1,99 €
Mein Abenteuer in Deutschland war noch nicht beendet - im Gegenteil, es schien erst zu beginnen!
Dagmar Hansen und ich befanden uns noch auf dem Hof der Grundmanns, auf dem die Polizei die Spuren sicherte, als Kommissar Ziegler schreckensbleich auf uns zukam und hervorstieß: "Der Rettungswagen, der Ihren Kollegen Harry Stahl ins Krankenhaus bringen sollte, wurde überfallen, und es gab einen Toten!"
Das war erst der Auftakt zu einem nervenaufreibenden Fall, in dessen Mittelpunkt die unheimliche ›Frau in Weiß‹ und lebende Tote standen - und in dem ein alter mächtiger Feind wieder aus der Finsternis auftauchte!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Sie trank ihre Qualen
Ian Rolf Hill’s Leserseite
Vorschau
Impressum
Sie trank ihre Qualen
von Rafael Marques
Als Rettungssanitäter muss man gewissen Umständen schon hartgesotten gegenübertreten. In den zehn Jahren, in denen Markus Schäfer diesen Job nun bereits ausübt, war er viel zu oft mit menschlichen Abgründen, mit Trauer, Schmerz und sogar blankem Hass konfrontiert worden. Mit Toten, Sterbenden und Leuten, die sich gar nicht helfen lassen wollten und ihn sogar körperlich angingen.
Der Einsatz, zu dem sein Kollege David März und er an diesem Abend gerufen worden waren, würde ihm ebenso im Gedächtnis bleiben. Auf dem Grundmann-Hof war etwas vorgefallen, offenbar ein Gewaltverbrechen.
Zwei Verletzte hatte es gegeben, eine junge Frau und einen Mann, der angeblich für das Bundeskriminalamt arbeitete und nun von Markus und David ins Krankenhaus transportiert wurde. Abgesehen von den offensichtlichen Prellungen und einer vermuteten Gehirnerschütterung haftete ihm ein extremer Verwesungsgeruch an, der bereits bis in die Fahrerkabine strömte.
Markus grübelte noch immer darüber nach, als etwas geschah, das dafür sorgte, dass sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
Wie aus dem Nichts trat eine junge Frau auf die Landstraße und versperrte dem Rettungswagen den Weg!
Es war eine wunderschöne dunkelhaarige Frau in einem strahlend weißen Gewand, die sich mitten auf der Fahrbahn postierte und verträumt ins Scheinwerferlicht lächelte.
Markus trat hart auf die Bremse, wodurch der Wagen ein wenig ins Schleudern geriet und nur wenige Meter vor der Fremden zum Stehen kam.
»Was soll das denn?«, stieß David fassungslos hervor.
Während sein Kollege noch an dem Gurt nestelte, sprang Markus schon aus dem Wagen. Er dachte bereits darüber nach, gerade einen Selbstmordversuch erlebt zu haben, wenngleich die Mimik der Frau eher darauf hindeutete, dass sie geistig nicht ganz bei der Sache war. In der Nähe gab es allerdings weder eine Suchtklinik noch ein Heim, aus dem sie ausgebrochen sein könnte. Das nächste Krankenhaus, zu dem sie ja unterwegs waren, befand sich im Norden von Celle.
»Hören Sie, was ...?«, wollte er die Frau ansprechen, als er ihr mehr zufällig in die Augen sah. In den Pupillen lag ein seltsamer Glanz, in gewisser Weise sehnsuchtsvoll, zugleich auch gierig.
Geisterhaft tänzelte sie über den Asphalt auf ihn zu, strich über seinen Dienstoverall und baute sich direkt vor ihm auf.
Er schätzte die Frau auf allerhöchstens Mitte zwanzig. Ihr Gesicht wies einen etwas blassen Teint auf, ansonsten waren die Züge fein geschwungen, ebenso die kleine Nase und die dünnen Augenbrauen. Ihre Lippen stachen etwas deutlicher hervor, wenn auch nicht so, als wären sie aufgespritzt.
Etwas ging von ihren Augen aus, dem er sich nicht zu entziehen vermochte.
Auch die Fremde schien sich für ihn zu interessieren, jedenfalls strich sie ihm liebevoll über die Wangen, drückte sich an ihn und atmete tief ein und aus.
