John Sinclair 2211 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2211 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Er war tot - und doch lebte er!
Das uralte Wesen war von den Flammen vernichtet worden, zu Asche verbrannt, die vom Winde verweht wurde und sich nach einiger Zeit einfach aufgelöst hatte. Kein Mensch wäre in der Lage gewesen, so etwas zu überleben. Auch kaum ein Dämon, schon gar kein Vampir.
Es gab die alten Gesetze der Blutsauger. Kreuze, geweihtes Silber, ein Pflock ins Herz, Genickbruch oder eben Feuer waren für ihresgleichen tödlich. Doch nicht alle Vampire waren gleich stark. Manchen gelang es sogar, den Tod zu überwinden, bevor ihre Seele in die unendlich schwarze Welt einer noch viel mächtigeren Kreatur einging, die zwischen den Welten auf sie lauerte. Diese Wiedergänger waren in der Lage, allein durch die Macht ihres Geistes wieder ins Leben zurückzukehren ...


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Seitenzahl: 156

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Hexenspuk und Vampirzauber

Briefe aus der Gruft

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Sandobal

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0572-1

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Hexenspuk und Vampirzauber

von Rafael Marques

Er war tot – und doch lebte er!

Das uralte Wesen war von den Flammen vernichtet worden, zu Asche verbrannt, die vom Winde verweht wurde und sich nach einiger Zeit einfach aufgelöst hatte. Kein Mensch wäre in der Lage gewesen, so etwas zu überleben. Auch kaum ein Dämon, schon gar kein Vampir.

Es gab die alten Gesetze der Blutsauger. Kreuze, geweihtes Silber, ein Pflock ins Herz, Genickbruch oder eben Feuer waren für ihresgleichen tödlich. Doch nicht alle Vampire waren gleich stark. Manchen gelang es sogar, den Tod zu überwinden, bevor ihre Seele in die unendlich schwarze Welt einer noch viel mächtigeren Kreatur einging, die zwischen den Welten auf sie lauerte. Diese Wiedergänger waren in der Lage, allein durch die Macht ihres Geistes wieder ins Leben zurückzukehren ...

Samartan, der Totensauger, gehörte zu diesen mächtigen Wesen!

Er war von einer seltsamen Gestalt in einem silbernen Anzug mit einem Flammenwerfer verbrannt worden. Und das, obwohl ihm seine angebliche Verbündete, die Aibon-Hexe Ismelda, mit ihrem magischen Kartenset vorausgesagt hatte, das John Sinclair ihn töten würde. Genau deshalb war er auch nach London gereist, hatte zwei Söldner engagiert und einen Plan in Gang gesetzt, um den Geisterjäger daran zu hindern, ihn vor dem Ende des dritten Tages – der laut der Karte seinen Tod bringen würde – zu vernichten. Dabei war alles nur eine raffinierte Falle seines ärgsten Feindes gewesen.1

Niemand anderes als Iovan Raduc stand hinter der Verschwörung, die mit seiner endgültigen Vernichtung hätte enden sollen. Raduc, das war nicht einmal sein richtiger Name, sondern einer von vielen, derer er sich über die Jahrhunderte bemächtigt hatte. Ursprünglich war er ein römischer Krieger namens Idan gewesen, der mit seiner Einheit bei einem Auftrag in eine Falle geraten und durch das magische Blut seines Meisters Astaroth zu einem besonderen Vampir geworden war.

Er war dazu in der Lage, seinen eigenen Tod immer wieder zu überwinden, indem jemand von seinem Blut trank. Geschah dies, verlor derjenige seine Identität und wurde vollständig von dem Vampir übernommen.

Samartan hatte von dem Erzdämon Astaroth den Auftrag erhalten, Raduc zu töten. Und fast wäre es ihm auch gelungen, denn inzwischen waren alle seiner Helfer tot. Oder fast alle, denn Ismelda war ganz offensichtlich zu ihm übergelaufen.

