John Sinclair 2377 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2377 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Es begann mitten in London, im Feierabendverkehr, als ich auf dem Weg nach Hause war. Auf einmal machte mich mein Kreuz auf einen Mann aufmerksam, der am Straßenrand stand.
Als ich aus dem Wagen stieg und mich ihm näherte, ergriff er die Flucht! Doch er lief nicht vor mir davon, wie ich erkannte, als ihn plötzlich ein Schuss traf - und eine goldene Kugel!
Der Attentäter hieß Varanga! Er war Luzifers Kopfgeldjäger, und auf seiner Abschussliste standen Halbengel, die von seinen goldenen Kugeln in Dämonen verwandelt wurden!
Auf einen hatte er es ganz besonders abgesehen: Raniel den Gerechten!

Teil 1 der neuen, mitreißenden John-Sinclair-Trilogie


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Seitenzahl: 138

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Inhalt

Cover

Luzifers Kopfgeldjäger

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

LuzifersKopfgeldjäger

(Teil 1 von 3)

von Rafael Marques

Nach einem viel zu langen, ereignisarmen Arbeitstag, der aus dem Schreiben von Berichten sowie unzähligen Telefonaten bestand, gibt es für einen Yard-Beamten nichts Schöneres, als sich in die schier endlosen Blechlawinen des Feierabendverkehrs zu stürzen. Es folgte das tägliche Hauen und Stechen, Hupen und Drängeln, ohne dass jemand dadurch auch nur eine Minute früher nach Hause kam.

Auch mein Nervenkostüm hat Grenzen, wenngleich ich über die Jahre mit dem Kampf durch Londons Straßenschluchten zu leben gelernt habe. Manchmal juckt es mir dennoch in den Fingern, das Blaulicht auszupacken und mir auf diese Art einen Weg durch die Fahrzeugmassen zu bahnen. Mein Partner Suko war mit der Tube gefahren und sicher längst zu Hause angekommen.

Es war ein ganz normaler Tag ohne besondere Vorkommnisse gewesen. Die Mächte der Finsternis schienen sich eine Pause zu nehmen – bis zu dem Mo‍me‍nt, als sich mein Kreuz meldete ...

Vom Gebäude New Scotland Yard bis nach Soho ist es in der Luftlinie nur ein Katzensprung. Leider war ich nicht mit einem Hubschrauber unterwegs, sondern mit unserem Dienst-Audi, weshalb sich die Fahrt extrem hinzog. Heute erlebte ich den Londoner Verkehr als besonders schlimm, denn wie sich herausstellte, war es auf dem Piccadilly Circus, unweit des Criterion Theater, zu einem schweren Unfall gekommen. Der Rettungswagen, der sich vor wenigen Minuten an mir vorbei gequält hatte, wies bereits darauf hin.

Auf den Gedanke, dass es sich dabei um einen Job für mich handeln könnte, kam ich erst, als mein Kreuz reagierte.

Sofort war ich alarmiert und ließ den Blick über die Häuserfronten mit den zahlreichen kleinen Lokalen, die breiten, beleuchteten Bürgersteige und natürlich auch über die Menschen gleiten. Natürlich dachte ich an einen Angriff, dass sich plötzlich einer der Passanten in einen Dämon verwandelte und sich auf meinen Wagen stürzte. Ich wusste nicht, wie ich den Wärmestoß anders einordnen sollte.

Es nieselte. Ich sah Menschen, die in eine Pizzeria traten und sich vor einem asiatischen Lokal unterhielten, während auf der anderen Straßenseite eine Gruppe Jugendlicher laut lachend vor dem Theater vorbeizog. Nichts davon erschien mir besonders auffällig, wenngleich ich wusste, dass sich das Böse sehr gut zu tarnen weiß. Eine harmlose Fassade bedeutet nicht, dass dahinter keine dämonische Schreckensgestalt lauerte. Zugleich konnte die Bedrohung auch aus der Luft oder gar aus dem Unsichtbaren heraus zuschlagen.

Schließlich blieb mein Blick an einem einsamen Mann in einem schwarzen Mantel hängen, der auf die Straße vor sich starrte und dabei hektisch hin und her schaute. Es schien, als würde er nach etwas suchen.

Je länger ich den etwa dreißig Jahre alten Fremden mit dem haarlosen Schädel betrachtete, desto merkwürdiger kam mir sein Verhalten vor. Gleichzeitig bemerkte ich, dass die Luft hinter ihm, direkt in seinem Rücken, zitterte, als wäre sie elektrisch geladen.

