Kinderliebe - Kristine Voigt - E-Book

Kinderliebe E-Book

Kristine Voigt

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Beschreibung

Katharina ist zum ersten Mal im Leben richtig verliebt. Und niemand darf es wissen, denn er ist ihr Lehrer. Was als romantische Liebesgeschichte beginnt, wird schnell sehr ernst, als sie merkt, dass sie schwanger ist. Ihr Umfeld reagiert mit völligem Unverständnis und es scheint klar, dass sie dieses Kind nicht bekommen kann. Doch Katharina entscheidet sich für ihr Baby und ist glücklich mit ihrer neugeborenen Tochter. Aber dann geschieht das Unfassbare. Ihr Kind, gerade einmal drei Tage alt, wird aus der Klinik entführt. Die Ereignisse überschlagen sich, als der Kindsvater kurz darauf aus einem Fenster gestoßen wird und ihre besten Freunde verschwinden. Katharina meint zu wissen, wer hinter den Verbrechen steckt und macht sich auf die Suche nach ihrer Tochter.

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Kristine Voigt

Kinderliebe

Kristine Voigt

Kinderliebe

Impressum

Texte: © 2024 Copyright by KristineVoigt

Umschlag:© 2024 Copyright by Kristine Voigt

Mit Bing image creator und Artstudio

Verantwortlich

für den Inhalt:Kristine Voigt

Froschweg 17

04329 Leipzig

[email protected]

Druck:epubli – ein Service der Neopubli GmbH, Berlin

Inhalt

In der Klinik7

Der neue Lehrer23

Eine Lüge30

Schwanger32

Entführt43

Die Klassenfahrt50

Total verliebt62

Ein Verbrechen75

Luise82

Sommerferien87

Überraschung97

In der Klinik104

Wieder zu Hause111

Stefan und Luise121

Barbara Bröger137

Aisha145

Vor dem Gefängnis149

Preise156

Per Anhalter159

In Berlin169

Mecki, Schecke und Amadeus183

Gluthitze und ein Handy196

Tante Inge208

Ein schrecklicher Verdacht219

Die Entscheidung227

Wieder frei234

Ohnmacht239

Besucher242

In der Klinik

Niemand hatte mir gesagt, dass es auch danach noch weh tun würde. Im Gegenteil! Von allen Seiten hatte ich gehört: wenn das Kind erst einmal da ist, ist aller Schmerz vergessen.

Ja, denkste! Ich kann mich kaum bewegen, jeder einzelne Muskel schmerzt, auch an Stellen, von denen ich bisher noch nicht einmal geahnt hatte, dass ich dort Muskeln habe. Na gut, es ist vielleicht auch nicht verwunderlich. Immerhin hatte es vierzehn Stunden gedauert, bis mir die Hebamme endlich meine kleine Tochter auf die Brust legte. Und ehrlich, Wehen weg atmen, wie man das im Kurs lernt, funktioniert nicht. Jedenfalls nicht bei mir.

Trotzdem muss ich jetzt aufstehen, denn gleich dürfen wir unsere Kinder holen, die eine Treppe tiefer auf der Säuglingsstation in ihren Bettchen liegen.

Janina, mit der ich das Zimmer teile und die ihren Sohn erst heute Nacht geboren hat, steht abwartend neben meinem Bett.

„Brauchst du Hilfe?“, fragt sie. Ich schüttele den Kopf. „Geht schon. Danke!“

Vorsichtig schiebe ich meine Beine über die Bettkante, stütze mich auf die Ellenbogen und bringe mich mit einem Ruck in die Senkrechte. Ein stechender Schmerz bohrt sich in meinen Unterleib. So heftig, dass ich laut aufstöhne.

„Soll ich einen Arzt rufen?“, fragt Janina alarmiert und fasst nach meinem Arm.

„Nicht nötig“, presse ich durch die Zähne und beginne mir im gleichen Moment Sorgen zu machen. Sind diese Schmerzen eigentlich normal? Ich hole tief Luft, halte mich am Nachttisch fest und ziehe mich entschlossen auf die Beine. Zitternd stehe ich gleich darauf neben meinem Bett. Ich fühle mich so schwach, dass ich kaum stehen kann. Aber wenigstens lässt der Schmerz nach. Stattdessen beginnt sich plötzlich alles um mich herum zu drehen. Erschrocken halte ich mich an der Stange fest, die am Fußende des Bettes angebracht ist. Janina ist schon wieder neben mir und stützt mich fürsorglich.

„Dein Blutdruck scheint im Keller“, sagt sie und reicht mir eine Wasserflasche. „Hier trink etwas oder soll ich lieber doch jemanden rufen?“

Ich nehme dankbar die Flasche und merke erst, als ich die ersten Schlucke trinke, wie durstig ich eigentlich bin. „Danke“, sage ich und versuche ein Lächeln. „Ich glaube jetzt ist es besser.“

Langsam löse ich meine Hand von der Bettstange und mache mich auf den Weg zum Waschbecken. Dort hängt ein Spiegel und es ist mir plötzlich total wichtig zu sehen, ob ich irgendwie verändert aussehe. Gestern habe ich den ganzen Tag an so etwas überhaupt nicht gedacht, heute aber will ich unbedingt in diesen Spiegel schauen.

