Jola und die Zauberin - Kristine Voigt - E-Book

Jola und die Zauberin E-Book

Kristine Voigt

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Beschreibung

Die zwölfjährige Jola kann es kaum fassen. Obwohl sie nie zuvor auf einem Pferd gesessen hat, kann sie plötzlich reiten wie eine richtige Zirkusartistin. Das kann nur bedeuten, dass Amilana, die Cousine ihrer Mutter wirklich eine Zauberin ist. Eine Magierin in der Familie zu haben, könnte großartig sein, wenn nicht jeder ihrer Zauber früher oder später misslingen würde. Da wird ein stolzes Zirkuspferd zu einem sprechenden Hörnchen, ein Clown zu einem bunten Papagei und ein ahnungsloser Zuschauer gerät in einen Löwenkäfig. Jola hat alle Mühe, sich in einer Welt zurecht zu finden, in der kaum jemand das ist, was er zu sein scheint. Schnell wird ihr klar, wie gefährlich diese Zauberei sein könnte. Was anfangs nur eine Ahnung ist, wird schnell zur Gewissheit, als sie von einer Frau erfährt, die in eine Birke verwandelt wurde. Und erst recht, als ein Zauberer nicht einmal davor zurückschreckt, ein Mädchen zu entführen. Wird es Jola und ihren Freunden gelingen, die verwunschene Frau zu retten und das Kind zu befreien?

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Seitenzahl: 224

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kristine Voigt

Jola und die Zauberin

Kristine Voigt

Jola und die Zauberin

Impressum

Texte: © 2023 Copyright by Kristine Voigt

Umschlag und

Illustration© 2023 Copyright by Kristine Voigt

Mit Digital painting

für den Inhalt:Kristine Voigt

Froschweg 17

04329 Leipzig

[email protected]

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Inhalt

Wie Amilana in die Familie kommt

Amilana verzaubert einen Hund

Im Zirkus

Jola lernt reiten

Das Versprechen wird wahr

Die Vorstellung

Eine verwüstete Wohnung

Der Zauber ist verflogen

Ein Hörnchen mit blauen Flügeln

Das Pferde-Reh

Fabian lernt das Hörnchen kennen

Susi tanzt auf dem Seil

Amilana sagt die Wahrheit

In Amilanas Wohnwagen

Das Missgeschick

Die Zaubersuppe

Bauchweh und andere Schmerzen

Alfonso

Der Zauberer Carlos

Die Wahrheit

Mutter und Sohn

Zu Hause

Phyllax bleibt ein Hörnchen

Phyllax wird Artist

Die echte Amilana ist in Kanada

Die Freunde gehen zu Konstantin

Konstantin hilft nicht

Die echte Amilana kommt

Jola will der Birke helfen

Ami geht zu Konstantin

Ami ist verschwunden

Amilana und Carlos

Ami muss zaubern

Der Zauberspiegel

Ami ist gefangen

Die Rettung

Verwandte

Zwei Wochen später

Wie Amilana in die Familie kommt

„Du bist ganz sicher, dass du allein ins Ferienlager willst, ohne Papa und ohne ... „

„Ja“, stöhnte Jola genervt. „Und ohne dich. Und ich weiß, ihr könnt mich nicht sofort abholen, wenn es mir nicht gefällt.“

Die Mutter sah Jola besorgt an.

„Du bist erst Zwölf. Vielleicht wartest du noch ein Jahr damit?“

„Sonst heißt es immer: du bist schon Zwölf. Außerdem bin ich ja nicht allein. Susi und Fabian dürfen auch mit. Bitte Mama!“

Die Korridortür fiel ins Schloss und gleich darauf erschien Jolas Vater, hochrot mit verstrubbelten Haaren und nach Luft ringend.

„Hallo, ihr Zwei!“, keuchte er gut gelaunt und gab zuerst der Mutter und dann Jola einen Kuss.

„Hans“, stöhnte Jolas Mutter. „Du wirst dich noch umbringen mit dieser Rennerei! Draußen ist es doch viel zu heiß.“

„Ach, Quatsch!“, lachte der Vater. „Das solltet ihr auch mal probieren, macht richtig Spaß! Wie guckt ihr eigentlich alle beide. Habt ihr euch gestritten?“

„Jola will unbedingt in dieses Ferienlager“, antwortete die Mutter mit einem Seufzer und deutete auf einen Flyer, der vor ihnen auf dem Tisch lag.