Und dann formten sich dort silbrig schimmernde Gebilde, die Umrisse von gefalteten Flügeln.

Sofort dachte ich an einen Engel.

War der glatzköpfige Mann etwa einer?

Engel sind allgemein als himmlische Wesen bekannt, als Geschöpfe des Guten, die den Menschen wohlgesonnen sind. Ich weiß es jedoch besser. Nicht nur, dass zahlreiche Engelssphären existieren, deren Bewohner oft wenig mit den Geschöpfen gemein haben, wie man sie aus der Bibel kennt. Es gibt auch die Engel der Hölle, die mit Luzifer nach der ersten großen Schlacht in die Verdammnis gestürzt wurden und sich seitdem in seinem Dunstkreis bewegen.

Wenn es sich also bei dem Glatzköpfigen um einen Engel handelte, war die Reaktion meines Kreuzes ein deutlicher Hinweis darauf, dass ich einen der Engel der Hölle vor mir hatte, oder nicht?

Unsere Blicke trafen sich, und ich glaubte sogar, ein übernatürliches Funkeln in seinen Augen zu sehen. Doch statt mich anzugreifen, fuhr er im Stand herum und schritt eilig davon.

So leicht wollte ich den vermutlichen Engel nicht davonkommen lassen. Ich musste mehr über ihn erfahren, deshalb schnallte ich mich ab, sprang aus dem Wagen und nahm die Verfolgung auf.

Dass niemand von dem Glatzkopf Notiz zu nehmen schien, ging ich davon aus, dass die Umrisse seiner Flügel nur für mich sichtbar waren. Mein Kreuz hatte mir seine wahre Gestalt offenbart, und nun musste ich unbedingt herausfinden, worum es sich genau bei diesem Wesen handelte.

Ich drängt mich an einigen Passanten vorbei, sah mich um und entdeckte den Mann, wie er mit den Händen in den Taschen in Richtung Leicester Square eilte. Die Umrisse seiner Flügel waren verschwunden, zudem drehte er sich nicht ein einziges Mal um, während er mir strammen Schrittes zu entkommen versuchte.

Ich sprach ihn nicht an und rief auch nicht nach ihm. Sicherlich wusste der Fremde ganz genau, dass ich ihn verfolgte. Noch immer fiel es mir schwer, sein Verhalten nachzuvollziehen. Ich war mir sicher, dass er nach mir Ausschau gehalten hatte, und nun lief er vor mir davon?

Vorbei an nichtsahnenden Passanten und im Licht der Straßenlaternen eilte ich dem Mann hinterher.

»Oh, Oberinspektor Sinclair!«, vernahm ich plötzlich die Stimme eines jungen Polizisten, der mit seinem älteren Partner auf Streife war.

Ich kannte ihn von einigen Tatorten, war im Moment aber absolut nicht daran interessiert, die Bekanntschaft zu vertiefen. Auch, weil der Glatzköpfige die kurze Ablenkung nutzte, um in einer Gruppe asiatischer Touristen abzutauchen.

Ich hob entschuldigend die Hand, hastete um die Touristengruppe herum und suchte zunächst vergeblich nach dem mysteriösen Engel. Dann entdeckte ich ihn in der Nähe eines Fish & Chips-Ladens, und ich beschleunigte meine Schritte wieder.

Unvermittelt verharrte der Glatzkopf und richtete den Blick auf die andere Straßenseite. Das gab mir Gelegenheit, die Distanz zwischen uns zu überbrücken und ihn endlich zu fassen zu bekommen.

An der Schulter riss ich ihn herum. Sein unsteter Blick haftete sich an mir fest, wobei ich eine seltsame Mischung aus Angst und Erleichterung zu erkennen glaubte.

»Wer sind Sie?«, sprach ich den Fremden an. »Warum haben Sie mich beobachtet?«

»Ich ...«

Der Mann wich ein paar Schritte zurück. Sein Arm zitterte, als er ihn hilfesuchend nach mir ausstreckte und seine Hand dabei auch über mein Kreuz strich. Zu meiner Überraschung reagierte es nicht, und auch der Engel schien von der Berührung eher erleichtert als geschockt zu sein.

Inzwischen zweifelte ich stark daran, dass es sich bei ihm tatsächlich um ein Wesen der Hölle handelte. Aber warum hatte mein Talisman dann reagiert?

