassen hatte. Und ich behielt recht.
»John, wie ist es bei Ihnen gelaufen?«
Zunächst stellte ich auf Lautsprecher um. Dann erklärte ich ihm mit knappen Worten, was in den letzten Minuten geschehen war und dass ich bestimmte Informationen von ihm benötigte.
»Das ist wieder mal typisch«, kommentierte unser Chef meinen Bericht. »Aber wem sage ich das? Ich bin in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben und habe mir von einigen Leuten, die mir einen Gefallen schuldig waren, mehr Informationen über Dorian Sorianu besorgt. Er ist im Besitz von insgesamt neun Firmen und unterhält Beteiligungen an achtzehn weiteren.«
»Hat eine dieser Firmen Verbindungen zu einem Hafen? Möglicherweise sogar den von Edinburgh?«
»Warten Sie einen Moment.«
Ich hörte, wie Sir James in seinen Unterlagen blätterte, schwer atmete und offenbar einen Schluck Wasser trank. Dabei warf ich Suko einen vielsagenden Blick zu. Es vergingen ungefähr drei Minuten, bis sich unser Chef wieder zu Wort meldete.
»Da gibt es tatsächlich eine Firma, John. Die Eastern Line Shipping Company, eine Reederei, befindet sich vollständig in Sorianus Besitz. Sie hat ihren Sitz direkt bei Ihnen, in Edinburgh, genauer gesagt in Leith, Dock Lane 24. Also quasi genau dort, wo die Container auf die Schiffe verladen werden. Vermuten Sie, dass sich Iovan Raduc dort befindet?«
»Ich gehe zumindest stark davon aus. Vielen Dank, Sir, wir melden uns wieder.«
»Gut, und passen Sie auf sich auf.«
Ich beendete das Gespräch und steckte das Handy wieder weg. Mir war plötzlich heiß und kalt zugleich geworden. Wenn ich eins und eins zusammenzählte, war Raduc wohl gerade dabei, am Hafen von Edinburgh ein Schiff mit all dem zu beladen, was er vor der gewaltigen Explosion auf seinem Firmengelände in Ayr beiseite geschafft hatte. Wir verfügten dank Sir James sogar über die genaue Adresse – nur würde uns dort wahrscheinlich auch Nadia Camescu erwarten, die dabei wohl mitten ins Kreuzfeuer geraten würde.
Trotzdem wusste ich, dass es keine andere Option gab, als so schnell wie möglich dort anzurücken. Immerhin war es genau das, was Nadia wollte. Dass sie damit vielleicht ihr Todesurteil unterschrieben hatte, ließ mir eine Gänsehaut über den Rücken rinnen …
☆
Das dröhnende Horn eines vorbeifahrenden Schiffes hallte über das nächtliche Hafengelände. Der langsam abnehmende Mond riss, sobald die vorbeiziehenden Wolken sein Licht freigaben, die Konturen eines mächtigen, auf vier Stützen stehenden Krans aus der Dunkelheit, der der Beladung der großen und kleinen Containerschiffe diente. Einzelne Möwen krächzten, während sie über den Schiffen und der Kaimauer kreisten. Die gesamte Szenerie war in eine beinahe unheimliche nächtliche Stille getaucht.
Erst als wir langsam vorrückten, vernahmen wir die ersten Stimmen. Dünne Scheinwerferlichter huschten durch die Dunkelheit, ohne dass ich deren Quelle ausmachen konnte. Obwohl uns die Lichtkegel nicht einmal touchierten, war mir klar, dass jedes falsche Geräusch unser Todesurteil bedeuten konnte.
Commander Burns und sein siebenköpfiges Team hatten die Führung übernommen. Im Gegensatz zu Suko und mir verfügten sie über eine kampftaktische Ausbildung und jahrelange Erfahrung im Schnellzugriff.
Zwar ging es in erster Linie um Iovan Raduc, doch wir gingen davon aus, es zunächst mit einer größeren Anzahl an Söldnern zu tun zu bekommen. Deshalb war der britische Inlandsgeheimdienst nicht nur mit Burns’ Leuten angerückt, er hielt auch zwei Hubschrauber in der Hinterhand. Diese sollten allerdings erst zum Einsatz kommen, sobald die Lage am Boden unter Kontrolle war.
Im Schutze der Dunkelheit rückte das Einsatzkommando weiter vor. Mein Partner und ich hielten uns im Hintergrund, wichen aber nicht von der Seite der MI5-Kollegen. Immerhin ging es hier um Vampire, die in der Dunkelheit quasi überall lauern konnten. Noch zeigte mein Kreuz keine Reaktion, ich war mir jedoch sicher, dass sich das sehr bald ändern würde.
Immer wieder dienten uns Container, Holzkisten oder abgestellte Fahrzeuge als Deckung. Burns gab seinen Leuten leise Befehle, woraufhin sie sich weiter verteilten, um die Umgebung noch effektiver abzusichern.
Die Stimmen der Männer und Frauen, die einige hundert Meter entfernt aktiv waren, wurden langsam lauter. Da ich manchmal glaubte, einen osteuropäischen Akzent herauszuhören, ging ich einfach davon aus, dass es sich bei ihnen um Raducs Söldner handelte. Natürlich juckte es mir in den Fingern, Nadias Nummer noch einmal anzuwählen. Doch damit hätte ich sie nur noch mehr in Gefahr gebracht.