John Sinclair 2335 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2335 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

"Du hast einen großen Fehler gemacht. Niemand wagt es, sich Machalath in den Weg zu stellen. Jeder Tod, selbst durch einen Kuss ihrer Diener, wäre gnädiger als das Schicksal, das dir nun bevorsteht. Aber ich gebe dir eine Chance: Beantworte alle meine Fragen, dann werde ich die Schmerzen in Grenzen halten und deiner Seele ewige Ruhe geben. Du hast die Wahl, Chinese!"
Jedes Wort der weiblichen Stimme prasselte hart auf Suko ein. Die Schläge gegen den Kopf hatten ihm erst das Bewusstsein und nun auch die Kraft geraubt ...


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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Machalaths Todestempel

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Machalaths Todestempel

von Rafael Marques

»Du hast einen großen Fehler gemacht, als du den Lashgarr vernichtet hast. Niemand wagt es, sich Machalath in den Weg zu stellen. Jeder Tod, selbst durch einen Kuss ihrer Diener, wäre gnädiger als das Schicksal, das dir nun bevorsteht. Aber ich gebe dir eine Chance: Beantworte alle meine Fragen, dann werde ich die Schmerzen in Grenzen halten und deiner Seele ewige Ruhe geben. Du hast die Wahl, Chinese!«

Jedes Wort der weiblichen Stimme prasselte wie ein imaginärer Schlag auf Suko ein. Er zuckte und stöhnte, wälzte sich zur Seite, nur um kurz darauf in seine ursprüngliche Position zurückzufallen. Die Schläge gegen den Kopf hatten ihm erst das Bewusstsein und nun auch die Kraft geraubt. Er war kaum in der Lage, sich zu rühren, geschweige denn, die Augen zu öffnen ...

Seine Lider flatterten, als er sie mit Mühe anhob. Wo genau er sich befand, war für ihn nicht zu erkennen, dafür identifizierte er die neben ihm stehende Frau sofort als jene Person, gegen die er zuvor in der Gartenlaube gekämpft hatte. Und sie war nicht allein gekommen. Um sie herum hockten etwa ein halbes Dutzend Geier mit rot leuchtenden Augen!

Suko war ein Kämpfer. Ein Mann, den so leicht nichts niederstrecken konnte, was auch mit seiner harten Ausbildung in einem Shaolin-Kloster zusammenhing. Letztendlich war er dennoch nur ein Mensch, dem auch gewisse Grenzen gesetzt waren. Er war von zwei harten Schlägen gegen den Kopf getroffen worden, zwar von einer normalen Frau, jedoch im Beisein mehrerer Kreaturen, die direkt aus der Hölle entsprungen zu sein schienen.

Erst jetzt, nachdem er aus der Bewusstlosigkeit erwacht war, wurde ihm bewusst, dass ihm das gehörnte Geschöpf mit der schwarzen Haut und den vollen Lippen nicht ganz unbekannt gewesen war. Er hatte es schon einmal erlebt, in dem Ishtar-Tempel im Irak, wo Lilith ihre vier Engel der Hurerei erweckt hatte.*

Nach der Verwandlung in einen riesigen Geier war diese widerliche Kreatur aus seinem Blickfeld verschwunden, und nun war er wieder mit ihr konfrontiert worden.

Im Kopf des Inspektors begann es zu rattern, was sicher nicht nur an den fast unerträglichen Kopfschmerzen lag, die ihn mit der Rückkehr seiner Sinne überfielen.

Ihm fielen wieder die völlig von Körperfett und inneren Organen befreiten Leichen ein, ebenso Dr. Benett und seine Privatklinik, wo der windige Arzt bedingt durch seine Spielsucht mit Mitgliedern der Organmafia zusammengearbeitet und arme, wohl aus Afrika entführte Menschen operiert und vermutlich auch getötet hatte.* Alles nur, um Reiche und Mächtige mit dringend benötigten Organen zu versorgen. Was er dabei den Opfern dieses florierenden Geschäfts antat, war ihm egal gewesen.

