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Als der Biss erfolgte, stieß die Frau einen spitzen Schrei aus. Sie bäumte sich noch einmal in seinem Griff auf, war seinen übermenschlichen Kräften jedoch nicht gewachsen. Ihr Schrei ebbte ab, wurde leiser und leiser, bis nur noch ein schwaches Wimmern über ihre Lippen drang.
Das Blut sprudelte nur so in seinen Mund, den er eng an die linke Halsseite seines jungen Opfers gepresst hielt. Dennoch rannen einige Tropfen über die blasse Haut, die Schultern und die Brüste hinweg. Der Vampir konnte es verschmerzen, denn die schiere Masse an menschlichem Lebenssaft genügte schon, um seinen unbändigen Hunger zu stillen ...
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Seitenzahl: 139
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Der Vampir, der Dämon und ich
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Der Vampir, der Dämon und ich
von Rafael Marques
Als der Biss erfolgte, stieß die Frau einen spitzen Schrei aus. Sie bäumte sich noch einmal in seinem Griff auf, war seinen übermenschlichen Kräften jedoch nicht gewachsen. Ihr Schrei ebbte ab, wurde leiser und leiser, bis nur noch ein schwaches Wimmern über ihre Lippen drang.
Das Blut sprudelte nur so in seinen Mund, den er eng an die linke Halsseite seines jungen Opfers gepresst hielt. Dennoch rannen einige Tropfen über die blasse Haut, die Schultern und die Brüste hinweg. Der Vampir konnte es verschmerzen, denn die schiere Masse an menschlichem Lebenssaft genügte schon, um seinen unbändigen Hunger zu stillen ...
Nach einigen Minuten erlahmten auch die letzten Bewegungen der Dunkelhaarigen, die wie eine Puppe in seinem Griff hing. Sie hatte den Fehler gemacht, eine Abkürzung durch eine der alten, dunklen Gassen Sohos zu nehmen, und war ihm damit direkt in die Arme gelaufen.
Ihr jämmerliches Flehen, sie zu verschonen, lag ihm noch immer in den Ohren. Wahrscheinlich hatte sie gedacht, einem Vergewaltiger in die Fänge geraten zu sein, als er sie zwang, sich auszuziehen. Dabei wollte er nur ihren anmutigen Körper betrachten, bevor er die unschuldige, menschliche Schönheit aus ihr heraussaugte.
Er war ein Monster, das war ihm bewusst, und jedes seiner Opfer verwandelte sich ebenfalls in ein unheilvolles Geschöpf, das nichts mehr von seiner ursprünglichen Persönlichkeit beibehielt. Das war oft traurig und schmerzhaft, denn gerade kurz nach der Trennung von seinem alten Meister hatte er verzweifelt nach Halt gesucht, aber natürlich waren die von ihm erschaffenen Blutsauger genauso gnaden- und rücksichtslos geworden wie er selbst es in seiner wahren Natur war.
Trotzdem brachte er es nicht über sich, seine Opfer nach dem Biss auch zu töten, ganz im Gegensatz zu manch anderen Vampiren, die ihm in der Vergangenheit begegnet waren.
Als kein Tropfen Blut mehr in der jungen Frau steckte, ließ er von ihr ab und legte sie sanft auf dem Boden ab. Trotz der Blässe ihrer Haut war noch immer diese einnehmende Schönheit vorhanden, aufgrund der er jede Vorsicht fallen gelassen und sie hier, zwischen Unrat und dampfenden Mülltonnen, überwältigt hatte. Sie würde auch nicht vergehen, jedoch eine gewisse Härte erhalten, wenn sie nach einiger Zeit erwachte und als Wiedergängerin selbst auf Blutjagd gehen würde.
Er schleifte die leblose Frau, deren Namen er nicht einmal kannte, zwischen zwei Metalltonnen und ließ ihre Kleidung in einer der beiden verschwinden. Ein letztes Mal blickte er auf sie hinab, dann ging er davon.
Robert Cullen, der Vampir, genoss es, durch die düsteren Gassen der britischen Großstadt zu streifen. Er liebte die Einsamkeit, auch Menschen, die am Rande der Gesellschaft existierten und so in einer Parallelwelt lebten. Manchmal zog es ihn auch in verlassene Gebäude, unter Brücken oder mitten in verwüstete Kriegsgebiete, in denen eine so gespenstische Stille herrschte.