Doch Samartan würde nicht so einfach aufgeben. Er war fest entschlossen, seinen Auftrag zu Ende zu führen, aber dafür musste er sich erst einmal wieder regenerieren. Sein Geist existierte weiter, ebenso die Seelen seiner unzähligen Opfer. Gemeinsam waren sie in den Körper seines letzten Dieners gefahren, des Satanisten Sergio Torres.

Von seiner ursprünglichen Persönlichkeit war schon nach dem Ritual, während dem er den Spanier in einen Untoten verwandelt hatte, lediglich die Wut auf seinen Mörder – John Sinclairs Partner Suko – übrig geblieben. Jetzt war er wirklich nur noch eine Marionette, ein Hilfskörper für Samartan.

Das Belmont Hotel war verbrannt, und das schon vor drei Tagen. Samartan war den Flammen entkommen, indem er in Sergio Torres' Körper durch einen Geheimgang in die Kanalisation geflohen war. Dort war er irgendwann zur Ruhe gekommen und in einen seltsamen Dämmerzustand gefallen, in dem er verzweifelt versuchte, sich vollständig zu regenerieren.

Doch ihm fehlten die Kräfte dazu. Die Seelen seiner Opfer waren kaum mehr wert als das Ektoplasma, aus dem sie bestanden. Ihre nahrhaften Energien waren fast ausgezehrt, was bedeutete, dass er dringend neue Opfer brauchte. Menschen, die so von Wut und Hass getrieben wurden, dass ihre Seelen vor Energie nur so strotzten.

Eine zweite Sandy Pritchard würde es nicht geben. Die junge Frau, die von zwei Arbeitskollegen vergewaltigt und ermordet worden war, war im Besitz eines besonderen Medaillons gewesen, von denen vor langer Zeit mehr als ein Dutzend existiert hatten.

Inzwischen waren nur noch wenige von ihnen übrig, und wie ein Wink des Schicksals hatte eines seinen Weg ausgerechnet nach London gefunden. Es handelte sich bei den Medaillons um magische Artefakte aus alter Zeit, die von Dienern seines Meisters an die Menschen verteilt worden waren. Angefüllt von der Macht des Bösen, zogen sie ebenfalls Böses an, was oft den Tod der Träger oder ihrer Angehörigen bedeutete. Samartan hatte mit der Existenz der Medaillons nichts zu tun gehabt, aber sie waren eine Möglichkeit für ihn gewesen, an immer neue Opfer zu gelangen.

Das alles zählte für ihn nicht mehr. Irgendwie musste es ihm gelingen, seine Schwäche zu überwinden und wieder seine alte Gestalt anzunehmen. Dazu musste er jedoch einen Weg aus der Kanalisation finden, und genau deshalb richtete sich der Totensauger auf. Es widerte ihn an, in dem Körper eines Menschen zu stecken, selbst wenn dieser zu Lebzeiten selbst Diener einer mächtigen Höllengestalt gewesen war. Wenn er genügend Opfer fand, würde ihre Seelenenergie ausreichen, um – ähnlich wie Iovan Raduc es tat – seinen Wirtskörper vollständig zu übernehmen.

Wie ein Untoter schlich er durch die Unterwelt des Molochs London. Zwischen den zum Großteil noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammenden Mauern herrschte vollkommene Dunkelheit. Die Luft, die von den aus dem langsam dahinfließenden Strom dringenden Fäkalgerüchen angereichert wurde, wäre für einen normalen Menschen auf Dauer kaum zu atmen gewesen. Auch für Tiere nicht, denn selbst die berüchtigtsten Bewohner der Kanalisation, die Ratten, hielten sich von diesem Ort fern.

Samartans Sinne tasteten seine Umgebung ab. Wie ein normaler Vampir war er in der Lage, potentielle Opfer wahrzunehmen, jedoch nicht anhand ihres Blutes, sondern durch ihre Seelen. Und da die normale Oberwelt Londons nur wenige Meter über ihm lag, konnte er die Menschen, die dort nur auf ihn zu warten schienen, schnell wahrnehmen.

