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Geister! Geister auf Brighmore Castle!
Das war zumindest die einhellige Meinung der Belegschaft, seit McKay Waldon, der Hausmeister, ein grünes, flimmerndes Geschöpf durch einen der langen Flure gleiten gesehen hatte. Ein Ausbund seiner Fantasie, könnte man meinen, wenn nicht auch schon andere Bedienstete die seltsamen Erscheinungen gesehen hätten.
Aber selbst nach diesen Berichten war Melody Harper immer noch nicht davon überzeugt gewesen, dass es in dem vor hundert Jahren von einer Burg in ein Schloss umgebauten Familiensitz spuken sollte. Diese Geschichten erzählte man normalerweise Touristen, um sie für den Besuch eines alten Hotels oder einer Ruine zu überzeugen, von denen es in Schottland hunderte gab.
Jetzt jedoch glaubte sie es. Seit sie den Geist gesehen hatte, der in die Gruft geglitten war ...
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Der Seelen-Schnitter
Briefe aus der Gruft
Vorschau
Impressum
Der Seelen-Schnitter
von Rafael Marques
Geister! Geister auf Brighmore Castle!
Das war zumindest die einhellige Meinung der Belegschaft, seit McKay Waldon, der Hausmeister, ein grünes, flimmerndes Geschöpf durch einen der langen Flure gleiten gesehen hatte. Ein Ausbund seiner Fantasie, könnte man meinen, wenn nicht auch schon andere Bedienstete die seltsamen Erscheinungen gesehen hätten.
Aber selbst nach diesen Berichten war Melody Harper immer noch nicht davon überzeugt gewesen, dass es in dem vor hundert Jahren von einer Burg in ein Schloss umgebauten Familiensitz spuken sollte. Diese Geschichten erzählte man normalerweise Touristen, um sie für den Besuch eines alten Hotels oder einer Ruine zu überzeugen, von denen es in Schottland hunderte gab.
Jetzt jedoch glaubte sie es. Seit sie den Geist gesehen hatte, der in die Gruft geglitten war ...
»Warum muss das ausgerechnet jetzt passieren?«
Die Frage war mehr als berechtigt, denn normalerweise verbrachte Melody nur wenige Wochen im Jahr in dem düsteren Gemäuer am Rande der Highlands. Sie arbeitete seit zwei Jahren, seit dem Ende ihres Studiums, bei Leland & McCoy, einer der angesehensten Anwaltskanzleien in London. Als einzige Tochter ihres Vaters würde sie das Schloss eines Tages erben, aber noch war sie froh, sich zumindest die meiste Zeit nicht um den Bau kümmern zu müssen, der ihr schon als Kind nicht besonders gefallen hatte.
Leider war ihr Vater ein wenig paranoid, er wollte sein Schloss niemals unbeaufsichtigt lassen. Als ob die Bediensteten auf den Tischen tanzen würden, sobald er ihnen den Rücken zudrehte. Normalerweise beauftragte er einen seiner Geschäftspartner damit, ein Auge auf die dunklen Flure zu werfen, wenn er mal wieder irgendwo in der Welt unterwegs war. Melody hatte den Fehler gemacht, ihm von ihrem zweiwöchigen Urlaub zu erzählen, in dem sie einfach nur in ihrem Loft in Notting Hill ausspannen wollte.
»Das kannst du genauso gut auch hier«, waren seine Worte gewesen, bevor er sie in seiner unnachahmlichen Art davon überzeugt hatte, den Urlaub lieber als Kindermädchen für die Hausangestellten zu opfern.
Und jetzt? Abgesehen davon, dass sie ihre wunderbaren freien Tage in dem riesigen Schloss verbringen musste, dessen Bauweise ihr immer wie ein Kloster vorkam, sah sie nun auch Gespenster. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Eigentlich war sie nur zum Fenster ihres Schlafzimmers gegangen, um ein wenig den Sternenhimmel zu betrachten und über den amüsanten Umstand zu sinnieren, dass sie als Kind immer Astronautin werden wollte. Irgendwann war ihr in den Augenwinkeln eine Bewegung aufgefallen, genauer gesagt im Licht einer dieser matt leuchtenden Laternen, die überall an den Außenmauern des Schlosses angebracht waren. Auch an der schweren Holztür mit dem eisernen Griff, hinter der eine lange Steintreppe hinab in die Gruft führte. Und genau dort hatte das unheimliche Wesen gestanden.