»Schade«, hauchte sie ihm ins Ohr, »dir geht es ja wirklich gut.«
»B-Bitte?«
Ohne seine Frage zu beantworten oder ihn überhaupt weiter zu beachten, wandte sich die Dunkelhaarige von ihm ab.
Auch Markus' fünf Jahre jüngerer, gertenschlanker Kollege stand wie zur Salzsäule erstarrt auf der Straße und beobachtete wortlos, wie die Frau ihn passierte, ohne ihn weiter zu beachten.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Markus wieder in der Lage war, sich zu bewegen. Etwas benommen drehte er sich um und sah David in die Augen, der noch immer wie weggetreten war. Was hatte er gerade bloß erlebt? Eine Frau, die sich nicht nur äußerst seltsam verhielt, sondern auch noch einen geradezu hypnotischen Blick hatte, mit dem sie in der Lage war, Männer zur Bewegungsunfähigkeit zu verdammen? Sie mochte zwar attraktiv sein, jedoch nicht so schön, dass er völlig die Kontrolle über sich verloren hätte.
In seinem Kopf rauschte es noch ein wenig, als er der Fremden zu folgen begann und dabei den Rettungswagen umrundete.
Die hinteren Türen standen weit offen, und aus dem Innenraum drang ein unverständliches Flüstern. Verwundert stellte Markus fest, dass die Frau in dem weißen Gewand neben dem Mann auf der Krankentrage stand, einem BKA-Beamten, der offenbar bei einem Einsatz am Kopf verletzt worden war.
Der penetrante Leichengeruch schien ihr nichts auszumachen, im Gegenteil, sie lächelte sogar, während sie Harry Stahl über die Wangen strich.
Erst auf den zweiten Blick bemerkte Markus, dass die Luft zwischen den Gesichtern des Beamten und der Fremden flimmerte. Etwas manifestierte sich dort, vielleicht eine Art Fluidum, das in einem Strudel über die Lippen der Dunkelhaarigen glitt und kurz darauf verschwand.
Auf keinen Fall wollte Markus, dass diese Frau seinem Patienten etwas antat. Entsprechend entschlossen schwang er sich in den Innenraum, packte sie an den Schultern und zog sie von Harry Stahl fort.
Ein spitzer Schrei fegte aus dem Mund der Dunkelhaarigen, die sich aus seinem Griff losriss, herumwirbelte und Markus mit verzerrten Zügen anstarrte. Von ihrer einnehmenden Schönheit war nichts geblieben, ebenso wenig von der eben gezeigten Zuneigung ihm gegenüber.
Wieder fuhren die Hände der Fremden in die Höhe, nur legten sie sich diesmal um Markus' Hals.
Erbarmungslos drückten die Finger zu, sodass der Sanitäter keine Luft mehr bekam. Er röchelte und versuchte verzweifelt, die Hände der Frau von seiner Kehle zu lösen, doch so sehr er sich auch anstrengte, ihre Kräfte waren seinen weit überlegen.
Nach und nach erlahmten seine Bewegungen, bis die Schwärze des Todes nach ihm griff ...
Unser Abenteuer nahe Dasselsbruch war im Prinzip beendet, dennoch fing die Arbeit gerade erst an. Nur nicht für Dagmar Hansen und mich, sondern für die lokale Polizei unter der Führung von Hauptkommissar Ziegler.
Das zufriedene, geradezu herablassende Grinsen unseres niedersächsischen Kollegen, mit dem er uns bei seiner Ankunft bedacht hatte, ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ganz so, als wollte er uns damit vor Augen führen, dass es ein großer Fehler gewesen war, seine Kollegen und ihn von den Ermittlungen auszuschließen. Nun musste er selbst die Leichen bergen, die die Ghouls und ihre Helfer auf dem Hof hinterlassen hatten.
Hinter Dagmar und mir lagen wahrlich schreckliche Stunden, vor allem, was die rothaarige Ermittlerin betraf. Bei dem Versuch, in zahlreichen Vermisstenfällen einer verdächtigen Prostituierten namens Claudia Grundmann auf die Spur zu kommen, deren Wohnwagen stets von einem Leichengeruch umweht wurde, war Harry Stahl in die Gewalt eines offenbar geisteskranken Geschwisterpaars geraten. Diese hatten einem Ghoul von einem nahen, überschwemmten und eingesackten Friedhof nicht nur Unterschlupf gewährt, sondern auch mit Nahrung versorgt.