»Du bist es wirklich«, hauchte mir der Mann zu und schluckte schwer. »Der Sohn des Lichts.«

Ich nickte bestätigend, blieb im Abstand von knapp einem Meter vor dem Glatzköpfigen stehen und wartete ab, was weiter geschah. Nein, dieser Mann war alles, nur kein Feind oder ein Diener Luzifers, sonst hätte er niemals so einfach mein Kreuz berühren können. Trotzdem war er aus irgendeinem Grund vor mir geflohen.

»Bist du ein Engel?«, fragte ich schließlich.

»Ein Halbengel.«

»Du kennst mich also, bist selbst zum Teil ein Engel und kannst mein Kreuz berühren. Warum bist du dann vor mir weggelaufen?«

Der Mann schüttelte energisch den Kopf, fasste sich an die Brust und starrte mich mit großen Augen an. »Ich bin nicht vor dir geflohen, John Sinclair«, erklärte er, »sondern vor Varanga.«

»Varanga?«

»Luzifers Kopfgeldjäger.«

Mir war der Name ›Varanga‹ völlig unbekannt.

»Wer ...?«, begann ich zu fragen, als ein Schuss krachte ...

Ich hörte überraschte Schreie und sah, wie Menschen in Panik zu allen Seiten spritzten. Dann richtete ich den Blick wieder auf den Halbengel, der sich zusammenkrümmte und beide Hände gegen eine Wunde an seiner Brust presste. Kein Tropfen Blut drang hervor, dafür sah ich aber im Einschussloch einen goldenen Schimmer.

Ich riss meine Beretta hervor und fuhr herum. Angesichts der unter den Passanten ausgebrochenen Panik entdeckte ich keinen Hinweis auf den Attentäter, dafür eilten nun die beiden Streifenpolizisten auf mich zu.

»Suchen Sie nach dem Schützen!«, wies ich sie an, da ich mich um den Halbengel kümmern wollte. »Aber greifen Sie ihn nicht an!«

Der mir bekannte Beamte nickte eilig. »Haben Sie eine Beschreibung?«

»Nein.«

Ich wandte mich wieder dem Glatzköpfigen zu, der inzwischen zusammengebrochen war und reglos auf dem Bauch lag. Ich sah mich noch einmal schnell um, da das Kreuz weiterhin eine gewisse Wärme abgab. Der Halbengel war dafür sicherlich nicht verantwortlich, also musste sich der Attentäter noch irgendwo in der Nähe aufhalten.

Ob das Geschoss wirklich für den Halbengel oder eher für mich bestimmt gewesen war, war mir noch nicht ganz klar.

Ich ging in die Knie und drehte den Angeschossenen vorsichtig auf den Rücken. Die Kugel hatte eine faustgroße Wunde in die Brust des Mannes gerissen, aus der weiterhin ein goldener Schimmer trat. Seine Augen waren weit aufgerissen und starr, sodass ich davon ausging, dass er nicht mehr lebte.

Trotzdem begann sich die Leiche plötzlich wieder zu bewegen. Sie zuckte ekstatisch, als würde sie aus dem Unsichtbaren von elektrischen Schlägen traktiert werden. Zudem legte sich nach und nach eine goldene, pudrige Schicht auf die Haut, die ihren Ursprung wohl in der Wunde hatte. Womöglich steckte dort ein goldenes Geschoss, das für diese seltsame Veränderung verantwortlich war.

Die fremde Kraft kroch auch unter die Haut. Unzählige kleine Würmer schienen sich durch den Körper zu ringeln und sorgten dafür, dass sich die Proportionen des Gesichts nicht nur veränderten, sondern auch die Haut verfärbte und eindunkelte. In die starren Augen des Toten trat ein goldener Glanz, der zu dem aus der Wunde dringenden Licht passte.

Automatisch musste ich an die tiefere Bedeutung von Gold denken, an die Macht, die es auf Menschen ausübt. Auch der Teufel und andere Dämonen hatten das erkannt und nutzten die Eigenschaften von Gold für ihre Zwecke, wie mir in der Vergangenheit schon mehrere Male vor Augen geführt worden war.

In diesem Fall sorgte es für eine unheimliche Veränderung des Halbengels, dessen aus feinem Gespinst bestehende Flügel nun wieder für mich sichtbar wurden. Wie auch die Haut dunkelten sie ein und veränderten ihre Form, sodass ich schließlich auf die pechschwarzen, ledrigen Schwingen einer Fledermaus blickte.