Der Trubel und die feiernden jungen Menschen, die dicht aneinandergedrängt von einer Bar oder Disco zur anderen zogen, stießen ihn dagegen ab. Sie gehörten natürlich ebenfalls zu einer Großstadt dazu wie die Straßenschluchten, der Smog und die Betonwüsten, die entstanden, wenn die Welt wieder einmal von einer Wirtschaftskrise getroffen wurde.
Manchmal mischte er sich sogar unter die Leute, um ein neues Opfer zu finden und sich selbst zu beweisen, dass er mehr war als ein Relikt aus einer vergangenen Zeit, zumeist blieb er aber in der Dunkelheit verborgen.
Es war sein erster Besuch in London, obwohl er schon über hundert Jahre alt war. In gewissen Kreisen war die Stadt dafür bekannt, dass hier ein Mann namens John Sinclair lebte, der auch den Beinamen Geisterjäger trug und gegen Vampire, Werwölfe und Dämonen kämpfte.
Robert selbst sah sich nicht als Kämpfer oder jemand, der in der schwarzmagischen Hierarchie aufsteigen wollte, indem er versuchte, John Sinclair zu töten. Das ergab für ihn auch überhaupt keinen Sinn. Er war nach London gekommen, um die Stadt zu erleben und nach einigen Tagen wieder abzureisen. Immerhin wollte er das Geschenk des ewigen Lebens ausnutzen und nicht als blutdürstiger Zombie von einem Tag zum nächsten leben.
Er ließ seinen Blick über den klaren Sternenhimmel schweifen, der zwischen den hoch aufragenden Ziegelsteinbauten kaum zu erkennen war. Vielleicht würde er auf eines der Dächer steigen, um die nächtliche Stadt zu betrachten und sein nächstes Ziel auszuloten.
Mehr zufällig sah er dabei, wie eine dunkle Gestalt eine der zahlreichen Feuerleitern herabstieg. Das an sich wäre nichts Ungewöhnliches gewesen, allerdings fiel ihm sofort das lange Messer mit der schimmernden Klinge auf, das sie in der rechten Hand hielt.
Der Vampir huschte zur Seite, tauchte tiefer in den Schatten des Hochhauses ein und verschmolz so mit der Dunkelheit. Als Wesen der Nacht war er dazu in der Lage, auch ohne Licht klar zu sehen. Die Gestalt mit dem Messer hatte es eilig, die Treppe hinabzusteigen, und das nicht ohne Grund, denn von der Klinge tropfte Blut.
Die letzten Meter sprang der ganz in schwarz gekleidete Fremde herab und kam nur wenige Meter von Robert Cullen entfernt auf. Obwohl Menschen in der Dunkelheit schlecht sahen und er in der Finsternis eigentlich nicht zu erkennen war, ruckte der Kopf der Gestalt herum.
»Wer bist du?«, hauchte ihm eine leise Frauenstimme zu. »Was willst du hier?«
»Dieselbe Frage könnte ich dir auch stellen«, erwiderte er und trat aus dem Schatten. Ihm war bewusst, dass er durch seine Größe, sein attraktives Gesicht, die von weißgrauen Strähnen durchzogenen Haare und die bereits ergrauten Schläfen eine gewisse Anziehungskraft auf Frauen hatte. Ob auch in diesem Fall, würde sich zeigen.
»Das geht dich nichts an.«
»Warum hast du mich dann angesprochen?«
Die Frau, unter deren Stoffmaske eine blonde Mähne hervorquoll, trat noch einen weiteren Schritt auf ihn zu. »Ich will keine Zeugen haben«, erklärte sie.
»Glaubst du, ich würde dich verraten?«, erwiderte er. »Ich bin genauso ein Wesen der Nacht wie du, und wenn ich dich verraten würde, würde ich mich auch selbst verraten.«
»Ein Wesen der Nacht?«
»Ein Vampir.«
Die Frau zögerte. Überlegte sie, ob sie seinen Worten Glauben schenken sollte? Sie war ein Mensch, und Menschen waren schwer davon zu überzeugen, dass noch ganz andere Kreaturen auf ihrer Welt existierten, die nicht mit dem vereinbar waren, was sie als Realität ansahen. Andererseits nahm er auch an der Frau etwas Besonderes, Übernatürliches wahr, und genau das faszinierte ihn an ihr.