Mein Gesicht scheint tatsächlich etwas schmaler geworden zu sein. Meine Augen, die dadurch noch größer und irgendwie blauer wirken, schauen mich unter blonden Ponyfransen forschend an. Es gefällt mir, was ich da sehe. Auch die kurzen Haare, die ich mir noch vor der Entbindung schneiden ließ, sehen gut aus. Ich dachte mir, ich werde jetzt eine Mama. Da passen die langen Haare nicht mehr, die bisher in lockeren Wellen weit über meine Schultern fielen. Zufrieden wende ich mich ab und gehe jetzt schon schneller zum Tisch mit den Besucherstühlen. Langsam lasse ich mich auf einen davon nieder und halte vorsorglich die Luft an, weil ich mit einem neuerlichen Schmerz rechne.

„Na, geht’s?“, fragt Janina. „In der Klinik, in der meine Große geboren ist, hatten wir so eine Art Schwimmring. Damit fiel das Hinsetzen viel leichter.“

Ich muss lachen. „So ein Schwimmreifen wäre wirklich eine gute Idee“, antworte ich und nehme mir vor, Luise und Stefan bei ihrem nächsten Besuch, darum zu bitten.

Die beiden, meine besten Freunde seit Kindertagen, waren schon gestern hier in der Klinik. Auch Luises Mama war natürlich dabei, denn seit ich zu Hause ausgezogen bin, ist sie zu einer meiner wichtigsten Menschen geworden.

Mit meinen Eltern ist es schwierig. Sie verstanden überhaupt nicht, dass ich das Kind behalten wollte. Klar, ich war erst 17, stand kurz vor dem Abitur. Dass sie nicht gerade begeistert waren, verstehe ich sogar. Aber meine Mutter rastete total aus und verlangte vehement einen Schwangerschaftsabbruch. Als es ganz schlimm zu Hause wurde, bot mir Luises Mutter an, bei ihnen zu wohnen. Ich bin ihr unendlich dankbar dafür. Sie begleitete mich sogar zum Arzt. Sie kümmerte sich um mich, wenn es mir schlecht ging und war einfach immer für mich da. Kurz sie tat das, was sie für ihre Tochter auch getan hätte.

Es hatte leise geklopft, dann öffnete sich die Tür und Luise schaute herein.

„Darfst du schon Besuch bekommen?“, fragte sie. „Wir haben nirgendwo eine Schwester gefunden, die wir hätten fragen können. Aber alle Türen standen offen.“

„Na klar, darf ich Besuch bekommen!“

Ich richtete mich auf.

„Kommt rein, ich freue mich total!“

Luise stürmte auf mich zu und umarmte mich fest.

„Herzlichen Glückwunsch, du! War`s denn schlimm?“

„Na, ja“, ich schnitt eine Grimasse. „Schön ist etwas anderes! Immerhin hat es vierzehn Stunden gedauert und gerissen...“

Mit Blick auf den hochroten Stefan, der beschämt zu Boden sah, verstummte ich abrupt.

„Ach egal! Alles gut!“, beendete ich schnell den Satz.

„Ah!“ Luise fasste sich an die Stirn. „Wir haben dir doch etwas mitgebracht. Erstens diese Blumen.“

Sie riss das Papier ab, in dem sie eingepackt waren und zum Vorschein kam ein wunderschöner, lachsfarbener Rosenstrauß.

„Und zweitens...“

Luise kramte eine Weile in ihrem übergroßen Rucksack und holte schließlich ein Päckchen hervor, das in hellgelbes Seidenpapier gewickelt war.

„Hier, schau mal, ob es ihr schon passt.“

Ich packte einen winzig kleinen Strampelanzug, gestrickte Schuhchen und eine Mütze aus. Darunter lag ein selbst genähtes Püppchen.

„Das hat Stefan gemacht“, sagte Luise und deutete auf unseren Freund, den es hier im Krankenhaus offenbar die Sprache verschlagen hatte.

„Das hast du gemacht?“

Ich nahm die Puppe, die aus groben Sackleinen genäht war und mit großen aufgenähten Augen fröhlich in die Welt sah. Stefan nickte.

„Das ist ewig her. Do-it-yourself-AG, 6. Klasse, erinnerst du dich?“

Ich lachte und erinnerte mich dunkel daran, dass mir diese AG ein absoluter Graus gewesen war. Meine Stoffpuppe war damals nicht im Entferntesten so schön geworden, wie diese hier.

Luises Mutter hatte inzwischen noch mehr ausgepackt.

„Was meinst du“, fragte sie, „dürfen wir hier Kuchen essen? Ich habe auch Teller mitgebracht.“

„Ich weiß gar nicht.“

Unsicher sah ich zu Janina hinüber.

„Klar dürft ihr Kuchen essen“, sagte sie. „Wenn ihr nicht gerade eine Flasche Schnaps auspackt, hat hier niemand etwas dagegen!“

Luises Mutter verteilte die Mandarinen-Sahne-Torte, die zu meinem absoluten Lieblingskuchen gehört und stellte jeden einen Eiskaffee im Pappbecher auf den Tisch.

