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"Das Buch gehört euch", erklärte der alte Mann mit dem dichten, grauen Vollbart. Seine Haut war eingefallen, doch in seinen Augen schimmerte noch ein seltsamer, geheimnisvoller Glanz. "Aber hütet euch, meine Freunde. Treibt kein Schindluder mit den Mächten der Finsternis, denn ihre Rache wird umso grausamer sein. Dieses Buch kann euch Tore in andere Welten öffnen und Dämonen heraufbeschwören, die ihr nur aus euren schlimmsten Albträumen kennt ..."
"Ja, ja, ich habe doch schon gesagt, dass ich es kaufe."
Gerade als Dennis Culbert das Buch zu sich heranziehen wollte, schossen die spindeldürren Finger des Alten vor und packten sein Handgelenk. "Ich kann deine Zukunft sehen, junger Mann. Das Grauen nähert sich deiner armen Seele. Vergiss eines nicht: Vor den Menschen waren die Frösche!"
Jeff und Mindy, Dennis’ Freunde, begannen zu lachen, und eigentlich wollte Dennis miteinstimmen. Allein der finstere Blick, den ihm der Alte zuwarf, vertrieb seine gute Laune. Er gab es nur ungern zu, aber der Kerl machte ihm wirklich Angst ...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Monsterfrösche aus Atlantis
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Monsterfröscheaus Atlantis
von Rafael Marques
»Das Buch gehört euch«, erklärte der alte Mann mit dem dichten, grauen Vollbart. Seine Haut war eingefallen und wirkte dünn wie Papier, doch in seinen Augen schimmerte noch ein seltsamer, irgendwie geheimnisvoller Glanz. »Aber hütet euch, meine Freunde. Treibt kein Schindluder mit den Mächten der Finsternis, denn ihre Rache wird umso grausamer sein. Dieses Buch kann euch Tore in andere Welten öffnen und Dämonen heraufbeschwören, die ihr nur aus euren schlimmsten Albträumen kennt ...«
»Ja, ja, ich habe doch schon gesagt, dass ich es kaufe.«
Gerade als Dennis Culbert, der das Geld bereits auf den Tisch gelegt hatte, das Buch zu sich heranziehen wollte, schossen die spindeldürren Finger des Alten vor und packten sein Handgelenk. »Ich kann deine Zukunft sehen, junger Mann. Das Grauen nähert sich deiner armen Seele. Vergiss eines nicht: Vor den Menschen waren die Frösche!«
Jeff und Mindy, Dennis' Freunde, begannen zu lachen, und eigentlich wollte Dennis mit einstimmen. Allein der finstere Blick, den ihm der Alte zuwarf, vertrieb seine gute Laune. Er gab es nur ungern zu, aber der Kerl machte ihm wirklich Angst ...
Die Begegnung mit dem alten Mann lag bereits zwei Tage zurück, und trotzdem musste Dennis immer wieder an seine Worte denken. Allmählich fragte er sich, ob das, was sie vorhatten, wirklich eine gute Idee war. Zwar war es sehr unwahrscheinlich, dass in dem alten Schinken wirklich echte Beschwörungsformeln standen, doch wer sagte ihm, dass der Kerl sie nicht bis St. Theodor verfolgt hatte, um seinen kryptischen Andeutungen Taten folgen zu lassen?
Das Buch selbst war für zehn Pfund relativ günstig gewesen, dafür hatten ihnen die Busfahrt nach Kirn, die Fähre nach Gourock und die anschließende Zugreise nach Glasgow, wo sie einen in der Okkultismus-Szene berüchtigten Flohmarkt besucht hatten, Unsummen gekostet. Wenn seine Eltern gewusst hätten, dass er sein Arbeitslosengeld auf diese Weise aus dem Fenster warf ...
Dennis war Anfang zwanzig und trotzdem völlig desillusioniert, was seine berufliche Zukunft anging. Das verdankte er vor allem seinem Vater, für den er frühzeitig die Schule abgebrochen hatte, um mit ihm zum Fischen auf die See hinauszufahren. Seit sich das nicht mehr lohnte und sein Dad als Hausmeister an der örtlichen Schule arbeitete, saß er sprichwörtlich auf dem Trockenen.
Da lag es nur auf der Hand, dass er sich ein anderes Hobby suchte. Mindy war schon während ihrer gemeinsamen Schulzeit verrückt nach allem möglichen düsteren Zeugs gewesen, vor allem nach Vampiren und Werwölfen. Und sein bester Freund war sowieso ein treuer Lemming, der alles mitmachte, in was Dennis sich stürzte.