Vielleicht würde sie versuchen, ihn zu töten, aber er wollte sie auch nicht so einfach gehen lassen. Er streckte seine Arme nach ihr aus, und jetzt reagierte auch die Fremde. Ansatzlos schlug sie zu und rammte ihre Faust in seine Magengrube. Natürlich verspürte er keine Schmerzen, doch darum ging es der Frau auch nicht. Der Schlag war nur ein Ablenkungsmanöver gewesen, um ihm das Messer ins Herz zu treiben.
Ob ihn diese Attacke wirklich töten konnte, blieb ihm verborgen, denn er reagierte mindestens ebenso schnell. Seine Hände schossen vor und packten die Hände seiner Gegnerin, wodurch er in der Lage war, sie herumzureißen und gegen die Wand zu schleudern. Die Frau stieß einen erstickten Laut aus, stöhnte und sank langsam in die Knie.
Zufrieden trat Robert an die Blonde heran, beugte sich zu ihr hinab und riss ihr die Stoffmaske vom Kopf. Dann legte er einen Finger unter ihr Kinn und drückte es in die Höhe. Die Frau war etwa Anfang zwanzig und hatte ein glattes, ebenmäßiges Gesicht, fast wie das eines Engels. Ihre Lider flatterten, und ob sie ihn überhaupt noch wahrnahm, war mehr als fraglich.
Hunger verspürte er keinen, wenngleich es ihm auch nicht geschadet hätte, noch einen Menschen leer zu saugen. In diesem Fall sah er davon ab, denn er wollte einfach wissen, wer oder was hinter der Blonden steckte.
»Wen hast du mit deinem Messer getötet?«, fragte er deshalb.
Die Lider der Frau flatterten erneut. Ohnmächtig war sie nicht, nur etwas weggetreten. Ihre Lippen bewegten sich, aber noch ehe ein Ton aus ihrem Mund dringen konnte, riss sie die Augen auf. Ihre Pupillen waren verschwunden, dafür drang grelles, rotes Licht aus den Höhlen hervor. Ein Schrei fegte aus ihrem Mund, während sie in die Höhe schoss, Robert am Kragen packte und ihn bis an die gegenüberliegende Wand schleuderte. Für einen Moment sah es so aus, als würde sie sofort nachsetzen wollen, dann fuhr sie auf der Stelle herum und rannte davon.
»Warte«, schrie er ihr hinterher, und tatsächlich drehte sich die Blonde noch einmal um.
Das rote Licht in ihren Augen wahr verschwunden, dafür traf ihn ein trauriger und in gewisser Weise auch sehnsuchtsvoller Blick. Sie öffnete den Mund, schien aber unschlüssig, was sie ihm sagen sollte. Statt auf ihn zuzugehen, wandte sie sich wieder ab und setzte ihre Flucht fort. Schon bald war sie aus seinem Blickfeld verschwunden.
Robert überlegte viel zu lange, bevor er die Verfolgung aufnahm, und natürlich verlor er sehr bald ihre Spur. In einem Moloch wie London war es leicht, einfach abzutauchen, und unheimlich schwer, eine Person wie sie wiederzufinden. Es sei denn, sie schlug noch einmal zu, und genau darauf setzte er. So schnell würde er die Frau nicht vergessen, das stand für ihn fest ...
Soho, das Londoner Stadtviertel, an dessen Rand auch Suko und ich wohnten, hatte in den letzten Jahren ein völlig neues Bild erhalten. Natürlich war es immer noch Anziehungspunkt für Chinesen und andere Asiaten, denn das Chinatown Londons war weltweit bekannt. Allerdings war Soho längst nicht mehr so düster, heruntergekommen und von zwielichtigen Gestalten bewohnt wie in vergangenen Zeiten.
Viele Straßenzüge waren zu Szenetreffs geworden, in denen man sich vor Ausgeh- und Einkaufsmöglichkeiten kaum noch retten konnte, zudem waren zahlreiche der alten Bauten modernen Wohn- und Bürogebäuden gewichen. So fühlten sich die Menschen natürlich auch sicherer, was aber nicht bedeutete, dass es nicht auch jetzt noch Gegenden gab, in die man nachts besser keinen Fuß setzte.