Statt an einer Weggabelung auf die andere Seite des schmalen, gepflasterten Gehstreifens zu springen, watete er einfach durch den zäh dahingleitenden Strom. Weder der Geruch noch die Abfälle und Essensreste, die an seinem Wirtskörper entlangglitten, interessierten ihn. Zu atmen brauchte er nicht, und auch sonst war es ihm egal, was mit der menschlichen Hülle von Sergio Torres geschah.

Nachdem er wieder aus den knapp eineinhalb Meter tiefen Fluten gestiegen war, erreichte er eine verrostete Leiter, die er sofort emporstieg. Er musste kaum Kraft aufwenden, um den schweren Kanaldeckel über ihm anzuheben und zur Seite zu schieben. Kalte Nachtluft strich über seinen nackten Körper, und als er sich weiter in die Höhe drückte, sah er, dass er sich in einem heruntergekommenen Hinterhof befand. Um ihn ragten die Mauern alter Ziegelsteinbauten in die Höhe, während sich am Boden der Unrat sammelte. Das Zentrum des kleinen Platzes bildete eine brennende Mülltonne, um die sich drei in verdreckte Kleidung gehüllte Männer versammelten und ihn ungläubig anstarrten.

Der Plan des Totensaugers stand bereits fest, während er auf die Obdachlosen zuschritt. Er formte seine linke Hand zu einer Kralle, und als er den ersten der drei Männer erreichte, riss er ihm mit einem einzigen Schlag die Kehle auf. Gurgelnd fiel der Verletzte zu Boden und begann im Todeskampf zu zucken.

Jetzt würde sich entscheiden, was seine Leidensgenossen taten. Samartan nahm den aus ihren Mündern strömenden Alkoholgeruch wahr, und da ihr Verstand augenscheinlich vernebelt war, handelten sie genauso, wie der Vampir es von ihnen erwartet hatte. Sie schrien ihn an, fluchten und versuchten, sich für den Mord an ihrem Kameraden zu rächen. Einer von ihnen zog ein Messer hervor, ein anderer packte eine brennende Holzlatte und stürmte auf ihn zu.

Der uralte Blutsauger ließ ihn kommen. Im letzten Moment wich er dem Schlag aus, brach dem Obdachlosen den Arm und ließ mit einem kräftig geführten Fausthieb seine Rippen knacken. Stöhnend brach er kurz darauf zusammen.

Der letzte der drei Männer schrie wie irre auf, riss das Messer hoch und warf sich auf seinen Gegner. Samartan ließ es zu, dass die zehn Zentimeter lange Klinge tief in seinen Bauch drang. Als der geschockte Mann sie wieder herausziehen wollte, rammte er beide Fäuste in seinen Brustkorb und ließ ihn zusammenbrechen.

Beide Obdachlose lebten noch, doch er spürte, wie das Leben aus ihren Körpern wich. Genauso nahm er aber auch ihre unbändige Wut wahr, und genau sie sorgte dafür, dass sich ihre Seelen geradezu aufluden. Deshalb trat er neben sie und beugte sich zu ihnen herunter.

»Ich weiß, ihr hasst mich«, sprach Samartan die Sterbenden an. »Ihr wollt mich dafür bezahlen lassen, was ich euch und eurem Freund angetan habe. Jeder von euch wünscht sich, mich persönlich zu töten, mir alle Knochen zu brechen und die Kehle aufzuschlitzen. Bald werdet ihr die Chance dazu bekommen, das verspreche ich euch.«

Die Männer starben, und trotz ihrer Wut und ihres von Alkohol verschleierten Geistes nahm er ihre Hoffnung wahr, sich tatsächlich an ihrem Peiniger rächen zu können. Samartan würde es nicht so weit kommen lassen, dafür sah er nun die nur für ihn sichtbaren, beige bis gelblich leuchtenden Seelen, wie sie um die leblosen Körper zu zucken begannen.