„Janina, ihre Familie ist im Aufenthaltsraum. Möchten Sie runter gehen oder soll ich sie hierherholen?“, fragte eine junge schwarzhaarige Schwester, die unbemerkt ins Zimmer gekommen war.

„Oh, Sie haben ja auch Besuch“, wandte sie sich an mich. „Dann bringe ich Ihnen doch gleich einmal die Hauptperson. Sie gehört ja jetzt schließlich dazu!“

Kurz danach kam sie mit Julia zurück und legte sie mir in den Arm. Julchen schaute mich mit ihren kugelrunden Augen an und ergriff meinen Daumen. Ihr kleiner Mund machte leise Schmatzgeräusche.

Luises Mutter lachte. „Sie hat Hunger“, sagte sie. „Das ist ja auch gemein. Wir haben Kuchen und sie bekommt nichts.“

Ich legte sie vorsichtig an meine Brust und spürte erleichtert, dass sie sofort gierig zu saugen begann.

„Das ist ja toll“, freute ich mich. „Gestern wollte sie überhaupt nichts. Und schaut sie euch jetzt mal an!“Erst in diesem Moment sah ich, dass Stefan rot geworden war und beschämt zur Seite sah.

„Du kannst ruhig gucken“, sagte Luise und gab ihm einen freundschaftlichen Klaps. „Kathi hat ein Tuch über ihre Brust gelegt, man sieht nur das Köpfchen der Kleinen.“

„Tut mir leid“, antwortete Stefan, der noch eine Spur röter geworden war, „dass ich mich so blöd aufführe, aber das hier überfordert mich einfach.“Luise lachte. „Ich glaube, das geht uns allen so.“

„Frag mich mal!“, nickte ich. „Gestern konnte ich sie nicht einmal richtig halten. Ich stellte mich so blöd an, dass ihr Kopf nach hinten wegsackte. Die dicke Schwester regte sich darüber dermaßen auf, dass ich auch noch zu zittern begann, und es beim besten Willen nicht schaffte, sie zu wickeln.“

„Das wird schon.“ Luises Mutter lächelte. „Keine Angst, das lernst du ganz schnell und wenn du Hilfe brauchst...“

„Apropos“ hakte Luise ein, „du kannst erst einmal noch bei uns wohnen. Papa ist zwar wieder nach Hause gezogen, aber er schläft jetzt bestimmt nicht im Arbeitszimmer.“

Luises Mutter wurde tatsächlich ein klein wenig rot, als sie sagte: „Du kannst also die erste Zeit wirklich sehr gern mit der Kleinen zu uns kommen. Wir haben genug Platz.“

„Nein, nein“, hatte ich entschieden geantwortet.

„Das ist wirklich lieb von euch. Aber es ist alles geklärt. Sobald ich hier raus bin, bekomme ich sofort ein Zimmer im Mutter-Kind-Heim.“

„Deine Eltern haben sich nicht gemeldet?“, fragte Stefan beiläufig und ich schüttelte den Kopf.

„Nein“, sagte ich bemüht leicht hin. „Aber ich hatte auch nicht damit gerechnet.“

Die drei waren dann bald gegangen. Luise und Stefan mussten für Bio lernen, weil sie in diesem Fach eine mündliche Prüfung haben würden. Für mich eine absolute Horrorvorstellung. Für Bio hatte ich mich noch nie interessiert. Es war mir schlichtweg egal, wie all diese Pflanzen hießen, die regelmäßig im Unterricht bestimmt werden mussten. Wobei ich momentan sowieso nicht wusste, ob ich jemals Abitur machen würde. Erst einmal war Julia das Allerwichtigste!

Meine Bettnachbarin reißt mich aus den Gedanken, indem sie mir die Hand auf den Arm legt.

„Wir können unsere Kinder jetzt holen“, sagt sie und verlässt gleich darauf das Zimmer.

Ich stehe von meinem Stuhl auf und versuche mich zu beeilen. Gleich werde ich mein kleines Mädchen im Arm halten, so weich und warm und mit einem unbeschreiblichen Duft! Für mich ist meine Tochter das wunderschönste Baby auf der ganzen Station und das Klügste obendrein. Gleich nach der Geburt, als die Hebamme mir die Kleine auf die Brust legte, öffnete sie ihre Augen und sah mich an. Danach nieste sie herzhaft und schlief mit einem zufriedenen Lächeln ein. So als hätte sie sagen wollen: Ah, ja! Du bist meine Mama, dann ist ja alles gut.

Und jawohl, sie hatte mich angesehen und sie hatte gelächelt, auch wenn alle tausendmal sagten, so kleine Kinder könnten nicht sehen und erst recht nicht zufrieden lächeln.

Im Flur treffe ich auf andere junge Frauen, die in unförmige Bademäntel gehüllt den Gang entlang schlurfen. Wie sie da so dahin schleichen, erinnern sie eher an hilfsbedürftige Greise als an junge Mütter.