Die Duck Lane, die zwischen mehreren noch existierenden, heruntergekommenen, um die vorletzte Jahrhundertwende errichteten Ziegelsteinbauten hindurchführte, war genau so ein Ort. In diesen Mietskasernen konnte man natürlich weit günstiger wohnen als in vielen anderen Teilen Londons, allerdings zog das natürlich auch Menschen an, die ihr Dasein am Rande der Gesellschaft fristeten. Von Chiefinspektor Tanner, meinem alten Freund bei der Metropolitan Police, hatte ich einmal gehört, dass die Kollegen sehr oft zu diesem Gebäudekomplex gerufen wurden.
Was genau tat ich eigentlich hier? Es ging nicht direkt um eine übernatürliche Begebenheit, sondern um den dritten Mord in einer Serie von Übergriffen auf junge Männer, die mich bisher nur am Rande tangiert hatten. Allein die Brutalität der Angriffe war der Grund, warum ich von dem leitenden Ermittler gebeten worden war, mir den Tatort einmal anzusehen.
Es war mitten in der Nacht, kurz nach ein Uhr, als ich von einer Uniformierten begleitet die letzten Stufen in den achten Stock hinaufstieg. Suko hatte ich schlafen lassen, und wir waren auch nicht explizit beide angefordert worden, weshalb es mir unnötig erschien, dass ich meinen Partner um seinen Schönheitsschlaf brachte.
Im durch Unrat und Schmierereien stark verwahrlost wirkenden Flur erwartete mich Inspektor Murphy, den ich schon von zahlreichen früheren Fällen kannte. Seinen manchmal grauen, manchmal blond gefärbten Oberlippenbart hatte er sich ausnahmsweise einmal abrasiert, weshalb er noch unscheinbarer wirkte als sonst. Dazu trugen sicher auch der graue Anzug und die dünne Krawatte bei. Das bedeutete jedoch nicht, dass Murphy kein guter Ermittler war. Wir kannten und respektierten uns, und das war sicher auch der Grund, weshalb er mich angerufen hatte.
»Hallo, Sinclair«, begrüßte er mich und gab mir die Hand. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht aus den schönsten Träumen geweckt.«
»Wenn, wäre ich bestimmt nicht ans Telefon gegangen. Was wollen Sie mir nun zeigen?«
»Wie ich am Telefon schon gesagt habe, gibt es bei den bisher drei Morden keinen offensichtlichen Hinweis auf irgendwelche Dämonen, abgesehen eben von der Brutalität, die schon an eine rituelle Tat erinnert. Trotzdem bin ich froh, dass Sie gekommen sind. Ich kann jede Hilfe gebrauchen, denn wir haben bisher keine Spur auf den Täter gefunden.«
»Ist doch selbstverständlich.«
»Das sehe ich nicht so, aber egal. Der Tote heißt Liam Smith, ist 22 Jahre alt und erst vor einem Monat aus dem Gefängnis entlassen worden. Mehr kann ich Ihnen leider noch nicht sagen.«
»Vielleicht sollte ich mir den Toten erst einmal ansehen.«
»Das wäre gut, aber ich sage Ihnen gleich, dass einem der Anblick an die Nieren geht.«
Ich erwiderte nichts und ließ mich von Murphy in die Wohnung des Ermordeten führen. Man gewann sofort den Eindruck, dass der Einzug des Mannes erst wenige Tage zurücklag. Überall stapelten sich Umzugskartons, diverse Möbel waren noch nicht ausgepackt, und statt eines Bettes befand sich im Schlafzimmer lediglich eine nicht bezogene Matratze. Die Luft war abgestanden, zudem hing ein intensiver Blutgeruch in der Luft. Wer hier wohnte, musste seine Ansprüche schon deutlich zurückschrauben, allerdings war Liam Smith sicher schon froh gewesen, nicht mehr in einer vergitterten Zelle dahinvegetieren zu müssen.
Mir lag es auf der Zunge, zu fragen, weshalb der Ermordete verurteilt worden war, als ich von Murphy geführt ins Wohnzimmer trat. Langsam verstand ich, warum mich der Inspektor hinzugerufen hatte, denn der Anblick war wirklich nichts für schwache Nerven.