„Von den Stadtkindern? Das ist doch Klasse!“, nickte der Vater begeistert. „Wo ist das Problem? Klar kannst du mit! Das Camp soll richtig toll sein. Es hat sogar einen eigenen Strand an der Ostsee. Die Zwillinge von meinem Kollegen waren im letzten Jahr dort und es hat ihnen so gut gefallen, dass sie unbedingt wieder hinwollen. Kennst du sie eigentlich? Robert und Richard?“

„Sie sind mindestens drei Jahre älter“, mischte sich die Mutter ein. „Ich finde, Jola ist einfach noch zu jung, um in ein Jugendcamp zu fahren. Außerdem kommt Tante Amilana zu Besuch.“

„Aha“, entgegnete Jola gedehnt. „Kenn ich nicht.“

Die Mutter lachte. „Natürlich, kennst du sie! Als du klein warst, warst du restlos begeistert von ihr. Sie ist die Zauberin aus dem Zirkus, die dir damals so sehr gefallen hat.“

„Aha“, machte Jola noch einmal. Eine Zauberin also.

„Und wieso kommt sie uns besuchen?“

„Sie ist meine Cousine. Ihr Zirkus gastiert ab nächster Woche in unserer Stadt und da wollte sie natürlich endlich wieder einmal ihre Verwandten besuchen. Ich dachte, du freust dich!“

Jola zuckte die Schultern. Weshalb sollte sie sich freuen, wenn irgend so eine Almada, Almeda, Armada oder wie auch immer, zu Besuch kam?

„Bestimmt nimmt sie dich mal mit in den Zirkus“, fuhr die Mutter fort. „Vielleicht darfst du sogar reiten oder mit den Affen spielen.“

„Mama!“, stöhnte Jola. „Ich will nicht reiten oder mit Affen spielen. Ich will ins Ferienlager!“

„Warten wir es ab. Amilana kommt ja schon am Samstag und die Ferien beginnen erst in zwei Wochen. Schau dir einfach den Zirkus an und dann können wir immer noch über das Ferienlager nachdenken.“„Können wir nicht“, maulte Jola ärgerlich. „Die Anmeldefrist wird dann abgelaufen sein.“

„Eine Nachmeldung ist doch bestimmt möglich“, beruhigte sie Jolas Papa und sie wusste genau, dass er das nur so sagte, damit sie endlich Ruhe gab.

Ja, und da war sie nun: Mamas Cousine, die Zauberin Amilana. Kaum, dass der Vater die Tür geöffnet hatte, hievte sie einen riesigen Koffer über die Schwelle, rauschte an ihm vorbei und nahm Jola in den Arm. Überschwänglich drückte sie das Mädchen an sich und gab ihr rechts und links auf beide Wangen einen schallenden Kuss.

„Ih!“ Jola hatte Mühe, nicht laut loszukreischen. Sie konnte es überhaupt nicht leiden, von fremden Menschen umarmt zu werden. Und diese Amilana war fremd für sie! Und dann noch dieses Abgeknutsche! Entsetzlich! Mit einem Ruck löste sie sich aus Amilanas Umklammerung und sah ihre Mutter hilfesuchend an.

Sie lächelte schief. So hatte sie sich das Wiedersehen mit ihrer Cousine auch nicht vorgestellt! Offenbar hatte sie keine Zeit gefunden, sich nach der Vorstellung umzuziehen, denn sie trug ein langes dunkelblaues Kleid mit glitzernden Sternen und unter einem schwarzen,

spitzen Hut fielen ihre lockigen rotblonden Haare bis weit über die Schultern. Das sah zwar gut aus, aber auch ganz und gar ungewöhnlich.

Erst jetzt schien Amilana einzufallen, dass es in dieser Wohnung noch andere Menschen gab. Sie reichte Jolas Eltern kurz die Hand.

„Hallo“, sagte sie. „Da bin ich also.“

Im Wohnzimmer war der Tisch mit Kaffee und Obsttorte gedeckt. „Setz dich doch“, sagte Jolas Mama. „Du trinkst doch sicher eine Tasse Kaffee mit?“

Amilana rümpfte die Nase. „Habt ihr keinen Kakao?“, fragte sie.

„Na, doch“, beeilte sich Jola zu sagen und ihre Mutter ging in die Küche, um einen Kakao zu kochen.

Währenddessen inspizierte Amilana das Wohnzimmer. Sie lief an den Schränken entlang, zog hier und da eine Schublade auf oder öffnete eine Schranktür. Jola und ihr Papa sahen sich entgeistert an.

