John Sinclair 2341 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2341 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Das Heulen eines Wolfs hallte durch die düstere Gasse!
Ronald Arthur, von allen wegen seines Nachnamens auch "King" genannt, ließ die Zigarette fallen und fuhr herum. Nur der Lichtschein des Mondes drang in den knapp vier Meter breiten Raum zwischen den weit aufragenden Ziegelsteinmauern. Überquellende Mülltonnen, Gerümpel und sogar einige ausrangierte Fahrräder blockierten den Durchgang, sodass sich nur Leute an diesen Ort verirrten, die das auch unbedingt wollten.
Junkies waren das zumeist, hin und wieder auch eine Hure. Leute, die nach Stoff für einen Schuss suchten oder die King Arthur selbst geordert hatte.
Und jetzt auch noch ein Wolf ...


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Seitenzahl: 148

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Inhalt

Cover

Operation Wolf

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Operation Wolf

von Rafael Marques

Das Heulen eines Wolfs hallte durch die düstere Gasse! Ronald Arthur, von allen wegen seines Nachnamens auch »King« genannt, ließ die Zigarette fallen und fuhr herum. Nur der Lichtschein des Mondes drang in den knapp vier Meter breiten Raum zwischen den weit aufragenden Ziegelsteinmauern. Überquellende Mülltonnen, Gerümpel und sogar einige ausrangierte Fahrräder blockierten den Durchgang, sodass sich nur Leute an diesen Ort verirrten, die das auch unbedingt wollten.

Junkies waren das zumeist, hin und wieder auch eine Hure. Leute, die nach Stoff für einen Schuss suchten oder die King Arthur selbst geordert hatte.

Und jetzt auch noch ein Wolf ...

»Mann, was ist das für eine Scheiße, King? Hast du dir einen neuen Wachhund zugelegt?«

»Halt die Klappe, du Idiot«, erwiderte er genervt und zog die SIG Sauer aus seiner Lederjacke hervor.

Angeblich hatte sie ihr vorheriger Besitzer einem toten FBI-Agenten abgenommen. Ob das stimmte oder nicht, spielte für ihn nicht die allergrößte Rolle. Fakt war, dass sie ihm immer wieder gute Dienste erwies – zuletzt bei den beiden Studentinnen ...

»Was ist jetzt mit dem Stoff?«, quengelte Joey, der ausgemergelte Junkie, dessen Bezahlung bereits in seiner Hosentasche steckte.

Wie ein Hund wand er sich an der Mauer und starrte ihn mit seinen großen Augen an.

»Den kriegst du schon noch – wenn du endlich still bist. Ich habe keinen Wachhund.«

»Aber ...«

»Noch ein Wort und ich puste deinen Kopf weg!«

Joey verkroch sich hinter einer Feuerleiter, als befürchtete er, jeden Moment totgeschlagen zu werden. Typen wie er widerten ihn an, andererseits brachten sie ihm auch das meiste Geld ein. Yuppies, Neureiche oder verwöhnte Jugendliche verschlug es normalerweise nicht in diese Gegend, wenngleich er über für ihn arbeitende Dealer durchaus Kontakt in diese Kreise pflegte. Eine Bestie wie er war dort nicht gerne gesehen.

›King‹ Arthur trug seinen Namen nicht ohne Grund. Er maß knapp über zwei Meter, besaß breite Schultern und einen muskulösen Oberkörper, der sich kaum von der dünnen Lederjacke im Zaum halten ließ. Sein Gesicht war von einer hässlichen Narbe oberhalb des linken Auges und einer zweiten an seiner rechten Wange gezeichnet. Spuren von Versuchen seiner Konkurrenten, sich des mächtigen Dealers zu entledigen. Keiner von ihnen lebte mehr, meist war er selbst dafür verantwortlich gewesen.

Manch einer wäre durch seinen Ruf größenwahnsinnig geworden. Er war ein Kind von Hell's Kitchen, einem der legendären Arbeiterviertel von Manhattan, indem früher die irischen Westies ein kriminelles Imperium geherrscht hatten.

Die Zeiten, in denen das Viertel von irischen Einwanderern dominiert worden war, waren längst vorbei. Heute wohnten in den Wohnblöcken aus Ziegel- und Backstein Menschen unterschiedlichster Herkunft und Hautfarbe, ein Sammelsurium an Kulturen, in denen keine spezielle kriminelle Bande mehr hervorstach.