Liam Smiths Leiche lag vor einem schäbigen, mit Blut besudelten Holztisch, und ich ging davon aus, dass er nur anhand seiner Papiere zu identifizieren gewesen war. Jemand hatte ihm zahlreiche sehr tiefe Schnittwunden am ganzen Körper zugefügt, besonders im Gesicht, das nur noch eine blutige Masse war, aus der sogar die Wangenknochen hervortraten.
Als wäre es noch nicht genug gewesen, ihn geradezu auszuweiden, hatte der Täter auch noch versucht, ihm den Kopf abzutrennen. Es schien jedoch so, als wäre sein Werkzeug nicht scharf genug gewesen, weshalb der Hals und der Nackenbereich zwar völlig zerfetzt, aber noch mit dem Körper verbunden waren.
Mit was für einer ungeheuren Kraft der Täter hier gewütet haben musste, erkannte ich daran, dass sich an allen vier Wänden sowie den Fenstern Blutspritzer abzeichneten. Mehrere ganz in weiß gekleidete Ermittler waren gerade dabei, die Spuren zu sichern, und selbst ihnen fiel es sichtlich schwer, ihren Job bei diesem Anblick auszuüben.
»Die anderen beiden Tatorte sahen nicht anders aus«, berichtete mir Murphy, der neben mich trat. »Billy Jackson und Colin Buchannan, beide Anfang zwanzig, der eine Student, der andere Lehrling in einer Tischlerei. Im Alter und dem Geschlecht erschöpfen sich allerdings die Gemeinsamkeiten, abgesehen eben vom Tatmuster selbst. Der erste Mord geschah vor drei Tagen beziehungsweise Nächten, und ich muss zugeben, dass ich bisher noch keine wirkliche Spur zu dem Täter gefunden habe.«
»Und jetzt glauben Sie, es könnte sich bei dem Täter nicht um einen Menschen handeln?«
Murphy hob die Schultern. »Es ist eher ein Strohhalm, an den ich mich klammere. Ich habe schon oft erlebt, zu was Menschen fähig sind. Ein Profiler sprach nach der zweiten Tat von einem Overkill, also dass weit mehr Gewalt angewendet wurde, als eigentlich nötig gewesen wäre. Häufig spricht dies für eine emotionale oder eine Beziehungstat, aber dass jemand drei Mal auf eine solche Weise zuschlägt, so etwas habe ich noch nicht erlebt.«
»Und der Mörder muss von oben bis unten mit Blut besudelt gewesen sein.«
»Eben. So jemand muss einfach gesehen worden sein, trotzdem ist er jedes Mal unerkannt entkommen. Da kann einem schon mal der Verdacht kommen, dass dabei etwas nicht mit rechten Dingen zugeht – gerade, wenn man schon öfter mit Ihnen zu tun hatte.«
Mein Blick fiel auf die Glastür, die hinauf zum Balkon führte. »Ist er dort entlang geflüchtet?«
»Ich vermute es, immerhin führt dort eine Feuerleiter in die Tiefe.«
Ich trat auf die Balkontür zu, fragte die Spurensicherer aber zunächst, ob ich sie öffnen durfte. Als der Kollege mir zunickte, zog ich sie auf und trat auf das schmale Ziegelsteinkonstrukt, das einen etwas baufälligen Eindruck machte. Auch hier waren Murphys Leute dabei, tatrelevante Spuren zu sichern.
Eigentlich wollte ich mich eher auf die schmale, von Müll und anderem Unrat überfüllte Gasse unter mir konzentrieren, als etwas geschah, mit dem ich nicht gerechnet hatte. Mein Kreuz meldete sich!
Bisher war ich trotz der Brutalität der Tat nicht davon überzeugt gewesen, es mit einem Fall zu tun zu haben, der mit übernatürlichen Kräften in Verbindung stand. Und selbst jetzt verstand ich nicht, warum sich mein Kreuz erwärmte.
Ich tastete nach meinem Talisman, zog die Kette über den Kopf und wiegte das Kleinod in der Hand. Die leichte Wärme blieb konstant bestehen, ohne dass ich einen Grund für diese Reaktion ausmachen konnte. Die Leiche selbst war sicher nicht der Auslöser gewesen, auch nicht die Mitglieder von Murphys Truppe, doch sonst hielt sich niemand in dem Bereich zwischen den beiden Häusern auf.