John Sinclair 2425 - Rafael Marques - E-Book

John Sinclair 2425 E-Book

Rafael Marques

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Beschreibung

Auf dem Hof des alten Landguts kamen die fünf Männer zusammen. Ihr alle drei Jahre stattfindendes Treffen war Teil eines Rituals, das sie regelmäßig durchführen mussten.
Auf der Rückseite des über zweihundert Jahre alten Hauses befand sich eine Tür und hinter ihr eine Treppe, deren steinerne Stufen sie hinabschritten. Sie erreichten einen düsteren Kellerraum, wo ein etwa dreißig Jahre alter Mann an die Wand gekettet war. Hilflos und wimmernd sah er mit an, wie die fünf Männer ihre Kleidung ablegten und sich dann mehr und mehr verwandelten. Fünf hässliche fettleibige Geschöpfe mit dunkelgrüner, von Pusteln und Krampfadern überzogener Haut kamen zum Vorschein.
In der Mitte des Raums stand ein massiver runder Holztisch, auf dem bereits Teller standen und Messer, Macheten, Spieße, Dolche und Äxte bereitlagen. Das Blutfest der Aibon-Monster konnte beginnen ...

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Seitenzahl: 153

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

Blutfest der Aibon-Monster

Briefe aus der Gruft

Vorschau

Impressum

Blutfest derAibon-Monster

von Rafael Marques

Markus Gensler tat das, was er liebte, in der Region, die er seine Heimat nannte.

So oder ähnlich beschrieb er seinen Freunden und Bekannten gerne seinen Job als Förster. Dass ihm der Wunsch, sich um die Wälder der Mecklenburger Seenplatte zu kümmern, quasi von seinem Vater in die Wiege gelegt worden war, ließ er nicht gelten. Immerhin hatten seine Eltern ihm die Wahl gelassen und ihn sogar gebeten, nach einer höheren Position im öffentlichen Dienst zu streben. Doch er sehnte sich nach einer Tä‍tigkeit, bei der er direkt mit der Natur in Kontakt war. Und so hatte er sich eben – wie schon sein Vater – beim Forstamt Wredenhagen zum leitenden Förster des Reviers Röbel hochgearbeitet.

Normalerweise genoss er seine spätabendlichen Spaziergänge, die ihn von seinem mitten im Wald gelegenen Haus in das von Buchen und Tannen dominierte Glienholz führten, ein leicht erhöht in der ansonsten flachen Landschaft liegendes Naturschutzgebiet.

Diesmal aber war alles anders, und er wusste nicht einmal, woran es lag. Sicher nicht nur am kühlen Wind, der über den auch bei Wanderern beliebten Weg strich. Es lag wohl an einem Gefühl, das ihn schon seit einigen Minuten gepackt hatte.

Jemand beobachtete ihn ...

Der Wald war natürlich nicht vollkommen düster.

Markus bewegte sich durch eine sternenklare Nacht, in der sich das Licht des Halbmondes seinen Weg durch das Geäst des teils schon sehr alten Baumbestandes bahnte. So war er auch in der Lage, die Wurzeln rechtzeitig zu sehen, die auf diesem Trampelpfad überall aus dem Boden ragten. Und er nahm auch gewisse Bewegungen aus größerer Entfernung wahr.

Er wusste, dass er sich auf seine geschärften Sinne verlassen konnte. Seit dem Tod seines Vaters lebte er allein in dem jahrhundertealten Haus im Wald, lauschte den ganzen Tag dem Gesang der Natur und sah sich selbst als Teil der Umwelt, die von ihm gehegt und gepflegt wurde. Er kannte beinahe jeden Baum, besonders die älteren Exemplare, ebenso die beim Wild besonders beliebten Zonen, in denen er in der Nacht manchmal einen Hochsitz bezog, um die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten.

Manchmal glaubte er auch in dieser Nacht, aus den Augenwinkeln Schatten zu beobachten. Allerdings zeigten diese nicht das typische Verhaltensmuster von Rehen oder Wildschweinen. Bemerkten ihn die Tiere, erstarrten sie normalerweise oder ergriffen die Flucht.