Nicht grün, sondern schwarz. Als ob Geister allein nicht schon merkwürdig genug gewesen wären, mussten sie nun auch noch in bunten Farben auftreten. Allmählich fragte sie sich, ob vielleicht irgendwo im Schloss Gas ausgetreten war und nun auch bei ihr Halluzinationen auslöste. Andererseits fühlte sie sich kerngesund und keineswegs benebelt, und das rote Licht des Augenpaares, das sich innerhalb der Schwärze abgezeichnet hatte, war auf keinen Fall eine Einbildung gewesen.
Und nun? Was sollte sie tun? Who you gonna call? Die Ghostbusters ganz sicher nicht, und noch weniger die Polizei, bei der sie sich nur lächerlich machen würde. Am Ende landete die Geschichte noch auf dem Schreibtisch ihres Chefs, der sie für diese schlechte Publicity hochkant rauswerfen würde. So etwas kaufte ihr doch niemand ab – was allerdings bedeutete, dass sie die Sache selbst in die Hand nehmen musste.
»Das darf nicht wahr sein«, murmelte sie, während sie begann, sich einige Klamotten aus dem Schrank zusammenzusuchen.
Splitternackt wollte sie dem Geist jedenfalls nicht entgegengetreten, selbst wenn er vor Scham komplett rot angelaufen wäre. Abgesehen davon war sie ein ziemlich hübscher Anblick, der sicher auch Untote in seinen Bann schlagen würde. Trotzdem entschied sie sich anders.
In Jeans, Turnschuhen, einem löchrigen Hemd aus ihrer Studienzeit, von dem sie sich einfach nicht trennen wollte, sowie einer dünnen, ausgefransten Lederjacke ging sie zur Tür. Im letzten Moment griff sie nach ihrem Handy, denn ohne die Taschenlampe konnte sie gleich eine Dauerkarte für die Gruft buchen.
Der lange Flur mit den zehn Schlafzimmern kam ihr plötzlich auch ziemlich gespenstisch vor. Sie war nie ein ängstliches Mädchen gewesen, hatte sich nicht vor der Dunkelheit gefürchtet, wenngleich sie sich dennoch immer etwas unwohl in dem riesigen Gemäuer gefühlt hatte. Jetzt hingegen verspürte sie echte Angst. Als könnte jeden Moment ein weiteres Gespenst auftauchen, um sie ... tja, was sollten Gespenster eigentlich mit ihr machen? Sie vollschleimen? Vor was fürchtete sie sich eigentlich?
»Indem man Dinge lächerlich macht, klingen sie nicht mehr gefährlich.«
Diesen Satz hatte ihr Vater ihr einmal als Kind mit auf den Weg gegeben, und jetzt fand sie endlich den Sinn in seinen Worten. Allerdings fragte sie sich schon, ob er dabei wirklich von Geistern gesprochen hatte.
Die Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper kehrte schnell wieder zurück, als sie an den unzähligen Porträts der Mitglieder der Familie Brighmore entlanglief, die den Flur von beiden Seiten zierten. Bis vor etwas über hundert Jahren hatte ihnen das Schloss gehört, dann soll ihr letztes Mitglied das Gebäude und das gesamte Umland an die Harpers verkauft haben.
Die Augen der Männer und Frauen starrten ins Leere, dennoch fühlte sie sich von ihnen beobachtet. Beinahe rechnete sie schon damit, sie könnten sich aus den Leinwänden beugen, ihre Münder aufreißen und sie schallend auslachen.
Das geschah nicht, wenngleich die nächtliche Stille ihr auch nicht gefiel. Nur ihre eigenen, durch den Teppichboden gedämpften Schritte waren zu hören, selbst als sie die Treppe erreichte und langsam in die Tiefe stieg. Gab es in diesem verfluchten Gemäuer eigentlich keinen Nachtwächter? Früher hatte Dad ihr immer erzählt, Lunard Waldon, der Vater des heutigen Hausmeisters, würde jede Nacht mit einer Kerze durch die Flure wandeln, um nachzusehen, dass sich auch kein Mäuschen hierher verlaufen hatte. Ob sein Sohn wohl diese Tradition fortsetzte?