Dies machte sich King Arthur zunutze, der nicht einmal eine Gang um sich scharen musste, um sein Geschäftsfeld zu verteidigen. Nur ein geschickt agierendes Netz aus Dealern, mehr brauchte er nicht. Zumindest hatte er das bis jetzt geglaubt, angesichts des Heulens fragte er sich hingegen doch, ob ihm der eine oder andere Wachposten nicht gutgetan hätte.

In der Straße war es inzwischen geradezu totenstill. Das Heulen war verklungen, dafür bauten sich dünne Nebelschwaden zwischen den Mülltonnen auf, die zum Teil auch aus dem Unrat selbst hervorquollen. Der Gestank war dementsprechend nur schwer zu ertragen, wenngleich der Dealer sich davon nicht einmal ansatzweise abschrecken ließ.

Mit der Waffe in der Hand ging er einige Schritte vor, wobei seine Augen wie die eines Luchses von einer Seite zur anderen wanderten. Nein, ein Hund hatte dieses Heulen bestimmt nicht ausgestoßen. Es musste ein Wolf gewesen sein, wenngleich es selbst in einem Moloch wie New York keine freilaufenden Wölfe gab. Mäuse, ja, auch Ratten, die angeblich so groß wie ausgewachsene Katzen werden konnten. Manch einer erzählte sogar von Alligatoren, die die Kanalisation unsicher machen sollten, aber das waren natürlich nur Legenden.

Er war schon versucht, sich abzuwenden, als das leise Knurren durch die Nacht hallte.

»Verdammt«, zischte er, trat vor und hielt die Waffe im Anschlag.

In Momenten wie diesen machte sich seine Ausbildung bezahlt, immerhin hatte es noch Zeiten gegeben, in denen er beinahe einen anderen Weg eingeschlagen hätte. Er hatte sogar die Polizeischule besucht, bis man dort von seiner kriminellen Vergangenheit erfuhr und er gefeuert worden war.

Das Knurren verstärkte sich und schien sogar von mehreren Seiten an seine Ohren zu dringen. Die hohen Mauern spielten seinen Sinnen da wahrscheinlich einen Streich, dennoch legte sich eine leichte Schicht aus Schweiß auf seine Haut. Selbst wenn es sich wirklich um einen Wolf handelte, musste er davon ausgehen, es mit keinem normalen Tier zu tun zu haben. Eher schon mit einer abgerichteten Bestie, die von einer Person im Hintergrund gesteuert wurde.

Sein Atem ging schwer, als er den ersten Metallcontainer passierte. Zunächst visierte er den Raum zu seiner linken an, später den Bereich in der Nähe der Feuerleiter, die zu einem mit Brettern vernagelten Fenster führte.

Ein lautes Kratzen ließ ihn herumfahren. Nicht schnell genug, denn jetzt sah er, dass er einen Fehler begangen hatte. Ein Geschöpf, das bisher hinter dem Container gelauert hatte, erklomm den Deckel, verzog seine Lefzen und stürzte sich auf ihn. In den wenigen Momenten nahm er den schlanken Wolfskörper wahr, ebenso wie die gelb leuchtenden Augen.

Er fuhr noch herum, gab sogar noch einen Schuss ab, doch die Pranken der heranrauschenden Bestie trieben ihn zu Boden. Geistesgegenwärtig löste er eine Hand von seiner Waffe, griff nach der Kehle des Wolfs und schleuderte ihn von sich herunter. Dass die Krallen des Tiers dabei eine blutige Spur über seine Stirn zogen, war das geringste seiner Probleme.

Auch der Wolf erfasste schnell die neue Situation und stürzte sich erneut auf ihn. Seine Zähne gruben sich in die linke Hand des Dealers, der wie von Sinnen aufschrie und den Griff der Waffe auf die Stirn der Bestie hämmerte. Sein Gegner winselte nur kurz, und als King Arthur erneut abdrückte, huschte er blitzschnell zur Seite.

Seine Augen weiteten sich, als sich der Wolf erneut in seine Richtung katapultierte, sein Maul weit aufriss und die spitzen Zähne in seinen Hals grub. Das helle Licht in den Augen der Bestie war das letzte, was er in seinem Leben sah ...

»Was bin ich?«, fragte der Mann, als er in den Innenspiegel des Ford blickte. »Mensch oder Dämon?«

Die Frage war mehr als berechtigt, zeichneten sich in seinem Gesicht doch unzählige Blutspritzer ab. Sein Versuch, sich den Lebenssaft des Dealers mit einem Handtuch abzuwischen, war so oder so zum Scheitern verurteilt gewesen. Es war ihm schließlich nur darum gegangen, nicht als blutiges Bündel durch die Straßen New Yorks zu fahren. Duschen und Waschen konnte er sich später noch in seinem Apartment.