„Kann ich dir helfen?“, fragte der Vater. „Suchst du irgendetwas?“

„Ich guck nur mal so, was ihr alles habt“, antwortete Amilana ohne eine Spur von schlechtem Gewissen.

Jola verdrehte die Augen und ihr Papa machte eine unmissverständliche Geste. Diese Amilana schien verrückt oder total betrunken zu sein.

Erst als Jolas Mama mit dem Kakao zurückkam, ließ sie von den Fächern ab und setzte sich an den Tisch. Allerdings hörte sie auch jetzt nicht auf, sich ausgesprochen merkwürdig zu benehmen.

„Obsttorte mag ich nicht“, sagte sie sehr laut und unhöflich, trank hastig ihren Kakao aus, wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und stand schon wieder auf. Fassungslos sah Jola, wie sie begann, durch die Wohnung zu schlendern, die Zimmertüren öffnete und dann offensichtlich zufrieden an den Tisch zurückkehrte.

„Groß genug ist eure Wohnung ja“, sagte sie schließlich ohne Umschweife. „Da kann ich doch bestimmt die nächsten vier Wochen bei euch wohnen.“

Jolas Papa verschlug es offenbar vor Schreck die Sprache, denn er schüttelte nur stumm den Kopf.

„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Jola. „Ich denke, du lebst im Zirkus.“

Amilana nickte. „Das stimmt schon. Aber mein Wohnwagen muss komplett renoviert werden. Da kann ich nicht bleiben. Und da dachte ich mir, was für ein großartiger Zufall, dass wir gerade jetzt in eurer Stadt gastieren. Ihr freut euch doch bestimmt, wenn ich in der Zeit zu euch ziehe!“

„Ja, sicher freuen wir uns“, antwortete Jolas Mama gedehnt mit Blick zu ihrem Mann, der hastig aufstand und den Raum verließ.

Amilana tat so, als wäre nichts geschehen.

„Zeigst du mir dein Zimmer?“, fragte sie an Jola gewandt unbefangen.

Auch hier begann sie sofort alle Schubladen aufzuziehen, schloss sie aber gleich wieder enttäuscht, weil sie nur Schulsachen und Bücher enthielten. Unschlüssig streifte sie umher, bis sie oben auf dem Schrank Jolas altes Barbieschloss entdeckte.

„Oh, du hast das Schloss!“, rief sie begeistert. „Kann ich es herunterholen? Bitte!“

Jola konnte es kaum fassen. So eine Erwachsene hatte sie wirklich noch nie erlebt!

Nachdem sie mit Amilana ein paar Sachen beiseite geräumt und das Schloss heruntergezogen hatten, betrachtete Amilana völlig fasziniert die Einrichtung, um gleich darauf nach Puppen zu fragen.

„Ich glaube, auf dem Dachboden müssten noch welche sein“, überlegte Jola. „Warte, ich frage meinen Papa.“

Der Vater holte ein paar Barbiepuppen vom Dachboden und brachte gleich noch das glitzernde Pferd mit, mit dem Jola gespielt hatte, bevor sie zur Schule kam.

Amilana schien glücklich. Völlig in sich versunken, zog sie den Puppen verschiedene Kleider an, ließ sie im Schloss Platz nehmen und auf dem Glitzerpferdchen reiten.

Jola sah ihr eine Weile irritiert zu, dann verließ sie das Zimmer. Aus der Küche hörte sie die Stimmen ihrer Eltern. „Sie will tatsächlich bei uns wohnen, bis ihr Wohnwagen renoviert ist?“, fragte ihr Vater. „Ich glaube, das halte ich nicht aus. Wie lange soll das denn dauern?“

„Der Wohnwagen wird doch wohl nicht sehr groß sein und in vier Wochen zieht der Zirkus sowieso weiter“, entgegnete die Mutter. „Sie kann doch sicher bei dir im Zimmer schlafen, oder? Was meinst du?“, fragte sie Jola, die gerade die Küche betreten hatte.

„Auch das noch!“, murrte Jola.

„Oder wir schlafen im Wohnzimmer und geben ihr unser Schlafzimmer“, schlug der Vater vor. „Da hast du sie wenigstens nicht die ganze Zeit auf dem Hals.“

Jola musste grinsen, weil sie sich vorstellte, wie sich ihr großer Papa zusammen mit der Mutter auf die kleine Wohnzimmercouch quetschen wollte. Im Schlaf würde er bestimmt dauernd herunterfallen.