Der Leichenfresser war sogar in der Lage gewesen, Ableger zu erschaffen, unter anderem auch ein Exemplar, dass von dieser Claudia Kevin getauft worden war – nach Kevin Costner, der in dem gleichnamigen Film den Bodyguard für Whitney Houston gespielt hatte.*
Die exakten Hintergründe der Verbindung zwischen den Grundmanns und den Kreaturen würden wohl für immer im Dunkeln bleiben, da sowohl Claudia als auch ihr Bruder Marko ums Leben gekommen waren.
Doch wir – und vor allem Harry – konnten uns auf die Fahne schreiben, eine junge Frau namens Lotte Kirschner gerettet zu haben. Sie war ebenso von einem Krankenwagen abgeholt worden wie Erna Grundmann, die demente Großmutter der Geschwister, die an Harrys Rettung nicht ganz unbeteiligt gewesen war.
Nun blieb Dagmar und mir nichts anderes mehr zu tun, als unsere Kollegen dabei zu beobachten, wie sie die Spuren sicherten. Bevor wir Ziegler alarmiert hatten, waren wir noch einmal alle Stellen abgegangen, an denen Harry mit dem Leichenfresser und seinen Ablegern zusammengestoßen war, um sicherzustellen, dass sich hier keine weiteren der widerlichen Dämonen versteckt hielten.
Der Fall war also im Prinzip beendet, dennoch blieb eine Frage oder vielmehr eine seltsame Beobachtung offen. Mehrmals war Dagmar – erst auf der Fahrt und später in der unmittelbaren Umgebung – auf eine seltsame Frau in einem weißen Gewand gestoßen, die einfach durch ihr Auftreten in ihren Fokus geraten war. Beide Male war sie kurz darauf spurlos verschwunden.
Ein Zeuge aus Dasselsbruch hatte Dagmar berichtet, die Frau auch schon mehrfach gesehen zu haben, wobei sie ihm ein wenig unheimlich vorgekommen war. Auch weil sein Hund bei ihrem Anblick sofort in Panik geraten war. Seit fünf bis sechs Monaten wurde sie immer wieder in der Gegend beobachtet, also ziemlich exakt seit der Zeit, in der der Ghoul bei den Grundmann-Geschwistern untergekommen war. Ein merkwürdiger Zufall ...
»Du denkst immer noch über die Sache mit der Weißen Frau nach, nehme ich an«, sprach mich Dagmar an. Offenbar machte ich einen recht grüblerischen Eindruck.
Wie sie lehnte ich an dem Opel Insignia meiner deutschen Freundin. Eigentlich hatte sie längst dem Krankenwagen in Richtung Celle folgen wollen, doch etwas hielt sie davon ab. Wahrscheinlich dasselbe wie mich.
»Ich schätze, du auch, oder?« erwiderte ich.
»Du hast sie ja nicht gesehen, ich schon. Etwas sagt mir, dass hinter ihrem Erscheinen mehr steckt als bloßer Zufall, aber bisher ist es nur ein Bauchgefühl. Komisch ist es aber schon, besonders weil ihr Erscheinen exakt mit der Zeit zusammenfällt, in der die Leichenfresser bei den Grundmanns untergekommen sind.«
Das waren so ziemlich auch meine Gedanken gewesen, aber bevor ich das Dagmar gegenüber äußern konnte, bemerkte ich, dass unter den Polizisten im Bereich des Hofes Unruhe entstand. Zwei Uniformierte hechteten davon, kurz darauf trat Hauptkommissar Ziegler aus dem Wohngebäude und kam mit schnellen Schritten in unsere Richtung gelaufen.
Der Beamte, dessen grauer Schnauzbart sofort ins Auge stach, war inzwischen ziemlich blass geworden. »Es ist etwas passiert!«, stieß er gehetzt hervor. »Der Rettungswagen, der Ihren Kollegen ins Krankenhaus bringen sollte, wurde überfallen, und es gab einen Toten!«
Ich bin sicher, dass auch Dagmar und ich nach diesen Worten ziemlich blass wurden ...
