John Sinclair 2305 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2305 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

New York, Big Apple, NYC - die Bewohner kannten viele Namen für ihre Stadt. Einen Ort der Träume im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, mit einer atemberaubenden Skyline, gewaltigen Straßenschluchten, endlosen Stränden und gigantischen Häfen. In ihr konnte man sich verlieren, sein ganzes Leben hier verbringen und irgendwann sterben.
Böse Zungen bezeichneten die Stadt auch als Moloch, mit düsteren, vor allem menschlichen Abgründen, als Tummelplatz der Kriminalität oder sogar als Sumpf, aus dem es niemals ein Entrinnen gab ...

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Seitenzahl: 168

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhalt

Cover

Der Wolf und die Jäger

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Der Wolf und die Jäger

von Rafael Marques

New York, Big Apple, NYC – die Bewohner kannten viele Namen für ihre Stadt. Einen Ort der Träume im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, mit einer atemberaubenden Skyline, gewaltigen Straßenschluchten, endlosen Stränden und gigantischen Häfen. In ihr konnte man sich verlieren, sein ganzes Leben hier verbringen und irgendwann sterben.

Böse Zungen bezeichneten die Stadt auch als Moloch, mit düsteren, vor allem menschlichen Abgründen, als Tummelplatz der Kriminalität oder sogar als Sumpf, aus dem es niemals ein Entrinnen gab ...

Wenn man so seinen Blick über das nächtliche Lichtermeer von Brooklyn und Staten Island, die imposante Freiheitsstatue und die sanft dahingleitenden Schiffe in der Upper New York Bay schweifen ließ, war es schwer, diesen düsteren Eindruck zu gewinnen. Im Gegenteil, die Stadt wirkte so friedlich, als würde sie tatsächlich in der Nacht schlafen, was natürlich nicht der Fall war.

Der Mann, der gerade einen letzten tiefen Zug aus seiner Zigarette nahm, sie fallen ließ und die Hände in den Taschen seines Mantels vergrub, wusste es besser. Er kannte die dunklen Seiten dieser Stadt nicht nur, er suchte sie sogar, denn er selbst war ein Teil von ihnen.

Er trug eine menschliche Maske, agierte als Detektiv namens Nathaniel Dekker, während er in Wahrheit ein Dämon war. Als Rakk, ein Echsendämon und Dienstleister, war er vor bereits einer ganzen Weile aus einer anderen Dimension, deren Zentrum die Stadt Twilight City bildete, in diese Welt gereist. Dabei war er einem Freund gefolgt, der ihn bis vor Kurzem für tot gehalten hatte: Wynn Blakeston, der in dieser Welt unter seinem richtigen Namen, Johnny Conolly, lebte.

Twilight City und New York kamen ihm manchmal wie zwei Seiten derselben Medaille vor. Rein physisch gesehen glichen sie sich stark, auch wenn seine Heimatstadt komplett auf einer Insel lag. Wie in TC existierte auch unterhalb dieser Metropole eine eigene Welt, ein Labyrinth aus Gängen und U-Bahn-Tunneln, und auch sonst stellte er immer wieder ungewöhnliche Ähnlichkeiten fest.

Hier, in dieser Dimension, lebten Menschen und Dämonen jedoch nicht halbwegs friedlich zusammen. Sie bekämpften sich gegenseitig, und besonders den Schwarzblütern dieser Welt ging es meist nur darum, unschuldige Seelen zu sammeln, ihren Opfern das Blut auszusaugen oder ihnen das Fleisch von den Knochen zu nagen.

Deshalb war es für Menschen wie John Sinclair, der Dämonen seit vielen Jahren bekämpfte, auch schwer zu verstehen, dass er anders war. Vor langer Zeit war er selbst einmal Polizist gewesen, was ihn bis heute prägte. Sinclair und er mochten verschiedene Meinungen über Recht und Gerechtigkeit haben, letztendlich standen sie auf derselben Seite.

All das ging ihm durch den Kopf, während er darauf wartete, dass die andere Partei dieses Treffens erschien. Dass es auf einem Schrottplatz direkt am Hafen stattfinden sollte, war nicht seine Idee gewesen, sondern die eines Mannes namens David Romanow.