Durch den jungen Omar, dessen Schwester aus einem kleinen Ort in Mali mutmaßlich nach London entführt worden war, hatten diese Opfer ein Gesicht erhalten. Omar hatte alles riskiert, um in die britische Metropole zu reisen, in der Hoffnung, dort eine Spur zu seiner geliebten Keyah zu finden. Bisher war ihr Schicksal ein Rätsel geblieben.

»Du kannst von Glück reden, dass Machalath dich mir überlassen hat. Eigentlich wollte sie dir persönlich alle Informationen aus dem Kopf saugen, allerdings ist sie nun leider verhindert.«

»Wo ... ist ... sie?«, drang es schwach über Sukos Lippen.

Der Inspektor hoffte, nicht zu viel Theatralik in die Worte gelegt zu haben. Er war zwar schwach, allerdings fand er nach und nach wieder einigermaßen zu Kräften. Davon musste seine Peinigerin nicht unbedingt etwas mitbekommen.

Als Antwort wühlte sich der Stiefel der Blonden in seine Magengrube. Suko schrie auf, allerdings mehr aus Überraschung als unter Schmerzen. Anscheinend wollte die Frau ihn noch etwas schonen, deshalb hatte sie nicht allzu fest zugetreten.

»Ich stelle hier die Fragen, Chinese«, zischte sie ihm zu. »Also, fangen wir mal mit Frage Nummer eins an: Wer bist du?«

»Inspektor Suko von Scotland Yard.«

Es schadete sicher nicht, sich vorübergehend auf ihr Spiel einzulassen, zumal der Frau seine Identität durch seine Ausweise sicher bereits bekannt war. Allzu viele Chancen, sich zu wehren, blieben ihm jedenfalls nicht, zumal er inzwischen festgestellt hatte, dass seine Hände mit einem Strick gefesselt waren.

Die Beretta und die Dämonenpeitsche waren natürlich verschwunden, dafür steckte der Stab des Buddha immer noch an seinem Gürtel. Da er auf der rechten Seite lag, drückte er unangenehm gegen seine Hüfte. Er war seine letzte Hoffnung, die ihm wohl nur geblieben war, weil Machalath und ihre Helferin nicht verstanden, welche Funktion der so unscheinbare Stab haben könnte.

Die Blonde lachte. »Immerhin schon etwas.«

Suko rollte sich zur Seite, um mehr von seiner Umgebung wahrzunehmen. Er befand sich offenbar in einer schwach beleuchteten Lagerhalle, umgeben von unzähligen mannshohen Holzkisten, auf denen auch die unheimlichen Vögel mit dem braungrauen Gefieder hockten. Sie saßen so starr auf ihren Plätzen, dass man sie für Figuren hätte halten können, wäre da nicht dieses dämonische Glitzern in ihren Augen. Noch waren sie nur Staffage, doch auf Befehl von Machalaths Helferin würde sich das sicher bald ändern.

»Und mit wem habe ich die Ehre?«, fragte Suko und blinzelte dabei, als hätte er immer noch Probleme mit den Augen.

Wieder drang die Stiefelsohle in seine Eingeweide. »Hast du schon wieder vergessen, was ich gerade gesagt habe?«, entfuhr es ihr, wobei das souveräne Grinsen nicht aus ihrem Gesicht wich. »Aber ich will mal nicht so sein. Du darfst mich Ivy nennen.«

»Aha.«

»Nächste Frage: Was hattest du in der Gartenlaube zu suchen?«

Suko ächzte, weit mehr als nötig. »Ich war auf der Jagd.«

»Wie bitte?«

»Auf der Jagd nach Dämonen.«

Suko hatte sich gerne auf das Frage-Antwort-Spiel eingelassen, allerdings nur zu seinen Regeln. Dass er nach dem Willen seiner Gegnerin diesen Ort nicht mehr lebend verlassen würde, war ihm bereits mehr als deutlich vor Augen geführt worden. Viel schlimmer konnte es also nicht werden, wenn er diese Ivy ein wenig provozierte und das Gespräch in die Länge zog – immer in der Hoffnung, dass das seinen Freunden die nötige Zeit gab, ihn aufzuspüren und zu befreien. Diese Hoffnung war zwar mehr als vage, andererseits wäre es nicht das erste Mal gewesen, dass John in letzter Sekunde auftauchte, um ihm den Hals zu retten. Oder umgekehrt.