Er, Brandon Reddick, hatte wieder getötet. Der Gedanke daran, dass es sich bei seinem Opfer um einen gnadenlosen Drogendealer und Mörder handelte, tröstete über diese Tatsache nur unwesentlich hinweg. Ronald ›King‹ Arthur war nichts weiter als Abschaum gewesen, eine psychopathische Bestie, die unter anderem zwei junge Frauen auf dem Gewissen hatte. Studentinnen, die für ein Projekt Interviews mit Dealern führen wollten und von ihm ermordet wurden, als sie die falschen Fragen stellten.

Von wem letztendlich der Auftrag stammte, King Arthur zu töten, spielte für ihn ebenfalls keine Rolle. Wahrscheinlich von den Eltern der Ermordeten, doch das hatte sich Rakk nicht entlocken lassen. Brandon interessierte es auch nicht, Fakt war, dass er weiter tötete und es für ihn kein Entkommen aus diesem Teufelskreis gab.

Wie so oft, während er durch die Straßenschluchten von Manhattan fuhr, glitten seine Gedanken an die nahe und teilweise auch ferne Vergangenheit. Zurück zum Hof seiner Familie, auf dem er seine Kindheit verbracht hatte und der von einem gewissen Patrick Brevin niedergebrannt worden war.

An sein Leben als obdachloser Jugendlicher, bis er in Norwegen an eine gefährliche Gruppe geraten und von ihnen entführt worden war. In ein Camp, in dem sie schreckliche, magische Experimente mit ihm durchgeführt hatten, durch die er nun in der Lage war, sich in einen Wolf zu verwandeln. Und natürlich an seine Rückkehr nach Schottland, wo er sich an seinen Peinigern von einst, der Familie Brevin, grausam gerächt hatte.*

Dabei war er von einem göttlichen Wesen aus der nordischen Mythologie unterstützt worden, dank dem er überhaupt noch lebte. Der Preis war jedoch hoch, denn Hati verlangte nach immer neuen Opfern ...

Ein Mann – vielmehr ein Dämon – hatte ihn daraufhin unter seine Fittiche genommen und versorgte ihn mit immer neuen Aufträgen, durch die er einerseits einen gewissen Lebensunterhalt verdiente, andererseits aber auch Hati die Opfer verschaffen konnte. Rakk, der Dienstleister, der als Privatdetektiv Nathaniel Dekker auftrat und ein Büro im Empire State Building besaß, war ihm durch ein mysteriöses Buch auf die Spur gekommen, hatte ihn in Schottland gerettet und mit nach New York genommen.

Und nicht nur ihn, sondern auch seine große Liebe, Sarah McKay. Eine junge Anwältin, deren Hass auf die Familie Brevin ebenso groß gewesen war wie sein eigener und dank deren Unterstützung es ihm überhaupt erst gelungen war, seine Rache bis zum bitteren Ende durchzuziehen. Sie hatte ihn nach New York begleitet, lebte hier aber inzwischen mindestens ebenso ziellos wie er.

Manchmal sah er das Empire State Building sogar im Hintergrund zwischen den Häuserschluchten aufragen. Gerade jetzt, tief in der Nacht, wirkte der teilweise beleuchtete Wolkenkratzer besonders beeindruckend. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob Rakk wirklich ein Freund war oder er ihn nur dazu missbrauchte, die Drecksarbeit zu übernehmen. Einen, der so oder so nichts anderes tun konnte, als zu töten. Die Tatsache, dass er dabei nur den schlimmsten Abschaum ins Visier nahm, hatte ihn nur am Anfang getröstet.

»Was tue ich hier eigentlich? Wie soll es weitergehen? So jedenfalls nicht ...«

Seine Selbstgespräche ließen ihn fast vergessen, dass er nicht in einem stillen Kämmerlein hockte, sondern den Ford gerade über Central Park West lenkte. In einem der Wohntürme in der Upper West Side wohnten Sarah und er inzwischen, wobei ›wohnen‹ eigentlich der falsche Ausdruck war. Sie kämpften eher ums Überleben, Brandon im physischen und Sarah eher im psychischen Sinne.

Er hatte schon seit Jahren keine Heimat mehr, sie dagegen fand sich nur schwer damit zurecht, als fest verwurzelte Schottin in der Großstadt ein neues Leben anzufangen. Und das nicht nur im übertragenen Sinne, denn Rakk hatte ihnen auch gleich noch neue Identitäten verschafft.

Einige Monate ging das nun schon so. Ein Auftrag folgte auf den nächsten, und obwohl es ihm gelang, jeden noch so gefährlichen Gegner zur Strecke zu bringen, spürte er nicht einmal den Anflug von Euphorie.