Der ehemalige russische Agent und heutige Kriminelle wollte etwas in seinen Besitz bringen, das Rakk vor einiger Zeit erbeutet hatte – das Tagebuch des Logan Costello, eines lange sehr mächtigen Mafioso, der auch bei Dämonen und anderen schwarzmagischen Geschöpfen bekannt gewesen war.

Inzwischen wusste der Dienstleister, dass Costello von wechselseitigen Bündnissen mit den Mächten der Finsternis profitiert und eines Tages zu hoch gepokert hatte, in einen Vampir verwandelt und vernichtet worden war. Sein Tagebuch existierte allerdings noch und war zuletzt im Besitz eines Kriminellen namens Mister X gewesen, bis Rakk ihn getötet hatte.* Bei Romanow handelte es sich um die ehemalige rechte Hand dieses Mannes.

Es sollte ein klassisches Geschäft werden: Das Buch gegen eine Information. Romanow war ein Verbündeter einer besonderen Frau – Melanie Hollister – gewesen, die ebenfalls aus seiner Heimatwelt stammte und dort als eine Serienmörderin namens Eisprinzessin bekannt gewesen war.** Das Tor, durch das sie zwischen den Welten gewandelt war, existierte weiterhin, und nur der Ex-Agent wusste, wo es sich befand.

Vor einiger Zeit hatte sich in Rumänien eine weitere Möglichkeit aufgetan, durch ein Tor in seine Heimat zu gelangen. Dieses war jedoch durch Engelmagie verschlossen worden und für ihn ohne Weiteres nicht zu öffnen, zumal er dadurch auch ein für die Existenz dieser Welt gefährliches Wesen befreit worden wäre. Gedanklich war dieses Thema deshalb für ihn längst abgehakt.*

Auf dem Schrottplatz herrschte eine geradezu widerliche Kälte, die noch von dem Nebel verstärkt wurde, der langsam von der See aus aufzog. Der Dienstleister hielt sich in unmittelbarer Umgebung eines Krans mit Greifarm auf, der die in der Nähe gestapelten, zum Teil bereits zusammengestauchten Autos in die Schrottpresse heben sollte. Altmetall und Reifen waren ebenfalls sorgfältig aufgeschichtet, sodass das Areal ein kleines Labyrinth bildete.

Ihn umgab nicht nur die Kälte, sondern auch der Tod. Im Führerhaus des Krans lag die Leiche eines Mannes, und auch in einer Wellblechhütte in der Nähe befand sich ein Toter. Romanow hatte anscheinend schon vorweg dafür gesorgt, dass ihm bei seinem Geschäft niemand in die Quere kam. Wahrscheinlich hielt er das Gelände und ihn selbst schon seit längerer Zeit unter Beobachtung.

Dass sich ihm etwas näherte, war mit bloßem Auge zunächst nicht zu erkennen. Allein seine dämonischen Instinkte und sein ausgeprägter Geruchssinn gaben ihm das zu verstehen.

Einige Zeit später erklangen leise Schritte, und bald sah er die ersten schattenhaften Gestalten, die gleich von zwei Seiten auf ihn zu glitten. Romanow überließ offenbar nichts dem Zufall und hatte fünf Männer als Begleitschutz mitgebracht. Sie trugen ihre Pistolen und Gewehre offen zur Schau, wobei einer von ihnen mit einem merkwürdigen Gerät ausgestattet war, dessen Anblick Rakk sofort irritierte.

Allgemein durfte er Romanow auf keinen Fall unterschätzen. Der dunkelhaarige Russe trug trotz der schlechten Lichtverhältnisse eine Sonnenbrille, die er hochzog, als er sich von seinen ihn umringenden Begleitern löste und sich Rakk näherte. Sein Outfit war der Situation angepasst – dunkelblaue Jeans, schwarze Schuhe und Lederjacke. Aus seinem Gürtel ragte der Griff eines Revolvers. Er lächelte schmal und breitete beinahe freundschaftlich die Arme aus.