Ivy stieß einen wütenden Schrei aus, zog einen Dolch mit leicht gebogener Klinge hervor und beugte sich zu ihm herab. Das scharfe Metall strich über Sukos Kehle und zerschnitt die bis zum Anschlag gespannte Haut, sodass ein dünner, warmer Blutfaden über seinen Hals floss. Der frische Lebenssaft schien das unheilvolle Licht in den Augen der Geier noch weiter zu verstärken.

»Das ist nur ein Vorgeschmack, Suko, das verspreche ich dir«, hauchte ihm die Blonde ins Ohr. »Du hast die Wahl zwischen meiner Klinge und Machalaths geflügelten Freunden. Ein kleiner Gruß aus Mali, gleichzeitig auch ein tödlicher, wenn ich sie auf dich hetze. Normalerweise interessieren sie sich eher für Leichen, aber meine Herrin hat ihnen die Gier nach frischem Menschenfleisch eingeimpft. Also, wirst du mir jetzt eine normale Antwort geben?«

Suko nickte.

»Na also.«

Ivy zog das Messer zurück, strich dabei allerdings noch einmal auffallend über seine Brust hinweg, als versuchte sie ihn auf diese Weise zu verführen. Sie war noch sehr jung, vielleicht Ende zwanzig. Durch ihr arrogantes Grinsen und das böse Funkeln in ihren Augen wirkte sie wie ein eiskalter Engel, allerdings handelte es sich bei ihr wohl immer noch um einen Menschen. Eine Person, die keine Moral und keine Gnade kannte, insofern passte ihr Charakter zu Sukos Vermutung, dass es sich bei Ivy um Dr. Benetts weibliche Kontaktperson handelte.

»Ich war auf der Suche nach einem Mädchen«, gab Suko zu.

Die Blonde lachte auf. »Oh, mit Mädchen kann ich dir dienen. Hat die Kleine, nach der du suchst, auch einen bestimmten Namen? Oder hast du es allgemein nur auf knackiges, junges Gemüse abgesehen?«

»Keyah. Ihr Name ist Keyah.«

»Ach ...«

Es war ein Risiko, Ivy den Namen von Omars Schwester preiszugeben, andererseits wollte Suko das Gespräch auch in eine bestimmte Richtung lenken. Vielleicht gelang es ihm auf diese Weise, an Informationen über das ungewisse Schicksal der Sechzehnjährigen zu gelangen.

»Keyah«, wiederholte die Blonde den Namen.

Es wirkte, als müsste sie erst einmal überlegen, ob sie den Namen kannte, wobei sie sich sogar aufrichtete und einen Blick über die Schultern warf, so als würde sie eine andere Person um Rat fragen wollen.

Nach kurzer Zeit wandte sie sich wieder Suko zu. »Ja, sie war hier«, gab sie zu, »nur ist sie inzwischen leider nicht mehr unter uns.«

Suko fluchte innerlich, ließ sich aber nichts anmerken.

»Nächste Frage, Schätzchen«, fuhr Ivy fort und presste erneut ihren Stiefel gegen seinen Bauch. »Wer ist dein Freund, und was hat es mit der besonderen Waffe auf sich, die er bei sich trägt?«

Ein wenig wunderten ihn diese Fragen schon, immerhin musste Machalath doch wissen, wer John war und welche Gefahr von seinem Kreuz für sie ausging. Oder hatte Lilith sie derart im Unklaren gelassen? Für eine Dämonin ihres Formats wäre das ziemlich leichtsinnig gewesen, selbst wenn sie inzwischen zu Recht davon ausgehen konnte, sich vor den Kräften des Kreuzes nicht mehr fürchten zu müssen.