Der Totensauger nahm sich den links neben ihm liegenden Mann zuerst vor. Er strich über seine linke Halsseite und sorgte mit seinen letzten, verbliebenen Kräften dafür, dass aus Sergio Torres' Oberkiefer zwei Vampirzähne hervorwuchsen. Dann rammte er sie in die gestraffte Haut.

Er spürte das warme Blut auf den Lippen, doch der Lebenssaft der Menschen war ihm egal. Dafür erlebte er, wie sich ein magisch-elektrisches Feld bildete, in dem die Seele des Toten in die Höhe schwebte und dabei immer weiter eindunkelte. Als sie völlig schwarz war, huschte sie wieder in den Körper des Mannes zurück. Der Obdachlose stieß einen markerschütternden Schrei aus, wobei er sich aufbäumte und dabei alle Glieder von sich streckte. Schwarzes Licht drang aus seinen Augen hervor, genau wie aus jenen des Totensaugers. Auch die Adern in seinem Gesicht, seinen Armen und seinen Beinen nahmen diese Farbe an und drückten sich bis zum Anschlag hervor.

Der Tote war wieder zum Leben erwacht, doch bevor er sich seiner Stärke und seines Rachedurstes bewusst werden konnte, packte er dessen Kopf, brach ihm das Genick und riss seinen Schädel ab. Daraufhin schwebte die schwarze Seele aus der Brust des Obdachlosen in die Höhe und drang in den Körper des Vampirs ein.

Samartan spürte die neuen Energien, hatte aber noch nicht genug. Noch einmal biss er zu, diesmal den Kumpan des Toten. Wieder vollzog er das gesamte Ritual, und erneut sorgte er dafür, dass sich sein Opfer nicht als Untoter erhob.

Als auch die zweite, schwarze Seele in ihn eingedrungen war, richtete sich der Totensauger wieder auf. Noch nie hatte er seine eigenen Opfer getötet, und irgendwie fühlte es sich wie ein Verrat an seiner eigenen Geschichte an, doch die Seelenmagie tat auch so ihre Pflicht.

Samartan riss beide Arme in die Höhe, und als er seine Kräfte entfesselte, drückte sich der gedrungene Körper des einstigen Satansdieners in die Höhe. Bis auf zwei Meter wuchs er heran, wobei sich nicht nur der Körperbau veränderte, sondern auch seine Gesichtszüge. Sie wurden weich, beinahe zart, wobei der muskulöse Oberkörper bestehen blieb. Schulterlange schwarze Haare sprossen aus dem Schädel hervor und bedeckten auch seine Brust.

Und noch etwas geschah: Sein gesamter Körper wurde von einem langen, dunklen Stoffmantel eingehüllt, der fast bis zum Boden reichte. Ebenso legten sich zwei schwarze Stiefel um seine nackten Füße. Die Kleidung war Teil seines Körpers, weshalb sie auch jedes Mal erschien, nachdem er sich von seiner Fledermaus- in seine Menschengestalt zurückverwandelte.

Er war noch immer schwach, doch jetzt wusste er, wie mächtig er wirklich war. Er, der Totensauger, würde weiterhin die Geschichte mitbestimmen – und er würde erneut versuchen, seinen Auftrag zu erfüllen und Iovan Raduc zu töten.

»Ich bin froh, dass du dich auf deine Kräfte besonnen hast, Samartan«, erklang plötzlich eine scheinbar aus dem Nichts dringende, ihm wohlbekannte Stimme. »Sie sind sehr wichtig, aber ich wollte, dass du diese Prüfung bestehst und dich trotz deines Versagens mir würdig erweist.«

»Danke, Meister«, antwortete er der Stimme, die niemand anderem als dem Erzdämon Astaroth gehörte.