Es gab ihm auch keine Befriedigung, der Menschheit vielleicht sogar einen Gefallen getan zu haben, ganz im Gegensatz zu seiner Rache, die die Mörder seiner Familie zu spüren bekommen hatten. Sein eigentlicher Plan hatte nie vorgesehen, dass sein Leben nach der Sache in Schottland noch einen derartigen Verlauf nahm. Wofür tat er das alles überhaupt? Für Sarah? Oder weil er nicht den Mumm fand, dem ein Ende zu setzen?

Er merkte kaum, wie er den Wagen auf seinem üblichen Parkplatz an der Upper West Side ausrollen ließ. Auch um diese Uhrzeit schlief eine Stadt wie New York natürlich nicht, allerdings zeigten sich glücklicherweise nur wenige Passanten auf der Straße. Obwohl es ihm gelungen war, die meisten offensichtlichen Blutflecken wegzuwischen, stank er sicher immer noch nach Müll und dem Lebenssaft eines Menschen. Und auf ein Gespräch war er jetzt wirklich nicht aus.

Mit seinen geschärften Sinnen sah er sich immer wieder um, ohne einen Verfolger festzustellen. Nicht, dass er wirklich erwartete, dass sich jemand für ihn interessierte, aber in den Kreisen, in die er immer wieder eintauchte, musste er stets damit rechnen, dass sich jemand an ihm zu rächen versuchte. Davon konnte diesmal glücklicherweise keine Rede sein.

Er packte sein Handy und das blutige Handtuch in eine Sporttasche, zog den Reißverschluss zu und warf sie sich über die Schulter. Mit leerem Blick ging er in Richtung Haustür, schloss auf und schlich in Richtung Aufzug, der ihn nach kurzer Fahrt in den neunten Stock brachte.

Aus einer der Wohnungen waren laute Stimmen zu hören, in einer anderen wummerte Musik, aber das interessierte ihn nur am Rande. Das einzige, wonach er sich jetzt noch sehnte, war eine ausgiebige Dusche und dass er endlich wieder Sarah in seine Arme schließen konnte. Und insgeheim hoffte er natürlich, dass es ihr genauso ging.

Gerade als er den Schlüssel ins Schloss stecken wollte, wurde die Tür von innen geöffnet. Sarah sah ihn mit ihren großen Augen erst hoffnungsfroh, dann erleichtert an, bevor sie ihm in die Arme fiel.

»Bin ich froh, dass du wieder da bist«, flüsterte sie und zog ihn mit sich in die Wohnung.

»Ich auch.«

Sie klopfte ihm auf den Rücken. »Das riecht man«, flüsterte sie, bevor sie ihm einen Kuss auf die rechte Wange hauchte.

Seine Freundin war immer noch genauso schön wie an jenem Tag in Crieff, als er sie in ihrem Haus besucht hatte. Der schwarze Pferdeschwanz gehörte ebenso zu ihrer typischen Erscheinung wie die leicht geröteten Wangen und der legere Jogginganzug. Trotz der stark belastenden Situation strahlte sie weiterhin etwas Positives aus, dass ihn dazu veranlasste, nicht einfach aufzugeben.

In diesen Minuten wirkte sie trotz ihrer flapsigen Bemerkung unruhig, geradezu nervös. Natürlich machte sie sich Sorgen um ihn, wenn er mal wieder zu einem Auftrag in die Nacht hinausfuhr, andererseits nie so extrem wie jetzt. Oder hatte ihre Unruhe einen anderen Grund?

»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte er, während Sarah ihn durch das – höflich ausgedrückt – kuschelige Wohnzimmer in die Küche führte, wo das Abendessen bereits auf dem Herd stand.

Oder besser gesagt ein Mitternachtssnack, eine Fleischsuppe, wenn er sich nicht ganz täuschte. Wahrscheinlich mit Hackbällchen, so wie er es liebte.

»Dir kann man nicht so leicht etwas vormachen, oder?«

»Du weißt doch, ich kann deine Gedanken riechen.«

Sarah lächelte verlegen. »Ich vergesse manchmal, mit wem ich es zu tun habe.«

Sofort nahm Brandon sie in den Arm. »Manchmal wünsche ich mir, ich hätte diese Fähigkeiten nicht. Aber wenn es jemanden gibt, dem du vertrauen kannst, dann mir. Wenn du nicht mir deine Ängste offenbarst, wem dann?«

»Schon gut, ich sage es dir – wenn du aufgegessen hast.«

»Na gut. Nach der Dusche.«

»Genehmigt.«

Etwa zehn Minuten später saß er wieder am Tisch und genoss das mit viel Liebe zum Detail zubereitete Essen. Sarah mimte nicht immer die umsorgende Hausfrau, oft überließ sie auch Brandon die Küche, der mit dem Kochlöffel mindestens ebenso gut umgehen konnte wie sie.