Auch diese Information gab er bereitwillig preis: »Er heißt John Sinclair und ist mein Partner. Sein Kreuz ist eine mächtige Waffe gegen die Mächte der Finsternis.«

»Sein ... Kreuz?«, fragte Ivy mit einer Mischung aus Verwunderung und Arroganz.

»Er ist der Sohn des Lichts.«

Die ebenfalls weibliche Stimme war nicht aus Ivys Mund gedrungen, sondern aus einem der Raben. Zumindest hatte es für Sukos Ohren so geklungen, und auch die Blonde starrte eines der Tiere überrascht an.

»Machalath?«, fragte sie verwundert, ohne eine Antwort zu erhalten.

»Da kennt sich wohl jemand besser aus als du«, legte Suko den Finger in die Wunde.

Er musste nicht lange auf die Reaktion warten, denn mit einem spitzen Schrei schleuderte Ivy ihren Dolch in seine Richtung. Für eine Sekunde hielt er tatsächlich den Atem an, doch die Klinge drang knapp einen Zentimeter neben seiner linken Wange in den Hallenboden, nur um noch einmal in die Höhe geschleudert zu werden und neben seinem Kopf liegen zu bleiben.

»Wer ist der Sohn des Lichts?«, fragte die Blonde, ohne dabei ihre Tonlage zu verändern. Dabei zog sie einen weiteren Dolch aus ihrer schwarzen Lederjacke.

Eine Antwort erhielt sie nicht, jedenfalls nicht von ihrer Meisterin. Suko hingegen überlegte sich gut, was er als Nächstes sagen sollte, um seine Gegnerin nicht zu sehr zu provozieren. Irgendwann würde sie wirklich noch die Nerven verlieren, und wie es aussah, lag dieser Moment nicht einmal weit entfernt.

Oder erhielt Ivy die Botschaft auf eine andere Weise? Für einige Sekunden stand sie steif wie zur Salzsäule erstarrt und mit entrücktem Blick auf der Stelle, als hätte sich ihr Geist auf eine lange Reise begeben. Wären da nicht diese verfluchten Geier, hätte Suko trotz der gefesselten Hände längst einen Ausbruchsversuch gewagt.

»So, so, der Sohn des Lichts ...«, flüsterte Ivy. »Sieht so aus, als wären Machalath und ich da auf ein Wespennest gestoßen. Dein Glück, würde ich sagen, da dieser Umstand dein jämmerliches Leben noch um einige Minuten verlängern könnte. Wer ist als Faustpfand gegen eine derartige Person wohl besser geeignet als sein Partner? Für den Fall, dass er hier auftauchen sollte, darfst du noch ein wenig länger um dein Leben winseln. Ansonsten habe ich inzwischen anderes zu tun.«

»Anderes?«, fragte Suko vorsichtig.

»Geschäftliches. Und wenn ich noch einen Ton von dir höre, werden dich die Geier zerfleischen, ob du nun der Partner des Sohns des Lichts bist oder nicht.«

Randal Harlow spielte nervös mit der nicht angezündeten Zigarette, als könnte er auf diese Weise seine innere Anspannung bekämpfen. Natürlich half ihm die kleine Macke kein bisschen, dennoch ließ er nicht von ihr ab.

Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann geworden, weil er gelernt hatte, wann und wo man seine Züge ausführen musste, zu welchem Zeitpunkt des Spiels man angriff und wann man sich besser zurückhielt. Das hier war so ein Moment, allerdings war der Einsatz in diesem Spiel das Leben seines Sohnes Jimmy, das er auf keinen Fall so einfach aufgeben wollte. Nicht, nachdem er bereits so viel riskiert hatte. Nichts, angesichts der Tatsache, dass Stan und George wahrscheinlich nicht mehr lebten.