»Sie sind also wirklich gekommen, Mister Dekker«, stellte er fest. »Oder soll ich lieber Rakk sagen?«

»Das können Sie halten, wie Sie wollen.«

»Schön. Es freut mich auch, dass es endlich mit einem persönlichen Treffen geklappt hat. Ich will dieses Gespräch auch nicht ausufern lassen, also sollten wir schnell die Fronten klären.« Er tippte sich auf seinen Kopf. »Meine Informationen stecken hier drin, und ich hoffe, Sie haben ihren Anteil an unserem Geschäft auch dabei.«

Rakk griff in seinen Mantel und zog Costellos Tagebuch hervor, ließ es aber sofort wieder verschwinden. »Sagten Sie nicht, Sie wollten allein kommen?«

»Das habe ich gesagt. Andererseits ist mir sehr gut bekannt, mit wem ich hier Geschäfte mache. Nicht mit einem Menschen, sondern mit einem Dämon, der mir in jeglicher Hinsicht überlegen ist. Deshalb habe ich vorgesorgt, denn Melanie hat mir kurz vor ihrem Tod Ihre große Schwachstelle mitgeteilt. Einer meiner Männer trägt einen sogenannten Trockeneisstrahler bei sich. Sollten Sie also auf die Idee kommen, mich aufs Kreuz zu legen, werden Sie das bereuen.«

Rakk konnte mit diesem Begriff nicht wirklich etwas anfangen, aber alles, was mit Eis in Verbindung stand, würde einem Echsendämon wie ihm tatsächlich zum Verhängnis werden können. Gerade deshalb war Melanie Hollister für ihn so gefährlich gewesen, und da David Romanow dieses Wissen ebenfalls in sich trug, hatte er anscheinend seine Konsequenzen gezogen.

»Bevor ich es vergesse«, ergriff der Ex-Agent wieder das Wort, »wo steckt eigentlich Ihre Partnerin, diese hübsche Rothaarige?«

»Warum wollen Sie das wissen? Und wer sagt mir, dass Sie nicht noch mehr Freunde zu unserer Party mitgebracht haben? Ich werde einen Teufel tun und Ihnen alles auf dem Silbertablett servieren. Zumindest sind wir uns offenbar in dem Punkt einig, dass wir uns gegenseitig nicht über den Weg trauen.«

Romanow nickte. »Gut, belassen wir es dabei. Jetzt hätte ich gerne das Buch.«

Wieder zog der Dämon es hervor und wiegte es locker in der Hand. »Wenn ich es Ihnen so einfach überreichen würde, würde ich meinen einzigen Trumpf aus der Hand geben. Was sollte Sie dann noch daran hindern, Ihren ... Trockeneisstrahler an mir auszuprobieren? Nein, nein, so einfach werde ich es Ihnen ganz sicher nicht machen, Mister Romanow. Erst Ihre Information, dann das Buch.«

»So kommen wir wohl nicht weiter. Nikolai?«

Der glatzköpfige, etwa dreißig Jahre alte Mann, der das seltsame Gerät auf dem Rücken trug, hob ein klobiges Rohr an, das entfernt an einen dünnen Laubbläser erinnerte. Es war offensichtlich, dass er nur auf den Befehl wartete, um seine Waffe gegen den Dämon einzusetzen.

»Das ist also Ihre Art, Geschäfte zu machen«, bemerkte Rakk trocken – und begann, sich zu verwandeln.

Nicht, dass es ihm ein besonderes Anliegen war, dem Russen in seiner wahren Gestalt gegenüberzutreten, in Wahrheit spielte er nur auf Zeit. Und es gelang ihm auch, denn keiner der Männer reagierte, während er die magische Maske fallen ließ und sich nun als einarmiger Echsendämon mit Schuppenhaut und Krokodilmaul zeigte.

In seiner Heimat wäre er in dieser Gestalt nicht aufgefallen, in New York bot er dagegen einen derart bizarren Anblick, dass er sich hinter der Fassade des längst toten Detektivs Nathaniel Dekker verbarg.

Romanows Mundwinkel zuckten, ansonsten nahm er das neue Erscheinungsbild seines Gegenübers ungerührt zur Kenntnis. »Sehr eindrucksvoll«, bemerkte er immerhin. »Melanie hat mir nicht zu viel versprochen. Trotzdem will ich zunächst das Buch haben.«

Rakk deutete ein Nicken an, schnaufte und spielte noch einmal auf Zeit. Erst als er spürte, dass sich ihnen eine bestimmte Aura näherte, reagierte er. »Sie wollen das Buch, ja? Hier haben Sie es!«

Ansatzlos schleuderte er ihm das Buch ins Gesicht, warf sich zur Seite und riss zugleich seinen Revolver aus dem Mantel hervor. Im nächsten Moment brach um ihn herum die Hölle los.