Wer hatte sich eigentlich ausgedacht, dass man in Krankenhäusern Bademäntel tragen muss? Kein Mensch, der noch einigermaßen bei Verstand ist, würde im normalen Leben ein derart hässliches Ding anziehen. Ich hatte mir erst ganz kurz vor dem Geburtstermin so einen Mantel gekauft, weil auf der Liste der Dinge, die man ins Krankenhaus mitbringen musste, neben Still-BH und Babykissen eben auch „Bademantel“ gestanden hatte.

Die Neugeborenen liegen in kleinen, weiß gestrichenen Gitterbettchen an deren Fußende rosa oder hellblaue Schilder angebracht sind. Ich schaue mich suchend um.

Rechte Seite, drittes Bett, dort hatte ich die Kleine gestern Abend, behutsam und mit einem Gefühl von Bedauern, hingelegt. Gern hätte ich sie die ganze Nacht bei mir gehabt. Doch leider ist das in dieser Klinik nicht üblich. Hier gibt es nur ein Teil-Rooming-in. Das bedeutet, dass die Kinder zwar am Tag bei ihren Müttern sein dürfen, dass sie aber nachts in ihren Bettchen in der Säuglingsabteilung liegen.

„Du wirst noch froh sein, dass du wenigstens am Anfang durchschlafen konntest“, sagte Janina, die gerade ihr drittes Kind geboren hatte. Aber ich war nicht froh darüber. Noch bis spät in die Nacht lag ich wach und lauschte auf die Geräusche, die aus der Säuglingsstation zu mir herüberdrangen.

Das Bett ist leer. Ich suche mit Blicken den Raum ab. Vielleicht irre ich mich und Julias Bettchen steht doch in einer anderen Reihe? Inzwischen haben alle Frauen ihre Babys genommen und die Säuglingsstation verlassen. Nur ich bleibe ratlos im leeren Raum zurück. Wo ist mein Kind? Vielleicht musste es zu einer Untersuchung? Aber warum hat mir dann niemand Bescheid gesagt? Zögernd verlasse ich den Raum und mache mich auf den Weg zum Schwesternzimmer.

Durch die Milchglasscheibe in der Tür erkenne ich die Umrisse der Schwestern. Zaghaft klopfe ich und als niemand antwortet, öffne ich die Tür einen Spalt breit. Die Schwestern sitzen um einen Tisch herum, der mit Platten voller Kuchen und Tortenstücken, Geschenkpäckchen und einem großen Blumenstrauß gedeckt ist. Als sie mich bemerken, erscheint auf den eben noch lachenden Gesichtern, ein genervter Ausdruck.

„Was wollen Sie denn? Sie können Ihr Kind jetzt holen!“

Erschrocken schließe ich die Tür. Wieso finde ich mein Baby nicht? Unsicher gehe ich in die Säuglingsstation zurück und schaue mich um. Kein Zweifel, alle Gitterbettchen sind leer.

Was soll ich jetzt machen? Noch einmal die Schwestern zu stören, traue ich mich nicht. Vielleicht hat eine von ihnen Julia schon zu meinem Bett gebracht, überlege ich. Ja genau, so muss es sein!

Als ich zurück in meinem Zimmer bin, sehe ich allerdings nur Janina, die ein rosiges Neugeborenes an ihre Brust hält und stöhnt: „Mein Gott, tut das weh. Und da wird einen immer erzählt, Stillen ist etwas Schönes. Na, ich danke! Sobald wir hier raus sind, gibt es ein Fläschchen und fertig!“

Ich lasse mich erschöpft in mein Bett fallen, das Herz klopft mir bis zum Hals und die Schmerzen, die ich vorhin nicht mehr wahrgenommen habe, kehren mit voller Wucht zurück.

Wo ist Julia? Ist sie etwa krank? Oder womöglich über Nacht gestorben? Ich habe gelesen, dass so etwas vorkommen kann. Plötzlichen Kindstod nennen sie das.

Meine Bettnachbarin hat inzwischen gemerkt, dass mit mir etwas nicht stimmt.

„Na, was ist denn los? Hast du wieder Schmerzen? Und wo ist überhaupt dein Kind?“

„Das weiß ich eben nicht“, antworte ich kläglich. „Ich kann sie einfach nicht finden, obwohl ich genau weiß, wo ich sie gestern hingelegt habe. Jedenfalls, dachte ich, dass ich es weiß“, setze ich hinzu und habe Mühe die Tränen zurückzuhalten. „Gibt es hier vielleicht noch ein zweites Säuglingszimmer?“

Janina schüttelt den Kopf. „Nicht, dass ich wüsste. Aber die Schwestern, müssen doch wissen, wo sie ist.“

Vorsichtig legt sie ihren kleinen Jungen ins Bett und steht auf.

„Komm, wir holen jetzt dein Kind.“

„Ich weiß nicht. Die Schwestern haben gerade Pause und scheinen Geburtstag zu feiern. Vielleicht warte ich einfach ein bisschen. Bestimmt kommt gleich jemand ins Zimmer, dann kann ich sie fragen.“

Ich will die Schwestern auf keinen Fall schon wieder stören, nur weil ich nicht in der Lage bin, mein Baby zu finden.