Das Schicksal der beiden Schläger war ihm herzlich egal, es ging ihm lediglich an die Nieren, dass es nun auch ihm an den Kragen gehen könnte. Ihm und Jonathan Barnes, seinem Butler, Leibwächter und engstem Freund, wobei dieses Attribut wohl nur in seinem Kopf existierte, denn obwohl der neben ihm sitzende Mann bereits seit Jahrzehnten für die Familie Harlow arbeitete, blieb zwischen ihnen stets eine gewisse kühle Distanz bestehen. Dennoch, eine engere Beziehung als zu ihm existierte – abgesehen von seinem Sohn – für ihn nicht.

Selbst jetzt, nachdem Barnes vom vermutlichen Tod der beiden Männer erfahren hatte, zeigte sich in seinem über die Jahre immer faltenreicher gewordenen Gesicht keine Regung. Es war, als wäre dem weit über sechzig Jahre altem Butler sein eigenes Schicksal völlig egal. Randal beneidete ihn ein wenig um diese Souveränität.

Vor knapp fünfzehn Minuten hatte er wieder Kontakt zu jener Frau erhalten, die ihm das Herz organisieren sollte. Ivy Cranston wollte sich mit ihm treffen, um ihm doch noch das wertvolle Organ zu übergeben, allerdings zu einem deutlich höheren Preis als vereinbart.

Randal war das egal, für ihn spielte Geld keine Rolle. Selbst wenn es um eine Millionensumme gegangen wäre, hätte er keine Sekunde gezögert, sie einzusetzen. Er war ein eiskalter Geschäftsmann, wobei sich unter seiner rauen Schale ein liebender – und verzweifelter – Vater verbarg.

Die Lagerhalle, zu der ihn Jonathan Barnes fuhr, lag in Greenwich, weit abseits der Kleingartensiedlung, in der es inzwischen vor Polizisten nur so wimmelte. Ein einsamer Ort, wie er selbst wusste, denn viele der dort angesiedelten Unternehmen hatten in den letzten Jahren Insolvenz anmelden müssen. Eine glückliche Fügung für einen findigen Geschäftsmann wie ihn, der auf diese Weise günstig Grundstücke aufkaufen konnte, für den Fall, dass die Stadt dort in einigen Jahren Wohnkomplexe errichten wollte.

Von den Millionen, die er damit verdienen würde, war er momentan weiter entfernt als die Erde von der Sonne. Er begab sich in die Höhle des Löwen, lediglich mit einem alten Mann als Rückendeckung. Leute, die für Geld alles taten, gab es zwar viele, nur solche mit Loyalität waren auf die Schnelle nicht zu finden.

Missmutig blickte Randal aus dem Fenster der Limousine. Über den Moloch London hatte sich eine düstere Wolkenfront geschoben, Regen würde es aber wohl nicht geben. Die Häuser, Lagerhallen und Bürogebäude flogen nur so an ihm vorbei, ohne dass er sie wirklich wahrnahm. Viel zu sehr war er mit seinen düsteren Gedanken beschäftigt, besonders mit der Angst, sehenden Auges in eine Falle zu laufen.

Die Vermutung war nur schwer von der Hand zu weisen, immerhin war er seiner vermeintlichen Geschäftspartnerin gegenüber sehr aggressiv aufgetreten. Zunächst waren da die fast zwanzig unbeantworteten Anrufe, später die an Dr. Benett gerichtete Drohung und schließlich die Konfrontation in der Kleingartensiedlung, deren Ausgang sich trotz seiner guten Kontakte zur Londoner Polizei nur erahnen ließ. Immerhin sprach der Umstand, dass sich George und Stan nicht mehr meldeten, Bände.

»Wir erreichen bald unser Ziel, Sir«, riss ihn sein Fahrer in die Realität zurück.

»Danke, Barnes.«

»Sir?«, hakte er auf ungewohnte Weise nach.

Randal seufzte. »Lassen Sie mich raten – Sie wollen mir sagen, dass ich äußerst leichtsinnig handele und mich wissentlich in Gefahr begebe, weil mich die Angst um Jimmy blind macht. Ist es so?«

»Ich wollte Ihnen nur vorschlagen, dass ich mich bei Ihrem Treffen zunächst im Hintergrund halten sollte, um so einen möglichen ... Zwischenfall sofort zu unterbinden.«

»Sie glauben auch an eine Falle«, fasste Randal Harlow zusammen.

