John Sinclair 2194 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2194 E-Book

Rafael Marques

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Dagmar Hansen öffnete die Augen!
Ihr Herz pumpte sofort schneller, als ihr klar wurde, dass sie nicht mehr neben ihrem Lebensgefährten und Partner Harry Stahl stand. Alles war anders geworden, und das innerhalb weniger Sekundenbruchteile. Eine fremde Macht musste eingegriffen haben, denn sie befand sich nicht mehr in ihrer Wohnung, nicht mehr in Wiesbaden und wahrscheinlich nicht einmal mehr auf der Erde ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Im Tempel der verlorenen Seelen

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Romolo Tavani; Viacheslav Lopatin/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-9976-9

„Geisterjäger“, „John Sinclair“ und „Geisterjäger John Sinclair“ sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Im Tempel der verlorenen Seelen

von Rafael Marques

Dagmar Hansen öffnete die Augen!

Ihr Herz pumpte sofort schneller, als ihr klar wurde, dass sie nicht mehr neben ihrem Lebensgefährten und Partner Harry Stahl stand. Alles war anders geworden, und das innerhalb weniger Sekundenbruchteile. Eine fremde Macht musste eingegriffen haben, denn sie befand sich nicht mehr in ihrer Wohnung, nicht mehr in Wiesbaden und wahrscheinlich nicht einmal mehr auf der Erde …

Erst nach einiger Zeit wurde ihr klar, dass sie diesen Ort kannte. Es handelte sich um eine Welt, von der sie gehofft hatte, sie nie wieder betreten zu müssen, und die eigentlich auch gar nicht mehr existieren durfte.

John Sinclair hatte sie vor einiger Zeit mit seinem Kreuz vernichtet. Und doch hockte sie auf dem kalten Betonboden und starrte auf die steinernen Wände und die unendliche, allumfassende Schwärze, die sich statt einer Decke über ihr ballte.

Sie befand sich in einem Raum, zu dem es nur einen Zugang gab. Aus den Wänden drang ein kaltes, graues Licht, und sie erinnerte sich, dass sich in dem Gestein auch schon Gesichter von Menschen abgezeichnet hatten.

Diesmal war das nicht so, und trotzdem war sie davon überzeugt, wieder in der Welt eines Dämons gelandet zu sein, der versucht hatte, sie zu seiner Dienerin zu machen. Denn wie er gehörte sie zu den Psychonauten.

Wie bin ich hierhergekommen?

Diese Frage spukte ihr unentwegt durch den Kopf, während sie sich langsam aufrichtete.

Sie erinnerte sich noch genau daran, wie sie zum ersten Mal mit der Magie dieses Psychonauten-Dämons in Kontakt gekommen war. Damals hatten die drei Jugendlichen Jana Hartmann, Nicolas Reif und Tom Kessler einen Abstecher in das verlassene Haus des vor fünfzig Jahren von Toms Großonkel erschossenen Serienmörders Alfred Kemter gemacht und waren dort auf ein Tor in eine andere Dimension gestoßen. Währens Nicolas dadurch zu einem Dämon geworden war, hatten sich Jana und Tom unter dem Einfluss des Dämons in einen dunklen Schacht gestürzt.1)

Einige Zeit später war ihr Jana wieder begegnet, diesmal als Geist, die von einer jungen Frau Besitz ergriffen und sie zum Mord an ihrem Ehemann getrieben hatte. Jana war schon zu Lebzeiten mehr als nur ein Mensch gewesen, wahrscheinlich sogar ein Engel, und diese Besonderheit hatte sie befähigt, sich gegen den Einfluss des Dämons aufzulehnen und Dagmar dazu zu benutzen, Selbstmord zu begehen.2)

Das alles war ebenfalls in dieser Dimension geschehen, in der sie zum ersten Mal auf diesen abgrundtief hässlichen, schwarzhäutigen Dämon gestoßen war, den John, bevor das Monstrum sie töten konnte, erst mit dem Bumerang geköpft und anschließend mit dem Kreuz scheinbar vernichtet hatte.

An all das konnte sie sich noch genau erinnern, nur beantwortete das nicht die Frage, wie sie wieder in diese Welt gelangt war. Das letzte Mal war sie von einem magischen Spiegel an diesen Ort gerissen worden, nur existierte dieser nicht mehr.