Vor den Menschen waren die Frösche.
Ein Zufall war das bestimmt nicht, dass der Alte ausgerechnet diesen Satz ausgesprochen hatte, denn Mindy, Jeff und er hielten sich in einer riesigen Höhle etwa drei Meilen außerhalb der Stadt auf. Die Frog Cave, wie sie von den Einheimischen genannt wurde, war legendenumwittert. Man erzählte sich, dass das felsige Gebiet um die Höhle vor Jahrhunderten einfach so aus dem Nichts erschienen war und seitdem Frösche geradezu magisch anzog.
Auch jetzt war das unheimliche, aus der um sie herrschenden Finsternis dringende Quaken kaum zu überhören. Die Höhle sollte angeblich kilometerweit in die Tiefe führen und dort in ein gigantisches Tunnelsystem münden, aber so genau wusste das niemand. All jene, die angekündigt hatten, die Frog Cave zu erforschen, waren angeblich nie mehr gesehen worden.
Ganz finster war es nicht, denn die drei Freunde hatten auf dem Flohmarkt nicht nur das Buch, sondern auch mehrere Kerzen und eiserne Ständer gekauft. Die Verkäuferin war ihnen wie eine Hexe vorgekommen und hatte ebenfalls von einer finsteren Magie gefaselt, die in ihren Utensilien wohnen sollte. Nun, wenn dem wirklich so war, konnte das Dennis nur recht sein. Andererseits gehörte das auf diesem Flohmarkt wohl zum Programm.
Das eigentliche Ziel seiner Bemühungen war nämlich nicht, finstere Dämonen aus den Untiefen der Hölle heraufzubeschwören, sondern Mindy McGreen näherzukommen. Die junge Frau mit den langen, rotbraunen Haaren zog ihn schon immer geradezu magisch an, gab sich aber stets unheimlich naiv und unwissend, sodass seine Avancen allesamt ins Leere gelaufen waren. Das sollte sich bald ändern, bevorzugt noch in dieser Nacht.
Ein Stoß gegen seine linke Hüfte ließ Dennis zusammenzucken. Neben ihm stand Jeff, der seine Brille zurechtrückte, die Augen verdrehte und den Kopf schüttelte. »Glaubst du, sie merkt es nicht?«
»Was meinst du?«
»Wie du sie anstarrst, meine ich. Als würdest du ihr auf der Stelle die Kleider vom Leib reißen wollen. Man müsste schon blind sein, um das zu übersehen. Oder Mindy heißen.«
»Du meinst also, sie weiß es.«
Jeff lachte leise. »Natürlich. Was denkst du denn? Sie lässt alle Welt glauben, dass sie ein naives Dummerchen ist, aber in Wahrheit hat sie es faustdick hinter den Ohren. Sie weiß doch, dass sie mit ihrem hübschen Gesicht, den Rehaugen und der Oberweite jeden um den Finger wickeln könnte. Und jetzt hat sie sich eben dich ausgesucht.«
»Und wenn schon«, erwiderte Dennis und hob die Schultern. »Von ihr lasse ich mich gerne um den Finger wickeln.«
Er löste sich von der Seite seines Freundes und ging auf Mindy zu. Wie Jeff und er trug sie eine dunkle Robe, die ihnen zu dem Ambiente – einer Beschwörung in einer dunklen Höhle, passend erschien. Während Dennis und Jeff mit Wanderschuhen unterwegs waren, lief sie mit nackten Füßen über das blanke Gestein. Schon auf dem Weg zu der Höhle hatte Dennis sich gefragt, ob sie unter der Robe überhaupt noch etwas trug.
Mindy war gerade dabei, das Buch auf einen Ständer zu legen und die richtige Seite aufzuschlagen. Nach einiger Suche – das Buch war glücklicherweise zum großen Teil nicht in Hieroglyphen verfasst, sondern in altem Englisch geschrieben worden – hatten sie sich für eine Beschwörung entschieden, mit der man laut dem Begleittext ein Tor in eine andere Dimension öffnen konnte.
»Acht Siegel der Magie«, flüsterte Mindy leise, während sie über die aufgeschlagenen Seiten strich.
So lautete der Titel des Buches, doch von irgendwelchen Siegeln war in keinem der Texte die Rede gewesen. Lediglich in der Einleitung bezog sich der Verfasser auf ein Werk namens Sieben Siegel der Magie, das aufgrund seines großen Erfolges in der Dämonenwelt hier eine Fortsetzung erhalten sollte.