»Es erscheint mir als möglich, Sir.«

»Gut, machen wir es so. Und Barnes?«

Sein Butler blickte verwundert in den Rückspiegel. »Ja?«

»Danke.«

Sein Butler reagierte nicht auf die ungewohnt persönlichen Worte seines Arbeitgebers. Unterkühlt wie immer lenkte er den Wagen zu einem löchrigen Metallzaun mit Stacheldrahtaufsatz, der sich um ein völlig verwildertes Gelände spannte. An zahlreichen Stellen waren Unkraut und Wurzeln aus dem aufgeplatzten Asphalt zutage getreten, zudem ringelten sich an der Fassade des mit Wellblech abgedeckten Lagergebäudes dicke Efeuranken entlang. Insgesamt machte dieser Ort nicht gerade den Eindruck, als würde er noch genutzt, was andererseits aber auch eine perfekte Tarnung für illegale Aktivitäten wäre. Wer einen illegalen Handel mit Organen betrieb, musste seine Ware auch irgendwoher beziehen. Womöglich wurde sie hier festgehalten, wie immer man sich das auch vorstellen mochte.

Da von dieser Ivy Cranston weit und breit nichts zu sehen war, stieg Barnes als Erster aus, ging zum Kofferraum und verschwand kurz darauf aus Randals Blickfeld. Der Geschäftsmann selbst griff nach einer SIG Sauer 9 mm, die zur Sicherheit stets in einem Geheimfach an der Tür lagerte. Er ließ die Pistole hinter seinem Rücken verschwinden, öffnete die Tür und trat auf die Straße.

Die Umgebung, die ihm durch seine umtriebigen Grundstücksgeschäfte schon bekannt war, machte einen genauso verwahrlosten Eindruck wie die Lagerhalle, in der das Treffen stattfinden sollte. Insgesamt ein perfekter Rückzugsort für allerlei Gesindel, das nicht gesehen werden wollte und mit dem sich ein Mann wie Randal Harlow normalerweise nicht abgab. Zumindest nicht ohne Leibwächter. Wenn er sich zu lange hier aufhielt, würde es ihm so oder so an den Kragen gehen.

Was tat er hier überhaupt? Erwartete er, dass die Cranston ihm das Herz in einer Kühlbox auslieferte und dafür den Geldkoffer entgegennahm, den er gerade aus dem Kofferraum zog? Dass er das Geld überhaupt mit sich führte, war seiner schon panikartigen Angst um sein eigenes Kind geschuldet gewesen. Er konnte ganz offensichtlich nicht mehr klar denken, und genau das versuchte die Gegenseite nun auszunutzen. Deshalb war es wohl besser, der Frau eine Kugel zwischen die Augen zu jagen und zu verschwinden, selbst wenn er damit seine einzige Chance, Jimmy zu retten, begraben müsste.

Randal wartete gar nicht erst auf ein Zeichen seiner sogenannten Geschäftspartnerin, sondern schlüpfte durch die erstbeste Lücke im Zaun auf das Gelände. Beinahe kam ihm die Lagerhalle mit den völlig verschmutzten Fenstern und dem Efeu vor wie die moderne Version eines tief im Wald verschollenen Schlosses, auf dem allerlei düstere Geschöpfe auf ihn lauerten. Auf derartige Geschichten hatte er nie etwas gegeben, doch angesichts dessen, auf welch grausame Art seine Männer mutmaßlich zu Tode gekommen waren, begann er an seiner Ablehnung jeglichen Aberglaubens zu zweifeln.

Er schüttelte den Gedanken ab und näherte sich dem großen Rolltor, das in seinem gesamten Bereich einige Lücken aufwies. Ihm entgingen auch nicht die metallischen Objekte zwischen den Blättern, bei denen es sich wahrscheinlich um Überwachungskameras handelte. Also musste er davon ausgehen, dass jeder seiner Schritte von der Cranston beobachtet wurde.