„Na, die spinnen ja wohl“, antwortet Janina empört. „Sie können dir doch wenigstens sagen, wohin sie die Kleine gebracht haben. So viel Zeit werden sie schon noch haben, in ihrer Pause! Komm mit, ich kläre das!“

Ohne weitere Worte macht sie sich auf den Weg zum Schwesternzimmer. Sie geht so schnell, dass ich ihr kaum folgen kann, klopft energisch und öffnet die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten.

„Die junge Frau sucht ihr Baby. Musste es zu irgendeinem Arzt?“

Eine rotblonde, korpulente Schwester, die in der Nähe der Tür sitzt, verdreht die Augen, steht aber auf.

„Die Mutti findet ihr Kind nicht! Da gehen wir doch mal nachsehen, wo es hingelaufen ist!“

Sie legt mir den Arm um die Schulter und zieht mich in den Säuglingsraum. Mitten im Zimmer bleibt sie stehen, mustert verdutzt die leeren Bettchen, um schließlich mühevoll hervorzubringen: „Das Kind ist weg.“

Eilig dreht sie sich um und macht sich auf den Weg zurück zum Schwesternzimmer. Im ersten Moment konnte sie offenbar vor Schreck nur heiser flüstern, dafür schreit sie jetzt umso lauter.

„Das Baby ist weg! Das Bett ist leer, wirklich es ist weg“, brüllt sie ihren Kolleginnen entgegen. Die Schwestern stehen auf und sehen sich entgeistert an.

„Vielleicht gucken wir noch mal richtig“, sagt die junge schwarzhaarige Schwester.

„Was willst du da gucken?“, fährt die Rothaarige sie an. „Alle Betten sind leer! Kannst du sie herzaubern, oder was?“

„Ist ja gut!“ Ich sehe, wie die jüngere Schwester knallrot anläuft. „Kein Grund mich schon wieder so anzumeckern.“

„Ich rufe Frau Dr. Milan“, sagt eine andere Schwester. „Sie müsste noch auf der Station sein.“

Gleich darauf erscheint die Ärztin. Als sie den Raum betritt, verspüre ich ein kollektives Aufatmen und bin kurz beruhigt. Hier steht offenbar eine Frau, die es gewohnt ist, Dinge in den Griff zu bekommen.

„Julia Baumann ist verschwunden?“, fragt sie sachlich und sieht in die Runde. Ich stehe noch immer mitten im Schwesternzimmer, keine drei Schritte von ihr entfernt.„Sind sie die Mama?“, fragt die Ärztin und als ich, unfähig auch nur ein einziges Wort herauszubringen,

nicke, legt sie fürsorglich den Arm um meine Schulter und rückt mir einen Stuhl zurecht.

„Hier setzen Sie sich erst einmal“, sagt sie und sieht dann einigermaßen ratlos in die Runde. Offenbar weiß auch sie nicht weiter.

„In meinen dreißig Jahren hier habe ich ja schon vieles erlebt“, sagt sie mühsam beherrscht, „aber noch nie ist ein Baby verschwunden. Haben Sie schon die Polizei verständigt?“

„Nein, wir wollten erst mit Ihnen sprechen“, antwortet die Rothaarige schnell.

Wie betäubt sehe ich zu, wie die Ärztin die Polizei anruft und kann kaum glauben, dass dies hier tatsächlich etwas mit mir zu tun hat. Warum sollte jemand mein Kind entführen? Ich habe kein Geld, keine berühmten Verwandten, nichts. Sicher ist alles nur ein riesiges Missverständnis. Bestimmt wird gleich jemand kommen und mein kleines süßes Mädchen bringen. Ich werde sie in die Arme nehmen, mein Baby wird mich mit großen, zutraulichen Augen ansehen und seine kleinen Händchen fest um meinen Daumen schließen.

„Kommen Sie, am besten Sie legen sich noch etwas hin“, sagt eine der Schwestern freundlich und streicht mir beruhigend über den Rücken. „Ich bringe Sie in ihr Bett.“

Inzwischen muss sich wohl herumgesprochen haben, was passiert ist, denn überall auf den Gängen stehen junge Mütter, die, teils stumm und verunsichert ihre Neugeborenen an sich drücken, teils lautstark das Geschehene diskutieren. Als ich mit der Schwester an ihnen vorbeilaufe, verstummen sie abrupt und sehen mich mit einer Mischung aus Mitgefühl und Misstrauen an.

„Bitte gehen Sie in Ihre Zimmer“, wendet sich die Schwester an sie. „Bis auf Weiteres behalten sie Ihre Kinder bei sich. Soweit wir es einschätzen können, besteht für Sie kein Grund zur Beunruhigung. Aber natürlich steht es Ihnen frei, die Klinik auf eigenen Wunsch zu verlassen.“

„Und was ist mit der Frühchenstation“, fragt eine junge Frau den Tränen nahe. „Ich kann doch nicht einfach gehen. Mein Alexander ist viel zu klein!“ Jetzt fängt sie wirklich an zu weinen.

„Ich kümmere mich sofort um Sie“, antwortet die Schwester geduldig. „Ich will nur Frau Baumann in Ihr Zimmer bringen.“

„Das kann ich doch machen“, sagt Janina, die auch auf dem Flur steht. „Ich wollte sowieso in mein Bett zurück.“

„Danke“, flüstere ich, als mich meine Bettnachbarin ins Zimmer begleitet und fürsorglich zudeckt.