»Spürst du etwas?«, fragte er, wobei er weniger auf die angeblich in dem Buch schlummernde Magie anspielen wollte.
Mindy lächelte, und für einen Augenblick schien es, als hätte sie den wahren Sinn seiner Worte verstanden. »Es scheint, als würde es leben«, antwortete sie dann aber. »Als würde es nur darauf warten, dass wir die Beschwörung durchführen.«
»Vielleicht sollten wir der Beschwörung noch eine ganz andere Note geben.«
Wieder lächelte Mindy. »Ach Dennis, das geht doch nicht«, erwiderte sie diesmal leiser, aber deutlich direkter. »Hast du den Text nicht gelesen? Der Verfasser verlangt das Blut einer Jungfrau. Komm jetzt, wir sollten anfangen.«
Dennis spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Nicht allein, weil er sich ertappt fühlte und Jeff mit seiner messerscharfen Einschätzung absolut recht behalten hatte, sondern auch, weil er nie damit gerechnet hätte, dass Mindy, die genauso alt war wie er, noch Jungfrau war.
Während Mindy sich wie eine Hohepriesterin vor dem Buch postierte, den Bund ihrer Robe löste und die Arme ausbreitete, stellten sich Jeff und er sich mit jeweils einer brennenden Kerze vor sie. Dass die beiden Seiten ihres Umhangs langsam aber stetig auseinanderrutschten und dabei offenbarten, dass sie darunter ein dunkelrotes Kleid trug, dessen Ausschnitt mehr zeigte als verhüllte, schien Mindy nichts auszumachen. Im Gegenteil, sie genoss ihren Auftritt, und genau das gefiel auch Dennis.
»Hört mich an, ihr Mächte der Finsternis«, begann sie, die handgeschriebenen Worte aus dem Buch vorzulesen. »Zeit hat für euch keine Bedeutung, Zeit ist nur eine Erfindung der Menschen, um die Unendlichkeit zu bändigen und ihre eigene, schwache und unbedeutende Existenz zu erfassen und in einen Rahmen zu bringen. Ihr, die Ausgeburten der Hölle, die schrecklichsten und bösartigsten Geschöpfe, befindet euch weit außerhalb dieses Rahmens. Zeit und Raum haben für euch keine Bedeutung, deshalb erfüllt mir diesen Wunsch und öffnet eure Tore, um uns armseligen Gestalten zu zeigen, wie mächtig ihr seid. Seht, ihr Mächte der Finsternis, wie ich euch mein Blut, das Blut einer wahren Jungfrau, darbringe, und seid meiner Seele gnädig, wenn ich sie euch in dieser Nacht opfere.«
Um ihren Worten Taten folgen zu lassen, zog Mindy einen Dolch hervor und drückte ihn vorsichtig an ihren linken Unterarm. Ihre Miene verzog sich nicht einmal, als die Klinge in die Haut eindrang und dafür sorgte, dass einige Blutstropfen aus der Wunde drangen und auf das Buch hinabtropften.
Etwas zischte laut, woraufhin dunkler Rauch aus dem alten Folianten hervordrang. Schlagartig wurde es um Dennis herum eiskalt, und erst jetzt fiel ihm auf, dass das unaufhörliche Quaken der in der Dunkelheit lauernden Frösche zu einem ohrenbetäubenden stimmlichen Orkan anschwoll, so als wären sie es gewesen, die Mindy mit ihren Worten beschworen hätte.
Dennis ahnte, dass sich die Prophezeiung des Alten nun tatsächlich erfüllte. Sie hatten mit den Mächten der Finsternis Schindluder getrieben, und das würde sich nun furchtbar rächen. Mindy schien daran jedoch nicht zu denken, denn sie stieß ein wahnsinniges Lachen aus, schleuderte ihre Robe zur Seite und offenbarte so, dass ihr das Kleid gerade so bis über die Hüfte reichte.
Wie in Ekstase fuhr sie sich über die nackten Beine, die Brüste, den Hals und durch die Haare. Dann warf sie sich förmlich auf das Buch zu und zischte die in Alt-Gälisch verfasste Hauptformel.
Als sie die Formel beendete, begann die Erde zu beben. Jeff sah Dennis erschrocken an und versuchte, sich an ihm festzuhalten. Bevor ihm das gelang, stürzte er zu Boden, wobei seine Brille zerbrach.