„Nein, lasst nur“, sagte sie deshalb. „Ich komme schon klar.“„Hauptsache, sie ist nicht gefährlich für dich“, antwortete der Vater besorgt. „Findet ihr nicht auch, dass sich diese Amilana ausgesprochen merkwürdig benimmt?“

„Na ja“, antwortete Jolas Mutter, „sie ist eben beim Zirkus.“

Der Vater wiegte nachdenklich den Kopf.

„Meinst du, dass das eine Erklärung ist? Mir kommt sie eher vor, als wäre sie nicht ganz richtig. Was sagtest du, wie alt sie ist? Sie führt sich auf wie ein Kleinkind. Hast du gesehen, wie sie Jolas Barbieschloss bewundert hat. Infantil nennt man so etwas, wenn sich Erwachsene wie Kinder benehmen.“

„Ich befürchte, sie ist betrunken oder womöglich nimmt sie Drogen? Vielleicht will sie aber auch einfach einen Draht zu Jola finden?“

Jola zuckte die Schultern. „Ich weiß auch nicht“, sagte sie. „Aber gefährlich scheint sie mir nicht zu sein.“

„Apropos, was macht sie eigentlich gerade?“, wollte der Vater wissen.

„Sie spielt immer noch mit meinen Barbies“, antwortete Jola und die Eltern wechselten bedeutungsvolle Blicke.

Am nächsten Morgen wurde Jola von einem leisen Klappern geweckt. Amilana saß fertig angezogen am Tisch neben dem Barbiehaus und ließ das Pferd, auf dessen Rücken eine Barbie saß, über den Tisch hüpfen. Jola gähnte und rieb sich die Augen. „Was machst du denn?“, fragte sie verschlafen.

„Barbie macht ihren Morgenritt“, antwortete Amilana als wäre es die normalste Sache der Welt. Jola stand auf, legte Amilana eine Hand auf die Schulter und sah sie forschend an.

„Sei jetzt bloß nicht eingeschnappt oder so. Aber ich muss dich das fragen: warum spielst du wie ein kleines Kind? Bist du irgendwie krank?“

Was dann geschah, hätte Jola nie erwartet. Amilana lief puterrot an, Tränen schossen ihr in die Augen.

„Ich habe es vergessen, ich habe es tatsächlich vergessen“, stammelte sie. Dann sprang sie auf und begann in ihrer Tasche zu wühlen. Nach kurzer Zeit hielt sie ein Fläschchen in der Hand, schraubte hastig den Verschluss ab und tropfte sich etwas Flüssigkeit in den Mund. Mit einem angeekelten Schütteln ließ sie sich auf den Stuhl fallen und schloss die Augen.

„Es ist gleich vorbei“, murmelte sie.

Im nächsten Moment ging eine erstaunliche Veränderung in Amilana vor. Sie richtete sich auf, lächelte um Verzeihung bittend und schob das Spielzeug beiseite.

„Das räumen wir mal lieber auf den Schrank zurück“, sagte sie entschieden und begann sofort damit, die Spielsachen wegzustellen.

Amilana verzaubert einen Hund

„Soll ich euch wirklich nicht zum Zirkus fahren?“, fragte der Vater noch, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte.

„Nein, nein. Es ist ja nicht weit“, winkte Amilana ab. „Wir fahren mit dem Bus.“

Bevor auch die Mutter zur Arbeit ging, rief sie Jola in die Küche.

„Hilfst du mir bitte mal.“

Jola verließ das Wohnzimmer und sah ihre Mutter fragend an. „Wobei soll ich dir denn helfen?“

„Ich wollte nur fragen“, flüsterte die Mutter hastig. „Hast du dein Handy aufgeladen?“

Jola zuckte die Schultern. „Ja, wahrscheinlich, wieso?“

„Falls in diesem Zirkus irgendetwas komisch sein sollte, ruf uns unbedingt an. Hörst du. Wir holen dich dann sofort ab, egal, ob wir gerade arbeiten oder nicht“, sagte sie eindringlich.

Jola wollte gerade fragen, was an diesem Zirkus denn komisch sein sollte, als Amilana die Küche betrat und ihre Mutter sie so beschwörend ansah, dass sie schwieg.

Auf dem Weg zum Zirkus verlief zunächst alles normal. Amilana erzählte von ihren Zauberkunststücken, während Jola gelangweilt in ihrem Sitz saß und aus dem Fenster schaute. Susi und Fabian durften ins Ferienlager und würden in zwei Wochen an der Ostsee sein und sie musste sich hier mit dieser öden Tante abquälen, die die nächsten vier Wochen bei ihnen wohnen würde.