Den ersten Schock hatten wir verdaut, als wir nach kurzer Fahrt die Polizeiabsperrung in der frühabendlichen Dunkelheit entdeckten. Zieglers Worte waren etwas missverständlich herübergekommen, denn bei dem Toten handelte es sich nicht um Harry Stahl, sondern um einen der beiden Rettungssanitäter.
Offenbar war er erwürgt worden, doch die genauen Umstände lagen für uns noch im Dunkeln.
Die Polizisten ließen uns passieren. Der Rettungswagen stand mitten auf der Fahrbahn, dank der Scheinwerfer war auch die Bremsspur zu erkennen, die er quer über den Asphalt hinter sich herzog. Offenbar war dem Krankentransport aufgelauert worden, was mir einen Schauer über den Rücken rinnen ließ.
Hinter uns quietschten Reifen. Hauptkommissar Ziegler war uns gefolgt, sprang aus dem Wagen und versuchte hektisch, sich einen Überblick zu verschaffen.
Währenddessen führte uns eine seiner uniformierten Kolleginnen zu dem Toten, der noch immer am Fuß des Einstiegs lag. Die Krankentrage aber war leer, da Harry von einem älteren Beamten aus dem Fahrzeug geführt worden war und am Straßenrand hockte.
Während Dagmar sich sofort um ihren Partner kümmerte, sah ich mir den Toten genauer an. Ich hatte mich kurz mit dem Sanitäter unterhalten, bevor Harry abtransportiert worden war. Er war mir recht sympathisch gewesen, mehr konnte ich über den etwa 35 Jahre alten Mann nicht sagen. An seinem Hals zeichneten sich einige Rötungen und Kratzer ab, die offensichtlich von den Händen seines Mörders stammten.
»Wir haben eine Zeugenaussage«, rief mir Ziegler gehetzt zu, der völlig außer Atem war, als er an meine Seite trat. »David März, der Kollege des Opfers, hat die Tat zwar nicht beobachtet, aber er weiß, wer der Mörder ist.«
»Und wer ist es?«
»Eine dunkelhaarige Frau in einem weißen Gewand.«
Ich erschauderte, als Ziegler mir auch den Rest der Zeugenaussage wiedergab. Der überlebende Sanitäter saß in einem der Streifenwagen und stand offenbar unter Schock, weshalb der Hauptkommissar mir davon abriet, ihn noch einmal zu befragen.
Plötzlich sah ich Dagmars Beobachtungen in einem völlig neuen Licht. Es wäre übertrieben, zu behaupten, dass ich sie bisher auf die leichte Schulter genommen hatte, allerdings war mir nicht einmal ansatzweise die Gefahr bewusst gewesen, die von dieser Frau ausging.
Von Ziegler erfuhr ich nun, dass sie völlig unvermittelt auf die Straße getreten war, um den Transport zu stoppen und die beiden Sanitäter zu hypnotisieren. Anschließend war sie zu Harry in den Innenraum gestiegen. Was dort geschehen war, würde mir mein deutscher Freund und Kollege hoffentlich sagen können.
»Schade, dir geht es ja wirklich gut«, fügte der Hauptkommissar am Ende seines Berichts noch hinzu.
»Bitte?«
»Das hat die Frau zu Markus Schäfer gesagt, als sie ihn hypnotisiert und seine Wangen gestreichelt hat«, lieferte mir Ziegler nachträglich eine Erklärung. »Was ist das denn für eine Aussage? Hätte sie sich gefreut, wenn er krank oder traurig gewesen wäre?«
Ich blinzelte. »Das ist eine wirklich gute Frage«, gestand ich.
Unser Gespräch wurde unterbrochen, als Dagmar Hansen an meine Seite trat. Ich wollte sie fragen, wie es Harry ging, ihr Gesichtsausdruck irritierte mich allerdings derart, dass mir die Worte im Halse stecken blieben. Mir kam sie so vor, als hätte sie einen Geist gesehen, wobei ich allerdings nicht an die ›Weiße Frau‹ dachte.