Auch Dennis konnte sich kaum auf den Beinen halten. Die Kerze rutschte ihm aus den Händen, denn jetzt sah er, dass über die Wände grelle Flammen huschten, die quasi aus dem Nichts entstanden waren. So wie die Höhle selbst ...
Das Feuer vereinigte sich zu einer einzigen, riesigen Flammenwand, die sich zunächst direkt vor ihnen in die Höhe reckte, nur um im nächsten Moment in sich zusammenzubrechen. So gab sie den Blick frei für das, was sich ihnen aus den Tiefen der Höhle näherte. Jetzt erkannte Dennis, dass es kein wirkliches Erdbeben war, was die Höhle erzittern ließ. Die Erschütterungen wurden von einer Horde schrecklicher Kreaturen verursacht, die aus der Finsternis auf sie zu marschierten.
Es waren Monster, Ungeheuer, Ausgeburten der Hölle, und alle waren sie mit Schwertern, Äxten und Hellebarden bewaffnet. Ihre muskulösen, teils nackten, teils mit aus Pflanzen bestehenden Hüftkleidern verhüllten Körper erinnerten trotz der grünen Haut noch an Menschen, nicht aber die Froschköpfe mit ihren aufgerissenen Mäulern, den ausdruckslosen Glubschaugen und vor Wut und Angriffslust verzerrten Gesichtern.
Direkt hinter den anrückenden Mutationen erhob sich ein alles überragender Monsterfrosch mit dunkelgrüner Haut, spitzen Reißzähnen und abstehenden, rot glühenden Augen, der die anderen Kreaturen fast wie Ameisen erscheinen ließ. Während er seine Helfer auf ihren normalen Beinen laufen ließ, verfügte er noch über echte Froschbeine mit Schwimmhäuten zwischen den Zehen. Jedes Mal, wenn er einen Satz nach vorn hüpfte, schien die Höhle in ihren Grundfesten erschüttert zu werden.
Dennis wollte schreie, als Mindy erneut etwas aus dem Buch vorlesen wollte. Intuitiv huschte er auf sie zu, packte das Buch und schlug es zu.
»Neeeein!«, brüllte ihm seine rothaarige Freundin entgegen, bevor sie sich wie eine wilde Furie auf ihn stürzte.
Es war mehr ein Reflex, dass er mit dem Buch zuschlug. Der schwere Umschlag klatschte gegen ihre Stirn und ließ sie zurücktaumeln. Ohnmächtig wurde sie dadurch aber nicht.
»Verdammt, was ist los mit dir? Bist du vollkommen übergeschnappt?«
Mindy schüttelte den Kopf. »Gib mir das Buch wieder! In dem Text steht, dass, wenn man dem Beschwörenden das Buch entreißt, dieser einen schrecklichen Tod sterben wird. Ich ...«
Die Rothaarige kam nicht mehr dazu, den Satz zu Ende zu sprechen. Blitzschnell jagte eine gewaltige, vor Schleim triefende Zunge durch die Höhle, traf Mindys Oberkörper und riss sie von den Beinen. Schreiend flog sie durch die Luft, während die Zunge sie einfach mit sich zog – hinein in das gigantische Maul des Monsterfrosches.
Mindy versuchte verzweifelt, das zu verhindern und strampelte sogar noch mit den Beinen, während sich bereits das Maul wieder schloss und sich die Zähne in ihren Unterleib bohrten. Noch einmal öffnete das Monstrum sein Maul und zeigte Dennis so, dass Mindy tot war. Dann stieß es ein genussvolles Stöhnen aus, während es Mindy mit einem lauten Schmatzen wie eine Nudel in seinen Rachen zog und endgültig verschwinden ließ.
»Wir müssen hier weg!«, schrie Dennis seinem besten Freund zu, der vergeblich versuchte, seine zerbrochene Brille wieder zusammenzusetzen.
»Ich kann nicht. Ich sehe nichts ...«
»Jeff!«, rief Dennis noch einmal, musste sich aber jetzt um sich selbst kümmern.
Die Froschmenschen rückten immer näher, und in seiner Panik war Dennis alles egal. Er rannte auf den Ausgang der Höhle zu, und erst als schreckliche Schreie durch die Höhle hallten, wirbelte er noch einmal herum. Was er sah, konnte er kaum in Worte fassen. Er sah nur das Blut in die Höhe spritzen, während die Mutanten genau an der Stelle standen, an der Jeff zuletzt gehockt hatte. Wieder und wieder schlugen sie mit ihren Waffen zu, bis auch Jeffs letzte Schreie erstarben.