„Hörst du mir eigentlich überhaupt zu“, fragte Amilana da auch schon. „Du glaubst mir wohl nicht, dass ich zaubern kann? Ich weiß schon! Du brauchst gar nicht erst zu lügen“, setzte sie ärgerlich hinzu. „Niemand glaubt mir, dass ich wirklich zaubern kann.“

Jola wollte gerade sagen, dass sie ihr selbstverständlich glaubte. Aber Amilana hörte gar nicht zu.

„Ich werde es dir beweisen. Ich werde es allen beweisen!“, fuhr sie fort. „Hier siehst du den Mann mit dem großen Hund da vorn?“

Jola neigte sich ein Stück zur Seite, um besser sehen zu können. Da saß ein junger Mann, der seine Beine weit in den Gang streckte und neben sich einen Hund liegen hatte, der seinen Kopf auf die Vorderpfoten gebettet, von Zeit zu Zeit zu dem jungen Mann aufsah. Der Mann blätterte in einem Buch und hob genau wie sein Hund ab und zu den Kopf, um aus dem Fenster zu sehen.

„Alamata, balalata, stamalata“, flüsterte Amilana und machte eine kleine Handbewegung in Richtung des Hundes. Im gleichen Augenblick verwandelte sich der große braune Schäferhund in einen klitzekleinen Pekinesen, der sofort wie wild zu bellen begann. Irritiert sah der junge Mann auf, blickte zuerst auf das kleine keifende Tier und dann auf seine Hand, die noch immer die Leine hielt.

Jola sah Amilana entsetzt an. Offenbar hatte sie schon wieder vergessen, ihre Tropfen zu nehmen.

„Warst du das?“, fragte sie leise. Amilana nickte stolz. „Natürlich“, sagte sie. „Was meinst du, wer sonst so etwas fertig bringt.“

„Mach es zurück“, zischte Jola entsetzt. „Schau doch, wie erschrocken der Mann ist!“

Amilana grinste. „Ja, toll, nicht wahr.“

Der junge Mann war inzwischen aufgestanden und sah sich suchend um.

„Pluto?“, sagte er unsicher und da sich nichts rührte, noch einmal etwas lauter: „Pluto, komm sofort hier her!“ Noch immer geschah nichts, nur der Pekinese begann immer lauter zu bellen.

Misstrauisch musterte der junge Mann die anderen Fahrgäste.

„Haben sie gesehen, dass mein Hund weggelaufen ist?“, sprach er schließlich eine schmale, junge Frau an, die ihm gegenüber saß und gebannt auf ihr Handy starrte.

„Mein Hund ist weg“, fuhr er fort. „Jemand hat ihn gestohlen. Sie müssen doch irgendetwas gesehen haben!“

Die Frau hob den Blick und zuckte die Schultern.

„Tut mir leid“, sagte sie. „Ich habe gerade geschrieben.“

Zum Beweis hob sie ihr Handy und ließ den Mann auf ihr Display schauen.

„Jemand muss doch meinen Hund gesehen haben“, wandte er sich jetzt mit lauter Stimme an alle Fahrgäste. „Bis eben lag er doch noch hier!“

Inzwischen hatte sich das Gebell des Pekinesen in ein ohrenbetäubendes Jaulen gesteigert. Ein älterer Herr in Hut und Mantel wandte sich um.

„Also hören Sie mal junger Mann! Sie haben ihren Hund doch hier, oder was ist das an ihrer Leine, was so einen entsetzlichen Krach macht.“

„Bring die Töhle endlich zur Ruhe, sonst mache ich es“, knurrte ein stämmiger kahlrasierter Mann, der hinter Jola und Amilana seinen Platz hatte.

„Das ist nicht mein Hund. Ich habe einen Schäferhund“, sagte der junge Mann hilflos. „Einen schönen, braunen, lieben Hund und das hier… Das hier ist ein kläffender Pekinese.“

„Bist du eigentlich bescheuert“, flüsterte Jola, obwohl man so etwas zu einer Erwachsenen eigentlich nicht sagte. Aber sie war inzwischen so wütend, dass sie keinesfalls mehr höflich sein konnte.

„Gib ihm sofort seinen Hund zurück, sonst…, sonst...„

Sie überlegte fieberhaft, womit sie diese verrückte Amilana zur Vernunft bringen konnte. Aber leider fiel ihr absolut nichts ein. „Sonst rufe ich die Polizei!“, sagte sie deshalb und wusste schon, dass es nicht helfen würde. Und richtig. Amilana lachte laut auf.