Doch jetzt gewann er immer mehr den Eindruck, von den Schatten verfolgt zu werden. Ganz auszuschließen war das nicht, immerhin gab es im Bereich des Müritz-Nationalparks und überhaupt in der Mecklenburgischen Seenplatte mehrere registrierte Wolfsrudel. Dass sie ihn jedoch als Jagdobjekt ausgesucht hatten, schloss er aus. Bisher waren keine Übergriffe auf Menschen bekannt geworden, schon eher auf Nutzvieh wie Schafe und Ziegen.

Trotzdem trug er zu seiner eigenen Sicherheit stets ein Repetiergewehr bei sich, wenn er in der Nacht auf Patrouille ging.

Es gab niemanden, den er angesichts seines Verdachts um Hilfe hätte bitten können, ohne sich lächerlich zu machen. Seine drei Mitarbeiter schliefen tief und fest, Jochen, sein einziger und seit der gemeinsamen Schulzeit bester Freund, weilte gerade auf den Malediven, und zu Hause erwartete ihn lediglich seine Katze Mia. Die wichtigste Frau in meinem Leben –so betitelte er sie oft, angesichts dessen, dass er mit seinen 39 Jahren immer noch Junggeselle war.

Nun ja, hin und wieder traf er sich schon mit einer richtigen Frau, einer Kollegin ...

Markus fuhr sich mit der linken Hand durchs Haar. Unglaublich, was ihm so alles durch den Kopf ging, wenn er die innere Ruhe verlor. Dabei versuchte er, seine Gedanken zu ordnen, um sich voll und ganz auf seine Umgebung zu konzentrieren.

Gerade bewegte er sich um eine kaum wahrnehmbare Anhöhe, die zu einer kleinen Lichtung mit einem schönen Blick über den Gliensee und große Teile des Waldes führte.

Als ein Knacken an den wuchtigen Stämmen der über achtzig Jahre alten Buchen entlanghallte, verharrte er abrupt auf der Stelle.

Für jedes Geräusch gab es eine Erklärung, nichts geschah ohne Grund. Auch dieser Laut musste von etwas oder jemandem verursacht worden sein. Von einem Tier, wenn es denn eines war, das nun ebenfalls auf der Stelle verharrte, während Markus sein Gewehr mit beiden Händen fest umklammert hielt.

Sekunden tropften dahin, ohne dass etwas geschah. Der Wind rauschte durch die Äste, woraufhin die alten Blätter, die den Boden bedeckten, raschelnd in die Höhe wirbeln. Eine Eule ließ ihren markanten Ruf erklingen, ansonsten vernahm er lediglich das Pochen seines eigenen Herzens.

So wie in dieser Nacht hatte er sich in seinem ganzen Leben noch nie gefühlt. Nicht wie ein Jäger, sondern als Gejagter.

Aber das war verrückt. Anscheinend ging seine Fantasie mit ihm durch. Psychotische Killer, die Menschen verfolgten, gab es doch nur in Filmen und TV-Serien. Für das, was er gerade erlebte, musste es eine andere, simple Erklärung geben.

Statt weiter den Blick durch den von lichtem Unterholz und jungen Bäumen dominierten Wald schweifen zu lassen, machte er sich auf den Weg zum See.

In unmittelbarer Nähe des Gewässers wurde das Gelände deutlich sumpfiger, nur wenige schmale Pfade waren trockenen Fußes zu bewältigen. Sollte sich wirklich jemand an seine Fersen geheftet haben, würde es ihm dort deutlich schwerer fallen, sich vor ihm zu verbergen.