„Willst du eher gehen?“

„Nein, auf keinen Fall.“ Janina schüttelt den Kopf. „Vincent hat eine ausgeprägte Neugeborenengelbsucht und muss deshalb mit einer Lichttherapie behandelt werden. Außerdem glaube ich nicht, dass sofort noch ein Kind geklaut wird, zumal das ganze Haus voller Polizei ist. Hast du denn eine Idee, warum sie gerade dein Kind geholt haben? Bist du reich?“

Ich schüttele den Kopf. „Überhaupt nicht“, sage ich heiser. „Das heißt, na ja, meine Eltern verdienen ganz gut. Wir haben ein Haus, ein Auto und so 5000 Euro werden sie schon gespart haben.“

Dabei fällt mir auf, dass ich gar nicht genau weiß, wie viel Geld meine Eltern auf dem Konto haben. Aber reich, richtig reich, sind wir auf keinen Fall!

„Das ist doch nicht reich!“, lacht Janina da auch schon.

„Hoffentlich tun sie ihr nichts“, antworte ich kläglich.

„Ich habe mal einen Film gesehen, da hat eine Frau, die keine Kinder kriegen konnte, ein Baby entführt und es ganz liebevoll aufgezogen. Das Mädchen hat dann, erst als sie schon erwachsen war, zufällig herausgefunden, dass sie als Kind von ihrer vermeintlichen Mutter entführt wurde.“

Ich stöhne leise und ziehe mir die Decke über den Kopf. Diese Janina scheint ja ganz nett zu sein. Aber ihr Gerede kann ich keinen Moment länger ertragen. Sie erzählt einen Film! Das hier ist die Wirklichkeit. Da draußen läuft irgendeine Irre mit meinemKind herum!

„Katharina“, lässt sich Janina jetzt vernehmen. „Mach dir nur nicht zu viele Gedanken. Die Polizei wird sie schon finden.“

Ich schließe die Augen und sehe meine Tochter vor mir. Sie war die Einzige auf der ganzen Station, die schon am ersten Tag längere Zeit mit weit geöffneten Augen ihre Umgebung ansah. Vielleicht ahnte sie ja, was mit ihr geschehen würde, und wollte sich ein für alle Mal das Bild ihrer Mutter einprägen, bevor sie sie niemals wieder sehen würde, schießt es mir durch den Kopf. Und plötzlich trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag, nichts ist gut und niemand wird kommen, um mein Kind zu bringen. Vielleicht niemals mehr.

„Was ist eigentlich mit dem Vater?“, redet Janina weiter. „Du hast noch überhaupt nichts über ihn erzählt. Vielleicht könnte er etwas mit der Entführung zu tun haben?“

„Nein, auf keinen Fall“, antworte ich knapp und merke, wie mich eine Welle von Panik zu überrollen droht.

Der neue Lehrer

Am Tag nach den Sommerferien stand er in meiner Klasse. „Wow!“, hatte ich gedacht. Das ist er! Diese braunen Augen, das dunkle Haar, das sich leicht im Nacken wellte, ein weiter hellgrauer Pullover und enge Jeans über den schmalen Hüften. Ein Traumtyp!

Nachdem er eine Weile unschlüssig im Zimmer umhergeschaut hatte, warf er seine Tasche schwungvoll auf den Lehrertisch und ließ sich auf dem Stuhl nieder. Er setzte sich an den Lehrertisch. Er war der Lehrer. Der neue Physiklehrer!

Die ganze Stunde lang verstand ich kaum ein Wort von dem, was er sagte. Ich hörte nur, wie er es sagte. Sogar seine Stimme war perfekt! Weich und ein klein bisschen rau. Als es zur Pause klingelte, erwachte ich wie aus einem Traum. Ich hatte mich doch nicht etwa in einen Lehrer verliebt?

Quatsch! So etwas passierte mir doch nicht! Ich war schließlich nicht Ivonne oder Mandy, die in jedem Schuljahr für einen neuen Lehrer schwärmten. Im letzten Jahr waren sie beide unsterblich in den Sportlehrer verliebt gewesen. Ich war jedes Mal wieder verblüfft, dass es ihrer Freundschaft absolut nichts auszumachen schien, dass sie sich regelmäßig in denselben Mann verguckten.

„Hast du den gesehen!“, erklang es auch prompt aus der hinteren Reihe. „Ist der süüß!“

„Super! Einfach super! Diese braunen Augen!“

„Hast du gemerkt, wie er mich die ganze Zeit angeguckt hat? Richtig rot und unsicher ist er geworden.“

Na klar! Er hatte Mandy gesehen und war unsicher geworden! Vielleicht war er eher erschrocken, weil es ihm sofort aufgefallen war, was für eine Niete sie in Physik ist.

Ich mochte Physik. Schon immer. Vielleicht würde ich es in diesem Jahr noch mehr mögen?