„Und was denkst du, wird die Polizei machen?“, fragte sie prustend. „Den Hund zurückzaubern?“

Als Jola Amilanas selbstzufriedenen Blick sah, wusste sie, wie sie ihr beikommen konnte.

„Na ja“, sagte sie deshalb und lächelte angestrengt.

„Eigentlich ist es schon großartig, was du kannst. So einen Trick habe ich wirklich noch nie im Leben gesehen!“

Sie legte Amilana die Hand auf den Arm und bemühte sich begeistert auszusehen.

„Du bist tatsächlich eine große Zauberin! Wahrscheinlich die Einzige auf der ganzen Welt, die so etwas kann!“

Amilana nickte geschmeichelt.

„Toll, nicht?!“ sagte sie und hob die Hand. Im gleichen Moment verstummte das Gebell und neben dem jungen Mann erschien der verschlafen blinzelnde Schäferhund.

„Pluto“, stöhnte der junge Mann, ließ sich neben seinen Hund auf die Knie gleiten, um ihn ausgiebig zu umarmen. Immer wieder drückte er sein Gesicht in das weiche Fell des Hundes, der ihn einigermaßen erstaunt ansah. So viele Streicheleinheiten war er von seinem Herrchen nun wirklich nicht gewöhnt!

Jola atmete auf. „Das war jetzt wirklich gut“, sagte sie erleichtert und lächelte Amilana dankbar an.

„Kein Problem“, antwortete sie. „Und denke nicht, dass ich nicht gemerkt habe, dass du mich austricksen wolltest. Ich bin nämlich nicht nur eine große Zauberin, sondern auch ausgesprochen klug.“

Jola wurde rot. Sie hatte wirklich gedacht, Amilana wäre auf ihre Schmeicheleien hereingefallen.

Amilana winkte ab. „Kein Grund, sich zu schämen. Ich hatte natürlich von Anfang an vor, den Hund zurückzugeben. Ich wollte dir nur vorführen, dass ich wirklich zaubern kann. Ich will einfach, dass du mir glaubst.“

Im Zirkus

Im Zirkuszelt war es angenehm warm. Es roch nach frischem Heu und ein klein bisschen nach Pferd. Jola fühlte sich sofort wohl und als einige Artisten zu ihnen kamen, um sie freundlich zu begrüßen, hatte sie den unheimlichen Vorfall im Bus schon fast vergessen.

Amilana führte Jola überall herum, klopfte an die Wohnwagentüren, ging in Ställe zu den Zebras, Lamas und Alpakas. Am besten gefielen Jola die zutraulichen Pferde. Als sie mit dem Rundgang fertig waren, sagte Amilana: „So und jetzt lernst du unseren besten Freund, den Clown Beppo kennen.“Jola wunderte sich, dass Amilana „unseren“ Freund sagte, aber als sie kurz darauf im Wohnwagen des Clowns ankamen, dachte sie nicht weiter darüber nach.

„Das ist meine Cousine Jola und das ist mein bester Freund Beppo“, stellte Amilana sie vor und der Clown ließ sein breitestes Lächeln sehen.

„Dann willkommen in unserem Zirkus, Cousine von Amilana“, sagte er herzlich.

„Na ja“, antwortete Jola zögernd, weil sie nicht unhöflich erscheinen wollte. „Eigentlich bin ich die Großcousine. Meine Mama ist Amilanas Cousine.“

„Oder so“, antwortete die Zauberin leichthin mit einer wegwerfenden Handbewegung. Der Clown lachte. „Wie auch immer, ich freue mich, dass ihr hier seid! Ich habe gerade Tee gemacht und ein Stück von dem Kuchen, den ich gestern gebacken habe, werdet ihr bestimmt auch nicht ablehnen.“Sie setzten sich an den Tisch, den der Clown in Windeseile gedeckt hatte und ließen sich Tee und Kuchen schmecken.

Als sie aufgegessen hatten, trug der Clown das Geschirr in die Spüle, setzte sich Amilana gegenüber auf einen Stuhl und sah sie forschend an.

„Schön, dass es dir besser geht“, sagte er. „Meinst du, du kannst wieder mit den Proben beginnen?“

Jola horchte auf. Amilana war also tatsächlich krank.