»Danke mir nicht zu früh. Ich erwarte dich bereits. Gemeinsam werden wir dafür sorgen, dass Iovan Raduc endgültig für seinen Verrat bezahlt, und das auf eine Weise, die einem wie ihm würdig ist.«

»Wie soll das geschehen?«

»Warte es ab, Samartan, und folge meinem Ruf ...«

Etwa eine Stunde später befand er sich auf der Putney Bridge, einer geschichtsträchtigen Brücke zwischen den Stadtteilen Putney und Fulham. Den meisten Menschen wäre diese Eigenart entgangen, doch Samartan empfand es als eine Art Ironie, dass es sich bei dem Treffpunkt um eine Brücke handelte, an deren Enden sich jeweils eine Kirche befand. Zu seiner Rechten die St. Mary's Church in Putney und zu seiner Linken die All Saints Church in Fulham. So bildete die Putney Bridge eine Art Tor der weißen, christlichen Magie, was ihn vermuten ließ, dass Astaroth diesen Ort nicht zufällig ausgesucht hatte, um sich ihm zu offenbaren.

London befand sich – zumindest in diesem Bereich dieses gewaltigen Molochs – im tiefen Schlaf. Kaum ein Auto rollte über die Brücke hinweg, und die Fahrer nahmen keine Notiz davon, wie sich die dunkle Gestalt auf das steinerne Geländer schwang und sich in die Tiefe fallen ließ.

Der Sturz währte nicht lang, denn schon bald setzten Samartans Füße auf einer der jahrhundertealten Säulen auf, die die Brücke mit all ihrer Last trugen. Obwohl er hin und wieder Stimmen, Hupen und Motorgeräusche wahrzunehmen glaubte, überkam ihn das Gefühl, in eine eigene, düstere Welt eingetaucht zu sein. Nur in wenigen Häusern von Putney brannte noch Licht, und die Scheinwerfer, die das altehrwürdige Fulham Palace und den Bishops Park erleuchteten, verschwammen langsam in einem Meer aus Dunkelheit.

Weit im Hintergrund, am von ihm aus gesehen linken Themseufer, war es besonders düster. Dort befand sich ein Naturschutzgebiet, eine geschützte Feuchtzone, und genau dort glaubte er zu erkennen, wie eine seltsame Wolke aus dem Fluss hervordrang.

Samartan spürte mit jeder Faser seines Körpers, dass diese Erscheinung ein erster Vorbote dessen war, was ihn hier erwartete. Astaroth wollte ihm etwas zeigen, das stand für ihn längst fest, denn ansonsten hätte sich sein Meister längst wieder bei ihm gemeldet.

Die Lichter der Großstadt verblassten noch mehr, bis sein Blickfeld nur noch von der sich langsam aufbauenden Wolke eingenommen wurde. Als Vampir verfügte er über die Fähigkeit, auch in der Dunkelheit klar zu sehen, doch in diesem Fall hätte er die Schwaden auch so wahrgenommen. Aus ihrem Inneren drang ein pulsierendes Licht, fast wie die Signalleuchte eines Schiffs.

Die Wolke war nichts anderes als ein Tor zur Hölle, das sich direkt vor ihm zu öffnen begann. Er ging davon aus, dass dieses Schauspiel nur für seine Augen bestimmt war und die wenigen Menschen, die um diese Uhrzeit auf die Themse hinausblickten, die Wolke überhaupt nicht wahrnehmen konnten.

Die Schwaden wallten in die Höhe. Inzwischen nahmen sie den Fluss in seiner gesamten Breite ein, wobei das pulsierende Licht immer intensiver wurde, ohne den Dunst dabei zu durchdringen. Dafür erkannte Samartan, wie sich innerhalb der Wolke riesige, dunkle Umrisse zu bilden begannen.

Ein eiskalter Hauch drang ihm entgegen, ließ die Themse Wellen schlagen und sorgte dafür, dass sich selbst der Totensauger schütteln musste, als die Kälte ihn traf. Er dachte an Luzifer, den gefallenen Engel, dessen Beziehung zu Astaroth und den anderen Erzdämonen sehr ambivalent war. Auch er strömte so eine Kälte aus, aber diese hier fühlte sich anders an. Der Eishauch schien eher aus dem Jenseits oder einer anderen Totenwelt zu stammen.