Dass er überhaupt einen derartigen Plan fasste, statt kehrtzumachen und nach Hause zurückzukehren, sagte bereits viel aus. Er kannte sich selbst und war sich deshalb bewusst, dass er niemand war, der sich Dinge einbildete, die nicht existierten. Gut, er betrachtete sich selbst als Kind der Natur, aber er glaubte nicht an Geister, Gespenster und was manche Esoteriker noch alles mit finsteren Wäldern verbanden. Es lauerten keine Kobolde im Unterholz oder Zwerge in ausgehöhlten Stämmen. Wenn außer ihm jemand in der Dunkelheit im Wald auftauchte und sich an seine Fersen heftete, musste es sich um eine sehr weltliche Gestalt handeln.

All diese Gedanken brachen schlagartig ab, als ein leises Knurren durch den Wald hallte.

Mit der Waffe im Anschlag fuhr er herum und bemerkte nun, dass er tatsächlich nicht mehr allein war. Fünf menschengroße, wenn auch ungewöhnlich massige Schatten formten zwischen den Stämmen der Buchen einen Halbkreis.

Sie standen etwa dreißig bis vierzig Meter von ihm entfernt und verharrten ebenso wie er auf der Stelle.

Belauerten sie ihn? Warteten sie darauf, dass er die Initiative ergriff?

Markus hätte jetzt die Gelegenheit gehabt, die Fremden anzusprechen, doch das kam ihm sinnlos vor. Diese Fremden wollten mit ihm kein Gespräch führen. Sie waren erschienen, um ihn zu töten.

Fünf Jäger, die sich ihrer Sache nun sehr sicher waren und sich so offen zeigten, weil sie glaubten, ihre potenzielle Beute würde ihnen nun nicht mehr entkommen.

Seine Kiefer mahlten aufeinander, während er die Mündung seines Gewehrs auf die mittlere der fünf Gestalten richtete. Dachte sie, er hätte nicht den Mut, auf sie zu schießen?

Mit Sicherheit sahen sie, was er zu tun bereit war, dennoch reagierte sie nicht.

Schließlich tat er etwas, das er sich vor wenigen Minuten niemals zugetraut hätte – er drückte ab!

Überlaut hallte das Schussecho an den Stämmen der Bäume entlang, während im Bereich der Mündung ein gleißender Blitz entstand und das Projektil den Lauf verließ.

Zu seinem Schrecken stellte er fest, dass das Geschoss nicht wie von ihm erhofft in einen der Stämme fuhr. Stattdessen traf es eine der Gestalten, die ohne einen Laut des Schmerzes nach hinten kippte.

Während Markus' Herz beinahe stehen blieb, reagierten die anderen Schatten auch jetzt nicht. Sie standen einfach nur da, still, emotionslos, ohne auf den Tod ihres Kameraden zu reagieren.

Und er? War er jetzt ein Mörder?

Obwohl es nie seine Absicht gewesen war, jemanden zu töten, sagte ihm sein Instinkt, dass es um Leben und Tod ging. Deshalb zögerte er auch nicht länger und zog den Verschluss zurück, um die leere Patronenhülse hinauszurepetieren und eine neue in den Lauf zu führen.

Als er erneut auf die Schatten anlegen wollte, erstarrte er in der Bewegung.

Die Gestalt, von der er ausging, sie versehentlich getroffen zu haben, richtete sich mit zeitlupenartigen Bewegungen auf, bis sie wieder ihre ursprüngliche Position einnahm.

Was, verdammt noch mal, war dieses Geschöpf? Ein Mensch sicher nicht, immerhin war niemand in der Lage, einen derartigen Treffer einfach wegzustecken. Schon gar nicht bei einem solchen Kaliber.

»Ich knall euch alle ab!«, brach es plötzlich aus Markus hervor. »Glaubt ja nicht, dass ihr mir Angst machen könnt!«

In den linken und größten der fünf Schatten kam plötzlich Bewegung.

Während Markus den Lauf des Gewehrs zur Seite schwenkte und kurz darauf ein weiteres Geschoss abfeuerte, raste etwas in seine Richtung, das für einen winzigen Moment das Mondlicht reflektierte. Nur Sekundenbruchteile später drang eine dünne, gut einen halben Meter lange Waffe in den neben ihm aufragenden Stamm einer Buche. Aus den Augenwinkeln sah er, dass es sich um einen metallischen Spieß mit zwei Zinken als Spitze handelte.