Da wusste Dennis, dass das nächste Ziel dieser Monstren er selbst sein würde. Doch das wollte er um jeden Preis verhindern, deshalb lief er wie vom Teufel persönlich gehetzt davon ...
✰
Die Blicke, die seine Eltern sich gegenseitig zuwarfen, sprachen Bände. Im Prinzip hätte er auch mit nichts anderem rechnen können, bei dem, was er ihnen erzählt hatte. Trotzdem spürte er eine wahnsinnige Enttäuschung in sich aufsteigen, als sein Vater begann, sich über seine Erzählungen lustig zu machen.
»Riesige Frösche also«, resümierte er und hob seine Augenbrauen an, während er zu Dennis' Mutter hinübersah. »Und wie wurdest du noch gleich gerettet? Durch ein geflügeltes rosa Schweinchen?«
»Dad ...«
»Nein, warte, ich habe eine bessere Idee: Es war ein langhaariger Engel mit einem gläsernen Schwert – oder noch besser, eine Flöte spielende Gestalt in einem Blätterkleid. Wie wäre das?«
»Ach, Jack, bitte«, versuchte seine Mutter ihren Mann eher halbherzig zu beschwichtigen. »Dennis, wir haben vollstes Verständnis für deine Situation, aber das ist noch lange kein Grund, dich an Drogen zu vergreifen. Ich habe dir gleich gesagt, Mindy und Jeff sind kein guter Umgang für dich. Die ziehen dich irgendwann in ganz schlimme Sachen hinein.«
»Sie sind tot, Mum.«
»Schlaf erst mal deinen Rausch aus, morgen ist alles wieder besser.«
Dass man einen Drogenrausch nicht einfach ausschlafen konnte, behielt Dennis für sich. Es hätte sowieso keinen Unterschied gemacht, denn es war offensichtlich, dass seine Eltern ihm niemals ein Wort glauben würden. Wahrscheinlich nicht einmal, wenn er ihnen ein paar Frösche ins Gesicht klatschte.
Resigniert und apathisch trottete er die Treppe in den ersten Stock hinauf, das Buch eng an seine Brust gepresst. Ganz so, als wäre es sein letzter Rettungsanker, und irgendwie stimmte das sogar. Was er erlebt hatte, war weder ein Hirngespinst noch eine Drogenfantasie gewesen, und dieser alte Wälzer war der Beweis dafür.
Dennis bewohnte quasi den gesamten ersten Stock, was ein Wohn-, ein Schlaf- und ein Badezimmer mit einschloss. Hätte seine Mutter nicht noch zusätzlich einen Job im Sekretariat der Schule in Kirn angenommen, wäre es ihnen gar nicht mehr möglich gewesen, den Unterhalt für das Haus zu bezahlen. Es machte ihn einfach nur wütend, dazu nichts weiter beitragen zu können. Aber jetzt war das sowieso nur noch zweitrangig.
Er streifte die Schuhe ab, warf die Jacke auf einen Sessel und ließ sich auf die Bettkante fallen. Zwar sickerte durch das geschlossene Fenster fahles Mondlicht in das Zimmer, doch das genügte nicht, um auch nur eine Zeile des Buches lesen zu können. Deshalb schaltete er die kleine Lampe neben seinem Bett an und blätterte weiter, bis er die Seite fand, die Mindy für ihre Beschwörung genutzt hatte.
Einige Wörter waren durch ihr Blut derart verschmiert, dass man sie nicht mehr erkennen konnte. Dennoch konnte er den Satz ablesen, der direkt hinter dem Beschwörungstext geschrieben stand. Mindy hatte recht gehabt – dort hieß es, dass, sollte das Ritual nicht bis zu Ende geführt werden, derjenige, der es leitete, zu einem schrecklichen Tod verurteilt wäre. Andererseits, hätte ihnen ein anderes Schicksal geblüht, wenn er Mindy das Buch nicht entrissen hätte? Diese Monstren waren bestimmt nicht auf sie zugestürmt, um mit ihnen ein fröhliches Kaffeekränzchen abzuhalten.
Dennis las noch etwas weiter. »Wehe dem, der das Unheil nicht kontrollieren kann, das er mit diesen magischen Worten heraufbeschwört! Das Tor, das du, Unwissender, geöffnet hast, kann nur mit einem weiteren Ritual und dem Blut einer anderen Jungfrau erneut geschlossen werden. Siehe hierzu weitere Anleitungen auf Seite 192.«