Harry und sie hatten einen völlig normalen Arbeitstag beim BKA erlebt, ein paar Berichte geschrieben und sich mit Kollegen ausgetauscht. Anschließend waren sie in einem Restaurant in den Wäldern des Taunus essen und gerade dabei gewesen, durch die Tür zu gehen und in ihre gemeinsame Wohnung zu treten.

Schlagartig war alles anders geworden. Dagmar atmete tief durch und versuchte, sich zu sammeln. Automatisch tastete sie ihren Körper ab und stellte überrascht fest, dass sie ihre Beretta in der Hand hielt. Die Macht des Dämons musste ebenfalls dafür gesorgt haben, denn sie hatte eigentlich die ganze Zeit über in ihrer Jacke gesteckt.

Aber warum? Was bezweckte dieser Dämon damit, ihr die Möglichkeit zu geben, sich zu wehren? Mal ganz davon abgesehen, dass das geweihte Silber gegen den Herrscher dieser Welt wahrscheinlich nichts ausrichten würde, konnte sie sich noch auf ihre latenten Psychonautenkräfte verlassen.

Sie musste etwas tun. Vielleicht diesen Raum verlassen und erneut durch das Labyrinth schleichen, aus dem diese Welt im Prinzip bestand. Dann würde sie wohl auch wieder auf die zahlreichen Toten treffen, deren Gesichter von einem dämonischen Schatten verdeckt wurden und die Fratzen der Opfer des Dämons und seines Kultes erleben, die sich teilweise aus den Wänden drückten.

Während sie überlegte, was sie tun sollte, keimte ein weiterer Gedanke in ihr auf: Wenn sie schon in diese Dimension gerissen worden war, was war dann mit Harry geschehen?

Sie kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu spinnen, denn vor ihr tat sich etwas. Aus dem einzigen Zugang strömte heller Nebel hervor, und innerhalb der Schwaden zeichnete sich bald ein Schatten ab. Noch war er eine unförmige Silhouette, erst mit der Zeit nahm er die Gestalt eines Menschen an.

Dagmar hätte fast geschrien, als sie sah, dass da niemand anderes als Harry Stahl auf sie zu kam. Sie wollte auf ihn zustürmen und ihn umarmen, doch etwas hielt sie davon ab. Es war sein Blick, der nicht nur dafür sorgte, dass ein Schauer über ihren Rücken lief, sondern auch, dass sie sich härter gegen die Wand presste.

Harry starrte sie an, als würde er sie töten wollen …

»Komm schon, Sarah, lass uns hier verschwinden. Ich mache mir gleich in die Hose.«

Sarah Price verdrehte die Augen, als ihre Freundin Erin ihr die Worte ins Ohr flüsterte. Sie war ein Jahr jünger als die Sechzehnjährige und verhielt sich häufig noch wie ein kleines, eingeschüchtertes Mädchen.

»Jetzt komm mal wieder runter«, entgegnete sie. »Hier unten gibt es absolut nichts, vor dem man sich fürchten muss.«

»Außer vor Erins Hose«, warf Katy, ihre gemeinsame Freundin, ein.

Zusammen bildeten sie ein unzertrennliches Trio, was auch nicht besonders überraschend war, schließlich waren sie die drei einzigen Mädchen ihres Alters in dem kleinen Dorf in den Highlands, in denen sie lebten.

Bei Jimmy Cavill, Sarahs Freund, lagen die Dinge schon anders. Er war erst vor wenigen Wochen in die Nähe gezogen, in ein einsam gelegenes Schloss. Zuvor hatte er auf einem Internat in der Schweiz gelebt und war dadurch vollkommen anders aufgewachsen als die anderen Jungen in ihrem Alter. Seine gebildete Art, aber auch der Hauch des Geheimnisvollen, der ihn stets umgab, zog sie geradezu magisch an.

Jimmy wusste auch von ihrem Faible für Horrorfilme, weshalb er sie – gemeinsam mit ihren Freundinnen Erin und Katy – dazu eingeladen hatte, einen Ausflug in die geheimen Katakomben einer bekannten, in der Nähe liegenden Schlossruine zu unternehmen – durch einen Zugang, den nur er zu kennen schien.