Das durch die nicht wenigen Fenster einfallende Mondlicht sorgte zumindest dafür, dass sie sich auch ohne ihr Handy einigermaßen orientieren konnte. Natürlich gab es im Schloss auch elektrisches Licht, nur scheute sie sich aus einem unbestimmten Grund davor, es auch einzusetzen. Geister und Licht, das passte irgendwie nicht zusammen, und schließlich wollte sie ja herausfinden, was hier gespielt wurde.
Im Erdgeschoss gab es unzählige Räume, von denen sie die meisten nicht einmal ansatzweise interessierten. Der Ballsaal, in dem Leonard Harper, ihr Vater, selbst jetzt noch rauschende Feste feierte, das Billardzimmer, in dem er sich mit seinen Geschäftspartnern, einer guten Zigarre und ganz viel Whisky die Zeit vertrieb, und letztendlich sogar ein Hallenbad, das er anstelle eines Aufenthaltsraumes der Bediensteten einbauen ließ.
Obwohl sie eigentlich eine Wasserratte war, fiel es ihr unheimlich schwer, sich dazu zu bewegen, einen Fuß in dieses Becken zu setzen, dass so gar nicht zu Brighmore Castle passen wollte.
Unter einem gewaltigen Kronleuchter entlang strebte sie auf eine der zahlreichen Türen zu, die hinaus auf den Innenhof führte. Dort befand sich ein aufwändig hergerichteter Ziergarten mit Springbrunnen, Rosenhecke und diversen Statuen, mit denen ihr Vater gerne angab, ohne sich selbst länger als fünf Minuten dort aufzuhalten. Aber die Rendite, die die Harper Corporation abwarf, reichte aus, um sich solche Späße zu gönnen und im Gegensatz zu den meisten Schlossbesitzern Schottlands seine Tore niemals für Touristen zu öffnen.
Kühle Nachtluft wehte ihr entgegen, als sie ins Freie trat. Sofort zog sie den Reißverschluss ihrer Lederjacke zu, was die Kälte nicht wirklich abhielt. Einen Rückzieher wollte sie jetzt jedoch nicht mehr machen, weshalb sie sich dazu entschied, ihren Plan durchziehen.
Welchen Plan eigentlich? So richtig hatte sie noch gar nicht darüber nachgedacht, was sie hier eigentlich tat. Einen Geist in eine Gruft zu verfolgen, wäre so ziemlich das Dümmste, was ein Charakter in einem Horrorfilm machen könnte. Noch dazu ohne jegliche Waffen, ohne Kreuze, Weihwasser oder Amulette, die sie allesamt normalerweise nicht in ihrer Arbeitstasche mit sich führte. Und selbst wenn es sich um einen der Angestellten handelte, der sich in einem aufwändigen Kostüm einen Spaß mit ihr erlaubte, hätte sie sich zumindest mit einem Elektroschocker ausrüsten können.
Trotzdem ging sie auf die Tür zur Gruft zu. Täuschte sie sich oder strömte ihr tatsächlich ein kalter Windhauch entgegen? Er ließ sie frösteln, und ihr war, als käme er direkt aus dem Jenseits.
»Jetzt spinnst du wirklich«, stieß sie hervor und sah sich sofort um, ob sie jemand bei ihren Selbstgesprächen beobachtet hatte. Aber weiterhin war sie völlig allein.
Sie griff nach dem eisernen Ring und zog an ihm, doch abgesehen von einem leisen Knirschen tat sich nichts. Wo war bloß ein starker Mann, wenn man ihn mal brauchte? Sonst zog sie die Typen an wie die Scheiße die Fliegen, besonders, wenn sie mit ihrem blonden Pferdeschwanz, ihrem bauchfreien Sportshirt und eng anliegenden Hosen durch das Fitnessstudio schritt. Zur Not hätte sie sich auch mit McKay Waldon zufriedengegeben, aber selbst von ihm war weit und breit nichts zu sehen.
Zumindest, wenn er sich nicht dort unten in der Gruft versteckte ...
Dieser Gedanke trieb sie dazu an, es noch einmal zu versuchen. Mit aller Kraft zog sie an dem Eisenring, und endlich begann sich die alte Holztür zu bewegen. Sie ächzte und quietschte, knackte und knirschte, und schließlich glitt sie ihr so leicht entgegen, dass sie rückwärts stolperte und mit dem Hintern im feuchten Gras landete.