Beinahe fühlte sich Bella Tosh wieder in ihr einstiges Leben als Lieutenant der Polizei von Twilight City zurückversetzt, während sie mit gezogener Waffe durch die verwinkelten Wege huschte, die sich durch das gewaltige Areal des Schrottplatzes zogen. Nur agierte sie diesmal allein, denn ihr neuer Partner, der Dienstleister Rakk, traf sich zeitgleich mit David Romanow.

Da sie beide zuvor eine Vereinbarung geschlossen hatten und der Dämon ahnte, dass sein Geschäftspartner falsch spielen würde, war sie sozusagen der Joker in diesem Spiel.

Hinter einem fensterlosen Dodge Ram beobachtete sie, wie sich drei Männer von Nordosten dem Punkt näherten, an dem sich Rakk aufhielt. Sie glaubte, in einem von ihnen David Romanow wiederzuerkennen, der ihr in London zweimal durch die Finger geglitten war. Hundertprozentig sicher war sie sich jedoch nicht.

In ihrer schwarzen Jeans, der gleichfarbigen Lederjacke, den dunklen Turnschuhen und der Strickmütze, unter der sie ihre roten Haare verbarg, verschmolz sie geradezu mit der Dunkelheit. Während sie sich dem Treffpunkt näherte, vermied sie, in die von den Scheinwerfern ausgeleuchteten Bereiche zu treten. Beinahe wie ein Vampir scheute sie das Licht, und manchmal kam sie sich schon vor wie eine halbe Dämonin.

Im Hintergrund hörte sie Rakks Stimme und auch die des Ex-Agenten und Söldners Romanow. Seine Helfer und er hielten sich im Moment außerhalb ihres Blickfelds auf, was sie unbedingt ändern musste. Sie löste sich aus ihrer Deckung – einer Wellblechhütte, die wohl den Arbeitern als Pausenraum diente – und trat auf den geschotterten Weg.

Darauf schien eine Gestalt nur gewartet zu haben, die direkt neben ihr im Schatten der Hütte gelauert hatte. Sie sah eine blitzende Klinge auf sich zu rasen, reagierte instinktiv und ließ sich fallen.

Das Messer zischte über sie hinweg, und zugleich trat sie zur Seite aus und traf ihren Gegner im Bereich der Schienbeine. Sie vernahm einen erstickten Schrei und setzte sofort nach, indem sie ihre Pistole genau in den Bereich rammte, an dem es Männern besonders wehtat.

Der Getroffene, ein muskulöser, leicht untersetzter Mann mit deutlich hervorstechenden Wangenknochen, sackte fluchend in die Knie. Bevor er sich wieder erholen konnte, kassierte er einen letzten Treffer gegen die Stirn, der ihn endgültig zusammensacken ließ.

Bella atmete kurz durch und näherte sich den aufgetürmten Autowracks, zwischen denen die Stimmen der Männer an ihre Ohren schallten. Ihr Plan sah vor, dass Rakk den Russen so lange hinhielt, bis sie in der Lage war, aus dem Hintergrund einzugreifen.

Sie hatten lange überlegt, wie sie mit der Chance umgehen sollten, noch einmal einen Weg zurück nach Twilight City zu finden. So sehr sie der Gedanke auch reizte und so wenig sie sich bisher in dieser Welt zurechtfand, wollte sie diese Information nicht um jeden Preis, und Rakk war es da nicht anders ergangen.

Möglicherweise glaubte Romanow, ihren Partner in eine Falle gelockt zu haben, in Wahrheit war es jedoch genau andersherum. Ein Mann wie er durfte niemals in den Besitz dieses Tagebuchs gelangen – nicht auszudenken, was er mit den Aufzeichnungen anfangen würde. Die Sache mit dem magischen Hotel in London war dafür das beste Beispiel.

Sie wollte schon in die Nähe der Gruppe schleichen und das Überraschungsmoment ausnutzen, als über sie ein Schatten fiel. Im Stand fuhr sie herum und sah den gerade noch von ihr niedergeschlagenen Mann vor sich, der stöhnend sein Messer zum entscheidenden Stich erhoben hielt. Offenbar war er noch härter im Nehmen, als sie gedacht hatte.