»Wir sind gleich da«, erklärte Jimmy, der einige Meter vorausgegangen war und den düsteren Gang mit seiner Taschenlampe ausleuchten wollte.

Sarahs Freund wollte sie nicht nur durch die Katakomben führen, sondern ihnen auch einen ganz besonderen Fund zeigen. Um was genau es sich dabei handeln sollte, darüber hatte er sich bisher ausgeschwiegen. Sarah rechnete mit einem Schatz oder einer Leiche, zumindest irgendetwas, das sie aus der Fassung bringen sollte.

Als sie in einen größeren Raum traten, war sie zunächst enttäuscht. Auf den ersten Blick war er vollkommen leer. Nicht einmal ein altes Gemälde oder irgendwelche Inschriften zeichneten sich an den Wänden ab. Hier war einfach nichts.

»Was soll das?«, fragte Katy und löste sich von Sarahs Seite. Die Siebzehnjährige, an der vor allem der lange, dunkle Pferdeschwanz, das bauchfreie Top und die Lederjacke auffielen, zeigte gerne ihr Selbstbewusstsein, besonders Jungen in ihrem Alter gegenüber. »Warum hast du uns hierhergeführt? Hier ist doch gar nichts. Oder willst du uns hier alle zugleich verführen?«

Jimmy blieb gelassen und trat einen Schritt zur Seite. »Du irrst dich. Hier ist etwas, sogar etwas ganz Besonderes. Du musst nur genau hinsehen.«

Katy lachte, während sich Sarah allein auf die Stelle konzentrierte, an der Jimmy gerade noch gestanden hatte. Der Boden und die Wand waren nicht vollkommen ruhig. Je länger sie hinsah, desto mehr glaubte sie, dass sich dort eine besondere Substanz befand, die sich sogar leicht zu bewegen schien.

Auch Katy schien die Masse bemerkt zu haben und ging vorsichtig einen Schritt auf sie zu. »Was zum Henker ist das?«, fragte sie entgeistert. »Ist das Teer?«

Jimmy schüttelte den Kopf. »Es ist ein Tor in eine andere Welt.«

»Was?«

»Warum springst du nicht hinein und findest es heraus?«

»Was, ich …«

Katy kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu formulieren. Urplötzlich huschte Jimmy auf sie zu, packte sie an den Schultern und schleuderte sie in die schwarze Masse hinein.

Sarahs Augen weiteren sich, als ihre Freundin einfach in der Substanz verschwand und nicht mehr zurückkehrte. Nicht einmal einen Schrei hörte sie.

Dafür sah sie, dass sich ihr Freund verändert hatte. Seine Augen waren nicht mehr normal, sondern genauso schwarz wie die Masse am Boden. »Warum kommst du nicht näher, Sarah?«, fragte er in einem seltsamen Tonfall. »Ich will dir eine andere Welt zeigen. Eine Welt, nur für uns beide …«

»Nein!«, schrie sie, gepackt von blankem Entsetzen. Dann riss sie Erin einfach mit sich und rannte davon, irgendwo in die Dunkelheit hinein.

Ich war zurück in den Highlands, einer Region, zu der ich schon immer eine besondere Bindung verspürte. Vor allem, weil meine Eltern von dort stammten, nach der Rente meines Vaters in ihre Heimat Lauder zurückgekehrt und dort auch gestorben waren. Auch wenn ich quasi mein ganzes Leben in London verbracht hatte, war dieses Gebiet doch in gewisser Weise ein Teil von mir.

Schroffe Gebirgszüge, düstere Wälder und malerische Täler mit den berühmten und weniger berühmten Lochs, den Seen der Highlands, aber auch kleine Dörfer, uralte Schlösser und unheimliche Ruinen prägten das Landschaftsbild und zeugten teils von der bewegten Geschichte dieser Region.

Sie war eine Welt für sich, abgeschnitten von den wirtschaftlichen Zentren des Vereinigten Königreichs, obwohl gerade dieses Gebiet für Touristen sehr interessant war. Und natürlich für die Liebhaber des schottischen Whiskys, die in Scharen zu den bekannten Brennereien pilgerten.

Der Ort, an dem ich mich zurzeit aufhielt, war ganz sicher kein Ziel normaler Touristen. Allerhöchstens diejenigen, die gezielt nach einsam gelegenen Ruinen suchten, kamen hier auf ihre Kosten. Denn genau in einer solchen hielt ich mich im Moment auf.