Auch die Hände veränderten sich derartig, dass ich für einen Moment an die Kreaturen der Finsternis denken musste. Die Dämonen mit den zwei Gesichtern verbargen ihre wahre Identität hinter einer menschlichen oder tierischen Tarnung, und ein ähnliches Phänomen erlebte ich auch hier. Aus einem glatzköpfigen Mann mit einem unscheinbaren, blassen Gesicht wurde ein braunhäutiges, dämonisches Monstrum mit Echsenmaul und spitzen Raubtierzähnen, kurzen, aus der Stirn ragenden Hörnern und den Klauen eines Raubvogels. Ein bizarrer, abstoßender Anblick, zu dem der grüne, übelriechende Geifer passte, der zwischen den Zähnen hervorrann.

Lediglich die Augen waren von der menschlichen Gestalt des Halbengels geblieben, wenngleich sie ebenfalls diesen goldenen Glanz aufwiesen, der letztendlich für die Veränderung verantwortlich war.

Der Körper bäumte sich erneut auf, woraufhin die Klauen in meine Richtung zuckten. Ich wusste, dass es an der Zeit war zu handeln, weshalb ich nicht weiter zögerte und das Kreuz auf das dämonische Geschöpf fallen ließ.

Als wäre es von einem glühenden Eisen getroffen worden, brüllte das Monstrum auf, zuckte von einer Seite zur anderen und versuchte verzweifelt, dem hellen Strahlenkranz zu entkommen, der mein Kreuz umgab. Es blieb auf seiner Brust haften wie ein Magnet auf Eisen, und Lichtschwertern gleich schnitten seine Strahlen in die braune, ledrige Haut und sorgten dafür, dass sie zunächst durchscheinend wurde und sich bald ganz auflöste. Das galt auch für das Fleisch und die Knochen, sodass von dem dämonischen Geschöpf innerhalb weniger Sekunden nichts mehr übrig blieb.

Als der weite Mantel in sich zusammensackte, entstand ein seltsames Geräusch, als wäre etwas Hartes auf das Pflaster herabgefallen. Sofort griff ich in das Einschussloch und zog etwas hervor, dessen Anblick mich zwar nicht direkt überraschte, allerdings mehr Fragen aufwarf als beantwortete. Es handelte sich um eine deformierte, goldene, schwach leuchtende Pistolenkugel, die den Halbengel nicht nur getötet, sondern auch in einen Dämon verwandelt hatte.

Dieses Wesen war vernichtet, doch ich ahnte bereits, dass damit meine Probleme erst anfingen ...

Etwa eine halbe Stunde später war der Verkehr zwischen der Coventry Street und dem Piccadilly Circus endgültig zum Erliegen gekommen. Die Polizei hatte das gesamte Areal geräumt und gesperrt. Terrorismus ist in ganz Großbritannien immer noch ein sehr sensibles Thema, und wenn an einer weltbekannten Stelle wie dem Bereich zwischen dem Circus und dem Trocadero Centre Schüsse fallen– oder in diesem Fall auch nur einer –, erwartet die Öffentlichkeit ein entschiedenes Einschreiten.

Sogar Sir James war direkt vom Yard aus zum Ort des Geschehens gefahren. »Haben Sie von den Kollegen noch etwas Neues erfahren?«, fragte er mich nach einer kurzen Begrüßung.

Ich beobachtete die Kollegen der Spurensicherung dabei, wie sie in gewohnter Souveränität ihrer Arbeit nachgingen und dabei nicht nur die Kleidung des verschwundenen Toten untersuchten, sondern auch die andere Straßenseite, wo vermutlich der Todesschütze gestanden hatte. Während ich ihnen beide zuschaute, berichtete ich Sir James von mehreren unterschiedlichen Zeugenaussagen, deren einzige Gemeinsamkeit eine schattenhafte Gestalt war, von der niemand wusste, was nach dem Schuss aus ihr geworden war.