Außerdem hatte sie nicht immer die Kraft, sich auch mitten in der Nacht um ihn zu kümmern, schließlich versuchte sie sich selbst an das Leben in den Staaten zu adaptieren. Natürlich im Bereich Zivilrecht, weshalb sie auch einen Job als Bürohilfe in einer großen Kanzlei angenommen hatte. Ihr Studium war auf die britischen Gesetze aufgebaut gewesen, da war das amerikanische Rechtssystem natürlich eine völlig neue Welt für sie.

Die Hackbällchen-Kartoffel-Suppe weckte einige müde Lebensgeister in Brandon, vertrieb jedoch nicht die trüben Gedanken. Inzwischen machte er sich nicht nur um die Zukunft Sorgen, sondern auch um Sarah, die zwar mit am Tisch saß und über ihren neuen Job und ihre Kollegen redete, allerdings mit den Gedanken sehr weit weg zu sein schien.

»Was ist los, Sarah?«, fragte er, nachdem der letzte Löffel in seinem Mund verschwunden war.

»Ich weiß es nicht mal genau ...«

Er schüttelte den Kopf. »Das kannst du mir nicht erzählen. Du bist nicht der Typ, der sich von etwas beunruhigen lässt, das er nicht sieht.«

»Vielleicht hat sich das geändert. Ich ... hatte heute das Gefühl, verfolgt zu werden.«

Jetzt war es heraus, und automatisch zog sich etwas in seinem Inneren zusammen. War es tatsächlich jemandem gelungen, seine Spur aufzunehmen, um sich an ihm zu rächen? Und wenn ja, warum hielt sich diese Person nicht direkt an ihn, sondern begann, seine Freundin zu verfolgen?

»Hast du jemanden gesehen?«

»Das ist es ja gerade – ich habe niemanden gesehen, auch keine Schritte oder Stimmen gehört. Trotzdem bin ich mir sicher, dass da jemand war. Die Blicke haben sich wie glühende Nadeln durch meinen Rücken gebrannt, doch jedes Mal, wenn ich mich umgedreht habe, waren da nur Schatten und Dunkelheit.«

»Keine Menschen also?«

Sarah schreckte förmlich auf und starrte ihm direkt in die Augen. »Was willst du damit andeuten? Dass meine Verfolger irgendetwas anderes sind als Menschen? Dämonen?«

»Ich habe keine Ahnung. Es wäre zumindest eine Möglichkeit, nach dem, was Rakk uns so alles mit auf den Weg gegeben hat. Angesichts dessen, was mit mir in Norwegen passiert ist, hätte es mich eigentlich nicht überraschen sollen, dass es da draußen Geschöpfe wie Vampire, Werwölfe und Zombies gib – oder eben lebende Schatten.«

»Was sollte ein lebender Schatten ausgerechnet von mir wollen?«

»Ich weiß es doch nicht. Viel wichtiger ist, dass ich jetzt hier bin und du dir keine Sorgen mehr zu machen brauchst. Was auch auf uns zukommen mag, ich bin für dich da.«

Sarah legte eine Hand auf seine geballte Faust und lächelte.

Es war bereits kurz vor elf, dennoch saßen Bella Tosh und Rakk immer noch in ihrem aussichtsreichen, modern ausgestatteten Büro im 46. Stock des Empire State Buildings. Wie so oft, wenn er nicht wusste, was er tun sollte, ließ der Dienstleister seinen Blick über die Wolkenkratzer der gewaltigen Metropole schweifen, die ihn – zumindest von dieser Position aus betrachtet – an seine Heimat Twilight City denken ließ.

Und wahrscheinlich nicht nur ihn, denn auch seine Partnerin stammte aus dieser in einer anderen Dimension liegenden Stadt, in die sie beide aus sehr unterschiedlichen Motiven sehr gerne noch einmal zurückreisen würden.

Da das aktuell nicht möglich war, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich dem Leben in dieser Welt anzupassen, was ihnen mal mehr, mal weniger gut gelang. Besonders Rakk hatte sich bereits recht gut daran gewöhnt und war dabei, sich in seiner Tarnidentität als zwielichtiger Privatdetektiv Nathaniel Dekker einen mindestens ebenso großen Kundenkreis aufzubauen wie damals in Twilight City.