Nicht einmal Glenda Perkins war in der Lage gewesen, mir genauere Informationen über die Geschichte von Glenorran Castle zu geben. Es lag in einem Seitental des Loch Naver und einige Meilen entfernt von den wenig bekannten Orte Altnaharra und Klibreck.

Allerdings war es nicht Glenda gewesen, der ich die genaue Wegbeschreibung zu verdanken hatte, sondern einem Mann, der halb Mensch und halb Engel war – Raniel, der Gerechte.

Raniel war eine mysteriöse Gestalt, ein Mischwesen mit langen, schwarzen Haaren und mächtigen Flügeln, dessen Handeln von einer tragischen Geschichte geprägt wurde. Seine Eltern waren von einem betrunkenen Fahrer getötet worden, und viel später hatte er sich, nachdem er eine Symbiose mit einem Engel eingegangen war, an ihrem Mörder furchtbar gerächt.

Er war eine Gestalt, die eine eigene Moral und einen speziellen Sinn für Gerechtigkeit hatte, der nicht immer mit meinen Ansichten konform ging. Dennoch respektierten wir uns und unterstützten uns gegenseitig im Kampf gegen die Mächte der Finsternis, insbesondere gegen die Engel der Hölle. Dass er dabei häufig einen eigenen Weg ging, musste ich leider akzeptieren.

Ob es auch diesmal wieder um Engel ging, wusste ich nicht. Raniel hatte sich in meiner Wohnung bei mir aus dem Unsichtbaren gemeldet und mir zugeflüstert, dass ich mich mit ihm an dieser Ruine treffen sollte. Warum er mich nicht einfach selbst hierhergebracht hatte, blieb sein Geheimnis, denn ich wusste, dass der Gerechte durchaus dazu in der Lage war. Bisher war von dem Halbengel auch noch nichts zu sehen.

Es war früher Nachmittag. Der Himmel wurde, wie so oft in den Highlands, von einer dichten Wolkenwand verdeckt. Weiter im Hintergrund hörte ich das Grummeln eines nahenden Gewitters, während über die Berghänge einzelne Nebelschwaden krochen.

Manche konnten mit so einem Wetter nichts anfangen, ich dagegen liebte es, die Highlands so grau und düster zu erleben. Die Düsternis, gepaart mit einer geradezu mystischen Atmosphäre, wenn der Dunst über die Moore, Seen und Ruinen kroch, gab den Highlands einfach ihren ganz besonderen Charme.

Allerdings kannte ich auch die andere Seite dieser Region. Die Mächte der Finsternis hatten auch hier vielerorts ihr Erbe hinterlassen. Sicher waren die meisten Legenden um verfluchte Schlösser und Monster, die in den Tiefen der Seen lauerten, frei erfunden. Doch in manchen von ihnen steckte ein Fünkchen Wahrheit, und so war ich schon mehrfach an solchen Orten mit gefährlichen Dämonen konfrontiert worden.

Bisher war ich dieses Mal davon verschont geblieben. Mein Kreuz blieb kalt, während ich an den steinernen Mauern von Glenorran Castle entlangschritt. Das Schloss selbst war als solches kaum noch zu erkennen. Der Zahn der Zeit nagte deutlich an den wenigen noch intakten Mauern, die sich allerdings in einem Bereich von knapp fünfzig mal hundert Metern verteilten und so von der einstigen Größe dieses Gebäudes zeugten.

Noch hatte ich nicht jeden Winkel der Ruine durchsucht, allerdings fragte ich mich so langsam, was sich Raniel davon versprach, mich an diesen Ort zu locken und dann nicht zu erscheinen. Natürlich musste es einen Grund geben, nur fühlte ich mich bisher von ihm an der Nase herumgeführt.

Als ich schon lauthals den Namen des Gerechten rufen wollte, erstarrte ich. Wo die leisen Stimmen plötzlich herkamen, sah ich nicht. Zwei Menschen unterhielten sich, wahrscheinlich sogar zwei Frauen. Ich ging davon aus, dass sie sich irgendwo innerhalb der Mauern aufhielten.