Stöhnend richtete sie sich auf, während ihr abgestandene, modrige Luft entgegenwehte. Ein einziges Mal war sie dort unten am Ende der Treppe gewesen, als ihr Vater und sie ihre Mutter zu Grabe getragen hatten. Eine der dunkelsten Stunden ihres Lebens, die sie gerne mit ihrer verspielten Lockerheit und dummen Sprüchen zu übertünchen versuchte.
Angesichts dessen, dass hinter der Tür absolute Finsternis herrschte, nahm sie nun doch ihr Handy zur Hand und aktivierte die Taschenlampen-Funktion. Der Strahl war zwar nicht allzu intensiv, aber er würde ausreichen, um sich einigermaßen zu orientieren. Dennoch standen die Chancen gut, dass sie sich auf der von unzähligen Rissen durchzogenen Treppe alle Knochen brechen würde.
Sie ging nur einige Stufen weit, dann verharrte sie auf der Stelle. Die Geräusche, die ihr leise entgegenhallten, bildete sie sich auf keinen Fall ein. Tapp tapp, tapp tapp ...
Es klang, als würde ein Hund die Treppe empor schleichen. Oder mehrere, so unrhythmisch, wie sie die Geräusche inzwischen wahrnahm. Der Hund von Baskerville würde es wohl kaum sein, und auch sonst konnte sie sich nur schwer vorstellen, dass ausgerechnet ein derartiges Tier durch die Gruft schleichen würde. Wenn überhaupt, dann Ratten oder Fledermäuse.
Ihre wirren Gedanken brachen ab, denn nun erschienen innerhalb des schwachen Lichts tatsächlich mehrere Gestalten. Es waren jedoch keine bunten Gespenster, die ihr da entgegentraten, sondern Geschöpfe, die sie ebenfalls nur aus Filmen kannte – Untote, lebende Leichen, Zombies!
Das musste ein Scherz sein! Irgendein Streich, den ihr die Hausangestellten spielten, weil ihnen zu langweilig war oder sie sich an ihr rächen wollten, denn Melodys Vater würde wohl kaum auf derartige Aktionen hereinfallen. Allerdings wäre das schon eine ziemlich aufwändige Vorführung gewesen.
Die Gestalten, die sich dort mit Mühe, aber entschlossen die Treppe empor schoben, waren mehr lebende Skelette als Menschen aus Fleisch und Blut. Einige waren nackt, andere trugen noch vermoderte Gewänder oder Uniformen, mit denen sie vor sehr langer Zeit zu ihrer letzten Ruhe gebettet worden waren. Ihre leeren Augenhöhlen starrten sie an, zugleich klappten ihre Mäuler auf, als könnten sie es gar nicht erwarten, die dreckigen Zähne in ihren Körper zu schlagen.
»Gott!«, stieß sie hervor, ließ das Handy vor Schreck fallen und presste sich beide Hände vor den Mund, wobei sie Schritt für Schritt zurückwankte. »Oh Gott!«
Der wird dir auch nicht mehr helfen können, fürchte ich.
Melody zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen und wagte es im ersten Moment gar nicht, sich umzudrehen. Insgeheim wünschte sie sich, die Bediensteten würden allesamt in weiße Laken gehüllt hinter ihr stehen, um den Höhepunkt ihrer Vorführung einzuläuten. Eine leise Stimme in ihrem Kopf sagte ihr jedoch etwas anderes, zumal die Worte des Fremden seltsamerweise nur in ihrem Kopf zu hören gewesen waren.
Dreh dich um, Melody Harper!
»Nein ...«, jammerte sie, wie ein kleines Mädchen.
Dreh dich um und sieh deinem Urgroßvater in die Augen!
Diesmal folgte sie der Aufforderung. Allerdings wünschte sie sich im nächsten Moment, es nicht getan zu haben, denn das Geschöpf, von dem die Worte stammten, war der schwarze Schatten mit den rot leuchtenden Augen. Und er war nicht allein gekommen. Direkt hinter ihm bauten sich insgesamt neun der grünen Gespenster auf, von denen die Hausangestellten gesprochen hatten. Anders als der schwarze Geist wiesen diese Geschöpfe Gesichter auf, wenngleich es sich eher um verzerrte Monsterfratzen handelte, die niemals wirklich Ruhe fanden.
»Mein ... Urgroßvater?«, fragte Melody, während sich alles in ihr verkrampfte.