In meiner linken Hand hielt ich das inzwischen eingetütete, deformierte Geschoss, dessen goldener Glanz dafür sorgte, dass mein Kreuz noch immer nicht ganz erkaltet war. »Ein .357er Magnum-Kaliber. Wurde offenbar aus einem Revolver abgefeuert, sonst hätten die Kollegen die Geschosshülse gefunden, die ja bei einer Pistole ausgeworfen wird.«

Sir James nahm die Kugel in Augenschein. »Das Leuchten ist nicht normal.«

»Deshalb habe ich auch gegen das Protokoll gehandelt und die Kugel behalten. Wenn sie dazu in der Lage ist, einen Halbengel in einen Dämon zu verwandeln, was könnte sie dann bei einem Menschen anrichten?«

»Gut mitgedacht, John«, lobte mich der Superintendent. »Was fällt Ihnen zu einem solchen Vorfall ein?«

»Dass hier eine höllische Kraft Jagd auf Engel oder Halbengel macht. Ich habe zwar noch nie etwas von Luzifers Kopfgeldjäger gehört, aber die Bezeichnung spricht für sich.«

»Könnte es auch einen Zusammenhang zu den Unheilsbringern geben?«

Die Frage meines Chefs ließ mich zunächst irritiert die Augenbrauen heben. Bei einem Halbengel und einer direkten Verbindung zur Hölle wäre mir diese Gruppierung nicht in den Sinn gekommen. Aus den Erben Rasputins hervorgegangen, standen sie inzwischen unter Pandoras Schutz und Kontrolle, was sie eher noch gefährlicher machte. Tötete man eines ihrer Mitglieder, verwandelte es sich in ein schreckliches Monstrum, und genau dieser Umstand hatte Sir James sicher zu dieser Frage verleitet.

»Mein Bauchgefühl sagt etwas anderes«, antwortete ich schließlich. »Aber ausschließen will ich es auch nicht.«

»Und wie wollen Sie jetzt weiter vorgehen?«

Ich seufzte. »Den Feierabend kann ich wohl vergessen«, resümierte ich. »Ich schaue den Kollegen der Spurensicherung über die Schulter und fahre dann zurück zum Yard. Suko ist bereits auf dem Weg hierher. Er freut sich bestimmt, spät am Abend und durch vollgestopfte Straßen seinen BMW mal wieder ein wenig auszufahren.«

Nachdem sich Sir James verabschiedet hatte, blieb ich noch einige Zeit auf der Stelle stehen und vergrub die Hände in den Taschen meiner Jacke. Noch einmal liefen die Bilder der vergangenen Minuten vor meinem geistigen Auge ab. Ich erlebte die Erwärmung meines Kreuzes, die Verfolgung des Halbengels und den alles verändernden Schuss. So wie der Glatzköpfige und ich gestanden hatten, wäre es für den Schützen ein Leichtes gewesen, mich zu treffen, stattdessen war der Halbengel als Ziel ausgewählt worden.

Die Frage war, wieso? Warum er und nicht ich? Eine Gestalt, die ›Luzifers Kopfgeldjäger‹ genannt wurde, musste eigentlich wissen, wer ich war. Und warum sollte jemand einen Halbengel ausgerechnet mit einer Kugel töten, die den Getroffenen in einen Dämon verwandelte?

Unter Umständen sah ich die ganze Sache auch aus einer völlig falschen Perspektive. Schon in der Vergangenheit war mein Talisman mehrmals von der anderen Seite manipuliert worden, vor allem, wenn Wesen wie Luzifer, Lilith oder Engel allgemein involviert waren. Wenn dem so war, hätte es sich bei dem Glatzköpfigen genauso gut auch um eine Kreatur der Finsternis oder ein völlig anderes Geschöpf handeln können, was die ganze Sache nur noch rätselhafter machen würde.

»Hey, John, schon eingeschlafen?«, riss mich eine mir wohlbekannte Stimme aus den Grübeleien.

Ich blinzelte und sah zu Suko herüber, der im Licht einer Straßenlaterne stand und mich angrinste.

»Wie lange stehst du schon da?«, fragte ich.

»Lange genug, um zu sehen, dass du entweder gelernt hast, mit offenen Augen zu schlafen, oder dass dich irgendetwas stark beschäftigt. Da du nicht umgekippt bist, tippe ich auf die zweite Möglichkeit.«

»Da könnte etwas dran sein.«

»Willst du darüber reden?«

Ich hielt noch einmal die goldene Revolverkugel in die Höhe. »Davon kannst du ausgehen.«

Etwa zwanzig Minuten später fuhren wir per Aufzug zu unserer Abteilung. Glendas Platz war verwaist, und da sie nicht damit gerechnet hatte, dass wir noch einmal an diesem Tag zurückkehren würden, war die Kaffeekanne gähnend leer.

»Denk nicht mal daran, dir selbst einen Kaffee zu kochen«, warnte mich Suko. »Das Gebräu ist pures Gift. Nimm lieber einen Tee, so wie ich.«