Kurz überlegte ich, ob ich meine Beretta ziehen sollte, ließ sie dann aber stecken. So leise wie möglich umrundete ich einen Mauerrest, in dem sich noch der Ausschnitt eines Fensters erkennbar war, stieg über die Wurzeln eines abgestorbenen Baumes hinweg und trat in das Innere der Ruine.

Durch die zahlreichen noch bestehenden Wände war das Gelände etwas unübersichtlich, weshalb ich mich allein auf mein Gehör verlassen musste. Die Stimmen wurden immer lauter, und obwohl ich noch immer kein Wort verstand, glaubte ich, einen aufgeregten Klang herauszuhören.

Jetzt zog ich doch meine Beretta und lief vor. Schon nach wenigen Metern sah ich, wie zwei junge Frauen an den Resten eines Kamins erschienen, sich eng umklammerten und in Panik umsahen. Als sie mich sahen, schrie eine der beiden auf und wich zurück.

»Keine Angst, ich bin von Scotland Yard!«, rief ich ihnen zu.

Die beiden jungen Frauen blieben tatsächlich stehen und sahen mich entgeistert an. Eine Dunkelhaarige, die vor allem durch ihr schmales Gesicht und den dichten Pferdeschwanz auffiel, überwand als Erste ihre Überraschung. »Das ist doch ein Witz«, rief sie mir zu.

»Kein Witz«, erwiderte ich, während ich auf die Frauen zulief. Jetzt sah ich, dass es sich bei ihnen noch um Jugendliche handelte, die allerhöchstens sechzehn Jahre alt waren. »Ich bin Oberinspektor John Sinclair von Scotland Yard.«

»Und was tun Sie hier?«

»Dieselbe Frage könnte ich euch wohl auch stellen.«

Die Dunkelhaarige schluckte hart und blickte zu ihrer blonden Begleiterin hinüber, die nur verwirrt mit den Schultern zuckte. Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Das werden Sie uns nicht glauben.«

»Versuchen Sie es einfach.«

Kurz darauf erfuhr ich von der Jugendlichen, wovor sie sich so sehr fürchteten. Ihre Geschichte ließ einen kalten Schauer über meinen Rücken rinnen …

Harry wollte sie töten!

Dagmar Hansen konnte nicht glauben, dass sie auch nur eine Sekunde daran dachte, dass ihr Partner zu einem Mörder werden konnte. Dass er sein Waffe hervorzog und sie erschoss. Sein Blick war einfach so eiskalt und emotionslos, dass ihr ein Schauer nach dem anderen über den Körper jagte.

»Harry …«

Ihr Lebensgefährte stand einfach nur vor ihr und starrte sie an. Seine Lippen bewegten sich nicht, er blinzelte nicht, und nach einer Weile fragte Dagmar sich, ob er überhaupt noch atmete.

Der Gedanke, dass Harry zu einem lebenden Toten geworden war, sorgte dafür, dass ihr Herz noch einen Deut schneller schlug. Nein, das konnte einfach nicht sein. Nicht nach all dem, was sie gemeinsam erlebt und überstanden hatten. Harry war kein Zombie. Aber was war dann mit ihm geschehen?

Harry Stahl blieb auf der Stelle stehen, und doch geschah etwas mit ihm. Unter seiner Haut begann etwas zu arbeiten, so als wollte sich etwas aus den Tiefen seines Körpers nach außen drücken. Bald sah sie, dass es seine Adern waren, die sich nun viel deutlicher in seinem Gesicht abzeichneten. Sie traten als schwarze, grauenvolle Muster hervor, und irgendwann wurde der Druck so stark, dass die Haut an einer Stelle aufplatzte. Schwarzes Blut spritzte hervor und bewies Dagmar endgültig, dass ihr Freund kein Mensch mehr war.

Die rothaarige Ermittlerin schluchzte und presste sich eine Hand vor den Mund, war aber nicht in der Lage, sich von dem schrecklichen Schauspiel abzuwenden.

Inzwischen war die Gesichtshaut schon an mehreren Stellen aufgeplatzt, und sie musste davon ausgehen, dass es am von seiner Kleidung verdeckten Rest seines Körpers nicht anders aussah. Seine normalen Pupillen verschwammen in einer schwarzen Masse, und als er seinen Mund öffnete, zeichneten sich in ihm verschieden große, spitze Reißzähne ab.