„Mir geht es wirklich wieder gut“, hörte sie da Amilana sagen. „Es war einfach ein Unfall, verstehst du? Und weil ich mich so sehr dafür schämte, konnte ich einfach nicht aufhören zu weinen. Das wird mir nie wieder passieren. Wirklich!“

Der Clown nickte langsam und Jola sah echte Sorge in seinen Augen. „Versprich mir trotzdem, dass du zu einem Psychologen gehst“, sagte er. „Sie können dir helfen, sie sind spezialisiert auf derartige Probleme.“

Jetzt wurde Jola einiges klar. Ein Psychologe, hatte ihr Mama erklärt, half den Menschen gesund zu werden, wenn sie scheinbar verrückte Dinge taten. Es gibt Krankheiten, da wird man grundlos furchtbar traurig, so traurig, dass man sich nicht vorstellen kann, weiterzuleben. Und es gibt Krankheiten, da benimmt man sich völlig verrückt. Ob Amilana deshalb Hunde verzauberte und total verliebt in ihre alten Barbiepuppen war?

„Denkst du wirklich, dass es in deiner Situation gut ist, wenn du dich jetzt um deine Großcousine kümmerst? Ich sehe ja ein“, sprach der Clown weiter, mit Blick zu Jola, „dass sie nicht allein wohnen kann, aber vielleicht könntet ihr zusammen in deinen Wohnwagen ziehen, bis ihre Eltern wieder zurück sind. Wir sind doch deine Familie, Amilana! Bitte überleg es dir.“

Was? Jola traute ihren Ohren kaum. Ihnen hatte Amilana erzählt, dass ihr Wohnwagen komplett renoviert werden musste und dass sie deshalb vorübergehend bei ihnen wohnen wollte. Und dem Clown hatte sie offenbar weisgemacht, dass Jola ihre Hilfe brauchte und sie deshalb zu ihnen gezogen war. Fassungslos sah Jola Amilana an, die rot geworden war und verlegen am Reißverschluss ihrer Tasche nestelte.

„Wir überlegen es uns“, presste sie hervor und sah Jola bittend an. „Jetzt schauen wir erst einmal den Reitern zu“, wechselte sie gleich darauf eilig das Thema. „Das habe ich Jola fest versprochen.“

Sie verabschiedeten sich von dem freundlichen Clown und verließen den Wohnwagen. Jola war so wütend und ratlos, dass sie stumm neben Amilana herlief. Noch nie im Leben hatte sie eine Erwachsene kennengelernt, die so schamlos log.

„Na, komm“, versuchte Amilana sie zu besänftigen. „Ich wollte einfach Zeit mit euch verbringen. Das verstehst du doch, oder?“Jola wollte gerade zu einer heftigen Entgegnung ansetzen, da erklang Musik und drei wunderschöne Pferde galoppierten an ihnen vorbei in die Manege. Auf ihren Rücken saßen Mädchen, die kaum älter als Jola zu sein schienen. Sie trugen weinrote, glänzende Samtkleider und bewegten sich auf den Pferden im Rhythmus der Musik. Als ein Tusch ertönte, sprangen sie gleichzeitig auf die Füße, so dass sie auf den Rücken der Pferde standen, die ihren gleichmäßigen Trab unbeeindruckt fortsetzten. Beim nächsten Wechsel der Musik zeigten die Mädchen eine Waage, wie Jola das im Sportunterricht mit wenig Erfolg auf dem Schwebebalken versucht hatte. Dabei lächelten die Zirkusmädchen so unangestrengt, als ob es die leichteste Sache der Welt wäre. Fasziniert sah Jola ihnen zu.

„Meinst du, sie lassen mich auch einmal reiten?“, fragte sie Amilana flüsternd.

„Na, klar. Sobald sie Pause machen, frage ich“, antwortete die Zauberin sofort.

Und tatsächlich. Die Mädchen hatten nichts dagegen. Sie halfen Jola sogar aufs Pferd und führten es dann langsam im Kreis um die Manege herum.

Als Jola danach vom Pferderücken glitt, glühten ihre Wangen vor Begeisterung. Jetzt wusste sie, was sie später werden wollte. Reiterin war wohl der schönste Beruf der Welt!

Am nächsten Tag hatte Amilana offenbar nicht vergessen, ihre Medikamente zu nehmen, denn den ganzen Morgen lang verhielt sie sich wie eine richtige Erwachsene. Weder wollte sie unbedingt mit Jolas Barbies spielen, noch durchforstete sie die Küchenschubladen nach Süßigkeiten. Stattdessen saß sie mit Jolas Eltern am Tisch und unterhielt sich ganz normal über den kommenden Urlaub. Schließlich lud sie die ganze Familie zur Nachmittagsvorstellung in den Zirkus ein. Sie selbst würde nicht auftreten, weil angeblich ihre Assistentin erkrankt war. Aber Jola war sicher, dass etwas anderes dahintersteckte.