»Hast du jetzt Angst vor uns?«

Die Stimme des Fremden klang, als wäre sie aus der tiefen Kehle eines Tiers gedrungen. Das folgende Lachen bestätigte nur Markus' Eindruck, dass es sich bei den Gestalten nicht um Menschen handelte.

»Lauf!«, rief ihm eines der Geschöpfe zu. »Sonst macht es keinen Spaß.«

Markus atmete stoßweise, während sich seine Hände eisern um das Gewehr klammerten. Doch seine Waffe war nutzlos, da er es offenbar nicht mit Menschen zu tun hatte. Waren es Monster? Untote?

Nein, nein, solche Gestalten gab es nicht wirklich. Und dennoch sah er sich nun mit diesen Schatten konfrontiert, die alle Gesetze zu sprengen schienen, die für sein bisheriges Leben gegolten hatten.

Mit einem panischen Schrei schleuderte er das Gewehr fort, wirbelte herum und rannte los. Dass er damit exakt den Wunsch der Gestalt erfüllte, war ihm völlig egal. Er wollte nicht sterben, auf keinen Fall. Deshalb rannte er, so schnell ihn seine Füße trugen.

Weit kam er allerdings nicht. Das Hecheln, Grunzen und Lachen seiner Verfolger schwoll schon nach wenigen Sekunden rapide an, bis ein irrer Schmerz durch sein linkes Bein raste. Als wäre es ihm abgerissen worden, kippte er zur Seite weg, überschlug sich mehrfach und prallte mit dem Kopf gegen eine aus dem Boden ragende Wurzel.

Beinahe kam ihm der Halbmond, der durch eine Lücke im Geäst auf ihn herabschien, wie das höhnisch grinsende Maul einer finsteren Gottheit vor.

Der Eindruck verschwand schlagartig, als sich mehrere der Schattengestalten über ihn beugten und ihn mit herablassendem Gelächter bedachten.

Er sah noch die spitzen Waffen zwischen ihren wulstigen Fingern mit den krummen Nägeln aufblitzen, bis sie auf ihn herabfuhren und die Klingen sein Leben auslöschten.

»Warum schon wieder in diesem verfluchten Hochsitz?«, vernahm André die gereizte Stimme seiner alten Freundin. »Wenn du dich schon vor deinem Onkel verstecken willst, wieso bist du nicht einfach zu mir gekommen? Wäre das nicht viel naheliegender gewesen?«

»Jacky ...«

»Ja, ja, ich weiß schon«, kam es aus dem Handy, das er sich ans Ohr hielt. »Ich kann das nicht verstehen, weil ich deine Liebe zur Natur nicht teile. Die Wahrheit ist doch, dass du mit Menschen nicht mehr klarkommst, mit echten Gefühlen und echter Verantwortung.«

»Seit wann hast du denn eine Ahnung davon, was Verantwortung bedeutet?«

André biss sich auf die Unterlippe, weil die eigenen Worte in seinen Ohren so hart klangen.

Ganz unrecht hatte er damit jedoch nicht, immerhin hatte ihn Jacky während seines sechs Monate andauernden Krankenhausaufenthaltes vor zwei Jahren nicht ein einziges Mal besucht.

Seitdem versuchte er ja, irgendwie noch einmal Anschluss zu seiner alten Clique zu finden – oder vielmehr zu der Sechszehnjährigen, die anderen waren ihm inzwischen relativ egal. Nur endeten ihre Gespräche meist in Streitereien, weil Jacky nicht verstehen wollte, dass sein Lebensmittelpunkt inzwischen ein anderer war.

»Ich ...«, begann sie, brach dann aber schnell wieder ab.

André hörte es rascheln und nahm an, dass Jacky das Handy zur Seite gelegt hatte. Trotzdem glaubte er, sie schluchzen zu hören.

Nicht nur angesichts dessen, wie ihre Unterhaltung mal wieder gelaufen war, schloss der Jugendliche die Augen.