Ich überlegte damals tatsächlich, ob ich eine Chance bei ihm haben könnte. Wie alt konnte er sein? Wenn er gleich nach dem Abitur mit dem Studium begonnen hätte, wäre er jetzt Dreiundzwanzig. Sechs Jahre Altersunterschied. So etwas war eigentlich kein Problem!

„Vergiss es!“

Meine Freundin Luise stieß mich an. Irritiert sah ich auf. Luise deutete mit einer Kopfbewegung auf meinen Heftrand. Gedankenverloren hatte ich darauf herumgekritzelt: Große dunkle Augen, Herzchen, ein B noch ein B, wild verziert mit Schlaufen, Blümchen und wieder Herzchen. Ich merkte, wie ich rot wurde und klappte eilig meinen Hefter zu.

Luise grinste und sagte dann noch einmal und mit Nachdruck: „Vergiss es! Er ist mit der Bibliothekarin zusammen. Sie haben sogar Kinder, zwei glaube ich.“

„Wieso, woher weißt du das?“

Ich fand es völlig unmöglich. Dieser große Junge und die strenge Tante aus der Schulbibliothek waren ein Paar?

„Ich habe da in den Ferien gearbeitet, schon vergessen? Er hat sie fast jeden Tag von der Arbeit abgeholt. Und so verwunderlich ist das nun nicht. Frau Bröger ist richtig nett und klug ist sie auch.“

„Na gut!“ Ich zuckte resigniert die Schultern und beschloss mich damit abzufinden. Es war eben wie immer! Wenn mir schon mal ein Typ gefiel, war er garantiert vergeben.

Die Wochen vergingen und der neue Physiklehrer sah nicht nur fantastisch aus, sondern sein Unterricht war auch wirklich interessant, so dass ich mich nicht besonders anstrengen musste, ausgezeichnete Noten zu schreiben. Und obwohl ich anfangs nur ganz genau zuhörte, Zusatzaufgaben übernahm und richtig gut mitarbeitete, um ihm zu gefallen, begann ich mich tatsächlich für Physik zu begeistern, las Bücher über die Relativität der Zeit, entdeckte Hawking und Einstein für mich. Und als wir uns entscheiden mussten, worüber wir unsere Facharbeit schreiben, wählte ich ganz selbstverständlich den Softwarevergleich von Roboterprogrammierungen. Weil es mich wirklich interessierte und nur noch ein kleines bisschen, weil Jörg Bröger dann mein Mentor sein würde.

Ende Oktober neigte sich ein öder Schulvormittag mit endlosen Geografie- und Ethikstunden seinem Ende entgegen, als Jörg in der letzten Pause die Klasse betrat.

„Physik haben wir heute nicht!“, rief Sören, der dieses Fach hasste.

„Das findest du bestimmt besonders schade“, lächelte Jörg und wandte sich dann an mich.

„Schön, dass Sie Ihre Facharbeit bei mir schreiben möchten“, sagte er. „Würden Sie bitte nach der Stunde noch kurz hierbleiben. Ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.“

Er wollte etwas mit mir besprechen! Mit mir allein. Vor Aufregung lief ich knallrot an und schaffte es erst einmal nicht, zu antworten. Er deutete mein Zögern offenbar falsch, denn er fügte fast entschuldigend hinzu: „Keine Angst es dauert nicht lange. Und falls Sie heute etwas ganz Dringendes vorhaben, können wir es auch ein anderes Mal besprechen.“

„Nein, nein“, beeilte ich mich zu sagen. „Es passt mir heute gut, sehr gut sogar!“, und erntete dafür einen verächtlichen Blick von Luise.

In der folgenden Ethikstunde, der dritten an diesem Tag, gelang es mir noch weniger als sonst, diesem Fach zu folgen. Was konnte er mit mir besprechen wollen?

Hauptsache er hatte nicht bemerkt, dass ich für ihn schwärmte. Und hoffentlich hatte er nicht gesehen, dass ich immer mal wieder an seinem Haus am Rande der Stadt vorbeigelaufen war. Einfach um zu sehen, wie er lebte. Wenn es das war, was er besprechen wollte, wäre das mein Ende!

Als die anderen die Klasse verlassen hatten, kam Jörg in den Raum und setzte sich mir gegenüber rittlings auf einen Stuhl.

„Ich will dir gleich mal sagen, was ich vorhabe“, begann er. „Ich möchte für die jüngeren Schüler, so 5./6. Klasse eine AG aufbauen – lebendige Physik. Du bist die Beste in meinem Kurs und als ich die Ideen für deine Facharbeit in der Hand hielt, habe ich mir gedacht, ein bisschen Praxis könnte dabei nicht schaden. Kurz und gut, ich würde mich freuen, wenn du mich in dieser AG unterstützt. Wir könnten ein paar Dinge ausprobieren, kleine Roboter aufbauen und programmieren, vielleicht ein Radio oder ein altes Funkgerät bauen. Irgendetwas, was den Kindern Spaß macht. Bist du dabei? Ich würde mich freuen.“

Während er hier mit mir saß, war er wie selbstverständlich, vom in der Schule üblichen Sie, zum Du übergegangen. Und es fühlte sich gut an. Bildete ich es mir nur ein oder war da wirklich etwas? Etwas in seiner Stimme, seinem Blick, das genau mich meinte? Nicht nur die begabte Physikschülerin, sondern genau mich!