Wieder entging sie der Klinge, wenn auch nur um Haaresbreite. Sie wich zur Seite und spürte dabei noch den Luftzug des Stahls an ihrer linken Wange. Mit Wucht ließ sie den Griff der Waffe gegen die Schläfe des Mannes krachen, und diesmal sogar noch ein zweites Mal. Ein hässliches Knacken erklang, dann sackte ihr Gegner erneut zusammen und blieb reglos liegen. Diesmal womöglich sogar für immer.

»Scheiße«, fluchte sie und rannte los. Bis zu dem Treffpunkt war es nicht weit, und als die kleine Gruppe in ihr Blickfeld geriet, wurde ihr klar, dass sie keine Sekunde zu spät gekommen war.

Sie hörte Romanows wütenden Schrei, sah, wie er einen Schritt zurücktaumelte und sich Rakk zugleich zur Seite warf. Kurz darauf krachten die ersten Schüsse ...

Wie schon so viele Male zuvor behielt Rakk in einer brenzligen Situation wie dieser die Nerven. Noch während er zu Boden fiel und sich abrollte, legte er auf seine Feinde an und schoss. Von allen Seiten blitzen Mündungsfeuer auf, er spürte auch die Einschläge, doch die Geschosse waren nicht in der Lage, seine Schuppenhaut zu durchdringen.

Bei dem von ihm getroffenen Mann sah das anders aus. Das Geschoss drang ihm nicht nur mitten in die Brust, es explodierte auch und riss ein faustgroßes, blutiges Loch in seinen Körper. Er war schon tot, bevor er zusammenbrach.

»Nikolai!«, hörte er Romanow rufen.

Rakk fuhr herum und sah, dass der Glatzkopf trotz allem die Nerven hatte, seinen Strahler auf ihn zu richten. Eine Art weißer Nebel schoss auf ihn zu, und für einen Moment glaubte er, zu spät reagiert zu haben und dem Tod ins Auge zu sehen. Er schleuderte seinen Mantel in den Eisstrahl hinein, richtete die Mündung seines Revolvers auf seinen überraschten Gegner und schoss erneut.

Wieder traf er exakt sein Ziel. Nicht nur der Kopf ruckte nach hinten, auch die Röhre, sodass der helle Strahl in Richtung Himmel schoss und sofort auf dem zu Boden sackenden Mann niederging.

Bella, schoss es ihm durch den Kopf, als er weiterhin Schüsse aus verschiedenen Waffen vernahm. Auch in seine Richtung feuerte jemand, doch die Kugeln trafen nicht ihn, sondern einen weiteren von Romanows Helfern, der stöhnend zusammenbrach.

Plötzlich wurde es totenstill, und jetzt sah er, dass zwischen den aufgetürmten Autowracks und dem Kran nur noch drei Personen am Leben waren – er selbst, Bella und David Romanow. Irgendwie war es dem Russen gelungen, in die Nähe seiner Partnerin zu gelangen und ihr seine Pistole gegen die Schläfe zu drücken.

Obwohl der Ex-Agent jederzeit abdrücken konnte, zeigte sich in Bella Toshs Gesicht keine Regung. War die ehemalige Ermittlerin wirklich so eiskalt, oder vertraute sie vollends darauf, dass er sie noch irgendwie befreien würde?

»Sie werden mich wohl gehen lassen müssen, wenn Sie Ihre Partnerin wiederhaben wollen«, rief Romanow ihm zu, drückte seine freie Hand um Bellas Kehle und wich Schritt für Schritt zurück.

Rakk trat ebenfalls einige Schritte vor und hielt seine Waffe weiterhin im Anschlag. Um sein Leben ging es längst nicht mehr, nur noch um das seiner Partnerin. Bella und er waren immer noch keine Freunde, dennoch war er nicht bereit, sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Beide waren sie einmal Polizisten gewesen, und als solche hatten sie gelernt, ihren Partner niemals im Stich zu lassen. Selbst wenn diese Zeiten schon lange zurücklagen, wollte er unbedingt daran festhalten.