Der Hochsitz unweit des Ufers des kleinen Minzower Sees war schon seit einer ganzen Weile sein Rückzugsort und gleichzeitig Startpunkt für seine Streifzüge durch die Natur. Erst waren es, auch wegen seiner langsamen Genesung, nur Spaziergänge gewesen, später ganze Wanderungen, und mittlerweile glaubte er, ohne seine Touren nicht mehr atmen zu können.

Manchmal saß er stundenlang am Ufer einer der zahlreichen Gewässer in der Umgebung, ohne etwas anderes zu tun, als seinen Blick über die Landschaft schweifen zu lassen.

Vor zwei Jahren war das noch ganz anders gewesen. Damals hatte seine Welt und die seiner Freunde nur aus Gaming bestanden.

Inzwischen war auch Jacky aus diesem Verhalten ein wenig herausgewachsen, dennoch zog es sie nicht nach draußen, sondern höchstens in die nächste Disco oder auf eine Party

Was ihn besonders betrübte, war die Situation, in der er sich befand. Eigentlich wollte er in dieser Nacht gar nicht mehr nach Hause. Gregor, der älteste Bruder seines Vaters, war gestern auf dem Hof seiner Familie eingetroffen, die anderen Geschwister würden ihnen am kommenden Morgen folgen.

André liebte seinen Vater, doch wenn er mit seinen Brüdern zusammenkam, verwandelte er sich in einen völlig anderen Menschen.

Seine Geschwister umwehte etwas, das er nicht in Worte zu fassen vermochte. Sobald er ihnen zu nahe kam, erschauderte er, so unwohl fühlte er sich, wenn sie da waren. Außerdem mochte er ihr Verhalten nicht – gehässig, arrogant, geradezu widerlich. Kaum zu glauben, dass sie wirklich zu seiner Familie gehören sollten.

Vor drei Jahren hatte das letzte Treffen stattgefunden, bei dem die Brüder immer wieder den ganzen Tag verschwunden oder im Keller des Hauses zusammengekommen waren. Ihm war das alles unheimlich, zumal sein Vater anschließend nie ein Wort über diese Zusammenkünfte verlor. Mama wusste vielleicht mehr, nur war ihr ebenfalls nichts zu entlocken gewesen.

»Warum bist du nicht mehr der André, in den ich mich verliebt habe?«, riss ihn die bebende Stimme seiner alten Freundin, die aus dem Handy drang, in die Gegenwart zurück.

Er schluckte, seine Mundwinkel zuckten. Ein Teil von ihm wollte Jacky trösten und ihr sagen, dass er sich nichts mehr wünschte, als wieder mit ihr zusammen zu sein. Letztendlich gewann jedoch sein Impuls die Überhand, sich für niemanden verbiegen zu wollen und offen und ehrlich als die Person zu agieren, die er wirklich war. Wenn sie ihn nicht verstand, gut, dann sollte es eben so sein.

»Ich bin, wie ich bin, und wenn du damit nicht klarkommst, ist das nicht mein Problem«, lautete seine Antwort, deren Härte ihm erst nach einigen Sekunden so richtig bewusst wurde.

Als ihm der Gedanke kam, dass er seine Worte besser anders hätte wählen sollen, war es längst zu spät.

»Dann bleib mit deinen Problemen halt in deiner Scheißnatur und lass mich in Ruhe!«, fuhr Jacky ihn übers Telefon an. »Fahr zur Hölle, verdammt!«

Den letzten Satz hatte sie mehr geschluchzt als geschrien.

Wütend schleuderte er das Handy von sich, das mit einem dumpfen Laut gegen die Innenwand der Kabine prallte.

Kaputt war es nicht, allerdings war ihm das im Moment egal. Er wollte nichts mehr hören oder sehen, nur noch seine Ruhe haben. Allein, sein Herzschlag wollte sich einfach nicht beruhigen.