»Du musst mit Harry reden«, ächzte sie und schüttelte fassungslos den Kopf. »Er erinnert sich nicht mehr.«
»An die Begegnung mit der Frau?«
»Nein, an gar nichts!«, antwortete Dagmar und fuhr sich nervös durchs Haar. »Er weiß noch, wer ich bin, dass wir zusammenleben und beim BKA arbeiten, ansonsten hat er keine Erinnerungen mehr an die Fälle, die wir bearbeitet haben – insbesondere nicht an die, bei denen wir auf Dämonen getroffen sind. Selbst von den Ghouls, den Grundmanns und Lotte Kirschner weiß er nichts mehr.«
»Das gibt's nicht!«
Ich griff nach meinem Kreuz, zog es hervor und eilte auf Harry zu, der verwundert zu mir aufblickte und nicht zu verstehen schien, was eigentlich mit ihm geschah.
»John, du bist es!«, rief er und lächelte dabei gequält. »Dagmar hat mir so viele komische Fragen gestellt, die ich ihr nicht beantworten konnte. Ich weiß nicht mal, warum ich solche Kopfschmerzen habe und stinke, als hätte ich 'ne Weile unter der Erde gelegen.«
Mit dem Kreuz in der Hand ging ich neben meinen alten Freund in die Hocke. Es hatte sich tatsächlich leicht erwärmt, doch als ich meinen Talisman mit Harry in Kontakt brachte, geschah nichts.
»Was ist denn das für ein Ding?«, fragte der BKA-Sonderermittler sogar.
Es kommt selten vor, dass mir sprichwörtlich die Spucke wegbleibt, doch ich fand keine Erklärung für das, was hier gerade geschah. Harry, mit dem ich schon so viele Abenteuer erlebt und Dämonen, Vampire, Werwölfe und Kreaturen der Finsternis zur Strecke gebracht hatte, kannte mich zwar noch, wusste aber nicht mal, was mein Kreuz war. Ganz so, als hätte ihm jemand einen speziellen Teil seiner Erinnerung genommen.
Schade, dir geht es ja wirklich gut ...
Die Aussage der mysteriösen Frau in Weiß durchzuckte mich wie ein Blitz. Aus irgendeinem Grund war sie über den positiven Gemüts- oder Gesundheitszustand des Sanitäters enttäuscht gewesen, folglich stellte sich die Frage, was wohl beim Kontakt mit Harry geschehen war. In den letzten Stunden hatte er Schreckliches mitgemacht und einiges einstecken müssen, und auch sonst waren ihm viele Fälle an die Nieren gegangen, so wie bei mir auch.
Ich erinnerte mich auch an einen Fall, während dem er vor vielen Jahren unter Liliths Einfluss geraten war und einen Menschen erschossen hatte. Anschließend hatte er nicht mehr als Polizist arbeiten dürfen und war vorübergehend als Privatdetektiv tätig gewesen.*
Genau darauf sprach ich meinen Freund nun an. »Erinnerst du dich, wieso du von der Leipziger Polizei suspendiert wurdest?«
Harry blickte verwundert zu mir auf. »Wie kommst du denn bitte gerade jetzt darauf?«
»Versuch einfach, dich zu erinnern.«
»Ja, gut.« Harrys Blick richtete sich nach innen, bis er kurz darauf den Kopf schüttelte und auf seine Handteller starrte. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, John. Das verstehe ich nicht, wirklich nicht. Mein Gott, ich weiß noch, was für ein einschneidendes Ereignis es war, dass ich meinen Job verloren habe und als Privatschnüffler arbeiten musste, trotzdem fällt mir der Grund dafür nicht mehr ein. Was ist mit mir passiert? Was, verflucht?«
Ich sah, wie Harrys Kopf hochrot anlief und ihm der Schweiß aus allen Poren brach. Sofort eilte auch Dagmar herbei und versuchte gemeinsam mit mir, ihn zu beruhigen.
Glücklicherweise waren inzwischen weitere Rettungswagen eingetroffen, sodass es nicht lange dauerte, bis auch Sanitäter zu dem BKA-Ermittler eilten und sich um ihn kümmerten. Ich hörte noch, dass er einen Schock erlitten haben könnte, dann brachte man ihn auch schon zu einem Rettungswagen.
»Ich bleibe bei ihm«, erklärte Dagmar, sah mich an und erntete ein Nicken.
So blieb ich schließlich allein zurück und wusste nicht, was ich noch sagen sollte.