Am Nachmittag besuchten also Mama, Papa und Jola zusammen mit Amilana die Vorstellung. Alles ging gut. Amilana benahm sich immer noch wie eine Erwachsene und die Vorstellung wurde ein voller Erfolg. An der Stelle im Programm, an der die Zauberin gewöhnlich auftrat, erklärte die Sprecherin dem Publikum, dass sie leider erkrankt sei. Amilana machte sich ganz klein auf ihrem Platz, was aber nicht nötig war, weil sie in ihrer normalen Kleidung sowieso niemand erkannte. Nur einen erstaunten Blick von Jolas Eltern brachte es ihr ein. Sie hatten aber offenbar beschlossen, nicht weiter nachzufragen, weil sie zu wissen glaubten, dass ihre Verwandte an einer psychischen Erkrankung litt. So ließ sich für sie auch das, mitunter merkwürdige, Verhalten Amilanas erklären.

„Wisst ihr was?“, sagte Jola, als sie wieder zu Hause angekommen waren. „Ich habe mich entschieden. Ich weiß jetzt ganz genau, was ich werden will! Zirkusreiterin!“Die Eltern lachten, ohne es allzu ernst zu nehmen.

„Schön“, lächelte Jolas Papa. „Wenn du groß bist, kannst du sehr gern Zirkusreiterin werden.“Das „Wenn du groß bist“, überhörte Jola geflissentlich. Sie wollte jetzt sofort eine Reiterin werden.

Und morgen würde sie mit dem Training beginnen! Vielleicht konnte sie es wirklich schaffen, wenigstens ein bisschen so gut wie die Artistinnen zu sein.

Abends als Amilana das Licht bereits gelöscht hatte, flüsterte Jola: „Was denkst du, kann ich reiten lernen. Ich meine, so richtig, wie die Mädchen im Zirkus?“

Amilana richtete sich im Bett auf.

„Ich denke schon“, sagte sie. „Wenn du willst, organisiere ich dir morgen ein Pferd und während ich probe kannst du versuchen zu reiten.“Jola freute sich so sehr darüber, dass sie es verschob, Amilana wegen ihrer Lüge zur Rede zu stellen. Womöglich würde sie dann böse werden und sie nicht mit in den Zirkus nehmen. Deshalb ließ sie es erst einmal auf sich beruhen, schloss ganz fest die Augen und wünschte sich möglichst sofort einzuschlafen, damit der neue Tag ganz schnell kommen konnte.

In der Nacht träumte sie tatsächlich von Pferden und als sie aufwachte, wusste sie, dass heute ein ganz besonderer Tag war. Sie würde den ganzen Tag im Zirkus sein und reiten!

Wieder fuhren Jola und Amilana mit der Straßenbahn zum Zirkus. Als eine junge Frau mit einem weißen Pudel zustieg, bekam Jola einen gehörigen Schreck. Amilana würde doch nicht etwa schon wieder? Aber nein, zu Jolas großer Erleichterung benahm sich Amilana ganz normal. Vielleicht war es mit ihrer Krankheit doch nicht so schlimm, wie es zuerst aussah. Jola hatte ihren Eltern nichts von den Befürchtungen des Clowns erzählt. Bestimmt hätten sie sie sonst nicht allein mit Amilana in den Zirkus gelassen.

Dieses Mal gelangten sie völlig ohne Zwischenfälle an ihr Ziel und als Jola das wunderschöne braune Pferd sah, das für sie zum Trainieren bereitstand, hatte sie alle Sorgen vergessen. Ein Mädchen in Jogginganzug und knöchelhohen Sportschuhen begrüßte Jola.

„Das ist Phyllax“, sagte sie. „Er ist ganz sanft. Wir haben alle mit ihm angefangen. Wenn du willst, helfe ich dir.“

Natürlich wollte Jola und wie!

„Ich bin übrigens Camilla“, sagte das Mädchen und reichte Jola die Hand.

Jola lernt reiten

Nach zwei Tagen wurde Jola ungeduldig. Wie doof war sie eigentlich, dass es ihr nicht einmal gelang, Phyllax in die gewünschte Richtung zu dirigieren? Immer wieder lief er linksherum, obwohl ihn Jola unmissverständlich mit einem Schenkeldruck nach rechts wies. Gefühlte hundertmal, hatte Camilla ihr schon gezeigt, wie sie es machen sollte. Bei ihr folgte das Pferd der kleinsten Regung, bei Jola keine Chance!