Ich riss mich zusammen. Er brauchte jemanden für die AG. Sonst nichts! Damit er nicht merkte, wie sehr ich mich über das Angebot freute, nahm ich eilig meine Tasche und wandte mich schon an der Tür nur halb zu ihm um.

„Ich mache das sehr gern“, sagte ich leicht hin. „Wann soll es denn los gehen?“

Von da an trafen wir uns regelmäßig nach dem Unterricht im Physikkabinett. Zuerst um ein Konzept zu erstellen, später um die einzelnen Versuche vorzubereiten.

Wir redeten viel und nicht nur über Physik. Jörg war achtundzwanzig, fast schon neunundzwanzig. Also, viel zu alt, dachte ich damals zuerst. Aber wenn wir so vertraut miteinander sprachen, vergaß ich den Altersunterschied. Und wenn wir zusammen einen Versuch aufbauten und sich unsere Hände versehentlich berührten, durchfuhr mich ein so heftiger Schauer, wie ich ihn noch nie zuvor gespürt hatte. Ich vergaß, dass er mein Lehrer ist, ich vergaß seine Frau, seine Kinder.

Für mich war er einfach nur ein toller Junge, ein wunderbarer Mann. Einfach mein Traummann.

Nachts wenn ich allein im Bett lag, träumte ich von ihm und stellte mir vor, wie er mich küssen und anfassen würde. Ich begann sogar, von einem Leben mit ihm zu träumen. Einem Leben ohne Schule, ohne seine Familie, nur er und ich.

Und dann war jener Abend gekommen. Am Nachmittag hatten wir zum ersten Mal unsere AG mit den Schülern gehabt. Wir bauten mit den Kindern einfache Schaltungen und ließen sie mit Elektroden und Spänen experimentieren. Den Schülern gefiel es tatsächlich so gut, dass sie am liebsten noch ewig weiter gemacht hätten und versprachen, in der nächsten Woche unbedingt wieder zu kommen und noch Freunde mitzubringen. Nachdem die Letzten gegangen waren, räumten wir die Geräte weg und stellten die Stühle auf die Tische.

„Das hast du großartig gemacht, Katharina! Hast du mal daran gedacht, Lehrerin zu werden?“

„Nicht unbedingt.“

Ich zögerte, weil ich überlegen musste, wie ich ihm am besten sagen konnte, was ich dachte, ohne ihn zu verletzen. Nur Lehrer wollte ich eigentlich auf keinen Fall werden. Eher schon Architektin oder Bauingenieurin. Ich träumte davon, Häuser in aller Welt zu bauen. Gerade hatte ich über ein riesiges Bauvorhaben in Dubai gelesen. Wüsten urbar machen oder dem Meer Land abringen und darauf neue Städte bauen. Davon träumte ich, seit ich siebenjährig mit meinen Eltern in den Niederlanden war und gesehen hatte, was dort alles möglich war.

„Du kannst das wirklich richtig gut! Alle Schüler würden sich in dich verlieben!“, fuhr Jörg unbeirrt fort.

„Davon habe ich auch etwas!“, lachte ich.

„Die Lehrer natürlich auch“, sagte Jörg und sah mich dabei auf eine Weise an, die mir die Röte ins Gesicht trieb.

Konnte das wirklich sein? Hatte er mir gerade gesagt, dass er sich in mich verliebt hatte? Unsicher suchte ich seinen Blick. Jörg räusperte sich und wandte sich abrupt ab.

„Na, jedenfalls hat es den Kindern gefallen“, sagte ich, um das Gespräch auf sicheres Terrain zu lenken. „Was machen wir denn das nächste Mal?“

„Vielleicht beginnen wir programmierbare Roboter zu bauen, damit du Stoff für deine Facharbeit bekommst. Aber das können wir morgen überlegen. Heute gehen wir erst einmal etwas essen. Wie wäre es mit dem Steakhouse? Ich lade dich ein.“

Eine Lüge

„Hauptkommissarin Inge Wiesner“, stellt sich die große schlanke Frau vor, die sich neben mein Bett auf dem Stuhl niederlässt.

„In Anbetracht der Umstände“, beginnt sie, „werden Sie sicher verstehen, dass ich Sie nach dem Namen des Kindsvaters fragen muss. Sie haben ihn bei der Geburt nicht angegeben. Warum?“

Ich starre sie an und spüre, wie ich rot werde. Was soll ich jetzt machen?

„Ich kenne ihn nicht“, flüstere ich schließlich kaum hörbar.

„Sie kennen den Vater Ihres Kindes nicht?“, fragt Inge Wiesner nach und ich sehe, dass sie sich bemüht, jeden Vorwurf aus der Stimme zu nehmen.

„Den Mann kenne ich schon, nur seinen Namen eben nicht“, stottere ich. Die Hauptkommissarin misst mich mit einem langen Blick. Vielleicht sieht sie, dass ich lüge.

„Wie viele solcher Partner gab es denn?“, hakt sie nach. Mir steigt noch mehr Hitze ins Gesicht und ich merke, wie ich wütend werde.