Aus der Wolke drang zwar keine zweite Windböe, dennoch bildeten sich weiterhin Wellen im Wasser, die am Ufer ausrollten. Innerhalb der Fluten glaubte er, seltsame Schattenkreaturen schwimmen zu sehen. Monsterschlangen mit gewaltigen Mäulern, die sich ineinander ringelten und danach zu gieren schienen, ihre armlangen Zähne in das Fleisch eines Menschen zu schlagen. Oder in das eines Vampirs, der versagt hatte und dem es gerade noch so gelungen war, dem Tod zu entkommen und seine alte Gestalt anzunehmen.

War es das? Hatte Astaroth ihn an diesen Ort gelockt, um ihn für sein Versagen zu bestrafen? Immerhin war es Iovan Raduc, den er selbst eigentlich zur Strecke bringen sollte, offenbar durch eine List gelungen, ihn selbst beinahe zu vernichten. Samartan wollte an diese Möglichkeit nicht so recht glauben, konnte aber die leichte Unsicherheit, die sich in ihm ausbreitete, nur ansatzweise verdrängen.

Die Wolke schob sich immer näher an ihn heran, und langsam sah er endlich, was dort in dem Dunst über die Themse glitt. Es war ein Schiff!

Samartan schluckte, während sich das schwimmende Gefährt langsam auf ihn zu bewegte. Was sich ihm da offenbarte, war nichts anderes als ein Totenschiff, denn das Galion, das sich vor dem Bug in die Höhe reckte und dabei einen Halbkreis beschrieb, bestand vollständig aus blanken, menschlichen Totenschädeln. An seinem Ende baumelte eine goldene Laterne, in der ein gelbliches, pulsierendes Feuer brannte und die immer wieder von einer zur anderen schwang.

Das Segel, das an einem über zehn Meter in den Himmel ragenden Mast hing, bestand nur noch aus Fetzen. Reine Magie war es jedoch nicht, was das Schiff vorantrieb. An der Reling standen zu beiden Seiten je fünf Skelette, die mit kräftigen Ruderschlägen dafür sorgten, dass es immer näher an ihn heranglitt.

Vor dem Mast bauten sich drei Kuttengestalten auf, die von der Größe her Samartan nicht nur leicht überragten, sondern von ihrem wulstigen Körperbau ausgehend auch keine Menschen sein konnten. Sie umstanden einen steinernen Sarg, dessen Deckel ebenfalls von einem dünnen Nebel umweht wurde.

»Komm ...«, drang ihm die Flüsterstimme des Erzdämons entgegen.

Während die Skelette ihre Ruder anhoben und so dafür sorgten, dass das Totenschiff wenige Dutzend Meter vor der Putney Bridge stoppte, begann sich der Totensauger in seine Zweitgestalt zu verwandeln. Sein Kopf verzog sich in den Tierschädel einer riesigen Fledermaus, aus seiner nun ledrigen Haut spross Fell hervor, und seine Finger verwandelten sich in spitze Krallen. Aus seinem Rücken schossen zwei gewaltige Schwingen hervor, die er ausbreitete und mit zwei Flügelschlägen bereits den Kontakt zum Boden verlor.

Je näher er dem alten Segler kam, desto mehr nahm er die Präsenz des Jenseits wahr. Als er in die Kutten der drei reglos dastehenden Gestalten sah, glaubte er, schreckliche Dämonenfratzen zu erkennen. Wer diese Wesen waren und ob sie und die Skelette zur Dienerschaft seines Meisters gehörten, wusste er nicht. Obwohl er schon knapp zweitausend Jahre alt war, hatte er dieses Totenschiff noch nie zuvor gesehen.

Schließlich setzte er auf den Planken auf, knapp zwei Meter von dem steinernen Sarg entfernt. Wieder traf ihn ein eiskalter Windhauch, und jetzt erlebte er, wie sich das zerfetzte Segel wieder zusammensetzte. Die alten Lumpen fügten sich wie ein Puzzle ineinander, strahlten und blähten sich auf, bis sich auf ihnen ein Gesicht manifestierte.