Erst nach und nach ließ er sich wieder auf die nächtlichen Laute der Tierwelt ein. Der Gesang nachtaktiver Vögel erreichte seine Ohren, ebenso die Rufe einer einsamen Eule.

Die Natur sprach in gewisser Weise zu ihm und versuchte ihn dadurch daran zu erinnern, dass die Welt trotz all der Problem, mit denen er kämpfte, weiter ihren gewohnten Gang nehmen würde.

Nichts änderte sich, wenn er sich mit einer Person stritt, die ihm einmal viel bedeutet hatte und mit der er heute auf keinen gemeinsamen Nenner mehr kam. Er musste nur die Augen schließen und tief ein- und ausatmen, um zu verstehen, dass er nur ein kleiner Funke in einem endlos großen Lichtermeer war.

Diese Gedanken beruhigten ihn, wie so oft. Dennoch wollte er nicht die ganze Nacht auf dem Hochsitz verbringen, sondern musste irgendwann nach Hause zurückkehren.

André schlüpfte durch die als Tür dienende Holzklappe zu der Leiter. Langsam stieg er sie herab, ohne dabei auf seine Umgebung zu achten. Erst, als er mit beiden Beinen in dem kniehohen Gras stand, bemerkte er, dass er nicht allein am Ufer des Minzower Sees war.

Es war eine sternenklare Nacht mit einem kräftig leuchtenden Halbmond, weshalb er die Umrisse der unheimlichen Gestalt sofort sah, die starr im hüfthohen Gras stand.

Sie war etwa so groß wie er und vollständig in einen Umhang mit weiter Kapuze gehüllt, der sich wie die langen Halme schwach im auffrischenden Wind bewegte.

Der Fremde stützte sich auf einen langen Stock, zumindest war das Markus' erster Eindruck.

In Wahrheit handelte es sich dabei um ein Schwert mit goldenem Griff, dessen Klinge in einer Lederscheide steckte.

Ein Schauer nach dem anderen lief Markus über den Rücken. Erlebte er das gerade wirklich, oder war er nach dem Telefonat mit Jacky eingeschlafen?

Ihm kam diese Gestalt wie ein Traumwesen vor, ein Geschöpf aus einer anderen Welt, das die Tore zwischen Diesseits und Jenseits aufgestoßen hatte.

Einige Sekunden verharrte der Unheimliche auf der Stelle, bis er sich unvermittelt in Bewegung setzte.

Erschrocken wich André zurück und stieß mit dem Rücken gegen die hölzerne Leiter. Insgeheim rechnete er längst damit, dass die Gestalt das Schwert aus der Scheide ziehen und ihm den Kopf abschlagen würde.

In seiner Furcht bemerkte er kaum das leise Klingeln einer Glocke, das von dem Hals des Fremden ausging.

Der verharrte erneut auf der Stelle, um sich mit der freien Hand die Kapuze vom Kopf zu streifen. Im intensiven Mondlicht sah André das kurze rotbraune Lockenhaar.

Überrascht stellte er fest, dass es sich bei der Gestalt nicht um einen muskulösen Schwertkämpfer aus längst vergangener Zeit handelte, sondern um ein Mädchen in seinem Alter!

Die Züge der Fremden waren weich, die Nase sanft geschwungen. Blassrote Lippen fielen ihm auf, ebenso der ernste Blick, mit dem die Jugendliche ihn bedachte, während sie sich nun mit beiden Händen auf ihrem Schwert abstützte.

Er spürte diesen Blick auf sich lasten, als würde sie ihn von innen und außen abtasten.

Dass es sich bei dem Mädchen um keinen Menschen handelte, wurde ihm spätestens bewusst, als ihm die spitzen Ohren auffielen, die durch den Wind kurzzeitig von den Haaren befreit wurden. Es musste sich um eine Elfe handeln, immerhin waren ihm derartige Geschöpfe immer wieder in diversen Filmen und Büchern begegnet.

Doch das war alles Fiktion, das Fantasieprodukt diverser Autoren, in deren Vorstellungskraft derartige Wesen lebendig wurden. Er dagegen befand sich in der Realität.