Sie hätte schreien sollen, auch weglaufen, stattdessen stand sie einfach nur da und starrte die Geister an, die sich anscheinend nur wegen ihr hier versammelt hatten.
Roderick Harper. Sagt dir der Name überhaupt etwas? Oder haben meine Nachkommen inzwischen vergessen, wem sie ihren Reichtum zu verdanken haben? Ich war es, der Brighmore Castle gekauft und die marode Burg in ein riesiges Schloss umgebaut hat. Viel Geld, Schweiß und schlussendlich auch Magie habe ich dafür aufgewendet, um meiner Familie ein neues Zuhause zu schenken – eines für die Ewigkeit. Schade nur, dass ich diesen Luxus nicht sehr lange Zeit auskosten konnte, denn eine dunkle Kraft griff das Schloss an und raubte mir meinen Körper. Ich wurde in eine Welt geschleudert, deren Schrecken ihr Menschen euch nicht einmal ansatzweise vorstellen könnt. Und nun sehe ich, wie meine Nachkommen wie die Maden durch den Speck kriechen und sich an dem bereichern, von dem ich dachte, sie würden es zu einem Imperium ausbauen. Und das, ohne die Vergangenheit ihrer Familie zu würdigen. Sieh dich nur an, ein schwaches, kleines Mädchen, das vor Angst fast zusammenbricht. Was ist nur aus meiner Familie geworden?
»Ich ... ich ...«
Du musst nichts mehr sagen. Deine Zeit ist vorbei, dafür bricht die der Toten nun an.
Was der Geist damit meinte, spürte sie, als sich die kalten Totenklauen auf ihre Schultern legten. Knochenfinger strichen über Gesicht und ihren Hals, packten sie am Kragen und rissen sie zurück. Ihr gesamtes Blickfeld wurde von den lebenden Skeletten ausgefüllt, die sich mit gierig aufgerissenen Mäulern auf sie stürzten.
Melodys Schreie erstarben mindestens genauso plötzlich, wie sie erklungen waren ...
Roderick Harper beobachtete nur noch einige Sekunden, wie die Zombies über den letzten Spross seiner Familie herfielen. Was ihr Vater zu dem Anblick der nun toten Melody Harper sagen würde, war ihm herzlich egal. Vielleicht gelang es ihm ja noch, in seinem Alter ein weiteres Kind zu zeugen, das sein Erbe mit mehr Würde antreten würde als dieses ängstliche Modepüppchen, von dem nur noch eine blutüberströmte Leiche übrig war. Ein toter Körper, der bald selbst zum Leben erwachen würde.
Was weiter mit ihr oder den Untoten geschah, war ihm relativ egal. Sie spielten für seine Pläne keine Rolle, ihm war es lediglich darum gegangen, ein Zeichen zu setzen und seiner noch immer existierenden Familie zu zeigen, wer der wirkliche Herrscher über Brighmore Castle war.
Die neun aus Aibon stammenden Totenseelen hatten das Treiben ungerührt beobachtet. Ihr Auftrag war es lediglich gewesen, ein wenig Unruhe zu stiften, ansonsten würden sie bald ganz andere Aufgaben übernehmen. Sie waren ebenfalls mächtige, urböse Wesen, deren Ziel es gewesen war, das Druidenparadies Aibon in Angst und Schrecken zu versetzen.
Das war ihnen nicht gelungen, denn der Rote Ryan hatte sich ihnen in den Weg gestellt und viele ihrer Artgenossen vernichtet.* Einige fanden jedoch den Weg zurück zum Festland und damit auch zu ihm, denn er war ebenfalls erneut nach Aibon geschickt worden. Und noch immer war er von den bösen Seelen dazu auserwählt, sie anzuführen.
Obwohl das Schloss auch von einigen Bediensteten bewohnt wurde, standen größere, einstmalst genutzte Räumlichkeiten seit langer Zeit leer. Das Zimmer, für das er sich im Besonderen interessierte, war sogar zugemauert worden, sodass nur noch ein völlig verschmutztes und von Efeu überwuchertes Fenster auf seine Existenz hinwies. Niemand wollte wohl noch etwas mit diesem unheimlichen Raum zu tun haben, an dessen Boden und Decke sich zwei riesige Pentagramme befanden, die mit unzähligen keltischen Symbolen übersät waren.