»Sie werden Sie nicht töten«, entgegnete er. »Wenn doch, werde ich Sie mit dieser Kralle zerreißen.«

»Dann ist Ihnen Ihre Partnerin nichts wert?«

»Das ...«, begann er, als Bella Tosh eingriff. Ihr Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze, als sie ihre Zähne mit aller Kraft in die linke Hand des Russen wühlte.

Romanow schrie überrascht auf, und noch ehe er zu einer Reaktion fähig war, griff die Rothaarige mit beiden Händen nach seinem Arm und drehte ihn so weit herum, dass ein lautes Knacken erklang. Dabei beließ sie es nicht, denn es gelang ihr nun auch, ihm die Pistole zu entwinden und auf den Ex-Agenten anzulegen.

Der Russe war ebenfalls mit allen Wassern gewaschen und riss mit der Hand, in die Bella gerade noch gebissen hatte, eine kleine Pistole hinter seinem Rücken hervor. Ein Schuss fiel, doch nicht Bella zuckte zusammen, sondern Romanow, der zur Seite kippte und reglos liegen blieb. Rakks Dämonensinne sagten ihm, dass er tot war, und das blutige Loch in der Stirn des Russen war der letzte Beweis dafür.

»Nicht übel«, sagte er und nickte seiner Partnerin zu, die tatsächlich schneller reagiert hatte als der Ex-Agent.

Bella atmete schwer ein und aus. Allmählich schienen die Emotionen sie doch zu überschwemmen, und Rakk kannte sie inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er sich jetzt besser von ihr fernhalten sollte. So widerstand er der Versuchung, seine Hand auf ihre Schulter zu legen.

»Er hat mich unterschätzt«, erwiderte sie. »Was wolltest du sagen?«

»Dass er sich täuscht. Dass ich niemals einen Partner im Stich lassen würde.«

Die Neu-Detektivin sah ihn lange an und öffnete den Mund, ohne etwas zu sagen. Schließlich nickte sie ebenfalls, warf die Pistole weg und hob ihre Desert Eagle und das nicht weit von Romanows Leiche entfernt liegende Tagebuch an.

»Also werden wir dieser Welt noch ein wenig länger erhalten bleiben«, fasste sie zusammen. »Und was hast du jetzt mit diesem Ding vor?«

Rakk lächelte schmal. »Ich habe mir da schon etwas überlegt ...«

Schottland, etwa zwei Wochen später

Der Mann wusste, dass es um Leben oder Tod ging. Jemand war hinter ihm her – nein, vielmehr etwas. Ein Ungeheuer, eine Bestie, die nichts anderes im Sinn hatte, als ihn zu zerreißen. Doch er würde sich so teuer wie möglich verkaufen.

Seine Hände klammerten sich um den Lauf des Gewehrs, während er durch den Wald hetzte. Er besaß eine Waffe, war selbst ein erfahrener Jäger, und dennoch war es seinem Verfolger gelungen, den Spieß umzudrehen und ihn zur Beute zu machen. Irgendwo hinter ihm, dort, wo sich die Dunkelheit innerhalb des dichten Tannenwalds ballte, lauerte er auf ihn und wartete auf seine Chance, sich auf ihn zu stürzen.

Lincoln Gash verharrte nur kurz auf der Stelle, bevor er seine Flucht fortsetzte. Mit seinen knapp fünfzig Jahren war er nicht mehr der Jüngste, allerdings noch fit genug, dieses Tempo einige Zeit durchzuhalten. Mehrmals sprang er über quer liegende Stämme hinweg, drängte sich durch verwilderte Büsche und überwand kleinere Gräben.

Erneut dachte er daran, dass er eigentlich nach Feierabend nur kurz auf die Jagd gehen wollte, in einem Privatwald, der seinem Chef gehörte. Mit einem Wolf oder etwas Ähnlichem hätte er nie gerechnet, doch das Heulen, das die Luft erfüllt hatte, war unverkennbar gewesen. Einmal, für wenige Sekunden, war er in der Lage gewesen, die Bestie zu sehen. Noch immer sah er das weit aufgerissene Maul vor sich, die matt glühenden Augen und das pechschwarze Fell. Ihre Zähne hatten Spuren an seinem linken Arm hinterlassen, aus dem weiterhin Blut tropfte. Dass sie danach von ihm abgelassen hatte, wunderte ihn noch immer, andererseits war an diesem Wolf nichts normal.